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In seiner Verkörperung als Pharao kam der Mann im alten Ägypten einer Gottheit gleich. Auch die Menschen, die dem Sonnengott nahestanden, waren meist Männer. Diese Untersuchung geht der Frage nach, welche Schlüsse sich von dem religiösen Kult und seinen bildlichen Darstellungen auf die wirkliche ägyptische Gesellschaft ziehen lassen. Die Rollen und Aufgaben der Geschlechter werden dabei ebenso betrachtet wie die Normen und Regeln, denen sie ihre Sexualität unterwarfen. Hierfür werden zahlreiche schriftliche und archäologische Zeugnisse herangezogen und bildliche Darstellungen von Göttern, Männern und Frauen, von Vaterschaft und Fruchtbarkeit befragt. Die Entschlüsselung dieser Zeugnisse bringt eine Kultur voller Widersprüche zum Vorschein: eine Kultur, die einerseits stark „gegendert“ war und die Welt in einer strikten Geschlechterdualität dachte – und in der sich andererseits lebhafte Zeugnisse eines Geschlechterkampfes finden sowie Spuren einer androgynen Revolution, die Männlichkeit und Weiblichkeit in einer transzendentalen Kultur vereint. So tauchen in einer archaischen Welt, die von Männern dominiert war und die das Wesen des Mannes als Norm ansah, immer wieder Grenzverschiebungen auf, die modernen Auffassungen von Sexualität und Geschlecht erstaunlich nahekommen.
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Seitenzahl: 95
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Masterarbeit
Zur Erlangung des akademischen Grades
eines Master of Arts
vorgelegt von Ronald Kern, Bakk. phil.
bei Ao. Univ.-Prof. DDr. Theresia Heimerl
Institut für Religionswissenschaft
an der Katholisch-Theologischen Fakultät
der Karl-Franzens-Universität Graz
Graz 2016
Einleitung ( Anlass )
Sprache und sprachliche Gottesformen des alten Ägypten
2.1
Dualität, Individualisation und Göttervereinigung
Gottesnähe und trinitarische Gottesgestalt
Der Umzug des Min
Horus
Androgynie in Ägypten
Gender und Repräsentation in Ägypten
Das Männlichkeitsdilemma im alten Ägypten
Männliche Historiographie und Gelehrte der Ägyptologie
Land der tausend Götter
Dissoziation der ägyptischen Familienwelt
Ensemble einer Osirismumie mit Amuletten und dem Fragment eines Sarges
12.1
Osirismumie mit erigiertem Phallus
12.2
Amulette aus der Mumienwicklung dieser Osirismumie
12.3
Teil eines Miniatursarges
12.4
Kanopenkasten
Phallische und ithyphallische Darstellungen in Ägypten
Das ithyphallische Opfer Alexanders des Großen
Hegemoniale Männlichkeit im alten Ägypten
Genderforschung über das alte Ägypten
16.1
Deir el-Medina
16.2
Das andere Geschlecht
Sexualität im alten Ägypten
17.1
Fruchtbarkeit und Zeugungsfähigkeit
17.2
Sexualität der Götter und Könige
17.3
Homosexualität
17.4
Ehe zwischen Familienmitgliedern
17.5
Alternative Sexualität
Gender und Körpertheorie des Mannes in der Kunstgeschichte
Das Bild des Vaters in Ägypten
19.1
Der Vater als Erzeuger: Geschlecht und Abstammung
19.2
Der Vater als Ernährer und Erzieher
19.3
Der tote Vater
19.4
Vater-Sohn-Konstellation auf der Ebene des Götterkults
19.5
Kamutef- oder Ödipus-Konstellation
Gestalt und Bildnis in der ägyptischen Kunst
Ikonographie der Göttlichkeit
Gestalten der Götter
22.1
Bildlichkeit
22.2
Vielfalt der Bilder
22.3
Anthropomorphismus, Zoomorphismus, Kompositbilder
22.3.1
Anthropomorphismus
22.3.2
Zoomorphismus
22.3.3
Kompositgestalten
Wesen der Götter und körperliche Substanz
23.1
Landschaftsgebundene göttliche Wesen
23.2
Tiergestalt und Männlichkeit der Gottesmacht
Von Gott geschaffen und von den Männern fortgepflanzt
Der Pharao als Sohn und Stellvertreter der Gestaltseele des Sonnengottes
Entgrenzte Leiblichkeit des ägyptischen Mannes
Männerdämmerung Ägyptens
Der erforschte Mythos ›Mann‹ in Ägypten
Homo’usie und altägyptische Gottheiten
Menschengestaltigkeit Gottes und Bilder in Ägypten
Die religiöse Gottesgestalt
Die wichtigsten Götter des Alten Ägypten
Zusammenfassung
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Das Männlichkeitsbild des alten Ägypten ist ein integraler Bestandteil des kulturellen Welterbes. Die pharaonische Zivilisation dient der gesamten Menschheit mit extrem alten Zeugnissen. Um ›den Mann‹, den Mittelpunkt des Lebens in Ägypten, in angemessener Weise darzustellen, sollte man alle Quellen dieser alten Hochkultur heranziehen und die Götterverehrung einerseits, die Alltagsverehrung andererseits ›des Mannes‹ und ›der Frau‹ getrennt voneinander betrachten.
