Milonga Sentimental - Timm Maximilian Hirscher - E-Book

Milonga Sentimental E-Book

Timm Maximilian Hirscher

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Beschreibung

Wie Hund und Katz umkreisen sich Tangotänzer Felix Hansen und Rechtsanwältin Peggy Freier. Die zwei leiden an einer jeweils tückischen Krankheit. Aber was alles kann nicht Medizin sein! Vielleicht können sich die beiden ja beim Tango Argentino näher kommen. "Ich werde krank werden, wenn man mir nicht Gift gibt." Cyrano de Bergerac

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

1.

Als Felix Hansen in den Backshop trat, wollte er die junge Verkäuferin Marina dazu überreden, sich von ihm endlich in den Tango Argentino einführen zu lassen. Natürlich ganz seriös wollte er die aus Sizilien stammende Frau beim Tango zur Brust nehmen. Da stand Marina und reichte gerade einer Kundin einen Laib Brot.

„Guten Morgen, Marina“, sagte er laut und übersah in seinem Eifer eine weitere Kundin,

„Guten Morgen. Wer ist der Nächste?“, fragte die Verkäuferin.

„Ich“, hieß es gleich zwei Mal.

Felix sah zu der Kundin hinüber und sagte:

„Ich.“

„Ich“, gab diese zurück.

„Ein Vorschlag zur Güte“, fuhr Marina dazwischen,

„Ladies first.“

„Sag ich doch. Ich war zuerst da“, erklärte die Frau. Felix stellte sich kerzengerade und betonte:

„Erstens nein, und zweitens nein. So weit kommt es noch: Emanzipation und zugleich ‚Ladies first‘. Was denn nun?“

Die Kundin sah ihn geringschätzig an und meinte:

„Darum geht es hier gar nicht, Die Lady war einfach zuerst da. Und...“

„Eben nicht, sondern ich....“

„Warum knobeln Sie das nicht aus?“, schlug ein alter Herr vor, der inzwischen eingetreten war. „Derweil, Signorina Marina, geben Sie mir doch bitte vier Brötchen.“

Damit war die Kundin nicht einverstanden:

„Entschuldigen Sie, mein Herr, aber der junge Mann war wirklich vor Ihnen dran und...“

„Entschuldigen Sie, mein Herr“, sagte Felix gleichzeitig, „aber da ist die junge Frau wirklich zuerst dran.“

„Lassen Sie bitte den Schmarrn mit junger Frau!“

„Ah, aber junger Mann ist okay? Hätte ich gnädige Frau sagen sollen? Oder gar...“

„...meine ältere Dame? Wenn ich Ihr Kindergesicht sehe, könnte ich wirklich Ihre Mutter sein.“

„Meine Mutter hatte keine sieben Sommersprossen im Gesicht.“

„Sieben?“

„Und sie stehen wirklich fast wie der Große Bär am Himmel auf Ihrem Gesicht.“

„Charmant, charmant. Während Sie, mein Herr, weiter Astronomie treiben, können Sie, Marina, mir endlich wie immer zwei Croissants geben.“

Die Verkäuferin lachte, nachdem sie dem alten Herrn während des Disputs bereits die vier Brötchen gereicht hatte.

„Da sind Ihre Croissants, Dottoressa, und hier Ihre üblichen Butterbrezeln, Dottore. Vielleicht richten Sie zwei es künftig besser ein. Seien Sie wie bisher nicht gleichzeitig hier!“

„Aber ich bin zuerst gekommen“, sagten Felix und die Frau gleichzeitig

„Santa Lucia! Nicht noch einmal das Ganze von vorn!“

Die Frau legte das Geld für die Croissants auf den Tresen, nahm die Tüte und sagte im Gehen zu Felix:

„Das nächste Mal nehmen Sie sich besser einen Rechtsanwalt! Ciao, Marina.“

„Ciao, Dottoressa.“

„Da ist sie endlich weg, die Nervensäge. Marina, war ich heute zu früh oder zu spät dran?“

„Sie sind wie gewöhnlich gekommen, Dottore. Die Frau Doktor war später dran als sonst.“

„Frau Doktor?“

„Eine Rechtsanwältin, Dr. Soundso.“

„Aha, deshalb der unverschämte Rat, ich solle mir einen Rechtsanwalt nehmen.“

„Sie hat vor kurzem die Büroräume von Rechtsanwalt Berger übernommen.“

„Dann arbeitet sie im selben Gebäude wie ich.“

Marina reichte ihm die Brezeln und den üblichen Cappuccino und meinte:

„Ich denke, Sie beide passen perfekt zusammen.“

„Wie bitte?“

„Na, vom ersten Moment an zanken Sie zwei sich.

