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Rothenburg, 1526 Matthias Wolf, der Henker von Rothenburg, und seine Frau Marie haben einen feigen Mordanschlag überlebt und sich ineinander verliebt. Aber ihre Feinde geben immer noch keine Ruhe, sondern wollen nicht nur das junge Glück zerstören, sondern das Paar am liebsten tot sehen. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht. Während des Frühlingsmarktes in Rothenburg rettet Matthias den jungen Markus, der aus Hunger vergammelte Würste stahl, davor, seine Hand zu verlieren. Er sieht in ihm sich selber als Halbwüchsigen, der seinerzeit von Malachias, dem früheren Henker, aufgenommen wurde und stellt ihn als Lehrburschen ein. Gleichzeitig plant ein gedungener Mörder die weitere Vorgehensweise, um Marie und Matthias endgültig aus dem Weg zu räumen. Auf einen Befehl des Vogtes machen sich der Henker und seine Frau in Begleitung des Arztes Nikolaus von Brümme auf, den Geburtsort von Marie zu besuchen. Dort werden sie mit einigen Überraschungen konfrontiert, während die Inquisition Kenntnis über die Vorfälle in Rothenburg erhält.
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Seitenzahl: 369
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Der Henker von Rothenburg: Verrat in Rothenburg
Von Martina Noble und Werner Diefenthal
Rothenburg, 1526
Matthias Wolf, der Henker von Rothenburg, und seine Frau Marie haben einen feigen Mordanschlag überlebt und sich ineinander verliebt. Aber ihre Feinde geben immer noch keine Ruhe, sondern wollen nicht nur das junge Glück zerstören, sondern das Paar am liebsten tot sehen. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht.
Während des Frühlingsmarktes in Rothenburg rettet Matthias den jungen Markus, der aus Hunger vergammelte Würste stahl, davor, seine Hand zu verlieren. Er sieht in ihm sich selber als Halbwüchsigen, der seinerzeit von Malachias, dem früheren Henker, aufgenommen wurde und stellt ihn als Lehrburschen ein.
Gleichzeitig plant ein gedungener Mörder die weitere Vorgehensweise, um Marie und Matthias endgültig aus dem Weg zu räumen.
Auf einen Befehl des Vogtes machen sich der Henker und seine Frau in Begleitung des Arztes Nikolaus von Brümme auf, den Geburtsort von Marie zu besuchen. Dort werden sie mit einigen Überraschungen konfrontiert, während die Inquisition Kenntnis über die Vorfälle in Rothenburg erhält.
Martina Noble:
Geboren 1979 in Mainz, liebt sie seit frühester Kindheit, Geschichten zu erzählen und zu schreiben. Seit 2014 schreibt sie gemeinsam mit Werner Diefenthal und hat mehrere Bücher mit ihm veröffentlicht.
Werner Diefenthal:
Geboren 1963 im Rheinland, schreibt seit mehreren Jahren und veröffentlichte 2010 seinen ersten Roman. Seit 2014 hat er mit Martina Noble eine Schreibpartnerin, mit der er gemeinsam mehrere Romane veröffentlicht hat.
Der Henker von Rothenburg: Verrat in Rothenburg
Von Martina Noble und Werner Diefenthal
Annaweg 12
96215 Lichtenfels
Telefon: +49 175 2672918
www.martina-noble.com; www.wdiefenthal.de
Titelmodels: Valerie Matthey https://www.facebook.com/The-art-of-Valley-409182422597077/
Marco Röhlich https://www.facebook.com/Bradley-Blackwater-742119889205680/?fref=ts
Titelbild, Grafikdesign und Covergestaltung: Sandra Limberg http://www.sollena-photography.de
2.Auflage. 2016 1. Auflage erschienen bei Moon House Publishing, 2014
© Werner Diefenthal / Martina Noble – alle Rechte vorbehalten. Jeglicher Nachdruck, auch auszugsweise, bedarf der vorherigen Zustimmung durch die Autoren.
Printed in Germany
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Teil 2:
Verrat in Rothenburg
Alle Personen und Begebenheiten in dieser Geschichte sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Frei erfunden ist der Vogt zu Rothenburg nebst Gattin. Der Henker ist ein Produkt unserer Fantasie. Trotz intensiver Recherche haben wir keinen wirklich fundierten Beweis für einen Henker in Rothenburg finden können. Tatsache ist die Vertreibung der Menschen aus dem jüdischen Viertel um 1520. Was danach dort geschieht, ist reine Fiktion.
Die örtlichen Begebenheiten wurden nach bestem Wissen und Gewissen wiedergegeben, wurden teilweise jedoch für den Lauf der hier aufgeschriebenen Geschichte ein wenig angepasst. So existierte z.B. keine Vogtei, auch der ›Goldene Schwan‹ ist fiktiv. Bei der Benennung der Straßen, Plätze und Tore haben wir uns an alten Karten der Stadt orientiert. Sollten diese nicht in allen Punkten der Wirklichkeit entsprechen, so bitten wir, dies zu entschuldigen.
Soweit möglich, wurden geschichtliche Abläufe und Ereignisse wahrheitsgemäß verwendet. In einigen Fällen wurden diese jedoch so weit verändert, dass sie zum Kontext des Romans passen.
Die hier durch den Henker bzw. im weiteren Verlauf durch die Inquisition angewandten Verhörmethoden und Strafen entsprechen weitestgehend der zu dieser Zeit üblichen Rechtsprechung bzw. der vorherrschenden Auffassung von Gerechtigkeit. Die beschriebenen Folterwerkzeuge waren zu jener Zeit durchaus gebräuchlich, auch wenn teilweise der Einsatz mittlerweile stark von Geschichtswissenschaftlern angezweifelt wird. Die im Roman verhängten Strafen spiegeln in keiner Weise die Meinung oder Auffassung der Autoren wieder.
Empfindliche Gemüter seien daher gewarnt: Es wird Blut fließen.
Bei unseren Recherchen über das Leben zu dieser Zeit sind wir des Öfteren überrascht worden. Insbesondere über die gar nicht so prüde Lebensweise zu jener Zeit. Diesem mussten wir zwangsläufig Rechnung tragen und haben dementsprechend auch diesen Teil des Lebens mit in die Handlung einfliessen lassen.
Ferner haben wir, des leichteren Verständnisses wegen, die Sprache der Neuzeit angepasst. Bei Versuchen, so zu reden, wie die Menschen zu der Zeit, in welcher der Roman spielt, haben wir feststellen müssen, dass uns niemand mehr versteht. Daher haben wir uns dazu entschieden, eine für die heutige Allgemeinheit verständliche Ausdrucksweise zu wählen. Auch dafür bitten wir um Verständnis.
Hinweis zur Neuauflage:
Die hier vorliegende Fassung wurde sorgfältig überarbeitet. Insbesondere wurden dabei Szenen, welche sexuelle Handlungen enthalten, sprachlich und inhaltlich so angepasst, dass sie weniger deutlich sind. Auch bei den Szenen, in denen Matthias Bestrafungen durchführt, haben wir die drastische Darstellung aus der ursprünglichen Fassung entschärft.
