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Neues vom berühmtesten Wikinger der Literatur. Die Romane um Uhtred, den Krieger, wurden als Bücher wie als TV-Serie Welterfolge. Ihr Autor Bernard Cornwell ist fasziniert von der Welt der Angelsachsen und Nordmänner, von dem Leben auch abseits der Schlachtfelder, vom Alltag jener Zeit. Als er die Köchin Suzanne Pollak kennenlernte, die eine Leidenschaft für historische Rezepte pflegt, war die Idee für dieses Buch geboren: drei fantastische neue Uhtred-Geschichten, ergänzt durch einen Einblick in das tägliche Leben im neunten Jahrhundert und durch Rezepte, die uns die Wikingerzeit auf ungewohnte Art nahebringen.
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Seitenzahl: 312
Bernard Cornwell • Suzanne Pollak
Mit Rezepten aus dem angelsächsischen England von Suzanne Pollak
Uhtred von Bebbanburg: Sein erster Sieg. Sein Dienst für den König. Sein letzter Schildwall.
Die Romane um Uhtred, den Krieger, wurden als Bücher wie als TV-Serie Welterfolge. Bernard Cornwell ist fasziniert von der Welt der Angelsachsen und Nordmänner, von dem Leben auch abseits der Schlachtfelder, vom Alltag jener Zeit. Als er die Köchin Suzanne Pollak kennenlernte, eine Spezialistin für historische Kochkunst, war die Idee für dieses Buch geboren: drei phantastische unveröffentlichte Uhtred-Geschichten, ergänzt durch Einblicke in das tägliche Leben im neunten Jahrhundert – und durch Rezepte, die uns die Wikingerzeit auf einzigartige Art nahebringen.
«Von allen lebenden und toten Autoren, die ich je gelesen habe, schreibt Bernard Cornwell die besten Schlachtenszenen. Er lässt Geschichte wahrhaft lebendig werden.» George R.R. Martin
Bernard Cornwell, geboren 1944 in London und aufgewachsen in Essex, arbeitete nach seinem Geschichtsstudium an der University of London lange als Journalist bei der BBC, wo er das Handwerk der gründlichen Recherche lernte. 1980 heiratete er eine Amerikanerin und lebt seither in Cape Cod und in Charleston/South Carolina. Weil er in den USA zunächst keine Arbeitserlaubnis erhielt, begann er Romane zu schreiben. Im englischen Sprachraum gilt er als unangefochtener König des historischen Abenteuerromans. Seine Werke wurden in über 20 Sprachen übersetzt – Gesamtauflage: mehr als 30 Millionen Exemplare. Die Queen zeichnete ihn mit dem «Order of the British Empire» aus. Seine Geschichten um Uhtred den Krieger wurden auch als TV-Serie ein Welterfolg.
Suzanne Pollak, in Beirut geboren und nun in Charleston/South Carolina lebend, ist Co-Autorin mehrerer Kochbücher und Ratgeber zur Gestaltung von Festen und Feiern, einschließlich The Pat Conroy Cookbook und Entertaining for Dummies. Derzeit ist sie Projektleiterin des jährlichen Charleston-Literatur-Festivals. Dort hat sie Bernard Cornwell kennengelernt, und es entstand die Idee zu diesem Buch.
Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel «Uhtred’s Feast: Inside the world of The Last Kingdom» bei HarperCollins Publishers, London.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, November 2024
Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Introductions and stories Copyright © 2023 by Bernard Cornwell
Recipes Copyright © 2023 by Suzanne Pollak
Redaktion Jan Möller
Abbildungen Seite 9 und 91 Shutterstock
Abbildungen Seite 35 und 257 Englischer Wandteppich 11. Jh./Bridgeman Images
Abbildung Seite 127 Codex MS Tiberius, 12. Jh./(c) British Library Board. All Rights Reserved/Bridgeman Images
Covergestaltung Cordula Schmidt Design, Hamburg, nach dem Original von HarperCollinsPublishers Ltd 2023
Coverabbildung Alla Pashkova/Arcangel Images; Shutterstock, Design: Claire Ward
ISBN 978-3-644-02044-3
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Der letzte Schildwall
ist Jordan Enzor gewidmet,
dessen außerordentliches Wissen so viel
zur Entstehung dieses Buches beigetragen hat.
Wir danken ihm.
Ich bin an der Küste von Essex aufgewachsen, einer Gegend der Marschen, Flüsse und Gezeitenwasserläufe. Vom Dach unseres Hauses aus konnte ich die Verbreiterung der Themse zu ihrem gewaltigen Mündungsgebiet sehen und Schiffe beobachten, die sich flussauf Richtung Tilbury oder zu den Docks von London schoben. Gang und gäbe waren kleinere Segelschiffe, zumeist gaffelgetakelte Themse-Bargen mit ihren riesigen rostroten Großsegeln, die landwirtschaftliche Erzeugnisse in die Stadt brachten. Aber ich erinnere mich auch daran, von dem Anblick eines großen Schiffes unter voller Besegelung verzaubert worden zu sein.
Was ich sah, war ein Echo der Geschichte. Denn die Themse war schon lange eine der Hauptwasserstraßen ins englische Inland gewesen. Römische Rahsegler glitten die Themse hinauf und hinab, während viel später einige unserer berühmtesten Kriegsschiffe, wie die HMSVictory, an ihren Ufern erbaut wurden und zu ihren Triumphen auf den Weltmeeren segelten.
Als Kind allerdings interessierte ich mich mehr für andere Schiffe, die einst im Mündungsgebiet aufgetaucht waren, Schiffe, die Furcht und Schrecken verbreitet hatten; die Langschiffe des Volks, das wir Wikinger nennen. Ich erinnere mich, dass, als ich sechs Jahre alt war, Prinz Georg aus dem dänischen Königshaus das nahe gelegene Dorf Ashingdon besuchte, um den Dorfbewohnern eine dänische Flagge und ein schönes Modell eines Wikinger-Langschiffs zu schenken (das immer noch in der Gemeindekirche St. Andrew hängt). Der Grund für diese Großzügigkeit war das Gedenken an die Schlacht von Assandun zwischen König Knut von Dänemark und König Edmund Eisenseite von England. Die Dänen gewannen, und infolgedessen wurde Knut König von England. Als Kind interessierte ich mich glühend für Geschichte, und das Wikingerschiff, das im Langhaus von St. Andrew hing, befeuerte meine Fantasie und meine Neugier.