Das ist die beste Grundlage für ein gemeinsames Leben.“

„Unsere italienische Tiefenpsychologin“, stöhnte Felix und sang:

„Marina, Marina, Marina!“

Er hatte sich inzwischen an einen der Stehtische gestellt, nippte am Cappuccino und biss in eine Butterbrezel. Durchs Schaufenster sah er, wie die Frau Doktor die Straße überquerte und ins Bürogebäude trat. Felix schüttelte sich und wandte sich wieder Marina zu.

„Haben Sie es sich inzwischen mit dem Tango Argentino überlegt?“

„Ich würde es schon gern einmal probieren. Die Musik gefällt mir. Aber mein Verlobter Mario würde das nie erlauben. Ich in den Armen eines anderen!“

„Aber Marina, wir sind hier in Deutschland, nicht in Palermo!“

„Das sagen Sie! Ich wusste übrigens gar nicht, dass Sie wieder tanzen. Ich dachte...“

„Doch, doch. Ich arbeite ja auch wieder. Manchmal holt mich zwar die Krankheit ein, aber das geht auch wieder vorüber. Überlegen Sie es sich doch mit dem Tango noch einmal! Oder bringen Sie Ihren Verlobten einfach mit. Vielleicht findet er ja auch Freude am Tango Argentino.

„Oh, daran zweifle ich nicht, dass er Freude daran finden würde, andere Frauen an die Brust zu nehmen.“

Felix lachte schallend auf.

„Ah, das ist also der Haken an der Sache! Ciao, Marina, bis morgen.“

„Ciao, Dottore.“

Er überquerte die Straße, wie es zuvor die Rechtsanwältin schon getan hatte, und betrat das Hochhaus, in dessen obersten Stockwerk die Nachrichtenagentur untergebracht war, für die er arbeitete. Am Eingang des Gebäudes blickte er auf die dort angebrachten Schilder und entdeckte, was er suchte: Rechtsanwältin Dr. Peggy Freier.

Okay, dacht er, die haust also im dritten Stock, und ging zum Aufzug, der von oben zurückkam und dessen Tür sich öffnete. Felix glaubte das Parfüm wieder wahrzunehmen, das ihm im Backshop aufgefallen war. Er stieg ein und fuhr nach oben. Als er am dritten Stock vorbeikam, dachte er: Achtung vor dieser Akademikerin. Adrett, intelligent, schlagfertig, kratzbürstig. Mach um die einen Bogen!

2.

Peggy Freier war aus dem Aufzug getreten und hatte die Tür zu ihrer Kanzlei geöffnet. Missbilligend schaute sie zu ihrer Sekretärin Wanda. Diese gab gerade einem Kanarienvogel im Käfig Futter und zwitscherte:

„Na, Spatz. Ist bei dir alles in Ordnung?....Oh, Frau Dr. Freier, guten Morgen. Der Kaffee steht schon bereit.“

„Guten Morgen, Wanda. Und lassen Sie den ‚Doktor‘ bitte einfach weg! Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen?“

Sie schlüpfte aus ihrem Mantel, hängte ihn an die Garderobe und stellte sich zu Wanda vor den Käfig.

„Gibt es wirklich keinen anderen Ort für diesen Vogel da?“

Die Sekretärin zuckte entschuldigend mit den Schultern und erklärte erneut, dass ihr Nachbar mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus liege. Bei ihr zu Hause könne sie den Kanarienvogel wegen ihrer Katzen nicht allein lassen. Aber die Chefin müsse doch zugeben, dass Spatz einfach süß sei.

