Der Heilmacher - Daniele Zawada - E-Book

Der Heilmacher E-Book

Daniele Zawada

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Beschreibung

> Ich glaube, das Schlimmste, was man dem Leser antun kann, ist, ihn zu unterschätzen < Günter Grass Haben Sie sich schon mal mit den Fragen beschäftigt, wann eine Waschmaschine streiken gehen würde und woran man einen seriösen Kundendienst erkennt? Oder was passieren würde, wenn Chuck Norris bei Ihnen vor der Tür steht?.Dieses Buch beantwortet diese und andere Fragen, die Sie sich vermutlich noch nie gestellt haben. Mit Geschichten, die nur das Leben selbst schreibt. Nach dem Lesen werden Sie nicht nur Kundendiensttechniker mit ganz anderen Augen sehen

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WAHRE GESCHICHTEN AUS DEM KUNDENDIENST

MIT ILLUSTRATIONEN VON ISABELLE SOPART

--

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

Das Gerippe

Der Waschmaschinen-Columbo

Trauerarbeit

Menschen mit Behinderungen

Berlin

Geldwäsche

F30

Die Roboter

Der Weg ist das Ziel

Bitte helfen Sie mir nicht!

Verschlafen

Vier Jahreszeiten

Völlig krank

Fundstücke

CL

Beschwerdemanagement

Die Frau des Zahnarztes

Feedback

Alternative Wohngemeinschaft

Verbeult und verpeilt

Geräusche in Pinneberg

Weichspüler

Die Insel

Komplett geschützt

Alltag

Die Messifrau

Sprachgenies

Der Waschtrockner

Geiz ist geil

Hobbys

Prominenz

Kunde nach DIN 18065

Humorpotential

Verkehr

Beziehungsstress

Verantwortung

Profitipps

Marsmenschen

Nachwort

Einleitung

Achtung: Dieses Buch kann Spuren von Moral, Spannung, Meinungen und Holz enthalten! Bitte vorsichtig lesen! Darüber hinaus ist es nicht auszuschließen, dass auch andere Ansichten, Erfahrungen und Materialien auf diesem Planeten existieren. Und diese sogar klimaneutraler sind. Und selbstverständlich auch politisch korrekter.

Wer jedoch gerne Bücher liest, welche nicht unbedingt dem Mainstream entsprechen, ist hier genau richtig. Kommen Sie also gerne näher, treten Sie ein in die Welt eines Kundendiensttechnikers, Moralisten, Hobbydetektiven, Ratgebers, Seelentrösters und Spaßvogels.

Mein Name ist Daniele Zawada. Diejenigen, welche mich schon länger kennen, würden das wahrscheinlich bestreiten. Denn auf die Welt kam ich mit einem anderen Namen und es war ein langer Weg bis zu dem aktuellen, welcher sich möglicherweise in der Zukunft noch weiterentwickeln wird. Der Name Zawada kommt aus dem Tschechischen und heißt übersetzt so viel wie „Der, der sich anderen in den Weg stellt.“ Genau damit kann ich mich sehr gut identifizieren, jedenfalls im positiven Sinne, denn Menschen - und dazu zähle ich mich meistens auch - brauchen Grenzen und Zeiten des Innehaltens.

Der Vorname Daniel kommt ursprünglich aus dem Hebräischen und heißt übersetzt „Gott ist mein Richter.“ Da ich mich jedoch keiner bestimmten Religion zugehörig fühle, übersetze ich den Begriff Gott gerne mit Schicksal, das Schicksal weist mir also den Weg. In der Bibel ist Daniel ein Seher und Prophet, auch darin kann ich mich im übertragenen wie im konkreten Sinne ganz gut wiederfinden. Ich konnte schon immer gut sehen und manchmal auch das Wetter voraussagen. Zumindest dann, wenn am nächsten Tag zuerst die Sonne schien und es danach regnete.

Kurz nachdem ich angefangen hatte, dieses Buch zu schreiben, brach die Corona-Epidemie aus, viele Menschen haben unter den Folgen gelitten. Viele hatten diffuse Ängste oder waren indirekt mit Problemen konfrontiert, die wir uns alle vor dieser Krise nicht einmal annähernd hätten vorstellen können. Ein Thema hat mich dabei persönlich am meisten beschäftigt, nämlich das der häuslichen Gewalt, welche statistisch nachweisbar in dieser Zeit stark zugenommen hatte, und zwar in vielen Ländern, nicht nur in Deutschland. Leider wurde ich selbst in meiner beruflichen Funktion als Kundendiensttechniker im Laufe des Berufslebens immer mal wieder mit diesem Thema konfrontiert. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich vor solchen Themen nie die Augen verschlossen habe, wie es offensichtlich viele Menschen tun. Häufig sicherlich aus Gründen des Selbstschutzes, oft genug aber auch schlichtweg aus purer Bequemlichkeit.

All diejenigen, zu deren Arbeit es gehört, andere Menschen zuhause zu besuchen, mit welcher Mission im Gepäck auch immer, tragen aus meiner Sicht eine nicht zu unterschätzende Verantwortung. Daher ist es mir ein großes Anliegen, all diese Menschen dazu aufzurufen, die eigenen Sinne zu schärfen und lieber einmal zu viel Alarm zu schlagen als zu wenig. Nur allzu oft werden auch heutzutage noch Kinder und auch Erwachsene in ihrer eigenen häuslichen Umgebung vernachlässigt und Opfer von Gewalt. Hinzu kommen unzählige Tiere, die leiden müssen und dabei von der Gesellschaft übersehen werden. In den Kapiteln „Trauerarbeit“ und „Menschen mit Behinderungen“ habe ich die dunkelsten Kapitel meines Berufslebens aufgeschrieben und ich hoffe sehr, dass sie auch für immer die dunkelsten Kapitel bleiben werden. Bertolt Brecht hat einmal gesagt: „Denn die einen sind im Dunkeln. Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Was für ein weiser Mensch Brecht gewesen sein muss.

