Der Gott im 9. Monat - Gabriele Uhlmann - E-Book

Der Gott im 9. Monat E-Book

Gabriele Uhlmann

4,7

Beschreibung

Die exklusiven biologischen Eigenschaften der Frau fehlen den Patriarchen zur Erlangung der totalen Herrschaft in der Welt. Daher streben sie danach, sich die Gebärfähigkeit und Stillfähigkeit anzueignen, was auf die Auslöschung der Mutter hinausläuft. In den Mythen der Götter und ihrer Ränke ist es vollbracht: Der Mord an der Urmutter ist Mittel und Zweck zugleich, die Geburt erfolgt danach mit einem Axthieb auf den göttlichen Kopf, aus Augen, Nase, Mund, Rippe oder Lehm, als Schaumgeburt aus dem Meer, auf dem Knie und sogar als Ringkampf. Dem so befriedigten Gebärneid folgt zwangsläufig der Stillneid, der sich mythologisch in der Gleichsetzung des männlichen Ejakulats mit der Muttermilch und dem Wasser äußert. Daher sind alle poly- und monotheistischen Hochgötter WETTERGÖTTER, die für den fruchtbaren Regen sorgen sollen, den einst die Erdmutter von den Bergen und übers Meer sandte. Sie sind der Versuch, aus Mutter Erde einen Vater Erde zu machen. Seit Machthaber die Menschen aus den allversorgenden mütterlichen Sippen gerissen und von sich abhängig gemacht haben, gaukeln sie ihnen vor, dass es ihnen auch jetzt an nichts fehlt, ja alles sogar noch besser werde. Der faule Zauber fliegt nicht einmal mit den Schwierigkeiten auf, die das Patriarchat seit seinen Anfängen produziert. Was einst mit der Unterjochung der Frau begonnen wurde, äußert sich heute vor allem in der folgenreichen Überbevölkerung. Moderne Patriarchate arbeiten dagegen an der Wegrationalisierung der Mutter: in der Familiengesetzgebung, in der Reproduktionsmedizin, in der Erprobung der Geburt aus einem Roboter, mit der Patentierung der Muttermilch oder der Privatisierung des Trinkwassers.

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Inhalt

Zur Geburtsvorbereitung

TEIL 1 – Kabale und Wetter

Schönwetterarchäologie im Tragetuch unserer Kultur

Die patriarchale Annexion in der ausgehenden Jungsteinzeit – Vorbild für den Latmos?

Kurzschluss zur patriarchalen Mythologie

Wie Krieg und Gier am Latmos die Religion formten

Verbotene Berge – verbotene Gedanken

Die Zwangsverheiratung von Mutter Erde und die Entledigung

Stillneid – das heilige Ejakulat

Die ewige Sonnengöttin und ihr Brunnen

Der Mond und das fruchtbare Nass

Der Aufstieg und der Untergang des Wettergottes

Zeus – die Auferstehung des Wettergottes

Die Große Mutter reicht allen die Hand

TEIL 2 – Schwere Jungs und schwere Geburt: Die Symbolik des japanischen Sumō

Die Urgeschichte Japans – der mütterliche Urgrund

Die Patriarchalisierung Japans

Fruchtbarkeitsriten als Abwehrzauber

Die Errichtung des Staates Yamatai und das weibliche Priesterkönigtum

Die ersten Tennō – Trennung von sakralem und politischem Amt

Die politische Transsexualität des Pantheons

Amaterasu, die Patrilinearität und die Reichsinsignien Spiegel, Schwert und Jade-Juwel

Sumō – eine Geburtscharade für Amaterasu

Sumō und die lästigen Frauen

Das dicke Ende

ANHANG

Literatur

Index

Bildnachweis

Zur Geburtsvorbereitung

Mit nur 6 Tagen stellte der biblische Gott einen bisher ungebrochenen Schwangerschaftsrekord auf und gebar dabei nicht nur alle Lebewesen, sondern auch die unbelebte Materie. Damit besiegte er nicht nur die ewige Rekordhalterin, die Große Mutter, die hierfür 9 Monate benötigte. Auch alle männlichen Götter, die sich vor ihm damit versucht hatten und den Rekord der Großen Mutter höchstens einstellen konnten, lagen hinter ihm zurück. Jeder Sonntag diente nun der Erinnerung und der Feier des epochalen Sieges. Unter Androhung von Tod und Verderben wurde den Menschen sonntags eingeredet, dass sie sich irren, wenn sie an ihm und seinen Fähigkeiten zweifelten. Die Zweifel wurden auch immer weniger, denn die Menschen fanden in den Reden die Legitimation für eigene Situation, nicht ahnend, dass die Redner diese Situation und den Gott dazu selbst geschaffen hatten. Alle gebärenden Mütter bewiesen immer wieder, dass Alles nur Lug und Trug ist. Dass der Wettkampf tatsächlich nicht ohne unfaire Mittel zu gewinnen war, kam aber erst Jahrtausende später ans Licht. Die Wissenschaft hatte festgestellt, dass die Welt Milliarden Jahre alt ist, und die Astronauten trafen im Himmel keinen Gott an. Verändert haben sie damit praktisch nichts. Denn schon lange gilt das Gewohnheitsrecht. Der ungesunde Menschenverstand erklärt die Mutter weiterhin zu einem Mangelwesen. Die führenden Männer der großen Religionen erklären nach wie vor der Frau und Mutter, was für sie gut und richtig sei. Ihre Fähigkeit steht sogar dem Fortschritt im Wege. Es ist der Fortschritt des Patriarchats, der Schritt fort von Mutter Natur. Die Wirtschaft behandelt Mutter Erde wie einen Untertan, den man nach Belieben ausbeuten darf, und erklärt den Weltraum zum Einwanderungsland der Zukunft, wenn sie zerstört ist, dabei häuft sich unterdessen auch dort der Müll. Abermilliarden Dollar werden in diesen Irrsinn investiert, Energie, die hier dringend gebraucht wird. Das Geld fehlt den Müttern dieser Welt an allen Ecken. Es ist das Geld, mit dem sich die Mütter aus dem Patriarchat befreien würden.

Die 7000 Jahre alte Geschichte der Bekämpfung der Mutter ist kein Schnee von gestern, sondern das Patriarchat hat immer noch nur dieses eine Ziel und lässt nicht locker, bis es erreicht ist. Was der alleinherrschende Gott vormacht, entspricht dem Wunschdenken der Patriarchen. Der Wunsch kommt der Wirklichkeit immer näher, denn die Mutter wird in den Industriestaaten mittlerweile wegrationalisiert, indem immer mehr Kinder in staatlichen Kindertagesstätten (sog. Kitas) ganztags untergebracht werden. Vater Staat spielt sich als die bessere Mutter auf und legitimiert sich mit fragwürdigen Studien, die die Schädlichkeit der Mutter für ihr Kind nachweisen sollen. Der Grenzwert der neuen Wirklichkeit ist bisher noch die Gebärfähigkeit der Frau und nur der Frau. Die Frauen reagieren inzwischen mit einem Gebärstreik und passen sich männlichen Werten und Arbeitsrhythmen an. Ihr Feminismus entpuppt sich als Trojanisches Pferd des Patriarchats.

Sigmund FREUD glaubte, dass jeder Frau ein Penisneidkomplex angeboren sei, der nur mit einer Geburt einigermaßen kompensiert werden könne. Dass es sich dabei um eine Fehldiagnose handelt, ist mittlerweile erwiesen. Frauen, die neidisch auf einen Penisträger sind, werden vom Patriarchat dazu getrieben. Die Psychoanalytikerin und Freud-Schülerin Karen HORNEY kritisierte ihn als Erste für seine Lehre und stellte den Gebärneid („Womb and vagina envy“) des patriarchalen Mannes dagegen. Die Ethnologin Margret MEAD und der Psychoanalytiker Bruno BETTELHEIM „analysierten verschiedene Riten und Gebräuche, insbesondere Adoleszenzrituale als Ausdruck eines männlichen Gebärneides. MEAD untersuchte dabei nicht nur sieben Südseekulturen, sondern widmete ein eigenes Kapitel auch den ‚beiden Geschlechtern im heutigen Amerika’, um deutlich zu machen, dass die männliche Geschlechtsidentität nicht allein in schriftlosen Stammeskulturen, sondern ebenso in hoch entwickelten Zivilisationen mittels einer symbolischen Aneignung weiblicher Fertilität kulturell hergestellt wird.“i BETTELHEIM wies das Symptom erstmals an seinen Patienten nach. Im westlichen Kulturkreis sind Männerschwangerschaft und Männerkindbett, die sog. Couvade, die die Männer mancher indigener Völker, z.B. in Papua Neuguinea, inszenieren, allerdings unbekannt.

Über den Gebärneid ist inzwischen schon viel geschrieben worden, insbesondere Analysen, die aufzeigen, wie er sich durch die gesamte Lebenswirklichkeit des Menschen gefressen hat. Als Bestandsaufnahme der Symptome der Krankheit Patriarchat sind diese Arbeiten sehr wertvoll. Die Publizistin Hilde SCHMÖLZER (2005) beschreibt in ihrem Buch „Die abgeschaffte Mutter“, dass die Reproduktionsmedizin vor allem vom Gebärneid angetrieben wird. Von der Leihmutterschaft bis hin zu dem Versuch, einen Mann oder sogar eine Maschine ein Kind austragen zu lassen, sind Mediziner daran beteiligt die Mutter auszuschalten oder wenigstens kinderlose Paare mit einem Retortenkind zusammenzuschweißen.

