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Das Buch ist eine kritische Aufarbeitung der Geschichte der Neuendettelsauer evangelisch-lutherischen Mission in Neuguinea. Im Fokus steht die Rolle der Missionare bei der Etablierung kolonialer Herrschaft und der Liquidierung der tradierten Kultur der Papuas. Das Buch nimmt auch die nationalistische, demokratiefeindliche Ideologisierung der Missionare in den Blick, die mit einem erschreckenden Geschehen im Missionsgebiet endete: Der Nazifizierung und der Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe mitten im lutherischen Zentrum in Neuguinea. Ein Debakel für die ambitionierte Mission aus der fränkischen Provinz.
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Seitenzahl: 187
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Autor:
Hartmut Horn, Jahrgang 1947 Studium Politologie, Soziologie und Philosophie Universität Konstanz und Heidelberg; Fachschule für Betriebswirtschaft und Datenverarbeitung Stuttgart
„Don't accept that what's happening Is just a case of others' suffering Or you'll find that you're joining in The turning away.“
(David Gilmour, Pink Floyd 1987)
1.
Vorwort
2.
Deutsche Kolonisierung in Ozeanien
Ein Kampf um „herrenloses Land“
Die Anfänge der Errichtung der Kolonie
Zwangsarbeit und Strafaktionen gegen Widerstände
Misserfolge im Kaiser-Wilhelms-Land
Das Ende der deutschen Kolonialzeit
3.
Die Neuendettelsauer Mission in Neuguinea
Der mühsame Anfang
Die Mission als kolonialistischer Unternehmer
Der späte Beginn des Bekehrungserfolges
Der Kampf um Unabhängigkeit in fremdem Mandatsgebiet
Die Eroberung des Hochlandes
Die Nazifizierung und das Ende einer Illusion
4.
Meine Vorfahren im Dienste der Mission
5.
Gedanken zur Rolle der Mission im Kolonialismus
Am Anfang war die Axt
Ein Ringen um die Deutungshoheit
Der weiche Boden der Rechtschaffenheit
Ein bitteres Erbe für die Papuas
6.
Nachwort
7.
Anmerkungen
8.
Literaturliste
9.
Abbildungsverzeichnis
10.
Anhang: Fotos aus dem Familienalbum
Abb.1: Kaiser-Wilhelms-Land und Bismarck-Archipel um 1910
In meiner frühen Kindheit war mein Großvater lange Zeit einer, der mir mächtig imponierte, ein Mann, zu dem ich aufschaute. War er doch in jenem geheimnisvollen Land, in dem es Schlangen und Krokodile gab, wo man immer aufpassen und ein Gewehr dabeihaben musste. So jedenfalls erzählte es Großvater uns Kindern und wir hörten ihm gespannt zu. Viele Fotos hatte er von diesem Land, und viele mit dunkelhäutigen Menschen, mit nacktem Oberkörper und finsterem Gesicht, häufig bemalt und mit Speeren. Palmen gab es und die Häuser waren weiß und aus Holz. Auch meine Großmutter lebte in diesem Land und meine Mutter war dort sogar geboren, wurde mir gesagt. Auch dass viele Leute dort hingingen, Missionare, wie sie genannt wurden. Das Wort Mission hörte ich täglich, hier in Neuendettelsau, wo ich geboren bin. Es war irgendwie allgegenwärtig. Alles schien sich um Mission zu drehen in den Gesprächen. Der Onkel Gottfried war auch Missionar und auch er war lange in Neuguinea, in dem Land ganz weit fort, wo man mit einem großen Schiff hinfahren musste. Alle gingen sonntags in die Kirche, wo ich immer auch mitmusste und wo ich am Ende ein Zehnpfennigstück in den Klingelbeutel werfen durfte. Vor dem Essen am großen Tisch in der Küche wurden die Hände gefaltet und das mir heute noch geläufige Tischgebet gesprochen. Mein Großvater mit kräftiger, lauter Stimme, die anderen Familienmitglieder eher murmelnd. Was Mission bedeutet, darüber machte ich mir keine Gedanken, sie gehörte irgendwie zum Leben. Dass es anders war, merkte ich erst, als ich als Achtjähriger mit meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Schwester von Neuendettelsau ins Schwäbische zog. Dort redete niemand von Mission. In den Sommerferien ging’s dann mit unserer Mutter stets wieder zurück nach Neuendettelsau, zu Opa und Oma. Zwar vertraut, und doch zunehmend eigentümlich ernst und befremdlich kam mir das Leben hier vor. Langsam begann ich zu begreifen, dass die Missionsleute in Neuendettelsau eine eigene, von den übrigen Dorfbewohnern ziemlich isolierte Gesellschaft bildeten. So jedenfalls meine Wahrnehmung.
