Der heimliche Gefährte - John le Carré - E-Book

Der heimliche Gefährte E-Book

John Le Carré

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Beschreibung

Alle Romane von John le Carré jetzt als E-Book! - Das besondere Lesevergnügen für alle le Carré-Fans: In dieser Abrechnung mit der Zeit des Kalten Kriegs kommt auch der legendäre Geheimdienstchef George Smiley wieder zum Einsatz. Als der britische Agent Ned sich durch die politischen Umwälzungen nach dem Fall der Mauer gezwungen sieht, sich der eigenen Verantwortung zu stellen, taucht er ab in die Schattenwelt des Kalten Krieges, in der er mit George Smiley zusammengearbeitet hat. Bei ihren Nachforschungen fördern die beiden alten Kämpen Erstaunliches zu Tage. »Der Höhepunkt des Agententhrillers.« New York Times Große TV-Doku "Der Taubentunnel" ab 20. Oktober 2023 auf Apple TV+

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Seitenzahl: 644

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Das Buch

Mit diesem Roman, in dem man auf viele gute Bekannte aus John le Carrés Büchern trifft – nicht nur auf George Smiley und dessen treuen Adlatus Peter Guillam, auch auf den Schuft Bill Haydon, den rückgratlosen Toby Esterhase und auf viele andere mehr –, nutzt John le Carré sein Insiderwissen, um eine spannende Geschichte aus dem kalten Krieg zu erzählen, die zu Recht ein Welterfolg wurde:

Als der britische Agent Ned sich durch die politischen Umwälzungen nach dem Fall der Mauer gezwungen sieht, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen, taucht er ab in die Schattenwelt des kalten Krieges, in der er mit George Smiley, dem legendären Geheimdienstchef, zusammengearbeitet hat.

Der Autor

John le Carré, am 19. Oktober 1931 in Poole, Dorset, geboren, war nach seinem Studium in Bern und Oxford in den sechziger Jahren in diplomatischen Diensten u. a. in Bonn und Hamburg tätig. Sein Roman Der Spion, der aus der Kälte kam machte ihn 1963 weltbekannt. Zahlreiche seiner Bestseller wurden erfolgreich verfilmt. Der Autor lebt mit seiner Frau in Cornwall.

Von John le Carré sind in unserem Hause bereits erschienen:

Absolute Freunde · Agent in eigener Sache · Dame, König, As, Spion · Das Rußlandhaus · Der ewige Gärtner · Der heimliche Gefährte · Der Nachtmanager · Der Spion, der aus der Kälte kam · Der Schneider von Panama · Der wachsame Träumer · Die Libelle · Ein blendender Spion · Ein guter Soldat · Ein Mord erster Klasse · Eine Art Held · Eine kleine Stadt in Deutschland · Empfindliche Wahrheit · Geheime Melodie · Krieg im Spiegel · Marionetten · Schatten von gestern · Single & Single · Unser Spiel · Verräter wie wir

John le Carré

Der heimliche Gefährte

Roman

Aus dem Englischenvon Werner Schmitz

List Taschenbuch

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www.ullstein-buchverlage.de

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ISBN 978-3-8437-0851-7

1. Auflage Mai 2004

© 2004 für die deutsche Ausgabe by Ullstein Buchverlage GmbH

© 2003 für die deutsche Ausgabe by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

© 1990 by David Cornwell

Titel der englischen Originalausgabe:

The Secret Pilgrim (Hodder and Stoughton, London)

Übersetzung: Werner Schmitz

mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Kiepenheuer und Witsch, Köln

Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

E-Book: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Für Alec Guinness

1

Um es gleich vorweg zu sagen: hätte ich nicht, einer spontanen Eingebung folgend, zur Feder gegriffen und George Smiley schnell eine Einladung geschrieben, am letzten Abend des Einführungs-Lehrgangs vor meiner Abgangsklasse zu sprechen – und hätte Smiley nicht ganz wider Erwarten zugesagt –, dann würde ich Ihnen jetzt nicht so freimütig mein Herz ausschütten.