In Japan, aber auch in den USA, wird mit Hochdruck an der Geburt aus einer Gebärmaschine, der sog. Ektogenese, gearbeitet. Nach der patriarchalen Machbarkeitsphilosophie wird die Menschheit damit vollständig von Technik abhängig werden. Die Protagonisten dieser Entwicklung lassen natürlich außer Acht, dass sie eine Verantwortung tragen für die Kinder, die dabei entstehen, und diese es sind, die mit ihrem Retortenkörper leben müssen. Die Philosophin Julien S. MURPHY (1992) führt aus, unter welchen Aspekten die Ektogenese in Hinblick auf die Situation der Frau diskutiert wird und werden muss. Die Soziologin Ann OAKLEY (1984) zeigt auf, „dass ein langer Prozess der Okkupation des weiblichen Körpers durch eine häufig frauenfeindliche Medizin im Namen der Wissenschaft die Kontrolle über die Frau und die Geburt übernommen hat. Vor diesem Hintergrund würde die Ektogenese existierende Ungleichheiten und verzerrte Wahrnehmungen noch verstärken. Frauen würden nicht befreit, sondern weiter unterjocht und entfremdet von ihrem Körper und ihren Fähigkeiten.“ii Die Ektogenese wird selten als Ausgeburt männlichen Gebärneides und damit als das Endziel des Patriarchats wahrgenommen, sondern als eine von vielen Techniken besprochen. Diese Technik und ihre Jubelarien beruhen auf dem folgenschwersten Irrtum der Menschheit: Die ersten Patriarchen überhaupt, nomadische Viehzüchter der eurasischen Steppe und der Bergregionen des Nahen Ostens, glaubten erkannt zu haben, dass der Stier die Kuh oder der Hengst die Stute „befruchtet“, was ja „mit Frucht versehen“ bedeutet, und verrannten sich in der Annahme, dass die Frau nur das Gefäß des Samens sei. Diese Haltung verbreitete sich mit den kriegerischen Indoeuropäern sowie Bergstämmen auch im ackerbäuerlichen Leben, wo die Ackerfurche mit dem weiblichen Geschlecht gleichgesetzt und der Sämann der Herr über das Leben der Pflanzen wurde, wo ursprünglich die Frauen den Ackerbau ersannen und die Felder bestellten. Dabei ist der vermeintliche Samen im biologischen Sinne lediglich Pollen. Jedes Kind hat sogar mehr von der Mutter als vom Vater geerbt: Die Mutter liefert dem Kind in ihrem Bauch nicht nur Nahrung und den ersten Raum, in dem es von den Bewegungen der Mutter, ihrer Stimme, ihren Hormonen, ihrem Immunsystem etc. profitiert, sondern bekanntermaßen auch zur Hälfte ihre Gene und, noch kaum bekannt und nach neuester Erkenntnis, sogar ihre eigenen Zellen und die der Großmutter. Die biologische Funktion und die Entstehung dieses sog. Mikrochimärismus ist noch gar nicht erforscht.iii So spannend das ist, die naive Erforschung dieses Phänomens könnte die Entwicklung der Ektogenese weiter vorantreiben.

Der Soziologe Rolf POHL (2004) versteht „den Hass und die Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen auch als Ergebnis einer Leugnung und Abwehr der männlichen, auf den weiblichen Körper gerichteten Begierde. Die durch Frauen ausgelöste sexuelle Erregung bestätigt die Abhängigkeit des Mannes und entlarvt die im männlichen Autonomiewunsch enthaltene Idee vollkommener Beherrschung und Kontrolle als wahnhafte Illusion.“iv Doch der patriarchale Mann will nicht nur vollkommene Kontrolle über sich selbst, sondern über die gesamte Menschheit. Die exklusiven, biologischen Fähigkeiten der Frau fehlen ihm zur totalen Herrschaft in der Welt. Nur in den Mythen der Götter und ihrer Ränke hat sich sein Wunsch bisher erfüllt. Damit ist es aber nicht genug, denn die von den Göttern geborenen Kinder müssen auch genährt werden. Die tiefe Einheit zwischen Mutter und Kind ist dem Patriarchen zuwider, denn sie führt ihm seine Ohnmacht erneut vor Augen. Er spürt, dass er nie die vollkommene Macht erringen wird. Dabei redet er sich nur ein, dass die Mutter Macht besitzt. Mutter Natur hat den Frauen lediglich die Kinder anvertraut und sie mit allem ausgestattet, was dazu nötig ist, das Kind gedeihen zu lassen. Reißt der Patriarch die Verantwortung für das neugeborene Kind an sich, folgt unausweichlich der Stillneid, der sich mythologisch in der Gleichsetzung des Ejakulats mit der Muttermilch und dem Wasser äußert. Daher sind alle Hochgötter WETTER-GÖTTER. Im wahren Leben ist der Stillneid auch ein wesentlicher Antrieb der Wirtschaft und gipfelt z.B. darin, dass der Nestlé-Konzern die Muttermilch nicht nur durch Industriemilch ersetzt, sondern auch in Zusammenarbeit mit dem Monsanto-Konzern patentieren ließ (US-Patent-Nr. 8012509). Sie brachten Mütter dazu, dafür Milch abzupumpen. Wenn es einst nach dem Nestlé-Konzernchef geht, wird auch das Trinkwasser privatisiert werden. In geradezu klassisch-urpatriarchaler Manier beginnt er seine Botschaft an die Welt mit einem Bild aus der Viehzucht: „Ja, es gibt da bei uns ein schönes Lied: ’Wasser braucht das liebe Vieh, hollera und holleri’, wenns sich erinnern können. Wasser ist natürlich das wichtigste Rohmaterial, das wir heute noch auf der Welt haben. Es geht darum, ob wir die normale Wasserversorgung privatisieren, oder nicht. Da gibt es zwei verschiedene Anschauungen. Die eine Anschauung, extrem würde ich sagen, wird von einigen von den NGO ´s vertreten, die darauf pochen, dass Wasser zu einem öffentlichen Recht erklärt wird. Das heißt, als Mensch sollten Sie einfach Recht haben, um Wasser zu haben. Das ist die eine Extremlösung. Ja? Und die Andere, die sagt: ‚Wasser ist ein Lebensmittel. So wie jedes andere Lebensmittel sollte das einen Marktwert haben.’ Ich persönlich glaube, es ist besser, man gibt einem Lebensmittel einen Wert, so dass wir alle bewusst sind, dass das etwas kostet und dann anschließend versucht, dass man mehr spezifisch für diesen Teil der Bevölkerung, der keinen Zugang zu diesem Wasser hat, dass man dann dort etwas spezifischerer eingreift und da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten also.“v Natürlich würde der Nestlé-Konzern, der schon jetzt weltgrößter Abfüller von Trinkwasser ist, damit sofort zur mächtigsten Größe der Welt und könnte außer den Müttern auch die ganze Menschheit nicht nur aus-, sondern auch erpressen. Hübsch passt zu dieser Ideologie, dass der Name des Konzerns ausgerechnet an die Geburtsstätte der Vögel erinnert, ein Motiv, dass uns in diesem Buch in der Mythologie der frühen Patriarchate wieder begegnen wird, und zwar als Ort des Verrats. Die Anrufung der Holle/Holda mit „hollera und holleri“ fügt sich darin passgenau ein, denn diese südgermanische Göttin steht auch für das patriarchale Prinzip, dass es den guten (Gold-)Regen nur für Leistung gibt, während die Große Mutter der vorpatriarchalen Zeit wie eine Stillende selbstlos gab. Die bronzezeitliche Geisteshaltung ist bei weitem nicht überwunden, sondern wurde nur modern verpackt.

Aus Kindern werden erwachsene Menschen, und wie soll ein Patriarch sie beherrschen, wenn er nicht einmal die Kinder unter Kontrolle hat? Er erreicht eine Teiletappe, indem er die Mutter ohnmächtig macht. Er reißt sie aus ihrer mütterlichen Sippe und isoliert und bewacht sie. Er nennt das „beschützen“. In Wahrheit schützt er sich selbst vor anderen Männern, die ihm seinen Besitz, die Frau, wegnehmen wollen. Die Patrilokalität macht einsam und schürt Misstrauen gegen jeden und jede. Das Patriarchat zielt auf Abtrennung, auf Loslösung und Isolierung und stellt damit künstlich ein Heer von Abhängigen her. Die Mächtigen geben vor, sie zu nähren und vor Unheil zu bewahren. Nicht nur die Frauen leiden darunter, sondern auch die Männer, die ebenso die Folgen ihres eigenen Systems tragen müssen: Überbevölkerung, Gewalt, Krieg, sexuelle Unzufriedenheit, schwere Arbeit und nur sonntags frei. Mittlerweile sollte eigentlich in der westlichen Welt Allgemeinwissen sein, dass das Patriarchat und seine Protagonisten der Menschheit schweren Schaden zu gefügt haben und ihre Existenz bedrohen. Dem ist aber nicht so, ja das Patriarchat wird sogar von der neuen Strömung der sog. Maskulisten geleugnet. Der Blogger „Zettmann“ findet den Gebärneid ganz toll: „Aus dieser Sicht setzen die Männer das ‚Ich will auch‘ seit vielen Jahrhunderten mit sehr großer Produktivität in die Tat um. Der Neid der Männer auf die Gebärfähigkeit wirkt sich also gewinnbringend auf die gesamte menschliche Entwicklung aus.“vi Er ließ sich ausgerechnet von einer Frau überzeugen, der deutsch-iranischen Journalistin Mariam LAU, die den Gebärneid für eine segensreiche Neurose hält: „Bezogen auf die Entschlüsselung des menschlichen Genoms werden womöglich Diabetiker, Unfruchtbare und Krebskranke vom Gebärneid der Männer profitieren – ‚wie wir uns überhaupt mit dem Gedanken befreunden sollten, dass der Neid zwischen den Geschlechtern eine hochproduktive Angelegenheit ist, mit der die Menschen ihre konstitutionelle Bisexualität nicht nur einklagen, sondern auch in die Tat umsetzen’.“vii

Genau diese Haltung entpuppt sich als Zirkelschluss, sind doch gerade diese Zivilisationskrankheiten eine Folge des Patriarchats. Männer wie Frauen sehen leider viel zu selten, wie tief sie selbst verstrickt sind. Das Nichtsehen der Offensichtlichkeit, das „Mitspielen beim Patriarchat“ führt die Patriarchatsforschung auf ein kollektives Stockholm-Syndromviii zurück. Es ist das dem Überleben dienende Verhalten von Entführungsopfern, die beginnen, mit ihrem Peiniger zu kooperieren.

