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Verschrobene, gefühlsduselnde Wortbilder reihen sich Sonntag für Sonntag auf den Kanzeln aneinander. Die Kirche scheint sprachlich in den Achtzigern hängengeblieben. Der Kommunikationsprofi Erik Flügge bricht mit Gewohntem und entwickelt Strategien für eine zeitgemäße Sprache, damit Kirche bei den Menschen »ankommt«. Das Buch ist ein Appell an die Veränderung der Kommunikation in der Kirche und macht Hoffnung, dass es ein mögliches Unterfangen ist.
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Seitenzahl: 172
Über das Buch
Verschrobene, gefühlsduselnde Wortbilder reihen sich Sonntag für Sonntag auf den Kanzeln aneinander. Die Kirche scheint sprachlich in den Achtzigern hängengeblieben. Der Kommunikationsprofi Erik Flügge bricht mit Gewohntem und entwickelt Strategien für eine zeitgemäße Sprache, damit Kirche bei den Menschen »ankommt«. Das Buch ist ein Appell für die Veränderung der Kommunikation in der Kirche und macht Hoffnung, dass es ein mögliches Unterfangen ist.
Erik Flügge ist Geschäftsführer der Squirrel & Nuts Gesellschaft für strategische Beratung mbH. Er ist Dozent und Experte für Beteiligungsprozesse. Er berät Spitzenpolitiker und Parteien bei der Kommunikation und viele Städte und Gemeinden bei der Entwicklung von Partizipationsprojekten. Vor seiner Tätigkeit als Berater war er in der katholischen Bildungsarbeit tätig. Sein Interesse gilt weiterhin der Theologie – dies wird auch in seinem Blog deutlich.www.erikfluegge.de
ERIK FLÜGGE
DER JARGON DER BETROFFENHEIT
WIE DIE KIRCHE AN IHRER SPRACHE VERRECKT
Kösel
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Copyright © 2016 Kösel-Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHNeumarkter Straße 28, 81673 MünchenUmschlag: Weiss Werkstatt MünchenUmschlagmotiv: © shutterstock/martan | BildNR. 76413337ISBN 978-3-641-18853-5V001www.koesel.de
Inhalt
ZORN
ANGST
SCHWEIGEN
NÄHE
HOFFNUNG
ZORN
Der Brief
»Die Kirche verreckt an ihrer Sprache.«
Liebe Theologinnen und Theologen,
ich halte es nicht aus, wenn ihr sprecht. Es ist so oft so furchtbar. Verschrobene, gefühlsduselige Wortbilder reiht ihr aneinander und wundert euch, warum das niemand hören will. Ständig diese in den Achtzigern hängen gebliebenen Fragen nach dem Sein und dem Sinn, nach dem, wer ich bin und werden könnte, wenn ich denn zuließe, dass ich werde, was ich schon längst war. Wie bitte?! – Wer soll denn das verstehen?
Wir leben in der Zeit des Samplings, der zerfetzten Identitäten, der Multiperspektivität und nicht zuletzt in der Zeit der subtilen Ironie. In unserer Welt zählt Meinung und Pointiertheit. Hier ist kein Platz dafür, sich ständig dialektisch selbst zu relativieren. Hier ist kein Platz für erdrückende Ganzheitlichkeit. Allein schon das Wort Ganzheitlichkeit – drei zusätzliche Silben, um das bereits ganze Wort »ganz« noch gänzer zu machen. Mal ehrlich, »ganz« kann man nicht steigern, und seit mindestens fünfzehn Jahren will der Mainstream unserer Gesellschaft diesen Versuch aus gutem Grund nicht mehr unternehmen.
Die Ganzheitlichkeit starb zusammen mit diesen Pullovern, die ihr noch heute tragt. Ja, es gibt eine Renaissance des Strickens, aber eure Strickwaren würden auf jedem Secondhandmarkt bis zum Ende nicht verkauft.