Bestenfalls würde ich Ihnen Erinnerungen in einer gereinigten Fassung auftischen, wie ich sie, um ehrlich zu sein, nur zu gern meinen Schülern vorzusetzen pflegte: Heldentaten geheimen Rittertums, dramatische Geschichten von einfallsreichen und tapferen Leuten. Und nützlichen Leuten, versteht sich. Ich würde Sie begeistern mit Erinnerungen an nächtliche Absprünge im Kaukasus, an gewagte Überfahrten mit Schnellbooten, Strandlandungen, blinkende Küstenlichter, geheime Funksprüche, die mitten in der Übertragung abbrachen. Von stillen Helden des Kalten Kriegs, die, nachdem sie ihre Beiträge geleistet hatten, bescheiden in der Gesellschaft untertauchten, die sie beschützt hatten. Von Überläufern, die gerade noch rechtzeitig dem Rachen des Gegners entrissen wurden.

Und, ja, bis zu einem gewissen Punkt haben wir tatsächlich so gelebt. Wir haben zu unserer Zeit solche Dinge unternommen, und manches ist sogar gut ausgegangen. Wir hatten in bösen Ländern gute Leute, die ihr Leben für uns riskierten. Und gewöhnlich wurde ihnen geglaubt, und manchmal wurden ihre Informationen klug genutzt. Hoffe ich jedenfalls, denn ohne das wäre auch der größte Spion der Welt nichts wert.

Und zur Auflockerung pflegte ich ihnen über einem zweiten Whisky im Rekrutenkasino zu erzählen, wie unser dreiköpfiges Empfangsteam vom Circus, das unter meiner tapferen Leitung in Ostdeutschland operierte, frierend auf einer Bergkuppe im Harz lag und betete, ein unmarkiertes Flugzeug möge mit abgestelltem Motor herbeischweben und seinen verdammten schwarzen Fallschirm abwerfen. Und was fanden wir, als unsere Gebete endlich erhört wurden und wir, um unseren Schatz zu heben, über ein Eisfeld nach unten gerutscht waren? Steine, eröffnete ich meinen erstaunten Schülern. Brocken ehrbaren Argyll-Granits. Die Absender auf unserem schottischen Luftwaffenstützpunkt hatten uns versehentlich den Trainingsbehälter geschickt.

Zumindest diese Geschichte fand ein gewisses Echo, während einige meiner anderen Vorstellungen oft schon auf halber Strecke ihr Publikum zu verlieren schienen.

Ich vermute, ich hatte mich schon länger, als mir bewußt war, mit dem Gedanken getragen, an Smiley zu schreiben. Die Idee kam mir, als ich dem Personalchef einen meiner regelmäßigen Besuche abstattete, um die Fortschritte meiner Schüler zu erörtern. Als ich auf ein Sandwich und ein Bier in der Bar der höheren Offiziere vorbeischaute, traf ich Peter Guillam. Während der langwierigen Suche nach dem Circusverräter, der sich dann als unser Operationsleiter Bill Haydon herausstellte, hatte Peter für George Smileys Sherlock Holmes den Watson gespielt. Peter hatte seit – na, einem Jahr oder noch länger – nichts mehr von George gehört. George habe irgendwo im nördlichen Cornwall ein Cottage gekauft, sagte er, und fröne seiner Abneigung gegen das Telefon. Er habe eine Art Sinekure an der Universität Exeter und dürfe die Bibliothek dort benutzen. Traurig malte ich mir das übrige aus: George, der einsame Einsiedler, wie er auf Spaziergängen allein in einer unbewohnten Landschaft seinen Gedanken nachhing. George, wie er auf seine alten Tage in Exeter ein wenig menschliche Wärme suchte, während er darauf wartete, seinen Platz in der Walhalla der Spione einzunehmen.

Und Ann, seine Frau? fragte ich Peter und senkte die Stimme, wie alle es tun, wenn die Rede auf Ann kommt – denn es war ein ebenso offenes wie schmerzliches Geheimnis, daß zu Anns zahlreichen Liebhabern auch Bill Haydon gezählt hatte.

Ann sei Ann, sagte Peter mit gallischem Achselzucken. Sie sei mit einigen vornehmen Familien an der Helford-Bucht verwandt. Manchmal halte sie sich dort auf, manchmal bei George.

