Der Islam der Anderen - Rudolf Krux - E-Book

Der Islam der Anderen E-Book

Rudolf Krux

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Beschreibung

Reine Glaubenssache, jenseits aller Politik? Für die meisten Deutschen bedeutet der Islam weit mehr als das. Vor allem weil die Religion als Teil einer ausländischen Kultur wahrgenommen wird, kann man Islam sagen und dabei vielmehr Außenpolitik, kulturelle Identität oder auch die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes meinen. Es entsteht eine Situation, die ein außergewöhnliches Maß an Missverständnissen provoziert und zugleich prägend für die gängigen Islambilder ist. Rudolf Krux bringt mit seinem vorliegenden Buch mehr Klarheit in die Debatten um den Islam, indem er eine der wichtigsten Bedingungen für den deutschen Islamdiskurs in den Blick nimmt, nämlich dessen Einbindung in den Migrationsdiskurs. Exemplarisch untersucht er diese in den Debatten zum seinerzeit hoch umstrittenen "Gesinnungstest" für Einbürgerungsgespräche.

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Veröffentlichungsjahr: 2014

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Für Fabi,

der hofft, dass auch sein schwedischer

Migrationshintergrund

Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Methode
1 Einordnung des Ansatzes und Forschungsinteresse
2 Vorgehen
Diskurse zu Islam und Migration
3 Postkoloniale Perspektiven
I.3.1 Ein kolonialer Diskurs
I.3.2 Koloniale Muster im bundesdeutschen Migrationsdiskurs
I.3.3 Islam und Orient – Zwei Seiten des Anderen
I.3.4 Zusammenfassung
4 Betrachtungen zum Migrationsdiskurs
I.4.1 Der Diskurs um die Jahrtausendwende
I.4.2 Die Kehrseite: Der Ausweisungsdiskurs
I.4.3 Kollektivsubjekt und Kriminalität
I.4.4 Vorannahmen in der Wissenschaft
I.4.5 Verschränkung mit dem Frauendiskurs
I.4.6 Die Migrantin als Sinnbild kultureller Differenz
I.4.7 Mediale Differenzkonstruktionen am Beispiel Ehrenmord
I.4.8 Zusammenfassung
5 Betrachtungen zum Islamdiskurs
I.5.1 Der Islam als Diskursfeld
I.5.2 Kopplung mit Migration – Ausschluss des Politischen
I.5.3 Selektive Wahrnehmung und Politisierung im medialen Diskurs
I.5.4 Deutsche Zustände – Quantitative Befunde
I.5.5 Zusammenfassung
Empirischer Teil
6 Der Gesprächsleitfaden
I.6.1 Einleitung
I.6.2 Kontext
I.6.2.1 Rechtliche Grundlagen
I.6.2.2 Entstehung und Vorgeschichte
I.6.2.3 Exkurs: Verschleierung und Verfassung
I.6.3 Text
I.6.3.1 Vorüberlegungen zur Analyse des Inhalts
I.6.3.2 Inhalt
I.6.3.3 Die Rolle der fdGO
I.6.3.4 Die Rolle des Islam
I.6.3.5 Zusammenfassung
7 Die Parlamentsdebatten
I.7.1 Vorüberlegungen
I.7.1.1 Analyse von Parlamentsdebatten
I.7.1.2 Vorbemerkungen und Verlauf der Debatten
I.7.2 Analyse der Debatten
I.7.2.1 Argumentative Ebene
a) Argumente für den Leitfaden
b) Argumente gegen den Leitfaden
I.7.2.2 Rahmung durch eine Integrationsdebatte
a) Verortung der Einbürgerung im Integrationsprozess
b) Integration
c) Parallelgesellschaften als Gegenbild zur Mehrheitsgesellschaft
I.7.2.3 Binäre Islamdarstellungen
a) Begründung des Leitfadens durch ein binäres Schema
b) Kritik am Islambild durch ein binäres Schema
c) Relativierung durch Miteinbeziehung der Mehrheitsgesellschaft
I.7.2.4 Islam und Politik
a) Die Dimension des Politischen
b) Die politische Dimension des Islam
I.7.2.5 Zur Bestimmung der Unbestimmtheit
a) Bestimmung durch die fdGO
b) Bestimmung der fdGO
I.7.2.6 Fazit
Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang

