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Der Student Don Cleophas wird bei einem nächtlichen Stelldichein von eifersüchtigen Liebhabern aus dem Zimmer seiner Dame vertrieben und sucht über die Dächer von Madrid zu entkommen.
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Seitenzahl: 447
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Der hinkende Teufel
Alain René Lesage
Inhalt:
Alain René Lesage – Biografie und Bibliografie
Der hinkende Teufel
Erster Theil.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Zweiter Theil.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechszehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Der hinkende Teufel , A. Lesage
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849630522
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Franz. Dichter, geb. 8. Mai 1668 in Sarzeau bei Vannes, gest. 17. Nov. 1747 in Boulogne-sur-Mer, studierte in Paris, wurde Advokat, widmete sich aber bald ausschließlich der schriftstellerischen Tätigkeit. Es gelang ihm indessen erst spät und nach vielen fruchtlosen Versuchen auf verschiedenen Gebieten (worunter Übersetzungen aus dem Griechischen und dem Spanischen), sich einen Namen zu verschaffen; am meisten trug dazu das Wohl wollen seines Gönners, des Abbé Lyonne, bei. Von seinen Dramen, die er für die kleineren Bühnen schrieb, fanden »Crispin rival de son maître« nach einem spanischen Stück des Mendoza (1707) und »Turcaret« (1708), eine Satire gegen die Financiers damaliger Zeit, lebhaften Beifall. Noch größeren Ruhm erwarb er sich durch seine komischen Romane, namentlich »Le diable boiteux« (1707; auch Par. 1878, 2 Bde.; deutsch von L Schücking, Hildburgh. 1866), nach einem spanischen Vorbild (von Guevara), was Titel, Umgebung und Personen betrifft, sonst durch und durch französisch und gegen die Frömmelei aus der Zeit des alternden Ludwig XIV. gerichtet, und »Gil Blas de Santillane« (1715–35, 4 Bde., auch Par. 1820, 3 Bde.; deutsch, Berl. 1856), mit freier Benutzung italienischer und spanischer Werke geschrieben, obwohl seine Neider (Voltaire) und spanische Patrioten es für die Kopie eines spanischen Originals ausgaben. Man hat »Gil Blas« mit Rabelais und Lafontaine verglichen; er ist wohl der Vorläufer Figaros. Von seinen übrigen Romanen sind hervorzuheben: »Les aventures de Guzman d'Alfarache«, nach dem spanischen Roman des Mateo Aleman (1732, 2 Bde.), und »Le bachelier de Salamanque« (1736–38, 2 Bde.), eine Frucht seines Alters und von L. selbst sehr hoch geschätzt. Die sonstigen Werke Lesages bestanden in Vaudevilles, komischen Opern (101 an der Zahl), Intermezzos, Possen etc. Die Akademie, die er in seinen Romanen persifliert hatte, rächte sich, indem sie ihn nicht aufnahm. Sein Einfluss machte sich zuerst in England (bei Smollett) geltend, erst später in Frankreich (bei Balzac). Die vollständigste Ausgabe seiner Werke erschien zu Paris 1828 in 12 Bänden; eine Auswahl, herausgegeben von Poitevin, zuletzt 1840; sein »Théâtre« 1879; sein »Théâtre de la foire« 1721–37, 10 Bde. Von seinen Hauptwerken gibt es unzählige Einzelausgaben. Eine deutsche Übersetzung der Werke lieferte Wallroth (Stuttg.1839–40, 12 Bde.). Vgl. Barberet, L. et le Théâtre de la foire (Dijon 1888); L. Claretie, Le romanen France an début du XVIII. siècle.Lesage romancier(mit Bibliographie, Par. 1890) und dessen kleinere Biographie (1894); Lintilhac, Lesage (1893).
Was der hinkende Teufel für ein Teufel ist. Wo und durch welchen Zufall Don Cleophas Leandro Perez Zambullo seine Bekanntschaft machte.
Eine Oktobernacht hüllte die berühmte Stadt Madrid in dichte Finsterniß; schon hatte die Bevölkerung sich an den häuslichen Herd zurückgezogen und die Straßen den Verliebten freigelassen, die unter die Ballone ihrer Schönen von ihrem Glück oder ihren Schmerzen zu singen kamen; schon beunruhigte der Klang der Guitarren sorgliche Väter und erschreckte eifersüchtige Gatten; mit einem Wort, es war fast Mitternacht, als Don Cleophas Leandro Perez Zambullo, ein Student der hohen Schule von Alcala, zum Dachfenster eines Hauses hinausfloh, in das der ruchlose Sohn der Göttin von Cythere ihn gelockt hatte. Er suchte Ehre und Leben zu retten, indem er drei oder vier Raufbolden zu entwischen strebte, die ihm dicht auf den Fersen waren und ihn tödten oder ihn zwingen wollten, eine Donna zu heirathen, bei der sie ihn eben überrascht hatten.
Wenn auch allein gegen sie, hatte er sich doch herzhaft zur Wehre gesetzt und nur die Flucht ergriffen, weil sie ihm im Kampfe seinen Degen entrissen hatten. Eine Zeit lang verfolgten sie ihn auf den Dächern, aber im Schutz der Dunkelheit entkam er ihnen. Er nahm nun seine Richtung auf ein Licht zu, welches er in der Ferne erblickte und das, so schwach es war, ihm als ein Leuchtthurm auf seinem gefährlichen Wege diente. Nachdem er mehr als einmal Gefahr gelaufen, sich den Hals zu brechen, gelangte er an eine Dachkammer, aus der die Strahlen dieses Lichtes fielen, und er stieg durch das Fenster hinein, so froh wie ein Schiffer, der sein vom Schiffbruch bedrohtes Fahrzeug glücklich im Hafen sieht.
Zuerst blickte er nach allen Seiten um sich; er war erstaunt, Niemanden in dieser Bodenstube zu finden, die ihm ziemlich wunderbar vorkam, und begann sie sehr genau zu betrachten. Von der Decke hing eine kupferne Lampe nieder, Bücher und Papiere lagen wirr durcheinander auf dem Tische; hier waren ein Globus und Compässe, dort Phiolen und mathematische Instrumente zu sehn – offenbar mußte im unteren Stockwerk irgend ein Astrolog hausen, der in diesem ungemüthlichen Raume seine Beobachtungen machte.
Der Student dachte an die Gefahr, der sein guter Stern ihn hatte entkommen lassen, und überlegte sich, ob er bis zum Morgen hier verweilen oder einen andern Entschluß fassen solle – als er einen tiefen Seufzer neben sich ausstoßen hörte. Er glaubte im ersten Augenblick, daß es irgend eine Vorspiegelung seiner aufgeregten Sinne sei, eine Täuschung, wie sie die Nacht hervorruft; deshalb gab er sich bald, ohne weiter Gewicht darauf zu legen, wieder seinen Gedanken hin.
Da aber hörte er zum zweitenmale seufzen und zweifelte nun nicht länger, daß er es mit etwas Wirklichem zu thun habe; und obwohl er Niemand in der Kammer sah, rief er laut aus: Wer zum Teufel seufzt hier? – Ich, Herr Student, antwortete im selben Augenblick eine höchst merkwürdige Stimme. Ich stecke seit sechs Monaten in einer dieser zugestöpselten Phiolen. Es wohnt in diesem Haus ein gelehrter Astrolog, der ein Zauberer ist, und er ist es, der durch die Macht seiner Künste mich in diesem engen Gefängniß eingeschlossen hält. – Seid Ihr denn ein Geist? fragte Cleophas ziemlich betroffen über die Seltsamkeit dieses Abenteuers. – Ich bin ein Dämon, antwortete die Stimme; und Ihr kommt just zur rechten Stunde, um mich aus der Sklaverei zu befreien. Ich gehe in der Unthätigkeit zu Grunde, denn ich bin der regsamste und emsigste Teufel der Hölle.
