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In 'Der gestohlene Brautschatz' entführt uns Jodocus Temme in eine fesselnde Erzählung voller Intrigen und Spannung. Das Buch, veröffentlicht im 19. Jahrhundert, zeichnet sich durch einen präzisen und detaillierten Schreibstil aus, der die Leser in die Welt der Charaktere eintauchen lässt. Temme setzt geschickt historische Elemente ein, um die Handlung vor dem Hintergrund des Schwarzwalds entwickeln zu lassen. Der Leser wird mit unerwarteten Wendungen und einem raffinierten Plot überrascht, der bis zum atemberaubenden Finale anhält. Durch seinen einzigartigen literarischen Stil hebt sich Temme von anderen Autoren seiner Zeit ab, und 'Der gestohlene Brautschatz' bleibt ein Meisterwerk der deutschen Literaturgeschichte.
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Seitenzahl: 86
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Vor nicht gar vielen, aber auch nicht gar wenigen Jahren, zu einer Zeit indeß, da auch in Preußen noch der alte gute Criminalprozeß galt, wurde ein preußischer Lieutenant aus einer entfernten Garnison nach Berlin versetzt. Eigentlich wurde er dahin zurückversetzt, denn er hatte schon früher einmal dort in Garnison gestanden.
In Berlin giebt es vielerlei Militair: die Garden, von denen jedoch ein Theil in Potsdam liegt; das Kriegsministerium, bei dem eine Menge von Offizieren aller Graden theils fest angestellt, theils zur Dienstleistung commandirt sind; Lehrbataillone und Lehrescadrons, zu denen namentlich Subalternoffiziere und Unteroffiziere aus allen verschiedenen Regimentern der Monarchie jährlich commandirt werden; das Invalidenhaus, und noch einige andere Institute, bei denen Soldaten die wesentlichen Bestandteile bilden, oder doch ausschließlich oder hauptsächlich angestellt sind.
Der Lieutenant von Maxenstern, von dem hier die Rede ist, wurde nicht zu der Garde versetzt und hatte auch früher nicht bei der Garde gestanden, er war nicht reich genug dazu. Er kam auch nicht in das Invalidenhaus, denn er war weder ein alter noch ein gebrechlicher Mann, noch ein bürgerlicher Lieutenant, der etwa bisher Feldwebel gewesen wäre.
Er war ein junger Mann von neunundzwanzig bis dreißig Jahren. Er gehörte einer pommerschen Adelsfamilie an, die dem Preußischen Staate schon viele Lieutenants und sogar zwei oder drei Landräthe geliefert hatte. Nach den Vorstellungen des oder über den preußischen Beamten- und Offiziersadel gehörte sie zu den alten preußischen Adelsgeschlechtern. Der alte ritterschaftliche Adel in den westlichen Theilen des preußischen Staates, sowie in anderen deutschen Ländern pflegt freilich die Nase zu rümpfen, wenn man bei dem preußischen Beamten- und Offiziersadel überhaupt von Alter sprechen will. Jedenfalls gehörte die Familie von Maxenstern nicht zu dem reichen Adel, nicht einmal zu dem reichen Adel Pommerns, in Bezug auf den der reiche Adel anderswo behauptet, daß man von Reichthum gar nicht sprechen dürfe. Gewiß ist freilich, daß ohne das Institut der adeligen Lieutenants das Geschlecht derer von Maxenstern, gleich einem großen Theile des pommerschen Adels, seine adelige Existenz nicht wohl mehr hätte fristen können, vielmehr jenem Schicksale würde erlegen sei, das schon seit vielen Jahren den Adel Westpreußens betroffen hat, wo bekanntlich der vierte Mensch ein Adeliger ist, und es sich daher nicht selten trifft, daß die Knechte und Mägde des Bauern oder bürgerlichen Gutsbesitzers zur Hälfte aus Adeligen bestehen.
Uebrigens war der Lieutenant von Maxenstern ein wohlgebildeter Mann von ächtem militairischen Aussehen; ferner auch ein Offizier von untadelhafter militairischer Haltung und Gewandtheit. Dabei war er mit einem lebendigen und empfänglichen Geiste ausgestattet, was zur Folge gehabt hatte, daß er im Kadettenhause zu Berlin, in welchem er seine militairische Erziehung und Bildung - also seine gesammte Erziehung und Bildung - genossen, mehr als die meisten seiner Kameraden gelernt hatte, und daß er daher auch zu den »intelligentesten« Offizieren des Regiments gehörte, dem er nach seiner Entlassung aus dem Kadettenhause einverleibt wurde.