Einleitung

„By tolerating any who enjoy the benefit of this indulgence, which at the same time they condemn as unlawful, he [the magistrate] only cherishes those who profess themselves obliged to disturb his government as soon as they shall be able.“[1]

John Locke schließt mit dieser Feststellung eine Gruppe von der von ihm geforderten Toleranz gegenüber anderen Religionen grundsätzlich aus. Angehörige der katholischen Kirche können, so der Wegbereiter des Liberalismus, keiner anderen Herrschaft hörig sein als der des Papstes. Sie stellen damit aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit generell eine politische Bedrohung dar. Die Verweigerung der Toleranz impliziert zwar eine Beschreibung der religiösen Gruppe (über Papsthörigkeit), erfolgt aber aufgrund eines politischen Kriteriums, nämlich der angenommenen Illoyalität ebendieser Gruppe.[2]

Auch heute wird Religion wieder zunehmend zum Anknüpfungspunkt einer letztlich politischen Unverträglichkeit genommen. Illustrieren lässt sich diese Feststellung für die Bundesrepublik z.B. an den (Bundes-) Verfassungsschutzberichten, die neben „Rechtsextremismus“ und „Linksextremismus“ mittlerweile auch „Islamismus/ Islamistischer Terrorismus“ als eigenständigen Gliederungspunkt aufführen und damit nicht mehr, wie noch bis 2004, unter „Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern“ abhandeln.[3]

Als Paradebeispiel für eine solche Fokussierung auf Religion kann der 2006 in Baden-Württemberg eingeführte Gesprächsleitfaden für Einbürgerungsgespräche betrachtet werden. In Zusammenhang mit der Einführung dieses Verfahrens ist vielfach eine besondere Unverträglichkeit einer als islamisch gekennzeichneten Gruppe mit der deutschen Verfassung behauptet worden. Zugleich wurde das Verfahren als diskriminierend gegenüber Muslim_innen[4]kritisiert.[5]

Dabei war die Zielgruppe des Verfahrens noch mehr als über Religionszugehörigkeit über das Kriterium der Staatsangehörigkeit definiert. Wer am Einbürgerungsverfahren teilnimmt ist (rechtlich gesehen) nicht deutsch, sondern will das gerade werden. Es geht also auch um eine Personengruppe mit Migrationserfahrung oder zumindest Migrationshintergrund – eine Definition, die etwa ein Fünftel der deutschen Gesamtbevölkerung (mit oder ohne Staatsangehörigkeit) einbezieht.[6]Entscheidend für die Debatten um den Leitfaden sind also sowohl ein Diskurs zum Islam als auch einer zu Migration.

Auch umgekehrt sind die Regelungen zur Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit von Bedeutung für den bundesdeutschen Migrationsdiskurs. So hat die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 eine breite Debatte über die gesellschaftliche Integration der Eingewanderten ausgelöst. Diese haben infolge der Reform unter bestimmten Bedingungen (wie Aufenthaltsdauer, Straffreiheit, Familienstatus etc.) prinzipiell Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft.[7]

Neben der rechtlichen Lage verändern sich auch die Einstellungen der deutschen Bevölkerung zur Einbürgerung im Zeitraum um das Jahr 2000 erheblich. Kriterien wie die Geburt in Deutschland oder eine deutsche Abstammung werden für die Einbürgerung als zunehmend unwichtiger empfunden. Als deutlich relevanter dagegen gelten nun etwa Sprachkenntnisse, Anpassung an den Lebensstil oder auch das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (fdGO).[8]

Rechtlich, diskursiv im Sinne der Integrationsdebatte und in der öffentlichen Meinung werden Kriterien der Abstammung durch Kriterien der Anpassung ersetzt. Bereits im Folgejahr der Reform verändern die Anschläge des 11. September 2001 den bundesdeutschen Migrationsdiskurs noch einmal erheblich. In der Bundespolitik wird über Zuwanderung zunehmend mit Blick auf Sicherheitsaspekte in Bezug auf islamistischen Terror diskutiert und der Islam wird zum entscheidenden Kriterium der Integrationsdebatte.[9]Die Verknüpfungen der Themen Islam und Integration vervielfachen sich im politischen, aber auch im medialen Diskurs.[10]Die Einbindung des Islam in den Migrationsdiskurs erscheint somit als ein relativ neues Phänomen.