Die meisten Änderungen beziehen sich jedoch auf Formatierungen und Aussehen, da wir, die Autoren, mit dem Erscheinungsbild der ersten Auflage nicht zufrieden waren. Wir hoffen, jetzt auch optisch einen Lesegenuss geschaffen zu haben.
Bernhard Steiner Vogt von Rothenburg
Elsa Steiner Die Frau des Vogtes
Eckhart Steiner Vater des Vogtes, früherer Vogt
Matthias Wolf Henker von Rothenburg Marie Wolf Ehefrau von Matthias Wolf, frühere Magd beim Vogt
Popolius Harthrath Schreiber
Magdalena Holzapfel Wirtin im ›Goldenen Schwan‹
Greta Dinkelsbraun Freundin von Marie Helga Bonnekamm Freundin von Marie, Tochter von Klaus und Agathe Bonnekamm
Klaus Bonnekamm Bäckermeister, Vater von Helga Bonnekamm
Agatha Bonnekamm Ehefrau von Klaus Bonnekamm, Mutter von Helga Bonnekamm
Meginhard von Scharfenstein Oberhaupt einer reichen Familie, Vater von Jakob
Margarethe von Scharfenstein Ehefrau von Meginhard von Scharfenstein, Mutter von Jakob
Jakob von Scharfenstein Sohn von Meginhard und Margarethe von Scharfenstein Karl Schwattner Freund von Helga Bonnekamm, Knecht bei Bernhard Steiner Nikolaus von Brümme Arzt und Chirurg, Heilkundiger
Pater Remigius Pfarrer von Rothenburg Heinrich Meisner Hauptmann der Stadtwache
Markus Gehilfe bei Matthias
Irmtraud Wallner Hure im ›Goldenen Schwan‹
Ferdinand von Ravensburg Inquisitor
Lotte Lambrecht Frau des Pächters auf dem Gutshof der Steiners Klara Felschner Magd auf dem Gut, Jugendfreundin Maries
Nach dem langen Winter war im Jahr 1526 doch noch der Frühling nach Rothenburg gekommen. Allerdings hatte dieser Frühling neben einem äußerst erfolgreichen Markt auch den Tod des alten Eckhard Steiner, des Vaters des Vogtes Bernhard Steiner, mit sich gebracht.
Die Frau des Vogtes, Elsa Steiner, bezichtigte die Magd Marie des Mordes und der Hexerei. Doch war dies nur ein Komplott, das sich die Frau des Vogtes ausgedacht hatte, um Marie aus dem Weg zu räumen. Was die Magd im Haus des Vogtes nicht wusste, aber Elsa Steiner in Erfahrung gebracht hatte, war, dass Marie in Wahrheit eine Tochter des alten Steiner war und dieser ihr ein recht großes Erbteil zugestehen wollte. Die Gier der Vogtin ließ jedoch nicht zu, dass etwas vom Erbe in andere Hände als in ihre fallen würde.
Beim Verhör wurden Marie jedoch vom Schreiber, Popolius Harthrath, und vom Henker Matthias Wolf einige goldene Brücken gebaut, sodass man sie vom Vorwurf der Hexerei freisprechen konnte und nur wegen des Mordes zum Tode durch das Schwert verurteilte.
Das wiederum konnte Matthias, der Henker, im letzten Moment durch die Bitte um Gnade und die Hand der Magd verhindern. Diesen Plan hatte er gemeinsam mit der Wirtin des ›Goldenen Schwan‹, Magdalena Holzapfel, ausgetüftelt.
So heiratete Matthias Marie. Nach einem Mordanschlag auf sie und auf Matthias fanden die beiden langsam zueinander, bis sie sich dann während des Frühjahrsmarktes ihre Liebe gestanden.
Während Marie und Matthias endlich zueinanderfanden, streifte Jakob von Scharfenstein durch Rothenburg. Er war wütend.
Auf dem Fest hatte er Marie gesehen, wie sie ausgelassen mit dem Henker getanzt hatte. Für einen Moment wollte er vorstürmen und ihm sein Messer in das Herz rammen. Aber ihm war klar, er war dem Scharfrichter nicht gewachsen. Auch wenn dieser, wie es hieß, bei einem Kampf mit einem Unbekannten verletzt worden sein sollte, wovon man allerdings nichts mehr zu sehen war. Und die Folgen wären auch für ihn nicht gerade angenehm gewesen.
Als er dann Karl und Helga getroffen hatte, wusste er, was er an diesem Abend wollte. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, die beiden weiter auszunutzen. So hatte er den Plan entwickelt, mit den beiden ins Kontor zu gehen und zu sehen, ob Helga zwei Reiter vertragen würde. Allein der Gedanke daran brachte ihn fast um den Verstand.
Doch auch dieses Vorhaben war durch den Aufzug des Bäckermeisters zunichtegemacht worden. Kurze Zeit später war auch Karl verschwunden. Dann kam das Gewitter. Er suchte in den Gasthäusern der Stadt Zerstreuung, aber es war überall so voll, dass er nirgends mehr hineinkam. Vor dem ›Goldenen Schwan‹ standen einige Stadtwachen, die alle ankommenden Gäste wegschickten.
Also strich er weiter durch die Gassen. Er sah einige Huren, welche ihre Freier in Hauseingängen oder dunklen Gassen bedienten. Es gab zu wenig Zimmer für alle.
»Na, da wird dieser Henker ein hübsches Sümmchen verdienen«, brummte er. Schließlich erhielt Matthias Wolf den sogenannten Hurenpfennig, der ihm alleine zustand. Und bei einem solchen Fest waren mehr Hübschlerinnen in der Stadt, die auf ein einträgliches Geschäft mit den Händlern und Besuchern hofften.
Jakobs Gemächt klopfte immer noch, als er auf einmal seinen Augen nicht zu trauen wagte. Vor ihm, auf der anderen Seite der Straße, drückte sich eine Gestalt eng an die Wände der Häuser. Er konnte sein Glück nicht fassen.
Helga hatte sich davongeschlichen, um sich mit Karl zu treffen. Das würde er ihr vermiesen, beschloss er. So leise er konnte, näherte er sich schnell der Gestalt. Ja, es war die Bäckerstochter, er erkannte sie. Als sie an einer leerstehenden Werkstatt im Judenviertel vorbeikamen, schlug er zu.
Schnell ergriff er das Mädchen, legte ihr eine Hand auf den Mund und zerrte sie hinein. Sie wollte schreien, aber er blaffte sie an.
»Hab ich dich schon wieder erwischt! Was denkst du, was dein Vater sagt, wenn ich ihn aus dem Bett hole und ihm die Hure übergebe, die sich seine Tochter nennt?«
Helga wurde bleich.
»Bitte, Herr … nicht. Mein Vater … er schlägt mich tot.«
Jakob grinste.
