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Für Liebhaber von deutschen Sagen und Märchen ist 'Alte deutsche Sagen und Grusel-Märchen' ein absolutes Muss. Jodocus Temme entführt die Leser auf eine faszinierende Reise durch die traditionelle Folklore Deutschlands und lässt sie in die mystische Welt der Legenden eintauchen. Mit seiner einfühlsamen Darstellung und seiner tiefgreifenden Kenntnis der Materie vermag es Temme, die Leser zu fesseln und zu begeistern. Dieses Buch ist nicht nur eine unterhaltsame Lektüre, sondern auch eine wertvolle Quelle für die deutsche Kulturgeschichte und ein einzigartiges Leseerlebnis, das lange in Erinnerung bleibt.
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Seitenzahl: 802
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Books
An der südlichen Grenze des Herzogthums Westphalen, da, wo sich dieses von der Nassau scheidet, liegt ein hoher Berg, der Stübelhagen genannt, an dessen östlichem Abhange, nicht weit von dem Fahrwege, der Westphalen und Nassau verbindet, mitten in einem Eichenwalde, ein großer, viereckiger Pfuhl sich befindet. Dieser ist voll schlammigen, schwefelichen Wassers, und voller Kröten, Frösche und Eidechsen. Die Gegend umher ist unbewohnt und leer, selbst die Thiere des Waldes meiden sie, es scheint ein Fluch auf ihr zu liegen, oder eine Unheimlichkeit, Aengstlichkeit in ihr zu herrschen, die jedes Leben und Geselligkeit liebende Geschöpf entfernt hält. Nur große Züge von Krähen lassen sich zu Zeiten hier nieder und fallen über die Kröten und Eidechsen her, die aus dem stinkenden, Wasser emportauchen; weshalb der Pfuhl von den Bewohnern der Gegend der Krähenpfuhl genannt wird.
Vor langen Zeiten, vor mehr als tausend Jahren, stand an der Stelle, wo jetzt der Krähenpfuhl ist, ein großes Schloß, die rothe Burg genannt, von den schönen breiten rothen Steinen, mit denen es aufgebaut war. In demselben hausete damals Wolff Lutz, der frechste Räuber, der blutgierigste Christenverfolger, den Westphalen je gesehen hatte. Er war früher ein Gefährte des Sachsenkönigs Wittekind, und einer der tapfersten Hauptleute in dessen Heere gewesen. Lange hatte er treu an ihm gehalten und war mit ihm von einem Ende des Sachsenlandes zum andern gezogen, um dessen zahlreiche Feinde vertilgen zu helfen, und die alte, angestammte Religion der vaterländischen Götter gegen die Franken und deren fremde, christliche Religion zu vertheidigen. Noth und Verfolgung und Leiden hatte er mit ihm getheilt, immer hoffend, daß die Götter, zu deren Ruhm sie kämpften, ihre Niederlagen in Sieg, ihre Leiden in Triumpf endlich verwandeln würden. Allein die Uebermacht des Kaisers Karl war zu groß. Von Jahr zu Jahr, von Tage zu Tage endlich, schmolzen die Haufen der Sachsen, der Vertheidiger des Heerdes und der alten Götter, mehr und mehr zusammen, durch offene Feldschlachten, wie durch furchtbare, grausame Hinrichtungen. Immer siegreicher drangen die Schaaren der Franken in dem schönen Sachsenlande weiter vor; immer mehr breitete ihre fremde, gewaltsam aufgedrungene Religion sich aus; täglich kleiner wurde der Raum, in welchem noch Verehrung der deutschen Götter anzutreffen war; täglich seltener und unsicherer wurden die Schlupfwinkel, in denen Wittekind mit seinen Getreuen gegen die Uebermacht seiner furchtbaren Feinde sich noch verbergen konnte. Endlich war dem Edlen jeder Weg, jede Aussicht auf Sieg oder Rettung abgeschnitten. Er konnte nicht mehr widerstehen, er war verloren. Aber jener höchste, jener einzige Gott, den er solange verkannt und verhöhnt hatte, wollte ihn nicht verderben lassen; Er erfüllte die Herzen der Feinde des edlen Sachsenherzogs mit Milde, und ließ durch stille Wunder, welche die geheimnißvolle Sage nur halb und nur verschleyert uns aufbewahrt hat, in der Brust des Herzogs selbst den Glauben an Ihn und an seine göttliche Religion keimen und feste, starke Wurzeln schlagen. Im Jahre des Herrn sieben hundert neun und neunzig zog der Herzog Wittekind mit dem Kaiser Karl und mit dem Papste Leo dem Dritten und mit vielen Patriarchen, Erzbischöfen und Bischöfen, und Fürsten und Herrn, vier hundert und fünfzehn an der Zahl, zu der alten Feste Syburg an der Ruhr, zerstörte hier selbst die heidnischen Denkmale, ließ den alten Götzentempel zu einer christlichen Kirche einweihen und empfing dann aus den Händen des Papstes Leo und aus dem alten heiligen, jetzt dem Apostel Petrus geweihten Brunnen, unweit der Kirche, das Wasser der heiligen Taufe. Und mit ihm ließen sich alle seine Mannen und Gefährten taufen, schwuren den alten, heidnischen Glauben ab, und lebten fortan als Christen und nur dem Dienste des großen Kaisers Karl.
Wolff Lutz aber war nicht unter diesen. Die Götter sind furchtbar! sprach er. Sie verderben den, der Sie verläßt! Nur wer ihnen anhängt, wird glücklich! – Er schwur, ihnen treu zu seyn, sie nicht zu verlassen. Mit tiefer Verachtung schied er von Wittekind, als er dessen Entschluß, Christ zu werden, erfuhr. Still versammelet er seine getreuesten, wildesten und muthigsten Gesellen um sich. Furchtbar, sprach er zu ihnen, furchtbar rächen die Götter den Verrath. Laßt uns ihnen treu seyn. Zeigen sie uns auch jetzt kein freundliches Antlitz, haben sie auch lange Zeit uns nur Gefahren und Leiden zugesandt; verlassen haben sie uns dennoch nicht. Bald werden sie uns verklären, denn sie lieben ihre Diener, und sie werden uns Freuden und Gastmähler und Ruhe senden. Drum muthig, meine Gesellen.
Er ermahnte sie, sich durch zu kämpfen, und in einer wilden stürmischen Nacht brach er plötzlich mit ihnen auf, und entkam glücklich durch die Reihen der das Lager der Sachsen von allen Seiten einschließenden Franken. Er richtete seinen Weg zu den Gebirgen des südwestlichen Westphalens; in diesen undurchdringlichen Schluchten, wohin noch kein Franke gekommen war, wollte er sich verborgen halten, bis der Kaiser Karl das Sachsenland verlassen habe, um dann schnell wieder hervorzubrechen und die neue Lehre wieder zu verbannen, ihre Anhänger, die Verräther der Götter, zu bestrafen, und die angestammten Götter in ihre alten Rechte, in ihre Verehrung wieder einzusetzen. Mit einem furchtbaren Groll in seinem wilden, unverzagten Herzen, mit einem entsetzlichen Haß gegen alles, was Christ hieß, oder nur an christliche Religion erinnerte, kam er in den wilden Gebirgen des südlichen Westphalens an. Denn nicht nur ihn und seine Götter und sein Vaterland hatte ihre Religion beleidigt, auch sein Herz hatte sie zerrissen und ihm alles geraubt, was er mit Liebe umfing. Sein Weib war in einem der früheren Kriege gegen die Franken gefangen worden, und hatte, um dem Zwange, die fremde Religion anzunehmen, zu entgehen, sich selbst in wilder Raserei getödtet. Seine einzige Tochter war in schmählicher Gefangenschaft der Franken gestorben. Zwei seiner Söhne, tapfere, kräftige Jünglinge, waren vor seinen eigenen Augen, auf Befehl des Kaisers Karl hingerichtet worden. Nur ein Knabe war ihm geblieben, der entkam mit ihm. Furchtbare Rache schwur Wolff Lutz für solche Unbilden, um sein Herz und die beleidigten Götter zu versöhnen.
So kam er zum Stübelhagen. Die wilde, unwegsame, verborgene Gegend gefiel ihm. Hierher kam der Kaiser Karl nicht, hier konnte er sicher hausen, und hier, sein Herz lachte in furchtbarer Freude auf, und hier konnte er schon gleich einen Anfang seiner Rache machen. Denn wohin das verderbliche Heer gedrungen war, dahin waren fromme Geistliche gekommen, und hatten die segensreiche Religion des Erlösers gepredigt, und viele Freunde und Anhänger gefunden, die jetzt still und friedlich lebten und dem wahren Gotte dienten Lutzens Augen leuchteten in wilder Freude auf, als er die vielen Kapellen sah, die in den Thälern umher sich erhoben. Hier war Arbeit für seine Rache.