Wo lernt man das eigentlich? – Wo muss man hingehen, um zu lernen, sich selbst von der Gesellschaft zu entfremden? Wo bekommt man beigebracht, die Betonung im Satz an genau der falschen Stelle zu setzen? Gibt es Rhetorikkurse für Zombie-Sprache für Predigten in Kirchen? Ich meine das ganz ernst: Wenn man mit euch ein Bier trinkt, dann klingt ihr ganz normal. Sobald ihr für eure Kirche sprecht, klingt’s plötzlich scheiße.
Es wäre doch so einfach: Macht’s wie der Chef. Jesus hat sich doch auch Mühe gegeben, möglichst verständlich zu sein. Nicht immer mit Erfolg, aber immerhin hat er versucht etwas mit Bildern und Begriffen zu erklären, mit denen seine Zuhörerinnen und Zuhörer etwas anfangen konnten. Seine Zuhörer wussten, wer ein Samariter ist, sie wussten, wie ein Senfbaum aussieht und sie wussten, wie die Nummer mit dem Sauerteig funktioniert. Sauerteig? – Ich gehe genau wie fast alle anderen zum Bäcker. Ihr mögt das beklagen, aber es ist Realität. Ich habe keine Ahnung, was man mit einem Sauerteig anstellen muss. Wozu auch? – Es gibt sechs Bäcker rund um meine Wohnung.
Darf ich Euch einen Vorschlag machen? Sprecht doch einfach über Gott, wie ihr bei einem Bier sprecht. Dann ist das vielleicht noch nicht modern, aber immerhin mal wieder menschlich, nah und nicht zuletzt verständlich.
Kaum hatte ich den Text ins Netz gestellt, gab es unmittelbar tausende Leserreaktionen auf meinem Blog sowie unzählige Anfragen von Leitmedien aus allen Bereichen: Print, Hörfunk und Fernsehen. Die kirchlichen Medien waren genauso elektrifiziert.
Es sind diese kurzen Momente, in denen man als Autor spürt, dass pointierte Meinung in unserer Zeit das Potenzial hat, Reichweite zu erzielen. Aber was ist schon Reichweite, wenn sie sich aus Empörung schöpft?
Entschieden dieses Buch zu schreiben, habe ich mich nicht wegen der Reichweite, sondern weil mir so viele Menschen ihre persönlichen Geschichten mit ihrer Kirche schrieben und erzählten: Geschichten voller Zorn und Verzweiflung, Geschichten von der eigenen Überforderung und Angst, Geschichten vom Glauben und von ihrem Erleben der Kirche. Geschichten, die – wie ich finde – erzählt werden müssen, genau wie meine eigene Geschichte mit meiner Kirche. Geschichten, aus denen wir vielleicht lernen können, damit in Zukunft das Christentum nicht mehr im Sprechen seine Chance auf Verkündigung verspielt.
Die gute Predigt
Ich glaube noch daran, dass eine Predigt wirken kann. Wie sehr wünsche ich mir Theologinnen und Theologen, die mit ihren Worten Mauern zum Einsturz bringen. Ich will sie hören, die Predigten, die christliche Substanz, rhetorische Brillanz und Relevanz vereinigen. Ich suche sie, die Predigten von heute, die Wirkmacht entfalten.
Es gibt sie, die Sätze, die eine Welt bewegen. Sie wurden auch schon in Kirchen gesprochen. Martin Luther war ein solcher Prediger, der Massen hinter sich versammelte. Er sprach aus, was in so vielen Menschen innerlich brodelte. Er befreite Millionen und sich selbst als er im Angesicht des drohenden Todesurteils sagte: »Hier steh ich nun und kann nicht anders.«
Es gibt sie aber auch noch heute, die Sätze, die sich einbrennen in die Köpfe, Sätze, die bleiben. Der sonst wenig bedeutende Bundespräsident Christian Wulff sagte einen solchen Satz: »Der Islam gehört zu Deutschland.« John F. Kennedys »Ich bin ein Berliner« genauso wie Willy Brandts Forderung – »Lasst uns mehr Demokratie wagen« – bewegten die Welt.