Ungefähr zehn Jahre später entdeckte ich das angelsächsische Gedicht «Die Schlacht von Maldon». Dabei handelt es sich um die Beschreibung einer Schlacht zwischen Byrhtnoth, dem Anführer eines ostsächsischen Heeres, und einem Wikinger-Trupp, der sich auf Northey Island im Fluss Blackwater angesiedelt hatte, was nicht weit von Ashingdon entfernt ist. Die Wikinger gewannen (wieder), doch ich erinnere mich, dass uns ein Lehrer erklärte, das Gedicht sei «reine Fantasie», weil die Ostsachsen am Flussufer niemals eine Herausforderung gehört haben könnten, die von Northey Island aus gerufen wurde; das sei zu weit. Diese Aussage trieb mich und ein paar Freunde nach Maldon, wo wir bewiesen, dass solch eine Herausforderung sehr wohl hörbar war. Diese Expedition blieb die einzige ernst zu nehmende Feldforschung, die ich jemals betrieben habe.
Meine Kindheit hatte mir also ein dauerhaftes Interesse an der angelsächsischen Epoche beschert, doch bald wurde mir klar, dass ich erschreckend wenig darüber wusste. Irgendwann zwischen dem Abzug der Römer aus Britannien und der Ankunft der Normannen war ein ganzes Land geschaffen worden, England, und trotz einer mehr als ausreichenden Bildung hatte ich keine Ahnung, wie dies geschehen war. Zudem erkannte ich, dass ich damit nicht allein war; dass englische Lehrpläne nahelegten, die Geschichte Englands habe mit dem Jahr 1066 begonnen. Es ist beinahe so, als gäbe es vor der Ankunft von William dem Eroberer keine englische Geschichte, abgesehen von den Erzählungen auf Grundschulniveau darüber, wie Alfred Brotfladen anbrennen ließ und es König Knut nicht gelang, die Flut durch seinen Befehl in Ebbe zu verwandeln.
Im Jahr 1939 wurde ein Song immens populär, den unter anderem Dame Vera Lynn aufgenommen hatte. Er hieß «There’ll always be an England», und er suggerierte, dass es immer ein England gegeben habe, aber 1939 war England nur wenig älter als tausend Jahre. Die Entstehung Englands hatte während jener Epoche vor 1066 stattgefunden. Leider können wir dieses bedeutsame Ereignis nicht genau datieren, doch irgendwann im Herbst 937 vernichtete das angelsächsische Heer unter König Æthelstan eine vereinte Streitmacht von Wikingern und Schotten an einem Ort namens Brunanburh. Brunanburh war eine der wichtigsten Schlachten in der Geschichte Englands, wurde noch Jahre später einfach «die große Schlacht» genannt und inspirierte selbst die Angelsächsische Chronik zu Versen:
Nie zuvor gab es auf dieser Insel ein solches Gemetzel,
nie zuvor fielen Leute in solcher Zahl
unter der Klinge des Schwertes – wie Schriften und betagte Weise bezeugen –, seit Angeln und Sachsen hierhersegelten
von Osten, den Britanniern über das weite Meer nachstellten,
diese stolzen Kriegsschmiede. Sie übermannten die Waliser, ruhmgierige Jarle, und besetzten dieses Land.
Es mag die große Schlacht gewesen sein, doch sie geriet schnell in Vergessenheit, und selbst die Stelle, an der sie ausgetragen worden war, geriet in Vergessenheit. Heute wissen wir, dass die Schlacht auf der Halbinsel Wirral stattgefunden hat, und auch wenn es verlockend ist, diese Auseinandersetzung als Geburtsstunde Englands zu bezeichnen, ist es korrekter, sie als Teil eines Prozesses zu sehen. Dieser Prozess hatte sehr viel früher eingesetzt, nämlich, als Æthelstans Großvater, König Alfred, den Ehrgeiz entwickelte, die verschiedenen angelsächsischen Königreiche zu vereinen.
Zu Alfreds Zeit gab es vier Königreiche, Wessex im Süden, Ostanglien im Osten, Mercien in den Midlands, und Northumbrien, das sich bis zur schottischen Grenze erstreckte. Zwei dieser Königreiche, Ostanglien und Northumbrien, standen unter dänischer Herrschaft, Mercien war ständigem Druck durch die Dänen ausgesetzt, und nur Wessex schien unter gefestigter sächsischer Regierung sicher zu sein. Das änderte sich 878, als die dänischen Wikinger in Wessex einfielen und Alfred in die Marschen von Somerset trieben, wo er als Flüchtling hauste. Irgendwie stellte er eine Streitmacht auf und brachte seinen Gegnern bei Ethandun eine vernichtende Niederlage bei. In den folgenden Jahren, unter der Regierung seines Sohnes König Edward, wurde Mercien zu einem Teil von Wessex, und anschließend fügten die Sachsen den Dänen in Ostanglien Niederlagen zu. Alfreds Ehrgeiz hatte darin bestanden, alle Länder zu vereinen, in denen Englisch, die Sprache der Sachsen und Angeln, gesprochen wurde. Und nicht nur die Sprache sollte die Völker vereinen, sondern auch die Religion. Die Dänen und andere Nordmänner, die sehr viel Land in Britannien hielten, waren Heiden, und Alfred war fest entschlossen, sie zu Christen zu machen.