Diese Worte setzten den Herrn Zambullo einigermaßen in Schrecken; aber da er ein verwegener Geselle war, so beruhigte er sich und sagte dem Geist mit fester Stimme: Erst, Herr Teufel, muß ich Euch bitten, mit zu sagen, welchen Rang Ihr unter euren Mitbrüdern einnehmt, ob Ihr ein adliger oder bürgerlicher Teufel seid? – Ich bin ein Teufel von Wichtigkeit, antwortete die Stimme, und der, welcher von allen in dieser und in jener Welt den größten Ruf hat. – Wärt Ihr vielleicht, entgegnete Don Cleophas, der Dämon, den man Lucifer nennt? – Nein, versetzte der Geist, das ist der Teufel der Marktschreier und Windbeutel. – Seid Ihr Uriel? fuhr der Student fort. – O Pfui, unterbrach ihn barsch die Stimme, das ist der Patron der Kaufleute, Schneider, Schlächter, Bäcker und der andern Spitzbuben aus dem Pöbel. – Ihr seid vielleicht Belzebub? sagte Leandro. – Wollt Ihr spotten? antwortete der Geist – das ist der Teufel der Duegnen und Stallmeister.
Das wundert mich, sagte Zambullo; ich glaubte, Belzebub sei eine der vornehmsten Persönlichkeiten in eurer Gesellschaft. – Eine der untersten, entgegnete der Teufel; Ihr macht Euch verkehrte Vorstellungen von unsrer Hölle.
So müßt Ihr wohl, fuhr Don Cleophas fort, Leviathan, Belphegor oder Astaroth sein! – Oh, was diese drei betrifft, sagte die Stimme, so sind sie allerdings Teufel vom ersten Rang; sie sind Hofteufel, sie kommen in die Berathungen der Fürsten, sie blasen den Ministern ein, sie bilden Verschwörungen, schüren Empörungen in den Staaten an und entzünden die Fackeln des Krieges. Das sind keine Duckmäuser wie die, welche Ihr zuerst nanntet. – Ach, seid so gut und sagt mir, versetzte der Student, was sind die Obliegenheiten Flagels? – Der ist die Seele der Chikane und der Geist der Rechtsgelehrten, entgegnete der Dämon. Er macht den Gerichtsvollziehern und Notaren die Protokolle. Er ist der Einbläser der Anwälte, reitet die Advokaten, und sitzt den Richtern im Nacken.
Was mich angeht, ich habe andre Beschäftigungen; ich stifte lächerliche Heirathen; ich bringe Graubärte mit Backfischen zusammen, Herrn mit ihren Mägden; Mädchen ohne Ausstattung mit zärtlichen Liebhabern, die kein Vermögen haben. Ich bin es, der in die Welt den Luxus, die Ausschweifungen, die Glücksspiele und die Alchimie eingeführt hat. Ich bin der Erfinder der Carroussels, des Tanzes, der Musik, der Theater und aller neuen französischen Moden: mit einem Wort, ich bin Asmodeus, zubenannt der hinkende Teufel.
Wie, rief Don Cleophas aus, wärt Ihr der berufene Asmodeus, dessen so rühmlich im Agrippa und im Schlüssel Salomonis erwähnt wird? Ihr habt mir dann aber wahrhaftig nicht Alles, womit Ihr Euch ergötzt, aufgezählt, das Beste habt Ihr verschwiegen. Ich weiß, daß Ihr Euch zuweilen damit unterhaltet, den unglücklichen Liebenden beizustehen; zum Beweise erinnere ich Euch daran, daß im vorigen Jahre einer meiner Freunde in Alcala, ein Baccalaureus, mit eurer Hülfe die Gunst der Frau eines Universitätslehrers gewann. – Das ist wahr, sagte der Geist; ich bewahrte mir das für den Schluß auf. Ich bin der Teufel der Wollust oder, um es sittsamer auszudrücken, der Gott Cupido; denn die Poeten haben mir diesen hübschen Namen gegeben und schildern mich mit sehr vortheilhaften Farben. Sie sagen, ich hätte vergoldete Schwingen, eine Binde um die Augen, einen Bogen in der Hand, einen Köcher voll Pfeile auf dem Rücken und dazu eine hinreißende Schönheit. Ihr werdet selbst sehen, was daran wahr ist, wenn Ihr mich in Freiheit setzen wollt!
Senhor Asmodeus, entgegnete Leandro Perez, ich stehe schon lange, wie Ihr wißt, vollständig in euren Diensten; der beste Beweis ist die Gefahr, der ich soeben entronnen bin. Ich bin sehr erfreut, die Gelegenheit zu finden, Euch zu verpflichten; aber das Gefäß, in welchem Ihr eingeschlossen seid, ist ohne Zweifel ein verzaubertes Gefäß; ich würde umsonst versuchen, es zu öffnen oder zu zerbrechen und deshalb ist mir nicht recht klar, auf welche Weise ich Euch aus dem Gefängniß werde befreien können. Ich habe nicht viel Uebung in dieser Art von Befreiungen; und unter uns, wenn Ihr, der Ihr ein so durchtriebener Teufel seid, Euch nicht aus der Sache zu ziehen wißt, wie könnte ich armseliger Sterblicher damit zu Stande kommen? – Die Menschen haben diese Macht, antwortete der Dämon. Die Phiole, in welche ich eingesperrt bin, ist nichts als eine einfache, leicht zu zerbrechende Glasflasche. Ihr braucht sie nur zu nehmen und sie auf die Erde zu werfen – und sofort werdet Ihr mich in menschlicher Gestalt dastehen sehen. – Auf diese Art, sagte der Student, ist die Sache leichter als ich dachte. Erklärt mir, in welcher Phiole Ihr steckt; ich sehe eine ziemlich große Anzahl von ähnlichen und kann sie nicht unterscheiden. – Es ist die vierte in der Reihe vom Fenster her, versetzte der Geist. Obwohl der Abdruck eines magischen Siegels auf dem Stöpsel ist, wird die Flasche nichts desto weniger zerbrechen.
Das reicht hin, fiel Don Cleophas ein. Ich bin bereit euren Wunsch zu erfüllen; nur ein kleines Bedenken hält mich noch zurück; ich fürchte, wenn ich Euch den verlangten Dienst erwiesen habe, werde ich für den Schaden zu Buche stehn müssen. – Es wird Euch nicht das geringste Unheil zustoßen, erwiederte der Teufel; im Gegentheil, Ihr werdet mit meiner Dankbarkeit zufrieden sein. Ich werde Euch über Alles belehren, was Ihr zu wissen verlangt; ich werde Euch Alles, was in der Welt vorgeht, enthüllen; ich werde die Schwächen der Menschen vor Euch aufdecken; ich werde euer Schutzgeist sein; und, erleuchteter als der Genius des Sokrates, werde ich Euch noch weiser machen als dieser große Philosoph war. Mit einem Wort, ich ergebe mich Euch mit meinen guten und schlimmen Eigenschaften, von denen die einen Euch nicht weniger nützlich sein werden als die andern.
Das sind schöne Versprechungen, entgegnete der Student; aber Ihr Herrn Teufel steht ein wenig in dem Ruf, nicht sehr gewissenhaft im Halten dessen zu sein, was Ihr uns versprecht. – Diese Beschuldigung ist nicht ohne Grund, erwiederte Asmodeus. Die meisten von meinen Mitbrüdern machen sich kein Gewissen daraus, Euch ihr Wort zu brechen. Aber was mich angeht, so bin ich, abgesehen davon, daß ich den Dienst, den ich von Euch erwarte, nicht theuer genug bezahlen kann, der Sklave meiner Schwüre; und ich schwöre Euch bei Allem, was sie unverbrüchlich machen kann, daß ich Euch nicht täuschen werde. Zählt auf die Versicherung, die ich Euch gebe, und, was Euch sehr angenehm sein wird, ich bin bereit, Euch noch in dieser Nacht an Donna Thomasa zu rächen, der treulosen Dame, welche vier Raufbolde bei sich verborgen hatte, um Euch zu überraschen und Euch zur Heirath zu zwingen.
