Der Hüter der Heiligen Stätte - N. Pawo Elias - E-Book

Der Hüter der Heiligen Stätte E-Book

N. Pawo Elias

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Beschreibung

Ca. 100 v. Chr. in einem inzwischen längst trockengelegten Moor östlich des heutigen Düsseldorf macht ein Bauer namens Wotan eine lebensverändernde Erfahrung, wodurch er ungefragt zum Gehilfen des Heilers Ratmar wird. Durch ihr Aufeinandertreffen finden die zwei sich einem Spannungsfeld zwischen dem keltischen Himmelsgott Taranis und dem germanischen Wettergott Thor ausgesetzt. Dies aber hat bis in die heutige Zeit reichende Auswirkungen. Eine einfühlsame Erzählung über jemanden, dem es gelingt, sein Verzweifeln an der Grausamkeit der Welt wie der Götter zu überwinden und seinem Leben einen Sinn zu geben.

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An dieser Stelle sei angemerkt, dass bei vorliegender Erzählung nicht historische Authentizität im Vordergrund steht, sondern die Darstellung der inneren Wirklichkeit der Handlungsträger. Sollten mir bei den nach bestem Wissen und Gewissen erstellten Hintergrundinformationen Ungenauigkeiten bzw. Fehler unterlaufen sein, bitte ich daher, diese zu entschuldigen.

N. Pawo Elias

INHALT

Vom Blitz gezeichnet

Schwerwiegende Zweifel

Eines Gottes Wirklichkeit

Ragnarök

Eine Übung in Langmut

Epilog: Fenris

INFORMATIONSTEIL

Vom Blitz gezeichnet

Christi Geburt lag noch ungefähr 100 Jahre in der Zukunft, als ein um die 21 Jahre alter rotblonder Bauer und Jäger namens Wotan auf einer sich östlich des Rheins in einem Moor befindenden Lichtung ein Wildschwein verfolgte. Vor lauter Jagdfieber hatten der mehrfache Vater und seine Begleiter allerdings nicht auf das Wetter geachtet. So konnte es geschehen, dass Wotan, der den anderen um einiges voraus war, unmittelbar nach seinem Speerwurf auf das Tier beinahe vom Blitz getroffen worden wäre: Der Feuerstrahl schlug dermaßen nah vor ihm in eine Eiche ein, dass ihm durch das blendende Licht und den nahezu gleichzeitigen Donnerschlag buchstäblich Hören und Sehen verging. Während sein Gehör sich nach einigen Stunden erholt hatte, dauerte es mehrere Tage, bis die vorübergehende Erblindung von ihm wich.

Obwohl diese Beeinträchtigung seiner Sinne von Wotan als schwerer Schlag empfunden wurde, war sie nicht die Ursache der nach dem Unfall erfolgten grundlegenden Veränderung seines Lebens. Die bestand in der Verletzung seines linken Oberarms durch zahlreiche Holzsplitter. Eigentlich waren die davon verursachten vielen kleinen Wunden in keinster Weise gefährlich und schon gar nicht lebensbedrohlich. Der Körper des Jägers reagierte jedoch trotzdem, als sei er nicht von Holzsplittern, sondern von vergifteten Pfeilen getroffen worden: Das Gewebe rund um die Wunden schwoll rasch an, sodass Wotan trotz des geringen Blutverlusts umgehend hohes Fieber bekam und in kürzester Zeit das Bewusstsein verlor. Voller Sorge brachten seine Jagdgenossen – zu seiner Sippe gehörende Bauern – ihn daher zu einer tief im Sumpf versteckten, als heilig geltenden Insel.

Der Hüter dieses Eilands war als der beste Heiler der gesamten weiteren Umgebung bekannt. Seinem Ruf entsprechend gelang es ihm, Wotan zu retten. Jedenfalls sah es zunächst danach aus. Doch war der Genesene kaum in sein Dorf zurückgekehrt, als die eigentlich gut verheilten Wunden sich unerklärlicherweise wieder öffneten. Ein weiteres Mal wurde Wotan vom Fieber gepackt. Allerdings wollte er unbedingt bei seiner Familie bleiben und begab sich daher nicht erneut zum Heiler. Völlig unerwartet verschlimmerte sich sein Zustand jedoch dermaßen, dass er schließlich wie am Tag des Unfalls das Bewusstsein verlor. Daraufhin trugen ihn einige Männer aus seiner Sippe so schnell wie möglich ein weiteres Mal zur Heiligen Insel.

Wieder rettete der Heiler ihn. Doch brachen die Wunden abermals auf, sobald Wotan in sein Alltagsleben zurückgekehrt war. Diesmal wartete niemand darauf, dass sein Zustand sich verschlimmere. Von dem Vorfall zutiefst beunruhigt berief der Dorfälteste stattdessen umgehend eine Versammlung des Rats ein. Angesichts des Umstands, dass die Verletzungen von einem in eine Eiche eingeschlagenen Blitz stammten, das Muster eines Hammers erkennen ließen und noch dazu schwarze Verfärbungen aufwiesen, kamen die Mitglieder des Rats zu dem Schluss, dass dies auf einen Beschluss Thors hinweise, dem man sich nicht widersetzen dürfe – zumal Wotan auf der dem Gott geweihten Insel gesund zu bleiben schien.