Schnell war sein Plan gefaßt, hier zu bleiben. Am östlichen Abhange des Stübelhagens sah er die rothe Burg, auf der ein christlich gewordener Edler des Landes wohnte. Sie war stark und fest, aber für Wolff Lutz nicht. Zwei Tage hielt er mit seiner Schaar sich verborgen; in der dritten Nacht stürmte er mit rasender Wuth die Burg, die nach einem dreistündigen Kampfe sein wurde. Zum ersten Male frohlockte er wieder laut auf, als er in dem Burghofe stand und rund um ihn her die Leichen der erschlagenen Christen lagen. So will ich Euch ferner rächen, Ihr Götter! rief er. Nur Euerm Dienste soll mein Leben geweiht seyn!
Er riß seinen Sohn an seine Seite, und ließ ihn in diesem feyerlichen Augenblicke Treue den Göttern schwören. Der hohe, kräftige Jüngling schwur mit leuchtenden Augen, mit aufflammender Leidenschaft. Denn auch er fühlte tief die Unbilden, die ihm und den Seinigen von den Christen waren zugefügt worden.
Da trat, wie kaum der Schwur beendigt war, mit der anbrechenden Morgenröthe ein riesiges Weib in den Kreis. Ein weites, lang bis über die Knöchel herabhängendes Gewand von weißer Farbe, umfloß ihre starken Glieder; greise Haare wallten in langen, dicken Locken von ihrem Haupte; ihr Gesicht war hager und voll tiefer Furchen, aber ihr Auge blitzte von einem höheren überirdischen Feuer. Niemand hatte sie ankommen sehen, sie stand plötzlich neben den blutigen Leichen, unter den mit Blut bedeckten Kriegern. Einen stolzen Blick warf sie auf die Knechte, die scheu vor ihr zurücktraten. Dann wandte sie sich zu Wolff Lutz und seinem Sohne Hermann.
Die Götter sind euch gnädig! sprach sie mit tiefer feyerlicher Stimme. Sie haben Freude an euch; aber bleibt treu eurem Schwure, die Götter sind furchtbar!
Sie wickelte sich dichter in ihr weites Gewand, und wollte sich wieder entfernen. Aber Wolff Lutz hielt sie; Hohe Drude! rief er, von wannen kommst du? Welcher Gott hat dich, uns gnädig, in unsere Mitte geführt?
Kein einzelner Gott! erwiederte das Weib. Die Götter alle beschützen mich; denn wer sie ehrt, den lieben sie. Sie alle haben mich bewahrt und mich vor den Augen der Christen verborgen, in deren Mitte ich lebte. Dort unten ist mein Thurm, tief in jenem westlichen Thale. Aber suche mich nicht, denn die Götter wohnen mit mir, und sie zürnen, wenn ein Sterblicher sie stört.
Sie nahm ihr Gewand auf und entfernte sich langsam und schweigend, bis sie hinter der Mauer der Burg schnell verschwand.
Die Götter sind uns gnädig! rief jauchzend Wolff Lutz, und er schwur von neuem, und auch sein Sohn schwur es, sie zu rächen für alle Verhöhnungen, die sie von den Franken erlitten, und ihnen alle Christen zu opfern, die nur je ihnen begegnen würden.
Sie hielten Wort. Furchtbar wüthete Wolff Lutz mit seinen Gehülfen unter den friedlichen Christen der benachbarten Thäler, freudig half sein muthiger Sohn. Wie eine Schaar hungriger Wölfe, welche plötzlich in eine fruchtbare mit Heerden bedeckte Gegend gedrungen ist, unerwartet, mit lautem Geheul und wüthender Mordlust aus ihren nächtlichen Schlumpfwinkeln hervorstürzt, unter die friedlichen Thiere sich wirft, und würgt und mordet und zerstört, so überfiel Lutz mit den Seinigen die frommen Christen der Umgegend, zerstörte ihre Wohnungen, verbrannte ihre Capellen, und schleppte Männer, Weiber und Kinder auf seine Burg, wo er in entsetzlicher Lust sie mordete und seinen Göttern schlachtete. Wenige Monden waren erst verflossen, als kein Christ mehr in der ganzen Umgegend zu finden war, alle waren gemordet und geschlachtet, oder sie hatten, jedoch nur wenige, eilends ihre Heimath verlassen, und waren vor den Verfolgungen des unbändigen Räubers Lutz, fernern bewohnteren Gegenden, besonders dem Rheine, zugeflüchtet.
Sie hielten Wort. Furchtbar wüthete Wolff Lutz mit seinen Gehülfen unter den friedlichen Christen der benachbarten Thäler, freudig half sein muthiger Sohn. Wie eine Schaar hungriger Wölfe, welche plötzlich in eine fruchtbare mit Heerden bedeckte Gegend gedrungen ist, unerwartet, mit lautem Geheul und wüthender Mordlust aus ihren nächtlichen Schlumpfwinkeln hervorstürzt, unter die friedlichen Thiere sich wirft, und würgt und mordet und zerstört, so überfiel Lutz mit den Seinigen die frommen Christen der Umgegend, zerstörte ihre Wohnungen, verbrannte ihre Capellen, und schleppte Männer, Weiber und Kinder auf seine Burg, wo er in entsetzlicher Lust sie mordete und seinen Göttern schlachtete. Wenige Monden waren erst verflossen, als kein Christ mehr in der ganzen Umgegend zu finden war, alle waren gemordet und geschlachtet, oder sie hatten, jedoch nur wenige, eilends ihre Heimath verlassen, und waren vor den Verfolgungen des unbändigen Räubers Lutz, fernern bewohnteren Gegenden, besonders dem Rheine, zugeflüchtet.
Nur eine einzige Christenfamilie war verschont worden. Fast die ganze Gegend war von Lutz schon gesäubert; da traf er eines Tages, als er von einem weiteren Streifzuge zurückkehrte, und einsam mit seinem Sohne, getrennt von den übrigen Gefährten, durch die Berge seiner Burg zueilte, nicht gar weit von dieser, in einer engen, verborgenen Schlucht, auf eine Höhle, deren Eingang kaum bemerkbar war. Aber Lutzens scharfes Auge gewahrte sie, und glänzte in der Freude eines Jägers, der auf unverhoffte Beute stößt. Schnell eilte er mit seinem Sohne darauf zu, und seine Hoffnung hatte ihn nicht betrogen. Es waren Menschen in der Höhle. Ein greiser Mönch, ein ältlicher Mann und ein blühendes junges Mädchen knieten vor einem Lager von Fellen, auf dem eine blasse, kranke Frau, mit gefalteten Händen und schon halb erloschenen Augen lag. Alle schienen in stiller Andacht zu beten. Entsetzt flogen sie in die Höhe, als die Heiden, die ihnen nur allzubekannt seyn mochten, mit lauter Freude in die Höhle stürzten, und liefen zu einem Cruzifixe, das auf einem Altare in der Ecke der Höhle stand, und vor dem eine sparsame Lampe brannte. Nur die Kranke fiel ohnmächtig auf das Lager zurück. Frohlockend verfolgte Lutz und sein Sohn die Fliehenden, mit gezückten Schwertern wollten sie über die Unglücklichen herfallen und sie schlachten zum Opfer für ihre Götter, zur Sühne ihrer Rache. Aber eine wunderbare Gewalt schien plötzlich ihre Kräfte gelähmt zu haben, als sie in die Nähe des Altars kamen. Schweigend und starr blieben sie hier stehen, und sahen die Betenden an, die händeringend zu dem Cruzifixe emporfleheten.
Vater! sprach plötzlich der Jüngling Hermann, Schone ihrer, die Götter haben der Opfer und wir der Rache genug. Laß uns den Unglücklichen das Leben schenken.
Da wendete sich das Mädchen vor dem Altare um und schaute mit durchdringendem aber dankendem Blicke den Jüngling an, der die menschlichen Worte gesprochen hatte. Der Himmel segne dich! rief sie mit sanfter, weicher Stimme.
Ein unnennbares Sehnen, eine unerklärliche Verwirrung erfaßte den Jüngling. Komm, Vater! rief er dringender; die Götter sagen es mir, daß sie den Tod dieser nicht wollen!
Er faßte die Hände des Vaters, der ebenfalls in wunderbarer Verwirrung zu seyn schien, und zog ihn fast ohne Widerstand aus der Höhle.
Die Unglücklichen gehörten zu den edelsten Bewohnern der Gegend; sie hatten flüchten wollen, als Lutz seine Christenverfolgungen begann, aber die Krankheit der Frau, die langsam dem Tode entgegenzehrte, hatte sie verhindert eine weite Reise zu machen; Gatte und Tochter sahen sich daher gezwungen, in der Nähe ein verborgenes Unterkommen für sich und die Kranke zu suchen. Der fromme Mönch des Thales, Johannes Baptista mit Namen, hatte sich an sie angeschlossen, und wollte sein Schicksal nicht von dem ihrigen trennen. In dieser Höhle hatten sie einen sichern Zufluchtsort zu finden geglaubt.
Schweigend kehrten Wolff und Hermann Lutz zu der Burg zurück. Erst hier kam ein anderer Geist wieder über den Vater; er machte sich Vorwürfe, daß er die Christen verschont habe, er wollte umkehren, um sie desto fürchterlicher zu opfern; allein in dem Jünglinge war der Geist der Milde geblieben, und glücklich gelang es ihm, auch den Vater zu besänftigen.
