Der leuchtend blaue Faden - Anne Tyler - E-Book
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Der leuchtend blaue Faden E-Book

Anne Tyler

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Beschreibung

Wieder einmal sorgt Denny für Aufruhr: ein kurzer Anruf bei den Eltern, »ich bin schwul« in den Hörer murmeln, gleich wieder auflegen und nicht mehr erreichbar sein. Die Eltern sind ratlos – müssen sie seine drei Geschwister informieren? Doch schon bald darauf verkündet Denny, demnächst Vater zu werden und zu heiraten. Anne Tyler zeichnet ihre Figuren mit feinem Witz und sehr berührend – und so nahe am Leben, dass sich jeder im geschilderten Familienleben wiedererkennen kann.

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Seitenzahl: 570

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Inhalt

» Über die Autorin

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks von Anne Tyler

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DIE AUTORIN

Anne Tyler wurde 1941 in Minneapolis, Minnesota, geboren und ist »eine der erfolgreichsten Autorinnen der amerikanischen Gegenwartsliteratur« (ZEITmagazin). Sie ist Preisträgerin des Pulitzerpreises und des Sunday Times Awards für ihr Lebenswerk. Bei Kein&Aber erschienen bislang ihre Romane Verlorene Stunden (2010), Abschied für Anfänger (2012), Dinner im Restaurant Heimweh, Im Krieg und in der Liebe (beide 2014) und Die Reisen des Mr Leary (2015). Anne Tyler lebt in Baltimore.

ÜBER DAS BUCH

Wieder einmal hat es Denny geschafft: ein kurzer Anruf bei den Eltern, »ich bin schwul«, gleich wieder auflegen und nicht mehr erreichbar sein. Abby macht Red Vorwürfe, nicht richtig reagiert zu haben, auch wenn sie selbst nicht weiß, was jetzt zu tun ist. Und die drei Geschwister, sollen die informiert werden? Doch schon bald darauf verkündet Denny, demnächst Vater zu werden und zu heiraten.

Anne Tyler schaut tief in die Seele all ihrer Figuren, entlarvt deren Sehnsüchte und hat ein außerordentliches Gespür für die Feinmechanik familiärer Betriebsschäden. Sie zeigt, wie Mythen kreiert und Wünsche vertuscht werden, wie Bindungen entstehen und was sie belastet. Brillant beobachtet und mit feinem Witz – und so nahe am Leben, dass sich jeder im geschilderten Familiendasein wiedererkennen kann.

ERSTER TEIL

Nicht bevor der Hund stirbt

1

Im Juli 1994 bekamen Red und Abby Whitshank spätabends einen Anruf von ihrem Sohn Denny. Sie machten sich gerade bereit, zu Bett zu gehen. Abby stand im Unterrock an der Frisierkommode und zog, eine nach der anderen, die Haarnadeln aus ihrem aufgelösten sandfarbenen Knoten. Red, ein dunkelhaariger, hagerer Mann in gestreifter Pyjamahose und weißem T-Shirt, hatte sich soeben auf die Bettkante gesetzt, um seine Socken auszuziehen; als das Telefon auf dem Nachttisch neben ihm klingelte, war daher er derjenige, der abnahm. »Whitshank«, sagte er.

Und dann: »Ja, hallo.«

Abby wandte sich vom Spiegel ab, beide Arme noch hoch erhoben.

»Was soll das«, sagte er, ohne fragend zu klingen.

»Hä?«, sagte er. »Was zum Teufel, Denny!«

Abby ließ die Arme sinken.

»Hallo?«, sagte er. »Warte. Hallo? Hallo?«

Er schwieg einen Moment, dann legte er den Hörer auf.

»Was ist?«, fragte Abby.

»Er sagt, er ist schwul.«

»Was?«

»Er hat gesagt, er muss uns mitteilen, dass er schwul ist.«

»Und du legst einfach auf?«

»Nein, Abby. Er hat zuerst aufgelegt. Ich hab bloß gesagt: ›Was zum Teufel‹, und er hat aufgelegt. Klick. Einfach so.«

»Oh, Red, wie konntest du nur!«, jammerte Abby. Sie wirbelte herum und griff nach ihrem Bademantel– einem Chenille-Teil von undefinierbarer Farbe, das einmal rosa gewesen war. Sie wickelte sich hinein und knotete den Gürtel fest zu. »Was ist nur in dich gefahren, so etwas zu sagen?«, wollte sie wissen.

»Das war doch nicht so gemeint! Wenn man derart überfallen wird, sagt man doch unwillkürlich: ›Was zum Teufel‹, stimmts?«

Abby raufte sich die Haare, die ihr in die Stirn fielen.