Diese Texte sind zwar selten, aber sie entstehen immer wieder neu. Nur leider hört man sie seit Jahrzehnten nicht mehr aus Deutschlands kirchlichen Kreisen. Es gibt ihn nicht mehr, den großen Formelsatz, der alles sagt. Es gibt keinen Philipp Melanchthon mehr, der sagt: »Wer Christus hat, hat alles und kann alles.« Und nicht zuletzt fehlt Jesus, der zu sagen wusste: »Die Ersten werden die Letzten sein.«
Ich will sie wieder hören, eure großen Predigten. Ich will wieder mehr hören als die Zitate der Vergangenheit. Ich will in der Tagesschau den Bischof sehen, der nicht vor sich hin eiert, sondern mit einer Zeile jeden Bildschirm sprengt.
Dass es gehen kann, zeigt uns der neue Papst. Nach Jahren der eisig kalten »Benedikt-Sprachwüsten« begeistert endlich wieder einer, weil er sich traut verständlich zu sprechen. Manchmal schreckt man zurück vor dem, was er zu sagen hat: Seilschaften in der Kurie könnten deren »Mitglieder versklaven und zu einem Krebsgeschwür werden, das die Harmonie des Körpers bedroht«. Egal, wie man diesen Text findet, er kommt an. Er durchdringt den Nebel der Relevanzlosigkeit und wird zum leuchtenden Beispiel der Meinungsstärke und Verständlichkeit.
In Deutschland und Österreich dringen Bischöfe nur noch selten durch. Meist nur, wenn sie versehentlich ihre Opposition gegenüber den Rechten einzelner Minderheiten in Verständlichkeit übersetzen. Was dann gehört wird, ist im seltensten Falle das Bischofswort selbst, sondern meist der wesentlich pointiertere Aufschrei der Getroffenen. Auf mich wirken diese Verlautbarungen selten wie fundierte Position, sondern haben meist den Charme eines um sich schlagenden Jungen.
Kann es das gewesen sein? Ist das das Ende des christlichen Predigens? – Ein paar Worte gegen den Zeitgeist, um eine Welt zu verteidigen, die es längst nicht mehr gibt. Wo ist der Blick nach vorne? Wohin ist die kraftvolle Option für die Armen verschwunden? Wo die markigen Worte gegenüber Politik und Welt, die nicht nur um mehr Engagement und Einsicht bitten, sondern verdammt nochmal dazu auffordern, Hunger und Elend endlich ein Ende zu bereiten.
Stattdessen bedient man sich Zitaten. Immerfort sucht man in der Vergangenheit nach relevanten Zeilen und hofft mit diesen heute noch einen Treffer zu landen. Doch spätestens seit der Entstehung des Internets und dem Aufkommen schlechter PowerPoint-Präsentationen, die alle zusammenhanglos mit einem Zitat beginnen, sind alle Texte, die irgendwann mal in der Vergangenheit gesagt wurden, zu Tode ausgelutscht. Es bleibt nur noch die Flucht nach vorne: Ein eigener Gedanke muss her.
Ich glaube noch an die Predigt. Ich glaube noch an die Predigt, die es wagt nicht referenziell, sondern eigenständig zu sein. Ich glaube noch an die Predigt, die etwas Neues formuliert statt immer Gleiches nachzubeten. Ich glaube noch, dass es Priester, Pfarrerinnen und Pfarrer gibt, die mit viel Mühe und Leidenschaft Predigten vortragen können, die unsere Welt verändern. Ich wünschte, sie würden lauter sprechen. Ich hoffe noch darauf.
Zum Weglaufen
Mir schrieben Menschen, dass sie vor einer Weile aufgehört haben, sonntags in den Gottesdienst zu gehen, weil sie die Sprache, die dort gesprochen wird, nicht mehr aushalten. Ich kann das gut verstehen. Was soll ich schon von Predigten halten, in denen Belanglosigkeiten aneinander gereiht werden.
»Jesus lädt Dich ein – ja auch Dich. Er lädt Dich ein zum gemeinsamen Mahl. Zu dem Mahl, wie er es mit seinen Jüngern geteilt hat. Das Teilen von Brot und Wein in der Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig bestärkt und aufeinander vertrauen kann. Eine Gemeinschaft, in der nicht nur Nahrung geteilt wird, sondern auch Glaube. Denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein.«
Sätze, in denen viel zu oft die Verben fehlen. Um dieser sinnbefreiten Aneinanderreihung von Banalitäten noch irgendeinen inneren Zusammenhang zu geben, wird in jedem Satz ein Wort des voraus gegangenen Satzes aufgegriffen, damit der Text nicht komplett in Fragmente zerfällt.