»Dann will ich mal nicht so sein. Aber du musst etwas für mich tun, bevor ich dich zu deinem Liebhaber lasse.«
»Alles, was Ihr wollt.«
Sein Grinsen wurde breiter.
»Das wollte ich hören. Aber nun: keinen Ton mehr!«
Er sah sich um. Weiter hinten war ein Tisch.
Schnell riss er ihr das Kleid über den Brüsten auf, zog das vor Angst bebende Mädchen mit sich und beugte es über den Tisch, bis sie mit dem Oberkörper auf der Tischplatte lag. Dann hob er ihre Röcke, griff ihr zwischen die Beine.
Er spuckte in die linke Hand, rieb sie an ihrem Geschlecht, öffnete seine Hose und drückte ihr sein Glied hinein. Das Mädchen biss sich auf die Knöchel. Sie nahm die Stöße des Mannes hin und hoffte, er würde sich schnell ergießen. Doch nach einer Weile spürte sie, wie Lustgefühle in ihr erwachten. Und je härter er zustieß, desto heißer wurde es ihr.
Aber als er seinen Pfahl aus ihr zog, ahnte sie schon, dass das noch nicht alles war. Beinahe war sie enttäuscht, sie hatte kurz vor einem Höhepunkt gestanden.
»Und jetzt werde ich dich von hinten aufspießen!«, presste er hervor.
Sie schluchzte auf, als sie begriff, was er wollte.
»Bitte, Herr! Nicht das … das ist doch …«
Er hörte nicht hin und wollte seinen Pfahl in sie treiben, doch der Schmerz ließ Helga aufschreien. Sie ließ sich seitwärts fallen, robbte weg von dem vor Lust wahnsinnigen Mann. Auf einmal ertastete sie etwas Weiches. Was war das?
Als Jakob näher kam, sein erigiertes Glied wie eine Lanze vor sich hertragend, konnte sie im Dämmerlicht sehen, dass vor ihr eine Leiche lag. Und keine ganz frische! Sie schrie gellend. Jakob hielt sich die Ohren zu, so laut schrie sie.
Die Tür der Werkstatt flog krachend auf. Drei Männer der Stadtwache, die während des gesamten Marktes Patrouille gingen, stürmten herein. Mit einem Blick erfassten sie, dass auf dem Boden ein halbnacktes Mädchen kniete, das lauter kreischte als alle Trompeten der Hölle. Und vor ihr stand ein Mann mit heruntergelassenen Hosen.
Für den Anführer war die Sache klar. Er erkannte die beiden sofort. Jakob von Scharfenstein hatte die Tochter des Bäckers vergewaltigt! Das würde einen hübschen Skandal geben.
»Packt den Kerl!«, rief er.
Die beiden Wachleute griffen den jetzt um sich schlagenden Jakob. Der Anführer beugte sich zu Helga.
»Komm, Mädchen, es wird alles gut. Du musst keine Angst mehr haben.«
Da erst bemerkte er, dass das zitternde Mädchen mit der rechten Hand auf etwas zeigte.
»Scheiße!«
Er rannte vor die Tür, zog sein Horn aus dem Gürtel und blies ein Signal.
Wenige Momente später eilten noch mehr Wachleute in die Werkstatt, gefolgt von einem Hauptmann. Als er den Toten in der Ecke sah, schüttelte er den Kopf.
»Am ersten Abend bereits einen Toten. Das wird den Vogt nicht erfreuen.«
Er wandte sich an Jakob.
»Ich hoffe für dich, dass du dem Henker eine gute Ausrede liefern kannst, sonst beißt sein Schwert sich in deinen Hals. DICH kann er nicht heiraten.«
Er zeigte auf eine der Wachen.
»Du! Lauf zu Meister Matthias. Er muss sofort herkommen.«
Marie und Matthias hatten sich erneut der Leidenschaft hingegeben, von der sie übermannt worden waren, nachdem sie sich ihre gegenseitige Liebe gestanden hatten. Matthias war immer noch benommen, aber Marie entdeckte sehr rasch, welche Lust dieser Mann, der sie vor dem beinahe sicheren Tod gerettet hatte, ihr bereiten konnte, und wollte mehr davon. Gerade wollte sie Matthias erneut zwischen die Schenkel nehmen, als jemand mit solcher Gewalt an die Tür hämmerte, dass sie schier aus den Angeln zu springen drohte. Das junge Paar fuhr so heftig auseinander, dass Matthias beinahe aus dem Bett fiel. Es dauerte einen Moment, bis sie beide realisierten, dass sie nichts Verbotenes taten.
Matthias bedeutete seiner Frau, im Schlafraum zu bleiben, und schlang rasch ein Laken um seine Hüfte, bevor er zur Eingangstür ging.
»Warum störst du mich?«
Marie hörte seine barsche Stimme. Vor wenigen Wochen hätte sie bei diesem Klang noch Todesangst ausgestanden. Sie spitzte ihre Ohren.
»Meister Matthias! Kommt schnell! Ein Toter. Ihr müsst euch beeilen.«
»Wartet hier. Ich bin gleich da.«
Als Matthias ins Schlafzimmer zurückkam, war Marie schon fast wieder angezogen, obwohl ihre Sachen noch nicht ganz getrocknet waren. Es war jetzt keine Zeit, noch etwas Neues zu suchen und sie wollte auf gar keinen Fall allein im Henkershaus auf ihn warten, vor allem bei dem Gewitter und all den Fremden in der Stadt.
Ihr Mann erhob keine Einwände und so stapften sie wenige Momente später durch das noch immer wütende Unwetter nach Rothenburg hinauf. Regenwasser schoss den Weg hinab, hatte ihn fast in einen Bach verwandelt.
Marie war fast blind unter der Kapuze des Wollmantels, den Matthias ihr gegeben hatte und sie hielt sich krampfhaft an seiner Hand fest, um nicht verloren zu gehen. Trotzdem merkte sie, dass die Stadtwache sie in die Straße führte, die an der Stadtmauer entlang lief.
Sie wusste, sie waren im ehemaligen Judenviertel, in dem auch die Johanniterscheune lag. Hier gab es viele leerstehende Gebäude. Man erzählte sich, dass sich dort auch gelegentlich zwielichtige Gestalten trafen, unter anderem auch die Lutheraner, die immer zahlreicher das Land bevölkerten.
Es hieß, dass die Juden einen Fluch über den Stadtteil gelegt hatten, als sie vertrieben worden waren. Alle Bemühungen des Vogtes, das Viertel zu besiedeln, waren fehlgeschlagen. Es hatten am Anfang einige versucht, Kapital aus den leerstehenden Häusern zu schlagen. Aber alle waren gescheitert, hatten ihr gesamtes Vermögen verloren. Einige hatten sich in den leeren Häusern das Leben genommen.