Echte Naturvölker sind nicht neidisch auf die Organe des jeweils anderen Geschlechts. Sie sind zufrieden mit dem, was sie haben, und erkennen instinktiv den Wert des Andersseins. Welchen evolutionären Wert sollte es auch haben, solche Symptome zu entwickeln? Matrifokalität ist die natürliche Lebensweise von homo sapiens. Ihre Entdeckung war ein mühsamer Prozess, der von richtigen Beobachtungen und richtigen wie falschen Schlüssen geprägt war. Nach Jahren der Diskussion, in der auch viel Zeit mit der sog. Modernen Matriarchatsforschung nach Heide GÖTTNER-ABENDROTH verging, schälte sich seit etwa 1998 eines heraus, das ich in seiner heutigen Klarheit und Stringenz, und besonders der persönlichen Erfahrbarkeit, für richtig halte. In den USA, wo sogar an manchen Universitäten Patriarchatsforschung betrieben wird, lebt die weltweit renommierte, inzwischen emeritierte Anthropologin Sarah BLAFFER HRDY, die von sich schreibt: „Ich gehörte übrigens zu denjenigen, die schon frühzeitig davon überzeugt waren, dass Menschenaffen zur Patrilokalität neigten. Ich änderte meine Meinung im Verlauf der Arbeit an ‚Mutter Natur’ (2000).“ix Diese Erkenntnis kam jedoch etwas zu spät, und das Buch „Mutter Natur“ wurde vorschnell veröffentlicht. In dieser Form irritierte es mehr, als dass es aufklärte, jedenfalls was meine Person angeht; die Presse jedoch feierte das Buch, was an sich schon zur Vorsicht mahnen sollte. Dennoch kann es als Bestandsaufnahme der sozialen Probleme, die das Patriarchat verursacht hat, gelten, z.B. bei der Frage des Kindermordes, und es erklärt die Bedeutung von Alloeltern und insbesondere der Großmutter mütterlicherseits, basierend auf der sog. Großmutter-Hypothese der Anthropologin Kristen HAWKES (1998). Eine 2004 erschienene Studie führte BLAFFER HRDY endlich zu einem neuen Buch: „Als die Anthropologin Helen Alvarez von der Universität von Utah die ursprünglichen ethnologischen Aufzeichnungen anhand deren Murdock die Residenzmuster von Jäger-Sammlern ermittelt hatte, einer sorgfältigen nochmaligen Analyse unterzog, waren ihre Ergebnisse ein Schock für die Fachwelt. Murdock hatte strenge Kriterien für die Einordnung von Kulturen in bestimmte Residenzkategorien aufgestellt. So musste beispielsweise ein genau festgesetzter Prozentsatz von Paaren bestimmte Wohnsitzregeln erfüllen, damit ihre Gemeinschaft als patrilokal, bilokal (...) – wobei der Wohnsitz frei bei den Eltern des Ehemanns oder der Ehefrau gewählt wird und im Lauf der Zeit auch wechseln kann – oder matrilokal (‚uxorilokal’ in der Terminologie Murdocks) klassifiziert wurde. Doch als Alvarez die ethnologischen Aufzeichnungen erneut las, bemerkte sie, dass die numerischen Erhebungsdaten, die erforderlich waren, um Murdocks Kriterien zu erfüllen, nur selten vorlagen. (...) Ungeachtet dogmatischer Verlautbarungen, wonach Menschen für gewöhnlich ‚eine patrilokale Familienstruktur besitzen’, weil ‚Söhne in traditionellen Gesellschaften in der Nähe ihrer Familien bleiben, während Töchter fortziehen’, wird diese grundlegende Aussage über die menschliche Natur nicht von Daten über Menschen gestützt, die tatsächlich als Jäger-Sammler leben. Statt von Natur aus patrilokal zu sein, weisen die meisten Jäger-Sammler-Gesellschaften bemerkenswert flexible und opportunistische Residenzmuster auf“x, schreibt BLAFFER HRDY in „Mütter und andere“ von 2010. Bewiesen ist, dass es nur selten zu einer Übersiedlung der Frau in den Bereich der „Schwiegereltern“ kommt, und zwar bei nur 6 von 48 der von dem Ethnologen George Peter MURDOCK bis zum Jahre 1967 untersuchten Völker. Dabei zeigte sich, dass Mütter auch dieser 6 Völker dazu neigen, ihre Kinder im Schutz ihrer Herkunftsfamilie aufzuziehen. „Selbst hinsichtlich eindeutig patrilokaler Völker wie den Maidu-Wildbeutern Nordkaliforniens stellte ein Ethnologe ausdrücklich fest: ‚Bevor es sich dauerhaft im Dorf des Ehemanns niederließ, lebte das verheiratete Paar eine Zeitlang bei der Familie der Ehefrau, und der neue Gatte machte sich nützlich, indem er sie mit Nahrung versorgte.’ Murdock hatte zusammen mit anderen frühen Ethnologen sogar eine eigene Bezeichnung dafür: ‚matri-patrilokal’“xi, bemerkt BLAFFER HRDY. Ich möchte hinzufügen, dass die Maidu zum Zeitpunkt der Untersuchungen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts schon lange kein isoliertes Volk mehr waren, sondern umringt waren von kriegerischen Bauernvölkern wie den Paiute. Daher handelt es sich nicht mehr um ein echtes Naturvolk. Der Weiße Mann und seine christlichen Missionare infizierten zudem viele Naturvölker mit dem Patriarchat, indem sie erst das Land mit Krieg überzogen, nur mit den Männern verhandelten, und es dann für eine Gallone Whiskey abkauften.

Die Patriarchalisierung wird in der Herrschenden Lehre systembedingt ignoriert oder bestenfalls heftig bestritten. Dass es jemals eine Zeit gab, in der es anders war, darf es nicht geben. Daher wird alles bekämpft, was das Dogma in Gefahr bringt. Insbesondere die zahllosen Frauendarstellungen, die noch in der Altsteinzeit praktisch ohne männliche Konkurrenz dastehen, ärgert sie sehr. Beispielhaft äußert sich der Prähistoriker Svend HANSEN über die Deutung neolithischer Frauenstatuetten: „Das heute am weitesten, auch über die Grenzen der archäologischen Wissenschaft hinaus verbreitete und zugleich problematischste Buch, das die Statuetten thematisiert, stammt aus der Feder von M. GIMBUTAS, welche den Figuralkomplex unter dem zentralen Aspekt einer ,Großen Göttin’ behandelt und ihn als Ausdruck einer vergangenen matriarchalen Kultur ,Alteuropas’ interpretiert“, und in der zugehörigen Fußnote: „das Buch wurde 1995 beim Versandhandel „Zweitausendeins“ in einer seitenidentischen Ausgabe in deutscher Sprache verlegt und damit einem weiten Kreis angeboten, dessen Zugang zum Thema nur zum geringeren Teil einem allgemeinen archäologischen Interesse entspringen dürfte.“xii Dabei hat er sich mit der Abschrift des Erscheinungsdatums keine Mühe gemacht hat, nämlich 1996, und enthält seiner Leserschaft einen entscheidenden Satz aus dem kritisierten Werk vor: „Die Schwierigkeiten, die sich in der anthropologischen Forschung des 20. Jahrhunderts mit dem Begriff ‚Matriarchat’ verbinden, haben ihren Grund in der Tatsache, daß er als Spiegelbild des Patriarchats oder der Androkratie interpretiert wird – das heißt als eine hierarchische Struktur, in der Frauen anstelle von Männern gewaltsam die Macht ausüben. Das ist weit entfernt von der Realität des Alten Europa.“xiii Diesem im doppelten Sinne äußerst schwergewichtigen Band mit dem Titel „Die Zivilisation der Göttin“ (2,8 kg) setzt HANSEN einen Doppelband mit dem Titel „Bilder vom Menschen der Steinzeit“ entgegen, dessen obiges Zitat ich der vordersten Seite entnehmen konnte. Mit Text und Tafeln wiegt das Werk 5,1 kg, ein klarer Sieg! Das Cover des Textbandes ziert eine weibliche Statuette, den des Tafelbandes eine männliche mit einem als Zepter gedeuteten bäuerlichen Werkzeug über der Schulter. Das Paar, das sich in der Zusammenschau der beiden Bände ergibt, suggeriert ein patriarchales Herrscherehepaar. Bei genauerer Betrachtung kann HANSEN aber weder den mit dieser Umschlagillustration angekündigten Nachweis führen, dass es gleich viele männliche und weibliche Statuetten gibt, noch dass diese sämtlich aus einem patriarchalen Kontext stammen. Im Gegenteil, der Bildteil, der die von GIMBUTAS gezeigten Statuetten zahlenmäßig noch übertrifft und viele neue Funde zeigt, stützt ihre These weiter, ein klares Eigentor! Da hilft auch nicht das mittlerweile durchschaute Totschlagargument der Gender Studies, es handele sich angeblich überwiegend um geschlechtslose Darstellungen. Sehr viele dieser Statuetten können nämlich als Mädchen interpretiert werden, gestützt durch die ältesten Mythologien, wo eine Tochter neben der Mutter die Hauptrolle spielte, als Anspielung auf die alte Matrifokalität. Das Fehlen von Brüsten und die natürliche Verborgenheit der Vulva lieferte dem Frühpatriarchat und bis heute ein buchstäblich scham-loses Argument, das Mädchen bzw. die Tochter unsichtbar zu machen und als minderwertig einzustufen. GIMBUTAS benannte die eindeutig weiblichen und die mädchenhaften Statuetten und Abbildungen des Alten Europa als „Göttinnen“. Die wenigen männlichen Statuetten, die im Neolithikum auftauchen, nannte sie „Götter“xiv.

