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Warum vergehen manche Stunden wie im Flug und ein anderes mal ziehen sich wenige Minuten ins Unendliche? Nach einem Beinahe-Unfall beim Apfelpflücken, lässt den kleinen Buddha die Frage warum sich Zeit immer wieder anders anfühlt nicht mehr los. Kurzentschlossen begibt er sich auf Wanderschaft, schließt neue Freundschaften und erlebt wie unterschiedlich man mit der Zeit umgehen kann. Er sammelt erstaunliche Antworten, die dem immer größer werdenden Bedürfnis der Menschen nach mehr Zeit und einem klugen Umgang mit ihr entgegenkommen. Hinreißend und inspirierend.
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Seitenzahl: 148
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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2020
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Einbandgestaltung: Tanja Geier, Nice Day Advertising
Cover: Buddha © Gert Albrecht, Rahmen: mystel/Shutterstock.com
Vignetten im Innenteil: www.shutterstock.com
E-Book-Konvertierung: Arnold und Domnick, Leipzig
ISBN Print 978-3-451-38585-8
ISBN E-Book 978-3-451-82011-3
Inhalt
Das Wunder der Zeit 9
Der humpelnde Förster 15
Die weisen Bäume 31
Der frustrierte Lehrer 41
Die vergessliche Buchhalterin 59
Die träumende Malerin 71
Der gierige Goldgräber 87
Der atmende Vulkan 99
Der trödelnde Eishändler 107
Die hundertjährige Tänzerin 117
Der faule Bäckerlehrling 129
Die kranke Kerzenmacherin 139
Der weiche Stein 149
Das Wunder der Zeit
Der kleine Buddha streckte seinen Arm aus, doch es reichte nicht. Er probierte es erneut, aber er bekam das ersehnte Objekt immer noch nicht zu fassen. Nur ein kleines Stückchen fehlte, um den rot-gelben Apfel greifen zu können; einige wenige Zentimeter trennten ihn vom großen Glück. Er zögerte kurz – sollte er einen letzten Versuch wagen? Es musste doch zu schaffen sein, schließlich hatte er es bei allen anderen schwierig hängenden Äpfeln auch geschafft. Er holte tief Luft, griff mit der linken Hand fest um das Ende der Leiter und warf seine rechte Hand mit Schwung dem Ziel seiner Begierde entgegen. Dann ging alles blitzschnell: Seine Finger berührten den Apfel und der kleine Buddha stieß einen Freudenschrei aus. Doch dieses Mal hatte er nicht zu wenig, sondern zu viel Schwung genommen und dadurch die Leiter ins Kippen gebracht. Er segelte an dem Apfel vorbei und konnte sich gerade noch an einem dicken Ast festhalten, bevor die Leiter zu Boden sauste und mit einem dumpfen Knall knapp vier Meter unter ihm aufschlug. Dort hing er nun, hoch oben im Baum gefangen und der mögliche Tod direkt zu seinen Füßen – das große Glück hatte er sich anders vorgestellt.
„Hilfe!“
Er drehte den Kopf hin und her, mit einem leicht panischen Blick, und versuchte, seinen Freund, den Gärtner, zu erspähen.
„Hilfe!“, rief er abermals. Seinen kleinen Händen fiel es immer schwerer, den dicken Ast zu umklammern. Dann sah er ihn plötzlich: Der Gärtner hatte ihn gehört und kam mit schnellen Schritten auf den Baum zu. Für den kleinen Buddha allerdings nicht schnell genug.
„Beeil dich, ich kann mich nicht mehr lange halten!“
Es schien ewig zu dauern und er fürchtete, seine Rettung könnte womöglich zu spät kommen. Jeder Moment zog sich unendlich in die Länge und dabei wurde der kleine Buddha immer verzweifelter. Mit letzter Kraft krallte er sich am Ast fest und hoffte, seine Finger würden ihn nicht im Stich lassen. Dann war der Gärtner endlich da, richtete die Leiter auf und erlöste ihn von seinen Qualen.
„Danke!“, sagte der kleine Buddha, als er wieder heil am Boden angekommen war. Er ließ seinen Blick zu dem Ast wandern, an dem er noch vor wenigen Augenblicken gebaumelt hatte. „Ich habe wirklich Angst bekommen. Aus solcher Höhe herunterzufallen, da hätte ich mir leicht das Genick brechen können. Und selbst wenn nicht, gesund wäre es bestimmt nicht gewesen.“
„Nein, nicht wirklich“, entgegnete sein Freund mit einem Schmunzeln. „Aber es ist ja nochmal gut gegangen. Pass in Zukunft aber bitte besser auf.“
Während der Gärtner wieder zwischen den anderen Bäumen verschwand, setzte sich der kleine Buddha langsam hin und lehnte sich mit dem Rücken gegen den großen Stamm. Ein erleichtertes Lächeln flog über sein Gesicht – wegen einem einzelnen Apfel zu sterben, das wäre richtig blöd gewesen.