Wolff Lutz ging seinen grausamen Beschäftigungen bald auf die gewohnte Weise wieder nach,, wagte sich, da sein Haufe sich nach und nach verstärkt hatte, immer weiter und kühner unter die benachbarten Christen, und raubte und mordete, und hatte des Abentheuers bald vergessen. Mit Hermann aber war seit diesem Tage eine völlige Umänderung seines ganzen Wesens vorgegangen. Er nahm bald nur wenigen Antheil mehr an den Zügen und Grausamkeiten seines Vaters, und nur mit offenbarem Widerwillen. Am liebsten blieb er einsam auf der Burg, und schweifte dann Tagelang in den Bergen und Wäldern umher. Dabei wurde der sonst so fröhliche Jüngling mit jedem Tage stiller und ernster, und sein kräftiger blühender Körper verfiel sichtbar und welkte dahin, wie eine abgebrochene Blume. Anfangs fielen die Veränderungen dem alten Wolff Lutz nicht auf; bald aber bemerkte er sie, und erschrak heftig als er den so schnell und so plötzlich bleich und kraftlos gewordenen Jüngling sah. Sollte er auch ihn verlieren, den er allein noch liebte auf der ganzen Erde? Er fragte zärtlich, was ihm fehle; aber der Knabe versicherte, er wisse es selbst nicht, er müsse wohl sehr krank seyn.
Wolff Lutz warf einen dunkeln Blick des Vorwurfs zum Himmel empor. Ist das Euer Segen, Ihr Götter? rief er. Liebt Ihr soden Sterblichen? Dankt Ihr so für treue Dienste?
Aber bald unterwarf er sich wieder dem Willen der Ewigen, und flehete zu ihnen um das Leben des Söhnleins, und versprach ihnen größere Opfer an Christen zum Lohne. Er wurde jetzt kühner als je, und grausamer. Fast kein Tag verging, wo er nicht Christen schlachtete, um die Götter sich zu verpflichten, und des Sohnes Leben von ihnen zu erhalten. Allein der Knabe welkte immer mehr dem Grabe entgegen.
Es war ein warmer, schöner Sommertag im Jahre achthundert der Erlösung, als der Räuber Lutz mit seinen Gesellen von einem Zuge zurückkehrte, den er weit in die Gegend hinein, bis fast an den Rheinstrom, gegen die Christen unternommen hatte. Eine ungeheure Menge Unschuldiger waren von den Unmenschen den heidnischen Göttern geopfert worden; reich mit Beute beladen kehrten sie auf die rothe Burg heim. Sie kamen mit dem letzten Strahle der Abendsonne hier an, durch jauchendes Geheul den daheimgebliebenen Räubern ihre Rückkehr ankündigend. Am fröhlichsten war Wolff Lutz selbst. Die Götter müssen mir gnädig seyn! rief er; haben sie noch einen Diener wie mich?
Da sah er seinen kranken Sohn, der langsam auf dem Burghofe ihm entgegenschlich, mit glanzlosen Augen, bleichen Wangen, fast mehr wie ein dem Grabe Angehörender, als wie ein Lebender aussehend; und schnell entschwand die Freude des Räubers. Furchtbare Götter! rief er aus; Was habe ich verbrochen, daß Ihr mich also straft? daß Ihr mir alles nehmt?
Er überließ die Beute den Knechten und ging still, mit tiefem finstern Sinnen in die Burg und in sein Gemach. Lange saß er hier einsam, in trüben Gedanken verloren. Als er aber den Mond hoch am Himmelsgewölbe stehen sah, sprang er plötzlich auf, verließ das Gemach und die Burg, und schritt schweigend und langsam den Berg hinunter, in die mondhelle Nacht hinein. Er schlug sich links in den Eichenwald, ging dann nach Westen hin, immer den Abhang des Berges hinab, bis er an ein enges, dunkles Thal kam, in welches kein Strahl des Mondes drang. Lange schritt er immer tiefer in dieses hinein, und folgte seinen mannigfaltigen Windungen. Auf einmal kam er an eine Stelle, auf die, wie durch eine Spalte des gegenüber liegenden Berges, fast wundersam der Mond schien. Es war ein schmaler Streifen Rasen, auf dem uralte, dicke Eichen standen; mitten zwischen diesen erhob sich, seltsam von dem bleichen Monde beleuchtet, ein hoher, runder Thurm von grauen Steinen.
Lutz stand hier still, und schaute, wie mit sich selbst streitend, den hohen, grauen Thurm an. Kein Laut ließ sich in der stillen Nacht vernehmen. Kein Leben regte sich in der ganzen Natur um ihn her; es war, als wenn alles hier todt sey; selbst die mit Laub bedeckten, von keinem Winde bewegten Bäume, schienen in dem ungewissen Mondlichte nur ein fabelhaftes, geisterähnliches Daseyn zu haben.
Auf einmal öffnete sich eine niedrige Thür an dem Thurme, und ein hohes Weib schritt in langen, weiten Kleidern daraus hervor. Es war die Drude. Langsam trat sie in die warme, helle Nacht hinaus; lange sah sie sich schweigend nach allen Seiten um; dann ging sie zu einer hohen Eiche, an deren Stamm den Göttern ein Altar von riesigen Steinen errichtet war. An diesem blieb sie stehen, und breitete eine Rolle darauf aus, die sie mitgebracht hatte. Darin las sie eine Zeitlang, bis sie auf einmal rasch ihr tiefgefurchtes Gesicht zu der vollen Mondesscheibe emporrichtete. Sie blickte starr und unverwandt in dieselbe; aber plötzlich senkte sie Gesicht und Augen und verbarg jenes mit ihrem Gewande, das sie mit beyden Händen davor hielt. So stand sie lange Zeit ohne Bewegung, anzusehen wie eine furchtbare Bildsäule. Auf einmal aber warf sie das verhüllende Gewand vom Antlitze fort, schaute eine Minute lang klar zum Monde empor, hob dann beide Arme hoch in die Höhe, und beschrieb mit denselben wunderbare Zeichen in die Luft hinaus.
Wehe! Wehe! rief sie dann mit hohler, lauter, an den Bergen ringsum widerhallender Stimme; Wehe! die Götter sind furchtbar! Verderben dem Sterblichen, der sie erzürnt! Tod dem Verräther, der ihnen falsch schwört.
Wolff Lutz hatte schweigend und ohne sich zu regen seine Stelle bewahrt, er hatte mit sich gekämpft, ob er sich der Drude nahen solle, aber ehrerbietig war er stehen geblieben, als er sie dem Altare sich nahen, und in unmittelbare Unterredung mit den Göttern treten sah. Auch jetzt wagte er nicht näher zu gehen; er stand fest und unbeweglich, und nur der Weheruf der Seherin trieb ihm das Haar auf der Scheitel empor. Aber das Weib wandte sich plötzlich zu ihm um, sah ihn einen Augenblick lang mit durchdringenden Blicken an, daß er am ganzen Körper erbebte, und redete ihn dann mit ihrer hohlen, drohenden Stimme an. Wolff Lutz! rief sie strenge; was führt dich zu den Göttern, und in das Heiligthum ihrer Priesterin?
Der Räuber wagte es nicht ihr näher zu treten. Er verbeugte sich tief und antwortete ihr in ehrfurchtsvollem, fast demüthigem Tone. Hohe Drude! sprach er; mein Söhnlein erkrankt und welkt dem bleichen Tode entgegen. Wodurch habe ich die Götter beleidigt, daß sie ihn mir nehmen wollen? Wodurch kann ich sie versöhnen, daß sie ihn mir wieder schenken? –
Die Züge der Drude wurden ernster, strenger, ihre Augen rollten zornfunkelnd in den großen, dunkeln Höhlen. Wehe dir und deiner Brut! rief sie. Verderben dem, der die Götter erzürnt!
Wehe ihm? fragte Lutz. Drude, bin ich nicht der treueste Diener der Unsterblichen? Schlachte ich ihnen nicht täglich Opfer? Und dennoch bringen sie dunkles Weh über mich?
Wehe dem Verräther! fuhr die Drude fort, der den Göttern falsch schwört! – Wolff Lutz! rief sie dann: Du schwurst den Göttern jeglichen Christen zum Opfer; schamlos hast du dein Wort gebrochen. Du hast Christen am Leben gelassen, und den Ewigen ein Opfer entrissen, das ihnen gehörte. Die Götter wollen dein Verderben dafür, Sie haben das Herz deines Sohnes verstrickt, daß es in thörigter, qualvoller Liebe zu jener Christendirne, die du verschontest, sich abzehren muß! – Wehe, wehe dir und deiner Brut! rief sie noch einmal lauter, mit fast kreischender, furchtbarer Stimme, verhüllte das Gesicht mit ihrem weiten Gewande und stürzte schnell in ihren Thurm zurück.
Wolff Lutz stand wie zernichtet. Sprachlos starrte er lange auf die leere Stelle, wo sie gestanden hatte; dann blickte er nach dem Thurme, der schnell wieder verschlossen war. Hohe Drude, rief er mit bittender Stimme, kehre zurück, und verkünde mir, womit ich die furchtbaren Götter versöhnen kann!