Der junge Zambullo wurde von diesem letzten Versprechen ganz besonders entzückt. Um die Erfüllung desselben zu beschleunigen, eilte er, die Phiole, worin der Geist war, zu ergreifen und ohne sich weiter um das, was daraus entstehen könne, zu kümmern, ließ er sie heftig fallen. Sie zerbrach in tausend Stücke und überschwemmte den Boden mit einer schwarzen Flüssigkeit, die nach und nach verdampfte und sich in einen Rauch verwandelte, der, sich plötzlich zerstreuend, den überraschten Studenten die Gestalt eines Mannes in einem Mantel, von der Höhe von ungefähr drittehalb Fuß und auf zwei Krücken gestützt, erblicken ließ. Das kleine hinkende Ungeheuer hatte Bockfüße, ein langes Gesicht mit spitzem Kinn, schwarzgelbem Teint und sehr plattgedrückter Nase; seine Augen schienen sehr klein, aber sie glühten wie zwei brennende Kohlen; sein weitaufgespaltener Mund hatte Lippen, die gar nicht zu beschreiben waren, und darüber einen rothen, in zwei Haken auffrisirten Schnurrbart.
Dieser anmuthige Cupido hatte eine Art Turban von rothem Krepp mit einem Busch von Hahnen- und Pfauenfedern daran um den Kopf gewickelt. Um den Hals trug er einen breiten Kragen von gelber Leinwand, auf welchem verschiedene Muster von Halsbändern und Ohrgehängen gezeichnet waren. Er war gekleidet in einen kurzen Rock von weißer Seide, in der Mitte gegürtet mit einem breiten Bande von weißem Pergament, das ganz mit Zauberzeichen bemalt war. Auf dem Rocke sah man mehrere, für die Büste sehr vortheilhaft auswattirte Schnürleiber, Schärpen, bunte Schürzen und neue Frisuren abgemalt, die einen noch abenteuerlicher als die anderen.
Dies Alles aber war nichts im Vergleich zu seinem Mantel, dessen Grundstoff auch aus weißer Seide bestand. Darauf war eine Unzahl von Gestalten mit chinesischer Tusche gemalt, mit so großer Freiheit der Erfindung und solcher Derbheit der Auffassung, daß man wohl sah, daß der Teufel dabei den Pinsel geführt. Auf der einen Seite sah man eine in ihre Mantille gehüllte Spanierin, die mit einem jungen Fremden auf der Promenade kokettirte; auf der andern eine Französin, die sich vor einem Spiegel ein neues Mienenspiel einstudirte, um seine Wirkung an einem jungen Abbé zu erproben, der am Thürvorhang ihres Zimmers erschien, geschminkt und mit Schönpflästerchen geziert. Hier sah man italienische Cavaliere unter den Balkonen ihrer Schönen singen und Guitarre spielen; dort umgaben deutsche Wüstlinge, trunkener und tabakbesudelter als französische Pflastertreter, eine mit den Spuren ihres Zechgelages überschwemmte Tafel. Man erblickte an einer Stelle einen aus dem Bade steigenden Türken, umgeben von allen Frauen seines Serails, die sich beeiferten, ihm Dienste zu leisten; an einer andern einen Engländer, der seiner Dame mit großer Galanterie eine Pfeife und Bier überreichte.
Man sah auch vortrefflich dargestellte Spieler; die einen füllten in großer Freude ihre Hüte mit Gold-und Silberstücken; die andern, die nur noch auf ihr Ehrenwort spielten, schleuderten dem Himmel gotteslästerliche Blicke zu und zerrissen ihre Karten in heller Verzweiflung. Kurz, man sah auf diesem Mantel so viel merkwürdige Dinge, wie auf dem bewundernswürdigen Schilde, den auf die Bitten der Thetis Vulkan anfertigte; aber zwischen den beiden Arbeiten dieser zwei hinkenden Geister war der Unterschied, daß die Gestalten auf dem Schild durchaus keinen Bezug auf die Heldenthaten des Achill hatten, während die auf dem Mantel im Gegentheil ebenso viele lebenswahre Abbildungen von Allem dem waren, was auf Betreiben des Asmodeus in der Welt geschieht. –
Weiteres von der Befreiung des Asmodeus.
Der Dämon sah, daß sein Anblick den Studenten nicht zu seinen Gunsten einnahm und sagte lächelnd: Hier, Senhor Don Cleophas Leandro Perez Zambullo, seht Ihr den reizenden Liebesgott, den souveränen Beherrscher der Herzen vor Euch. Wie scheint Euch mein Aussehn und meine Schönheit? Sind die Dichter nicht ausgezeichnete Schilderer? – Offen gestanden, antwortete Don Cleophas, sie schmeicheln ein wenig. Ich darf voraussetzen, daß Ihr nicht in dieser Gestalt Psychen erschient! – Das in der That nicht, fiel der Teufel ein; ich nahm die eines kleinen französischen Marquis an, um sie plötzlich in mich verliebt zu machen. Wenn das Laster keine angenehme Hülle annähme, würde es nicht anlocken. Ich schlüpfe nach Belieben in jede Gestalt und ich hätte mich euren Augen in einer schöneren und idealeren Form darstellen können; aber da ich mich Euch ganz ergeben habe und Euch nichts zu verhüllen beabsichtige, so habe ich gewollt, daß Ihr mich in der Gestalt sähet, welche mit der Meinung, die man von mir und meinen Beschäftigungen hat, in Einklang steht.
Ich bin nicht überrascht, sagte Leandro, daß Ihr ein wenig häßlich seid ... verzeiht mir den Ausdruck; der Verkehr, den wir zusammen haben werden, fordert Offenheit. Aber eure Züge stimmen sehr wenig zu der Vorstellung, welche ich mir von Euch machte; und ich bitte Euch, erklärt mir, weshalb Ihr denn hinkt?
Das stammt, antwortete der Teufel, von einem Streit her, den ich einst in Frankreich mit Pillardoc, dem Teufel des Eigennutzes, hatte. Es handelte sich darum, wer von uns beiden einen jungen, aus der Provinz Maine nach Paris gekommenen und da sein Glück suchenden Menschen besitzen sollte. Da es ein ausgezeichnetes Subjekt, ein Bursche von großen Talenten war, so geriethen wir in heftigen Zank seinetwegen. Wir schlugen uns in der mittleren Luftregion. Pillardoc war der stärkere und warf mich auf die Erde nieder in derselben Weise, wie einst Jupiter nach der Poeten Behauptung den Vulkan zur Erde niederschleuderte.
Die Aehnlichkeit dieser Geschichten war die Ursache, daß meine Genossen mich den hinkenden Teufel nannten. Sie gaben mir diesen Beinamen, um mich zu verhöhnen, und seitdem ist er mir geblieben. Uebrigens bin ich trotz dieses Fehlers flink genug auf den Beinen. Ihr werdet schon Zeuge meiner Behendigkeit werden.
Aber, fuhr er fort, beenden wir dieses Geplauder. Machen wir, daß wir aus dieser Bude fortkommen; der Zauberer wird bald heraufgestiegen kommen, um an der Unsterblichkeit einer schönen Sylphide zu arbeiten, die ihn jede Nacht hier besucht. Wenn er uns überraschte, würde er, ohne viel Umstände zu machen, mich wieder in die Flasche stecken, und wäre im Stande, Euch ebenso unterzubringen. Werfen wir vorher die Trümmer der zerbrochenen Phiole durchs Fenster, damit der Hexenmeister meine Befreiung nicht gewahr werde.
Wenn er sie nach unserer Entfernung bemerkte, sagte Zambullo, was würde dann die Folge sein? – Was die Folge sein würde? antwortete der Hinkende – man sieht wohl, daß Ihr das Buch vom Höllenzwang nicht gelesen! Wenn ich mich auch bis zu den Enden der Welt oder der Region, welche die Salamander in Flammen bewohnen, flüchtete, um mich zu verbergen; wenn ich niederstiege zu den Gnomen oder in die tiefsten Abgründe des Meeres, so würde ich da vor seiner Rache nicht geschützt sein. Er würde Beschwörungen anstellen, so stark, daß die ganze Hölle davon erbebte. Ich möchte ihm noch so hartnäckig widerstreben, ich müßte vor ihm erscheinen, um die Strafe über mich ergehen zu lassen, die er mir auferlegen würde.