Allen diesen vortrefflichen Eigenschaften hatte er es zu verdanken gehabt, daß er, nachdem er die erforderliche Anzahl von Jahren im Regimente gedient, zum Lehrbataillon nach Berlin versetzt worden war. Die Lehrkadres der Residenz haben die Bestimmung, der gesammten Armee als Schule für ein uniformes Exerzieren, für uniformen militärischen »Pli«, für uniformen militairischen Geist, selbst für uniforme militairische Grammatik zu dienen. In letzterer Hinsicht ist die Anekdote über das grammatikalische Examen bekannt, welches ein Rittmeister mit einem seiner Unteroffiziere bei dessen Rückkehr aus Berlin von der Lehreskadron anstellte.
»Können Sie auch das mir und mich unterscheiden?« fragte der Rittmeister den Unteroffizier.
»Zu Befehl, Herr Rittmeister; im Dienste sage ich mir, außer dem Dienste mich.«
»Erläutern Sie das.«
»Wenn ich von einem Commando oder Urlaub zurückkehre, so sage ich: Herr Rittmeister, ich melde mir, Wenn ich im Wirthshause einen Schnaps fordere, so sage ich: geben Sie mich Eenen.«
Man sagt, der Rittmeister sei mit den Resultaten des Examens zufrieden gewesen.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß zu den Lehrkadres nur die fähigsten und tüchtigsten Leute der Regimenter commandirt werden. Sie lernen natürlich in Berlin am Besten, und können das Erlernte nachher bei dem Regiment am Besten wieder geltend machen.
So war auch der Lieutenant von Maxenstern zum Lehrbataillon nach Berlin commandirt worden. Er hatte bei diesem zwei Jahre gestanden, und es läßt sich nicht leugnen, daß er bei seiner Rückkehr in seine Garnison der tüchtigste Offizier des Regiments war. Man war überzeugt, daß er künftig noch der ganzen preußischen Armee zur Zierde gereichen werde.
Das hatte denn etwas Anderes zur Folge, wozu freilich zugleich etwas Anderes beitrug.
Während seines Commandos zum Lehrbataillon hatte er auch etwas Anderes als den militairischen Geist und Pli kennen gelernt, nämlich die Liebe zu einer schönen jungen Dame. Diese junge Dame war von eben so gutem und altem Adel als er; sie war auch nicht minder geistig befähigt und nicht minder liebenswürdig als er. Sie war aber auch nicht minder arm. Ihr Vater war ein verdienter höherer Offizier – Oberst – gewesen, der aber, bei dem häufigen Garnisonwechsel, dem gerade die verdienten Offiziere ausgesetzt zu sein pflegen, freilich auch bei einzelnen Liebhabereien, die die verdienten Offiziere zu haben pflegen, gute Tafel u. s. w., nicht im Stande gewesen war, sich ein Vermögen zu erwerben. Bei seinem Tode hatte er seiner einzigen Tochter, deren Mutter schon früher verstorben war, nichts hinterlassen, als das Andenken eines braven Offiziers und – Schulden. Einer seiner Kameraden, General in der Residenz, hatte die Verlassene zu sich genommen. Sie lebte in seiner Familie in Berlin. Die Familie bestand aber aus sehr hochmüthigen und zugleich sehr gefallsüchtigen Töchtern, unter denen die Verlassene die Rolle des armen Aschenbrödels spielte.
In dieser hatte der Lieutenant von Maxenstern sie kennen, und sein braves Herz sie lieben gelernt. Er hatte ihre Gegenliebe gefunden.
Allein Beide waren, wie gesagt, arm. Und ein armer Lieutenant und ein armes Fräulein können einander nicht heirathen. Wenn es nur auf sie Beide allein ankäme, freilich wohl. So dachten und sprachen auch der Lieutenant von Maxenstern und seine Verlobte. Er hatte eine jährliche »Gage« von dreihundert und funfzig Thalern, und sie konnte die feinsten und elegantesten weiblichen Arbeiten machen. Dabei ist die Liebe, besonders die armer Verlobter, äußerst genügsam, und Beide meinten, daß sie reich genug seien, um, gleichviel ob in der kleinsten Garnison, oder gar in Berlin selbst, leben, sogar anständig leben zu können.