Lange Zeit noch über die Kindheit hinaus hatte ich eine von Romantik geprägte Vorstellung vom kolonisierten Neuguinea und der dortigen missionarischen Tätigkeit. Zur Verklärung der tatsächlichen Vorgänge im Missionsgebiet und zur unhinterfragten Sichtweise hatten natürlich wesentlich mein Großvater und meine Mutter beigetragen. Erst viel später war ich in der Lage die Bedeutung von Mission zu verstehen und zu erkennen, dass Mission etwas mit Kolonialismus zu tun hat, in ihm verstrickt war, auch mein Großvater und die Neuendettelsauer Mission.
In mir reifte der Gedanke, das Tun der Missionare in jener Zeit kritisch aufzuarbeiten, die vielen hinterlassenen Neuguinea-Bilder im Familienalbum meiner Mutter mit Leben zu füllen. Es dauerte nun doch viele, viele Jahre, bis ich mir einen Ruck gab und mit der Recherche begann. Irgendwann wurde ich aufmerksam auf den neu erschienenen Roman von Katharina Döbler „Dein ist das Reich“.1 Die vielen Hinweise auf die gemeinsame Vorgeschichte unserer Vorfahren in den Buchbesprechungen elektrisierten mich. Auch Katharina Döblers Großeltern waren für die Mission in Neuguinea tätig. Ich verbrachte jede freie Stunde mit Lesen und war begeistert. Vor mir lag ein Buch, das einen Teil meiner Erlebniswelt beleuchtete. Es war, als käme die Vergangenheit zurück. Ich tauchte ein in das eigenartige Missionarsmilieu, wie ich es in meiner Kindheit in Neuendettelsau erlebt hatte, vom Kirchenbesuch bis zum Kaffeekränzchen. Lebendiges Fühlen und Tun fiktiver und doch mehr oder weniger wirklicher Personen ist mit realer Geschichte verknüpft. Katharina Döbler versteht ihr Buch nicht als Enthüllungsroman.2 Und doch glaubte ich die beschriebenen Akteure zu kennen, sie schienen mir vertraut, wie sie sich bewegten damals in Neuguinea. Deren Geschichte wird im Buch erzählt in einer Welt, in der sich die Wege unserer Vorfahren kreuzten. Und die Namen dieser Vorfahren sind es, die sich mir als Kind damals in Neuendettelsau aus den Gesprächen der Erwachsenen eingeprägt hatten, als seien sie täglich erwähnt worden. Die Hertles, die Holzknechts, die Wagners, die Döblers, die Stürzenhofeckers und andere. Viele verwandt mit meinen Großeltern, der Familie Schmutterer.
Über Kolonialismus und seine Folgen in den kolonisierten Ländern hatte ich durchaus ein Vorwissen, denn diese Themen waren auch Gegenstand meines Studiums in Konstanz und Heidelberg. Vor allem die Abhandlungen von Frantz Fanon, wie z.B. sein Buch „Die Verdammten dieser Erde“3, oder auch Johan Galtungs „Strukturelle Gewalt“ 4 hatten mich beeindruckt und beeinflusst. In Unkenntnis war ich jedoch, was konkret die Entwicklung in Neuguinea und die Rolle der vielen dort tätigen Missionsgesellschaften betraf. Bei meinen jetzigen Recherchen hat mich doch das Ausmaß der systematischen Ausnutzung der Arbeitskraft der einheimischen Bevölkerung und das mehr oder weniger unkaschierte wirtschaftliche Kalkül der missionarischen Akteure überrascht. Und erschreckt hat mich das offene Eintreten für nationalsozialistische Ideen auch in Neuguinea, was niemandem entgangen sein konnte. Weniger überraschend fand ich die Neigung selbst, waren doch Kirchenmänner beider Konfessionen in Deutschland Mitträger des Systems und schauten bei der Judenverfolgung und -vernichtung schweigend zu. Erst nach Jahrzehnten machten sie sich zögerlich daran, ihre schändliche Vergangenheit aus einer kritischeren Perspektive zu betrachten.