Der Sieg von Brunanburh schwächte die Stellung der Nordmänner in Northumbrien, und bald wurde dieses Königreich zu einem Teil dessen, was nun Englaland genannt wurde. Es sollten weitere Kämpfe folgen, um die Eroberung zu besiegeln, doch als die Normannen (Nachkommen von Wikingern, wie ihr Name schon sagt) in Englaland einmarschierten, fanden sie ein vereintes Land mit funktionierender Regierung, Besteuerung und Gesetzgebung vor. Das Gesetz wurde von Shire-Reeves überwacht, von denen unser Wort «Sheriff» abgeleitet ist. Die Shires waren eine sächsische Erfindung; unter den Normannen wurde dann das gebräuchlichere Wort «Counties» benutzt, und die Sheriffs wurden dem Wilden Westen von Amerika überlassen.
Es lag eine gewisse Ironie in der Geschichte der sächsischen Eroberung Englands. Der Kampf gegen die Nordmänner war geradezu eine Wiederholung einer früheren Invasion, nämlich der Ankunft der Sachsen in Britannien. Damals gaben die Römer die Insel auf und ließen eine Reihe von Kastellen an der Ostküste zurück, die zur Abwehr der sächsischen Eindringlinge bestimmt gewesen waren. Diese Kastelle fielen, und eine Folge von Angeln und Sachsen landete an der Küste und verdrängte die einheimischen Britannier in äußere Regionen, die heute Schottland, Wales und Cornwall heißen, oder sogar Richtung Süden über das Meer in die Bretagne. Ein Widerhall dieser brutalen, gnadenlosen Zeit findet sich ebenfalls in dem Bericht der Angelsächsischen Chronik über Brunanburh, in dem es von der berühmten Schlacht heißt, sie sei das größte Gemetzel
… seit Angeln und Sachsen hierhersegelten
von Osten, den Britanniern über das weite Meer nachstellten,
diese stolzen Kriegsschmiede. Sie übermannten die Waliser, ruhmgierige Jarle, und besetzten dieses Land.
Dieses Gedicht, geschrieben 937, enthält zudem Verweise auf den Triumph über einen alten Gegner und auf die Feier nach dem Sieg über einen neuen Gegner, von dem zuerst in der Angelsächsischen Chronik des Jahres 787 berichtet worden war. In diesem Jahr trafen drei Schiffe an der Küste von Wessex ein:
Dann ritt der Reeve dorthin und wollte sie dazu verpflichten, in die Stadt des Königs zu gehen, weil er nicht wusste, was sie waren, und dann töteten sie ihn. Dies waren die ersten Schiffe der dänischen Männer, die nach dem Land des englischen Volkes trachteten.
Diese drei Schiffe mochten die ersten gewesen sein, aber sie waren nicht die letzten. Mehr und mehr Plünderer verheerten die britische Küste. Der schockierendste dieser Raubzüge fand im Jahr 793 statt, als die Nordmänner die Klöster auf Lindisfarne und Jarrow überfielen. Die Plünderungen und Morde auf Lindisfarne (deutlich sichtbar von den Befestigungsanlagen Bebbanburgs) entsetzten die Sachsen:
Dieses Jahr kamen gräuliche Vorzeichen über das Land von Northumbrien und erregten schreckliche Furcht bei den Leuten. Da waren gewaltige Lichtschleier, die durch die Luft zogen, und Wirbelwinde und Feuerdrachen flogen über das Firmament. Diesen fürchterlichen Zeichen folgte bald eine große Hungersnot: und nicht lange darauf, am sechsten Tag vor den Iden des Januar im gleichen Jahr, richteten die grauenhaften Überfälle von Heidenmännern mit Raub und Gemetzel bejammernswerte Verwüstung in der Gotteskirche auf der Heiligen Insel an.
Aber diese Angriffe waren immer noch Beutezüge. Die Nordmänner kamen, sie brannten nieder, stahlen, töteten, versklavten und zogen wieder ab. Doch all das änderte sich im Jahr 865, als ein großer Kampfverband der Wikinger von Irland nach England segelte und, statt Beute zu machen und wieder abzuziehen, einfach blieb. Angeführt wurden sie von Ivarr Ragnarson, allgemein bekannt unter dem Namen Ivar der Knochenlose, dem Sohn Ragnar Lodbroks, den der König von Northumbrien im Jahr 865 getötet hatte. Dafür wollte sich Ivarr offenbar rächen, denn er führte sein Heer nach Northumbrien und nahm das Königreich ein. Nun bestand die Bedrohung nicht mehr allein in Raubzügen an der Küste, sondern auch in den dänischen Königen und Kriegsherren, die sich im Land angesiedelt hatten. Die Dänen kontrollierten den größten Teil Nord- und Westenglands und wollten auch noch den Rest. Im Jahr 876 schließlich berichtet die Angelsächsische Chronik, dass die Eindringlinge «das Gebiet von Northumbrien aufgeteilt hatten und damit beschäftigt waren, Land zu pflügen und sich ein Auskommen zu schaffen». Plünderer pflügen kein Land, wenn sie nicht damit rechnen, die Ernte einbringen zu können. Aus den Plünderern waren Siedler geworden, und wenn sich die Sachsen ihr Land zurückholen wollten, mussten sie diese Siedler bezwingen.
Im Jahr 878, vor der Schlacht von Ethandun, musste es so gewirkt haben, als seien die Sachsen besiegt und die stolzen Kriegsschmiede seien die Dänen, und das Schicksal der Sachsen bestünde darin, den Britanniern ins Exil zu folgen. Alfred trotzte diesem Schicksal, indem er die Große Streitmacht bei Ethandun besiegte und so sein Königreich Wessex aufrechterhielt, und von Wessex aus nahm der Kreuzzug zur Vereinigung der sächsischen Königreiche zu einem Land auch seinen Ausgang.