Obwohl der Pfarrer bereits einige Prozessionen durch diese Gassen geführt und alle Gebäude mit reichlich geweihtem Wasser bespritzt hatte, waren die Menschen nicht bereit, dort ihr Domizil zu wählen. Nachdem sich dann bei der letzten Prozession einer der Händler nach dem Verlust seines Geldes vor der Prozession mit einem Seil um den Hals aus dem Fenster gestürzt hatte und genau vor Pater Remigius gebaumelt war, mieden die meisten Menschen das Viertel, als sei dort die Pest ausgebrochen.
Man war überzeugt, der Fluch sei echt und man fand niemanden mehr, der bereit war, sich dort anzusiedeln außer einigen Bettlern, die unerlaubterweise in den alten Gemäuern nächtigten.
Auch Marie fühlte sich alles andere als behaglich hier und sie ließ ihren Mann nicht los. Wenigstens war es so nah an der Mauer nicht mehr so windig wie vor der Stadt, sie kamen gut voran.
Schon von weitem sah Marie den Fackelschein der Wachen, die vor dem Fundort der Leiche auf den Scharfrichter warteten. Zu ihrer Überraschung wartete dort auch eine ziemlich verstört aussehende Helga - und Jakob von Scharfenstein. Ihn hätte Marie in Helgas Gesellschaft nicht erwartet, und auch Matthias witterte sofort faules Spiel.
»Was tun die beiden hier?«, wollte er wissen. »Haben sie den Toten auf dem Gewissen?«
Helga schrie entsetzt auf.
»NEIN, oh, nein, Meister Matthias ... wir ... haben ... uns hier in der Werkstatt ... heimlich getroffen. Und dabei habe ich die Leiche entdeckt.«
»Genau so war es!«, pflichtete Jakob ihr rasch bei. Ein Vergewaltigungsvorwurf war auch für ein Mitglied der Oberschicht kein Zuckerschlecken.
Überrascht sah Marie von einem zum anderen - Helga sollte sich mit Jakob getroffen haben? Wo sie so heiß verliebt in den Knecht des Vogtes war? Das glaubte sie nicht.
Auch die Wachen wirkten verwirrt, aber ohne eine Anschuldigung Helgas war eine Anklage wegen Vergewaltigung nicht zu halten, besonders, da der Anblick der Leiche das Kreischen der jungen Frau durchaus erklärte.
»Na gut ...«, knurrte der Hauptmann der Wache. »Dann schert euch weg und seht zu, dass ich euch heute Nacht nicht mehr unter die Augen bekomme, sonst bringe ich euch eigenhändig bei euren Eltern vorbei!«
Wie geprügelte Hunde liefen die beiden in verschiedene Richtungen davon. Marie jedoch entging nicht, dass Jakob ihr über die Schulter einen langen Blick zuwarf, den sie nicht deuten konnte, bevor er in der Dunkelheit verschwand.
Der Hauptmann hob seine Fackel.
»Gehen wir hinein ... ich kenne den Mann nicht, er scheint kein Rothenburger zu sein.«
Zwei Minuten später fragte Marie sich, wie der Soldat das mit Sicherheit sagen konnte. Der Mann war nicht erst kürzlich gestorben, Augen, Nase, Lippen und Ohren waren bereits den Ratten zum Opfer gefallen. Theoretisch hätte es der Vogt sein können und sie hätte ihn nicht erkannt.
Dass der Geruch Helga und Jakob nicht gleich beim Betreten der Werkstatt aufgefallen war, war der Blonden ebenfalls unbegreiflich. Sie wandte sich ab und presste sich die Hand vor Mund und Nase, unterdrückte ein Würgen.
Matthias ging neben dem Toten in die Hocke und durchsuchte seine Habseligkeiten. Er fand nichts, was auf eine Identität hinweisen konnte, jedoch eine Geldkatze mit einigen Münzen.
»Er wurde nicht ausgeraubt«, stellte der Hauptmann stirnrunzelnd fest.
»Vielleicht ist er einfach so gestorben.«
»Welche natürliche Todesart lässt derart viel Blut fließen?«, wollte Matthias wissen und hob den Körper halb an, sodass die große Blutlache, die schon getrocknet und braun geworden war, sichtbar wurde.
»Holt den Chirurgen! Er soll herausfinden, wie dieser Mann gestorben ist!«, befahl er mit fester Stimme und der neue junge Wachmann lief sofort los. Seit seiner ersten Begegnung mit dem Henker hatte er einen Heidenrespekt vor ihm.
In diesem Moment fielen Maries Blicke auf den Arm der Leiche, der in einem merkwürdigen Winkel zum Körper abstand und sie keuchte.
»Matthias … sein Arm! Das ist der Kerl, der uns angegriffen hat!«
Matthias sah seine Frau an, folgte ihrem Blick auf den Arm. Tatsächlich, der Arm war gebrochen. Er tastete ihn ab, fand die Bruchstelle.
»Was in Gottes Namen …?«, flüsterte er.
Er richtete sich auf.
»Hauptmann, das ist ernster, als wir angenommen haben. Dieser Kerl dort«, er zeigte auf die Leiche, »hat vor einigen Tagen versucht, meine Frau zu ermorden. Als ich ihn gestellt habe, hat er mich verletzt, sodass ich beinahe nicht überlebt habe. Wir müssen unbedingt herausfinden, wer dieser Kerl ist, wo er herkam und was er hier wollte. Und warum zum Teufel er meine Frau töten wollte«, fügte er leise hinzu.
Marie hatte sich abgewandt. Sie zitterte wieder. Ihr Verstand weigerte sich, es zu akzeptieren. Matthias sah, dass seine Frau kurz vor einem Zusammenbruch stand und legte die Arme um sie.
»Du musst dich nicht fürchten. Nicht vor dem da. Der kann dir nichts mehr tun.«
»Ja, der nicht. Aber wer steckt dahinter?«
Matthias überlegte.
Sie hatte Recht. Der Überfall war nicht das Werk des Mannes, der dort am Boden lag, er war nur ein Handlanger gewesen. Ein Fremder hätte sich nicht nachts außerhalb der Stadt aufgehalten und rein zufällig versucht, Marie zu töten. Außerdem hatte der Tote den Henker gekannt. Da musste jemand anderes noch seine Finger im Spiel haben.
Seine Gedanken wurden durch die Ankunft des Chirurgen abgelenkt. Nikolaus von Brümme stürmte in die Werkstatt, laut fluchend, wie es seine Art war, wenn man ihn des Nachts aus dem Bett holte. Vor allem, wenn eine Hure bei ihm war.
»Was gibt es denn so Dringendes? Ich hatte gerade einen wichtigen Eingriff.«
Der Wachmann, der den Arzt geholt hatte, kniff ein Auge zusammen und deutete mit den Händen an, dass er den Chirurgen wohl gerade beim Liebesakt erwischt hatte.
Marie wurde leicht rot, aber innerlich musste sie grinsen, waren sie und Matthias doch ebenfalls bei dieser Tätigkeit unterbrochen worden. Matthias zeigte nur stumm auf die Leiche.
»Ach, Meister Matthias, was ist denn daran eilig? Der läuft nicht mehr weg.«
Matthias klärte ihn kurz über die Umstände auf. Nikolaus von Brümme grunzte, dann machte er sich an die Untersuchung.
