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Mit Speck fängt man Mäuse, mit "Tango Subversive". So kalkuliert Marinekapitän Adolfo Kaufmann und startet während der Militärdiktatur in Argentinien seine perfide Operation. In einem Café in Buenos Aires wird zum geächteten Tango verlockt. Als Lockvogel missbraucht werden die Tangosängerin Dolores und der Bandoneonspieler Agustín. Neben dem Kurzroman "Verdammter Tango" bietet das Buch noch die Erzählung "Tangofilosof", die mit der Corona-Krise endet.
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Der Autor veröffentlichte bisher „Tango Tenebrista. Ein Schmöker zum dramatischen Helldunkel von Tango Argentino, Sex & Crime“; den Roman „Tango up & down“; „Tödliches Tangotreiben. Die wahre Geschichte der ,Freiburger Vampirmorde‘ “; „Neapel leben und sterben. Prosa und Posse“; „Böse Blicke. Kriminalkurzroman und zwei Nachkriegsgeschichten“; „Janes Affenkind. Eine tierische Geschichte“ sowie den Schwarzwaldkrimi „Dustergrund“.
Verdammter Tango
Tangofilosof
„Oh tango que mata y domina!
Maldito sea el tango quel!“ 1
Luis Vicente Roldán
„Que el mundo fue y será
una porqueria, ya lo sé,
en el quinientos seis
y en el dos mil tambíen.
...
Pero que el siglo veinte
es un despliegue
de maldá insolente
ya no hay quien lo niegue.“ 2
Enrique Santos Discépolo
1 Oh, Tango, der tötet und herrscht! Verdammt sei dieser Tango! Luis Vicente Roldán (Text)/ Murik Osmán Pérez (Musik), ,Maldito Tango‘, (1916)
2 Dass die Welt schon immer eine einzige Sauerei war und ist, im Jahr 506 und auch im Jahr 2000, das weiß ich schon… Doch dass das 20. Jahrhundert ein Auswurf an dreister Bösartigkeit ist, das kann niemand bestreiten. Enrique Santos Discépolo, Tango ,Cambalache‘, (1935)
„Tango! Tango! Tango! Tango!“
Die alte Frau stolperte voran und stieß bei jedem
„Tan“ mit ihrem Stock auf den Bürgersteig.
„Tango! Tango! Tango! Tango!“
Endlich stand sie vor dem Café. Sie schnaufte tief durch, versuchte ihren gekrümmten Körper aufzurichten, doch gab sie den Versuch sogleich wieder auf und trat ein.
„Hola, Señora!“, rief der Kellner hinter der Bar, eilte zu ihr, reichte ihr den Arm und führte sie zu einem der Tische, an dem ein junger Mann gesessen hatte. Der war beim Eintreten der Frau aufgesprungen und ging ihr zwei Schritte entgegen. Doch schon stand sie vor ihm und musterte ihn.
Was für ein hübsches Kerlchen, dachte sie, nickte ihm zu, setzte sich an den Tisch und lud ihn mit einem Kopfnicken ein, sich wieder zu setzen. Der Kellner brachte ihr im Handumdrehen eine Tasse Kaffee und zwinkerte ihr zu. Sie trank einen Schluck und sagte:
„Du bist also Hector Basso.“
„Ja, haben Sie herzlichen Dank, dass Sie bereit sind, mich zu treffen und mir zu erzählen...“
„Halt, halt!“, unterbrach sie ihn. „Das mit dem Erzählen ...also, das weiß ich noch nicht. Ich bin müde, das alles immer wieder zu erzählen. Diese alten Geschichten! Ihr Journalisten habt das doch schon so oft durchgekaut.“
„Ja, aber noch nicht von mir. Ich bin jung, habe diese rabenschwarzen Tage nicht selbst erlebt, nur darüber gehört und gelesen. So lange es … entschuldigen Sie, Señora, ich meinte, es gibt nicht mehr so viele Zeitzeugen. Ich gehöre zu einer neuen Generation, habe die Militärdiktatur nicht selbst erlebt. Ich...“
„Schon recht, ich lebe nicht ewig. Ist ja in Ordnung, dass ihr jungen Leute nicht vergesst, was eure Eltern und Großeltern erlebt und erduldet oder verantwortet hatten. Aber noch einmal ein Interview in einer Zeitung oder Zeitschrift? Noch einmal ein Journalistenbericht? Was soll das bringen? Wer hat da noch Interesse dran? Vergiss es!“
Sie kicherte, als sie die enttäuschte Miene Hectors sah, schlürfte ihren Kaffee und meinte schließlich:
„Wer liest heute noch Zeitzeugenberichte? Aber wie wäre es mit einem Schmöker, einer Erzählung, einem Roman? Du musst die Leute zum Lesen führen und verführen.“
„Aber...“, fing Hector zu stottern an.
„Nichts aber!“, unterbrach sie ihn. „Du hast doch, wie du mir am Telefon erzählt hast, diese ganzen Interviews mit mir, diese Artikel über mich, das alles hast du doch gelesen. Was könnte ich dir da noch Neues erzählen? Schreib das alles ab! In deiner Fassung. Und den Rest erfindest du!“
„Ich weiß nicht...“
„Aber ich weiß es. Du bist doch ein Schreiberling. Schreib meine, schreib unsere Geschichte!
„Aber...“
„Nichts aber! So machen wir das! Oder eben gar nicht. Hector, ich bin gespannt auf deine Geschichte. Ich habe die Militärdiktatur erlebt und überlebt. Ich werde auch deine Geschichte überleben. Auch wenn an ihr alles erfunden sein wird. Dagegen die Militärdiktatur, die hat ‘s wirklich gegeben in unserem schönen Buenos Aires und im ganzen Land.“
Sie stemmte sich von dem Stuhl auf, bevor er ihr helfen konnte.