In Gedanken ging er noch einmal die brenzlige Situation durch. Er wusste, dass der Gärtner sogleich zu ihm geeilt war, trotzdem war er erstaunt, wie lange ihm die Zeit des bangen Wartens vorgekommen war. Als hätte jemand sein Leiden absichtlich verlängern wollen.
Er blickte um sich, sah die Apfelbäume, den Gemüsegarten und die kleine Hütte. Den ganzen Sommer hatte er bei seinem alten Freund verbracht und ihm bei der Gartenarbeit geholfen. Gemeinsam hatten sie das Landleben genossen, hatten gepflanzt, gegossen und geerntet und dabei ganz viel gelacht. Nun war auf einmal der Herbst da und der kleine Buddha fragte sich, wie es sein konnte, dass all die schönen Tage so schnell in der Vergangenheit verschwunden waren. Es fühlte sich an, als wäre er erst vor einer Woche angekommen, dabei dauerte sein Aufenthalt schon mehrere Monate. Und war es nicht sogar das Gleiche mit dem ganzen Leben? All die vielen Jahre waren plötzlich nur noch ferne Erinnerungen und jeder weitere gelebte Moment katapultierte ihn gnadenlos dem Ende entgegen. Ihm wurde fast schwindelig, wenn er daran dachte, wie er durch die Zeit raste. Schon wieder war ein Sommer vorbei, schon wieder nahte der Winter. Jedes Jahr schien alles immer schneller vorbeizugehen! Zumindest die guten Zeiten – schlechte Momente, wie das unfreiwillige Baumeln an einem hohen Ast, waren weiterhin harte Geduldsproben.
Warum war das so? Warum konnte er nicht die guten Zeiten langsamer machen und die schlechten beschleunigen? Wie wunderbar wäre es, wenn er besondere Momente kurz anhalten und jegliches Leiden einfach überspringen könnte. Wenn er die Zeit kontrollieren könnte, anstatt ihr hilflos ausgesetzt zu sein. Und dann war da natürlich noch eine andere Frage: Zeit, was ist das überhaupt? Niemand kann sie hören, riechen, sehen oder anfassen. Ist es ein Gefühl, wie die Liebe? Oder ein Gedanke, der versucht, etwas zu beschreiben, das es gar nicht gibt?
Der kleine Buddha merkte, wie Neugierde in ihm aufstieg. So viele Antworten, die es zu entdecken galt! Er hatte eigentlich vorgehabt, noch vor dem Winter nach Hause zu seinem großen alten Bodhi-Baum zurückzukehren, aber diese andere Möglichkeit, die sich plötzlich dazwischen geschoben hatte, strahlte ihn nun mit einladenden Augen an. Aufzubrechen ins Unbekannte und herauszufinden, welche Wunder die Zeit für ihn bereithielt – wie konnte er diese Gelegenheit ungenutzt lassen? Die Versuchung, seinen ursprünglichen Plan zu ändern, wurde jedenfalls mit jedem Augenschlag stärker. Und was sprach schon dagegen? Dann würde er eben etwas später nach Hause kommen.
Er überlegte noch eine Weile, aber tief im Inneren hatte er sich längst entschieden. Sein Bauch begann zu kribbeln und sein Herz frohlockte. Eine neue Reise stand bevor!
Doch bevor es soweit war, musste er zuerst seine bereits angefangene Arbeit beenden. Fünf prall gefüllte Apfelbäume warteten noch darauf, abgeerntet zu werden. Er erhob sich, nahm die Leiter und den großen Korb und ging zum nächsten Baum. Und während er pflückte und die Sprossen hoch und runter stieg, breitete sich in seinem Gesicht ein zufriedenes Lächeln aus. Es war das Lächeln der Freiheit.
Noch am selben Abend erzählte der kleine Buddha dem Gärtner von seinem Vorhaben.