GIMBUTAS ist es gelungen, viele Frauen und auch viele Männer für die Archäologie erst zu begeistern, in ihr einen tieferen Sinn zu erkennen. Besonders auf die brennenden Fragen, die die von Abhängigkeit, Hilflosigkeit und Gewalt geprägte weibliche Lebenswirklichkeit aufgeworfen hat, lieferte sie eine plausible Antwort. Während die Herrschende Lehre GIMBUTAS in der Regel mit dem Bade der „Modernen Matriarchatsforschung“ ausschüttet, hat insbesondere die kritische Patriarchatsforschung den Wert ihrer Erkenntnisse erkannt, nicht ohne auch hier kritisch zu bleiben. Ihr Werk bedarf eines Updates, weil einerseits die Messmethoden der Archäologie zu neuen Erkenntnissen gekommen sind, und andererseits neue Erkenntnisse zur Patriarchalisierung vorliegen, natürlich nicht aus den Kreisen der Herrschenden Lehrexv. Ereignisse wie das „Massaker von Talheim“ gehören in die Zeit der ersten landwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise und wurden wahrscheinlich nicht von gewaltbereiten, indoeuropäischen Migranten angezettelt, wie GIMBUTAS es noch annahm, sondern markieren eine indigene Entwicklung in Richtung einer von Männern dominierten Viehwirtschaft, die nicht nur erste Spuren der Gruppengewalt hinterließ, sondern Vorbote einer landesweiten Entwicklung war, welche von der späteren indoeuropäischen Eroberung erst richtig in Schwung gebracht wurdexvi. Die Krise war das Ergebnis der neuen Abhängigkeit des Menschen von der Landwirtschaft, die ja nur betrieben werden konnte, solange das Klima mitspielte. In der sog. Bandkeramischen Krise führte ein Klimawandel zu Missernten. Eine solche Möglichkeit konnte GIMBUTAS für Alt-Europa noch ausschließen, weil zu ihren Lebzeiten entsprechende Messdaten noch nicht vorlagen. Dennoch bleibt ihr Werk ein unschätzbar wertvoller Beitrag, der in seiner Grundaussage nicht an Aktualität verlieren wird.

Wissenschaft und Religion liegen näher beieinander, als gemeinhin gedacht. Beide sind ideologisch und beide dienen der Politik, die durch Versuch und Irrtum an den patriarchalen Symptomen herumdoktert, ohne das Grundproblem zu begreifen oder begreifen zu wollen. Die Vertuschung oder Leugnung offensichtlicher oder allgemein bekannter Sachverhalte diente beiden seit jeher zur Wahrung alter und neuer Besitzstände. Die sogenannte Aufklärung endete stets an dem Punkt, wo das patriarchale Paradigma, das durch eine politische Theologie gestützt wird, in Gefahr geriet. Die wissenschaftskritische, unabhängige Patriarchatsforschungxvii erlaubt sich, darüber hinauszugehen. Sie fragt, welche Bedingungen dazu führten, dass der Patriarch seit 7000 Jahren die Allmacht anstrebt, die die Männer der matrifokalen WildbeuterInnen noch gar nicht nötig hatten. Das von BLAFFER HRDYs Thesen noch unbeeinflusste Modell der „4 Modi des Neolithikums“ von Gerhard BOTT (2009) wird von ihrem neuen Buch bestätigt. BOTT erklärt die Patriarchalisierung auf der Basis der Entdeckung der menschlichen female choice durch die Anthropologin Meredith F. SMALL, der Theorie der Patriarchalisierung von der Historikerin Gerda LERNER und des Lebenswerkes der Archäologin Marija GIMBUTAS. Die Entstehung des Patriarchats bringt er mit der aufkommenden nomadischen Viehzucht in Zusammenhang, die die einst selbstständig wirtschaftende Frau zur Handlangerin des pastoral wirkenden Mannes machte. Pastoral im doppelten Sinne, denn der Gute Hirte, den Theologen als ihren Gott erkoren, ist die Basis einer Politischen Theologie, die die sozialen und ökonomischen Verhältnisse nachhaltig zementierte. Die Patriarchatsforscherin Kirsten ARMBRUSTER spürt nun überall in der Welt die matrifokalen Wurzeln männlich besetzter Sakralorte auf und setzt sie in Bezug zu den politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart. Ich selbst konnte das Postulat der „Patrilokalität der Bandkeramiker“, der ersten jungsteinzeitlichen Kultur Mitteleuropas, entlarven, das von einem deutschbritischen Team an den anthropologischen Untersuchungen der Knochenreste des sog. Massakers von Talheim festgemacht wurde.

Die Ursache für die Misogynie, den Frauenhass, sehe ich in der Inkompatibilität der patriarchalen „Decke“ und der matrifokalen „Unterlage“. Der Mann soll im Patriarchat dominieren. Als Züchter hatte er erstmals die lebendige Welt nach seinem Wunsche geformt, in einer Weise, wie es Mütter nie konnten. Bei Pferde- und Kamel-Rennen wurde der stärkste Hengst ermittelt, bei Stierkämpfen der stärkste Stier, der dann alle Weibchen zu begatten hatte. Der Patriarch sah die Frau seitdem als Gefäß seines Ejakulates, seines „Samens“, an, in dem alles enthalten sei, was einen Menschen ausmacht.

Aber wenn er eine Frau in sich verliebt machen will, klappt das nicht immer so, wie er sich das vorstellt, denn die Frau mit ihrer female choice – dem obersten Naturgesetz der Tierwelt, nämlich der freien Wahl des Weibchens von Partner, Ort und Zeit des Geschlechtsverkehrs – hat das letzte Wort. Er kann nur zwischen den Frauen wählen, die ihm zuvor Interesse signalisiert haben. Er muss sich also gewaltsam oder ideologisch eine „male choice“ verschaffen. Weil ihn das mit seinem eigenen matrifokalen Untergrund in Konflikt bringt, weil er eigentlich die Frauen liebt, weil er vor den Anderen als Schwächling dastehen könnte und er vor Einsamkeit, zu der ihn das Patriarchat verdammt hat, verzweifelt, beginnt er die Frauen zu hassen. Lösten früher Eheanbahnung, Zwangsheirat oder gar der Zölibat das Problem, sind Männer heute damit konfrontiert, dass Frauen in der Partnerwahl frei geworden sind, und die Kirche keine Option mehr darstellt. Die Lage junger Männer in der heutigen Zeit ist vor dem Hintergrund der Auflösung der Rollen nicht leichter geworden. Aus ihrer Sicht brauchen Frauen sie eigentlich nur noch zur Zeugung ihrer Kinder. Der Text des erwähnten Bloggers wirkt da wie ein Hilferuf aus einem brennenden Haus, aber statt nach der Feuerwehr zu rufen, ruft er nach einem Pyromanen. Männer müssen sich in dieser Situation einen neuen Platz suchen und glauben, ihn in der Zurückdrehung der Zeit zu finden. Die Gesetze „zum Schutz der Kinder“ sind daher in der Regel Gesetze zum Erhalt der Väterrechte. Die Maskulisten fordern die treusorgende Ehefrau, aber sie soll für sich selbst und auch noch für die Kinder und den Haushalt sorgen. Wie eine Frau diesem Leistungsdruck gerecht werden soll, wissen sie nicht, auch nicht, dass eine finanziell unabhängige Frau eben keinen Ehemann braucht. Weder erkennen sie diesen Widerspruch, noch stellen sie sich damit als erwachsen und verantwortungsvoll dar.xviii

Das „ewige Kind im Mann“ sollten wir nicht verteufeln, es ist ein Relikt aus matrifokaler Zeit, als die matrifokale Sippe allen Mitgliedern zu essen und Obdach gab. Die Große Mutter, die Ahnin, dargestellt in unzähligen Statuetten, über die sich die Sippe definierte, stand für diesen Allversorgungsgedanken. Ein Mädchen durfte es sich leisten, in der Zeit vor Mutterschaft keinerlei Arbeit nachzugehen, um ihre Gebärfähigkeit nicht in Gefahr zu bringen. In der Zeit der Mutterschaft durfte eine Frau schwach zu sein, ohne dass ihr das als immanente Schwäche ausgelegt wurde. Dafür wurde die Last nicht dem Sexualpartner aufgebürdet, sondern die Sippe, die Schwestern, Brüder, Tanten und Onkel kümmerten sich gemeinschaftlich um die Beschaffung des Nötigen und nahmen der Mutter bei Bedarf die Kinder ab. Die ältere Frau gab zurück, was sie in jungen Jahren bekam, und arbeitete sehr viel. Sie war hoch geachtet, denn sie hatte in ihrem Leben auch immer Zeit, ihr Wissen zu vergrößern. Diese Lebensweise wurde von BLAFFER HRDY an echten Naturvölkern nachgewiesen. Im Patriarchat dagegen müssen schon junge Mädchen hart arbeiten, ebenso die Mütter. Die älteren Frauen sind auch wegen der zahlreichen Geburten früh verbraucht und werden nur gering geachtet. Als Schwiegermutter ist sie das Feindbild der Familie. Im Patriarchat darf es kein „Kind in der Frau“ geben, sondern höchstens die Kindfrau, die im Grunde entmündigt ist und latente pädophile Phantasien befriedigt: Die Krankheit Patriarchat hat viele Symptome, die hier aber nicht alle Gegenstand sein können. Der „weise, alte Mann“ ist jetzt der Inbegriff des Patriarchen. Er hatte stets Zeit, sich den schönen Dingen des Lebens zu widmen, viel zu erleben, und kann entsprechend viel erzählen. Als „Ehrwürdiger des Berges“ prägt er die Mythologie, der wir mit etwas mehr Aufmerksamkeit entnehmen können, dass er durch Raub an die „Bücher der Weisheit“ gelangte.

„Aber kann es nicht wirklich sein, dass der Wettergott seit uralten Zeiten verehrt wurde?“, könnte man einwenden, denn Wetter gab es ja schon immer. Aber für eine sehr weite Rückdatierung der Wettergott-Mythologie und Verlagerung nach Westen, wie sie PESCHLOW vornimmt, müssten schon schlagkräftigere Argumente sprechen. Wie ich in diesem Buch zeigen werde, fehlt der These die anthropologische, mythologische und die politische Grundlage. Erst im von Rinderhirten beherrschten, bronzezeitlichen Sumer in Mesopotamien tritt der Wettergott in Erscheinung. An Euphrat und Tigris beweist der Wettergott auch seinen wahren Charakter, der mit dem Adjektiv „bedrohlich“ nur ansatzweise charakterisiert ist. Tatsächlich hatten die Menschen Angst vor den Patriarchen, die einst die Erfindung des Wettergottes machten. Schon in den frühen Schriften, den keilschriftlichen Mythen und Ritualtexten, äußert sich der Gebär- und Stillneid der Herrscher, der bis heute die Glaubensvorstellungen prägt, an die sich Milliarden von Menschen verzweifelt klammern. In „The Women‘s Encyclopedia of Myths and Secrets“ von 1983 (dt. Ausg. „Das Geheime Wissen der Frauen“, 1995) schreibt die Patriarchatsforscherin Barbara G. WALKER unter dem Stichwort „Gebären durch einen Mann“: „Und tatsächlich scheint die Übernahme der weiblichen Macht, Leben zu schenken, das kennzeichnende Merkmal der frühen Götter gewesen zu sein.“xix Da sich seitdem keine weitere Veröffentlichung ausführlich unter diesem Aspekt mit dem Frühpatriarchat auseinandersetzt, soll dieses Buch die Lücke weiter schließen helfen.