Meine Ausarbeitung will keine Familiengeschichte sein. Und doch versucht sie, diesen exotischen Teil der Historie der Vorfahren in den Kontext der missionarischen Tätigkeit und des politischen Handelns der Neuendettelsauer Mission in Neuguinea einzuordnen. Die Ausarbeitung soll auch dabei helfen zu erkennen, zu welchen katastrophalen Folgen ein politisches Denken führen kann, das andere Ethnien diskriminiert, deren Besitzrechte missachtet, von reinrassigem Volkstum träumt und Demokratie und Völkerverständigung geringschätzt und schließlich nationalistisch dominiert wird. Das Denken meiner Vorfahren war genau von solchen Ideologismen geprägt. Sie hatten sich für die falschen Werte entschieden. In dieser Hinsicht verstehe ich mein Buch auch als eine Mahnung, wachsam zu sein, denn der rassistischnationalistische Ungeist ist noch lange nicht ausgestorben und ist wieder dabei, den Kopf hochzurecken.
Ohne Verständnis des Kolonialismus kein Verständnis der Missionierungen in der damaligen Zeit. Deshalb sei vorangestellt ein historisches Kapitel über den Weg der Kolonisierung des Pazifikraums durch das Deutsche Reich, wobei geographisch ein besonderes Augenmerk auf den nordöstlichen Teil des Festlandes von Neuguinea, in dem die Neuendettelsauer Mission aktiv war, gelegt wird. Den Hauptteil des Buches bildet die Darstellung und kritische Beleuchtung der Geschichte der Neuendettelsauer Mission sowie eine Auseinandersetzung mit gängigen Sichtweisen der kolonialen Vergangenheit Deutschlands und der Rolle der Mission. Der Bildanhang wie auch einige im Text eingestreuten Familienfotos aus der Neuguineazeit adressieren vor allem den Familienkreis und Nachkommen der damaligen Neuguineagemeinde. Er dürfte für Außenstehende in Ermangelung eines Personenbezugs eher von marginalem Interesse sein.
Meine Ausführungen lassen bisweilen eine ruhige und distanzierte akademische Handschrift vermissen und sind bewusst in weiten Teilen kommentierend und essayistisch abgefasst, hie und da von etwas Sarkasmus begleitet. Der Stil reproduziert manchmal Rhetorik auf dem Papier und kommt so zu vielleicht befremdlichen Ausdrucksformen. Man möge mir das nachsehen. Obwohl der Problematik bewusst, tue ich mich schwer mit den aktuellen Regeln zur Gendersprache. Für mich sind Missionare oder auch Dorfbewohner nach wie vor sowohl männliche wie weibliche Personen, denn die gedehnt-holprige Lösung finde ich ziemlich unpassend. Da ist eine Vermeidungsstrategie bei rassismussensitiven Begriffen einfacher zu handhaben.
Ich habe überwiegend auf Sekundärliteratur zurückgegriffen, aber auch auf Veröffentlichungen von Missionaren und anderer Personen der damaligen Zeit, die heute in digitalisierter Form erfreulich breit zugänglich sind. Die Orthografie dieser alten Schriften habe ich, soweit notwendig, an die heutige Schreibweise angepasst. Die Veröffentlichungen der frühen Missionierungszeit und die Berichte im „Neuendettelsauer Missionsblatt“ vermitteln einen tiefen Einblick in die missionarische Tagesarbeit, in geografische und klimatische Gegebenheiten, auch in die Kultur der missionarischen Zielgruppe, den Papuas. Freilich immer aus der Perspektive und den Beurteilungsmustern der Missionare, die von der Absicht geprägt sind, eine Erfolgsgeschichte zu vermitteln.