„Ich will losziehen und die Zeit erkunden!“
„Eine großartige Idee“, sagte der Gärtner sogleich. „Du hast recht, von Jahr zu Jahr scheint sich das Leben immer mehr zu beschleunigen. Vielleicht findest du ja heraus, ob sich die Zeit irgendwie verlangsamen lässt. Wenn es tatsächlich möglich ist, dann musst du unbedingt zurückkommen und mir davon berichten.“
Der kleine Buddha nickte. Er freute sich bereits auf ein erneutes Wiedersehen mit dem Gärtner. Doch noch viel mehr freute er sich auf all die Erfahrungen und Begegnungen, die er bis dahin erleben würde. Auf all die Momente, die sehnsüchtig auf ihn warteten.
Drei Tage später war er bereit, sich von seinem langjährigen Freund zu verabschieden. Er hatte alle Äpfel von den Bäumen gepflückt, seinen orangefarbenen Umhang gewaschen und etwas Proviant und eine Decke in seine alte Umhängetasche gepackt. Mehr gab es nicht zu tun.
Er umarmte den Gärtner, drehte sich um und begann seine vierte Reise.
Der humpelnde Förster
Es war ein herrlicher Morgen! Die goldbraunen Felder waren mit Herbsttau bedeckt und die aufgehende Sonne füllte den Himmel mit warmen Farben. Leichten Schrittes spazierte der kleine Buddha auf einem schmalen Pfad vom Grundstück des Gärtners zur ersten Kreuzung. Einige Vögel flogen an ihm vorbei und begrüßten den neuen Tag mit fröhlichem Gesang; in der Ferne zogen wunderschöne, rosa schimmernde Wolken entlang. Eine sanfte Brise strich über sein Gesicht und wehte ihm vom nahegelegenen Wald den Duft von fallenden Blättern und sprießenden Pilzen in die Nase. Das ganze Land befand sich im Wandel – nicht so explosiv wie im Frühling, aber genau so unaufhaltsam.
Er fragte sich, ob es so etwas wie einen perfekten Zeitpunkt zum Aufbrechen gibt. Einen perfekten Moment, der den Reisenden mühelos in die Welt hinausträgt. Wenn ja, dann erlebte der kleine Buddha an diesem Morgen genau so einen Moment. Mit tiefen Atemzügen ließ er die frische Luft durch seinen Körper wandern und freute sich, wieder unterwegs zu sein.
Wie bei allen seinen Reisen hatte er auch dieses Mal kein klares Ziel vor Augen. ‚Bestimmt kann ich überall etwas über die Zeit lernen‘, dachte er. Das einzige, was er tun musste, war, zu vertrauen. Hineinzuspringen ins Unbekannte und sich vom Leben führen zu lassen.
Als er wenig später die Kreuzung erreichte, blieb er stehen und begutachtete seine Möglichkeiten. Nach rechts ging es zum Meer, nach links zu seinem Bodhi-Baum und geradeaus direkt in den großen Wald hinein. Alle drei Wege kannte er bereits. Er schaute mehrmals hin und her und überlegte. Dann sah er plötzlich eine weitere Möglichkeit: ein kleiner Pfad, der nach einigen Metern vom mittleren Pfad abzweigte. Da der kleine Buddha ein leidenschaftlicher Liebhaber von neuen Wegen war, musste er nicht länger nachdenken: Er ging geradeaus weiter und bog kurz darauf nach halbrechts ab.
Ungefähr eine Stunde später hatte er den Waldrand erreicht. Der Pfad führte allerdings nicht in den Wald hinein, sondern an der Südflanke entlang in Richtung Osten. Dem kleinen Buddha war das nur recht und so spazierte er den ganzen restlichen Tag weiter, die undurchdringbar scheinenden Laub- und Nadelbäume zu seiner Linken und die offenen Felder zu seiner Rechten.
Am späten Nachmittag, als sich die Sonne bereits dem Horizont näherte, kam er an einer alten Scheune vorbei. Sie war zu einer Seite offen und fast bis zur Decke mit Strohballen gefüllt. Glücklicherweise gab es jedoch eine freie Ecke, die der kleine Buddha als Schlafplatz nutzen konnte. Er setzte sich draußen vor der Scheune auf seine Decke, aß etwas von seinem Proviant und schaute dabei dem Sonnenuntergang zu. Dann ging er nach drinnen, breitete sich auf einem flachen Strohballen aus und schlief kurz darauf erschöpft, aber glücklich ein.