Ich fragte nach Smileys Adresse. »Verraten Sie ihm nicht, daß Sie die von mir haben«, bat Peter, während er sie mir aufschrieb. Warum, ist mir bis heute nicht ganz klar, aber wenn man Georges Aufenthaltsort weitergab, bekam man unweigerlich Schuldgefühle.

Drei Wochen danach kam Toby Esterhase ins Sarratt College, um seinen berühmten Vortrag über die Kunst der verdeckten Observation auf gegnerischem Boden zu halten. Natürlich blieb er zum Lunch, das durch die Anwesenheit unserer ersten drei Mädchen für ihn beträchtlich an Wert gewonnen hatte. Nach einem Kampf, der sich über meine ganze Zeit im Sarratt hingezogen hatte, war der Personalchef endlich zu dem Schluß gekommen, daß mit Mädchen womöglich doch was anzufangen wäre.

Und ich hörte mich Smileys Namen nennen.

Es hat Zeiten gegeben, da hätte ich Toby nicht einmal in die letzte Kneipe eingeladen, während ich zu anderen Zeiten meinem Schöpfer dankte, ihn auf meiner Seite zu haben. Doch wie ich erfreut bemerke, gewöhnt man sich mit den Jahren an alle möglichen Leute.

»Also wirklich, mein Gott, Ned!« rief Toby in seinem unverbesserlichen ungarischen Englisch und strich seine sorgfältig pomadisierte silberne Haarmähne zurück. »Sie meinen, Sie haben es noch nicht gehört?«

»Was gehört?« fragte ich geduldig.

»Mein Lieber, George ist Vorsitzender des Komitees für Angelrecht. Erzählen die euch denn gar nichts hier in der Provinz? Ich denke, ich sollte das wirklich mal mit dem Chef besprechen, von Mann zu Mann. Im Club, ein Wort unter vier Augen.«

»Vielleicht klären Sie mich erst einmal über dieses Komitee für Angelrecht auf«, schlug ich vor.

»Ned, wissen Sie was? Ich werde langsam nervös. Womöglich sind Sie von der Liste gestrichen.«

»Womöglich auch das noch«, sagte ich.

Wie nicht anders zu erwarten, erzählte er es mir trotzdem, und ich tat gebührend erstaunt, so daß er sich noch wichtiger vorkam. Und ein Teil von mir ist bis auf den heutigen Tag erstaunt. Bei dem Komitee für Angelrecht, erklärte Toby zum Wohle des Uneingeweihten, handele es sich um eine inoffizielle Arbeitsgruppe, die sich aus Offizieren der Moskauer Zentrale und des Circus zusammensetze. Ihre Aufgabe, sagte Toby – den, wie ich wirklich glaube, nichts mehr überraschen konnte –, sei es, Ziele auszumachen, die für die Nachrichtendienste beider Seiten interessant sein könnten, und ein gemeinsames System zu erarbeiten. »Dahinter steckte die Idee, Ned, die Unruheherde der Welt aufs Korn zu nehmen«, sagte er mit aufreizend überlegenem Tonfall. – »Ich vermute, als erstes werden sie den Mittleren Osten in Ordnung bringen. Aber zitieren Sie mich nicht, Ned, okay?«

»Und Sie wollen mir weismachen, daß Smiley in diesem Komitee den Vorsitz führt?« fragte ich ungläubig, nachdem ich versucht hatte, diese Auskunft zu verdauen.

»Nun, vielleicht nicht mehr lange. Ned – Anno Domini und so weiter. Aber die Russen waren so ungeheuer scharf darauf, ihn kennenzulernen, daß wir ihn mitgenommen haben, um ihn die Sache eröffnen zu lassen. Mach dem alten Burschen eine Freude, sage ich. Gib ihm ein paar Streicheleinheiten. Ein Bündel Fünfer im Umschlag.«

Ich wußte gar nicht, über welche Vorstellung ich mehr staunen sollte: Toby Esterhase, wie er mit der Moskauer Zentrale vor den Altar tritt, oder George Smiley, wie er die Ehepartner einsegnet. Ein paar Tage später schrieb ich mit Genehmigung der Personalabteilung an die Adresse in Cornwall, die Guillam mir gegeben hatte, und fügte zaghaft hinzu, daß George, wenn er das Reden in der Öffentlichkeit auch nur halb so sehr verabscheute wie ich, die Einladung auf keinen Fall annehmen sollte. Bis dahin war ich ein bißchen deprimiert gewesen, doch als er dann postwendend auf einer sauberen kleinen Karte erklärte, er sei entzückt, kam ich mir selbst wie ein Rekrut vor, und auch genauso nervös.