Das Beispiel der Bergheiligtümer eignet sich dazu in besonderem Maße, da sie oft mit besonderen Tabus belegt sind und immer umkämpft waren, da ihre Quellen das Wasser lieferten, von dem das Volk abhängig war und mit dem es unter Kontrolle gebracht werden konnte. Die Bergtabus verhindern nicht nur, dass sich die Menschen ihrer ursprünglichen Bergmutter nähern können, sondern auch, dass die Anwesenheit eines männlichen Gottes auf dem Berg, also der Wahrheitsgehalt der Politischen Theologie, überprüft werden kann.

Im ersten Teil des Buches, den ich mit „Kabale und Wetter“ überschrieben habe, beschäftige ich mich daher mit der Frage, wie die Götter das Heft an sich rissen. Denn noch länger stand in den Frühpatriarchaten an der Spitze eines Pantheon die Große Göttin, die z.B. in Sumer den Namen Inanna trug. Den ersten Abschnitt habe ich „Schönwetterarchäologie im Tragetuch unserer Kultur“ genannt. Die „Schönwetterarchäologie“ im Latmos-Gebirge beschönigt nicht nur die Okkupation durch männliche Götter, sondern eckt weder in der Herrschenden Lehre noch bei der türkischen Regierung an. Das „Tragetuch“ ersetzt die übliche Metapher „Wiege“. Es steht für die ersten Hochkulturen, die bekanntermaßen in Anatolien geboren wurden, und die matrifokal waren. Die Wiege steht dagegen für das Patriarchat, denn im Ehebett ist kein Platz für den Säugling; dort liegt der Patriarch, der seine Frau jede Nacht für sich haben will und für Überbevölkerung sorgt. In diesem Abschnitt stelle ich die Entdeckung der Latmos-Kultur vor, und bespreche die Funde im Vergleich mit der Interpretation der Entdeckerin.

Der Abschnitt „Die patriarchale Annexion in der ausgehenden Jungsteinzeit – Vorbild für den Latmos?“ geht auf die Patriarchalisierung ein und prüft, ob im Latmos die Voraussetzungen für ein Patriarchat gegeben sind. Für die Patriarchatsforschung ist die Ära des Chalkolithikums von besonderer Bedeutung, denn nun entstanden erste stabile Patriarchate außerhalb der Steppengebiete. Stabil deshalb, weil es auch die Rückkehr zur alten Lebensweise gab, denn die frühen Patriarchate scheiterten nicht selten an den selbstgemachten Krisen: Überbevölkerung und in ihrer Folge Raubbau an der Natur und zunehmende Gewalt, Problemen, mit denen wir bis heute zu tun haben. Allem Anschein nach hatte die Latmos-Kultur nicht mit diesen Problemen zu kämpfen. Die Bilder wirken heiter und lebensfroh, ob das täuscht? Im Abschnitt „Wie Krieg und Gier am Latmos die Religion formten“ beleuchte ich die Argumente 3 und 4 der Entdeckerin unter Hinzuziehung der bekannten Lehrmeinungen zur Religion der Hethiter und der Geschichte Anatoliens. Religiöses und Weltliches ist nicht zu trennen, dass wird hier besonders deutlich.

Mit dem Abschnitt „Verbotene Berge – Verbotene Gedanken“ erweitere ich die Sicht auf die ganze Welt (ohne Südamerika und Australien) und bringe auffällige Gemeinsamkeiten der patriarchalen Religionen ins Gedächtnis. In vorpatriarchaler Zeit wurde die Große Mutter, deren schwangerer Bauch und Brüste in den Bergen erkannt wurde, als Bärin dargestellt. GIMBUTAS stellte dazu eine etymologische Verbindung des Verbs gebären zu Bär fest. Auch im Hebräischen findet sich dieser Wortklang wieder: bará bedeutet erschaffen, ein Wort, das die Patriarchen an die Stelle von gebären setzten. Die Berge waren auch die frühesten, noch heute sichtbaren Schauplätze des männlichen Gebärneides. Daher versuchten die frühen Patriarchen, die ganze Landstriche unterwarfen, zuerst die Berge männlich zu machen. Die ersten männlichen Götter waren Berggötter, die in den frühesten Patriarchaten als Vegetationsgötter in einer Höhle schliefen, bis die Große Göttin sie im Frühling zum Leben erweckte. Mit ihnen wurde die Vegetation, die ursprünglich weiblich war, erstmals männlich. Die Herrschende Lehre betont immer wieder die Bedeutung der Berggötter und übersieht, dass viele der bedeutendsten Berge bis heute weiblich gedacht sind, auch wenn sie einem starken Patriarchalisierungsdruck ausgesetzt waren. Auch die Weiblichkeit des Latmos wird nicht anerkannt, stattdessen wird das Gebirge als Tummelplatz des Wettergottes und seiner vermeintlichen Freunde, der Berggötter, hingestellt. Der griechische Mythos von Selene und Endymion, der Mondgöttin und ihres Geliebten in der Höhle, dient als schmückendes Beiwerk, das sich touristisch besser vermarkten lässt. Denn der Wettergott braucht keine Geliebte. An den wichtigsten heiligen Bergen der Welt untersuche ich das Bergtabu und wie es möglich war, es schließlich zu brechen.

Im Abschnitt „Die Zwangsverheiratung von Mutter Erde und die Entledigung“ beschäftige ich mich mit der Unterwerfung der Großen Mutter in den Mythen. Matrifokale Relikte wie die jungfräuliche Maria, die die parthenogenetische, also die sich selbst befruchtende Urmutter verkörpert, wurden durch theologische Winkelzüge zur Himmelskönigin gemacht; eine Göttin darf sie nicht sein. Die Empfängnis der Urmutter geschieht schlicht durch Wind oder durch den Heiligen Geist, und der Wind war ursprünglich ebenso weiblich wie der Heilige Geist, der im jüdischen Glauben eine Frau ist. Den protestantischen Christen ist sie ein Dorn im Auge, nicht nur ihre Ehelosigkeit, sondern ihre pure Anwesenheit in der Kirche. Sie bezahlen es heute mit den höchsten Zahlen von Kirchenaustritten. Dagegen erlebt der Madonnenkult in der katholischen Kirche gerade eine Renaissance, nur die vielen Fälle von Kindesmissbrauch und habgierige Bischöfe machen sich in den Bilanzen bemerkbar. Die Völker der Welt halten an der Muttergöttin bis heute fest, ist doch der Volksglaube konservativer, als es den Herrschern recht ist. Um die Bevölkerung umzustimmen, wurden schon in frühpatriarchaler Zeit zahllose Mythen verfasst, an denen sich der Versuch ihrer Zähmung und Ablösung heute, mit einem patriarchatskritischen Bewusstsein, gut ablesen lässt. Dabei erfahren wir, wie erstaunlich wenig Männer über die Zusammenhänge von Zeugung und Geburt wussten, und dass die Patriarchen mit ihrem neu gewonnenen Wissen von Anbeginn an nicht verantwortungsvoll umgehen konnten. Der Tod und das Leid unzähliger Kinder legen davon bis heute Zeugnis ab.

Das Staatsritual der Heiligen Hochzeit besiegelte den Anfang vom Ende der Muttergöttin, indem es die männliche Sexualität in den Himmel erhob, während die weibliche am Boden blieb und sogar verteufelt wurde. In der Mythologie ist dieses Vergewaltigungsritual auf unterschiedliche Art und Weise verschlüsselt. Sein Nahziel war, die Frau zur Aneignung ihrer Macht zu „berühren“. Damit war nun eine Veränderung in der Wahrnehmung des Ursprungs aller göttlichen Wohltaten verbunden. Gottkönige wollten sich damit unsterblich machen, aber als Verkörperung eines Vegetationsgottes mussten sie jedes Jahr „sterben“, das heißt ihre Macht musste jedes Jahr erneuert werden. Damit waren sie weiterhin von der Großen Göttin abhängig. Daher war das Ende des Rituals vorprogrammiert. Wo einst die allversorgende Mutter für den fruchtbaren Regen und reiche Ernte verantwortlich gemacht wurde, trat ein Wettergott erst neben sie und schließlich an ihre Stelle. Die Heilige Hochzeit wurde also abgeschafft. Der Wettergott wurde auf der Spitze der Berge verortet, die er längst unter seine Kontrolle gebracht hatte. Der König vergöttlichte sich als Sonnengott, der aus eigener Kraft immer wieder erschien. Die letzten Berggöttinnen, die zu dieser Zeit auch als Fels minimalisiert waren, wurden nun zu Ehefrauen degradiert, vergewaltigt oder getötet. In dieser Phase regierten die Wettergötter an der Spitze eines Pantheons und hatten einen Sohn, der ihre Patrilinie begründete. Mit erstaunlicher Dreistigkeit, dass es einem die Sprache verschlägt, und eigentlich gut erkennbar wurde den gläubigen Frauen wie Männern die Inferiorität der Frau und Mutter auf den Altären aufgetischt. Sie haben alles geschluckt.

Im Abschnitt „Stillneid – das heilige Ejakulat“ zeige ich, dass der Regen ursprünglich nicht von einem Wettergott, sondern von Mutter Erde gespendet wurde, und wie die Götter erkennen, dass zur totalen Macht nicht nur die Gebärmacht gehört, sondern auch die Verantwortung für das geborene Kind übernommen werden muss. Während der Wettergott mit Blitz, Donner und Sintfluten eigentlich nur Schaden anrichtet, soll er nun fruchtbaren Regen senden. Die Regenkulte werden damit endgültig männlich, und neue Götter der Bewässerung stehen nun für die Unterwerfung der Natur unter die neue Technologie des Bewässerungsfeldbaus, der von Patriarchen organisiert wird.