Aber das Weib kehrte nicht zurück, und gab ihm auch keine Antwort. Mehrmalen wiederholte Lutz seine Bitte, doch vergeblich. Sie schwieg hartnäckig, und zuletzt hörte er sie einen lauten, klagenden Gesang anstimmen, um den Zorn der Götter von sich abzuwenden. Da kehrte der unglückliche Vater trauernd und fast verzweifelnd auf seine Burg zurück. Allein je näher er dieser kam, desto fester wurde ein furchtbarer Entschluß in ihm, der, durch ein entsetzliches Opfer die Ewigen zu versöhnen.
Er weckte alle seine Mannen aus dem tiefen Schlafe, der sie bereits umfing, und befahl ihnen sich zum sofortigen Aufbruche bereit zu halten. Dann ging er in das Schlafgemach seines Sohnes, welcher schlaflos auf seinem Lager lag, und mit stillen Thränen in den Mond schauete, der so freundlich und doch vielleicht zum letzten Male sein Antlitz beleuchten sollte.
Ohne Zorn trat Wolff Lutz zu dem geliebten Sohne. Herrmann, sprach er, erhebe dich und folgemir, ein Roß wird draußen dich aufnehmen, um dich weiter zu tragen.
Und wohin, Vater? fragte der kranke Jüngling.
Wolff Lutz bedachte sich einen Augenblick. Höre, Knabe, antwortete er dann entschlossen; wir gehen zu einem ernsten Zuge. Ich habe die Drude befragt, was dir fehle, wie du zu retten seyest. Sie hat mir den Zorn der Götter offenbart. Es giebt nur ein Mittel dich zu retten.
Und dieses? fragte der Knabe zitternd.
Du liebst die Christin, fuhr der Vater fort; der du das Leben rettetest. Diese Christin muß geopfert werden; du selbst must sie schlachten. Folge mir, Knabe.
Furchtbare Götter! rief der Jüngling, kraftlos auf sein Lager zurück sinkend. Vater, fuhr er dann nach einer Weile fort; an dem Leben des Mädchens hängt das meinige. Sie darf nicht sterben; die Götter können es nicht wollen. Mögen sie lieber meinen Tod gebieten. Aber sie darf nicht geopfert werden. O, um aller Ewigen willen, mein Vater, schone ihrer!
Er sprach mit einer leidenschaftlichen, beinahe furchtbaren Anstrengung. Wolff Lutz stand in tiefen Gedanken, als er endete. Die Götter müssen ein großes unerhörtes Opfer haben! sagte er dann.
Da trat aus einer Ecke des Gemaches ein alter, greiser Diener hervor, den Lutz dem Sohne zum Wärter gegeben hatte. Herr, sprach dieser, und näherte sich Lutzen, die Christin darf nicht sterben; es würde der Tod deines Söhnleins seyn. Glaube mir! Ich bin seit einerWoche keine Minute lang von seiner Seite gekommen, und keine Minute ist vergangen, wo er nicht mit Schmerzen ihren Namen gerufen hat. Tödte nicht die Christin, aber, willst du ihn retten vom Tode, so bringe sie hierher, und führe sie ihm auf sein Lager; dann wird er genesen; denn nur eine Liebe, die sie verschmähete zehrt ihn auf.
In Hermanns bleiche Wange stieg eine dunkle Gluth. Wolff Lutz aber sah nur einige Augenblicke nachdenkend vor sich hin. Du hast Recht! sprach er dann zu dem Knechte, rief dem kranken Sohne zu: Du sollst genesen, Knabe! und verließ eilend das Gemach, um mit seinen unterdeß versammelten Gesellen den schnell gefaßten Plan auszuführen.
Westlich vom Stübelhagen in einem engen Thale, das man wohl nur eine Schlucht nennen kann, befindet sich in den schroff sich emporhebenden Felsen eine geräumige Höhle. Jetzt ist ihr Eingang verschwunden, vielleicht hat irgend eine Erdrevolution Felsstücke davorgeworfen; in der Zeit aber, als Wolff Lutz auf der rothen Burg hausete, war der Eingang, obgleich verborgen, noch da. In dieser Höhle hatte die bereits erwähnte christliche Familie, da die Krankheit der Mutter eine Entfernung aus der Gegend nicht zuließ, einen Zufluchtsort gegen die Verfolgungen Lutzens gefunden. Freilich einen unsichern, wie ihnen der unvermuthete Ueberfall Lutzens und dessen Sohnes bewieß; jedoch konnten sie auch nach diesem nicht weiter flüchten. Die Leiden der kranken Frau nahmen immer mehr zu, so daß der Mann und die Tochter fast jeden Tag ihre Auflösung erwarten mußten, und jede Bewegung ihr plötzlicher Tod gewesen seyn würde. Sie blieben daher.
Endlich schied die Seele der Kranken, um zu einem Leben einzugehen, in dem keine Furcht und keine Verfolgung über sie kommen sollten. Tief traurend standen die Hinterbliebenen an ihrem Todesbette und weinten heiße Thränen auf die kalten Hände, während der alte Geistliche still neben der Leiche knieete und betete. Die Tochter Christina, war zwar bald gefaßt, ihr gläubiges Gemüth, in dem Religion und Unschuld eine reine schöne Harmonie erhielten, fand sich in einen Verlust, der sie zwar sehr schmerzlich traf, dessen Herbe jedoch durch die Zuversicht gelindert wurde, drüben werde sie die Verlorne zu ewiger Vereinigung wiedersehen. Desto unbändiger war dagegen der Schmerz ihres Vaters. So viele Jahre hatte er in Glück und ungetrübter Freude gelebt, und so schnell, in so kurzer Zeit hatte er jetzt alles verloren, Ruhe, Sicherheit und Vermögen, ihn mußte dieser letzte harte Schlag ganz darniederwerfen. Vezweiflungsvoll rang er die Hände, und verwünschte sein Daseyn, und grollte gegen eine Weltordnung, die solches Leid auf ein unschuldiges Haupt herniederschleudern könne. Seine Tochter versuchte ihn zu trösten, sie umfing ihn mit beiden Armen und legte ihr sanftes Gesicht an seine bleichen Wangen, indem sie bittend in seine Augen sah. Allein er stieß sie von sich, um ungestört seinem wilden Schmerze sich hingeben zu können.
Da erhob sich der Mönch von seinem Gebete. Hildebrand, sprach er strenge zu dem Verzweifelnden; ich hielt dich für mehr als du mir jetzt erscheinst, ich hielt dich für einen Christen, aber unsere göttliche Religion wohnt in deinem Herzen noch nicht. Der Christ verzweifelt nicht, der Christ empört sich nicht gegen seinen Gott und dessen Anordnungen. Der Christ leidet und duldet wie sein Erlöser, still und groß, denn er hat auch in seinen schwersten Leiden die Bürgschaft einer unendlich weisen und gnädigen Vorsehung. Aber der Heide wüthet und flucht gegen ein Schicksal, das er ein blindes nennt.
Aber er sprach vergeblich, seine Worte waren nicht im Stande, den Schmerz des Unglücklichen zu mildern. Doch noch einmal erhob er seine Stimme. Sieh deine Tochter an! sprach er, sie hat so viel verloren wie du, und sie ist ein schwaches gebrechliches Weib, allein sie trägt den Schmerz, wie man ihn tragen muß, weil der Glaube ihr tragen hilft. Sie murrt nicht gegen die Vorsehung, obgleich ihr Pfad dunkler und angstvoller ist, als der deinige; kaum achtzehn Jahre alt, kaum aus den Jahren der Kindheit herausgetreten, geht sie schon dem härtesten Schicksale entgegen, der Verfolgung und Furcht, der Entbehrung und Noth.
Mönch, unterbrach ihn Hildebrand bitter, gehe ich denn einen andern Weg? Gehe ich weniger dem Elende und der Noth entgegen? Habe ich Eine Stunde, in der ich mein Haupt mit Ruhe niederlegen kann? Muß ich nicht immer das Schwert des unmenschlichen Christenhenkers in meinem Nacken fürchten? Und ich soll zu einem Gotte beten können, der das über mich verhängt?
O mein Bruder! erwiederte der Mönch, der Herr läßt keinen zu Schanden werden, der auf ihn vertraut. Aber du vertraust nicht auf ihn. Komm, sammle dein Gemüth; tritt mit mir zu der Leiche der Entschlafenen, die mit so stiller Ergebung litt. Laß uns beten, daß auch wir einst so sanft und schön sterben mögen, wie sie.
Er faßte mit der Einen Hand Christinens und mit der andern Hildebrands Hand, und führte Beide zu dem Lager, auf dem der Körper der Geschiedenen noch lag. Hier warf er sich nieder und betete still; Christina folgte mit stillen Thränen seinem Beispiele; allein Hildebrand war nicht vermögend zu beten; nur Schmerz wohnte in seiner Seele, und von neuem fing er an zu jammern und zu toben.
Da wurde aus einmal verworrenes Getöse in der Schlucht vor der Höhle laut, das bald und schnell näher kam, und in dem man nur Geräusch von Waffen und drohende Stimmen unterschied.