»Ich habe damit doch nur gemeint«, erklärte Red, »›Was zum Teufel denn noch alles, Denny? Was lässt du dir als Nächstes einfallen, um uns zu ärgern?‹ Und er wusste, dass ich es so gemeint habe. Glaub mir, er wusste es. Aber jetzt kann er wieder mir die Schuld an allem geben, meiner Engstirnigkeit oder meiner Rückständigkeit oder wie er es sonst nennen will. Er war froh, dass ich das gesagt habe. Darum hat er so schnell aufgelegt; er hat die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass ich was Falsches sage.«

»Na gut«, meinte Abby und wurde praktisch. »Von wo hat er angerufen?«

»Woher soll ich wissen, von wo er angerufen hat? Er hat keine feste Adresse, hat sich den ganzen Sommer nicht gemeldet, hat schon zweimal den Job gewechselt, soweit wir wissen, wahrscheinlich sogar öfter, ohne dass wir es wissen… Ist neunzehn Jahre alt, und wir haben keine Ahnung, wo er sich in der Weltgeschichte rumtreibt! Da muss man sich doch fragen, was da nicht stimmt.«

»Hat es sich angehört wie ein Ferngespräch? Konntest du so ein Rauschen hören? Denk nach. Könnte er hier in Baltimore gewesen sein?«

»Das weiß ich nicht, Abby.«

Sie setzte sich neben ihn. Die Matratze neigte sich in ihre Richtung; Abby war eine breit gebaute, kräftige Frau. »Wir müssen ihn finden«, sagte sie. Dann: »Wir sollten diese, wie heißt das doch gleich, diese Rufnummernanzeige haben. O Gott, ich will das auf der Stelle haben!«

»Wozu? Damit du ihn zurückrufen kannst und er es einfach klingeln lässt?«

»Das würde er nicht tun. Er wüsste ja, dass ich es bin. Er würde drangehen, wenn er wüsste, dass ich es bin.«

Sie sprang auf und begann, hin und her zu gehen, immer den Perserläufer auf und ab, der in der Mitte fast weiß war, so oft war sie hier schon hin und her gegangen. Das Zimmer war sehr hübsch, geräumig und gut durchdacht, aber es hatte die behaglich schäbige Atmosphäre eines Raumes, dessen Bewohner längst aufgehört hatten, ihn wirklich wahrzunehmen.

»Wie hat seine Stimme geklungen?«, fragte sie. »War er nervös? War er besorgt?«

»Er war ganz okay.«

»Das sagst du. Meinst du, er hatte getrunken?«

»Weiß ich nicht.«

»Waren noch andere Leute da?«

»Ich weiß es nicht, Abby.«

»Oder vielleicht… nur eine Person?«

Er sah sie scharf an. »Du glaubst doch nicht etwa, dass er das ernst gemeint hat«, fragte er.

»Natürlich hat er das ernst gemeint! Warum hätte er es sonst gesagt!«

»Der Junge ist nicht schwul, Abby.«

»Woher weißt du das?«

»Weil er es nicht ist! Verlass dich drauf. Du wirst schnell merken, dass du überreagiert hast, und dir ganz schön blöd vorkommen.«

»Klar, das ist genau das, was du glauben möchtest.«

»Wo ist deine weibliche Intuition geblieben? Der Bursche hat ein Mädchen geschwängert, als er noch auf der Highschool war!«

»Na und? Das hat gar nichts zu besagen. Es könnte sogar ein Symptom gewesen sein.«

»Wie bitte?«

»Man kann nie mit absoluter Sicherheit wissen, wie das Sexleben eines anderen Menschen aussieht.«

»Nein, Gott sei Dank nicht«, sagte Red.

Er beugte sich ächzend vor und griff unter dem Bett nach seinen Hausschuhen. Abby hatte mittlerweile mit dem Hin- und Hergehen aufgehört und starrte wieder auf das Telefon. Sie legte die Hand auf den Hörer. Sie zögerte. Dann riss sie hastig den Hörer hoch, drückte ihn kurz ans Ohr und knallte ihn wieder auf die Gabel.

»Die Sache mit der Rufnummernanzeige ist«, sagte Red mehr oder weniger zu sich selbst, »dass es mir ein bisschen wie Schummeln vorkommt. Man sollte bereit sein, es darauf ankommen zu lassen, wenn man ans Telefon geht. Das ist doch irgendwie der Sinn des Ganzen, finde ich jedenfalls.«

Er hievte sich hoch und ging in Richtung Bad. Hinter ihm sagte Abby: »Es würde so vieles erklären! Stimmts? Falls sich herausstellt, dass er schwul ist.«

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