Thor hatte Wotan auf besondere Weise zu seinem Dienst berufen. Daran bestand für die Ältesten kein Zweifel. Infolgedessen verfügte der Rat, dass Wotan sein weiteres Leben fürs Erste als Gehilfe des Hüters der Heiligen Insel verbringen sollte, um später dessen Nachfolge anzutreten.

Der damit zum Exil Verurteilte war von diesem Beschluss alles andere als angetan. Er liebte seine Familie und sein bisheriges Dasein. Wieso sollte er einsam auf einer unheimlichen, tief im stinkenden Sumpf liegenden Insel leben wollen? Weshalb wurde er so ungerecht bestraft? Oder hatte es sich bei dem von ihm erlegten Wildschwein etwa gar nicht um ein Tier, sondern um ein verzaubertes Wesen gehandelt? – Das war jetzt nicht mehr festzustellen, da der Kadaver durch den unmittelbar auf den erfolgreichen Speerwurf erfolgten Blitzeinschlag verbrannt war.

Trotz der durch die wundersamen Geschehnisse auch bei ihm verursachten Unsicherheit begehrte Wotan gegen den vom Ältestenrat gefällten Beschluss auf. Darüber schüttelten dessen Mitglieder verwundert den Kopf. Dermaßen wenig Respekt und Einsehen hatte man von dem freundlichen und allseits beliebten Verwandten nicht erwartet, obwohl bekannt war, dass der sich nicht nur durch körperliche Größe und Kraft, sondern vor allem durch eine mentale Stärke auszeichnete, die von den Mitgliedern seiner Sippe manchmal als Sturheit, manchmal als Hitzköpfigkeit wahrgenommen wurde.

Um den aktuell gezeigten Widerstand zu brechen, redete man dem sich Sträubenden erst einmal gut zu und versicherte ihm, die Sippe werde sich seiner Frau wie der Kinder annehmen. Als diese Beteuerung Wotans Widerstand jedoch nicht brach, machte man letztendlich kurzen Prozess mit ihm und sperrte ihn ein. Aufgrund der schnell schwindenden Kräfte des Verletzten fiel es seinen Verwandten in diesem Fall nicht schwer, ihn zu überwinden. Über die Internierung hinaus Gewalt anzuwenden, war daher unnötig: Mit dem erneuten Aufbrechen der Wunden waren die unerklärlichen Vergiftungserscheinungen zurückgekehrt. Folglich musste man lediglich warten, bis der von Thor Berufene zu schwach war, sich dagegen zu wehren, dass man ihn ein letztes Mal zur Insel trug.

Auf diese Weise wurde die beschlossene Verbannung des jungen Bauern und Jägers aus seinem Dorf in die Tat umgesetzt. Sobald der durch die Behandlung des Heilers sein Bewusstsein wiedererlangt hatte, packte ihn unbändige Wut über sein Schicksal. Als er mit der Kraft des Zorns Krankenlager wie Hütte verließ, hinderte der Heiler ihn jedoch nicht daran, da er wusste, dass sein Patient für die Bewältigung größerer Strecken noch viel zu schwach war. Geduldig ging der Ratmar genannte Hüter des Heiligtums langsamen Schrittes hinter dem Wütenden her, bis der vor den heiligen drei Thor-Eichen zusammenbrach. Auf dem Boden liegend schrie der Delirierende mit schwacher Stimme gegen den Gott an:

»Warum tust du mir das an? Was habe ich dir getan? Ich hatte geschworen, nie wieder hierher zurückzukehren! Hier wohnt nicht mehr mein Gott, ... und ich ... ich bin nicht mehr der, ... der ich war ... «

Diese Worte ließen den Hüter der Heiligen Stätte aufhorchen. Was hatte der heftig gegen sein Fieber Ankämpfende da gerade gesagt? Kannte der ihm ungefragt aufgedrängte Helfer etwa die inoffizielle Geschichte dieses Orts, deren Hüter der Heiler ebenfalls war? Welches Geheimnis verbarg sich hinter der Fassade des Verletzen, ohne dass jenem dies bewusst gewesen wäre?

Wie auch immer die Antworten auf diese Fragen lauten mochten, zunächst war es dringend nötig, Wotan zurück zur Hütte zu bringen. Doch als der Ältere dem Jüngeren vorschlug, auf ihn gestützt dorthin zurückzugehen, schüttelte der lediglich den Kopf und presste mühsam hervor:

»Nein, Thor und ich sind noch nicht miteinander fertig. Ich werde die Nacht hier draußen verbringen – allein.«

Darauf entgegnete der Heiler:

»Wotan, dazu bist du viel zu schwach! Kehr hierher zurück, sobald du wieder gesund bist.«

»Nein, Ratmar, wenn Er will, werde ich heilen. Durch Ihn. Hier. Bitte lass mich. Sollte Er mich wirklich berufen haben, wird mir nichts geschehen. Und falls nicht, spielt es keine Rolle mehr, was mit mir geschieht. Mein Leben ist bereits zerstört.«

Seufzend ließ der Heiler den nach Antworten Suchenden am heiligsten Ort der Insel zurück. Dort halluzinierte Wotan lange von einem Gespräch mit dem aus der Eiche gestiegenen Gott, bevor er in tiefen, traumlosen Schlaf sank. Als Ratmar in der Morgendämmerung zurückkehrte, lag der Verletzte