Zwei Wochen später stand ich in einem nagelneuen Freizeitanzug im Paddington-Bahnhof an der Schranke und sah zu, wie aus den ältlichen Zügen mittelalte Pendler strömten. Ich glaube, noch nie ist mir Smileys Anonymität so bewußt geworden. Überall schien ich Doppelgänger von ihm zu erblicken: kleine, dicke, bebrillte Gentlemen von einer gewissen Gesetztheit, und ganz wie George machte jeder einzelne von ihnen den Eindruck, als sei er mit irgend etwas, das er lieber nicht täte, ein wenig zu spät dran. Und dann hatten wir uns plötzlich die Hände geschüttelt, und er saß neben mir auf der Rückbank eines Rovers der Zentrale, noch untersetzter, als ich ihn in Erinnerung gehabt hatte, und seine Haare waren weiß; aber dafür sprühte er vor Elan und guter Laune, wie ich es nach der fatalen Affäre seiner Frau mit Bill Haydon nicht mehr bei ihm erlebt hatte.

»Tja ja, Ned. Wie gefällt Ihnen die Rolle des Schulmeisters?«

»Wie gefällt Ihnen der Ruhestand?« konterte ich lachend. »Bald werde ich mich Ihnen anschließen!«

Oh, er genieße den Ruhestand, versicherte er mir. Könne nicht genug davon bekommen, sagte er trocken. Da brauche ich gar keine Bange zu haben. Ein bißchen Nachhilfe hier, Ned, gelegentlich eine Akte dort; Spaziergänge, er habe sich sogar einen Hund angeschafft.

»Wie ich höre, hat man Sie zurückgeholt, um in irgendeinem außerordentlichen Ausschuß zu sitzen«, sagte ich. »Verschwören sich mit dem Bär, heißt es, gegen den Dieb von Bagdad.«

George ist kein Schwätzer, aber ich sah, wie sein Lächeln breiter wurde. »Ach ja? Und zweifellos ist Toby Ihre Quelle«, sagte er und strahlte zufrieden die trostlos zersiedelte Landschaft an, während er zur Ablenkung von zwei zerstrittenen alten Damen in seinem Dorf zu erzählen begann. Die eine besaß ein Antiquitätengeschäft, die andere war sehr reich. Doch je länger der Rover durch das einst so ländliche Hertfordshire fuhr, desto weniger beschäftigten mich die Damen in Georges Dorf als vielmehr George selbst. Ich dachte, da haben wir unseren alten Smiley wieder: erzählt Geschichten von alten Damen, sitzt in Ausschüssen mit russischen Spionen und betrachtet die offene Welt mit dem Vergnügen eines Mannes, der eben aus dem Krankenhaus entlassen worden ist.

In einen ältlichen Smoking gezwängt, saß derselbe Mann am Abend neben mir an der erhöhten Speisetafel von Sarratt und betrachtete huldvoll die vertrauten polierten silbernen Kerzenhalter und die alten Gruppenfotos aus Gott weiß welchen Zeiten. Und die gesunden, erwartungsvollen Gesichter seines jungen Publikums, das der Rede des Meisters harrte.