Ironischerweise hat mir die zurückliegende Gesundheitskrise andererseits auch erst ermöglicht, dieses Buch in aller Ruhe zu schreiben und so ist es in deutlich kürzerer Zeit entstanden, als ich ursprünglich geplant und für möglich gehalten hatte.

Nach dieser kurzen Einleitung könnte vielleicht der Eindruck entstehen, dass dieses Buch düster ist und voller schwieriger Themen steckt, dem ist selbstverständlich nicht so. Denn Humor würde ich als meinen zweiten Vornamen bezeichnen und der kommt mit Sicherheit in diesem Buch nicht zu kurz. Zumindest in der Form, wie ich Humor verstehe. Wichtig ist an dieser Stelle noch anzumerken, dass alle verwendeten Namen von mir geändert und frei erfunden sind. Sie brauchen sich also nicht die Mühe machen, nach Familie Meyer in Stockelsdorf zu suchen. Familie Meyer war im Übrigen sehr nett und freundlich, so wie die allermeisten meiner Kunden. Doch dazu später mehr.

Ich war über 25 Jahre leidenschaftlicher Kundendiensttechniker für Hausgeräte. Früher sagte man zu den Hausgeräten auch „Weiße Ware“. Dazu gehören alle Großgeräte im Haushalt wie Waschmaschinen, Trockner, Kühlschränke, Herde, Geschirrspüler und Dunstabzugshauben, welche früher weiß waren und so ihren Namen erhielten. Parallel zur gesellschaftlichen Individualisierung brauchte es auch eine farbige Vielfalt, daher gibt es inzwischen Geräte in schwarz, braun, edelstahlfarben oder bunt. Ich habe für verschiedene große Hersteller gearbeitet, zumeist in Hamburg und Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Berlin. Meiner unfreiwilligen Aushilfswoche in Berlin im Sommer 2019 habe ich ein eigenes Kapitel gewidmet. Danke Berlin für die Erfahrungen, die ich dort machen durfte und musste. Oder zusammengefasst: machen murfte. Wie ich leider am eigenen Leibe erfahren murfte, bedeutet Kundendienst fahren in Berlin, nochmal eine völlig neue Dimension dieses Berufes kennen zu lernen, und zwar in jeglicher Hinsicht. Unterm Strich würde ich sagen, so etwas wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht! Liebe Grüße an dieser Stelle an alle Berliner, die sich in dieser Stadt wohlfühlen, ich gönne es Ihnen natürlich sehr.

Die Geschichten, von denen ich in diesem Buch erzähle, sind mir ausnahmslos tatsächlich genauso passiert. In dieser komprimierten Form könnte fast der Eindruck entstehen, als sei jeder Tag im Kundendienst voller Kuriositäten. Jedoch weit gefehlt, das Gegenteil ist eher der Fall. Die Mehrzahl der Arbeitstage verläuft wie in den allermeisten Berufen völlig normal und ohne besondere Vorkommnisse, was mir zumeist auch ganz recht war, wenn ich nach einem langen Tag und sieben bis neun Kundeneinsätzen wieder nach Hause kam und abschalten konnte. Es ist andererseits zweifellos so, dass ich immer mal wieder wirklich sehr ungewöhnliche Dinge erlebt habe, meistens kamen sie sehr unerwartet. Lustige und traurige, gruselige, kuriose oder einfach nur merkwürdige Geschichten, welche mich die ein oder andere schlaflose Nacht gekostet haben.

Ich wurde bereits mehrfach als Mensch mit erhöhter Sensibilität bezeichnet, vielleicht ist da etwas Wahres dran, doch einige Geschichten werden auch Sie möglicherweise ein wenig erschrecken oder verwundern.

Was tut ein Kundendiensttechniker für Hausgeräte im Normalfall? Zur täglichen Arbeit gehört es, fehlerhafte oder defekte Geräte zu reparieren und im Idealfall die vollständige Funktionalität dieser Alltagshelfer wiederherzustellen. Kundenberatungen, inklusive der Einweisung in die Gerätebedienung, nehmen in Zeiten der sich rasant entwickelnden Faktoren wie Ausstattungsvielfalt, Digitalisierung und der Einbindung von Geräten in das digitale Heimnetzwerk immer mehr zu. Oft zur Freude, immer häufiger jedoch auch zum Leidwesen der Kunden, weil diese mit ihren eigenen Geräten nicht mehr zurechtkommen. Gerade ältere Menschen können sie manchmal nicht mehr ohne fremde Hilfe bedienen oder haben Probleme bei der Erstinbetriebnahme.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass Kunden oft auch „Endverbraucher“ genannt werden, was für ein schreckliches Wort für einen Menschen, oder sind Sie etwa gerne ein Endverbraucher? Ich kann mir jedenfalls eine wertschätzendere Bezeichnung vorstellen. Endverbraucher klingt für mich nach irgendeinem Trottel, der kurz vor seiner Verendung steht, vielleicht übertreibe ich an dieser Stelle aber auch ein wenig.