Es ist wichtig, diese frühen Quellen Ägyptens heranzuziehen, um zu klären, wie der Streit der Geschlechter ausgesehen hat. In ägyptologischen Quellen finden sich Abbildungen von Männern, Frauen, Kindern und Tieren. Manchmal verschmelzen sogar die Lebewesen untereinander, und nicht immer ist es den Forschern möglich zu sagen, welches Geschlecht oder welches Tier gezeigt wird. Hier kommt der Begriff der ›Gestalt‹ ins Spiel.
Die Objekte und Kunstwerke sowie die Hieroglyphen des alten Ägypten haben eine Gestalt transzendiert: Das ist eine der Kernaussagen dieser Untersuchung. Der Pharao, ›das große Haus‹, ist normalerweise ein Mensch, genauer gesagt ein Mann gewesen. Umso wichtiger ist die Tatsache, dass nun auch nachgewiesen werden konnte, dass Menschen bzw. Männer in dieser höchsten aller menschlichen Verehrungsmaschinerien Gestalt annehmen konnten. Die Überlieferungen der Gestalten sind verschieden interpretierbar und auch verschieden sexuell erklärbar.
Den Mann und die Frau bzw. den Jungen und das Mädchen bzw. das männliche Tier und das weibliche Tier bzw. den männlichen Gott und den weiblichen Gott voneinander zu unterscheiden ist sinnvoll. Denn nur so ist es möglich, den wahren menschlichen Ursprung der erscheinenden Gestalt herauszufinden. Unter Umständen sind so religionswissenschaftliche Untersuchungen altägyptischer Quellen erkenntnisgewinnender durchzuführen.
Nun ist es spannend zu sehen, wie ein Volk mit enormem religiösem Potenzial vor Jahrtausenden mit der Geschlechterfrage konfrontiert wurde und das Problem mithilfe der ›Gestalt‹ lösen konnte. Die Hauptthese dieser Untersuchung will den ›Mann‹ und die ›Männlichkeit‹ als in Gottesnähe angesiedelte Phänomene zeigen, um diese Zivilisation erlebbar zu machen.
In den letzten drei Jahrtausenden des altägyptischen Reiches wurden an denselben Kultstätten die großen Götter in gleicher Sprache verehrt. Eine solche Konstanz über so weite Zeiträume hin ist sonst nirgendwo in der Religionsgeschichte nachgewiesen. Die ägyptische Sprache ist phänomenologisch mit Texten und Denkmälern zur Darstellung ihrer Gottheiten verbunden. Anthropologische Vorgegebenheiten des ägyptischen Schriftsystems wurden von Vorlesepriestern zu einem Kultsystem entwickelt, das unvergleichliche Schönheit in sich trägt. Die ägyptische Sprache schwebt über der Götterauffassung und den Gestaltungsprinzipien des ›Grabherrn‹, um ein Leben nach dem Tod zu ermöglichen. Höhergestellte Wesen sind sprachlich polymorph zu denken, was mit der polytheistischen Gottesauffassung zusammenhängt.1
Aus den komplizierten Gedankengebilden der Hieroglyphen lässt sich die Darstellung einer gottesfrommen Gesellschaft im alten Ägypten entschlüsseln, die von Männern überliefert wurde. Hermeneutische Methoden arbeiteten ein synchrones und diachrones Textwissen einer früheren Menschheit heraus. Durch diese Versprachlichung ihrer polytheistischen Gotteswelt machte diese machtvolle Kultur auf jede Generation bis in die Gegenwart hinein tiefen Eindruck.2
Die Sprache des alten Ägypten ist erst Hunderte Jahre nach dem Untergang dieser Zivilisation entschlüsselt worden, was gewaltige Anstrengungen in der Linguistik erforderte. Nähert man sich dieser Kultur allein über die Hieroglyphen, erhält man schnell ein glanzvolles Bild von ihr, erfährt aber nicht den wahren Kern der Kommunikation. Nähert man sich über die Geschichte der religiösen Zeremonien, findet man eine Historie vor, die sich über einen langen Zeitraum kaum verändert hat. Nähert man sich wiederum über die Abbildungen, gelangt man in eine Rätselwelt, die große Hindernisse aufstellt. Man muss sich daher dieser Kultur auf verschiedenen Wegen nähern und alle erforderlichen Maßnahmen der Analyse in Betracht ziehen, um in der Erforschung des Männlichkeitsbilds ein zuverlässiges Ergebnis zu erreichen. Bei den 5000 Jahre alten Hieroglyphen handelt es sich nicht um eine Bilderschrift, sondern um Lautzeichen.3 Diese Tatsache allein erschwert die Geschlechterforschung, die ja anhand bildlicher Darstellungen untersuchen will, ob ägyptische Männer anders agiert, gelebt und geliebt haben und ob sie anders gestorben sind als spätere Generationen einerseits, die Frauen ihrer Zeit andererseits. Die Frage, die sich nun stellt, ist, warum die Ägyptologie bisher so wenig über das Männlichkeitsbild im alten Ägypten herausgefunden hat. Möglicherweise liegt es an dieser Sprachblockade, dass das Bild männlicher Sexualität in dieser Religion auf ewig ein Geheimnis bleiben wird.