»Meine Damen und Herren, Mr. George Smiley«, verkündete ich ernst und erhob mich, um ihn vorzustellen. »Eine Legende des Service. Danke.«

»Also, für eine Legende halte ich mich wirklich nicht«, protestierte Smiley, während er sich hochrappelte. »Eher für einen ziemlich dicken alten Mann, der zwischen Pudding und Portwein eingeklemmt ist.«

Dann begann die Legende zu sprechen, und mir wurde bewußt, daß ich Smiley noch nie vor einer Versammlung hatte reden hören. Ich hatte dies für etwas gehalten, wozu er schlichtweg ebensowenig in der Lage wäre, wie zum Beispiel anderen Leuten seine Ansichten aufzudrängen oder einen Joe beim richtigen Namen zu nennen. Was mich also zunächst überraschte, war die souveräne Art seines Vortrags; erst dann begann ich den Inhalt seiner Rede zu ergründen. Ich hörte seine ersten Sätze und sah, wie die Gesichter meiner Schüler – nicht immer so entgegenkommend – zu ihm aufblickten, sich entspannten und aufleuchteten, während sie ihm zunächst ihre Aufmerksamkeit, dann ihr Vertrauen und schließlich ihren Beistand gewährten. Und innerlich lächelnd, daß ich es so spät gemerkt hatte, dachte ich: ja, ja, natürlich, das war Georges andere Seite. Das war der Schauspieler, der immer in ihm verborgen gewesen war, der heimliche Rattenfänger. Das war der Mann, den Ann Smiley geliebt und den Bill Haydon betrogen hatte und dem wir anderen zur Verwirrung Außenstehender treu gefolgt waren.

In Sarratt gibt es die kluge Tradition, daß unsere Tischreden nicht aufgezeichnet und auch keine Notizen gemacht werden und daß von dem, was dort gesprochen wird, amtlicherseits nichts erwähnt werden darf. Der Ehrengast genoß, was Smiley auf seine germanische Art mit ›Narrenfreiheit‹ bezeichnete, obwohl ich mir kaum jemanden vorstellen kann, der für dieses Privileg weniger in Frage käme. Aber wenn ich vor allem eins bin, dann ein Profi, dazu ausgebildet, zuzuhören und sich zu erinnern, und Ihnen sollte auch klar sein, daß Smiley noch nicht viel gesagt hatte, als ich erkannte – wie meine Schüler prompt bemerkten –, daß er mit seiner Rede direkt in mein ketzerisches Herz zielte. Womit ich auf jene andere, weniger unterwürfige Person anspiele, die ebenfalls in mir wohnt und die ich, um ehrlich zu sein, seit dem Beginn dieser letzten Etappe meiner Laufbahn nie so richtig hatte anerkennen wollen – jenen heimlichen Zweifler, meinen unbequemen Begleiter schon aus den Tagen, bevor ein widerspenstiger Joe namens Barley Blair zur Verblüffung der Fünften Etage durch den zerbröckelnden Eisernen Vorhang getreten war und hauptsächlich aus Liebe, aber auch aus einer Art Ehrgefühl in aller Ruhe seinen Weg fortgesetzt hatte.

Je besser das Restaurant, sagen wir dem Personalchef nach, desto schlechter die Neuigkeiten. »Wird Zeit, daß Sie Ihr Wissen an die Jungen weitergeben, Ned«, hatte er mir bei einem verdächtig guten Lunch im Connaught erklärt. »Und an die neuen Mädchen«, fügte er mit einem ekelhaften Grinsen hinzu. »Als nächstes werden sie auch noch die kirchliche Laufbahn einschlagen dürfen, nehm’ ich an.« Er kehrte auf erfreulicheres Gelände zurück. »Sie kennen sich aus. Sie sind viel herumgekommen. Ihre letzte Etappe als Leiter des Sekretariats war beeindruckend. Wird Zeit, all das nutzbar zu machen. Wir denken, Sie sollten den Kindergarten übernehmen und die Fackel an die Spione von morgen weitergeben.«

Wenn ich mich recht erinnerte, hatte er bereits ganz ähnliche Sportmetaphern benutzt, als er mich unmittelbar nach Barley Blairs Übertritt von meinem Posten als Leiter des Rußlandhauses entfernt und auf dieses Abstellgleis im Ermittler-Pool geschoben hatte.