Kleinere Gutachten und das Erstellen von Austauschanträgen gehörten darüber hinaus zu meinen spezifischen Aufgaben. Sei es, dass eine Gefährdung für den Kunden von einem Gerät ausging oder weil das Gerät aus welchen Gründen auch immer nicht reparabel war. Und damit wäre ich auch schon bei der ersten kleinen Geschichte angelangt, welche ich im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel als noch recht junger Techniker erlebte. Sie ereignete sich bei einer Familie arabischer Herkunft, der Auftrag lautete, eine defekte Waschmaschine ohne jegliche Funktion zu reparieren. Doch was dann passierte, ließ mich damals sprachlos zurück.

Das Gerippe

Schon im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses im seinerzeit noch sehr bunten Stadtviertel Sternschanze stieg mir ein unangenehmer Brandgeruch in die Nase. Als ich die Wohnung des Kunden betreten hatte, roch es, als wenn man nach einer langen Lagerfeuernacht am nächsten Morgen die Nase direkt an seine Klamotten hält, nur noch etwas künstlicher, wie nach verbranntem Kunststoff. Ich hatte das dringende Bedürfnis, mir ein Tuch vor die Nase zu halten, hielt es jedoch für ein nicht sehr freundliches Verhalten, sodass ich darauf aus Rücksicht auf den Kunden verzichtete, auch wenn natürliche Reflexe immer ihre Berechtigung haben und es aus gesundheitlichen Gründen durchaus angezeigt gewesen wäre, sich vor diesem giftigen Gestank ein wenig zu schützen.

Der Strom war offensichtlich abgestellt worden und demzufolge gab es kein funktionierendes Licht in der weitläufigen Altbauwohnung, in der es nur wenige Möbel gab. Dafür jedoch einen langen Flur und viele Zimmer, die links und rechts von diesem Flur direkt abgingen. Beim Vorbeigehen an der Küche erblickte ich zu meiner Überraschung ca. ein Dutzend Personen rund um einen Tisch sitzend. Es waren auch ein paar Kinder unterschiedlichen Alters dabei, die Erwachsenen diskutierten lautstark in einer Sprache, die ich nicht verstand, während sie mich sehr freundlich anlächelten. Ich hatte nicht erwartet, dass sich Menschen unter diesen Umständen in den Räumen aufhalten würden, doch ich lächelte mein freundlichstes Lächeln zurück und wünschte einen guten Tag, was ebenfalls mit freundlichen Gesten beantwortet wurde. Die sich offenbar für meinen Besuch verantwortlich fühlende Frau, deren Alter ich irgendwo zwischen 30 und 40 Jahren schätzte, führte mich weiter zu einer Tür, welche in ein fensterloses Badezimmer hineinführte. Ich konnte es jedoch nicht gleich als solches identifizieren, denn es war darin schwarz wie die Nacht.

Die Frau wies für meinen Geschmack einen Tick zu vehement in den Raum hinein, da ich jedoch überhaupt nichts sah, kramte ich die Taschenlampe aus meinem Werkzeugkoffer hervor und knipste sie an. Als ich in das Badezimmer leuchtete, traute ich meinen Augen im ersten Moment kaum. Dort stand nur noch das Gerippe einer völlig verkohlten Waschmaschine, selbst das Gehäuse war schwarz verrußt und das gesamte Innenleben der Maschine war zusammengeschmolzen. Übrig geblieben war ein schwarzer, undefinierbarer Klumpen, und zwar dort, wo einst die Trommel, der Motor, eine Laugenpumpe, die Elektronik und die restliche Technik sinnvoll angeordnet gewesen sein mussten. Erst jetzt wurde mir schlagartig klar, dass diese Waschmaschine offensichtlich die Ursache für den Brand und den beißenden Geruch gewesen sein musste. Mir ist bis heute nicht klar, ob die Feuerwehr gerufen wurde oder ob die Familie möglicherweise den Brand in Eigenregie gelöscht hatte.

Mein Kopfkino war in vollem Gange: die Frauen und Männer hatten möglicherweise nach den verzweifelten Hilferufen der Kundin hektisch Wasser in Eimern aus der Küche mithilfe einer Menschenkette zum Badezimmer transportiert, um die Waschmaschine damit zu überschütten und das Feuer zu löschen, was zu noch viel mehr Rauch und Qualm geführt haben musste. Nach lautstarken Diskussionen und noch viel mehr Löschwasser waren die Flammen dann vielleicht irgendwann kleiner geworden und letztlich mithilfe diverser Decken, welche über das Gerät geworfen wurden, erloschen. Soweit jedenfalls der Film, der sich in meinem Kopf abspielte.

Es kommt nicht oft vor, dass ich sprachlos bin, schon gar nicht in meiner Funktion als Techniker, da ich ja zumeist eher die agierende Person bin. Doch in dieser Situation verschlug es mir zunächst komplett die Sprache, was sollte man in diesem Moment auch sagen? „Überhaupt kein Problem, Frau Aykut, ein oder zwei Schrauben nachziehen und dann können Sie wieder waschen!“. Es fehlte mir vielleicht an Einfühlungsvermögen, um nachvollziehen zu können, dass die Kundin sich erhoffte, dass ich diesen vollkommen verkohlten Schrotthaufen wieder zum Leben erwecken könnte. Sie gaben mir trotz der Sprachbarriere zu verstehen, dass sich inzwischen sehr viel schmutzige Wäsche von der Großfamilie angehäuft hatte und daher dringend Wäsche gewaschen werden müsste, wofür ich grundsätzlich volles Verständnis hatte. Das Einzige, was ich hier jedoch tun konnte, war einen Austauschantrag für ein Neugerät zu stellen und einen Gefahrenbericht zu schreiben. Wobei dieser Schadensbericht mit den beigefügten Fotos vom Ort des Grauens letztlich kaum technisch verwertbare Informationen enthielt. Stattdessen sorgte er wahrscheinlich eher für Kopfschütteln und Gelächter in der zuständigen Abteilung unserer Firma. Leider habe ich nie erfahren, wie die Entscheidung der Abteilung ausfiel. Dieser Familie habe ich selbstverständlich nichts übelgenommen, so wie ich sehr selten Kunden ihr Unverständnis übelgenommen habe, weil sie ja eh schon den Schaden an ihrem Hausgerät hatten. „Wer den Schaden hat, braucht für mein Mitgefühl nicht zu sorgen.“ Ein sehr altes Sprichwort, oder täusche ich mich?