Wenn das ist, nahm der Student das Wort, dann, fürchte ich, wird unsere Verbindung nicht von langer Dauer sein. Dieser fürchterliche Schwarzkünstler wird eure Flucht bald entdecken. – Das kann ich nicht wissen, versetzte der Geist, weil uns unbekannt ist, was sich ereignen wird. – Wie, rief Leandro Perez aus, die Dämonen blicken nicht in die Zukunft? – Nein, entgegnete der Teufel; diejenigen, welche sich in dieser Beziehung auf uns verlassen, sind große Narren. Darum auch bringen die Wahrsager und Wahrsagerinnen so viel Dummheiten vor und lassen so viele von den vornehmen Damen begehen, die von ihnen Aufschluß über zukünftige Ereignisse verlangen. Ich weiß also nicht, ob der Zauberer meine Entfernung bald bemerken wird; aber ich hoffe, daß er es nicht thun wird. Es sind mehrere solcher Phiolen wie die, worin ich eingesperrt war, da; es wird ihm nicht auffallen, daß diese fehlt. Zudem kann ich Euch sagen, daß ich in seinem Laboratorium bin wie ein Rechtsbuch in der Bibliothek eines Wucherers; er denkt nicht an mich; und wenn er an mich dächte – er erweist mir nie die Ehre, sich mit mir zu unterhalten; es ist der stolzeste Hexenmeister, den ich kenne. Seit der Zeit, daß er mich eingeschlossen hielt, hat er sich nicht ein einziges Mal herabgelassen, das Wort an mich zu richten.
Welch ein Mann! sagte Don Cleophas. Was habt Ihr denn gethan, Euch seinen Haß zuzuziehen? – Ich habe einen von seinen Plänen durchkreuzt, antwortete Asmodeus. Es war eine Stelle in einer gewissen Akademie erledigt; er verlangte sie für einen seiner Freunde; ich wollte sie einem Anderen ertheilen lassen; der Zauberer machte einen Talisman, zusammengesetzt aus den mächtigsten Charakteren der Kabala; ich dagegen brachte meinen Mann in den Dienst eines großen Ministers, dessen Name den Sieg davon trug über den Talisman. –
Nachdem er so geredet, raffte der Dämon alle Stücke der zerbrochenen Phiole zusammen und warf sie durchs Fenster. Senhor Zambullo, sagte er dann zu dem Studenten, machen wir uns jetzt so bald wie möglich aus dem Staube; nehmt den Zipfel meines Mantels und fürchtet nichts. So gefährlich dieser Vorschlag dem Don Cleophas auch erschien, so zog er doch vor, ihn anzunehmen, als der Rache des Zauberers ausgesetzt zu bleiben; er klammerte sich so gut er konnte an den Teufel an, der ihn im Augenblick hinwegführte.
An welchen Ort der hinkende Teufel den Studenten versetzte und von den ersten Gegenständen, die er ihn erblicken ließ.
Asmodeus hatte nicht ohne Grund seine Behendigkeit gerühmt. Er durchschnitt die Luft wie ein von kräftiger Sehne geschleuderter Pfeil und dann ließ er sich nieder auf dem Thurm von San Salvador. Sobald er Fuß gefaßt, sagte er seinem Begleiter: Nun, Senhor Leandro, wenn man von einem hart stoßenden Wagen sagt, das sei ein Teufelswagen, drückt man sich dann nicht außerordentlich falsch aus? – Das habe ich soeben erfahren, antwortete Zambullo höflich. Ich kann versichern, daß euer Gefährt bequemer als eine Sänfte ist und dabei so schnell, daß man nicht Zeit hat, sich auf dem Wege zu langweilen.
Ihr wißt nicht, fuhr der Dämon fort, weshalb ich Euch hierher bringe; ich beabsichtige, Euch Alles zu zeigen, was in Madrid vorgeht; und da ich bei diesem Viertel hier beginnen will, so konnte ich keinen Ort wählen, der zur Ausführung meiner Absicht geeigneter wäre. Ich werde durch meine teuflische Kraft die Dächer von den Häusern fortnehmen und trotz der Finsterniß der Nacht wird das Innere vor euren Blicken offen daliegen. Bei diesen Worten streckte er einfach nur den rechten Arm aus, und im Augenblick verschwanden alle Dächer. Nun sah der Student, wie an hellem Mittage das Innere der Häuser, ganz so, sagt Luis Velez de Guevara,1 wie man das Innere einer Pastete sieht, von der man die obere Kruste genommen hat.
Der Anblick war zu neu für ihn, um nicht seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Er ließ seine Blicke nach allen Seiten schweifen, und die bunte Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die ihn umgaben, beschäftigte lange Zeit seine Neugier. Senhor Don Cleophas, sagte der Teufel zu ihm, dieser Wirrwarr, von Dingen, den Ihr mit Vergnügen betrachtet, ist in der That sehr unterhaltend anzusehn; aber dies ist nur ein unersprießlicher Zeitvertreib. Es ist nöthig, daß ich Euch denselben nützlich mache; und um Euch eine vollkommene Kenntniß des menschlichen Lebens zu geben, will ich Euch das Thun und Treiben aller der Menschen, die Ihr seht, erklären. Ich will Euch die Beweggründe ihrer Handlungen enthüllen und bis zu ihren geheimsten Gedanken Euch offen legen.
Wo sollen wir beginnen? Fassen wir zuerst in jenem Hause dort rechts diesen Alten ins Auge, der Gold und Silber zählt. Es ist ein Geizhals aus dem Bürgerstande. Seine Carrosse, die er für fast nichts aus dem Nachlaß eines Hofmanns erhalten hat, wird von zwei jämmerlichen Maulthieren gezogen, welche er in seinem Stalle nach dem Gesetz der zwölf Tafeln füttert, das heißt, er giebt jedem täglich ein Pfund Gerste; er behandelt sie wie die Römer ihre Sklaven behandelten. Vor zwei Jahren ist er aus Indien zurückgekommen, beladen mit einer Menge Gold- und Silberbarren, die er in klingende Münze hat verwandeln lassen. Bewundert diesen alten Narren; mit welcher Glückseligkeit weiden sich seine Augen an seinen Reichthümern! Er kann sich gar nicht satt sehen! Aber gebt zu gleicher Zeit Acht auf das, was in einen: kleinen Saale desselben Hauses vorgeht. Bemerkt Ihr zwei junge Bursche und eine alte Frau darin? – Ja, antwortete Cleophas, es sind wahrscheinlich seine Kinder! – Nein, entgegnete der Teufel; es sind seine Neffen, die ihn beerben werden und die in ihrer Ungeduld, seines Nachlasses habhaft zu werden, heimlich eine Wahrsagerin haben kommen lassen, um von ihr zu erfahren, wann er sterben werde!
Ich erblicke in dem benachbarten Hause zwei Schauspiele, die ergötzlich genug sind. Das eine bildet eine alte Kokette, die sich zu Bett legt, nachdem sie ihr Haar, ihre Brauen und ihre Zähne auf dem Nachttisch gelassen; das andre ein sechzigjähriger Galan, der heimkommt, nachdem er den Verliebten gemacht. Er hat sein Auge und seinen falschen Schnurrbart sammt der Perrücke, die den kahlen Schädel deckte, schon abgelegt und wartet, daß sein Diener ihm seinen hölzernen Arm und sein Bein abnehme; mit dem Reste will er zu Bette gehn.
Wenn meine Augen mich nicht trügen, sagte Zambullo, so sehe ich in diesem Hause ein hochgewachsenes junges Mädchen, das zum Malen ist. Welch ein reizendes Gesicht! – O, sagte der Hinkende, diese junge Schönheit, die Euch so auffällt, ist die ältere Schwester des Galans, der sich zu Bette begeben will. Man kann sagen, daß sie das Gegenstück zu der alten Kokette sei, die mit ihr in einem Hause wohnt. Die Taille, die Ihr an ihr bewundert, ist eine Maschine, die den Scharfsinn eines Mechanikers erschöpft hat. Ihre Brüste und ihre Hüften sind künstlich und es ist nicht lange her, daß sie in der Kirche während der Predigt ihre Aufpolsterungen fallen ließ. Trotz allem dem weiß sie sich das Ansehn einer Minderjährigen zu geben und zwei junge Cavaliere wetteifern um ihre Gunst. Sie sind sich darüber schon in die Haare gerathen. Die Wahnsinnigen! Sie kommen mir vor wie zwei Hunde, die sich um einen Knochen zanken.