Dagegen konstatiert die Religionswissenschaftlerin Tiesler für die akademische Debatte in Europa einen geradezu schlagartigen Perspektivenwechsel bereits für die neunziger Jahre. Der Islam, der im Blick auf Europa zuvor keine nennenswerte Rolle zu spielen schien, wurde nun breit thematisiert und dabei rückblickend von „Islamic Revival“, „Islamic Resurgence“ oder  „Re-Islamisierung“ gesprochen. Zur gleichen Zeit verfestigt sich laut Tiesler die Vorstellung eines modernen aufgeklärten Westens, der in dichotomen Gegensatz zur vormodernen islamischen Welt steht. Auch in den medialen Öffentlichkeiten wird dieser Gegenpart zu den westlichen Gesellschaften demnach insbesondere in den immigrierten Muslim_innen personifiziert.[11]

In Anbetracht dieses kurzen Abrisses erscheint es naheliegend, dass die Miteinbeziehung der religiösen Kategorie Islam das Sprechen über Zuwanderung und Zugewanderte negativ zu färben vermag. Einen ganz anderen Schluss legt dagegen die ArbeitFeindbild Islam?der Religionswissenschaftlerin Petra Klug nah, welche im Folgenden noch näher thematisiert wird. Sie stellt in den Bundestagsdebatten eine negative Färbung des Islambildes gerade dort fest, wo er mit Migration assoziiert wird.[12]Womöglich kommt es in der Kopplung von Islam- und Migrationsdiskurs auch zu einer ganz eigenen, folgenschweren Konstellation, die letztlich beide Diskurse beeinflusst. Eine diskursive Kopplung zwischen Ethnizität, Kultur und letztlich Religion, wie sie hier im Besonderen passiert, stellt gleichsam ein Problem für die Analyse des Islamdiskurses dar. So beklagt Klug in ihrer Zusammenfassung des Forschungsstandes zum Islambild der Deutschen – neben einem Mangel an differenzierter empirischer Forschung – als grundsätzliches Problem in der Debatte:

„Sowohl bei der Propagierung eines 'Kampfes der Kulturen' als auch bei der Untersuchung eben solcher Diskurse hat sich die Verschränkung von Migration und Religion als zentrales Element herausgestellt. Zum einen ruft diese Kopplung das […] Dilemma in der politischen Diskussion hervor, indem sie den Blick auf die Motive der Kritik verstellt, und zum anderen reproduziert sie den ethnisierenden Kulturbegriff noch in seiner Verwerfung, indem Kultur und Religion aneinander gebunden bleiben.“[13]

Ebendiese problematische Konstellation soll mit der Konzentration auf den Islamdiskurs innerhalb des Diskurses über Migration zum Ausgangspunkt dieser Analysen gemacht werden. Ziel ist es, dem aktuelleren Islamdiskurs – im bundesdeutschen Kontext und primär auf der Ebene der Politik – innerhalb seiner spezifischen Einbettung in den Migrationsdiskurs nachzuspüren. Die Leitfrage lautet damit:Wiewird in Deutschland über Islam im Kontext eines Diskurses über Migration gesprochen? Oder noch etwas plakativer: Wie nehmen wir eine Religion wahr, die uns als Religion von Zugewanderten erscheint?

Methode

1Einordnung des Ansatzes und Forschungsinteresse

Die Religionswissenschaft hat im Laufe und in Konsequenz ihrer Geschichte davon Abstand genommen, an der Produktion eines abschließend definierten Religionsbegriffs mitwirken zu wollen. Stattdessen geht sie davon aus, dass die jeweils historisch aktuellen Begriffe von Religion sich nur in ihren spezifischen ideologischen und kulturellen Rahmen nachvollziehen lassen. Zu den wichtigsten Konsequenzen dieses Perspektivenwechsels gehören die „Diskursivierung des Gegenstandes“ sowie das Interesse an zentralen gesellschaftlichen Fragestellungen, die über den Religionsbegriff ausgehandelt werden.[14]Vor diesem Hintergrund beschäftigen sich die folgenden Untersuchungen nicht mit 'dem' Islam, sondern mit dem Islamdiskurs, der ein entscheidendes Kriterium in der Aushandlung wichtiger migrations- und integrationspolitischer Maßnahmen sowie Vorstellungen kollektiver Identität darstellt. Ein Religions- oder Islambegriff wird nicht vorausgesetzt, sondern induktiv herausgearbeitet.