Wenige Augenblicke später stutzte er, öffnete das Hemd des Toten und grunzte erneut.
»Na sowas. Da haben wir es ja. Meister Matthias! Kommt einmal.«
Matthias beugte sich neben den Chirurgen. Der deutete auf eine Stelle im Brustkorb.
»Da. Ein sauberer, glatter Stich. Genau zwischen den Rippen ins Herz gestochen. Schnell und fast schmerzlos.«
Er richtete sich wieder auf.
»Bevor der Mann gewusst hat, dass er erstochen wird, war er schon tot.«
»Wer kann so etwas getan haben?«
Der Chirurg zuckte mit den Schultern.
»Das weiß ich nicht. Das kann jeder, der eine gewisse Ahnung von Anatomie, etwas Kraft und ein gutes Messer hat sowie über etwas Geschicklichkeit verfügt. Und wie ich das sehe, war der Mann außerstande, sich zu verteidigen.«
Matthias nickte. Also quasi halb Rothenburg kam in Frage.
»Wie lange ist er schon tot?«
»So einige Tage würde ich sagen. Und wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, mein Eingriff wartet.«
Sprach´s und verschwand. Matthias erhob sich ebenfalls.
»Schafft den Leichnam weg, Hauptmann. Jetzt können wir nichts mehr tun. Ich berede das später mit dem Schreiber.«
Er nahm seine Frau an die Hand und ging mit ihr nach Hause. Der Regen hatte nachgelassen.
Als sie daheim ankamen, sah Marie ihn verschmitzt an.
»Ein Eingriff??«
Matthias grinste.
»So nennt er es immer, wenn er eine der Huren bei sich hat. Und scheinbar hat er jede Nacht einen solchen Eingriff.«
Sie trat auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
»Ich glaube, ich hätte auch gerne noch einen Eingriff.«
Sie tastete über das Vorderteil seiner Hose, erschrocken über ihre Zügellosigkeit, die sie sich nie hätte träumen lassen. Noch vor wenigen Wochen wäre sie alleine bei dem Gedanken an das, was sie jetzt wollte, vor Scham im Boden versunken.
»Wenn das chirurgische Gerät denn noch für einen Weiteren zu gebrauchen ist«, kicherte sie.
Mit einem zustimmenden Brummen bückte Matthias sich, hob seine Frau einfach hoch und warf sie sich über die Schulter, um sie ins Schlafzimmer zu schleppen.
Es dauerte nicht lange, bis ihr ausgelassenes Lachen von genüsslichem Seufzen abgelöst wurde.
Am nächsten Morgen wurde Marie von Vogelgezwitscher geweckt. Frische Morgenluft drang durch das Fenster ins Schlafzimmer und sie atmete tief ein. Matthias lag eng an sie gepresst und hielt sie mit einem Arm fest. So gut hatte sie schon lange nicht mehr geschlafen.
Zärtlich betrachtete sie das Gesicht ihres Mannes. Er wirkte völlig entspannt und ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Marie küsste ihn zärtlich auf die Stirn und machte sich vorsichtig aus seiner Umarmung frei.
Sie wusste, heute stand die Bestrafung Elisabeths an. Marie empfand die Strafe als ungerecht. Welche Wahl hatte die Kaufmannstochter schon gehabt, als die Wünsche ihres Vaters zu erfüllen? Sie war ja abhängig von ihm gewesen.
Es hätte vollkommen gereicht, sie ins Kloster zu überführen, nachdem die Eltern der Stadt verwiesen worden waren. Der Pranger war ihrer Meinung nach überflüssig. Und doch, Marie wusste, Elisabeth war mitschuldig. Sie hätte sich vorher jemandem anvertrauen können. Ihr hätte klar sein müssen, dass der Schwindel auffliegen würde. Marie überlegte, was man vielleicht für sie tun könnte.
Rasch wusch sie sich und zog sich an, um sich dann um Matthias´ Frühstück zu kümmern. Die Hühner im Garten legten bereits fleißig Eier und so bekam er eine große Portion Rührei mit Schinken.
Zusammen mit einem Becher Milch balancierte Marie die Leckerei ins Schlafzimmer, stellte alles neben dem Bett ab und weckte Matthias mit einem zärtlichen Kuss. Nur kurz kam ihr der Gedanke, dass sie seit Wochen schon unter der Erde wäre ohne ihn.
»Guten Morgen, Liebster, die Sonne steht schon am Himmel.«
Er hätte sie am liebsten sofort wieder in sein Bett gezogen. Trotz ihrer sehr intensiven Liebesspiele stand sein Speer schon wieder aufrecht, hungrig nach der süßesten Frucht, die er je aufgespießt hatte.
Matthias griff nach ihr, doch Marie wehrte lachend ab und tänzelte anmutig außer Reichweite.
»Hey, denk dran, wir haben nicht so viel Zeit.«
Er nickte folgsam, aber ein wenig traurig. Aber er wusste, das würden sie später nachholen.
Während Matthias frühstückte, suchte Marie schon die Kleidung heraus, die er bei Bestrafungen zu tragen pflegte, und legte sie zurecht. Ganz beiläufig fragte sie ihn dabei. »Matthias, sag ... können wir es der Elisabeth nicht ein wenig leichter machen? Gibst du ihr einen deiner Tränke?«
Er überlegte.
»Der Vogt hat nichts davon gesagt, dass ich ihr nichts geben darf. Allerdings hat er es auch nicht erlaubt.«
Marie zögerte. Sie musste Matthias ihre Bedenken mitteilen. Sie konnte nicht tatenlos dabei zusehen, wie vielleicht ein Unglück geschah.
»Aber … das Kind?«
Matthias starrte sie an. Marie hatte Recht. Er musste aufpassen, dass er ihr nicht aus Versehen etwas gab, wodurch sie ihr Kind verlieren könnte. Das wollte er nicht.
»Ich glaube, da habe ich etwas. Es ist nur ein leichtes Mittel, sie wird denken, sie träumt.«
Marie sah ihn liebevoll an.
»Und denkst du, dass du das machen kannst?«
Matthias nickte, mit vollen Backen kauend.
Aber seine Frau war noch nicht fertig.
»Du könntest sie eigentlich auch in den Sitzpranger schließen, oder? Ich meine ... wie du ja gesagt hast, sie ist schwanger. Sie kann nicht den ganzen Tag stehen!«
Überrascht sah Matthias auf, schüttelte den Kopf.
»Der Pranger ist immer der Stehpranger.«
Der Henker war leicht verwirrt. Er hätte niemals an den Sitzpranger gedacht. Dieser wurde im Normalfall nur für säumige Schuldner verwendet. Aber auch nur dann, wenn sie gebrechlich waren. Oder aber schwanger. Normalerweise ordnete Vogt Steiner es aber dann explizit an.
Er kratzte sich am Kopf und wartete, was Marie im Sinn hatte. Sie war schon häufiger dabei gewesen, wenn diese Prangerstrafen verhängt worden waren.