Jetzt aber lacht mit mir über das Concert, das man ziemlich nahe dabei in einem Bürgerhause zum Ende eines Familienmahls aufführt. Man singt Cantaten. Ein alter Rechtsgelehrter hat sie in Musik gesetzt und die Worte sind von einem Alguazil,2 der den Angenehmen spielt, einem Gecken, der zu seinem Vergnügen und zur Marter andrer Leute Verse macht. Eine Sackpfeife und ein Spinett bilden das Orchester. Ein Mensch wie eine Hopfenstange mit heller Stimme macht den Tenor, und ein junges Mädchen, das eine sehr dumpfe Stimme hat, vertritt den Baß. – Welche komische Scene! rief Don Cleophas lachend; wenn man geflissentlich ein Concert als Posse aufführen wollte, würde man kein so gutes zu Stande bringen.
Werft die Augen auf dies prächtige Hotel, fuhr der Dämon fort; Ihr seht darin einen Herrn, der sich in einem glänzenden Apartement zu Bette gelegt hat. Neben ihm steht ein Kistchen, das mit Billets-Doux gefüllt ist. Er liest sie, um sich auf eine wollüstige Art einzuschläfern, denn sie sind von einer Dame, welche er anbetet und die ihn so großen Aufwand machen läßt, daß er bald gezwungen sein wird, sich um eine Vicekönigstelle zu bewerben.
Wenn in diesem Hotel Alles zur Ruhe und still ist, so läßt man es dagegen in dem Nachbarhause zur Linken an Bewegung nicht fehlen. Unterscheidet Ihr darin eine Gestalt in einem Bette von rothem Damast? Es ist eine vornehme Dame, Donna Fabula, die soeben nach der Hebamme geschickt hat und im Begriffe ist, dem alten Don Torribio, ihrem Gemahl, den Ihr neben ihr seht, einen Erben zu schenken. Seid Ihr nicht entzückt über die Gutmüthigkeit dieses Gatten? Das Schreien seiner theuren Hälfte zerschneidet ihm die, Seele; er ist in Schmerz aufgelöst, er leidet eben so viel wie sie. Mit welcher Sorge und welchem Eifer müht er sich, ihr beizustehn! – In der That, sagte Leandro, der Mann ist in gewaltiger Aufregung, aber ich erblicke einen andern in demselben Hause, der in tiefem Schlummer zu liegen scheint, sehr unbekümmert um den Ausgang der Geschichte! – Und doch müßte ihn die Sache interessiren, nahm der Hinkende wieder das Wort, denn es ist ein Lakai, der an den Schmerzen seiner Gebieterin allein die Schuld trägt.
Blickt ein wenig weiter hinaus, fuhr er fort, und seht in einem niedern Saale den Heuchler, der sich mit Wagenschmiere einsalbt, um zu einer Versammlung von Zauberern zu eilen, welche diese Nacht zwischen San Sebastian und Fuentarabia gehalten wird. Ich würde Euch auf der Stelle hintragen, um Euch einen angenehmen Zeitvertreib zu gewähren, wenn ich nicht fürchtete, von dem Teufel erkannt zu werden, der bei dieser Feierlichkeit den Bock macht. –
Seid Ihr denn keine guten Freunde, Ihr Beide, dieser Teufel und Ihr? – Wahrhaftig nicht, entgegnete Asmodeus; es ist derselbe Pillardoc, von dem ich Euch erzählt habe. Der Schuft würde mich verrathen, er würde nicht unterlassen, den Zauberer von meiner Flucht zu unterrichten. – Habt Ihr vielleicht noch einen Zank mit diesem Pillardoc gehabt? – Ihr habt es gesagt, erwiederte der Dämon; vor zwei Jahren bekamen wir aufs neue Händel wegen einer jungen Pariser Pflanze, eines Bürschleins, das sich einen Wirkungskreis suchte. Wir gedachten beide die Hand darauf zu legen; er beabsichtigte, einen Commis daraus zu machen, ich einen Menschen, der bei Weibern sein Glück sucht; unsere Kameraden machten einen schlechten Mönch daraus, um dem Streit ein Ende zu setzen. Und dann versöhnte man uns; wir umarmten uns – und seit dieser Zeit sind wir Todfeinde!
So lassen wir diese schöne Versammlung, sagte Don Cleophas; ich begehre durchaus nicht, ihr beizuwohnen; fahren wir lieber fort, das, was sich unsrem Blicke darbietet, zu betrachten. Was bedeuten die Feuerfunken, die aus jenem Keller hervorsprühen? – Es ist eine der verrücktesten Beschäftigungen der Menschen, antwortete der Teufel. Der Mann, der in diesem Keller neben dem glühenden Ofen steht, ist ein Goldkoch; das Feuer verzehrt nach und nach sein reiches Erbe, und er wird doch nie finden, was er sucht.
Unter uns, der Stein der Weisen ist nichts als ein verlockendes Hirngespinnst, das ich selbst ausgedacht habe, um den menschlichen Geist, der die ihm einmal vorgeschriebenen Schranken überschreiten will, zu verhöhnen.
Der Goldkoch hat zum Nachbar einen guten Apotheker, der sich noch nicht zur Ruhe gelegt hat. Ihr seht, wie er mit seinem alten Weibe und seinem Lehrling in seiner Bude arbeitet. Wißt Ihr, was sie machen? Der Mann setzt eine Nachkommenschaft erweckende Pille für einen alten Advokaten, der morgen heirathen will, zusammen. Der Lehrling bereitet eine abführende Tisane, und die Frau stößt in einem Mörser Droguen, die das Gegentheil bewirken.
Ich erblicke in dem Hause, welches dem des Apothekers gegenüber liegt, sagte Zambullo, einen Mann, der sich erhebt und sich hastig ankleidet. – Pest, antwortete der Geist, das ist ein Arzt, den man wegen eines höchst wichtigen Falles beruft. Man hat nach ihm geschickt, um eines Prälaten willen, der seit einer Stunde, daß er zu Bett liegt, zwei oder drei Mal gehustet hat.
Werft eure Blicke darüber hinaus, nach Rechts, und sucht in einer Dachkammer einen Mann zu entdecken, der im Hemde, beim düstren Licht einer Lampe, auf und ab schreitet. – Ich sehe ihn, rief der Student – so gut, daß ich das Inventar der Meubeln, die in diesem armseligen Gelaß sind, machen könnte – es ist nichts da, als ein schlechtes Bett, ein Sessel und ein Tisch, und die Wände scheinen mir ganz mit Schwarz beschmiert. – Der Mann, der in solcher Höhe wohnt, ist ein Poet, antwortete Asmodeus, und was Euch schwarz vorkommt, sind tragische Verse seiner Fabrik, womit er seine Kammer tapezirt hat, da er aus Mangel an Papier gezwungen ist, seine Gedichte auf die Wände zu schreiben.
Nach dem Sturm und der Aufregung, in der er auf-und abläuft, sagte Don Cleophas, schließe ich, daß er ein wichtiges Werk componirt. Ihr habt mit dieser Vermuthung nicht Unrecht, antwortete der Hinkende; er legte gestern die letzte Hand an eine Tragödie, betitelt: die Sündfluth. Man wird ihm nicht vorwerfen können, daß er dabei die Einheit des Orts nicht beachtet habe, denn die ganze Handlung geht in der Arche Noäh vor.