Trotz viel Lektüre, eigene Forschungen habe ich nicht angestellt. Einige Fragen sind offengeblieben, die ich nicht klären konnte. Über die Zeit der deutschen Kolonisierung in der Südsee gibt es nicht wenige Studien, wobei die Rolle der Missionen leider eher nur am Rande beleuchtet wird. Dabei scheinen australische Autoren und weniger deutsche mit ausgeprägtem Forschungsinteresse voranzugehen. Zu nennen wären stellvertretend Steward Firth, Peter J. Hempenstall oder Peter Sack, wenngleich ein bei manchen Autoren festzustellender Mangel an kritischer Distanz zur deutschen Kolonialherrschaft überrascht. Eine große Hilfe, vor allem die unheilvolle politische Entwicklung der Neuendettelsauer Mission in Neuguinea nach dem ersten Weltkrieg tiefergehend und gestützt auf authentische Quellen darstellen zu können, waren die vielen Ausarbeitungen der deutsch-australischen Historikerin Christine Winter5, auf die ich gestoßen bin. Sie ist die Urenkelin des früheren Neuendettelsauer Missionsdirektors Rudolf Ruf 6 und lebt in Sydney. Eine ergänzende Hilfe waren aber auch Hans Rößlers Recherchen zur Nazifizierung in Neuendettelsau mit Augenmerk auf die Lutherische Kirche.7 Sein relativ junges Buch konnte Christine Winter in ihren Ausarbeitungen noch nicht erwähnen. Andererseits für mich verwunderlich, wenn bei Rößler Christine Winter nicht angeführt ist. Für mich ein Indiz für die im internationalen Raum wenig vernetzte und sehr vereinzelt geführte Kritik am missionarischen Wirken speziell der Neuendettelsauer lutherischen Mission im Huon-Gebiet während der Kolonialzeit. Auffällig bei der Literatursichtung war der weitaus größere Umfang von Studien zur missionarischen Präsenz in den deutschen Afrikakolonien.
In der Diskussion um die Rolle der Mission im Kolonialismus, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist, möchte ich in kritischer Auseinandersetzung mit gängigen Positionen ein paar Aspekte vortragen, die mir zu wenig berücksichtigt erscheinen. Ich bin jedoch nicht vom Ehrgeiz getragen, auf Augenhöhe mit dem jetzigen Stand der Wissenschaft und Forschung diskursiv mithalten zu wollen. Dennoch denke ich, mit meinem Versuch einer Gesamtdarstellung der Geschichte der Neuendettelsauer Mission im Huon-Gebiet, geleitet vom Interesse, vor allem die kritisch zu beurteilenden Aktivitäten herauszuarbeiten und hervorzuheben, einen ergänzenden Beitrag beigesteuert zu haben.
Noch ein Anliegen, das ich betonen möchte und das mir sehr am Herzen liegt. Ich positioniere mich in meinem Buch sehr deutlich. Vielleicht zu rigoros, auf jeden Fall in einer Diktion, die mir bei vorliegender Thematik nicht unangemessen erscheint. Und hier kann ein Missverständnis entstehen, das ich unbedingt vermeiden möchte. Meine kritische Haltung richtet sich keinesfalls gegen christliche Gläubige oder den christlichen Glauben allgemein. Die atheistische Perspektive ist für einen Gläubigen immer hart anzuhören, ob Christ, Muslim oder Anhänger einer anderen Konfession. Soweit sich jemand verletzt fühlt, tut es mir leid, denn solches ist keineswegs meine Absicht. Ich bin mit nicht wenigen gläubigen Menschen bekannt, begegne ihnen nicht nur in der Flüchtlingshilfe und habe großen Respekt, solange sie sich in ihrem gesellschaftlichen Denken und Handeln auch vom Wertesystem ihres Glaubens leiten lassen. Zu zeigen, dass dies leider nicht selbstverständlich ist, ist auch ein Anliegen dieses Buches.