„Pah“, sagte Peggy Freier, „und dann noch dieser bescheuerte Name ‚Spatz‘ für einen Kanarienvogel.“

„Frau Freier, ich verspreche es hoch und heilig: Sobald mein Nachbar wieder zu Hause ist, ist der Vogel bei ihm. Sind Sie, wenn ich fragen darf, nur wegen des Vogels so gereizt?“

Ihre Chefin gestand:

„Ein Kerl nervte im Backshop.“

„Männer sind meistens nervtötend. Glauben Sie einer erfahrenen älteren Frau.“

„Wanda, nicht wieder das Thema Mann!“

„Apropos Mann: Ihr Ex-Ehemann hat schon drei Mal versucht, Sie zu erreichen.“

„Der hat mir gerade noch gefehlt. Was wollte er denn?“

„Wollte er nicht sagen. Klang aber sehr dringend.

Hat er nicht Ihre Handynummer, Frau Dok... Frau Freier?“

„Die ließ ich nach der Scheidung umgehend ändern.“

In diesem Moment klingelte das Telefon auf Wandas Schreibtisch. Peggy stöhnte, dass das hoffentlich nicht ihr Ex-Mann sei, doch Wanda schüttelte den Kopf und sagte:

„Anwaltskanzlei Dr. Freier. Guten Morgen, Frau Schmidt. Ja, Frau Dr. Freier ist gerade angekommen. Einen Augenblick bitte. Ich stelle durch.“

Peggy eilte in ihr Zimmer, während Wanda dem Kanarienvogel nochmals etwas Futter gab. Wenig später trat ihre Chefin in den Eingangsraum und griff zu ihrem Mantel.

„Wanda, ich muss ins Gericht. Bis später.“

Kaum hatte sie die Eingangstür hinter sich geschlossen, als das Telefon erneut klingelte. Wanda nahm ab. „Anwaltskanzlei Dr. Freier. Guten Morg...Herr Freier, Sie wieder?! In diesem Moment ist Frau Dr. Freier aus dem Büro gegangen. Ein dringender Termin. Wie? Ja, ich werde es ausrichten. Probieren Sie es am Nachmittag oder morgen wieder. Auf Wiederhören, Herr Freier“, sagte sie und legte mit einer Grimasse auf.

3.

Felix war an diesem Abend wieder in der Tanzhalle. Nachdem er sich im Umkleideraum die Tanzschuhe angezogen und im Spiegel kurz sein Äußeres überprüft hatte, ging er zur Bar, wo er vorhin drei Frauen gesehen hatte. Er begrüßte die ersten zwei mit Wangenküsschen und „hallo Petra“ sowie „ciao Maria“. Der dritten, ihm unbekannten Tänzerin, reichte er die Hand und stellte sich vor.

„Hallo, Felix“, sagte die Neue, „ich heiße Grit.“

„Na endlich ist unser Tanguero da“, meinte Maria.

„Wie so oft ein Frauenüberschuss heute Abend.“

„Aber die ersten drei Tangos gehören mir“, sagte Petra. „Mein altes Anrecht.“

Die beiden begaben sich auf die Tanzfläche.

„Was heißt das, Maria, mein altes Anrecht?“, fragte Grit. „Haben die beiden etwas miteinander?“

„Sie hatten mal etwas miteinander.“

„Schön, wieder einmal mit dir zu tanzen. Du lässt dich einfach wunderbar führen“, sagte Felix zu seiner Tanzpartnerin, als der erste Tango vorbei war,

„Bei einem Verführer wie dir“, meinte Petra. „Aber quatsch nicht, sondern tanz!“

Nach ein paar Takten des zweiten Tangos bewegte sich Felix unbeholfen und hielt inne.

„Tut mir leid, Petra. So ein Mist...mein Morbus. Entschuldige, aber ich muss mal aussetzen und in den Umkleideraum.“

Er schwankte von der Tanzfläche. Petra begleitete ihn bei seinen ersten Schritten und fragte:

„Kann ich dir helfen?“

„Nein, nein. Ich brauche eine Pause. Du weißt schon.