Sein Traum begann ebenfalls glücklich. Er war zurück im Obstgarten und pflückte die schönsten Äpfel vom Baum. Jeder einzelne war ein richtiges Prachtexemplar. Dann sah er auf einmal einen, der sogar noch prächtiger war als alle anderen. Der König aller Äpfel! Der kleine Buddha beobachtete sich im Traum, wie er hoch oben auf der Leiter Schwung holte. Er rief sich zu, es nicht zu tun, doch es war zu spät: Er segelte an Apfel und Ast vorbei und raste laut schreiend im freien Fall dem Boden entgegen. Bang! Er zuckte zusammen, fuhr hoch und riss die Augen auf. Mit Schweißperlen auf der Stirn schaute er nach draußen – es war noch mitten in der Nacht. Er nahm einen Schluck Wasser aus seiner Flasche, starrte einen Moment ins schwarze Nichts und legte sich dann wieder hin. Schon komisch, dachte er. Manchmal ist es ein einziger, winziger Augenblick, der entscheidet, in welche Richtung das Leben verläuft.
Am nächsten Morgen war es noch nicht richtig hell, da hatte sich der kleine Buddha schon wieder auf den Weg gemacht. Er war früh aufgewacht und hatte dabei eine unangenehme, innere Unruhe verspürt. Als müsste er sich aus irgendeinem Grund beeilen, damit er nicht zu spät kommt. Wahrscheinlich war es wegen des Traums, dachte er zuerst. Doch das Gefühl hielt an und war immer noch da, als er nach einigen Kilometern eine Pause einlegen wollte.
Er blieb an einem kleinen Bach stehen und füllte seine Flasche auf. Sein Blick fiel auf die einladende Wiese direkt neben ihm und dazu hörte er das friedliche Plätschern des Wassers – eigentlich war es ein idealer Ort, um sich etwas auszuruhen und vielleicht auch eine Weile in Stille zu sitzen und zu meditieren. Aber der kleine Buddha wurde diese Unruhe, die er seit dem Morgengrauen mit sich herumtrug, einfach nicht los. Vielleicht waren es auch seine Gedanken an die rasant vergehende Zeit, die die innere Hast befeuert hatten. Was auch immer der Grund war, er musste weiter.
Der Pfad führte nach wie vor am Waldrand entlang. Ein leichter Wind wehte und hoch über ihm zogen die Wolken durch die klare Herbstluft. Eine Weile marschierte er ungeduldig einem unbekannten Ziel entgegen, ohne dass etwas Besonderes passierte. Dann tauchte auf einmal ein wackelnder Punkt am Horizont auf, dort, wo der Weg den Himmel berührte. Mit jedem Schritt kam der kleine Buddha etwas näher und schließlich erkannte er, dass es sich bei dem wackelnden Punkt um einen älteren, humpelnden Mann handelte. Er bewegte sich in dieselbe Richtung wie der kleine Buddha, kam aber nur langsam voran.
Es dauerte nicht lange, da hatte er ihn eingeholt.
„Hallo!“, sagte der kleine Buddha und passte sein Tempo dem des alten Mannes an, um neben ihm hergehen zu können.
„Guten Tag junger Freund!“, antwortete der Mann mit tiefer Stimme.
Der kleine Buddha lächelte. Es war ein viel versprechender Anfang, dass er von einem Fremden als Freund begrüßt wurde.
„Wo gehst du hin?“, erkundigte sich der Mann.
„Ich weiß nicht. Ich gehe einfach geradeaus. Und du?“
„Ich bin auf dem Weg nach Hause. Drei Tage war ich im Wald und jetzt freue ich mich auf meine Familie.“
„Was hast du denn drei Tage im Wald gemacht?“, wollte der kleine Buddha sogleich wissen, neugierig wie er war.
„Ich bin Förster und habe gearbeitet.“
Der kleine Buddha zögerte einen Moment. Er hatte schon einige Male von diesem Beruf gehört, wusste allerdings nichts Genaueres.
„Was muss ein Förster denn alles machen?“
Nun war es der Mann, der lächelte. Es passierte nicht oft, dass ihn jemand über seine Arbeit befragte. Während sie zusammen an den weiten Feldern vorbeispazierten, erzählte er ihm also stolz von seinen verschiedenen Aufgaben.