„Lass nur! Noch geht es halbwegs, auch wenn mir damals alle Knochen gebrochen wurden. Na ja, einige. Danke für den Kaffee.“
Sie blickte auf den jungen Mann, der seinen Kopf hängen ließ, und hatte Mitleid mit ihm.
„Hector, Kopf hoch! Für was hast du Verstand und Phantasie? Schreib los! Adios, Hector!“
Sie schlurfte zum Ausgang und stieß bei jedem gemurmelten „Tango“ mit ihrem Stock auf den Boden.
Kapitän Adolfo Kaufmann saß hinter seinem Schreibtisch, strich sich mit der linken Hand über sein blondes Bärtchen und sah mit Widerwillen auf den Maat, der stramm vor ihm stand. Er konnte den Mann mit dem fliehenden Kinn und den Glupschaugen nicht ausstehen; aber er war ein nützlicher und effektiver Mitarbeiter hier in der Marineschule ESMA, insbesondere in den Folterräumen. Unvermittelt sprang der Kapitän auf, richtete den Zeigefinger seiner rechten Hand auf den Maat und schrie:
„Wie kannst du es wagen, mit einem Blutfleck auf der Uniform vor mir zu erscheinen? Wo sind wir denn hier? Ich dachte bei der Marine. Raus mit dir! In fünf Minuten stehst du in sauberer Uniform vor mir. Verschwinde!“
Kaufmann sank mit hochrotem Kopf auf seinen Sessel zurück. Leider brauchte man solche Kerle wie diesen ehemaligen Zuhälter. Aber eigentlich sei es eine Zumutung, mit solchen Typen zusammenarbeiten zu müssen. Er brütete bis zur Rückkehr des Maats vor sich hin. Hatte er den richtigen Mann für die Operation ausgewählt, fragte er sich.
Dann stand dieser wieder vor ihm stramm und salutierte in sauberer Uniform. Der Kapitän beäugte ihn.
„Rühren! Sanchez, ich habe dich für eine neue Operation ausgewählt - bestimmter Fähigkeiten wegen. Abgesehen von deinem tüchtigen Einsatz hier im Hause kannst du“ - er machte eine kunstvoll dramatische Pause - „Tango tanzen. In meinem neuen Projekt sind diese Qualitäten gefragt. Du wirst mit ein paar unserer Leute ein Café aufmachen, eine Milongabar. Natürlich macht ihr das als Privatpersonen. Natürlich in zivil. Du guckst etwas verwundert drein. Die Strategie ist ganz einfach: Mit Speck fängt man Mäuse, mit Tango Subversive! Das Café und der Tango werden uns unsichere, potenziell terroristische Elemente ins Netz spülen. Verstanden?“
„Jawohl, Herr Kapitän.“
Kaufmann bezweifelte, dass der Maat das wirklich verstanden hatte. Aber der war ja lernfähig, wie er in der Vergangenheit gezeigt hatte.
„Kannst du lesen?“
„Jawohl, Herr Kapitän.“
„Gut“, sagte dieser und reichte ihm ein Blatt über den Schreibtisch.
„Lies! Da habe ich das Wichtigste zusammengestellt.“ Der Maat hielt sich das Blatt vor die Nase und las flüsternd Wort für Wort die Anweisungen. Nach einer Weile ließ er das Blatt sinken.
„Fragen?“
„Nein, Herr Kapitän.“
„So? Na gut. Gib mir das Blatt zurück!“
Kaufmann steckte es in den Schredder neben seinem Schreibtisch.
„Sanchez, das ist absolute Geheimsache. Schärf das auch den Männern ein, die ich dir zuteile. Klar? Falls etwas schief laufen sollte...ich weiß von nichts. Verstanden?“
„Jawohl, Herr Kapitän.“
„Gut. Hier noch persönliches Startgeld für dich und die Männer. Ihr müsst ja passend angezogen sein, um mit einer Selbstverständlichkeit zu beginnen. In einer Woche erstattest du mir Bericht über die ersten Schritte. Die Adresse des von der Marine übernommenen Gebäudes hast du ja gelesen. Das Codewort für die Operation ist...was schlägst du vor?“
„Tangohölle, Herr Kapitän.“
„Idiot! Natürlich nicht. Wie wäre es mit ...Tangoparadies. Das wäre doch ein schöner Name für unsere Einrichtung.“
„Jawohl, Herr Kapitän. ,Café Paradies‘.“
Der Student Agustín Rios saß an jenem Nachmittag auf einer Parkbank und spielte auf seinem Bandoneon Tangos. Leute kamen vorbei. Manche blieben stehen, hörten ein Weile zu, klatschten Beifall, und einige warfen ein paar Münzen in die Kappe, die Agustín vor sich hingelegt hatte. Ein Pärchen tanzte vor ihm, bevor es weiter zog. Er machte eine kleine Pause, nahm ein paar Münzen aus der Kappe und steckt sie in die Hosentasche. Weiter machen oder nicht? Da hörte er neben sich jemanden sagen:
„Spiel mir ‘Maldito Tango‘!“
Er drehte sich zur Seite. Da saß eine Frau auf der Nachbarbank. Von der Stimme her hätte es auch ein Mann sein können, dachte er.
„Spiel mir ,Maldito Tango‘!“, wiederholte sie und lächelte.
Er lächelte zurück und begann zu spielen. Er hätte auch gespielt, wenn sie nicht so hübsch gewesen wäre. Agustín war ein braver Junge.