Der Ansatz knüpft an die Tradition der Kritischen Diskursanalyse an. Nach Michel Foucault konstituieren Diskurse die Objekte der Wahrnehmung. Die Ordnung der wahrnehmbaren Welt wird mit ihrer sprachlichen Beschreibung gestiftet, welche ihrerseits der einzelnen Wahrnehmung vorgelagert ist. Foucault unterscheidet zwischen dem Diskurs als allgemeinem System grundlegender Bedingungen, Regeln und Verfahren zum einen und den Diskursen, die in Konsequenz mögliche (auch heterogene) Aussagen über bestimmte Gegenstände gruppieren. Es gehört also zu den entscheidenden Mechanismen von Diskursen, die (potentiell unendliche) Menge des Sag- und Machbaren auf einen bestimmten Korpus zu beschränken. Dieser Korpus ist entsprechend nicht beliebig, da er den Regeln folgt, die durch die Beschaffenheit des Diskurses gesetzt sind. Selbst Innovativität kann somit auf einer überpersonalen Ebene beschrieben werden, da sie nur im Rahmen des zuvor Gedachten, Gesagten etc. möglich und akzeptabel wird.[15]

Nach Norman Fairclough lassen sich aus Foucaults Werk im Wesentlichen zwei praktikable Schlüsse für die Kritische Diskursanalyse ableiten. Erstens wird auch Soziales (mitunter soziale Subjekte) weithin über Diskurse konstituiert. Zweitens stehen Diskurse stets in engem Zusammenhang mit anderen Diskursen, bestimmen und beeinflussen sich wechselseitig. Gleichermaßen reziprok verhalten sich auch die einzelnen Elemente von Diskursen. Stärker als Foucault legt Fairclough sein Augenmerk auf die Konflikte, innerhalb derer sich bestimmte Positionen (und Diskurse) erst durchsetzen müssen. Brüche und Diskontinuitäten in den gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen geraten dabei entsprechend stärker ins Blickfeld. Die 'Intertextualität' – also ein Konzept, das die Konstruktion von Texten aus externen Textelementen beschreibt, welche dabei 'nur' neu zusammengesetzt werden – stellt für Fairclough eine entscheidende Bedingung für Veränderungen innerhalb von Diskursen dar. Der permanente Verweis von Diskurselementen auf Externes produziert nämlich im Diskurs Ambivalenzen und wirkt so potentiell destabilisierend. Durch seine Konzentration auf die Referenzialität spezifischer Diskurselemente kann Faircluogh zugleich auf allgemeinere Strukturen schließen.[16]

Der Gebrauch von Sprache hat nach Fairclough und Wodak stets auch eine praktische Dimension. Als soziale Praxis bedingen sich Diskurs und dessen Kontext wechselseitig:

„Describing discourse as social practice implies a dialectical relationship between a particular discursive event and the situation(s), institution(s) and social structure(s) which frame it. A dialectical relationship is a two way relationship; the discursive event is shaped by situations, […] but it also shapes them.“[17]

Insofern der Diskurs als soziale Praxis betrachtet, letztlich über Soziales erklärt, in seinen Wirkungen auf Soziales untersucht werden kann und zugleich überindividuelle Bedeutung hat, kann er mitÉmile Durkheim alssoziale Tatsache[18]interpretiert werden. Er ist damit (auch) ein Gegenstand der Soziologie.

Der hier gewählte Ansatz soll zudem ein dezidiert religionssoziologischer sein. Die Religionssoziologie bildet die volle Spannweite soziologischer Forschung und Theoriebildung ab. Ihr Blickfeld ist stets auf den Gegenstand des Religiösen ausgerichtet. Das Religiöse wird dabei nicht über religiöse, sondern über soziale Kriterien erklärt, was zugleich eine Abgrenzung zur Theologie darstellt, die letztlich selbst das Soziale über religiöse Kriterien erklärt.[19]Gegenstand dieser Arbeit ist nicht der Migrationsdiskurs, sondern der Islamdiskurs in seiner spezifischen Einbindung in den Migrationsdiskurs.