Rudersberg, im Jahr 2024
Ein Wettlauf um „herrenloses Land“
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkten die europäischen Großmächte ihre Bestrebungen, sich in Afrika, Asien und Ozeanien Einflussgebiete zu verschaffen und auszubauen.8 Aber auch kleinere Staaten wie Italien, Niederlande, Belgien oder Portugal mischten mit. Deutschland war zu der Zeit noch in Kleinstaaten zersplittert und erst nach der Reichsgründung 1871 trat das Deutsche Reich mit auf die Bühne. Zumeist gestützt auf küstennahe Handelsstationen erlangten die Kolonialmächte schrittweise die Kontrolle über strategisch wichtige Regionen. Entdecker und Forscher hatten sich auf die Reise gemacht, die neuen Gebiete zu sondieren und wirtschaftliches Potential auszuloten. Mit Beginn der 1880er Jahre begann ein regelrechter Wettlauf um den Erwerb von Kolonialbesitz. So viel wie möglich Aneignung von fremdem Land war das Motto. Der Anspruch auf das Land wurde durch das Hissen nationaler Flaggen und dem Abschluss von sog. „Schutzverträgen“ mit den Oberhäuptern der heimischen Bevölkerungsgruppen bekräftigt. Auf der Berliner Afrikakonferenz 1884 versicherten sich die Kolonialmächte gegenseitig die Rechtmäßigkeit ihrer Besitzansprüche.
Die neue Entwicklung war begleitet von einer ideologischen Offensive, um vor der Bevölkerung in der Heimat die kolonialistische Herrschaft zu legitimieren. Die eigene als höherwertig eingeordnete Kultur und Religion gelte es in den „unterentwickelten“ Kolonien zu verbreiten und die dortigen Völker zu „zivilisieren“. Die geistige Überlegenheit der „weißen Rasse“ berechtige zur Herrschaft über die „Barbaren“. Mit der Ethnologie war zugleich ein neuer Wissenschaftszweig entstanden, teilweise offen mit der Absicht, anhand körperlicher Eigenschaften wie Hautfarbe, Kopfform, Skelettstruktur, Blut etc. die „rassische Minderwertigkeit“ der kolonisierten Völker zu beweisen.
Das Jahr 1884 markiert den Einstieg des Deutschen Reiches in den Kolonialismus. In Afrika wurden Südwest-Afrika, Togo und Kamerun „erworben“. In Ozeanien beanspruchte Deutschland den Nordosten Neuguineas und die vorgelagerte Inselwelt, nicht ohne Verstimmung bei den Engländern, die vor allem von ihrer australischen Kolonie Queensland aus ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in Ozeanien ausgebaut hatten. Bereits 1882 war für den Erwerb von Kolonialbesitz auf Initiative von Adolph von Hansemann, dem Direktor der Berliner Disconto-Bank, und mit Unterstützung weiterer Bankiers und Großfinanziers das Neuguinea-Konsortium gegründet worden. Später wurde es in Neuguinea-Kompagnie umbenannt. Ihr wurden vom Reich landeshoheitliche Rechte überschrieben und sie konnte damit autonom die politische Verwaltung in der Kolonie übernehmen. Ihr war damit auch das Recht übertragen, Land in Besitz zu nehmen, das dann unter den Schutz des deutschen Reiches gestellt werden sollte. Im Gegenzug verpflichtete sich die Kompagnie, brauchbares Gebiet für Häfen, Ansiedlungen und Plantagen auszukundschaften und im erworbenen Gebiet auf eigene Rechnung eine Verwaltung und Infrastruktur aufzubauen sowie für die Bewirtschaftung Arbeitskräfte zu mobilisieren. Bismarck beabsichtigte mit diesem Konstrukt, die Kosten für Verwaltung und Erschließung zu privatisieren und finanzielle Belastungen vom Reichsbudget möglichst fernzuhalten.