»Davon gehst du aus, aber SAGTE der Vogt das wirklich? Kommt in seiner Urteilsverkündung das Wort ›Stehpranger‹ vor?«
Matthias dachte erneut kurz darüber nach und unterdrückte ein Grinsen. Der Vogt hatte weder Stehpranger noch Sitzpranger gesagt.
»Nein ...«
»Na also!«
Marie war zufrieden, ihre Augen blitzten schelmisch. Instinktiv wusste sie, wie sie ihren Mann beeinflussen konnte.
»Dann kannst du sie auch in den Sitzpranger schließen. Er steht sowieso auf dem Marktplatz, wird nur nie benutzt!«
Der Henker brummte. Seine Frau war gerissen, das musste er ihr lassen. Ihre Gerissenheit entsprang jedoch einem guten Herzen, und nur das zählte. Im Grunde genommen hatte er nur abgewartet, wie weit sie gehen würde. Und er wusste, Marie hatte Recht. Niemand wollte ein totes Kind auf dem Markt sehen. Das wäre ein schlechtes Omen gewesen für den Frühlingsmarkt. Es würde nicht leicht, aber er würde dem Vogt das mit dem Sitzpranger schon irgendwie verkaufen, da war er sich sicher. Auch, wenn es Folgen für ihn haben könnte.
»Der Vogt wird wütend auf mich sein!«, stellte er fest und füllte die Waschschüssel mit kaltem Wasser. Doch im Grunde genommen war ihm egal, was der Vogt dachte.
Marie schmiegte sich an seinen Rücken und spürte, wie alleine sein Duft und der Körperkontakt dafür sorgten, dass sie ihn schon wieder wollte.
»Aber deine Frau wird dich anbeten ... und belohnen!«
Matthias lachte schallend. Diesem Argument konnte er sich natürlich unmöglich entziehen.
Die Kirche war so brechend voll gewesen, dass einige Leute im Gang und im Portal hatten stehen müssen. Rothenburg gehörte zu den wenigen Kirchengemeinden, in denen die Gläubigen in der Kirche Bänke vorfanden. Diese waren vor einiger Zeit vom Vater des Vogtes, Eckhard Steiner, gestiftet worden. Doch heute reichten sie bei Weitem nicht aus, um alle Menschen aufzunehmen. Marie verabscheute dieses scheinheilige Volk. Viele Gesichter sah man bei der Sonntagsmesse nur dann, wenn es hinterher Bestrafungen zu sehen gab. Und diese Leute hofften darauf, einmal in den Himmel zu kommen? Das konnte Marie sich wirklich nicht vorstellen. In ihren Augen gehörten sie allesamt in die Hölle, um dort für alle Ewigkeiten zu schmoren.
Die Messe nahm den gewohnten Verlauf. Die Liturgie war immer die gleich. Auch wenn die Meisten nichts von dem verstanden, was Pater Remigius vorne auf Latein von sich gab, wussten alle, wann sie welche Handlungen zu vollziehen hatten. Doch plötzlich schwieg der Pfarrer, sah seine Gemeinde an.
Dann, ohne Vorwarnung, brüllte er durch die Kirche.
»Heute sehe ich nicht meine Gläubigen hier, die in stiller Andacht verharren. Ich sehe nicht die Christen, die ihr vorgebt zu sein!
Nein! Heute sehe ich nur einen Haufen Sünder! Ich sehe Männer und Frauen, die sich in der letzten Nacht allen Sünden hingegeben haben, die man sich vorstellen kann!
Wollust!
Völlerei!
Missgunst!
Habgier!
Ich sah letzte Nacht, wie Männer und Frauen betrunken am Gotteshaus ihr Wasser abschlugen!
Ich sah Männer und Frauen, die sich in abartiger Wollust vereinten. Und ich sah, wie Männer es mit Männern trieben, wie Frauen ihre Körper an anderen Frauen rieben!«
Die Köpfe der Gläubigen senkten sich. Einige wurden rot, vor allem die Frauen. Doch der Pfarrer war noch nicht fertig.
»Ich sah, wie gutes Essen in den Mist geworfen wurde! Ich sah, wie Männer sich um die Gunst einer Frau schlugen!
Und ich will nicht wissen, was ich, der ich nur als Wurm auf der Erde krieche, nicht gesehen habe. Doch der Herr, der über allem schwebt, hat euch alle gesehen. Sein Sündenregister ist gefüllt.«
Er holte tief Luft. Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
»Wie, so frage ich euch, wie wollt ihr euch von diesen Sünden wieder erlösen lassen? Was, denkt ihr, kann euch noch vor Hölle und Verdammnis erretten?«
Seine Augen blitzten.
»Gleich werden wir vor diesem Gotteshaus eine Sünderin bestrafen, die sich aus Berechnung und in niederträchtiger Weise einem Manne hingegeben hat. Ihr wird der Herr danach ihre Sünden vergeben. Doch wie wollt ihr Erlösung, wie wollt ihr Vergebung erhalten?«
Er stemmte seine Fäuste in die Hüften.
»Ihr habt gutes Geld verprasst, während ich seit vielen Jahren darum bete, genug für ein neues Dach für unser Kloster zusammenzubekommen. Aber es ist immer noch nicht genug. Doch statt dem Herrn einen Teil zu geben, versauft ihr es, bringt es mit billigem Wein durch, werft es mit beiden Händen zum Fenster hinaus!
Er sah wieder in die Gesichter der Gläubigen, einige von ihnen, darunter auch sehr viele Frauen, waren rot geworden und hatten die Köpfe gesenkt. Jetzt wurde es Zeit für den Schluss, befand Pater Remigius.
»Doch der Herr ist gnädig. Nach der Messe werde ich vor den Toren auf euch warten. Und jedes Silberstück, jedes Goldstück, das ihr für den Erhalt unseres Klosters gebt, wird euch das Tor zum Himmel wieder öffnen!«
Er schwieg, sah sich um. An den betroffenen Gesichtern erkannte er, dass die Spenden üppig ausfallen würden. Pater Remigius hatte dabei kein schlechtes Gewissen. Er war fest davon überzeugt, dass mit jedem Geldstück, das die Rothenburger ihm gaben, ihnen Sünden erlassen würden.
Mit ruhiger Stimme las er die Messe weiter, während seine Schäfchen bereits in ihren Geldkatzen nach einer Spende suchten, die ihren Sünden angemessen war.
Matthias verließ die Kirche schon kurz vor dem Abschlusssegen, er musste Elisabeth vorbereiten und aus dem Verlies holen, jedoch nicht ohne Marie ein paar Geldstücke in die Hand zu drücken.
»Für die Sünden, die wir begangen haben. Und die wir noch begehen werden«, grinste er sie an.