Ich versichere Euch, daß es ein ausgezeichnetes Stück ist; alle Thiere sprechen darin wie Professoren. Er hat die Absicht, es einem großen Herrn zu widmen; seit sechs Stunden arbeitet er an der Widmungszuschrift; in diesem Augenblick ist er bei der letzten Phrase angekommen; man kann sagen, daß es ein Meisterwerk ist, diese Widmung; aller moralischen und politischen Tugenden Preis, alle Lobeserhebungen, welche man einem durch seine und seiner Ahnen Thaten berühmten Manne ertheilen kann, sind darin verschwendet; niemals hat ein Autor kühner Weihrauch gespendet. – Wem beabsichtigt er denn, ein so großes Lob darzubringen? nahm der Student wieder das Wort. – Das weiß er noch nicht, erwiederte der Teufel; für den Namen hat er die Stelle offen gelassen. Er sucht irgend einen reichen Herrn, der freigebiger ist, als diejenigen, denen er schon andere Bücher gewidmet hat; aber die Leute, welche Widmungsepisteln bezahlen, sind heutzutage selten; es ist ein Fehler, den die großen Herrn sich abgewöhnt haben, und dadurch haben sie einen großen Dienst dem Publikum geleistet, das mit jämmerlichen Geistesprodukten überschüttet wurde; denn die meisten Bücher wurden früher um dessentwillen gemacht, was die Widmung einbrachte.
Bei Gelegenheit der Widmungsepisteln, fügte der Dämon hinzu, muß ich Euch übrigens einen seltsamen Zug mittheilen. Eine Dame vom Hofe, welche die Widmung eines Werkes verstattet hatte, wollte die Zuschrift vor dem Drucke lesen und da sie fand, daß sie nicht genug und so wie sie's verlangte, darin gelobt war, so gab sie sich die Mühe, selber eine nach ihrem Geschmacke zu schreiben und sie dem Verfasser zu schicken, damit er sie seinem Buche vorsetze.
Es scheint mir, rief Leandro aus, ich sehe Diebe, die über einen Balkon in ein Haus einsteigen. – Ihr täuscht Euch nicht, erwiederte Asmodeus, es sind Nachtdiebe. Sie brechen bei einem Banquier ein; halten wir sie im Auge und sehen, was sie machen. Sie durchsuchen das Comptoir, sie stöbern überall umher; aber der Banquier ist ihnen zuvorgekommen; er ist gestern mit allem, was er an Baarem in seinen Kisten hatte, nach Holland abgereist.
Verfolgen wir, sagte Zambullo, einen andern Räuber, der auf einer seidnen Strickleiter zu einem Balkon emporsteigt! – Der da ist nicht, was Ihr voraussetzt, antwortete der Hinkende; es ist ein Marquis, der auf diesem Wege in das Zimmer einer Jungfrau zu kommen versucht, die aufhören will, es zu sein. Er hat ihr sehr leichthin geschworen, daß er sie heirathen werde und sie hat sich natürlich auf seine Eide hin ergeben, denn im Liebeshandel sind die Marquis Geschäftsleute, die einen großen Kredit am Platze haben.
Ich bin neugierig, fuhr der Student fort, zu erfahren, was ein Mensch macht, den ich in der Nachtmütze und im Schlafrock sehe. Er ist sehr fleißig am Schreiben und neben sich hat er eine kleine schwarze Figur, die ihm beim Schreiben die Hand führt. – Der Mann, der schreibt, antwortete der Teufel, ist ein Gerichtsschreiber, der, um sich einen sehr erkenntlichen Vormünder zu verpflichten, ein zu Gunsten eines Minderjährigen ergangenes Urtheil verändert; und die kleine schwarze Gestalt, die ihm die Hand führt, ist Griffael, der Teufel der Gerichtsschreiber. – Dieser Griffael, erwiederte Don Cleophas, bekleidet also die Stelle nur provisorisch; da Flagel der böse Geist der Gerichtsleute ist, so müssen auch die Gerichtsschreiber, scheint mir, zu seinem Sprengel gehören. – Nein, entgegnete Asmodeus, die Gerichtsschreiber sind für würdig gehalten worden, ihren besonderen Teufel zu haben, und ich schwöre Euch, daß er überflüssig zu thun hat.
Beachtet in einem Bürgerhause neben dem des Gerichtsschreibers eine junge Dame, die den ersten Stock bewohnt. Es ist eine Wittwe, und der Mann, den Ihr bei ihr seht, ist ihr Oheim, der im zweiten Stock wohnt. Bewundert die keusche Verschämtheit dieser Wittwe ... sie will ihr Nachthemd nicht in Gegenwart ihres Oheims anlegen, sie geht dazu in ein Kabinet, um es sich von einem Liebhaber anlegen zu lassen, den sie dort versteckt hält.
Bei dem Gerichtsschreiber wohnt ein ihm verwandter dicker hinkender Junggeselle, der nicht seines Gleichen als Spaßmacher hat. Der von Cicero wegen seiner Schlagwörter und seines feinen Witzes so gepriesene Volumnius war kein so witziger Kopf. Man nennt ihn in ganz Madrid den Baccalaureus par excellence, und alle Leute vom Hofe oder in der Stadt, welche Diners geben, angeln nach Senhor Donoso um die Wette. Er hat ein ganz besonderes Talent, die Gäste zu ergötzen; er macht das Entzücken einer Tafelrunde aus; auch speist er täglich in irgend einem guten Hause, aus dem er nicht vor zwei Uhr nach Mitternacht heimzukehren pflegt. Er ißt heute bei dem Marquis von Alcazinas, zu dem er jedoch nur durch den Zufall gerathen. – Wie so, durch den Zufall? unterbrach Leandro. – Ich will mich deutlicher erklären, entgegnete der Teufel. Heute, gegen die Mittagsstunde, hielten fünf oder sechs Carrossen vor der Thüre des Baccalaureus, die ihn zu verschiedenen großen Herrn abholen sollten. Er hat ihre Lakaien in seine Wohnung herauskommen lassen und hat ihnen, indem er ein Spiel Karten nahm, gesagt: Meine Freunde, da ich eure Herrschaften nicht alle zugleich befriedigen kann, und da ich einen nicht vor dem andern begünstigen will, so sollen diese Karten darüber entscheiden. Ich werde speisen gehen zum Treffkönig – –
Welche Absicht mag auf der andern Seite der Straße jener Cavalier haben, fiel Don Cleophas ein, der auf der Schwelle eines Thores sitzt? Harrt er, bis eine Zofe kommt, um ihn ins Haus einzuführen? – Nein, nein, versetzte Asmodeus, es ist ein junger Castilianer, der den vollkommenen Liebhaber vorstellen will; er will aus lauter Galanterie nach dem Beispiel der Liebhaber der Vorzeit die Nacht an der Thüre seiner Geliebten zubringen. Von Zeit zu Zeit klimpert er auf einer Güitarre und singt Romanzen eigner Fabrik dazu; seine Donna aber, die in dem zweiten Stockwerk zu Bett liegt, hört ihm zu und weint über die Abwesenheit seines Nebenbuhlers.
Kommen wir zu diesem neuen Gebäude da, das zwei gesonderte Wohnungen enthält; die eine hat der Eigentümer inne, jener alte Cavalier, der bald in seinem Gemache auf und abgeht, und sich bald in einen Lehnstuhl fallen läßt. – Er muß, sagte Zambullo, in seinem Kopfe irgend einen großen Plan herumwälzen. Wer ist dieser Mann? Wenn man sich an den Reichthum hält, der in seinen Wohnräumen glänzt, so muß es ein Grande erster Klasse sein. – Und doch ist er nur ein Contador, antwortete der Teufel. Er ist in einträglichen Aemtern ergraut und besitzt ein Vermögen von vier Millionen. Da er nicht ohne Unruhe wegen der Mittel ist, mit denen er es zusammengescharrt hat, und den Augenblick vor sich sieht, wo er in der andern Welt seine Rechnung ablegen muß, so ist er fromm geworden; er gedenkt ein Kloster zu bauen; er schmeichelt sich mit der Hoffnung, nach solch einem guten Werke werde er sein Gewissen beruhigt fühlen. Die Erlaubniß, ein Kloster zu stiften, hat er bereits erhalten; aber er will keine andern Mönche darin aufnehmen als solche, die zugleich sittenrein, nüchtern und von der äußersten Demuth sind, – und ist in großer Verlegenheit, sie zu finden!
Die zweite Wohnung beherbergt eine schöne Dame, die sich eben in Milch gebadet und dann zu Bette gelegt hat. Dieses üppige Geschöpf ist Wittwe eines Ritters von San Jago, der ihr als Vermögen nichts weiter denn einen stattlichen Namen hinterlassen hat; glücklicher Weise hat sie zu Freunden zwei Mitglieder des hohen Raths von Castilien, auf deren gemeinschaftliche Kosten der Aufwand ihres Hauses bestritten wird.