Man kann das mit gutem Gewissen schlechten Stil nennen. Er entsteht aus Überforderung.
Wie soll ich denn so von Gott sprechen, dass es gleichzeitig würdig und nahbar ist? Wie soll ich denn so von Gott sprechen, dass es meine eigene Beziehung mit Gott zum Ausdruck bringt und gleichzeitig das Gegenüber zum Entdecken Gottes anregt? Wie finde ich den schmalen Grat zwischen Belehren und Erfahrbarmachen, und warum klingen diese drei Fragen schon wieder so, als hätte ein Theologe sie geschrieben?
In meinem Posteingang landet eine E-Mail. Ein mir unbekannter Mitarbeiter einer großen deutschen Diözese schreibt mir:
»Traurig, aber wahr. So ist es. Und ja: Was wir in der Kirche zu sagen haben, wird (so oft) nicht verstanden. Und dann versuchen wir es noch deutlicher auszudrücken und dann wird es noch diffuser und wirrer, und manchmal ist es wie beim Leben des Brian und seinem verwirrten Straßenprediger, der über die Verwirrung der Verwirrung …«
Ich kenne die Szene mit dem Straßenprediger gut. »Das Leben des Brian« zählt zu meinen Lieblingsfilmen. In dieser Szene stehen mehrere Prediger nebeneinander auf Podesten und versuchen das Volk von ihrem Glauben zu überzeugen. Einer schreit, zetert und droht mit Verdammnis, und ein alter wirrer Mann predigt eben über die Verwirrung und verwirrt dabei sich und das Publikum.
Genau diese Szene kam mir auch in den Sinn, als ich gegen das Predigen in unseren Kirchen lospolterte. Sie ist so treffend und entlarvend. Seltsam, dass sie auch diesem kirchlichen Mitarbeiter sofort vor Augen war.
Die Erklärung, die er anbietet, ist interessant: Man wird nicht verstanden und versucht es dann noch deutlicher auszudrücken und wird dadurch immer unverständlicher. Die Erklärung ist so interessant, weil Glaube noch nie ganz verstanden werden wollte.
Der Brief erinnert mich auch an Dostojewskis »Großinquisitor«. Eine kurze Geschichte, die ich schon viele Male gelesen habe. In diesem kleinen Werk erzählt ein Mönch einem anderen, wie einst Jesus Christus in Spanien zu Zeiten der Inquisition wiedergeboren wurde. Er tritt vor das Volk und alle erkennen ihn. Er erweckt ein Kind von den Toten und alle beten ihn an. Schließlich hat der Großinquisitor seinen Auftritt und lässt Jesus verhaften.
Der alte Kirchenrichter besucht seinen Messias in der Gefängniszelle. Er gesteht ihm zu, dass er Jesus ist und beginnt einen langen Monolog. Er erzählt Jesus, dass dieser die Menschen überfordert habe mit der Freiheit, glauben zu können, aber nicht zu müssen. Er hätte in der Wüste das Brot annehmen sollen, als er vom Satan verführt wurde. Dann wäre der Hunger in der ganzen Welt sofort vertrieben gewesen und niemand hätte mehr an Gottes Allmacht gezweifelt. Jesus hätte in der Wüste vom Satan die Weltherrschaft annehmen sollen – dann hätte niemand mehr an der Allmacht Gottes gezweifelt. Jesus aber lehnt all diese Verführungen ab. Er lässt die Freiheit, nicht glauben zu müssen bestehen.
Damit bleibt die Ungewissheit in der Welt. So sehr man über Gott spricht, so sehr man einfordert, ihm zu folgen, es bleibt möglich, nicht zu glauben.
Deshalb wurde die Kirche notwendig, befindet der Großinquisitor. Er berichtet, dass die Kirche den Menschen die Sicherheit gegeben habe, die Jesus stets zu geben verweigerte. Man habe Regeln festgelegt und Formen gefunden, habe den Menschen gesagt, sie müssten glauben und die Art, wie man Gott anbetet, organisiert. Die Überforderung durch Freiheit hat die Kirche erfolgreich eingedämmt, um den Menschen zu helfen.