Solche Erlebnisse lassen letztlich den Amateur im Laufe der Zeit zum Profi werden und ließen auch mich bald diese gewisse Gleichgültigkeit entwickeln, welche die alten Hasen ihres Faches innehaben. Jedenfalls war ich damals noch ziemlich schockiert darüber, wie unterschiedlich subjektive Wahrnehmungen sein können. Nach einem solchen Brand wäre wahrscheinlich nicht nur für mich die einzige Konsequenz die Flucht aus der Wohnung gewesen. Doch diese Familie hatte offenbar noch erheblich Schlimmeres erlebt und fand es daher völlig okay, in diesem beißenden Gestank weiterzuleben, so als sei nie etwas Ungewöhnliches passiert.

Der Waschmaschinen-Columbo

An einem schönen, warmen Sommertag fuhr ich, wie so oft vollkommen nichtsahnend von dem, was mich beim nächsten Kunden erwarten würde, in einen kleinen Wohnort in der Nähe der schönen Hansestadt Lübeck. In Reichweite zur Kundenadresse parkte ich den Kleintransporter, ging los und drückte schließlich auf einen Klingelknopf, welcher zu einer sich im Erdgeschoss befindlichen Wohnung eines kleinen, gepflegten Mehrfamilienhauses gehörte. Der Summer ertönte, ich stieß die Haustür vorsichtig mit dem Fuß auf und erklomm mit meinen beiden Koffern - der eine bestückt mit allem nötigen Werkzeug und der andere mit einem Laptop, dem dazugehörigen Equipment, einem Reisedrucker, dem EC-Kartengerät und allerlei Krimskrams - die paar Stufen hinauf zur Wohnungstür, an der mich bereits Herr und Frau Meyer erwarteten.

Die Eltern zweier Kinder empfingen mich, wie ich es gewohnt war, freundlich und erwartungsfroh und baten mich, in die Wohnung einzutreten. Mir wurde jedoch nicht gleich der direkte Weg zum Sorgenkind, der nicht funktionierenden Waschmaschine, gezeigt, so wie es bei den meisten Kundendienstbesuchen üblich ist, sondern man bat mich zunächst, mich an einen kleinen Esstisch zu setzen.

An dem Tisch standen neben den beiden Stühlen für die Erwachsenen noch zwei Kinderhochstühle und als ich mich hingesetzt hatte und dankend den angebotenen Kaffee ablehnte, wurde mir aufgrund dieses gerade abgelaufenen Rituals langsam aber sicher bewusst, dass der Grund für diesen Einsatz keine Lappalie sein würde.

Ich fragte also nach dem Grund für die Reklamation und Herr Meyer holte vergleichsweise weit aus. Er hätte die Waschmaschine erst vor wenigen Monaten gekauft und im Keller aufgestellt und dorthin würde seine Frau regelmäßig morgens gegen kurz nach acht Uhr die schmutzige Wäsche hinuntertragen und das Gerät starten.

Ich hakte nach, ob in dem Keller schon immer eine Waschmaschine gestanden hatte, und Frau Meyer erklärte mir, dass von dem Vormieter ebenfalls schon ein Gerät dort betrieben wurde und es sich bei dem Aufstellort zudem um einen abschließbaren Einzelkeller handele.

„Zwei Stunden später“, führte Herr Meyer weiter aus, „geht meine Frau wieder in den Keller, um die fertige Wäsche zum Trocknen aufzuhängen. Dann ist die Wäsche nicht wie zu erwarten gewaschen und geschleudert, sondern liegt in der Waschlauge. Daher ist die Wäsche dementsprechend noch klitschnass und das Display zeigt immer wieder die ursprüngliche Waschzeit von 2h:32min an. So, als hätten wir den Waschgang nie gestartet."

„Nun gut," sagte ich, „lassen Sie uns bitte in ihren Keller gehen, damit ich mir das Gerät näher anschauen kann."

Frau Meyer schaute mich etwas verbittert an und ihr Mann fragte mich, ob es nicht möglich sei, gleich ein neues Gerät im Austausch zu bekommen. Es sei gerade erst ein paar Monate alt und den Austausch hätte der Händler, bei dem das Gerät gekauft wurde, bereits telefonisch in Aussicht gestellt. Sie würden die Maschine schließlich fast täglich wegen der Kinder brauchen und könnten sich für die Reparaturtermine nicht mehrere Mal frei nehmen, wenn der Fehler nicht gleich gefunden würde.

„Moooment", dachte ich. Mein Berufsstolz war ein wenig angekratzt, ich sprach es jedoch nicht aus. Ich würde den Fehler möglicherweise nicht gleich finden? Ich antwortete daher großspurig, dass die Fehlerdiagnose und Reparatur für mich als erfahrenen Fachmann sicherlich kein großes Problem darstellt und ein Austausch des Gerätes nicht so einfach möglich sei, da die Voraussetzungen für einen Gerätetausch noch lange nicht erfüllt seien. Daher würde ein Austauschantrag beim Werk sehr wahrscheinlich abgelehnt werden. Ein wenig zerknirscht, aber in der Sache überzeugt, ging das Kundenpaar mit mir in den Kellerraum, in dem sich das angebliche Problemgerät befand.