Wieder drückt sich die neue Mentalität in den Bergkulten aus, insbesondere die Vorstellung vom Weltenberg, die erstmals in den Zikkurats Mesopotamiens erscheint, stellt die Verdichtung von Gebärneid und Stillneid in einem Zentrum dar. Als finaler Akt ist im Weltenberg auch der Muttermord symbolisiert. Mit Aufmerksamkeit lässt sich die Übernahme des fruchtbaren Nass in den Mythen aufspüren. Insbesondere die Drachen-, Schlangen- und Adler-Mythen legen ein beredtes Zeugnis ab, wie die Patriarchale Revolution gelang. Es waren nicht nur Herrscher beteiligt, auch Herrscherinnen trieben die Entwicklung voran. Die Göttinnen erscheinen wie Verräterinnen am eigenen Geschlecht, was mit dem Stockholm-Syndrom gut erklärt werden kann. Auch der Versuch, die alte Ordnung wieder herzustellen, den es immer gegeben haben muss, denn er ist mythisch verarbeitet, wird als Raub kriminalisiert.

Zur Darstellung der matrifokalen Substrat-Religion, insbesondere auch in Anatolien, behandele ich in den Abschnitten „Die ewige Sonnengöttin und ihr Brunnen” und “Der Mond und das fruchtbare Nass” wie die Göttinnen ihre Zuständigkeiten abtreten mussten. Die vielen unterschiedlichen Göttinnen sind Abspaltungen und damit Schwächungen der Großen Mutter. Hier wird deutlich, dass alle Naturerscheinungen ursprünglich in ihr vereint waren, und es erstaunt, dass sogar Sonne und Mond als Wasserspenderinnen angesehen wurden. Gerade die Sonne wird in der Forschung als schon immer männlich dargestellt. Als Import aus der Steppenreligion stimmt dies auch, für West- und Mitteleuropa jedoch nicht. Die erstaunlichen Spuren der unbekannten, europäischen Sonnengöttinnen legen davon ein Zeugnis ab. Den Bogen zurück zum Latmos spannt die Mondgöttin Selene, der ich immer wieder Platz widme. Der Latmos, in dem zweifellos ein Wasserkult zelebriert wurde, hängt mit ihr untrennbar zusammen.

Der Abschnitt „Der Aufstieg und der Untergang des Wettergottes“ geht speziell auf das Phänomen ein, warum Menschen einen schrecklichen Zerstörer zu ihrem Hochgott, zu ihrem „lieben Gott“ erkoren. Ich zeige auf, dass der Wettergott aus Mesopotamien mit den Assyrern und Hurritern nach Anatolien kam. Hier traf er auf eine noch relativ stark matrifokal geprägte Welt mit einer Sonnengöttin an der Spitze des Pantheons, der er untergeordnet werden musste. Die Hethiter brachten eine männliche Sonnengottheit mit, die auf den Herrscher selbst projiziert wurde. Nachdem der Wettergott in dieser Zeit neben der Sonnengöttin regierte, gelang es mit viel Mythografie schließlich, den Wettergott über alle anderen zu stellen. Doch dann kam die große Dürre, und der Mythos beschreibt, wie er sich feige zurückzog und aus der Verantwortung stahl.

Im Abschnitt „Zeus – die Auferstehung des Wettergottes” schildere ich, wie die Griechen nach der phrygischen Episode und der Regentschaft der Großen Berggöttin Kybele mit ihrer Eroberung den Wettergott in der Gestalt des Zeus reanimierten. Auch im Latmos hat dieser Kult Spuren hinterlassen, dessen Untersuchung unter dem Aspekt Gebär- und Stillneid genauso ergiebig ist. Denn Zeus ist der erste Gott auf anatolischem Boden, der mit Bart und Brüsten dargestellt wird. Dass sich damit eine Geschlechtsumwandlung in Richtung „ganz Frau“ abzeichnete, glaube ich nicht. Dieser Zeus nahm vorweg, was heute als Gleichheitsfeminismus in den Medien gefeiert wird.

Im letzten Abschnitt „Die Große Mutter reicht allen die Hand“ kehre ich noch einmal zum Latmos zurück und beleuchte die weiblichen Spuren, die sich selbst in christlicher Zeit hier gehalten haben. Die Hand der St. Anna, ein Votivbild der Großmutter Jesu, steht mit diesen Bergen in enger Verbindung, die ich bisher nirgends als erkannt gefunden habe.

Der zweite Teil des Buches mit der Überschrift “Schwere Jungs und schwere Geburt: Die Symbolik des japanischen Sumō“ ist aus dem Fachvortrag „Mit den Waffen der Frau – Mythologie, weibliche Symbolik und griechische Einflüsse im japanischen Sumō“ hervorgegangen, den ich 2013 auf einer Tagung der archäologischen Arbeitsgruppe „Werkzeuge und Waffen“ in Genthin hielt. Für dieses Buch habe ich ihn umgeschrieben und unter dem Aspekt Gebärneid liest er sich jetzt noch einmal anders. Nach einer kurzen Einführung in die Mentalität und die Ur- und Frühgeschichte Japans, erzähle ich, wie der Archipel patriarchalisiert wurde. Ich stelle den japanischen Schöpfungsmythos und die Staatsmythologie um die Sonnengöttin Amaterasu vor, eine der wenigen noch verehrten Sonnengöttinnen weltweit. Hier werden Sie, liebe Leserin und lieber Leser, vieles wieder erkennen, was schon für Anatolien und den Nahen Osten galt. Die verblüffende Ähnlichkeit kann nur einen Grund haben, nämlich, dass die westlichen Mythen über die Seidenstraße nach Japan gelangten und dort nachhaltig beeindruckten. Die Nützlichkeit dieser Mythen für die Staatsführung wurde offenbar sofort erkannt und an die japanischen Verhältnisse angepasst. Auch der uns zu Recht so bizarr anmutende Sumō-Ringkampf, der im Tempel aufgeführt wird, gehört dazu und ist Ausdruck des tiefen Gebärneides auch der japanischen Patriarchen. Jedes Detail des Sumō ist ausgeklügelt und mit einem besonderen Nimbus umgeben, so dass wir heute kaum noch erkennen, was uns damit vorgegaukelt wird. Die Detailverliebtheit und Akribie mit der die Japaner bis heute an der Perfektionierung ihrer misogynen Kultur arbeiten, ist für eine derart moderne Industriegesellschaft zwar erstaunlich, aber mit dem Wissen, dass auch die westliche Kultur daran arbeitet, allerdings mit plumperen Mitteln, nicht weiter verwunderlich. Verwunderlich ist nur, dass gerade die Japaner, die mit so vielen Katastrophen gebeutelt sind, nicht das wahre Problem erkennen. Lieber tot als matrifokal?

Abschließend möchte ich großen Dank sagen an alle, die mich immer wieder ermahnt haben, schnellstens weiterzuschreiben: Anne Busch und Stephanie Gogolin für ihre philosophischen und psychologischen Anmerkungen zu den Phänomenen des Patriarchats; Kirsten Armbruster, die mir mit ihren Büchern und am Telefon viele wertvolle Anregungen und Hinweise gab; Bärbel-Regine Steinmetz, die mir wertvolle Hinweise zu den Bergheiligtümern lieferte; Eric Biermann, dafür dass er mir die Gelegenheit gab, den Vortrag über den Sumō vor archäologischem Fachpublikum zu halten. Ein großer Dank geht an Walter Weiss für die fachkundige Durchsicht und Korrektur von Teil 1 dieses Buches und an diejenigen, die mir ihre Bilder zur Verfügung stellten: Rotislav Oreshko sowie die Fotografinnen und Fotografen bei Wikimedia Commons. Ich danke ganz besonders meinem lieben Holger für seine Unterstützung und sein allzeit offenes Ohr.

Gabriele Uhlmann

(Braunschweig im September 2015)

Lesehinweis

Die Namen der in diesem Buch vorgestellten Göttinnen und Götter sind bei ihrer ersten Nennung kursiv geschrieben. Die Zeitangaben vor der Zeitenwende sind mit „v“ gekennzeichnet, wo nötig tragen Angaben nach der Zeitenwende ein „n“. Ich habe mich für Fußnoten (FN) statt Endnoten entschieden, damit lästiges Blättern nicht verhindert, dass wichtige Randbemerkungen übersehen werden. Einige Namen sind mit Trennstrichen in Silben geteilt, dies dient der Hervorhebung bedeutsamer Silben. Hethitische Namen beinhalten häufig ein š, welches ich, außer in Zitaten, in die Sprechweise sh geändert habe.

Zum Weiterlesen

Ich möchte auch auf meine Website gabriele-uhlmann.de verweisen, wo ich viele ergänzende Infomationen zur Verfügung stelle.

i Zitiert und paraphrasiert nach Krieger 2006, S. 149

ii Zitiert und paraphrasiert nach Chemaly 2012

iii Vgl. Melchert 2015

iv Zitiert und paraphrasiert nach der Inhaltsangabe auf http://www.offizin-verlag.de/ (2015)

v Peter Brabeck-Letmathe in: Wagenhofer 2005. https://www.youtube.com/embed/deSClqx-Dx8

vi Quelle: http://blog.zettmann.de

vii Lau 2001, S. 126

viii Dank an die Patriarchatsforscherin Stephanie GOGOLIN, http://stephanieursula.blogspot.de/

xIbid. S. 336

xiIbid. S. 337. Dass Mütter auch freiwillig in die Familie des Vaters wechseln, trägt meiner Meinung nach der beinahe geschwisterlichen Freundschaft Rechnung, die Mütter zu ihrem Sexualpartner entwickeln können.

xii Hansen 2006, Bd. 1, S. 1. Meine Hervorhebung.

xiii Gimbutas 1996, S. 324. Zu der Kampagne gegen Maria GIMBUTAS, erstmals ausführlich besprochen von Gerhard BOTT (Internet 2011, in Buchform 2014, S. 50 ff), habe auch ich mich 2012 in meinen Buch „Archäologie und Macht – Zur Instrumentalisierung der Ur- und Frühgeschichte“ ergänzend geäußert.