Und es war in der Tat ein Kreuzzug. Die sächsischen Eindringlinge hatten ein Land besetzt, in dem das Christentum von den Römern eingeführt worden war, und die neuen Herren dieses Landes waren Heiden, die alten nordischen Göttern wie Odin und Thor den Vorzug gaben. Tatsächlich gelang es erst im siebten Jahrhundert durch von Papst Gregor I. angestoßene Missionierungsbemühungen, die heidnischen Angelsachsen zum Christentum zu bekehren. Diese Bekehrung erfolgte nicht unmittelbar, aber mit der Zeit ersetzte die «neue» Religion den alten heidnischen Glauben, wobei Northumbrien das letzte der vier Königreiche war, in denen das Christentum als offizielle Religion eingeführt wurde. Ein Optimist hätte denken können, dass die Anbetung des Friedensfürsten die Gewalt zwischen den sächsischen Königreichen beenden würde, und ebenso zwischen diesen Königreichen und den benachbarten Schotten und Walisern. Doch die Kriegsbeute war verlockender als der Lohn des Friedens, und zugleich machte die Notwendigkeit, das Evangelium zu verbreiten, den Kampf gegen die Heiden zu einem tugendhaften. Alfred war entschlossen, so viel sächsisches Land wie möglich zurückzugewinnen, doch außer diesem Ehrgeiz beseelte ihn noch ein weiterer, nämlich die Heiden zu bekehren. Der Kampf um die Vereinigung Englands war ebenso sehr religiös motiviert wie territorial.
Im Zentrum dieses Kampfes stand die Anziehungskraft Englands; nicht als Vorstellung einer Nation, sondern durch die Beschaffenheit des Gebietes, das schließlich den Engländern gehören sollte. Im Ganzen gesehen kamen die Nordmänner aus Ländern, die weder ausgedehntes Weideland noch üppige Ernten zu bieten hatten; Britannien dagegen bot beides. In jener Zeit mussten die Menschen von den Erträgen des Landes leben, und je fruchtbarer das Land war, desto besser lebte es sich, und England, ebenso wie Irland, besaß enorm große Gebiete mit gutem Ackerland. Das war die Beute, die die Sachsen den Britanniern abgejagt hatten und die sie nun an die Wikinger verloren. Und ebenso wie die Sachsen bewirtschaftete Gehöfte übernommen hatten, taten es nun die Wikinger. Sie eroberten eine bestehende Wirtschaft und machten sie sich zunutze; eine florierende Landwirtschaft. Die unterworfenen Sachsen grollten ihren neuen Machthabern zweifellos, ebenso wie es die besiegten Britannier vor ihnen getan hatten, doch das Leben wird sich nicht sehr stark verändert haben: ein Leben, das von den Jahreszeiten und der Notwendigkeit diktiert wurde, sich um Feldfrüchte und Vieh zu kümmern. Für einen sächsischen Landarbeiter machte es wahrscheinlich keinen Unterschied, dass er nun für einen Wikinger statt für einen Sachsen Gräben aushob – jedenfalls nicht, bis seine Tochter einen Gefolgsmann des Wikingers heiratete und seine Enkel mit einer Mischung aus beiden Sprachen aufwuchsen. Sie erwarteten zum Frühstück keine eyren, sondern eggs (Eier), und als diese Kinder heranwuchsen, integrierten sie immer mehr Wikingerwörter in die englische Sprache. In The Stories of English listet David Crystal zwei Dutzend Wörter auf, die von ihrem nordischen Ursprung bis in das heutige Englisch überlebt haben: anger (Ärger), awkward (linkisch), bond (Bindung), cake (Kuchen), crooked (krumm), dirt (Dreck), dregs (Bodensatz), egg (Ei), fog (Nebel), freckle (Sommersprosse), get (bekommen), kid (Kind), leg (Bein), lurk (lauern), meek (demütig), muggy (schwül), neck (Genick), seem (scheinen), sister (Schwester), skill (Geschick), skirt (Rock), smile (Lächeln), Thursday (Donnerstag), window (Fenster).
Das ist eine kurze Liste, es gibt noch sehr viel mehr Wörter im modernen Englisch, die von den Skandinaviern eingeführt wurden, wie they, their und them. Kurz gesagt, trotz des Krieges und der religiösen Gegnerschaft wurden die Invasoren integriert. Und sie taten mehr, als Worte und DNS in ihr neues Land einzubringen; sie änderten auch Ortsbezeichnungen. Wer im Norden oder Osten Englands in einem Ort wohnt, dessen Name auf by, toft oder thorpe endet, lebt nahezu mit Sicherheit auf Land, das einst den Wikingern gehörte. Ich wuchs in einem Dorf in Essex namens Thundersley auf, das auf einem markanten Höhenrücken mit Blick über die Themsemündung liegt. Der Name scheint «Thunors ridge» zu bedeuten, wobei Thunor den Gott Thor bezeichnet (also Thors Rücken). Es war vermutlich ein sächsischer Name, in dem die alte Treue der Sachsen zu Thor anklingt. Doch es gab dort in der Nähe sicher Wikingersiedlungen, und in den lokalen Überlieferungen wurde darauf bestanden, dass der Bread and Cheese Hill, der Hügel, der zum Gipfel des Höhenrückens hin ansteigt, nach dem Schlachtruf der Sachsen benannt sei, die beim Angriff auf die Wikinger ihre «broad and sharp» (breiten und scharfen) Schwerter geschwungen hätten. Ich wollte das immer gerne glauben, muss aber noch davon überzeugt werden.
Ich hatte das Glück, an einem Ort mit vielschichtiger Geschichte aufzuwachsen, auch wenn ich nicht ganz verstand, wie sehr diese Schichten miteinander verwoben waren. Aber das Schicksal hätte mich auch an der Küste Northumbriens landen lassen können, wo in der Mitte des sechsten Jahrhunderts ein Kriegsherr aus dem Volk der Angeln namens Ida der Flammenträger seine Krieger an Land führte und eine aus Holzbalken errichtete Festung auf dem Gipfel eines gewaltigen Vulkanfelsens einnahm. Sein Enkel dehnte das Gebiet, das von der Festung kontrolliert wurde, enorm aus und hinterließ sie nach seinem Tod seiner Frau Bebba, und so wurde die Festung als Bebbanburg bekannt – Bebbas Festung. Bebbanburg existiert noch immer, nur wird sie heute Bamburgh Castle genannt und besteht, im Gegensatz zu dem Gebäude, das Ida eroberte und bewohnte, aus Stein.