Hört doch, hört, rief der Student, ich vernehme Schreie und Jammerrufe, die durch die Nachtluft schallen; hat sich denn irgend ein Unglück ereignet? – Ich will Euch sagen, was es ist, antwortete der Geist; zwei junge Cavaliere spielten zusammen Karten in jener Spelunke, worin Ihr so viele Lampen und entzündete Kerzen seht. Sie haben sich dabei über einen Stich erhitzt, haben die Degen zur Hand genommen und sich alle Beide tödtlich verwundet; der ältere ist verheirathet und der jüngere einziger Sohn; sie sind im Begriff, den Geist aufzugeben. Die Frau des Einen und der Vater des Andern sind, von dem Unglück unterrichtet, eben herbeigekommen; sie erfüllen mit ihren Weherufen die ganze Nachbarschaft. Unglückseliges Kind, ruft der Vater aus, wie oft habe ich dich ermahnt, das Spiel aufzugeben; wie oft habe ich dir vorausgesagt, daß es dir das Leben kosten würde! Ich bin nicht Schuld daran, daß du so elendiglich umkommst! Die Frau ihrerseits giebt sich der Verzweiflung hin. Obwohl ihr Mann im Spiel Alles, was sie ihm zugebracht, verloren hat, obwohl er alle Schmucksachen, die sie besaß und sogar ihre Kleider verkauft hat, ist sie untröstlich über ihren Verlust; sie flucht den Karten, die Schuld daran sind, sie flucht dem, der sie erfunden, sie flucht der Spielhölle und Allen, die sie bewohnen.
Ich bedaure herzlich die Menschen, welche von der Spielwuth besessen sind, sagte Don Cleophas; sie gerathen oft in furchtbare Gemüthsstimmungen. Dank dem Himmel, ich habe nichts von diesem Laster an mir. – Ihr habt ein anderes, das nicht besser ist, entgegnete der Dämon. Ist es nach eurem Dafürhalten gescheuter, Courtisanen zu lieben? und seid Ihr nicht noch heute Abend Gefahr gelaufen, von Raufbolden getödtet zu werden? Ich bewundre die Herrn Menschen – ihre eigenen Fehler scheinen ihnen Kleinigkeiten, während sie die Andrer mit dem Vergrößerungsglase ansehen.
Ich muß fortfahren, sprach er weiter, Euch traurige Bilder zu zeigen. Sehet in einem Hause, zwei Schritt von dem Spielhause, den dicken Mann, der auf einem Bett ausgestreckt liegt; es ist ein unglücklicher Kanonikus, den eben der Schlag getroffen hat. Sein Neffe und seine Großnichte denken nicht daran, ihm zu Hülfe zu kommen, sie lassen ihn sterben und bemächtigen sich seiner besten Habe, die sie zu Hehlern bringen werden – nachher werden sie Zeit und Muße haben, zu weinen und zu klagen.
Bemerkt Ihr nahe dabei das Begräbniß von zwei Männern? es sind zwei Brüder, die an derselben Krankheit litten; aber sie behandelten sich auf verschiedene Weise; der eine setzte blindes Vertrauen auf seinen Arzt, der andere wollte die Natur wirken lassen; gestorben sind sie alle Beide, der eine, weil er die Mixturen seines Doktors einnahm, der andere, weil er nichts einnahm. – Das ist sehr beunruhigend, sagte Leandro. Was soll denn nun ein armer Kranker machen? – Das weiß ich Euch nicht zu sagen, versetzte der Teufel; ich weiß wohl, daß es gute Mittel giebt, aber nicht, ob auch gute Aerzte!
Suchen wir ein anderes Schauspiel auf, fuhr er dann fort; ich habe Euch ergötzlichere zu zeigen. Hört Ihr in der Straße die Katzenmusik? Eine Frau von sechzig Jahren hat heute Morgen einen Cavalier von siebenzehn geheirathet. Alle Spottvögel im ganzen Viertel haben sich zusammengerottet, um ihre Hochzeit mit einem lauten Concert von Kesseln, Ofenstücken und Becken zu feiern. – Ihr habt mir gesagt, unterbrach ihn der Student, daß Ihr es wärt, der die lächerlichen Ehen machte; doch habt Ihr an dieser da keinen Theil. – In der That nicht, antwortete der Hinkende; ich konnte nichts damit zu schaffen haben, denn ich war nicht frei; aber wenn ich es gewesen wäre, so hätte ich mich doch nicht hineingemischt. Diese Frau ist fromm; sie hat sich nur wieder verheirathet, um ohne Reue Genüsse haben zu können, wie sie sie liebt. Ich befördere solche Verbindungen nicht; mir liegt viel mehr daran, die Gewissen in Unruhe zu bringen als sie zu beruhigen.
Trotz des Lärms dieser tollen Serenade, sagte Zambullo, dringt, scheint mir, ein andrer an mein Ohr. – Der, den Ihr ungeachtet der Katzenmusik vernehmt, antwortete der Hinkende, dringt aus einer Schenke, wo ein dicker flämischer Hauptmann, ein französischer Sänger und ein Offizier der deutschen Garde ein Trio singen. Sie sind bei Tisch seit acht Uhr diesen Morgen, und jeder bildet sich ein, die Ehre seiner Nation hänge davon ab, daß er die beiden andern betrunken mache.
Lenkt eure Blicke auf jenes einsame Haus gegenüber dem des Kanonikus; Ihr werdet drei berühmte Galizierinnen in einer Schwelgerei mit drei Herren vom Hofe sehen. – Ach, wie reizend ich sie finde, rief Don Cleophas; ich wundre mich nicht, wenn die vornehmen Herrn hinter ihnen drein sind. Wie sie zärtlich gegen ihre Anbeter sind! sie müssen gewaltig in sie verliebt sein. – Wie grün seid Ihr! erwiederte der Geist. Ihr kennt diese Art Damen schlecht! Ihr Herz ist noch geschminkter als ihr Gesicht. Welche Liebkosungen sie auch aufwenden, sie haben nicht das geringste Gefühl von Neigung für diese Herrn; sie schmeicheln dem einen, um seine Protektion zu haben und den andern Beiden, um ihnen Rentenzusicherungen abzuschwindeln. So sind alle diese Koketten! Die Männer mögen sich ihretwegen lustig ruiniren, sie gewinnen sich darum von ihrer Neigung nicht das mindeste; im Gegentheil, jeder, der zahlt, wird wie ein Ehemann behandelt; das ist ein Gesetz, welches ich für solche Liebeshändel festgestellt und eingeführt habe. Aber lassen wir diese großen Herren in Genüssen schwelgen, die sie so theuer bezahlen müssen, während ihre Diener, die in der Straße auf sie warten, sich mit der süßen Hoffnung, dieselben umsonst zu haben, trösten.
Ich bitte Euch, unterbrach Leandro Perez, erklärt mir ein anderes Bild, welches mir ins Auge fällt. Alle Welt ist noch auf den Füßen in jenem großen Hause dort links. Woher kommt es, daß die Einen aus vollem Halse lachen, und daß die Andern tanzen? Man feiert sicherlich irgend ein Fest? – Es ist eine Hochzeit, sagte der Hinkende; alle Domestiken sind im Jubel; und vor drei Tagen noch herrschte in diesem selben Hotel die tiefste Niedergeschlagenheit. Es ist eine Geschichte, die ich Lust bekomme, Euch zu erzählen; sie ist allerdings ein wenig lang, aber ich hoffe, sie wird Euch nicht langweilen.
Zugleich begann er folgenderweise:
Fußnoten
1 Der Verfasser des spanischen »Hinkenden Teufels«, der unsrem Autor als Original diente.
2 Ein Alguazil hat ungefähr die Stellung eines Polizei-Commissärs.
Liebesgeschichte des Grafen von Belflor und der Leonore von Cespedes.
Der Graf von Belflor, einer der größten Herrn vom Hofe, war sterblich in die junge Leonore von Cespedes verliebt. Er hatte nicht die Absicht, sie zu heirathen; die Tochter eines einfachen Edelmanns schien ihm keine hinreichend glänzende Partie zu sein; aber er wollte sie zu seiner Geliebten machen.