„In erster Linie kümmere ich mich um die Bewohner des Waldes, die Bäume. Wenn ein Baum krank ist, pflege ich ihn; wenn er anderen Bäumen zu viel Licht wegnimmt, beschneide ich ihn; und wenn ein alter Baum stirbt, pflanze ich einen neuen. Der Wald könnte diese Arbeiten natürlich auch ohne mich vollbringen, aber trotzdem freut er sich, wenn ich ihm ein bisschen helfe. Als Dank gibt er mir das Holz, das er selbst nicht braucht. Dieses verkaufe ich dann an Leute, die daraus Brennholz gewinnen, Möbel oder Instrumente herstellen oder Häuser bauen.“
Der kleine Buddha wusste aus eigener Erfahrung, dass es zwei Tage dauert, um den ganzen Wald zu durchqueren. Das war also eine Menge Holz, die da herumstand.
„Dann musst du aber ganz schön reich sein, bei so vielen Bäumen.“
Der Förster lachte.
„Mir geht es gut, aber reich bin ich nicht. Ich teile mir die Arbeit ja mit vielen anderen Förstern. Jeder von uns ist für einen Abschnitt des Waldes verantwortlich. Neben der Holzernte gibt es schließlich noch viele andere Dinge zu tun, alleine würde ich das gar nicht schaffen. Ich muss die Wege instand halten, ich muss dafür sorgen, dass die Jäger nicht zu viele und nicht zu wenige Tiere erlegen, und ich muss auch aufpassen, dass die Holzfäller nicht die falschen Bäume fällen.“
„Und woher weißt du, welcher Baum richtig und welcher falsch ist?“
„Da gibt es verschiedene Kriterien. Ein junger Baum sollte zum Beispiel immer in Ruhe gelassen werden, es sei denn, er ist schwer krank. Ein alter Baum sollte nur gefällt werden, wenn er nachwachsenden Bäumen keinen Platz gibt. Oder wenn er so alt ist, dass der Sterbeprozess bereits eingesetzt hat. Manchmal ist es daher gar nicht so einfach, den richtigen Baum zu finden. Und je nachdem, wofür das Holz benutzt wird, müssen es auch ganz bestimmte Bäume sein. Die letzten Tage habe ich zum Beispiel nach zwei Eichen gesucht, die ein Zimmermann bei mir bestellt hat. Sie sollten gesund, alt und ruhig gewachsen sein, da dieses Holz am Besten für den Hausbau geeignet ist. Die erste habe ich direkt am Anfang gefunden, die zweite aber erst heute Morgen.“
„Hast du sie schon abgesägt?“
„Nein, die Stämme sind so dick, dafür braucht es mindestens zwei, wenn nicht sogar drei starke Holzfäller. Nur die kleineren Bäume können von einer Person alleine gefällt werden.“
Nachdenklich blickte der kleine Buddha zum Waldrand. Er versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn er mit einer Säge in der Hand durch einen Stamm schneiden würde.
„Bist du nicht traurig, wenn du einen Baum tötest?“
Der Förster stutzte. Eine solche Frage hatte er nicht erwartet. Berechtigt war sie jedoch allemal.
„Ja, ich bin traurig, aber auch glücklich. Es ist ein merkwürdiges Gefühl: Auf der einen Seite freue ich mich, weil jeder gefällte Baum hilft, meine Familie zu ernähren; auf der anderen Seite ist es in der Tat schmerzhaft, das Leben eines Baumes zu beenden. Im Laufe der Jahre sind viele von ihnen gute Freunde geworden – und wer bringt schon gerne gute Freunde um?“
Er warf dem kleinen Buddha ein Augenzwinkern zu.
„Letzten Endes ist es aber der Kreislauf des Lebens: Ein Baum wächst, dann wird sein Holz zu Humus oder Asche und schließlich wächst aus der neuen Erde ein neuer Baum. Bei uns Menschen ist es ähnlich – nur haben wir nicht die Chance, uns zwischendurch in ein schönes Möbelstück oder in ein schützendes Haus zu verwandeln.“
Der Weg wurde etwas hügeliger und jeder noch so leichte Anstieg wurde für den Förster zu einer Herausforderung. Sein steifes Bein ließ nur sehr kleine Schritte zu und dadurch kam er nur äußerst langsam und mühselig voran.
„Früher habe ich viele Bäume gefällt, aber mittlerweile bin ich dafür zu schwach. Ich habe nicht mehr die Kraft für solch schwere Arbeit.“
Der kleine Buddha schaute seitlich an ihm herunter.
„Und nein, mein lahmes Bein ist auch nicht besonders hilfreich“, fügte der Förster hinzu.
„Was ist denn mit deinem Bein passiert? Warum humpelst du?“
Schon die ganze Zeit hatte der kleine Buddha diese Frage stellen wollen. Der Förster schüttelte allerdings den Kopf.