Nichts von alledem hätte eine Bedeutung gehabt für einen kleinen Jungen, der weit südlich von Bebbanburg auf Thors Rücken in einem Landkreis aufwuchs, der nach den Ostsachsen benannt war. Doch im mittleren Alter lernte ich meinen leiblichen Vater kennen, der in British Columbia lebte, und sein Familienstammbaum reichte bis zu Ida dem Flammenträger zurück und noch weiter bis zu Odin höchstpersönlich. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich beschlossen, eine Romanreihe zu schreiben, die mehr oder weniger die Geschichte der Entstehung Englands erzählen sollte, und als ich mich in meinen Stammbaum vertiefte, entdeckte ich einige Vorfahren namens Uhtred, die zu dieser Zeit gelebt hatten. Bei meiner Geburt erhielt ich den Familiennamen meiner Mutter, doch mein Vater, der sie nie geheiratet hatte, hieß Oughtred – die Verbindung war offenkundig, und ich entschied, die Geschichte von der Geburt Englands aus der Sicht einer Figur namens Uhtred zu erzählen.
Mein Uhtred ist erfunden, und wenn ich seine wirkliche Geschichte fröhlich durcheinandergewürfelt habe, liegt das erstens daran, dass ich finde, als Nachkomme das Recht dazu zu haben, und zweitens an der Tatsache, dass von dem echten Mann namens Uhtred, der vor über eintausend Jahren gelebt hat, nur sehr wenig bekannt ist. Ich habe ihm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Unrecht getan, indem ich meinen Uhtred zu einem Heiden gemacht habe, aber die Treue zu der alten sächsischen Religion macht seinen Umgang mit dem extrem frommen König Alfred interessanter. Das bedeutet jedoch nicht, dass sein Leben abseits der Auseinandersetzungen mit Alfreds Frömmigkeit uninteressant ist, denn er durchlebt all die verworrenen und häufig brutalen Ereignisse, die schließlich England hervorbringen.
Das war keine leichte Geburt. Um Alfreds Ziel Wirklichkeit werden zu lassen, mussten die Herrscher von Wessex ihre nationalistischen Vorurteile gegenüber den Ostangliern, den Merciern und den Northumbriern überwinden; zudem hatten alle vier Königreiche eine Geschichte kriegerischer Auseinandersetzungen miteinander. Sie waren Rivalen, und die Rivalität führte häufig zu Blutvergießen. Auch andere Könige hatten das sächsische England vereinen wollen. Der bekannteste unter ihnen ist Offa von Mercien, der nicht nur Mercien regierte, sondern auch Kent und Teile Ostangliens. Einige Dokumente betiteln Offa als Rex Anglorum, König der Engländer, doch dieser Titel schmeichelt ihm, da er niemals über alles herrschte, was letztlich zu England wurde. Er war zweifellos ein erfolgreicher Kriegerkönig, doch der Titel «König der Engländer» bezeichnete mehr eine Bestrebung als eine vollendete Leistung.
Das Vorhaben der englischen Vereinigung wurde durch das Eindringen eines neuen Gegners begünstigt. «Von der Raserei der Nordmänner», schrieb ein irischer Mönch, «lieber Gott, erlöse uns.» Die Nordmänner waren die Wikinger, skandinavische Abenteurer, die, ausgestattet mit hervorragend konstruierten Schiffen und grausamen Waffen, von ihren Heimatländern lossegelten, um im restlichen Europa Schätze zu stehlen. Diese Schätze waren Gold und Silber – meist in Gebäuden zu finden, die praktischerweise mit einem Kreuz gekennzeichnet waren – und alles andere, was sich verkaufen ließ, einschließlich Menschen. Es gab florierende Sklavenmärkte für den Verkauf von Gefangenen, und der Beginn der Sklaverei in Britannien liegt weit vor der Zeit der Wikinger.
Wer an einem Fluss wie dem Blackwater in Essex steht, kann den Schrecken verstehen, den die Wikinger verbreiteten, kann sich ihre drachenköpfigen Schiffe vorstellen, die durch eine nebelige Morgendämmerung langsam flussauf gleiten, und die Ruderbänke, auf denen sich hartgesottene Krieger drängen, die mit Axt, Speer und Schwert an Land kommen werden, um sich zu nehmen, was immer sie wollen; dein Vieh, deine Ernte, deine Habe, deine Frau, deine Kinder und dein Leben. Die Wikinger waren eine existenzielle Bedrohung für die Sachsen, genau wie es die Sachsen für die Britannier gewesen waren, und die Wikinger schienen unaufhaltbar zu sein. Schon bald hatten sie den größten Teil Northumbriens besiedelt, hatten Ostanglien erobert, unternahmen bei ausgedehnten Raubzügen Übergriffe auf Mercien, und es war die schiere Gefahr ihres endgültigen Sieges, die Wessex und Mercien dazu zwang, ihre alte Feindschaft zu vergessen und ein Bündnis zur Abwehr der Eindringlinge zu schmieden. Eine Zeitlang versuchten sie es mit Bestechung, bezahlten die Dänen dafür, Frieden zu halten, doch diese Zahlungen von Danegeld schürte die Gier der Wikinger erst recht, sodass die einzige Lösung in einem Krieg bestand. Im Jahr 878 schien es, als hätten die Dänen diesen Krieg gewonnen, als sie erfolgreich in Wessex eindrangen und Alfred dazu brachten, in die Marschen von Somerset zu flüchten. Das war der Tiefpunkt der angelsächsischen Geschicke, doch wundersamerweise gelang es Alfred, eine Streitmacht aufzustellen und die Dänen bei Ethandun zu schlagen. Während seiner übrigen Regentschaft, und während der Regentschaft seines Sohnes Edward, drängte die Streitmacht unter westsächsischer Führung die Dänen zurück.