Der Henker kommt! rief Hildebrand mit einer Art wilder Freude. Jetzt wird unserer Noth ein Ende werden! Aber theuer will ich mein Leben verkaufen.
Er ergriff seine Streitaxt, die neben ihm an der Felsenwand stand, und schwang sie hoch über seinem Haupte. Seine Tochter war aufgesprungen, ängstlich warf sie sich ihm in den Arm. Um Gotteswillen, Vater! flehete sie! sey ruhig, denke an keine Gegenwehr, du vernichtest dich und uns!
Aber es war, als wenn der Schmerz des Vaters sich plötzlich in eine wilde, zügellose Wuth umgewandelt hätte. Er schwang die Streitaxt höher, stieß das Mädchen von sich, und rief mit laueer, fast jauchzender Stimme: Laß sie kommen, die Henker! Sie sollen fühlen, daß ich noch einen Arm habe, wenn ich auch ein Christ geworden bin.
Noch einmal flehete das Mädchen: Sey ruhig, Vater! Gehe in den Hintergrund der Höhle: Vielleicht finden sie den Eingang nicht. Und wenn sie ihn finden, dann laß mich mit ihnen sprechen; ich rette euch; schon einmal hat der Herr meinen Worten die Kraft verliehen.
Aber Hildebrand hörte sie nicht. Wüthender schwang er seine Waffe und eilte an den Eingang der Höhle, in welche in demselben Augenblicke Wolff Lutz mit seinen Gesellen eindrang. Blutgier, Mordlust leuchtete aus den Gesichtern der Räuber. Hier ist das Nest! rief Lutz laut, frisch drauf, Gefährten; nur der Dirne schont.
Mit wildem Jauchzen stürmte er voran. Da führte Hildebrand einen gewaltigen Streich nach ihm; aber er schlug fehl, denn der gewandte Räuber war rasch auf die Seite gesprungen, und führte fast in dem nemlichen Augenblicke mit seinem großen Schlachtschwerte einen Hieb nach Hildebrand, der dessen Haupt bis auf den Brustknochen spaltete und ihn entseelt zu Boden streckte.
Christina war mit einem lauten Angstschrei zurückgestürzt. Allmächtiger Himmel! rief sie, o rette uns, rette uns! – Sie umklammerte die kalte Leiche ihrer Mutter, als wenn die Todte sie beschützen sollte. Aber der Räuber drang ihr nach und riß sie mit frecher Hand von der Leiche empor. Habe ich Dich, Dirnlein? rief er, sie mit höhnenden Blicken betrachtend. Habe ich die Zauberin?
O habe Gnade! flehete das Mädchen, die in diesem Augenblicke, wo sie so eben und so schrecklich den Vater hatte fallen sehen, nur für ihr junges Leben und dessen Erhaltung, Gefühl hatte. Habe Gnade, verschone meiner!
Wolf Lutz lachte. Einmal haben deine Zauberkünste mich bethört! antwortete er; aber Wolf Lutz ist nicht zweimal ein Narr. Dießmal entkommst du mir nicht.
O, um der Barmherzigkeit willen! flehete das Mädchen wieder; verschon’ mein junges Leben. Um des Lebens deines Sohnes willen!
Dein Leben, erwiederte Wolf Lutz, will ich nicht; du hast Recht, eben um meines Söhnleins willen soll es dir nicht genommen werden. Denn freue dich, Dirnlein, zu seiner Bettgenossin habe ich dich bestimmt; in einer Stunde wirst du neben ihm auf seinem Lager liegen.
Hohe, dunkle Röthe umzog, trotz der Todesangst, die bleichen Wangen Christinens; aber nur auf einen Augenblick, dann wurde sie wieder bleich wie der Tod, und rief mit ängstlicher, abwehrender Stimme: Nicht zu ihm! Nimmer! Nimmer! Morde mich lieber, Heide, aber ehre meine Unschuld! O gieb mir lieber den Tod!
Nachher, sagte Lutz ruhig. Erst wirst du seine Genossin, daß er wieder genese, denn die Liebe, in der deine Zauberkünste ihn verstrickt haben, zehrt den armen Knaben auf; aber wenn er genesen, und der tückische Zauber entwichen ist, dann soll dir Strafe werden für deine Arglist, dann sollst du sterben, und er, er selbst soll dich schlachten und den Göttern opfern.
Nimmer! rief das Mächen mit Abscheu. Der Herr wird mich beschützen.
Wolf Lutz lachte höhnisch, und befahl seinen Knechten, die Dirne aufzuheben und auf ein Pferd zu setzen. Sie sträubte und wehrte sich vergebens, man lachte ihrer ohnmächtigen Anstrengungen.
Geist meiner Mutter! rief sie in furchtbarer Angst, o, schütze mich! errette mich! O, hat denn der Himmel keinen Donner, um die Unschuld zu retten, die Heiden zu vernichten?
Da trat der Mönch Johannes Baptista hervor. In stillem aber inbrünstigem Gebete hatte er bisher, von den Räubern nicht bemerkt, auf seinen Knien neben der Leiche gelegen, und zu Gott um die Errettung aus den Händen der Furchtbaren geflehet. Aber kein Wunder wollte sich zeigen. Da, als der entscheidende Augenblick da war, und die unglückliche Jungfrau fortgeschleppt werden sollte, erhob er sich, nahm das Cruzifix, das neben ihm auf dem einfachen Altare stand, und trat mit demselben ohne Furcht zwischen die Heiden. Im Namen des Gekreuzigten, rief er mit feyerlicher, gebietender Stimme, lasset ab von der reinen Jungfrau, ihr Unreinen! Ich befehle es euch im Namen des ewigen Gottes, vor dem eure Götzen nur Staub, ein Nichts sind!
Aber auch seinen Worten fehlte die Kraft eines Wunders, die Räuber blickten ihn wüthend an, am wüthendsten Wolf Lutz. Greift ihn, rief er, den Christenhund, und schlachtet ihn den Göttern!
Schnell sprangen drei der wildesten Gesellen aus dem Haufen vor, mit gezückten Schwertern, um den Befehl ihres Herrn zu vollziehen. Aber ruhig, wie im sichern Gefühle der Unverletzlichkeit, erwartete sie der Geistliche, und hielt ihnen schweigend das Cruzifix entgegen. Und wunderbar war es anzuschauen, wie den wilden Heiden plötzlich der Arm gelähmt war, und sie zitternd, mit angstvollen Gesichtern vor dem schwachen Greise standen.
Im Namen des Herrn, rief er noch einmal furchtlos, lasset ab von der Jungfrau? Aber Wolf Lutz, war schon mit ihr aus der Höhle hinaus, die Drei, die den Mönch hatten morden wollen, folgten ihm schnell; vergebens rief der Geistliche ihnen Bitten und Drohungen nach; in wenigen Augenblicken war der ganze Haufe mit dem Mädchen aus der Schlucht verschwunden.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als der Zug Lutzens auf die rothe Burg zurückkam, Wolf Lutz selbst hob die Jungfrau hier von dem Pferde, nahm sie auf seinen starken Arm, und trug sie zu dem Gemache seines kranken Sohnes. Dirne! sprach er unterwegs mit fürchterlicher Strenge zu ihr. Mein Knabe zehrt sich in unbändigem Verlangen nach dir auf. Widerstehe ihm nicht ferner! Ergieb dich ihm ohne Widerstreben, oder, bei den furchtbaren Göttern, ich werfe dich meinen gemeinsten Knechten vor, daß sie öffentlich zu ihrem Willen dich zwingen, und dann wie einen Hund, dich abschlachten. Ich schwöre es, Dirne, rief er lauter, und Wolf Lutz schwört nicht falsch.
Seine starke Stimme tönte furchtbar, in seinen Augen brannte ein drohendes Feuer. Christina lag sprachlos in seinem Arme. So trug er sie in das Gemach des Kranken. Der Jüngling lag blaß auf seinem weichen Lager und sog die wohlthätige Wärme der Sonnenstrahlen ein. Sein Auge glänzte, als wenn wehe und süße Erinnerungen, gleich zauberischen Bildern, vor sein inneres Auge träten; da hört er die Thüre seines Gemaches sich öffnen, er blickt auf und starrt die Erscheinung an, die sich ihm entgegenstellt, und dunkle Gluth überzieht sein fahles Gesicht, und hohes Feuer tritt in seine erstorbenen Augen.
Ist sie es, mein Söhnchen? rief Wolf Lutz zärtlich, mit seiner schönen Beute vor ihn tretend. Sie ist dein jetzt! Verfahre mit ihr nach deinem Gefallen, damit du genesen mögest. Hier übergebe ich sie dir. Sie wird dir nicht ferner widerstreben, denn mein Zorn würde sie furchtbar treffen.
Er legte sanft das zitternde Mädchen auf das Lager von weichen Fellen an die Seite des Jünglings und verließ schnell das Gemach.