Er bestellte noch zwei Gläser Armagnac. »Wie geht es übrigens Mabel?« fuhr er fort, als wäre sie ihm gerade so eingefallen. »Habe gehört, sie sei mit ihrem Handikap runter auf zwölf – zehn, Donnerwetter! Na. Bewahren Sie mich bloß vor ihr! Also was sagen Sie? Die Woche über in Sarratt, an den Wochenenden zu Hause in Turnbridge Wells – klingt für mich wie die triumphale Krönung einer großartigen Laufbahn. Was sagen Sie?«

Ja, was sagt man da? Man sagt, was andere vor einem auch schon gesagt haben. Wer was kann, tut es. Wer es nicht kann, wird Lehrer. Und was man lehrt, ist das, was man nicht mehr tun kann, weil Körper oder Geist oder beide ihre Zielstrebigkeit verloren haben; weil man zuviel gesehen und zuviel unterdrückt und zuviel Kompromisse geschlossen und am Ende zu wenig erlebt hat. Also verlegt man sich darauf, seine alten Träume in jungen Köpfen neu zu entfachen und sich am Feuer der Jugend zu wärmen.

Und das bringt mich wieder auf die Anfangstakte von Smileys Rede an jenem Abend, denn plötzlich richteten sich seine Worte an mich und packten mich. Ich hatte ihn eingeladen, weil er eine Legende der Vergangenheit war. Doch zu unser aller Entzücken entpuppte er sich als bilderstürmender Prophet der Zukunft.

Die näheren Einzelheiten von Smileys Einleitung, einer Reise um den Globus, will ich Ihnen ersparen. Er sprach über den Mittleren Osten, der ihn offensichtlich sehr beschäftigte, und untersuchte die Grenzen kolonialer Macht in angeblich postkolonialen Zeiten. Er sprach über die Dritte Welt und über die Vierte Welt und postulierte eine Fünfte Welt; und laut dachte er darüber nach, ob irgendeine der reichen Nationen wirklich ernsthaft um menschliche Verzweiflung und Armut besorgt war. Er schien ziemlich überzeugt davon, daß sie es nicht waren. Er spottete über die Vorstellung, daß jetzt, am Ende des Kalten Krieges, Spionage ein aussterbender Beruf sei: mit jeder neuen Nation, die sich aus dem Eis hervorwage, sagte er, mit jeder Neuorientierung, jeder Wiederentdeckung alter Identitäten und Leidenschaften, mit jeder Auflockerung des alten Status quo bekämen die Spione haufenweise Arbeit. Er sprach, wie ich hinterher feststellte, doppelt so lange wie üblich, aber während der ganzen Zeit hörte ich weder einen Stuhl knarren noch ein Glas klirren – nicht einmal, als sie ihn in die Bibliothek zogen und auf den Ehrensessel vorm Kamin setzten, um noch mehr von ihm zu hören, noch mehr Ketzerisches und Subversives. Meine so abgebrühten Kinder, verliebt in George! Nichts war zu hören als der selbstsichere Fluß von Smileys Stimme und gelegentlich lebhaftes Gelächter, wenn er unvermutet eine selbstironische Bemerkung machte oder einen Fehler eingestand. Man ist nur einmal alt, dachte ich, und teilte ihre Begeisterung, als ich mit ihnen lauschte.

Er erzählte ihnen Fallgeschichten, von denen ich noch nie gehört hatte und die mit Sicherheit von niemandem in der Zentrale freigegeben worden waren – jedenfalls bestimmt nicht von unserem juristischen Berater Palfrey, der als Antwort auf die Offenheit unserer ehemaligen Feinde jedes nutzlose Geheimnis, dessen seine pflichtgetreuen Hände habhaft werden konnten, doppelt und dreifach gesichert hatte.