Die Strategie für diesen erfolgreichen Widerstand gegen einen Feind, der allzu lange unbesiegbar erschienen war, hatte Alfred entwickelt. Er erbaute Wehrburgen in Wessex und Mercien. Eine Wehrburg war einfach eine befestigte Stadt mit einer ringförmigen Wallanlage. Der Wall bestand aus einem hohen Erddamm, auf dem sich eine Balkenpalisade entlangzog. Die Erdwälle bei Wallingford in Oxfordshire und bei Wareham in Dorset sind noch immer sichtbar und ein Zeugnis für die enorme Arbeitskraft, die zur Errichtung solcher Strukturen notwendig war. Innerhalb der Verteidigungsanlagen einer Wehrburg bot eine Stadt oder ein Dorf den Bewohnern der Region Schutz, wenn sie vor einem Raubzug der Wikinger flohen. Städte wie Chester, Bridgenorth, Tamworth, Stafford, Hertford und Warwick waren Wehrburgen, und einige, wie Chester, nutzten zur Verteidigung die römischen Wallanlagen. Auch London war eine Wehrburg, und Winchester, Alfreds Hauptstadt, ebenso. Viele der Reichtümer, von denen die Wikinger angezogen wurden, befanden sich geschützt in den Wehrburgen, und Alfred führte strenge Vorschriften zu ihrer Verteidigung ein. Männer aus den umliegenden Gehöften wurden eingezogen und mussten den Wall pro Rute etwa zu viert bemannen. Eine Rute waren rund fünf Meter.
Die Strategie ging auf. Die Wikinger konnten sich frei im Land bewegen, doch das meiste, was sie erbeuten wollten, befand sich hinter hohen Wällen, und obwohl die Wikinger furchterregende Krieger waren, fehlten ihnen Kenntnisse in der Belagerungstechnik. Und wenn sie ein Lager aufschlugen, um eine Wehrburg auszuhungern, machten sie sich selbst zum Ziel für die sächsische Streitmacht. Alfreds Sohn Edward und seine Tochter Æthelflæd führten die Strategie fort, errichteten Wehrburgen weiter nördlich in Mercien und verdrängten so die dort siedelnden Wikinger immer weiter nach Norden.
Im Jahr 937 brannte Anlaf Guthfrithson, der Wikingerkönig von Dublin, darauf, sein Erbrecht auf den Thron von Northumbrien geltend zu machen. Er schloss ein Bündnis mit Constantine II, dem König von Schottland, und Owain, dem König von Strathclyde. Strathclyde war im Grunde genommen ein walisisches Königreich im südlichen Schottland, eine Region, in die die Britannier nach ihrer Vertreibung durch die Sachsen geflüchtet waren. Sowohl Owain als auch Constantine fürchteten die wachsende Macht von Wessex und schlossen sich Anlaf in dem an, was als groß angelegter Einmarsch in das englischsprachige Territorium geplant war. Die Truppen aus Schottland marschierten an der Westküste nach Süden und schlossen sich Anlafs Einheiten an, die über die irische See zum Wirral gesegelt waren, wo sie auf Alfreds Enkel Æthelstan trafen, der die von mercischen Truppen verstärkte Streitmacht von Wessex anführte. So kam es zur Schlacht von Brunanburh, die der Dichter der Chronik mit «nie … gab es ein solches Gemetzel» beschreiben sollte. Ein Großteil dieses Gemetzels fand statt, als die hibernischen Wikinger und die Schotten besiegt vom Schlachtfeld flohen und erbarmungslos von den Sachsen verfolgt und niedergemacht wurden. Der Historiker Michael Livingston schreibt in seinem beeindruckenden Buch The Battle of Brunanburh: Die besondere Bedeutung von Brunanburh «liegt nicht in den Landgewinnen unter Æthelstan, die – wenn auch nur temporär – auf diesem Schlachtfeld abgesichert wurden. Ganz im Gegenteil blieb Brunanburh als Weckruf einer Nation in Erinnerung. Was Æthelstan im Jahr 937 gewann, war mehr als ein Landgebiet für sein Königreich, es war ein Königreich der Herzen und der Haltung: Seine Nachfolger auf dem Thron regierten nicht als Könige von Wessex, sondern als Könige von Britannien. Alfred der Große mochte von einer nationalen Entität geträumt haben, die wir ‹England› nennen mögen, doch erst durch diese Schlacht wurde sie zur Wirklichkeit.»
Die Schaffung Englands war ein langer und brutaler Prozess. Die Angeln und die Sachsen kamen erstmals entweder im vierten oder im frühen fünften Jahrhundert nach Britannien, und sie sollten ein halbes Jahrtausend brauchen, um das Land einzunehmen, das zu England wurde, und es als Nation zu einen. Und es dauerte 150 Jahre von den ersten Wikingerangriffen bis zu der Schlacht auf dem Wirral, um die Angriffe der Nordmänner auf die entstehende Nation abzuwehren. Es ist eine Geschichte von beinahe ununterbrochenem Krieg, der sich über die gesamte britische Insel ausbreitete. Farnham in Surrey ist eine schmucke Kleinstadt mit eleganten georgianischen Straßenzügen, Kunstgalerien und historischen Gebäuden. Es ist durch und durch englisch, doch im Jahr 892 war es der Schauplatz einer erbitterten Schlacht zwischen einem großen Wikingerverband und Kräften aus Wessex unter der Führung von Alfreds Sohn Edward. Die Vorstellung von einer blutgetränkten Schlacht scheint irgendwie unvereinbar mit dem heiteren Farnham, und doch hat sie stattgefunden, und es wurden noch viele andere solche Schlachten im Entstehungsprozess von England ausgetragen; diese Schlachten waren grauenhafte Begebenheiten.
Es gab nur wenige Geschosswaffen. Zwar konnten Speere geworfen und Pfeile abgeschossen werden, doch die Bögen waren Jagdbögen, nicht die tödlichen Langbögen späterer Kriege, und die Pfeile konnten von einem guten Weidenholz-Schild gestoppt werden oder von einem Kettenhemd mit dickem Lederfutter. Der eigentliche Kampf wurde im Nahkampf von erfahrenen, abgehärteten Männern ausgetragen. Ein großer Kriegsherr wie Uhtred von Bebbanburg führte seine eigenen Krieger an, die sämtlich mit den besten Schilden und Waffen ausgerüstet waren, und darüber hinaus eine Einheit von Männern aus der Landbevölkerung, die zumeist kein Kettenhemd, geschweige denn einen Eisenhelm besaßen, sondern Leder oder gepolsterte Westen trugen und als Waffen ihre bäuerlichen Werkzeuge schwangen: Holzfälleräxte, Sicheln, Fischerspeere oder sogar Keulen.