xiv Vgl. Gimbutas 2010

xv Die Erforschung der Entstehung des Patriarchats und seiner beginnenden Konsolidierung, die ins Chalkolithikum fällt, also auch der vermeintlichen Entstehungszeit der Felsbilder am Latmos, wird heute ausschließlich im Rahmen der sog. CITIZEN SCIENCE betrieben. Diesen Begriff lernte ich von dem Wissenschaftstheoretiker Peter FINKE (2014), der über die Bedeutung außeruniversitärer Forschung und ihrer unabhängigen Kontrollfunktion forscht.

xvi Siehe dazu Uhlmann 2012

xvii Siehe hierzu Bott 2009, Uhlmann 2012, Armbruster 2010-2014.

xviii Siehe ausführlich Claus 2014

xix Walker 1995, S. 298

1

Kabale und Wetter

Schönwetterarchäologie im Tragetuch unserer Kultur

Das Latmos-Gebirge an der südwestanatolischen Küste ist eine gigantische Fundstätte prähistorischer Felsbilder. Über 170 gemalte Szenen und Einzelbilder wohl aus der späten Jungsteinzeit sind seit 1994 entdeckt worden. Vom Fuß des Gebirges bis in 930 m Höhe fand sie die Archäologin Anneliese PESCHLOW in nur schwer zugänglichen Höhlungen unter Felsüberhängen und Gesteinsabbrüchen, stets in der Nähe von kleinen Wasserläufen und Wasserstellen. Die Bilder zeigen Menschen, abstrakte Zeichen, Hände und nur sehr wenige Tiere. Mehr als die Hälfte der über 500 menschlichen Abbildungen identifizierte die Archäologin als weiblich. Diese sind im Profil mit ausgeprägtem Gesäß („steatopyg“) und mit gemusterter Kleidung auch detailreicher gezeichnet als die übrigen Figuren. Die Menschen sind meist in Gruppen unterschiedlicher Größe abgebildet und tragen häufig merkwürdige Kopfbedeckungen in T- und M-Form. „Nachdem vor kurzem am Fuß des Gebirges auch die zugehörigen Siedlungsplätze mit reichen Funden an Steinwerkzeugen und einer großen Menge an chalkolithischer Keramik entdeckt wurden, wozu in diesem Jahr noch drei Idole hinzugekommen sind, kann man jetzt von einer neuen Kultur, der Latmos-Kultur sprechen. (...) Die Felsmalereien des Latmos datieren wegen der Stilisierung der menschlichen Figur, der Ornamentik, die in vielem Übereinstimmung mit der Keramik von Hacılar zeigt, und den Funden aus den Wohnplätzen mehrheitlich in das 6. Jt. v. Chr”1, freut sich die Archäologin im Jahre 2004. Die Frage der Fragen lautet vor allem, was die Felsbilder darstellen. Auf der offiziellen Website des Latmos-Projektes http://latmos-felsbilder.de/ sind einige ausgesuchte Bilder zu sehen, zu denen wir lesen: „Zahlenmäßig überwiegen die Paardarstellungen von Mann und Frau. Hauptgegenstand der Felsbilder scheint demnach die Beziehung zwischen den Geschlechtern und die Familie zu sein. In dem einen oder anderen Fall könnte es sich um eine Hochzeitsszene handeln. Einen Hinweis auf die Familie geben die Bilder, auf denen neben Erwachsenen auch kleinere Gestalten vorkommen, mit denen Kinder gemeint sein könnten. Doch sind diese ’Familienszenen’ nicht als wirklichkeitsgetreue Wiedergaben bestimmter Ereignisse zu verstehen, sondern im Sinne einer Bildersprache als Chiffren für bestimmte Wertvorstellungen der damaligen Zeit. Das Paar von Mann und Frau kann im übertragenen Sinne auch als Symbol der Fruchtbarkeit aufgefasst werden“, und unter der Rubrik „Frühlingsfest“ zu einem Felsbild am Berg Göktepe (türk. „Himmelshügel“): „Thema des Gesamtbildes ist wahrscheinlich ein Frühlings- oder Hochzeitsfest, bei dem getanzt wurde und vielleicht bestimmte, mit diesem Anlass verbundene Fruchtbarkeitsriten vollzogen wurden.“2

Diese Sätze lenken die Gedanken in eine bestimmte Richtung: die Begriffe „Familie“, „Paar“ und „Hochzeit“ weisen auf eine idyllische Lebensweise, wie viele sie sich wünschen. Was aber nur Wenige wissen, ist, dass Menschen frühestens erst seit 8000 Jahren zu heiraten pflegen, und dass die Ehe die Basis des Patriarchats ist, eben jenes wenig idyllischen Systems, das wir als aufgeklärte Menschen eigentlich ablehnen müssen. Auch die Familie gibt es erst, seit es die Ehe gibt, denn sie ist soziologisch definiert als ein monogames Paar mit dessen ehelichen Kindern. Familien tragen traditionell den Namen der Väter, womit das Selbstverständnis von deren Linie geprägt ist. Vor der Erfindung der Ehe am Ende der Jungsteinzeit lebten die Menschen gemäß der Art homo sapiens in Sippen, die sich über die Mutterlinie definierten.

Das Patriarchat war nicht schon immer da, ist nicht die natürliche Lebensweise des Menschen, und ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. “Es passierte“ auch nicht einfach, sondern das Patriarchat wurde mit Gewalt durchgesetzt. Nun könnte man einwenden, dass die Latmos-Kultur ja auf genau den Zeitpunkt fiel, als das Patriarchat gerade errichtet wurde. Mit einer solchen Festlegung müssen wir aber vorsichtig sein, denn zum einen können die Felsbilder nicht zweifelsfrei den Siedlungsplätzen zugeordnet werden, könnten also noch viel älter sein. Die steatopygen Frauendarstellungen vom Latmos erinnern nämlich stark an altsteinzeitliche Felsbilder, wie wir sie z.B. auf den berühmten Schiefertafeln von Gönnersdorf vorfinden, und die vielleicht afrikanische Vorbilder haben. Eine Untersuchung der Farbpigmente kann darüber Aufschluss geben, wie alt die Bilder wirklich sind, sie wurde aber bislang noch nicht durchgeführt. Zum anderen begann das Patriarchat nicht überall gleichzeitig, und es gab auch die Rückkehr zur alten Lebensweise. Vielleicht hinderte PESCHLOW der enorme Zeitaufwand ihrer Feldforschung, sich über die Erkenntnisse der Patriarchatsforschung, die seit Jahrzehnten an Modellen zur Patriarchalisierung arbeitet, auf dem Laufenden zu halten. Nachvollziehbar ist, dass sie sich nicht der jahrzehntelang dominanten Matriarchatsthese nach GÖTTNER-ABENDROTH anschloss. Die bahnbrechende Arbeit von Gerda LERNER, die „Entstehung des Patriarchats“ (1991), hätte jedoch ihre Beachtung verdient. Die Revision archäologischer Funde mit neuen naturwissenschaftlichen Untersuchungen ist inzwischen unausweichlich. Nach epigenetischen Zahnuntersuchungen für den neolithischen Osthügel Çatal Höyük, konnte keine Verwandtschaft zwischen den zusammenwohnenden Männern und Kindern festgestellt werden3. Sind die Messdaten zuverlässig, hieße das vor allem, dass die Bewohner des Osthügels noch nicht in Familien lebten. Leider wurde für den chalkolithischen Westhügel bislang keine derartige Untersuchung angestellt. Bisher wurden die Ergebnisse auch nicht mit aDNA-Untersuchungen abgesichert, was Kritiker auf den Plan rief. Die Reaktionen drücken auch Unzufriedenheit über das vorläufige Ergebnis aus. Es ist nämlich ein wichtiges Indiz für eine vorpatriarchale, den Wildbeutern vergleichbare, matrifokale Lebensweise. Tatsächlich ist sie auch im Kult sichtbar. Die Untersuchungen der „Arbeitsgruppe Paläogenetik“ unter Leitung des Anthropologen Kurt ALT (Universität Mainz), die in diesem Jahr veröffentlicht wurden, bestätigen meine These (2012), dass es „Tanten, Onkel und Schwestern“ waren, die die Bandkeramik verbreiteten.4 Diese Feststellung, die heutzutage auch als „gender-politisch korrekt geschrieben“ gelesen werden kann, muss wörtlich genommen werden.

Und so ist nicht mehr haltbar, wie sich der Prähistoriker und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann PARZINGER in seinem jüngst erschienenen Monumentalwerk mit dem vielsagenden Titel „Die Kinder des Prometheus“ (zu Prometheus später mehr) über die Felsbilder vom Latmos äußert: „T-förmige Kopfaufsätze könnten Hörner darstellen, was so manchen Betrachter mal wieder an frühes Schamanentum denken ließ, ohne dass es dafür jedoch halbwegs überzeugende Belege gäbe. Das häufigste Bildthema sind aus Männern und Frauen bestehende Paare, auch Frauengruppen treten hinzu, die vielleicht als Mütter und Töchter zu deuten sind. Was auch immer die Bilder im Einzelnen wirklich darstellen mögen – sie alle drehen sich anscheinend um die Familie und um Riten im Zusammenhang mit Heirat, Zeugung und Geburt, mitunter scheint es, als hätten die Künstler gar Hochzeitsfeiern an die Felswände gemalt. Und gerade weil die Figuren in keinem Fall naturgetreu gemalt sind, dürfte es sich bei ihnen um ganz bewusst in dieser Weise gestaltete ikonographische Chiffren für bestimmte Vorstellungen gehandelt haben. So singulär dieser Befund einer neolithischen Felsbildstation derzeit auch scheinen mag – die hier ins Bild gerückten Themen haben jedenfalls nichts mehr mit der eiszeitlichen Vorstellungswelt der Jäger und Sammler des Jungpaläolithikums zu tun. Die Betonung der familiären Beziehungen, die zum alles beherrschenden Thema wird, spiegelt bereits die Lebenswelt und die Werte sesshafter Bauern wider.“5 Leider bleibt uns der Autor „halbwegs überzeugende Belege“ für dieses patriarchale Szenario schuldig, und er „übersieht“ völlig, dass in Familien die Betonung immer auf Vater und Sohn liegt, während Mutter und Tochter, wenn überhaupt, nur am Rande Beachtung finden. Aus patriarchatsideologischen Gründen ungefragt bleibt am Latmos, ob die Voraussetzungen für ein Patriarchat gegeben sind. Diese „wissenschaftliche Methode“, angewandt von „ordinierten Ordinarien“ (nach BOTT), zieht sich durch die Archäologie wie ein roter Faden.