Grabesstille herrschte nach seiner Entfernung in dem Zimmer. Verwirrt saß Hermann auf seinem Lager, dann hoch erröthend, mit frohem Feuer in den dunkeln Augen, dann wieder bleich werdend und trübe und mit erloschenem Blick; sein Athem ging schnell und heftig, sein Herz klopfte hörbar, seine Brust flog auf und nieder, Ungewiß sah er das Mädchen an seiner Seite an und wußte nicht, ob er die Arme nach ihr ausstrecken und sie an sein Herz ziehen, oder ob er mit süßen Worten ihr zureden sollte.
Aengstlich lag das Mädchen neben ihm; auch ihr Busen wogte heftig auf und nieder, und ihre Wangen wurden bald bleich, bald roth; auch sie wagte nicht sich zu bewegen, und wußte nicht ob sie sprechen solle oder nicht. Doch auf einmal trat hoher Muth in ihre Züge, sie stand auf und stellte sich vor den Jüngling, und sah ihn fest an mit ihren schönen, in diesem Augenblicke von einer unendlichen Klarheit strahlenden Augen. Hermann, sprach sie dann, du hast so oft mir unbegränzte Liebe geschworen; wenn du sie noch jetzt in deinem Herzen für mich fühlst –
Der Jüngling hatte ihrem festen klaren Blicke nicht begegnen können, unwillkührlich hatte er die Augen niederschlagen müssen. Aber jetzt erhoben sie sich schnell wieder, und hefteten sich mit unbeschreiblicher Gluth auf das Mädchen. Bei den ewigen Göttern! rief er, ich liebe dich noch Christine. Ich habe dich nie mit dieser verzehrenden Gluth geliebt wie jetzt; das ist ja auch mein Tod! Denn ich muß mich still aufzehren in meiner Liebe, da du keine Erhörung schenken willst.
Christine seufzte tief auf. Kann ich Hermann? fragte sie; kann ich meinen ewigen Gott verlassen?
Das sollst du nicht, fiel schnell der Jüngling ein. Mein Vater liebt mich. Sey mein, und er wird dir deinen Gott nicht nehmen. Aber laß mir auch meine Götter! O Christina, erhöre mich; liebe mich wieder! So oft hab’ ich auf meinen Knieen darum geflehet. Wie oft, wenn ich des Abends in dem einsamen Thale an der Quelle dich überraschte, und dir erzählte, wie dein erster Anblick auf mich gewirkt, wie ich gemeint hätte, eine der hohen Göttinnen zu sehen; wie es mich dann unwiderstehlich zu dir zurückgezogen, und wie ich nun jeden Tag kommen müsse, und nicht schlafen könne auf meinem Lager, wenn ich nicht dich, oder nur wenigstens den Zipfel deines Gewandes gesehen; wie oft habe ich dann unter den heißesten Thränen um deine Liebe geflehet, gebettelt. Aber du bliebest kalt, du –
Nein, nein! rief das Mädchen, ohne es zu wissen, mit schmerzlicher Stimme: O hättest du in mein Herz sehen können!
Doch, fuhr Hermann fort; du erhörtest mich nicht; nur Liebe zu deinem Gott war in deiner Brust, nur ihm gehörtest du an; und mein wolltest du nur werden, wenn ich meine Götter abschwören und an> deinen Gott glauben wolle.
Christinens Augen belebten sich. Hermann! rief sie; ich war nicht kalt gegen dich. Höre es, ich liebe dich; aber mein Gott gehet mir über alles, über mein eigenes Leben. Nimmer kann ich dem Heiden angehören und seinen falschen Göttern. O glaube mir, ich liebe dich eben so kräftig, als du nur je für mich gefühlt hast. Drum Hermann, verlaß deine falschen Götzen, und laß uns glücklich seyn. O folge den Bitten der reinsten, aufrichtigsten Liebe!
Die Götter sind furchtbar! erwiederte der Jüngling. Sie verderben den, der sie verläßt. Ihr Zorn würde dich treffen und mich, und uns schrecklich verzehren.
Deine Götter sind ohnmächtig! rief das Mädchen; es giebt nur Einen wahren Gott, und der beschützt seine Getreuen.
Die Götter sind furchtbar! wiederholte der Jüngling ängstlich. Verhöhne sie nicht. Hat ihr Zorn dich nicht schon schrecklich getroffen, und deine Eltern auch, weil ihr sie verlassen, und zu einem fremden Gott euch hingeneigt habt? O Christina, ihr waret so glücklich, so lange ihr den alten Göttern anhinget; und nur Unglück hat Euch verfolgt, seitdem ihr der neuen Lehre zugethan seyd. Das war der Zorn der Ewigen. Kehre zurück, ehe sie dich ganz verderben. Sey mein, laß uns glücklich seyn.
Er sprach mit liebevoller, inniger Stimme, und legte seinen Arm um den schlanken Leib der Geliebten, indem er sie sehnsüchtig und bittend ansah. Aber sie, schob ihn sanft zurück, und ihre Augen füllten sich mit Thränen. O warum mußt du so verblendet seyn! rief sie. Warum kann das reine Licht der wahren Gottheit nicht in deinen Busen dringen? Folge mir! Hermann, laß dich taufen, und ich bin dein.
Das kranke Gesicht des Jünglings glühete fieberhaft, seine Augen starrten finster brütend vor sich hin. Mein? rief er. Mein bist du doch! – Er sah sie mit einem verlangenden, aber noch unentschlossenem Blicke an
Christina erschrak heftig davor, sie zitterte. Herman, sagte sie. Wenn du mich liebst, so wirst du mich achten, meine Tugend, meine Unschuld ehren!
Der Jüngling starrte, noch immer mit sich kämpfend vor sich hin. Sey mein, Christina! sagte er noch einmal mit bittender Stimme, aber indem seine Augen sich plötzlich mit dunkler Gluth auf sie hefteten.
Das Mädchen wurde ängstlicher. O ewiger Gott! rief sie, wende sein Herz zum Guten, zur Milde! – Hermann, wandte sie sich an den Jüngling; sey edel, verdirb ein armes, unglückliches Mädchen nicht.
Sie weinte große Thränen; aber auf den Jüngling, in dem die Verblendung und das Verlangen der Leidenschaft mit immer furchtbarerer Gewalt Herrschaft gewann, machten sie keinen Eindruck mehr. Sein Gesicht glühete, seine Augen brannten, die heftige Bewegung seines Körpers verrieth das Stürmen seines kochenden Blutes. Ein gewaltsamer Entschluß schien mit jeder Sekunde sich mehr in seiner Seele auszubilden. Christina sah sein Kämpfen; aber die Gluth seiner Blicke ließ sie nicht zweifelhaft, daß die Leidenschaft den Sieg davon tragen werde. In unnennbarer Angst schritt sie in dem Gemache auf und ab. Wie sollte, wie konnte sie sich retten? Kein Mittel bot sich ihr dar. Sie eilte nach dem hohen Fenster, es führte auf den mit spitzen Steinen gepflasterten Burghof, ein kühner Sturz hinunter konnte ihrem Leben ein Ende machen, aber auch ihrer Angst, ihren Leiden. Allein ein starkes eisernes Gitter verwehrte ihr auch dies letzte Rettungsmittel. Sie rüttelte vergebens an den eisernen Stäben, und sah mit Sehnsucht auf den Burghof hinunter. Nur neue Leiden sollten ihr werden, denn unten sah sie auf einmal ihren treuen Lehrer und Hirten, den Mönch Johannes Baptista, wie er von den hartherzigen Heiden verhöhnt wurde.
Der edle Greis war ihr gefolgt, um, seines eigenen Lebens nicht achtend, noch einen Versuch zu machen, ob er sie nicht retten könne aus den Klauen der heidnischen Tiger. Furchtlos ging er auf die rothe Burg, und stellte dem Räuber Lutz seine große Schandthat vor, und flehete ihn, die christliche Jungfrau wieder herauszugeben. Er belehrte ihn, wie Christus der Herr, auf die Erde herabgekommen, und die Menschen gelehrt habe, gerecht und gottesfürchtig zu leben, und nüchtern und züchtig. Allein Wolf Lutz spottete seiner und rief seinen Knechten zu: Fanget den Windhund des höllischen Schlächters, und werft ihn in die große Wolfsgrube, zu den Kröten und Unken, daß er langsam dahinsterbe, zur Rache der Götter, die er verhöhnt! Doch den Knechten war es noch in frischem Andenken, wie der Greis vor kurzem ihre Arme gelähmt hatte; sie wagten es nicht, ihm zu nahen, und hetzten nur die großen Burghunde auf ihn, daß die ihn zerreißen sollten. Doch auch die Thiere thaten dem Priester nichts, und mit so wüthendem Bellen sie auf ihn zuschossen, so freundlich wedelten sie mit den Schwänzen, als sie in seine Nähe kamen; und ohne daß ihm ein Häärchen gekrümmt wäre, kehrte der Mönch wieder zurück, als er jetzt alle Bitten und Vorstellungen vergeblich sah.