Unter dem Klang der Glocken strömte die Menge auf den Marktplatz, wo die Stände wieder besetzt waren, und versammelte sich um das Podest, auf dem der Galgen und die Pranger aufgebaut waren. Marie spürte die Spannung in der Luft, sah die gierigen Blicke der Menschen, die sich am Elend der armen Kaufmannstochter weiden wollten. Am liebsten wäre sie gegangen, aber sie blieb. Schon ihres Mannes wegen. Dass Jakob von Scharfenstein sich ihr näherte, merkte Marie erst, als er sie mit ihrem Namen ansprach. Sie zuckte zusammen, begrüßte ihn knapp und blickte wieder zum Pranger hinauf.
»Na, Marie, kommst du auch, um die Vorstellung zu sehen?«, feixte er.
Marie würdigte ihn keines Blickes.
»Nein. Ich muss mich nicht am Anblick einer armen Schwangeren ergötzen. Ich bin nur hier, weil ich meinen Mann unterstütze.«
Jakob lachte gehässig.
»Dein Mann! Nun komm Marie, ich weiß doch, dass du ihn nicht freiwillig geheiratet hast. Du musst bei mir nicht so tun, als ob du eine glückliche Ehe führst, nur damit er dich nicht grün und blau prügelt!«
Nun war es an Marie, zu lachen.
»Nein, das muss ich wahrhaftig nicht ... lass mich einfach in Ruhe, Jakob!«
Der Patrizier rückte näher an sie heran, wagte aber nicht, sie vor all den Zeugen zu berühren, und flüsterte ihr leise etwas zu.
»Keine Angst, Matthias wird es nie erfahren ... er weiß ja sowieso nichts von uns. Und er kann dich nicht die ganze Zeit bewachen. Ich verrate dich schon nicht, wir können nach wie vor Spaß im Kontor haben. Ich weiß doch, dass es dir gefallen hat.«
Diese Unverschämtheit nahm Marie förmlich den Atem, aber noch bevor sie etwas erwidern konnte, trat der Vogt aufs Podest und brachte die Menge zum Verstummen, erinnerte an die Tat der Kaufmannstochter und verlas noch einmal das Urteil.
Marie nutzte Jakobs momentane Unaufmerksamkeit und schlüpfte durch die Menschen davon, versteckte sich zwischen dem Podest und der Kirchenmauer.
Matthias führte die Kaufmannstocher herbei. Noch war sie mit einem Umhang aus grobem Leinen bekleidet, ihre Hände mit Seilen gebunden und Marie konnte ihren lethargischen, traumverlorenen Gesichtsausdruck erkennen. Matthias hatte ihr also tatsächlich etwas von seinem Gebräu gegeben. Elisabeth würde kaum bemerken, was um sie herum vor sich ging. Vor dem Pranger zogen ihr zwei Wachen den Umhang über den Kopf, sodass sie nackt dort stand.
Einige in der Menge johlten, als sie die nackte Frau sahen. Ihre Brüste hingen schwer nach unten. Ein leichter Ansatz des Bauches, in dem ihr Kind wuchs, war zu sehen.
Matthias winkte den Barbier zu sich, der Elisabeth das Haupthaar abschnitt und anschließend den Kopf kahl rasierte. Als der Henker die Verurteilte in den Sitzpranger bugsierte und die Bretter um Hände und Füße verschloss, erhob sich ein Murren im Publikum.
Der Sitzpranger war noch nie benutzt worden, seit Bernhard Steiner der Vogt war. Von der Erleichterung der Strafe abgesehen, konnte man so kaum einen Blick auf den nackten Körper der Frau werfen.
Matthias jedoch ließ sich nicht beirren, wandte sich direkt an den Vogt und sagte halblaut.
»Ich weiß, Herr ... das gab es bei Euch noch nie. Aber Ihr habt nicht explizit im Urteil betont, dass sie an den Stehpranger muss, und sie ist schwanger. Wenn sie den ganzen Tag stehen muss, könnte sie zusammenbrechen und auch noch ihr Kind verlieren.«
Aus den Augenwinkeln sah der Scharfrichter, dass Elsa Steiner heftig den Kopf schüttelte, aber er achtete gar nicht auf sie. Er konnte nur hoffen, dass er nicht zu weit ging.
Matthias redete leise weiter.
»Euer Gnaden, stellt euch vor, sie erleidet hier, mitten auf dem Markt, während die Menschen um sie herum feiern, eine Fehlgeburt, und das tote Kind liegt auf dem Podest. Für viele wäre dies ein schlechtes Omen!«
Der Vogt nickte. Man sollte einen Aberglauben nicht unterschätzen. Und doch … er fragte sich, ob sein Henker nicht langsam zu weit ging. Darüber würde er mit ihm reden müssen.
Elsa Steiner wollte protestieren, doch ein Blick ihres Mannes ließ sie schweigen. Dann fasste er einen Entschluss, zog die Brauen zusammen.
»Nun ... ja ... wir sollten nicht härter sein als nötig ...«
Mit erhobenen Händen trat er neben den Pranger und brachte die Rothenburger zum Schweigen, rief mit lauter Stimme:
»Meine Freunde, wir haben Frühling, und wir haben Markt. Das sind Dinge, die gefeiert werden müssen. Lasst uns gnädig sein und dieser armen Sünderin eine Erleichterung ihres Schicksals gewähren.«
Er sah in die Gesichter der Zuschauer. Einige der Frauen nickten zustimmend. Er fuhr fort.
»Auch kann ihr ungeborenes Kind nichts für ihre Verfehlungen. Wir dürfen nicht riskieren, dass es zu Schaden kommt.«
Die Mienen einiger Zuschauer entspannten sich. Man sah sich betreten an. An das ungeborene Kind hatten die Wenigsten gedacht. Die anwesenden Mütter suchten die Hände ihrer Kinder und hielten sie fest. Schließlich unterbrach ein erster Ruf sie Stille.
»Ein Hoch auf unseren gnädigen Vogt!«
Es war ausgerechnet die Mutter der kleinen Rosa, die erst vor kurzem auf brutale Art und Weise getötet worden war. So dauerte es nur einen kurzen Moment, und die Mehrzahl der Anwesenden stimmte mit ein und Bernhard Steiner nahm den Jubel mit huldvollem Lächeln - nicht ohne dabei das Gefühl zu haben, soeben von seinem Henker übertölpelt worden zu sein. Und das schon zum zweiten Mal in diesem Jahr!
Nach der Bestrafung zog sich Matthias mit seiner Frau in ihr Zuhause zurück. Er lächelte sie an.
»Nun? War es so zu deiner Zufriedenheit?«
Marie nickte.
»Ja, es war sehr gut. Und wie du den Vogt überzeugen konntest. Seine Frau wäre fast geplatzt.«
Er lachte. »Wolltest du mir nicht eine Belohnung zukommen lassen?«
Sie sah das gierige Glitzern in seinen Augen. Alleine der Gedanke, ihn wieder zu spüren, machte sie wahnsinnig.
»Sag mir, welche Belohnung du dir von mir wünschst …«, murmelte sie fast unhörbar. Sie spürte, wie ihre Ohren zu glühen begannen.