Der eigentliche Kampf fand zwischen ausgebildeten Kriegern und auf brutal kurze Distanz statt. Die angelsächsische Dichtung berichtet von zusammenprallenden Schildwällen, die das Gemetzel eröffneten. Die Waffe mit der höchsten Wertschätzung war das Kriegerschwert, dessen Klinge aus beinahe einem Meter gehärtetem Eisen – das heißt Stahl – bestehen konnte. In der erdrückenden Enge zusammenprallender Schildwälle war solch ein langes Schwert sperrig und konnte nur als Stichwaffe eingesetzt werden, wozu der Sax besser geeignet war. Der Skramasax, von dem manche Fachleute glauben, er habe den Sachsen ihren Namen verliehen, war ein Kurzschwert, dem römischen Gladius nicht unähnlich, und wenn sich mehrere Reihen Männer gegen den Feind stemmen und so in der Kontaktzone aneinandergepresst werden, ist das kürzere Schwert leichter einzusetzen. Andere Männer trugen Äxte und setzten das Blatt ein, um den Schild eines Gegners herunterzuziehen und ihm so für den Vorstoß mit einem Schwert, einem Sax oder einem Speer die Deckung zu nehmen.
Den Schildwall eines Gegners aufzubrechen, wie es offenbar in Brunanburh geschah, bedeutete, seine Reihen zu spalten und Panik auszulösen, und flüchtende Männer sind einfacher niederzustechen. Nachdem Æthelstans Männer bei Brunanburh den gegnerischen Schildwall gespalten hatten, verfolgten die siegreichen Sachsen «die verhassten Leute den gesamten Tag. [Sie] fällten die Fliehenden grob von hinten, mit mühlengewetzten Schwertern.» Der Dichter der Angelsächsischen Chronik genießt die Schlacht eindeutig und beschwört zudem das Bild von Männern, die ihre Klingen an dem rotierenden Stein einer Wassermühle schleifen.
Das Land, auf das Æthelstan Anspruch erhob, war von seinem Großvater Alfred erträumt worden, dessen Ziel darin bestanden hatte, die Sprecher der englischen Sprache zu vereinen. Wenn der Tiefpunkt der sächsischen Geschicke im Jahr 878 lag, als Alfred zur Flucht in die Marschen von Somerset gezwungen worden war, während seine Gegner sein Königreich besetzten, dann wurde die Rache neunundfünfzig Jahre später bei Brunanburh besiegelt. Nun hatte Britannien endlich ein sächsisches Königreich, vereint durch Sprache, Sitte und Religion. Englaland war geboren.
Doch Englaland war nicht vollständig englisch. Dies schildert Daniel Defoe unübertroffen in seinem Gedicht «Der waschechte Engländer»:
Durch Mischung aller Art, so ist es gewesen,
entstand der Engländer, dies’ scheckige Wesen.
In emsiger Notzucht gezeugt und wildem Begehrn,
zwischen Schotten und bemalten Britanniern.
Sich zu beugen lernte ihr Nachwuchs ohn’ Zögern,
und die Färsen zu spannen vor den Pflug bei den Römern.
Ein gekreuztes Halbblut-Volk war das Resultat,
ohneNamen noch Sprache, Ruhm oder Staat.
Bald neue Mixturen rannen durch seine Venen,
der Aufguss durchzogen von Sachsen und Dänen.
Zugleich seine Töchter, ganz die Eltern,
es trieben freizügig mit allen Völkern.
Und so ganz direkt ward die üble Brut,
zu Engländern mit gut extrahiertem Blut.
Der Aufguss aus Sachsen und Dänen kam mit Begeisterung vor allem im Norden und Osten Englands zustande, wo Mischehen üblich waren und bis heute so einige waschechte Engländer oder Engländerinnen skandinavische DNS haben. Mein Uhtred – ich nenne ihn «mein», um ihn von meinen Uhtred-Vorfahren zu unterscheiden – veranschaulicht diese Assimilation. Er heiratet Gisela, eine Dänin, und ihre Kinder wären mit einer Mischung aus beiden Sprachen aufgewachsen. Seine Pächter sind sowohl Angeln als auch Dänen und kämpfen gemeinsam in seinem Kriegstrupp. Er hält an der Religion der Dänen fest, huldigt Odin, Thor und zwei Dutzend anderen Göttern, nicht weil sie dänisch sind, sondern weil sie dieselben Götter wie in der alten sächsischen Religion sind, und auch, weil diese Treue zu einem heidnischen Glauben Alfred und sein Gefolge schwafelnder Priester ärgert.
Es war die drohende skandinavische Vorherrschaft, die dafür sorgte, dass sich die angelsächsischen Königreiche zum Widerstand gegen die Eindringlinge zusammentaten. Es folgten gewaltige Schlachten, Massaker und Grausamkeiten, doch aus diesem Horror entstand, was wir eine multikulturelle Gesellschaft nennen würden. Und in all diesem Durcheinander blieb die riesige Festung Bebbanburg in sächsischer Hand, und das erstaunte mich. Wie hatten meine Vorfahren ihren Sitz halten können, als sie von dänischem Gebiet umschlossen waren? Ich habe den Verdacht, dass die Antwort Kollaboration lautet, doch ich habe eine noblere Lösung bevorzugt und die erfundenen Heldentaten Uhtreds entsprechend gestaltet. Seine Geschichte mag erfunden sein, doch hinter den Abenteuern, die ich Uhtred auf den Leib geschrieben habe, stehen wahre Ereignisse, die lange vergangenen und meist vergessenen Schlachten, die ein Land zusammengeschweißt haben. Erfundene Geschichte ist keine wahre Geschichte, die überlassen Schriftsteller den Historikern, doch unsere Bücher müssen trotzdem authentisch sein, und Authentizität steckt in den alltäglichen Kleinigkeiten. Welche Kleidung haben sie getragen? Wie sind sie gereist? Was haben sie gegessen?