In diesem Verlangen folgte er ihr überall hin und verlor keine Gelegenheit, um ihr seine Liebe durch seine Blicke auszudrücken; aber er konnte weder mit ihr reden noch ihr schreiben, weil sie fortwährend von einer strengen und wachsamen Duegna, genannt Dame Marcella, beaufsichtigt war. Er war darüber in Verzweiflung, und weil dies Hinderniß sein Verlangen desto glühender machte, dachte er unaufhörlich an die Mittel, den Argus, der seine Io bewachte, zu hintergehen.
Ihrerseits hatte Leonore, der die Aufmerksamkeit des Grafen für sie nicht entgangen war, nicht anders können als seine Neigung erwiedern und allmählich bemächtigte sich ihres Herzens eine Leidenschaft, die immer feuriger wurde. Und doch schürte ich diese nicht durch meine gewöhnlichen Mittel der Versuchung, weil der Zauberer, der mich damals gefangen hielt, mir alle meine Streiche verboten hatte; der natürliche Lauf der Dinge genügte eben. Die Natur ist nicht weniger erfolgreich als ich; der ganze Unterschied zwischen uns besteht darin, daß sie die Herzen allmählich verdirbt, statt daß ich dieselben mit einem Male verführe.
So standen die Dinge, als eines Morgens Leonore und ihre ewige Gouvernante beim Gang in die Messe einer alten Frau begegneten, welche einen der größten Rosenkränze, den die Heuchelei je fabricirt hat, in der Hand trug. Sie trat mit sanfter und lächelnder Miene zu den Damen und sagte, sich an die Duegna wendend: Möge der Himmel Euch erhalten; sein heiliger Frieden sei mit Euch; erlaubet mir, Euch zu fragen, ob Ihr nicht die Dame Marcella seid, die keusche Wittwe des verstorbenen Herrn Martino Rosetta? Die Gouvernante bejahte. Dann treffe ich Euch sehr glücklicher Weise, fuhr das Weib fort, um Euch mitzutheilen, daß ich in meiner Wohnung einen alten Verwandten, der danach verlangt, Euch zu sprechen, beherberge. Er ist vor wenig Tagen aus Flandern angekommen; er hat sehr, sehr gut euren Gatten gekannt und er hat Euch Dinge von der allergrößten Wichtigkeit mitzutheilen. Er würde zu Euch gegangen sein, sie Euch zu sagen, wenn er nicht krank geworden wäre; der arme Mensch liegt in den letzten Zügen. Ich wohne wenige Schritte von hier; habt nur die Güte, wenn es Euch gefällig ist, mir zu folgen.
Die Gouvernante, die gescheut und vorsichtig war, und irgend einen falschen Schritt zu thun fürchtete, wußte nicht, wozu sie sich entschließen sollte; aber die Alte errieth den Grund ihres Zögerns und sagte ihr: Meine theure Dame Marcella, Ihr könnt mir in voller Ruhe vertrauen, ich nenne mich die Chichona und der Licenziat Marcos de Figuerna und der Baccalaureus Mira de Mosqua werden für mich einstehn, wie für ihre Großmutter. Wenn ich Euch einlade, mir nach meinem Hause zu folgen, so geschieht dies nur zu eurem Besten. Mein Verwandter will Euch eine gewisse Summe erstatten, die euer Gatte ihm einst vorgestreckt hat. – Bei diesem Worte »erstatten« hatte Dame Marcella ihren Entschluß gefaßt. Gehen wir, meine Tochter, sprach sie zu Leonore, gehen wir, den Verwandten dieser guten Dame zu sehen. Es ist ein Werk der Barmherzigkeit, Kranke zu besuchen.
Sie gelangten bald in die Wohnung der Chichona, die sie in einen niedern Saal treten ließ, in welchem sie einen Mann im Bette fanden, der einen weißen Bart hatte und, wenn er nicht sterbenskrank war, doch sehr darnach aussah. Hier, Vetter, sagte die Alte ihm die Gouvernante vorstellend, hier ist die kluge Dame Marcella, mit welcher Ihr zu reden wünscht, die Wittwe des verstorbenen Herrn Rosetta, eures Freundes. Bei diesen Worten erhob der Greis seinen Kopf ein wenig, grüßte die Gouvernante, machte ihr ein Zeichen heranzutreten, und sprach, als sie neben seinem Bette war, mit schwacher Stimme zu ihr: Meine theure Senhora Marcella, ich danke dem Himmel, daß er mich bis zu diesem Augenblicke leben ließ; es war das einzige, was ich noch von ihm erflehte; ich fürchtete zu sterben, bevor mir die Genugthuung würde, Euch zu sehen und in eure eigenen Hände hundert Dukaten zurückgeben zu können, welche euer seliger Gatte, mein innigster Freund, mir borgte, um mich aus einer Ehrensache, die ich einst in Brügge hatte, loszuwickeln. Hat er Euch niemals von dieser Angelegenheit gesagt?
Ach nein, antwortete die Dame Marcella, er hat mir keine Silbe davon gesagt; bei Gott sei seine Seele. Er war so großmüthig, daß er die Dienste, die er seinen Freunden leistete, vergaß, und im Gegensatz zu jenen Prahlhänsen, die sich guter Handlungen, welche sie nie begangen haben, rühmen, hat er mir nie gesagt, daß er irgend einen Menschen verpflichtet habe. – Sicherlich, er war eine edle Seele, antwortete der Greis, ich habe mehr Grund als irgend Jemand, davon überzeugt zu sein; und um es Euch darzuthun, muß ich Euch die üble Lage erzählen, der ich glücklich durch seinen Beistand entgangen bin; aber da ich Dinge von der äußersten Wichtigkeit für das Angedenken an den Verstorbenen mitzutheilen habe, so würde es mir lieb sein, wenn ich sie nur seiner verschwiegenen Wittwe anvertrauen könnte.
Nun wohl, sagte darauf die Chichona, Ihr könnt ihr diese Erzählung unter vier Augen machen – während dieser Zeit werden wir in mein Cabinet treten, diese junge Dame und ich. Und bei diesen Worten ließ sie die Duegna bei dem Kranken zurück und zog Leonore in ein anderes Zimmer, wo sie ihr ohne weitere Umschweife sagte: Schöne Leonore, die Augenblicke sind zu kostbar, um sie unnütz zu verschwenden. Ihr kennt von Ansehn den Grafen von Belflor; seit langer Zeit liebt er Euch und stirbt vor Begierde, es Euch zu sagen; aber die Strenge und Wachsamkeit eurer Gouvernante haben ihm dies Glück bis jetzt nicht verstattet. In seiner Verzweiflung hat er seine Zuflucht zu meiner Anschlägigkeit genommen und ich habe ihre ganze Kraft für ihn aufgeboten. Der Greis, den Ihr eben sahet, ist ein junger Kammerdiener des Grafen, und Alles, was ich gesagt, ist nichts als eine List, welche wir ersonnen haben, um eure Gouvernante zu täuschen und Euch hierher zu locken.
Als sie diese Worte geendet, trat der junge Graf, der sich hinter einem Vorhang verborgen gehalten, hervor und warf sich zu Leonorens Füßen: Senhora, rief er aus, verzeihet diese Kriegslist einem Liebenden, der das Leben nicht mehr ertrug ohne zu Euch reden zu dürfen. Wenn diese gefällige Frau nicht Mittel gefunden hätte, mir ein solches Glück zu verschaffen, so würde ich mich der Verzweiflung hingegeben haben. Diese Worte, gesprochen in flehentlichster Weise, von einem Manne, der ihr nicht mißfiel, verwirrten Leonore. Sie blieb eine Weile unschlüssig, welche Antwort sie darauf geben sollte, aber zuletzt ihre Fassung wiedererlangend, blickte sie stolz den Grafen an und sagte zu ihm: Ihr glaubt vielleicht eine große Verpflichtung gegen diese hülfbeflissene Dame zu haben, die Euch so gut gedient hat; aber laßt Euch das gesagt sein, der Dienst, den sie Euch leistete, wird Euch wenig nützen!