Dieses sah Christine aus dem Fenster ihres Gefängnisses mit an. Sandte die wunderbare Errettung des frommen Geistlichen auch auf einen Augenblick einen Strahl der Hoffnung in ihre Brust, so mußte dieser doch eben so schnell wieder verschwinden, wenn sie jetzt zurückblickte, und den verblendeten Jüngling, mit der unwiderstehlichen Gluth des Verlangens in den glühenden Augen, auf sich zukommen sah. Der Kampf in ihm hatte aufgehört, die Sinnlichkeit hatte gesiegt, und loderte jetzt mit furchtbarer Gewalt in ihm empor. Mein sollst du seyn! rief er mit vor Verlangen zitternder halb erstickter Stimme, und streckte beide Arme nach dem Mädchen aus, um sie an sich zu reißen, und drückte seine heißen, durstigen Lippen auf ihren Nacken.
Aber die Verzweiflung gab der Jungfrau ungewohnte Kräfte, sie riß sich von ihm los und stieß ihn von sich, daß er rücklings zur Erde stürzte. Dann lief sie mitten ins Zimmer und warf sich auf die Knie und flehete mit heißer Inbrunst zum Himmel um Rettung. O Herr, Herr! rief sie, hoch die gefalteten Hände emporstreckend, sey mir gnädig, errette mich! Vernichte meinen Leib, damit meine Unschuld bewahrt, meine Seele gerettet werde! O Geist meiner Mutter, bitte, flehe für mich! O Himmel, sende deine Blitze.
Aber es geschah kein Wunder, es kam kein Blitz. Der Jüngling hatte sich von der Erde wieder emporgehoben, der Fall hatte seine Glut nicht abkühlen können; im Gegentheile, immer wilder wurde seine Begierde, immer unbändiger der Aufruhr seiner Sinne. Seiner nicht mehr mächtig, raffte er sich auf und stürzte von neuem auf die knieende Jungfrau, wie der Geyer auf die Taube. Auch ihm hat die Leidenschaft schnell die Kräfte wieder geliehen, die seine Krankheit ihm genommen hatte; so wenig er in diesem Augenblicke ein Mensch war, so wenig war er auch krank oder schwach; er war ein wildes, rasendes Thier. Mit kräftiger Faust riß er die Jungfrau in die Höhe und schleppte sie zu seinem Lager. Mein sollst du seyn! rief er mit lallender Zunge.
Da geschah plötzlich ein furchtbarer Donnerschlag am Himmel, daß das Gemach erbebte und die Burg, und der Berg auf dem sie stand; und in demselben Augenblicke verschwand das Licht der Sonne, und der Himmel verfinsterte sich, daß Finsterniß des Grabes in dem Gemache herrschte.
Herr, du bist gnädig! rief das Mädchen frohlockend. Der Jüngling aber starrte entsetzt in die plötzliche Nacht hinaus, und ließ seine Beute fahren. Aber nur einen Augenblick lang; schnell erwachte seine Leidenschaft wieder, und von neuem und heftiger umschlang er das Mädchen.
Da fiel ein zweiter, furchtbarer Schlag vom Himmel, und zischende Blitze fuhren kräuselnd im Gemache umher, und die ganze Burg erzitterte wieder, wie in ihren Grundmauern erschüttert. Doch den Wüthenden schreckte das nicht. Ich fürchte deinen Gekreuzigten nicht! rief er, meine Götter sind mächtiger. Er umschlang sie heftiger, glühender. Herr! Herr! Sey mir gnädig! rief in Todesangst das Mädchen.
Da fiel ein dritter Schlag vom Himmel, gewaltig, als wenn er die Erde zernichten wolle, und heftiger zitterte das Gemach, und die Burg wankte, und die Erde öffnete einen weiten, bodenlosen Abgrund, und die Burg sank hinein mit Spitzen und Thürmen, mit Menschen und mit Vieh: und an der Stelle, wo sie gestanden hatte, war ein trüber, schwefelichter Pfuhl, derselbe, der noch jetzt der Krähenpfuhl heißt.
Dieses geschah aber in der Mittagsstunde des neun und zwanzigsten Tages im Monat Julius und im Jahre des Herrn achthundert.
Der Himmel war wieder hell und heiter geworden, der Sturmwind, der dieses furchtbare Gericht des Herrn begleitet hatte, hatte nachgelassen. Die Sonne schien wieder lustig und milde auf Feld und Wald, und ein sanfter Wind säuselte durch das Laub der Bäume. Keine Spur, war mehr von dem wüthenden Orkane zu sehen, unter dessen Gewalt noch vor einer Stunde die Erde erbebt hatte; nur der frisch entstandene Teich kochte noch tief unten in seinem Grunde und trieb dicken stinkenden Rauch empor, und schlug mit trüben Wellen an seine verbrannten Ufer.
Da kam langsam ein hohes Weib den Berg heraufgeschritten; tief eingehüllt war sie in ein weites, dunkles Gewand, wild hingen ihre greisen Haare um Haupt und Nacken; sie blickte lange mit dunkeln Augen in den dampfenden Pfuhl. Dann sprach sie langsam mit hohler, tiefer Stimme: Die Götter sind furchtbar! – und hüllte sich tiefer in ihr Gewand, und ging mit langsamen Schritten in den Wald.
Nicht lange nachher aber kam der greise Mönch Johannes Baptista von einer andern Seite den Berg herauf. Auch sein Auge war trübe, aber voll Demuth und Vertrauen. Als er an den Pfuhl kam und hinein schaute, verschwand plötzlich der stinkende Rauch von demselben; das Kochen im Grunde hörte auf und der Spiegel des Wassers wurde hell und klar. Und wie mit frommem Erstaunen der Mönch dieß ersah, da tauchte ein weißer Leichnam aus dem Wasser empor und schwamm langsam zu der Stelle, wo der Mönch stand. Er erkannte ihn; es war der Leichnam Christinens. Er zog ihn hervor und hob ihn ans Ufer. Dann legte er ihn auf seine Schultern und trug ihn zu der Höhle wo die Leichen ihrer Eltern noch lagen. Alle drey beerdigte er sie in dem Thale und segnete sie ein, und betete für ihre Seelen. Darauf aber verließ er das Thal und die Gegend, und ging weiter, bis er wieder zu Christen kam, bey denen er von neuem das Wort des Herrn predigte und segensreich wirkte bis zu seinem gottseligen Ende.
Am 29. Julius des Jahrs 800, also gerade tausend Jahre später, hat man den Leib Christinens wiedergefunden, er war frisch und weiß und unverweset, wie der Leichnam einer Heiligen.
H. Stahl.
An der Grenze Westphalens nach dem Bergerlande hin liegt die vormalige Reichsgrafschaft Gimborn-Reustadt, in deren Bereiche das, jetzt wegen seiner bunten Kirche bekannte, Dörfchen Lieberhausen ist. Gegenwärtig wohnen in diesem brave und wohlhabende Leute, ein guter Menschenschlag, einsichtsvolle Ackerwirthe, thätige Handwerker. Vor vielen hundert Jahren aber waren die Einwohner Lieberhausens weit und breit bekannt, eben so sehr durch ihre Armuth als durch ihre Dummheit. Ein einziges gescheutes Männlein wohnte damals im Dorfe Liebershausen, das hieß Hick. Allein so pfiffig und listig dieser Hick auch war, so arm war er doch, der ärmste im ganzen Dorfe. Nur ein kleines Hüttchen, von Lehm und Baumzweigen aufgebauet, und eine alte Kuh machten sein ganzes Vermögen aus, und, damit wir nichts vergessen, ein klarer, frischer Quell, der neben seiner Hütte aus dem Felsen sprang. Dabey hatte Hick freylich einen starken Körper und ein paar gesunde Arme; aber ein Handwerk verstand er nicht, wie man in ganz Lieberhausen keins verstand; er konnte daher nur taglöhnern, und das ging schlecht und brachte wenig ein. Daher kam es, daß es dem armen Hick recht herzlich sauer wurde, sich und seine fünf kleinen Kinder durchzubringen, ja, ihnen nur das Leben zu fristen . Seine Frau war schon vor ein paar Jahren im Kindbette gestorben. Bittere Noth war in dem Häuschen Hicks, und wohl keine Woche ging vorbey, wo der arme Tagelöhner mit seinen Kindern sich nicht hungrig zu Bette legte. Er hatte zwar mit seiner gewohnten Listigkeit eine ganz absonderliche Speiseordnung in seiner kleinen Familie eingeführt; des Morgens nemlich vertheilte er unter seinen fünf Kindern ein Stück Brodt, das bald groß, bald klein war, und dabey ließ er sie nach Herzenslust aus dem klaren Quell trinken, der neben dem Hüttchen entsprang. Des Mittags kochte er ein Suppchen von der Milch, die ihm seine Kuh gegeben hatte; weil das aber für Alle nicht ausreichte, so hatte er die Einrichtung getroffen, daß jedesmal nur Ein Theil der Kinder Milchsuppe bekam, und die übrigen schwarzes trocknes Brodt und dabey wieder frisches, klares Wasser; und hiemit ließ er sie alle Tage wechseln; wer aber Milchsuppe bekam, der erhielt kein Brodt, und wer Brodt bekam, keine Milchsuppe. Er selbst aß blos trockenes Brodt, und trank Wasser dazu. Kartoffeln kannte man damals noch nicht. Des Abends gab es wieder trocknes Brodt, wann er etwas hatte.