Smiley befaßte sich mit ihrer künftigen Rolle als Agentenführer, brachte diese Rolle mit der veränderten Welt in Verbindung und stattete sie mit dem traditionellen Service-Image aus: Mentor, Hirte, Vater und Unterstützer – als Beistand und Eheberater, als Verzeihender, Unterhalter und Beschützer; als Mann oder Frau, die über das Talent verfügen, das Haarsträubende als etwas Alltägliches zu behandeln, und sich so mit ihren Agenten im Reich der Illusion wiederfinden. Nichts davon habe sich geändert, sagte er. Und werde sich niemals ändern. Er zitierte frei nach Burns: »Spion bleibt immer Spion.«

Doch kaum hatte er sie mit dieser angenehmen Vorstellung eingelullt, da warnte er sie auch schon davor, daß die Manipulation ihrer Mitmenschen und die Abstumpfung ihrer natürlichen Gefühle den Tod ihres Charakters bedeuten könne. »Wenn man für alle Spione alles ist, läuft man leicht Gefahr, für sich selbst nichts zu werden«, gestand er traurig. »Bilden Sie sich bitte niemals ein, daß die Methoden, die Sie anwenden, Ihnen selbst keinen Schaden zufügen. Der Zweck mag die Mittel rechtfertigen – wäre dem nicht so, dann wären Sie gar nicht hier, möchte ich meinen. Aber das hat seinen Preis, und dieser Preis ist gewöhnlich man selber. Kein Problem, in Ihrem Alter seine Seele zu verkaufen. Später wird’s schwieriger.«

Er mischte Todernstes mit Frivolem, ohne allzu große Unterschiede zu machen. Und ab und an schien er die Fragen zu stellen, die ich mir selbst fast während meines ganzen Arbeitslebens gestellt, aber nie hatte formulieren können; zum Beispiel: »Hat es irgend etwas gebracht?« Und: »Was hat es mir gebracht?« Und: »Was wird jetzt aus uns werden?« Manchmal waren seine Fragen Antworten. George, pflegten wir zu sagen, fragte nur, wenn er die Antwort schon wußte.

Er brachte uns zum Lachen, er ließ uns mitfühlen, und seine ungeheure Rücksichtnahme machte die Gegensätze um so schockierender. Noch besser, er rüttelte an unseren Vorurteilen. Er nahm mir meinen Glauben und weckte den schlummernden Rebellen in mir, den meine Verbannung nach Sarratt zum Schweigen gebracht hatte. Aus heiterem Himmel hatte George Smiley mich wieder zum Suchenden gemacht und mich auf wunderbare Weise verwirrt.

Ängstliche Menschen lernen nie etwas, habe ich gelesen. Trifft das zu, dürfen sie bestimmt nicht als Ausbilder wirken. Ich bin kein ängstlicher Mensch – beziehungsweise nicht ängstlicher als jeder andere, der dem Tod ins Auge geblickt hat und weiß, daß er einmal sterben wird. Dennoch hatten Erfahrung und ein wenig Schmerz mich etwas zu mißtrauisch gegenüber der Wahrheit gemacht, sogar was mich selbst betraf. George Smiley brachte das wieder ins Lot. George war für mich mehr als ein Mentor, mehr als ein Freund. Wenn auch nicht immer anwesend, bestimmte er mein Leben. Zuweilen habe ich ihn mir als eine Art Ersatzvater für den vorgestellt, den ich nie gekannt habe. Georges Besuch in Sarratt gab meinem Gedächtnis eine gefährliche Schärfe zurück. Und genau das möchte ich, nachdem ich jetzt die Muße habe, mich zu erinnern, auch mit Ihnen machen, damit Sie an meiner Reise teilnehmen und sich dieselben Fragen stellen können.

2

Es gibt Leute«, erklärte Smiley behaglich und schenkte dem hübschen Mädchen vom Trinity College in Oxford, das ich mit Bedacht ihm gegenüber am Tisch plaziert hatte, ein Lächeln, »die, wenn ihre Vergangenheit bedroht wird, Angst bekommen, alles zu verlieren, was sie gehabt zu haben glaubten, und womöglich auch noch alles, was sie gewesen zu sein glaubten. Ich empfinde das ganz anders. Der Zweck meines Lebens hat darin bestanden, der Zeit, in der ich lebte, ein Ende zu machen. Sollte demnach meine Vergangenheit noch heute bestehen, könnte man sagen, ich sei gescheitert. Aber sie besteht nicht mehr. Wir haben gewonnen. Nicht daß der Sieg auch nur einen Pfifferling wert ist. Und womöglich haben wir auch gar nicht gewonnen. Vielleicht haben die anderen bloß verloren. Oder vielleicht fangen unsere Schwierigkeiten erst an, nachdem wir jetzt die Fesseln des ideologischen Konflikts abgestreift haben. Aber was soll’s. Wichtig ist nur, daß ein langer Krieg vorbei ist. Wichtig ist die Hoffnung.«