Ich führte zunächst einmal eine Sichtprüfung des Gerätes und schaute mir die Art und Weise der Installation genau an, fand jedoch keinerlei Auffälligkeiten, welche das geschilderte Problem hätten erklären können. Also ließ ich routinemäßig das Prüfprogramm durchlaufen, bat Frau Meyer vorher, Wäsche in die Trommel zu geben und las nach fehlerfreier Beendigung des Programmes anschließend noch den Fehlerspeicher aus. Es war jedoch kein Fehler von der Elektronik hinterlegt worden.

Viele Waschmaschinen haben tatsächlich einen Fehlerspeicher und der Speicher dieses Gerätes konnte eventuelle Fehler der letzten acht Waschgänge anzeigen. Doch wie gesagt, dieser Fehlerspeicher war leer. Ich ließ mir von Frau Meyer nochmal genau erklären, wie sie das Gerät bedient, in der Hoffnung, sie würde einen Bedienfehler offenbaren und ich könnte den Knoten damit lösen - doch wieder Fehlanzeige. Die Kundin hatte offenbar die Gebrauchsanleitung gelesen, so ein Mist aber auch!

Also erklärte ich, dass es sich bei dem defekten Bauteil nur um die Elektronik handeln könne, und Herr Meyer fragte mich, wie ich zu diesem Schluss komme. Ich antwortete ihm mit der mir in dieser Gemengelage größtmöglichen Sicherheit im Auftreten bei doch zu viel Ahnungslosigkeit: „Ganz klar nach dem Ausschlussprinzip! Alle Bauteile funktionieren einwandfrei und werden im Fehlerspeicher nicht als fehlerhaft erkannt. Bei der elektronischen Steuerung verhält es sich jedoch wie bei einem geisteskranken Menschen, sie erkennt selbst nicht, dass sie fehlerhaft ist und daher wird auch kein Fehler im Speicher hinterlegt.“

Nun war ich an einem Punkt angekommen, vor dem ich mich bei meinen Kundendiensteinsätzen immer am meisten gefürchtet habe: Ich musste dem Kunden schonend beibringen, dass ich das Ersatzteil leider nicht im Auto vorrätig hatte und es daher bestellt werden musste, was ungefähr zwei Wochen dauern würde. Dann aber könne das Gerät selbstverständlich repariert und ohne Probleme wieder benutzt werden, teilte ich Herrn und Frau Meyer mit. Sie waren nur sehr überschaubar begeistert von dieser Information und fragten mich, nachdem sie den ersten Schock überwunden haben, wo sie denn nun in den kommenden zwei Wochen ihre Wäsche waschen sollten. Ich hatte diesen Moment schon zig Male erlebt und hasste ihn immer wieder. Und zwar mit zunehmender Tendenz. „Für Ihren Unmut habe ich vollstes Verständnis. Sie können natürlich versuchen, über Ihren Händler eine Ersatzmaschine zu bekommen zur Überbrückung für die Zeit bis zur Reparatur Ihres Gerätes“, antwortete ich, kannte die Wirklichkeit jedoch leider besser. Kaum ein Händler hält heutzutage noch solche Ersatzgeräte für Kunden bereit, früher gab es so etwas, heute gehört diese Form des kundenorientierten Verhaltens längst zu den guten alten Zeiten.

Mit schlechtem Gewissen verabschiedete ich mich von Familie Meyer und machte mich schnell auf den Weg zurück zum Auto, nicht ohne jedoch vorher die elektronische Steuerung bestellt und einen neuen Reparaturtermin zwei Wochen später vereinbart zu haben.

Drei Wochen später (es dauerte natürlich mit der Lieferung der Ersatzteile länger als erhofft): Es war Hochsommer in Deutschland und brütend heiß geworden, ich schwitzte wie ein Schwein; die nicht vorhandene Klimaanlage in meinem Firmenwagen versuchte ich mit heruntergelassenen Seitenscheiben zu ersetzen. Der warme Fahrtwind blies mir seitlich ins Gesicht, während ich vorsorglich darüber nachdachte, was ich tun würde, sollte der Austausch der elektronischen Steuerung der Waschmaschine von Familie Meyer nicht wie gewünscht den Fehler beheben. Kurze Zeit später stand ich vor dem Gerät und machte mich ans Werk. Nach einer dreiviertel Stunde war es vollbracht, die Waschmaschine von Familie Meyer hatte eine neue elektronische Steuerung und ich schrieb einen Reparaturbericht, ließ ihn mir von Frau Meyer unterschreiben und gab der Kundin einen Durchschlag für ihre Unterlagen.

Ich erklärte ihr, der Fehler sei nunmehr beseitigt, versuchte dabei so überzeugend wie möglich zu wirken und ermutigte die Kundin im Brustton der Überzeugung noch, sich wieder zu melden, sollten wider Erwarten weiterhin Probleme mit dem Gerät auftreten.

Keine zwei Wochen später hatte ich einen Auftrag auf meinem Tourenzettel, welcher ein flaues Gefühl in meinem Magen verursachte: Den Auftrag hatte Familie Meyer erteilt, es handelte sich bei dem reklamierten Gerät natürlich um die Waschmaschine und im Abschnitt „Fehlerangaben des Kunden“ stand kurz und furztrocken: „Gleicher Fehler“. Manchmal kann dieser Beruf echt eklig sein! Ich fragte mich, warum zur Hölle ich nicht Busfahrer oder Skilehrer geworden war. Ich fuhr also wieder nach Stockelsdorf und zerbrach mir bereits auf dem Weg dorthin den Kopf, was als Ursache überhaupt noch in Frage hätte kommen können.