Trotz dieser weisen Einrichtung konnte Hick es aber nicht verhindern, dass manchen Abend sowohl er, als seine Kinderchen mit bitterem Hunger zu Bette gehen mußten; oder wohl nicht zu Bette, denn ein Bette hatte Hick nicht, sondern auf ihr Lager von Moos und Laub, das Hick zurecht gemacht hatte, so gut es angehen wollte.
Dabey verlor jedoch Hick seinen frohen, lustigen Muth nicht. Einstmals aber, es war gerade große Theuerung in der ganzen Gegend, und wahre Hungersnoth in Lieberhausen, besonders in dem Hick’schen Hüttchen, lag er des nachts schlaflos in seinem Laublager und warf sich von Einer Seite auf die andere, weil ihm der Leib weh tat vor Hunger, und auch seine Würmerchen die nicht weit von ihm lagen, und die ebenfalls hungrig hatten sich schlafen legen müssen, hörte er ächzen und sich bald links, bald rechts herum werfen; und das jüngste Kind, ein Mädchen von zwey Jahren, weinte gar leise, aber desto bitterlicher. Da vergaß der arme Hick zwar seines Hungers und seiner Schmerzen, aber um so eher bekam er einen Stich ins Herz über das Leiden seiner hungrigen Würmerchen. Und, so leid es ihm auch that, faßte er den Entschluß, diesem Elende abzuhelfen, seine alte Kuh zu schlachten. Sie war zwar lange Jahre hindurch seine treue Gefährtin gewesen, und so manchen lieben Tag hatte sie ihn und die Kinder, und auch seine verstorbene Frau noch, mit ihrer süßen Milch ernährt und gestärkt. Aber dennoch mußte sie jetzt daran. Sie ist überdieß schon alt, vertröstete Hicksich selbst, und gibt alle Tage weniger Milch; von ihrem Fleische aber können wir ein ganzes Vierteljahr lang essen, und die Haut trage ich nach Cöln; gewiß bekomme ich dort ein schönes Stück Geld dafür!
Gesagt, gethan! Noch in der Nacht stand Hick auf, schlachtete seine Kuh, aß sich mit seinen Kindern herzlich satt an dem schmackhaften Fleische, hing den Ueberrest in den Rauchfang, und machte sich dann, beladen mit der Haut, wohlgemuth auf den Weg nach Cöln.
Cöln, die heilige Stadt, liegt bekanntlich zwölf Stunden von Lieberhausen. Hick marschirte fröhlich und guter Dinge, pfiff sich eine lustige Weise, und machte Pläne, wie jenes Milchmädchen. Auf einmal aber überfiel ihn ein heftiges Gewitter. Einkehrern konnte er nirgends, um sich da wieder zu schützen, denn keine Herberge und kein Haus sah er auf seinem Wege, nicht einmal einen Baum, unter den er sich hätte stellen können. Er wickelte sich daher, um von dem gewaltigen Regen nicht ganz durchnäßt zu werden, in seine Kuhhaut ein, aber so, daß die Fleischseite nach außen gekehrt war, damit er sich nicht schmutzig mache. So ging er munter fort; als der Regen etwas nachgelassen hatte, sah ihn ein Rabe, der von dem frischen Geruche der Kuhhaut herbeygelockt war; dieser hielt ihn für ein Stück Aas, und stürzte sich auf ihn los, um sich einen guten Bissen zu verschaffen. Hick aber sah ihn wohl, dachte: den kannst du vielleicht gebrauchen! wickelte daher ganz sachte seine Hand los, schnappte dann schnell nach dem Vogel, und erwischte ihn glücklich. Dann ging er weiter mit seinem Fange, ohne daran zu denken, welches Glück ihm dieser bringen sollte.
Es war noch heller Tag, als er in Cöln ankam. Er verkaufte seine Kuhhaut, aber er erhielt nur weniges dafür, nicht mehr, als er in Liebershausen auch würde bekommen haben, wenn dort Geld gewesen wäre. Seinen Vogel wollte ihm Niemand abkaufen. Ziemlich mißmüthig kehrte Hick in einem Wirthshause am Heumarkte ein, um sich durch ein Glas Bier zur Rückreise zu stärken. – Man hat ein altes Sprichwort: Wo der liebe Gott eine Kirche hat, da hat der Teufel eine Kapelle nebenan! Ist dieses Sprichwort ein Wahrwort, so muss der Teufel in Cöln viele Kapellen haben. Dem Hick schien das Wirthshaus in dem er eingekehrt war, wirklich eine solche Teufelskapelle zu seyn; denn, während der Mann nicht zu Hause war, sah er die hübsche junge Wirthin in einem Kämmerchen neben der Wirthsstube einen glatten, vollgenährten Mönch mit Wein und Schinken und Wursten tracktiren und dabey die Beyden allerley Kurzweil treiben, die sie vor dem Manne wohl schwerlich hätten mögen sehen lassen. Hick stellte sich jedoch, als bemerke er nichts, und trank ruhig sein Glas Bier, indem er seinen Raben streichelte.
Auf einmal sah die Wirthin über den Heumarkt her ihren Mann ankommen. Darüber gerieth sie in große Angst, denn er war schon zu nahe, als daß sie den Mönch unbemerkt hätte aus dem Kämmerchen schaffen können, und eine Hinterthür hatte dieses nicht. Sie versteckte daher, so gut es angehen wollte, den Mönch unter der Treppe und warf den Schinken unter eine Kiste, und die Weinflasche in das Bette. Dann trat sie, wie die Weiber wohl zu thun pflegen, gar freundlich und zärtlich ihrem heimkommenden Manne entgegen. Doch als dieser ihr glühendes Gesicht bemerkte, und sie darüber etwas verwundert ansah, ging sie verwirrt hinaus.
Der Wirth sah ihr eine Weile sinnend nach; dann aber fiel ihm der Fremde mit dem Raben auf, und nachdem er Beyde eine Zeitlang gemustert, fragte er den Hick: Uemchen wat haad de do för en Dier? –
Da bekam der listige Hick einen sonderbaren Gedanken. Einen Wahrsager! antwortete er.
Einen Wahrsager: wiederholte der Wirth, stutzte, warf einen zweifelhaften Blick auf die Thüre, aus der seine Frau gegangen war, rieb die Stirne, und bat den Hick, den Vogel etwas wahrsagen zu lassen.
Recht gerne! meinte Hick, aber nur nicht umsonst!
Der Wirth zog Geld hervor, ein ganzes Quärtchen, und gab es dem Hick. Und dieser kniff seinen Raben in den Schwanz, und der Rabe schrie mit lauter Stimme: Quak! Quak!
Wat haad he gefragt? fragte eifrig der neugierige Wirth.
Er hat gesagt, antwortete Hick, in dem Kämmerlein dort liege eine Flasche Wein im Bette!
Schnell eilte der Wirth in das Kämmerchen, suchte im Bette und fand die Flasche Wein, die nur noch zum dritten Theile voll war. Er wurde glühend roth im Gesichte, und rieb sich heftig vor der Stirne. Dann aber ging er zum Hick zurück, und verlangte, der Vogel solle noch mehr wahrsagen.
Recht gerne! meinte Hick wieder; aber ich muß auch mehr Geld haben!
Der Wirth zog noch ein Quärtchen hervor, und dann noch eins, und ein drittes und viertes, weil Hick immer den Kopf schüttelte. Als aber nun der Kronthaler voll war, kniff der Hick seinen Raben wieder in den Schwanz, und dieser schrie wieder: Quak! quak! – Und der Wirth fragte wieder eifrig, was er gesagt habe?
Er hat gesagt, antwortete Hick ruhig, unter der Kiste dort stehe ein Schinken.
Auch den Schinken fand der Wirth; und glühete stärker und rieb seine zuckende Stirn immer heftiger, und verlangte doch noch eifriger von Hick, der Vogel solle ihm noch mehr wahrsagen. Allein Hick war klug. Heute nicht! antwortete er; es schmerzt den Vogel zu sehr, wie auch sein Schreyen Euch kund gibt. Wartet bis morgen!
Aber der Wirth konnte keinen Augenblick mehr warten. Nein, gleich! rief er auf der Stelle muß er wahrsagen! und er warf all sein Geld auf den Tisch, das er bey sich trug; drey, vier, fünf Krontalher. Dem Hick lachte sein Herz im Leibe über den Anblick des schönen Geldes, aber er hielt sich doch standhaft; da wurde der Wirth fast wüthend, und schloß einen Schrank auf und nahm ein blankes Goldstück daraus und legte das zu den Kronthalern. Da konnte denn auch Hick nicht länger mehr an sich halten, er kniff das Thier zum drittenmale in den Schwanz, dieses schrie wieder laut sein: Quak, quak, und der listige Lieberhäuser offenbarte nun: Unter der Treppe steckt ein Mönch!
Bebend vor Zorn stürzte der Wirth in das Kämmerchen, zu der Treppe, zog mit gewaltiger Faust das bleiche Mönchlein hervor, und – die Szene, in der jetzt Eins der zehn Gebote mit kräftigem Arme ausgelegt wurde, bedarf wohl keiner Beschreibung.
Hick