Abb.2: Hissen der deutschen Flagge in Mioko am 4.11.1884
Ab 1884 wurde ein Landstrich nach dem anderen in Besitz genommen. In der Inselwelt war durch Landungskorps deutscher Kriegsschiffe vielerorts die deutsche Reichsfahne gehisst und so im nordpazifischen Raum ein ansehnliches Kolonialreich errichtet worden. Es umfasste neben dem nordöstlichen Teil Neuguineas, dem Kaiser-Wilhelms-Land, dem Bismarck-Archipel und eine ganze Reihe weiterer kleiner Inselgruppen, die zum Teil erst 1900 von den Spaniern gekauft wurden. Die Niederländer hatten sich schon seit 1828 in West-Neuguinea und die Briten 1883 im Südosten festgesetzt. Einige Jahre später waren die deutschen Interessenssphären in der Südsee auch von England anerkannt worden.
Abb.3: „Fahre mich hinüber schöner Schiffer!“
Gestützt auf einen eindrucksvollen Industrialisierungsprozess und einhergehender Prosperität konnte das Reich gewaltige Ressourcen mobilisieren. Prachtbauten in wilhelminischem Stil waren ebenso Zeugen der neuen Zeit wie der Aufschwung in Forschung und Wissenschaft, der weltweit führende technisch-industrielle Errungenschaften hervorbrachte. Der Welthandel, vor allem auch mit kolonialen Gütern, erlebte Hochzeiten und deutsche Schiffe kursierten auf den Weltmeeren, begleitet von bestgerüsteten Flotten zum Schutz der Handelswege und der Kolonien, die man deshalb „Schutzgebiete“ nannte. Das alles war befeuert von einer autokratisch und xenophob geprägten, deutschnationalen Geisteshaltung, politisch gegen Kritik abgesichert durch die Verbotsgesetze gegen die Sozialisten.
Mit Volldampf und deutscher Gründlichkeit wurden nach den Landnahmen die Ziele der Kolonisierung ins Visier genommen. „Wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne“, hatte der spätere Reichkanzler Fürst von Bülow 1897 verlauten lassen und so den deutschen Ansprüchen nach kolonialer Weltmacht Nachdruck gegeben. Und Kaiser Wilhelm II. machte deutlich, dass das Deutsche Reich auch rücksichtslos seine militärische Macht einsetzen würde: "Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht!". Selbst liberal gesinnte Eliten im Reich konnten sich für die koloniale Idee begeistern. Bernhard Dernburg, Mitglied der DDP (Deutsche Demokratische Partei) 1907: „Das Erfreuliche an den Kolonien ist gerade, dass sie ein verhältnismäßig freies Feld geben für die uneingeschränkte Betätigung eines zivilisierten Volks, wie des deutschen (…). Kolonisation, ganz gleichgültig, ob es sich um Plantagenkolonien oder um Ansiedlungskolonien handelt, heißt die Nutzbarmachung des Bodens, seiner Schätze, der Flora, der Fauna und vor allem der Menschen zugunsten der Wirtschaft der kolonisierenden Nation, und diese ist dafür zu der Gegengabe ihrer höheren Kultur, ihrer sittlichen Begriffe, ihrer besseren Methoden verpflichtet.“9
Die wirtschaftliche Ausbeutung der Südseekolonie war oberstes Ziel des kolonialen Engagements. Profite versprach man sich vor allem aus der Plantagenwirtschaft mit Kokospalmen, Kautschuk, Tabak und Kakao.10 Neben der Zwangsrekrutierung der papuanischen und melanesischen Bewohner wurden als auch chinesische und andere Arbeitskräfte aus dem holländischen Ostindien, dem heutigen Indonesien, herangezogenen, weil sich die einheimischen Arbeitskräfte nicht im benötigten Umfang mobilisieren ließen.