Mir fiel jedoch nichts Gescheites mehr ein und so klingelte ich bei Familie Meyer ohne jeglichen konkreten Plan. Frau Meyer erklärte mir erneut, es sei jedes Mal das Gleiche. Ihre Wäsche würde immer in einer seifigen Waschlauge liegen, wenn sie einige Zeit nach dem Starten des Waschganges wieder in den Keller gehen würde, um nach der Wäsche zu schauen. Ich redete dieses Mal nicht viel, in solchen Situationen neige ich dazu, äußerlich ganz ruhig zu werden, während es in mir brodelt und schwer arbeitet. Denn in diesen Situationen droht eine persönliche Niederlage über mich hereinzubrechen. Ein technisches Problem, welches ich als Spezialist nicht zu lösen imstande bin und möglicherweise die Kundenerwartungen nicht erfüllen könnte. Oh Gott, nein! Und nicht einmal im Ansatz konnte ich zu diesem Zeitpunkt eine Erklärung für dieses für den Laien wahrscheinlich eher wie eine lächerliche Kleinigkeit anmutende Problem abgeben.

Ich las noch einmal den Fehlerspeicher aus, welcher wie beim ersten Besuch leer war, führte noch einen kurzen Probelauf durch, welcher jedoch auch keine neuen Hinweise auf eine Lösung ergab und musste mich letztendlich geschlagen geben: „Ich werde den Austausch Ihres Gerätes beim Werk beantragen, in ca. ein bis zwei Wochen wird es geliefert. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern, das neue Gerät wird fachgerecht aufgestellt und angeschlossen und das defekte Gerät von meinen lieben Kollegen vom Austauschteam mitgenommen.“ Ich rief unsere Austauschabteilung an und setzte den Austauschprozess in Gang. Frau Meyer strahlte übers ganze Gesicht, was zumindest ein kleiner Trost war in dieser für mich unbefriedigenden Gesamtsituation.

Als ich wieder im Auto saß, war ich einerseits erleichtert, dem Kunden geholfen, andererseits enttäuscht, den Fehler nicht gefunden zu haben. „Abhaken“, dachte ich, „es gibt Wichtigeres im Leben und dem nächsten Kunden kann ich sicherlich schneller und besser helfen und Familie Meyer kann in spätestens zehn Tagen endlich wieder problemlos die Wäsche der kleinen Großfamilie waschen.“

Es waren wieder etwa drei Wochen vergangen, ich kam an einem Montagmorgen ins Büro und in meinem Postfach lag ein Zettel, auf dem stand: „Der Chef möchte dich sprechen!“ Normalerweise kein guter Wochenbeginn, denn die Vorgesetzten möchten uns Techniker eigentlich nur dann sprechen, wenn sich ein Kunde direkt bei der Geschäftsleitung über uns beschwert hat. Oder wenn man einen Fußgänger umgefahren und danach Fahrerflucht begangen hat. Wobei dann allerdings in der Regel das letzte Gespräch mit dem Vorgesetzten ansteht. Ich konnte mich jedoch an keinen umgefahrenen Fußgänger erinnern und übermäßig unzufriedene Kunden hatte ich in der vorangegangenen Woche nach meiner Einschätzung auch nicht, daher ging ich relativ entspannt zur Tür des Chefbüros und klopfte an.

Es stellte sich heraus, dass es sich bei dem Grund für das spontane Meeting um eine schriftliche Reklamation von Familie Meyer aus Stockelsdorf handelte. Die inzwischen ausgetauschte Waschmaschine hatte wieder exakt die gleiche Problematik gezeigt wie das alte Gerät und das Werk forderte von mir einen technischen Bericht zur Klärung des Sachverhaltes an.

Mein Vorgesetzter teilte mir noch mit, dass bereits am morgigen Tag wieder ein Besuch bei Familie Meyer für mich eingeplant worden sei. Er gab mir netterweise noch den Tipp, mich in dieser Angelegenheit doch mal mit meinem Kollegen zu besprechen, vielleicht hätte ja der ein oder andere noch eine Idee dazu. Wäre ich allein nie draufgekommen, Chefs wissen halt mehr. Wer nicht fragt bleibt dumm, hätte ich doch mehr Sesamstraße geschaut!

Als ich am nächsten Tag wieder in Stockelsdorf war und mit Familie Meyer durch die Kellergänge des Mehrfamilienhauses ging, schaute ich mich ein wenig dort um und fühlte mich dabei wie Inspektor Columbo in der gleichnamigen Krimiserie. Als wir vor dem Gerät standen, zeigte mir Frau Meyer das Resultat ihres letzten Waschversuches vom Vortag. Die Wäsche lag in der halb mit Wasser gefüllten Trommel, auf dem Display wurde die Waschdauer von 2h:32min angezeigt und die Startanzeige blinkte so, als wäre das Gerät gar nicht gestartet worden. Die Teilnehmer des Kellermeetings starrten mich an und warteten auf eine Erklärung.

Doch der Wind hatte sich überraschenderweise zu meinen Gunsten gedreht. Inzwischen hatte ich die entscheidende Eingebung gehabt und kostete diesen Moment daher ein wenig aus, wie einst Peter Falk alias Columbo, wenn er sein grüblerisches Gesicht auflegte, bevor er sich zum vermeintlichen Mörder, den er natürlich längst durchschaut hatte, nochmal umdrehte und den legendären Satz aussprach: „Eine Frage hätte ich da noch“. Ich sagte erstmal ein paar Sekunden lang nichts, es herrschte absolute Stille; ich liebe es, nach einer gefühlten Ewigkeit endlich eine Antwort auf eine schwierige Frage gefunden zu haben. So etwas passiert mir immer dann, wenn ich unbedingt eine Antwort brauche und eine Nacht darüber geschlafen habe. Ich wache morgens auf und plötzlich kenne ich sie, aus welchem Teil des Universums das auch immer kommen mag.