Er nahm sich die Brille von den Ohren und fummelte zerstreut an seiner Hemdbrust herum; er schien etwas zu suchen, aber was, erkannte ich erst ein wenig später: das breite Ende seiner Krawatte, an dem er seine Gläser zu putzen pflegte. Doch eine linkisch gebundene Frackschleife hat dergleichen Annehmlichkeiten nicht zu bieten, also benutzte er statt dessen das seidene Tüchlein aus seiner Brusttasche.

»Wenn ich überhaupt etwas bedaure, dann auf welche Art wir unsere Zeit und Fähigkeiten vergeudet haben. All diese Sackgassen, diese falschen Freunde, diese Verschwendung unserer Energie. All die Selbsttäuschungen, denen wir uns hingegeben haben.« Er setzte die Brille wieder auf und lächelte, wie ich mir einbildete, nun mich an. Und plötzlich kam ich mir vor wie einer meiner Schüler. Die sechziger Jahre waren wieder da. Ich war ein gerade flügge gewordener Spion, und George Smiley – der tolerante, geduldige, schlaue George – wachte über meine ersten Flugversuche.

Damals kamen einem die Tage länger vor, und wir waren gute Kameraden. Wahrscheinlich nicht bessere als meine Schüler heute, aber unsere patriotischen Vorstellungen waren weniger nebelhaft. Am Ende meines Einführungslehrgangs war ich bereit, die Welt zu retten, und wenn ich sie von einem Ende zum anderen hätte ausspionieren müssen. Bei meiner Rekrutierung waren wir zu zehnt, und nach zwei Jahren Ausbildung – im Kindergarten von Sarratt, in den Schluchten von Argyll und auf den Übungsplätzen von Wiltshire – warteten wir auf unsere ersten Einsätze wie Vollblutpferde kurz vor dem Rennen.

Auch wir hatten in einem großen Augenblick der Geschichte unsere Reife erlangt, auch wenn er genau das Gegenteil von heute war. Aus allen Winkeln des Globus starrten uns Stagnation und Feindseligkeit an. Überall drohte die Rote Gefahr, nicht zuletzt an unserem eigenen heiligen Herd. Die Berliner Mauer stand seit zwei Jahren, und es sah danach aus, als würde sie noch weitere zweihundert Jahre stehenbleiben. Der Mittlere Osten war ein Pulverfaß, genau wie heute, nur daß in jenen Tagen Nasser der ausgesuchte Gegenstand unseres britischen Hasses war, nicht zuletzt, weil er den Arabern ihre Würde wiedergab und zudem mit den Russen Hockey spielte. In Zypern, Afrika und Südostasien erhoben sich die kleineren rechtlosen Völker gegen ihre alten Kolonialherren. Und wenn wir wenigen tapferen Briten gelegentlich das Gefühl hatten, all das könnte über unsere Kräfte gehen – nun, dann hatten wir noch immer unseren Vetter Amerika, der uns wieder ins Spiel der Welt hineinbringen konnte.

Als künftige heimliche Helden hatten wir daher alles, was wir brauchten: eine gerechte Sache, einen bösen Feind, einen nachsichtigen Verbündeten, eine brodelnde Welt, Frauen, die uns, wenn auch nur von der Seitenlinie, anfeuerten, und vor allem die große Tradition als Erbschaft, denn damals konnte sich der Circus noch in seinem Kriegsruhm sonnen. Fast alle unsere führenden Leute hatten sich die Sporen durch Spionieren in Deutschland verdient. Wenn sie in unseren gewichtigen, nichtöffentlichen Seminaren gefragt wurden, waren sich alle einig, daß, wenn es darum ginge, die Menschheit vor ihren eigenen Exzessen zu schützen, der Weltkommunismus eine noch finsterere Bedrohung sei als der Hunne.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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