Die Anfänge der Errichtung der Kolonie
Im melanesischen Inselreich waren europäische Unternehmen lange vor der Kolonisierung durch das Deutsche Reich schon aktiv. Vor allem Handelsgesellschaften versuchten mit Kopraexporten profitable Geschäfte zu machen. Von den deutschen Hauptakteuren war vornan die schon seit 1857 aktive Firma J. C. Godeffroy vertreten, die von Samoa aus ein Handelsnetz und Schifffahrtslinien aufbaute und später in den Plantagenanbau einstieg. Ihr Nachfolger wurde die Deutsche Handels- und Plantagengesellschaft (DHPG), neben der Hermsheim & Co. das größte deutsche Unternehmen in der Südsee. Auch bei der Landaneignung seit 1882 waren beide Firmen nicht untätig und ergaunerten sich Tausende von Hektar für den Plantagenanbau.11
Im Gegensatz zur melanesischen Inselwelt war die Nordostküste des Festlandes von Neuguinea vor der deutschen Kolonisierung von imperialistischen Wirtschaftsaktivitäten völlig unberührt. Das Land galt wegen seiner ungünstigen klimatischen Bedingungen als Fiebernest, den Bewohnern wurde feindseliges Verhalten zugeschrieben und so hielten sich die europäischen Siedler dort zurück, auch in den späteren Jahren.12
1884 und 1885 beauftragte Adolph von Hansemann, Chef der Neuguinea-Kompagnie (NGK), den deutschen Ethnologen Dr. Otto Finsch zusammen mit Kapitän Eduard Dallmann von der „Samoa“ diesen Teil des Papualandes zu erkunden. Finsch gelang es dabei, mit List und Tücke von einheimischen Oberhäuptern Verträge über Landerwerbungen zugunsten der Neuguinea-Kompanie abzuschließen. Selten waren sich diese bewusst, was sie unterschrieben hatten.13 Ein Kreuzchen für ein Säckchen Glasperlen. Später gab es dann die zu erwartenden Konflikte, wenn die Landnahme mit der Besiedelung und Bewirtschaftung real wurde. Betrug und Täuschung waren bei den Landerwerbungen auch andernorts in der Kolonie der übliche Gang beim Besitzwechsel.
Am 24. November 1884 erfolgte in einem geschützten Naturhafen auf der Huon-Halbinsel die Gründung der Niederlassung Finschhafen. Wenige Monate danach hunderte km weiter nördlich Hatzfeldhafen und in der Astrolabebucht Konstantinhafen. Finschhafen wurde Verwaltungssitz der Neuguinea-Kompagnie für diesen Teil Neuguineas, der sich nun Kaiser-Wilhelms-Land nannte. 1891 verlegte die Verwaltung ihren Sitz weiter nördlich nach der neu errichteten Niederlassung Friedrich-Wilhelmshafen, später in Madang umgetauft, nachdem Finschhafen wegen einer verheerenden Malaria-Epidemie aufgegeben werden musste.
1898 holte sich das Deutsche Reich von der Neuguinea-Kompagnie die Hoheitsrechte gegen eine großzügige Entschädigung zurück, nachdem die großen wirtschaftlichen Erfolge ausblieben. Sie war von den finanziellen Belastungen der politischen Aufgaben, der personellen und materiellen Aufrechterhaltung einer Verwaltung überfordert. Das Gebiet wurde 1899 Teil der Kolonie Deutsch-Neuguinea und das Reich übernahm die koloniale Verwaltung. Der kaiserliche Gouverneur an der Spitze in der Kolonie ersetzte den Landeshauptmann der Neuguinea-Kompagnie. Die Errichtung der Südsee-Kolonie war damit auch politisch abgeschlossen. Im selben Jahr war der Sitz der Kolonialregierung von Neuguinea von Friedrich-Wilhelmshafen nach Herbertshöhe (dem heutigen Kokopo) auf der Gazelle-Halbinsel, ein Teil des vorgelagerten Bismarck-Archipels, verlegt worden. Von dort agierten nun sowohl die kolonialpolitische Verwaltung wie auch die Unternehmensführung der auf wirtschaftliche Betätigung ausgerichteten Neuguinea-Kompagnie. 1910 dann ein erneuter Umzug aus Platzgründen nach Rabaul an der Nordwestecke der Blanche Bay im Bismarck-Archipel.14
Nach Schätzungen australischer Behörden waren bis 1914 in Deutsch-Neuguinea 702.000 Hektar Land in Besitz genommen. Davon besaß die Neuguinea-Kompagnie 369.000 ha, andere Handelsunternehmen 73.000 ha, die Missionsgesellschaften 80.000 ha und private Pflanzer 178.000 ha.15 Doch die Landnahme, die Abholzung der Wälder für die Plantagen und die Rekrutierung der Einheimischen zur Arbeit für die kolonialistischen Eroberer konnte keine friedvolle Entwicklung erwarten lassen. Wie in anderen Kolonien auch war die koloniale Geschichte Deutsch-Neuguineas geprägt von Betrug, Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt.