Ich fragte in die kleine Runde: „Haben Sie eigentlich Feinde hier im Hause?“ Etwas verdutzt schauten mich die Meyers an: „Wir wohnen ja noch nicht lange hier, aber bisher kommen wir mit allen ganz gut aus. Nee, es gibt eigentlich keine Probleme mit unseren Nachbarn", antwortete mir Frau Meyer. „Tja, eigentlich aber doch, denn ich denke, ich weiß jetzt, welchen Defekt Ihre Waschmaschine hat. Überhaupt keinen!" Ich machte wieder eine kleine Pause, um die Spannung auf die Spitze zu treiben." Das Problem liegt ganz woanders!“ Ich zeigte mit dem Finger an die Kellerdecke, legte einen dramatischen Gesichtsausdruck auf und fuhr fort: „Das Schlafzimmer Ihres Nachbarn liegt genau über diesem Kellerraum und ihr Nachbar arbeitet in der Nachtschicht und kommt morgens nach Hause und möchte dann verständlicherweise gerne schlafen.

Ich habe ihn gesehen, als ich zum ersten Mal zu Ihnen kam, er kam gerade in Arbeitskleidung nach Hause und verschwand in seiner Wohnung, welche genau gegenüber von Ihrer Wohnung liegt. Sein Schlafzimmer aber befindet sich direkt hier drüber, das ist an den Gardinen und Rollos von außen unschwer zu erkennen. Wenn Sie dann in den Keller gehen, um die Waschmaschine zu starten, beobachtet Sie Ihr Nachbar, geht kurze Zeit später selbst in den Keller und schaltet die Sicherung im Nebenraum, wo die Sicherungen für alle Kellerräume für jeden zugänglich sind, kurz aus und wieder an und schon wird er nicht mehr durch die Geräusche Ihres Gerätes in seinem leichten Schlaf gestört."

Diesmal dauerte es einige Sekunden, bis Herr Meyer antwortete: „Das ist ziemlich abenteuerlich, was Sie uns da als Erklärung auftischen. Daran glaube ich nicht und Sie können das

auch nicht wirklich beweisen, oder?“ Ich antwortete: „Nein, ich nicht, aber Sie können es leicht selbst überprüfen. Morgen früh um 8 Uhr gehen Sie einfach wie gewohnt in den Keller und starten die Maschine, danach gehen Sie in Ihre Wohnung und beobachten die Wohnungstür Ihres Nachbarn durch den Türspion und wir werden sehen, ob meine Theorie stimmt.“

Wir verabredeten uns am nächsten Tag zu einem Telefonat am Vormittag, doch mein Telefon klingelte schon um viertel nach acht und Frau Meyer erzählte mir, sie hätte ihren Nachbarn sofort zur Rede gestellt, als dieser sich gerade in den Keller schleichen wollte. Ich hatte also Recht behalten! Ein tiefes Glücksgefühl durchströmte mich und an diesem Vormittag gönnte ich mir einen extra Latte Macchiato bei meiner Lieblingsbäckerei.

In diesem ungewöhnlichen Ausnahmefall waren wirklich Columbo-Fähigkeiten gefordert, um letztendlich die Ursache zu finden und er hat mir damals als noch recht junger Techniker gezeigt, dass man als Waschmaschinenkommissar stets in alle Richtungen ermitteln muss. Zudem sollte man niemanden als Täter von vornherein ausschließen; in den Fernsehkrimis sind es schließlich auch häufig die Unscheinbaren, die sich am Ende als die Bösen herausstellen.

Trauerarbeit

Es war ein trüber, nebliger Tag im November. Ich war guter Dinge, als ich in Bad Segeberg, einer kleinen Kreisstadt, welche am ehesten durch ihre alljährlich stattfindenden Karl-May-Festspiele bekannt ist, bei einem Kunden im 1. Stock eines gepflegten Mehrfamilienhauses klingelte. Es dauerte etwas länger, bis der Summer ertönte und da kein Fahrstuhl vorhanden war, schleppte ich mich mit meinen beiden Koffern, welche zusammen ein stolzes Gewicht von rund fünfundzwanzig Kilogramm auf die Waage brachten, die Treppe hinauf. Dort wurde ich von einem Herrn, welchen ich auf Mitte fünfzig schätzte, in die Wohnung gebeten. Mir fielen sofort die vielen Schuhe auf, welche ordentlich aufgereiht im Regal des kleinen, schmalen Flures standen, etwa zwei Drittel Damen- und ein Drittel Herrenschuhe, woraus ich schloss, dass eventuelle Kinder bereits ihre eigenen Wege gegangen waren. Es konnte auch bedeuten, dass hier ein Ehepaar wohnte, welches kinderlos geblieben war. Ersterer Fall schien mir jedoch aufgrund der Zimmeranzahl und der Art, wie die Zimmer angeordnet waren, wahrscheinlicher.

Herr Schubert war sehr freundlich, bot mir einen Kaffee an und zeigte mir dann das Sorgenkind: ein etwa 5 Jahre alter Toplader, also eine von oben zu beladende Waschmaschine, welche im Badezimmer in einer Nische zwischen Waschbecken und Wand stand und gerade eben so genug Luft hatte, um beim Schleudergang nicht links und rechts anzuschlagen.