Der Islam kann als Diskurs beschrieben und z.B. nachAmir-Moazami und Salvatore als religiöse Diskurstradition gedeutet werden. Sie verweisen damit auf eine der Religionsgemeinschaft interne diskursive Beständigkeit, die sich wesentlich auf eine tradierte „Enzyklopädie des Guten“ stützt. Auch Veränderungen des religiösen Diskurses können damit aus internen Bedingungen heraus erklärt werden.[20]

Aber auch religiöse Diskurstraditionen stehen nicht abseits sie rahmender gesellschaftlicher Bedingungen und entwickeln sich stets im Verhältnis zu anderen Diskursen. Aussagen über den Islam werden zudem nicht ausschließlich von Muslim_innen artikuliert, sondern entwickeln sich überdies in einem allgemein-gesellschaftlichen Kontext. Gerade in Europa, wo der Islam vorwiegend die Religion einer Minderheit darstellt, haben weitgehend extern bestimmteDiskurse zum Islam beträchtlichen Einfluss auf islamische Selbstbeschreibungen. So betont etwa Jocelyne Cesari die Bedeutung von Fremdwahrnehmungen und Interaktionen mit dem sozialen Umfeld für den individuellen Identitätsbildungsprozess. Besonders im Falle europäisch-islamischer Identitäten spielen für Cesari wirkmächtige Meta-Narrative eine entscheidende Rolle:

„Muslims in Europe, perhaps more than the members of any other religious group, are no longer in control of this interaction and a discourse about Islam is imposed upon them – a discourse that spreads across all levels of society from the micro-local to the international.“[21]

Dies gilt sicherlich umso mehr, als besonders im europäischen Raum von religiösen Diskurstraditionen weitgehend unabhängige und wirkmächtige Beschreibungsformen bereits vorhanden sind, die dem Islam und vor allem dem Orient bestimmte Eigenschaften zuweisen.[22]Zweitens ist die (Neu-) Kontextualisierung des Islam in einigen europäischen Ländern mit Prozessen verbunden, die religiöse Traditionen und Autoritätsstrukturen brüchig werden lassen. So geht laut Olivier Roy die Migration von Muslim_innen „in den Westen“ mit drei in die gleiche Richtung wirkenden Konsequenzen einher. Dazu gehören:

„1. die Verwässerung der ursprünglichen Kultur, in der Religion in eine bestehende Gesellschaft eingebettet war;

2. das Fehlen legitimierter religiöser Behörden, die die Normen des Islam definieren könnten, gepaart mit einer Krise der Weitergabe des Wissens sowie

3. die Unmöglichkeit irgendeine Form von gesetzlichem, gesellschaftlichem oder kulturellem Zwang auszuüben.“[23]

Auch wenn dem Islamdiskurs auf einer weitgehend nicht religiös bestimmten Ebene nachgespürt werden soll, so kann die Methode, ob der Fokussierung auf Religion, als religionssoziologisch bezeichnet werden. Die Perspektive ist darüber hinaus eine religionswissenschaftliche.

2Vorgehen

Islam- und Migrationsdiskurs sind jeweils hochkomplexe Phänomene. Der Migrationsdiskurs lässt sich etwa in einen Diskurs über Migration und einen über Migrant_innen einteilen, die wechselseitig miteinander verbunden und füreinander relevant sind. Der Diskurs über Migration ist notwendigerweise stark politisch geprägt. Einwanderung nach Deutschland ist schließlich stets Einwanderung in einen Nationalstaat und wird von diesem über politische Prozesse reglementiert. Folglich hat dieser Diskurs unter anderem eine national-identitäre, eine national-institutionelle sowie eine national-ökonomische Komponente. In einem Diskurs über Migrant_innen sollten dagegen Faktoren wie Ethnizität, Kultur (und entsprechend auch Religion) oder Klasse eine wichtigere Rolle spielen. Der Islamdiskurs könnte ähnlich in einen Diskurs über die Religion – also etwa über Glaubensinhalte sowie religiöse Rituale – und einen über Muslim_innen  (und damit auch hier Ethnizität, Kultur, Klasse etc.) eingeteilt werden. Islam- und Migrationsdiskurs können zudem auf verschiedenen Diskursebenen (wie Medien, Politik, Wissenschaft etc.) untersucht werden, die wiederum untereinander vielschichtige Wechselwirkungen eingehen. Die hier nur andeutbare Komplexität des Gegenstandsbereichs sowie ein Mangel an geeignetem theoretischen wie empirischen Material (das auch an der Schnittstelle zwischen Islam- und Migrationsdiskurs ansetzt) haben bereits weitreichende Implikationen für den Aufbau dieses Buches.