Zwangsarbeit und Strafaktionen gegen Widerstände
Die Heranziehung der einheimischen Bevölkerung zur Arbeit war für die kolonialistischen Unternehmer von zentraler Bedeutung. Der notwendige Ausbau der Infrastruktur und eine profitable Bewirtschaftung der Plantagen machte eine Mobilisierung dringend erforderlich. Jedoch blieb der Mangel an bereitwilligen Arbeitskräften während der gesamten Zeit der deutschen Herrschaft ein ständiges Problem. Es bedurfte dringend Maßnahmen, den verbreiteten Unwillen zur Zwangsarbeit zu brechen. Die kompensierende Rekrutierung externer Lohnarbeiter aus anderen Gebieten der Kolonie und dem ostasiatischen Raum, die vorwiegend in den Händen niederländischer Vermittler lag, war auf Dauer kostspielig. Chinesische, malaische oder javanesische Kulis kosteten ein Mehrfaches an Lohngeldern im Vergleich zu den Einheimischen.16 Allerdings waren deren handwerkliche Fähigkeiten absehbar nicht verzichtbar. Von den Missionen erwartete man einen unterstützenden Beitrag durch „Erziehung zur Arbeit“. Immer mal wurde der Vorwurf laut, die Missionen würden die Anwerbungen behindern und in ihrem Einflussbereich die Bewohner von einer Meldung als Plantagenarbeiter abbringen.17 Wirkungsvollere Maßnahmen der kolonialen Administration waren erforderlich.
Abb.4: Schutztruppe in Deutsch-Neuguinea
Von 1902 bis 1914 verwaltete Gouverneur Albert Hahl die Kolonie. Er galt als moderat, entschied er doch auf Grundlage seiner Überzeugung, die koloniale Politik dürfe die Interessen der Einheimischen nicht außer Acht lassen und müsse sie als Teil der kolonialen Gesellschaft einbinden.18 So setzte er verstärkt einheimische Verwaltungsbeamte, sog. Lulais, ein. Vorwiegend waren dies Stammesoberhäupter, auch Häuptlinge oder Dorfvorsteher genannt, die als Schlichter und Dorfpolizisten fungieren sollten.19 Hahl hoffte mit dieser Maßnahme zur Entspannung der Konflikte zwischen den Einheimischen und der Kolonialverwaltung beitragen zu können.
Dieser Absicht diente auch eine Verordnung, mit der er von 1903 an regelmäßig bestehende Besitzverhältnisse überprüfen ließ. Soweit nicht von der Neuguinea-Kompagnie bzw. der Kolonialverwaltung erworben, mussten die europäischen Siedler die Landstücke wieder an die einheimischen Dorfbewohner zurückgeben. Zudem sollte jeder Einwohner Anspruch auf mindestens ein Hektar Land für Feldfrüchte oder Kokospalmen zur Eigenbewirtschaftung haben. Im Kaiser-Wilhelms-Land, wo nahezu alle Bewirtschaftungsflächen im Besitz der Neuguinea-Kompanie waren, hatten die einheimischen Bewohner nur wenig Nutzen von dieser Anordnung. Aus naheliegenden Gründen wurde Hahls Anordnung zudem nur sehr langsam umgesetzt und selbst 1914 war die Besitztumsprüfung noch nicht abgeschlossen.20
Aber Hahl wäre kein Reichsbeauftragter, wäre er nicht durch und durch Kolonialist. Verknüpft mit der Besitzregelung war 1903 eine Verordnung zur Arbeitspflicht erlassen worden. Danach mussten von männlichen Einheimischen jährlich bis zu vier Wochen abgeleistet werden. Für solche öffentlichen Arbeiten vorwiegend beim Straßenbau oder auf Kompagnieplantagen waren bislang Strafgefangene oder zwangsweise Dorfbewohner herangezogen worden.21