Laut der Fehlerbeschreibung des Kunden bei der telefonischen Reparaturannahme, startete das Gerät die Programme schlichtweg nicht mehr. Grundsätzlich ist das keine ungewöhnliche Fehlerbeschreibung, kann jedoch sehr wohl einige unterschiedliche technische Ursachen haben. Daher fragte ich Herrn Schubert, ob er noch genauere Angaben zu dem Fehler machen könne, ob die Maschine beispielsweise nur bestimmte Programme nicht starte oder ob er dies bei allen Programmen festgestellt habe. Die Antwort kam ein wenig zögerlich. Herr Schubert sagte, das Gerät würde überhaupt nicht funktionieren, egal was er auch ausprobiert hätte. Ich schloss also den Deckel des Topladers, schaltete das Gerät ein, stellte zunächst den Programmwähler auf das Kurzprogramm und drückte den Startknopf. Das Gerät fing sofort an Wasser zu ziehen und die Trommel begann sich hörbar zu drehen. „Komisch“, sagte ich zu dem Kunden, „das Kurzprogramm startet offensichtlich einwandfrei." Ich schaute Herrn Schubert fragend an, der regungslos dastand und schwieg. Ich schaltete das Gerät aus und gleich wieder an und startete dieses Mal ein Intensivprogramm, Baumwolle 60 Grad Celsius, welches genauso problemlos funktionierte wie zuvor das Kurzprogramm. Ich beobachtete eine Zeitlang den Programmablauf und konnte beim besten Willen nicht nachvollziehen, welcher Fehler sich vorher ereignet haben könnte. Herr Schubert stand noch immer im Türrahmen und schaute mir gedankenverloren zu und als ich gerade ansetzen wollte, ihm zu erklären, dass ich ein bisschen ratlos sei, bemerkte ich, dass ihm Tränen übers Gesicht liefen.

„Was ist denn passiert, geht es Ihnen nicht gut?“, fragte ich und sank vor Schreck auf den Badewannenrand. „Es tut mir furchtbar leid“, entschuldigte sich Herr Schubert, „es ist wahrscheinlich wirklich überhaupt nichts mit der Waschmaschine. Das Problem ist, Sie konnten das ja nicht wissen, meine Frau hat sonst immer unsere Wäsche gewaschen und daher kannte auch nur sie sich mit dem Gerät aus. Ich habe schlichtweg keine Ahnung, wie man das Gerät bedient und daher ist wahrscheinlich dieses Missverständnis entstanden, dass ich geglaubt habe, die Maschine sei kaputt.“ Herr Schubert seufzte und holte tief Luft. Ich hatte nun endgültig nur noch Fragezeichen im Kopf.

„Seien Sie mir bitte nicht böse“, fuhr Herr Schubert fort, „ich stehe vollkommen neben mir. Letzte Woche bin ich morgens wie immer im Bett neben meiner Frau aufgewacht, aber sie antwortete mir nicht und rührte sich auch nicht mehr. Und dann habe ich einen Schock bekommen, sie war einfach so in dieser Nacht für immer eingeschlafen und lag nun ganz friedlich da und jetzt habe ich immer dieses Bild vor mir und seit einer Woche kein Auge mehr zugetan. Daher stehe ich gerade komplett neben mir und bin völlig fertig, ich bitte um Entschuldigung!“. Die Tränen kullerten aus seinen Augen, während er fürchterlich zu schluchzen anfing und seine Hände vor das Gesicht hielt. Meine Gedanken überschlugen sich: die Damenschuhe an der Wohnungstür, neben dem Badezimmerspiegel standen ihr Parfüm, die Schminksachen, Lippenstifte, Bürsten, ein Haartrockner. An der Seite hing ein rosafarbener Bademantel, alles so, als würden die Sachen jeden Tag wie selbstverständlich benutzt werden.

Ich musste einen Moment lang selbst mit den Tränen kämpfen, mich hatte die Situation komplett überrollt. In meiner Funktion als Techniker rechne ich immer mit vielem. Nicht aber damit, dass ein gestandener Mann vor mir steht und in Tränen ausbricht, weil seine geliebte Frau gerade vollkommen unerwartet und auf, für ihn, traumatische Art und Weise verstorben war und er zu diesem Zeitpunkt, weder Schock noch Trauer ansatzweise verarbeitet hatte.

Ich brauchte einen Moment, bis ich mich wieder gefangen hatte und fragte Herrn Schubert, ob er Hilfe bräuchte in dieser schweren Zeit. „Danke, ich komme schon irgendwie klar, es muss ja weitergehen“, sagte er. „Wenn Ihre Verzweiflung zu groß werden sollte und Sie nicht mehr weiterwissen, dann gehen Sie bitte zu Ihrem Hausarzt und lassen sich helfen, versprechen Sie mir das?“. Ich sprach noch eine ganze Zeit mit Herrn Schubert und als ich wieder im Auto saß, kam es mir vor, als sei ich selbst gerade aus einem bösen Traum erwacht.

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Noch ein Wort zu Thema Seelenklempner:

Gar nicht so selten kommt es vor, dass Handwerker, die Hausbesuche durchführen, in Situationen kommen, Menschen auf seelischer Ebene helfen zu dürfen, ihnen dafür jedoch häufig die Fähigkeiten fehlen.

Aus meiner Sicht kann es zumindest nicht schaden, sich in dem ein oder anderen Fall auf seelische Befindlichkeiten des Kunden einzulassen. Es wäre meiner Ansicht nach eine große Verantwortung, wie ich bereits im Vorwort erwähnte, welche mit unserem Beruf zwar im Prinzip überhaupt nichts zu tun hat und die jeder daher für sich selbst klären und beantworten muss.