Der erste Teil wird einen groben Überblick über verschiedenartige Ansätze zum Gegenstandsbereich liefern, die, miteinander in Zusammenhang gesetzt, einen theoretischen Hintergrund für den zweiten, empirischen Teil bieten. Dieser bedarf der Kontextualisierung, da er, der Leitfrage entsprechend, qualitative Ergebnisse liefern soll und daher nur einen sehr spezifischen Ausschnitt des Diskurses untersuchen kann.

Der Umfang des Forschungsmaterials zum Thema ist zwar prinzipiell erheblich, lässt sich aber insofern deutlich eingrenzen, als hier erstens nur Ansätze in den Blick kommen, die Islam und Migration auf der Ebene des Diskurses zu beschreiben suchen. Zweitens wird auf Arbeiten fokussiert, die auch über die Analyse einzelner Textstücke, Medien oder Textgenres hinaus den Diskurs auf einer möglichst allgemeinen und weitreichenden Ebene behandeln. Drittens stehen weniger die Darstellungsmittel, sondern eher die Darstellungsinhalte im Vordergrund. Beide verweisen sicherlich aufeinander. Es erscheint allerdings nicht unproblematisch, von den Mitteln zugleich auf die inhaltliche Ebene zu schließen. Gerade medienanalytische und auch vielfach religionswissenschaftliche Arbeiten fallen so aus dem Rahmen der für das Forschungsinteresse relevanten Literatur.

Der religionswissenschaftlichen Arbeit von Petra Klug kommt hier dagegen besondere Aufmerksamkeit zu, da sie sich mit dem Islamdiskurs im Kontext von Parlamentsdebatten auseinandersetzt und dabei die Verknüpfung mit dem Migrationsdiskurs zum zentralen Untersuchungsgegenstand macht. Ihre These, nach der eine Assoziation mit Migration negativere Zuschreibungen mit sich bringt, wird allerdings gewissermaßen nur quantitativ – im Sinne einer weitgehenden Übereinstimmung mit den untersuchten Konstellationen – belegt. Die eingangs formulierte Leitfrage unterscheidet sich diesbezüglich von Klugs Methodik deutlich. Es geht hier weniger darum, zu untersuchen,obeine negative Wirkung von einem Migrationskontext auf den Islamdiskurs ausgeht. Vielmehr soll es darum gehen, festzustellen, unter welchen Bedingungen bzw. wie allgemein und in einem konkreten Fallbeispiel über Islam im Kontext des Migrationsdiskurses gesprochen wird.

Exemplarisch untersucht wird die Einbindung des Islamdiskurses in den Migrationsdiskurs erstens am 2006 in Baden-Württemberg eingeführten Gesprächsleitfaden für Einbürgerungsgespräche, zweitens anhand dessen Thematisierung im Landtag und im Bundestag. Der Leitfaden ist insofern von besonderem Interesse, als dem Verfahren bzw. den damit verbundenen Debatten eine Kopplung zwischen Migration und Religion inhärent ist. Wichtig an den Parlamentsdebatten ist zudem, dass hier ein äußerst umstrittenes Thema erstens sehr öffentlichkeitswirksam und zweitens durchaus konträr debattiert wird. Insofern kann erwartet werden, dass die vertretenen Standpunkte in einem zwar überschaubaren Kontext allerdings relativ vielfältig ausfallen und kritisierbare Aussagen auch auf Kritik stoßen werden.