Ich lese Dostojewskis Geschichte nach dieser Mail nochmal. Im Grunde ist es genau die gleiche Geschichte wie in dieser Mail. Kirche hält es nicht aus, dass die Menschen am Ende einer Veranstaltung unüberzeugt, zweifelnd, nicht glaubend bleiben. Man versucht mit immer mehr Nachdruck das Verständnis des Gegenübers zu erzwingen. Der muss doch glauben! – Und so scheitert die Verkündigung.
Eine Vorstellung
Ich denke, es ist an der Zeit, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin wohl alles, was Sie ablehnen: Ein Werbefuzzi, Großmaul und nicht zuletzt ein Besserwisser. Zu meiner Verteidigung habe ich nicht mehr hervorzubringen, als dass ich immerhin nicht Lehrer geworden bin.
Ich komme aus der Kirche und bin ihr heute denkbar fern. Ich war in meiner Jugend beinahe jeden Sonntag im Gottesdienst. Erst Ministrant, dann Oberministrant. Als Jugendverbandler aktiv in der Katholischen Jungen Gemeinde KjG – mit Funktionen im Dekanat, in der Diözese und auf Bundesebene.
Nach dem Abitur zog ich los, um Theologie zu studieren – absolvierte erfolgreich einige Semester und entschloss mich dann, einer anderen Leidenschaft zu folgen: Sprache und Politik.
Aus mir wurde, was schlimmer ist, als ein Politiker: Ein Politikberater. Ich bin der Einflüsterer, der viele Geschichten hinter öffentlichen Auftritten schreibt. Ich bin einer dieser Menschen, die in unserer Demokratie an der Inszenierung arbeiten. Wir erfinden Glanz und Gloria, um zu blenden.
Gerade einmal 29 Jahre bin ich alt – kurz vor den 30, die mir zu alt erscheinen und den meisten anderen zu jung. Ich bringe nicht viel Lebenserfahrung mit. Habe wahrscheinlich die großen Sinnkrisen noch nicht durchlebt. Was könnte ich Ihnen schon sagen?
Ich bin ein junger Mann nach der Pubertät und vor der Midlife-Crisis. Genau das Alter, in dem man keine Zeit hat für Sinnkrisen und damit auch nur wenig Bezug zur Kirche hat. Ich habe keine Kinder – darum bin ich keine Zielgruppe der Kirche mehr. Zu alt für die Jugendarbeit und noch nicht bereit für die Familienangebote. Ich bin das verlorene Schaf, nach dem man längst die Suche aufgegeben hat.
Sie müssen mir nicht glauben und Sie dürfen sich ärgern über das, was ich schreibe. Mein Blick ist ein ganz und gar subjektiver. Er mag sich mit Ihrer Erfahrung mit der Kirche brechen. Er mag ihnen ungehörig oder unfair erscheinen oder manchen Gedanken, den Sie schon lange hegen, bestätigen. Lassen Sie sich nicht davon beeindrucken. Ich beziehe mit diesem Buch keine Position innerhalb der Kirche. Weder eine liberale noch eine konservative. Ich will nicht für bestimmte liturgische Formen werben und nicht gegen andere opponieren. Falls Sie die Hoffnung hegen, Sie würden in diesem Buch Bestätigung für etwas in Kirche und gegen etwas in Kirche finden, dann muss ich sie enttäuschen. Dieses Buch stellt alles und nichts infrage.
Natürlich ist mein Blick gefärbt. Er ist sogar verstellt und vieles, was in der Kirche existiert und überzeugt, bleibt mir verborgen. Mir ist wohl bewusst, dass ich all den Kräften Unrecht tue, die vor Ort in den Gemeinden im Kleinen großartige Arbeit leisten, denn ich blicke auf die Oberfläche und bohre nur an bestimmten Stellen tief. Dabei entdecke ich manches Geheimnis, aber das meiste bleibt mir dauerhaft verborgen.
ENDE DER LESEPROBE