Abb. 1Website http://www.latmos-felsbilder.de/0701.php?l=ger

Erfreulich ist, dass PESCHLOW in der Literaturliste ihres Bildbandes „Frühe Menschenbilder – Die prähistorischen Felsmalereien des Latmos-Gebirges“ GIMBUTAS aufführt, wenn auch nicht deren wichtigstes (Spät-)Werk. Als Mitglied der Herrschenden Lehre beweist sie damit seltenen Mut, gerät aber dennoch bei der Interpretation in einen Konflikt, da sie nicht patriarchatskritisch vorgeht. PESCHLOW meint z.B., in den Frauendarstellungen im Latmos die schon von GIMBUTAS kategorisierten, steatopygen Frauenstatuetten, z.B. aus der Vinča-Kultur, wiederzuerkennen.6 Doch so weit, sie als Relikte der matrifokalen Zeit zu besprechen, geht sie nicht. Daher passiert es leider unweigerlich, dass sie uns das Patriarchat als egalitär, heiter und natürlich präsentiert7. Ein friedliches Patriarchat ist aber eine mindestens ebenso große Illusion wie ein friedliches Matriarchat („Herrschaft der Mütter“). Wir können jedoch sagen, dass eine patriarchale Kultur umso friedlicher ist, je mehr matrifokale (nicht matriarchale) Züge sie aufweisen kann8, denn in der Tat sind rein matrifokale Völker nicht diktatorisch, imperialistisch, faschistisch, kapitalistisch, feudalistisch, sklavenhalterisch oder militaristisch, wenngleich sie sich durchaus auch verteidigen, wenn es darauf ankommt.

Die sicherlich unfreiwillige Reinwaschung des Patriarchats dürfte der türkischen Regierung und den Herren vom DAI natürlich sehr gefallen, und dafür werden gerne die Grabungserlaubnis und Gelder bereit gestellt. Eine Wanderausstellung tourte ab 2003 durch Deutschland, Italien und die Türkei mit dem Titel „Frühe Menschenbilder“, zu der sie den gleichnamigen Bildband verfasst hat. Darin sind die Fotos und Nachzeichnungen, die Kleinfunde sowie die Interpretation nachzuschlagen. Heute befinden sie sich in der Dauerausstellung des Museums der Universität Muğla. Die dreisprachige Website, für die Dr. Anneliese PESCHLOW-BINDOKAT verantwortlich zeichnet, ersetzt nun die internationale Präsentation der Ausstellung. Die Interpretation der Felsbilder hat sich unmittelbar in der Gestaltung der Website niedergeschlagen, d.h. im Hauptmenü wird bereits rigoros zwischen „Menschenbildern“ und „Götterbildern“ unterschieden, und auch für das vermeintliche „Frühlingsfest“ gibt es einen eigenen Button, als könne es daran keinerlei Zweifel geben. Dabei findet sich unter „Götterbilder“ lediglich ein einziges Felsbild besprochen, nämlich das der Karadere-Höhle, das sie zur Unterstützung ihrer These allein stellen muss und das auch die Kopfzeile der Website ziert. (Abb. 1)

Die patriarchale Annexion in der ausgehenden Jungsteinzeit – Vorbild für den Latmos?

Das sog. Chalkolithikum, die Kupfersteinzeit am Ende der Jungsteinzeit, zu der die Latmos-Kultur gezählt wird, können wir bereits dem Frühpatriarchat zurechnen, jedoch mit einer großen Einschränkung. Aus der Ethnologie ist bekannt, dass matrifokale Völker bis heute dazu neigen, die Erde als Große Mutter zu verehren, Bergbau sich ihnen von daher verbietet. Diese Grundhaltung steht der patriarchalen Auffassung von der Erde als Untertan noch diametral entgegen. Allerdings wurde seit der zweiten Hälfte des 6. Jts. in Europa erstmals mit gediegenem Oberflächenkupfer experimentiert, was sicherlich ebenso wenig anstößig war wie die Jahrhunderttausende alte Herstellung von Steinwerkzeugen.

Aus der ethnologischen Betrachtung heraus muss die Große Mutter vor Beginn des Bergbaus ihrer Unantastbarkeit beraubt worden sein. Dafür bereitete die Viehwirtschaft den Boden, aus der der Mann den Führungsanspruch über die Frau abzuleiten begann. Die Organisation des Bergbaus und die Fertigung von Metallgegenständen lag daher sicherlich seit Anbeginn in der Hand ehemaliger Viehzüchter und führte zum Aufstieg regionaler Herrscher, die ihre Claims kriegerisch abgesteckten. In der Frühzeit des Bergbaus – ab ca. 4300v wurde Kupferabbau unterirdisch betrieben, und zwar erstmals an der Donau in Rudna Glavo bei Belgrad – war noch nicht allen Sippen bekannt gewesen, wie dieses Metall gewonnen wird, wurde es doch meist von weither verhandelt. In ihrer Ahnunglosigkeit dürften viele matrifokale Sippen ihre landwirtschaftlichen und handwerklichen Produkte für Metallgegenstände eingetauscht haben, was in der Archäologie zu falschen Schlussfolgerungen führen kann, wie offenbar bei den zwei Objekten, die in der Malkayası-Höhle/Latmos gefunden wurden und möglicherweise aus Kupfer bestehen.9

Die Herrschende Lehre rätselt darüber, warum der Kupferbergbau im Donau-Gebiet Südosteuropas um 3800v für Jahrhunderte aufgegeben wurde10. In den Alpen kam die Kupferproduktion gegen 3300v zum Erliegen, und ab diesem Zeitpunkt sind in Südskandinavien für 1000 Jahre keine Kupferimporte mehr nachweisbar.11 Erkannten die Menschen den Zusammenhang zwischen Bergbau und Naturzerstörung? Vielleicht waren Naturereignisse, wie der katastrophale Erdrutsch am Mondsee, mit dem die nun wichtigste Kupferbergbau betreibende Kultur, die Mondsee-Kultur (ab ca. 3800v), gegen 3300v untergegangen war12, als Zorn der Großen Mutter gedeutet worden. Eine moralische Umkehr könnte die Ursache für die Rückkehr in eine rein neolithische Lebensweise sein. Erst um 2000v mit Beginn der Bronzezeit wurde wieder Kupfer abgebaut, ab jetzt in größerem Umfang als je zuvor.

Der Übergang von der matrifokalen Lebensweise ins Patriarchat der Viehzüchter und Metallurgen vollzog sich in abgrenzbaren Kulturphasen13, aber regional sehr uneinheitlich in Insellagen und mit vorläufigen Rückschlägen14, und ist global gesehen bis heute nicht vollständig abgeschlossen. Daher ist es kein innerer Widerspruch der Patriarchatsforschung, eine matrifokale Kultur im Chalkolithikum zu verorten. Nach der Datierung der Felsbilder am Latmos, wie PESCHLOW sie vornimmt, schließen sich die Felsbilder auch an den chalkolithischen Westhügel von Çatal Höyük15 in Zentralanatolien an, das in dieser Zeit schlagartig unterging. Obwohl wir in Çatal Höyük Rinderhörner in großen Mengen als Wandinstallationen vorfinden, kann von Viehzucht im großen Stil keine Rede sein, weder im Ost-, noch im jüngeren Westhügel. Die Herdenhaltung war dagegen – der Biologie der Tiere geschuldet – ursprünglich eine nomadische Wirtschaftsweise, die in der eurasischen Steppe und in den Gebirgsregionen des Nahen Ostens entstand und für die Çatal Höyük im Ost- und Westhügel keine Hinweise liefern kann. Stiere waren, auf den Wandfresken erkennbar, wie Hirsche und Eber noch Jagdbeute, doch erste Rinder, nämlich die Kühe, wurden gehalten, um deren Milch für die Hartkäseherstellung zu gewinnen; dies belegen Milchreste an Keramik und die nachgewiesene Laktoseintoleranz der Bevölkerung (Hartkäse ist laktosefrei). Die Milchgewinnung und -verarbeitung oblag den Frauen, die einst Freude an der Aufzucht verlassener Jungtiere gefunden hatten und so erste einzelne Rinder und im Übrigen auch Schafe und Ziegen domestizierten. Ich vermute, dass die Bukranien die Hörner der geliebten Haus-Kühe waren, deren sterbliche Überreste zwar nicht in Gänze, wie die Menschen, im Hause bestattet werden konnten, aber durch ihren Schädel vertreten weiterhin unter den Lebenden verblieben.

Begleittiere der Muttergöttin waren dagegen zwei Großkatzen oder Großkatzenkinder. Entsprechende Plastiken wurden in Çatal Höyük gefunden, eine in einem Getreidespeicher.16 Weil die Abbildungen aus Çatal Höyük Leoparden und nicht Löwen darstellen, ist das Geschlecht der Tiere uneindeutig. Wären sie Löwinnen, könnten sie Matrilinearität anzeigen. Die Herrschende Lehre versucht daher, sich um die lästige Diskussion zu drücken. Eine verharmlosende Deutung der Göttin als „Herrin der Tiere“, wie die Herrschende Lehre sie vornimmt, ist völlig abwegig, weil wir in Çatal Höyük noch keine Herrschaftsstrukturen vor uns haben, und weil Wildkatzen noch bei ihren bronzezeitlichen Nachfolgerinnen Schutzgöttinnen sind.

Tiere sind dagegen auf den Felsbildern des Latmos-Gebirge auffällig selten abgebildet. Ein „gehörntes“ Tier wird von PESCHLOW als weidendes Rind angesehen. Da Rinder natürlicherweise Herdentiere sind, müsste es sich um eine domestizierte Milchkuh handeln, aber wo ist dann das Kalb? Ist es das Tier gleich daneben, das eher einem Pferd ähnelt? Darunter scheinen noch zwei menschliche „Paare“ abgebildet zu sein, zwei Frauen und zwei Männer. Ein anderes Felsbild zeigt sehr wahrscheinlich ein Muttertier mit einem Jungtier.17