Indeß ein eisernes Gesetz stand ihnen entgegen. In Preußen darf kein Subalternoffizier heirathen, ohne daß er oder seine Braut ein disponibles Vermögen von zwölftausend Thalern, oder eine feste und sichere Rente von sechshundert Thalern besitzt. Dieses Gesetz wird zwar, wie jedes Gesetz, mehr umgangen als befolgt. Man weiset Scheinkontrakte vor, in welchen Vermögen oder Rente auf dem Papiere als vorhanden und gesichert dastehen. Man leihet sogar von einem guten Freunde auf eine halbe oder Stunde die baare Summe von zwölftausend Thalern. Jetzt damit zu dem Auditeur, oder in dessen Ermangelung zu dem nächsten Civilrichter, zählt die Summe auf und läßt sich darüber, und daß man also in dem Besitze von baaren zwölftausend Thalern ist, ein gerichtliches Dokument ausstellen, nach dessen Ausfertigung das Geld zu dem guten Freunde zurückgetragen wird.
Der Lieutenant von Maxenstern und seine Verlobte waren zu redliche und brave Herzen, als daß sie von solchen Mitteln hätten Gebrauch machen können. Sie vertrösteten sich daher auf die Zukunft, und zwar auf eine »Compagnie,« denn dem Inhaber einer Compagnie steht jenes Verbot nicht mehr entgegen. Allerdings war der Herr von Maxenstern erst Secondelieutenant, und er hatte noch fünf andere Secondelieutenants und, mit den aggregirten, noch achtzehn Premierlieutenants vor sich, also im Ganzen dreiundzwanzig »Vordermänner« im Regimente, die sämmtlich erst Kapitains werden und eine Compagnie bekommen mußten, bevor die Reihe an ihn kam, und der Compagnien waren nur zwölf im Regimente. Unter den ältern Premierlieutenants waren auch einige, die schon so lange auf eine Compagnie gewartet hatten, daß sie darüber vierzig Jahre und mehr alt geworden waren, und auch in andern Regimentern hatte man ähnliche Beispiele eines nicht minder langen Wartens. Aber wann hätten Liebende überhaupt wohl die Hoffnung und ein liebender Lieutenant und seine Braut insbesondere wohl die Hoffnung auf eine Compagnie aufgegeben?
Diese Hoffnung verloren sie auch nicht, obgleich manches Jahr hindurch in dem Regimente kein Kapitain und kein Premierlieutenant abgehen wollte, und von den vorstehenden Secondelieutenants nur ein einziger an der Auszehrung gestorben, mithin der Herr von Maxenstern noch immer erst der zweiundzwanzigste in der Reihe für eine der zwölf Compagnien war. Ihre Hoffnung wurde nur sehnsüchtiger, denn zu den hochmüthigen und gefallsüchtigen Töchtern des Generals hatte sich noch immer kein Freier, nicht einmal ein armer Lieutenant, finden wollen, und die Aschenbrödelrolle der nun auch zugleich beneideten Verlassenen, die das Gnadendbrot im Hause aß, wurde begreiflich immer eine traurigere, was begreiflich dem Bräutigam immer mehr zu Herzen ging.
Die wachsende Sehnsucht erzeugte aber zugleich eine vermehrte Anstrengung zur Erreichung des Ziels. Man wird fragen: Was kann, gegenüber dem mit eiserner Strenge festgehaltenen Grundsatze des Avancements im Regimente nur nach der Anciennetät , ein armer Lieutenant zur Beförderung seines Avancements thun? Wie sollte sogar ein armes, Gnadenbrot essendes Fräulein etwas dazu beitragen können? Indessen die Liebe vermag auch bei einem armen Lieutenant und einem armen Fräulein, wenn gleich nicht Alles, doch viel. Der Herr von Maxenstern wußte bei seinen Vorgesetzten in der Garnison und im Generalcommando der Provinz seine militärischen Vorzüge geltend, und das Fräulein wußte darauf bei ihren Gönnern, den Freunden ihres verstorbenen Vaters in der Residenz, aufmerksam zu machen. So wurde der Herr von Maxenstern eines schönen Tages plötzlich in die Adjutantur nach Berlin versetzt, und seine Carriere war dadurch gemacht. Wenn man ihm weiter wohl wollte, so konnte man nun ihn bald aus seinem Regimente ganz herausnehmen und einem Regimente »aggregiren,« in welchem er der Anciennetät nach der älteste Secondelieutenant war. Er war dann in kurzer Frist zum Premierlieutenant zu befördern. War er dies einmal, so konnte er, ohne irgend einem bestimmten Regimente anzugehören, zum Kapitain à la Suite ernannt werden. Und dann stand der Verbindung der Liebenden nichts mehr im Wege. Dies war, möglicher Weise, in zwei Jahren zu erreichen.
Wie kein Unglück allein kommt, so kommt auch wohl manchmal im Gefolge eines ersten glücklichen Umstandes ein zweiter.