Wenn es um Uhtreds Ernährung ging, konnte ich sicher davon ausgehen, dass er Rind, Schaf, Ziege, Schweine und Rotwild als Fleischquelle hatte und zudem Weizen, Gerste (für Brot und Malz zum Brauen), Roggen, Bohnen und Erbsen. Er lebte am Meer, also hätte er sich wohl auch Seefisch und Aal schmecken lassen und manchmal auch Robbe oder Walfleisch. Ich wusste, dass Uhtred mit seiner hochgestellten Herkunft und als Kriegsherr eine bevorzugte Ernährung gehabt haben musste, was bedeutete, dass er viel mehr Fleisch aß als weniger begünstigte Leute und dass er ab und zu sogar importierten Wein kostete. Seine Mahlzeiten in den Romanen bestehen überwiegend aus Brot, Käse, Ale und Salzfleisch. Dieser magere Speiseplan zog die Aufmerksamkeit von Suzanne Pollak auf sich, einer engen Freundin und bekannten Kochbuch-Autorin. Sie wollte die Lücken in meinem «Speiseplan» füllen, begann, das Essen von Sachsen und Wikingern zu recherchieren und sogar einige Gerichte für mich zu kochen (allerdings ließ sie auf meinen Wunsch die Möhren weg). Ihre Recherche führte zu diesem Buch, und ich bin ihr enorm dankbar, ebenso wie Jordan Enzor, dessen Wissen über alte Ernährungsweisen geradezu enzyklopädisch ist.
König Alfred hat die Erfüllung seines Traums von einem vereinten, christlichen England nicht mehr erlebt. Doch dank seiner Vision, seines hartnäckigen Widerstands gegen die Nordmänner und seiner umsichtigen Regierungsführung konnten schließlich seine Nachfolger die Geburt Englands erleben. Und als England im Jahr 1066 unter der Führung eines Wikingerenkels, William I., erobert wurde, übernahmen die Invasoren ein Land mit einer gefestigten Gesellschaftsstruktur, einem Rechtssystem und einer Sprache, die den Normannensturm überlebte. Dieser Sturm bezeichnete nicht den Beginn der Geschichte Englands, sondern eine Unterbrechung. Alfred, ganz gleich, was Uhtred von ihm hält, verdient es ganz bestimmt, «der Große» genannt zu werden.
Während der angelsächsischen Epoche lebten die meisten Menschen in der Gegend, die wir heute England nennen, in ländlichen Gebieten oder in Dörfern mit einfachem Zugang zu Nahrungsquellen. Zu dieser Zeit waren noch weite Teile Englands bewaldet, doch wo das Land gerodet war, gab es – vor allem in der Nähe der Flüsse – üppige, fruchtbare Erde, sodass sich dort Siedlungen entwickelten und mit ihnen Anbaugebiete. Die Zunahme umzäunten Landes, von Grenzen, Zäunen, Mauern oder Heckeneinfriedungen, geschah später mit der Ankunft der Normannen, sodass zu dieser früheren Zeit Ackerland zugänglicher und für einfache Leute leichter verfügbar war. In vielen Fällen nutzten sie dieses Land, um Lebensmittel nicht nur für sich selbst, sondern als Bezahlung ihrer «Lebensmittelpacht» auch für ihren Grundherrn zu erzeugen, was im Grunde eine Steuer in Form von Gütern statt von Geld war. Der Reichtum an leicht zu bewirtschaftendem Land für den Anbau von Feldfrüchten war einer der Anreize für ankommende Nordmänner, von denen viele entschieden, sich in England niederzulassen.
Die Tierhaltung war der Schlüssel zur Versorgung der meisten Hausstände. Die billigsten und für Kleinbauern am einfachsten zu züchtenden Tiere waren Schweine, da sie dicht am Haus gehalten und zur Futtersuche in den Wald gelassen werden konnten. In einigen hügeligeren Gegenden wurden auch ein paar Schafe gezüchtet – dies allerdings meist mehr wegen ihrer Wolle als wegen ihres Fleischs -, wogegen Hühner in den meisten Haushalten gehalten wurden, sowohl wegen ihres Fleischs als auch wegen ihrer Eier, ebenso wie Gänse und Enten, wenn es in der Nähe Wasser gab.
Kühe, die fette und ausgedehnte Weiden brauchten, wurden sowohl für ihre Milch als auch für ihr Fleisch geschätzt. Sie wurden jedoch meist von den Grundherrn und ihren Pächtern gehalten und weniger von einzelnen Kleinbauern. Rindfleisch allerdings wurde nicht so hoch bewertet wie heute – wichtiger waren die Milchprodukte, und Rinder waren unverzichtbar bei ihrer Herstellung. Das altnordische Wort für «Reichtümer» oder «Geld», fé, hat eine Ursprungsbedeutung von «Vieh», und so erlitt ein Bauer durch jede Kuh, die er nicht über den Winter bringen konnte, einen wirtschaftlichen Verlust. Eine Kuh schlachten zu müssen, um ihr Fleisch zu essen, war in gewisser Hinsicht das Eingeständnis eines Scheiterns, kein Erfolg.
Tatsächlich mussten Bauern ihre Vorräte an Heu und Korn sorgfältig abschätzen und entscheiden, wie viele Tiere über den Winter gebracht werden konnten, wobei die stärksten und leistungsfähigsten behalten und die anderen zur Fleischgewinnung geschlachtet wurden. Weil hauptsächlich am Ende der Weidezeit geschlachtet wurde (Rinder und Schafe wurden im Oktober geschlachtet, Schweine von November bis Dezember), war Fleisch ein sehr jahreszeitenabhängiges Erzeugnis.