Er lächelte, beugte sich vor und flüsterte ihr seinen Wunsch ins Ohr. Marie lächelte. Die Angst, dass er ihr Verhalten von letzter Nacht, als sie ihn das erste Mal geschmeckt hatte, als unzüchtig ansehen würde, löste sich in Luft auf.
Sie presste sich gegen ihn und bugsierte ihn ins Schlafzimmer, drückte ihn aufs Bett nieder und forderte ihn auf:
»Bleib einfach nur sitzen und entspann dich ...«
Er folgte ihren Worten und war erstaunt über seine Frau. Er hatte sie als keusche Jungfrau eingeschätzt. Jungfrau war sie zwar gewesen, aber sehr keusch doch wohl eher nicht. Doch das störte ihn keineswegs.
Als habe sie vor, zu beten, kniete Marie sich vor ihn hin, öffnete mit geschickten Händen seine Hose und keuchte leise, als ihr seine Männlichkeit bereits hart und aufrecht entgegenkam. Jetzt, bei Tageslicht, hatte sie die Möglichkeit, diesen harten Stab genau zu betrachten. Und ihr gefiel immer mehr, was sie sah. War sie zunächst unsicher und ängstlich gewesen, so verlor sie jetzt jede Scheu und sie spürte, wie allein der Anblick sie erregte.
Sie sah Matthias an, saugte kurz an ihrer Unterlippe.
»Was für ein Glück, dass ich dem Pfaffen heute so viel Geld auf den Spendenteller gelegt habe ...«
Er lächelte zurück.
»Ja, was für ein Glück für mich.«
Dann schloss Matthias seine Augen und genoss die Zärtlichkeiten seiner Frau, von denen bisher er nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
Sie ließ keinen Zentimeter seiner Haut aus, berührte sie mit Lippen und Zunge. Langsam trieb sie ihn zum Höhepunkt. Marie hörte, wie er laut aufstöhnte, und wurde fordernder. Und dann spürte sie, wie die Oberschenkel ihres Mannes zu zittern begannen, und erfreute sich an seinem Höhepunkt.
Matthias sah nur atemlos zu, wie seine Frau ihn verwöhnte, und war glücklich, dass Marie nicht eine der Frauen war, welche die körperliche Liebe als abartig empfanden. Oder zu denen, die sich nur ihrem Mann in dunkler Nacht hingaben, weil es zu den Pflichten der Frau gehörte.
Marie wurde immer neugieriger. Er war ihr Mann. Und sie konnte mit reinem Gewissen alles tun, was ihr in den Sinn kam. Sie erkundete, fühlte, schmeckte. Und es dauerte nicht lange, da spürte sie seinen Höhepunkt. Sie sah ihm in die Augen, als er sich ergoss, und machte weiter, bis die Flut verebbte.
Er ließ sich auf das Bett sinken, schwer atmend. Mit blitzenden Augen schob Marie sich zu ihm auf die Matratze und fragte keck:
»Na? War das eine angemessene Belohnung für den gnädigsten Henker in ganz Franken?«
Er küsste sie lange und innig, lächelte sie danach an.
»Das war mehr als angemessen.«
Er richtete sich auf, sah ihr lange in die Augen.
»Marie …«
»Ja, mein geliebter Ehemann?«
»Ich möchte, dass du mir sagst, wie ich dir dieses Vergnügen, das du mir bereitet hast, vergelten kann.«
Sie lächelte ihn verschmitzt an.
»Das werde ich. Aber erst heute Abend. Denn jetzt solltest du etwas essen, damit du bei Kräften bleibst und deine Frau zufriedenstellen kannst.«
Sie grinste jetzt über beide Ohren.
Er sah sie mit gespieltem Entsetzen an, knuffte sie zart in die Seite. Sie revanchierte sich, indem sie ihn kitzelte, und war entzückt, als sie bemerkte, dass der Henker äußerst empfindlich darauf reagierte.
»Oh, du kleines Biest!«, lachte er auf und begann, es ihr mit gleicher Münze heimzuzahlen. Schnell balgten sie sich wie die kleinen Kinder. Obwohl Marie ihm körperlich weit unterlegen war, bot sie ihm, so gut es ging, Paroli. Das ging so lange gut, bis sie vor lauter Lachen aus dem Bett purzelten und aufeinanderlagen. Ein schier endlos dauernder Kuss besiegelte ihre Liebe aufs Neue.
Der Markt ging indes seinen normalen Gang. Die Wachleute waren auf der Hut, sie wussten, es würde Ärger geben. Das war für einen solch großen Markt normal. Und so kam es, dass die Verliese sich im Laufe des Tages rasch füllten. Der Vogt hatte bereits im Vorfeld Urteile für verschiedene Vergehen erlassen, die ohne Verhandlung vollstreckt werden konnten, sofern sie von Wachleuten bezeugt wurden.
Es gab einige kleinere Diebstähle. Die Strafen dafür waren unterschiedlich. Bei Diebstahl von Brot und Obst wurden meist nur einige Finger abgeschlagen, bei Gelddiebstahl war eine Hand dran.
Wenn einer der Händler seine Kunden betrog, wurden ihm Zunge oder Ohren abgeschnitten. Öffentlich zur Schau gestellte Unzucht wurde zumeist mit Pranger oder Stäupen bestraft, aber wenn es dunkel wurde und der Alkohol floss, kam dieses Vergehen so häufig vor, dass die Wachen meist wegsahen, wenn nicht jemand darauf bestand, ein Paar anzuzeigen. Der Strom der zu Bestrafenden wuchs gegen Abend an. Allerorts gab es Vorfälle. Doch die Anweisung des Vogtes war eindeutig. Der Hauptmann der Wache feixte.
»Na, da haben wir aber eine Menge helfende Hände, wenn der Markt abgebaut wird.«
Die Wachleute grölten laut. In der Tat saßen viele in den Zellen, die ihre Hand verlieren würden.
»Da muss Meister Matthias seine Axt wohl einige Male nachschärfen.«
Die Bestrafungen sollten noch am nächsten Morgen auf dem Richtplatz vor der Stadt vollzogen werden. Meister Popolius schrieb alles auf, um es dann vom Vogt siegeln zu lassen.
Als es dunkel wurde, begann ein neues Fest in der Stadt. Wieder waren alle Gasthäuser voll bis auf den letzten Platz. Matthias hatte seiner Frau versprochen, sich mit ihr gemeinsam die Gaukler anzusehen. Marie lachte sich über die Späße der lustigen Gestalten halb tot, während Matthias sich mehr darauf konzentrierte, mögliche Gauner im Blick zu behalten.
Im Schatten der Vogtei kauerte zur selben Zeit ein junger Mann. Seit mehreren Tagen lauerte er hier und versuchte, einen Weg hineinzufinden. Und er hatte ihn gefunden.
Der Beobachter war sich sicher, dass hinter einem der Fenster im oberen Stock das Zimmer der Person war, an der er Rache für den Tod seiner Gefährten nehmen wollte.