Diskurse zu Islam und Migration

3Postkoloniale Perspektiven

I.3.1Ein kolonialer Diskurs

Edward Said beschreibt in seinem HauptwerkOrientalismdie Produktion eines diskursiven[24]Orients in Form des westlichen Orientalismusdiskurses als wesentlich mit der historischen Kolonisierung des realen[25]Orients verknüpft. Die vorwiegend akademische Wissensproduktion über den Orient, welche bereits maßgeblich in die kolonialen Machtstrukturen eingebunden ist, dient dabei der Legitimierung und zugleich Durchsetzung europäischer Vorherrschaft. Der Diskurs über den Orient wird dabei zum eigentlichen Repräsentanten dessen, worüber er spricht oder zumindest zu sprechen vorgibt. In der Setzung des Orients als demAnderender europäischen Gesellschaften entsteht zugleich ein positives Selbstbild letzterer. Innerhalb eines dichotomen Systems findet der als rational und fortschrittlich (bzw. auch fortschreitend) gekennzeichnete Okzident seinen Widerpart im irrationalen und geschichtslos unterentwickelten Orient.[26]Said schreibt:

„On the one hand there are Westerners, and on the other there are Arab-Orientals; the former are (in no particular order) rational, peaceful, liberal, logical, capable of holding real values, without natural suspicion; the latter are non of these things.“[27]

Auch in den USA, die sich in Nachfolge der alten Kolonialmächte zum neuen globalen Machtzentrum entwickeln, wirken die reziproken Projektionen weitgehend unmodifiziert fort und prägen unter anderem die Außenpolitik. Weltpolitisch wirkt der Orientalismusdiskurs (noch immer) auf die Beziehungen zwischen Orient und Okzident. Zugleich beeinflusst er Selbstbeschreibungen auf beiden Seiten der durch ihn gezogenen Grenze.[28]Zur Differenzierung zwischen Orient und Okzident kommt für Said noch eine Differenzierung zwischen einem guten Orient, der sich im Wesentlichen auf ein lange vergangenes, historisches Indien bezieht, und einem schlechten Orient der Gegenwart, welcher wesentlich durch den Islam markiert wird.[29]

Ein nicht unwesentlicher Teil der kritischen Rezeptionen vonOrientalismrichtet sich gegen Saids Fokussierung auf die Homogenität und Beständigkeit des Diskurses bei Vernachlässigung von Brüchen und Divergenzen.[30]So müsste etwa laut James Clifford insbesondere die Entstehung und Rolle des deutschen Orientalismusdiskurses Saids These des Ineinandergreifens vom Diskurs über den Orient und dessen 'realer' Beherrschung in Frage stellen.[31]Den deutschen Orientalismusdiskurs beschreibt Said in Anbetracht solcher Einwände allerdings als von untergeordneter Bedeutung gegenüber dem britischen und französischen.[32]

Als Erweiterung zu Saids Beschreibung des Orientalismusdiskures ist zudem festgestellt worden, dass dieser mit erheblichen geschlechtsspezifischen Konnotationen versehen war, da er, wie Castro Varela und Dhawan zusammenfassen, „als ein Ort verbotener sexueller Praktiken imaginiert wurde, indem Frauen die Rolle des passiven, schweigsamen und willigen Subjekts zugewiesen wurde“.[33]

I.3.2Koloniale Muster im bundesdeutschen Migrationsdiskurs

Der Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha vergleicht bundesdeutsche Migrationspolitik und Migrationsdiskurse mit denen des deutschen Kaiserreichs um 1900 und beschreibt sie dabei als nach wie vor konstanten kolonialen Mustern verhaftet. Das Entstehen einer zentral verwalteten und reglementierten Arbeitsmigration (von vorwiegend polnischstämmigen[34]Ausländer_innen) im deutschen Reich stellt für Ha eine „Inversion kolonialer Expansionsformen“ dar. Die Politik folgt dabei dem Primat nationaler Interessen, die gegen die Belange der Migrierten durchgesetzt werden. Diese werden in diesem Prozess entwertet und in die Marginalität gezwungen.

Gekennzeichnet ist die Situation des Kaiserreichs von einer Ambivalenz nationalistischer Abwehrreaktionen gegen die Migration wie die Migrierten bei gleichzeitig hohem Interesse an deren ökonomischer Ausbeutung. Diese Tendenzen sollten nach Ha als zusammenhängend begriffen werden, da sie der Politik ein flexibles Changieren bei der Steuerung der Immigration je nach situativer nationaler Interessenlage ermöglichen. Die Anwesenheit der polnischen Arbeiter_innen im deutschen Reich wird (v.a. als politisches) Sicherheitsrisiko betrachtet. Zugleich gelten sie der deutschen Bevölkerung als kulturell wie biologisch minderwertig. Es kursieren weit verbreitete Be