Diese geheimnisvolle Sprachentwicklung Ägyptens könnte man wohl als ein »Moratorium im Prozess der Herstellung von Geschlechterhierarchie« 4 aller Weltreligionen betrachten.
Die grammatischen Subjekte Mann und Frau werden mit den Begriffen ›Himmel‹ (weiblich) und ›Erde‹ (männlich) zum Ausdruck gebracht. Die alten Ägypter vermochten die Welt sprachlich nur als Dualität Mann / Frau zu begreifen, deshalb ist es fast unmöglich, die tragenden Kräfte der männlichen Wirklichkeit von der weiblichen zu trennen. Eine Grundlage der Weltentstehungsmythen ist, dass sich aus einem Urgott die Vielheit des Kosmos in unzähligen Zweiheiten abgespalten hat. Aus einem präexistenten Einauge haben sich die beiden Sonnenaugen entwickelt, sodass bildlich aus einem Ei Mann und Frau entspringen.5
Die Ägypter haben ihre Götternamen verschmolzen und wieder getrennt. In einem Wort war die Rede von zwei oder mehreren Gottheiten und nicht von einem Einzelgott. Es wurde eine sogenannte Zweieinigkeit geschaffen, also zwei Götter mit Bindestrich zusammengeführt. Gewöhnlich wird die Sexus-Inkompatibilität beachtet, werden männliche und weibliche Gottheiten also nicht vereint. Im Ägyptischen können auch drei oder vier Götter miteinander verkettet werden. Besonders wichtige Götter wie Osiris, der Totengott, und Re, der Sonnengott, werden über Jahrhunderte hin (bis zur 21. Dynastie) allerdings nie zu einem einheitlichen Ausdruck verschmolzen. Bei den einzelnen Göttergleichsetzungen findet man die tatsächliche Wesensidentität am Anfang. Im ägyptischen Sprachgebrauch kommt den Göttern nur ein beschränkter Persönlichkeitscharakter zu. Die Wandlungsfähigkeit ihrer Gestalt wird grundsätzlich vorausgesetzt, denn sie sind Wesen eines höheren Seins. Später haben theologische Erklärungen versucht, den einen Gott zur Bewegungsseele (Ba) oder zur Erhalt- und Gestaltseele (Ka) eines anderen zu erklären, oder auch zu seinem Abbild.6
Die Ägypter verehrten mythische Substanzen als eine Verlebendigung der Götter. So bezeichnet das Wort ›merut‹ (Liebe) substantielle, unsichtbare Strahlkräfte, die als verursacht vom ägyptischen Geist in der Personifizierung des geliebten Königs verstanden werden können.7
1 Vgl. Koch, Klaus 1993: Geschichte der ägyptischen Religion – Von den Pyramiden bis zu den Mysterien der Isis. Stuttgart: Kohlhammer, S. 15 – 30.
2 Vgl. ebd., S. 19.
3 Vgl. Schlögl, Hermann A. 2006: Das alte Ägypten – Geschichte und Kultur von der Frühzeit bis zu Kleopatra. Stuttgart: C.H. Beck, S. 32 – 33.
4 Vgl. Meuser, Michael 2010: Junge Männer. In: Becker, Ruth / Kortendiek, Beate: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien, S. 429.
5 Vgl. Koch, Klaus 1993, a.a.O., S. 34 – 35.
6 Vgl. ebd., S. 39 – 42.
7 Vgl. ebd., S. 43 – 44.
Die Ägypter haben sich ihren Göttern besonders nahe gewusst.
Sie mussten sich aber eingestehen, dass der Sonnengott, der über die Menschen und Götter gemeinsam herrscht, nicht auf Erden bei den Menschen wohnt, sondern im Himmel.
Man konnte diesen Sonnengott nicht so einfach ›treffen‹, also musste man irdische Rollen vergeben. Dementsprechend findet man im alten Ägypten Priester, Propheten, Schamanen, Pilger, Eremiten, Mystiker, Zauberer, Traumdeuter, Zeichendeuter oder Schriftgelehrte, die in Sphären der Gottesnähe arbeiten. Diese Menschen waren, wie ich mithilfe von Quellen nachweisen werde, meist Männer. Und diese Männer hatten Aufgaben bzw. Berufe im Außerweltlichen (Transzendenz) und im Übernatürlichen (Wunder).8
»Von all diesen Möglichkeiten sind in Ägypten nur einige realisiert, andere ausgeschlossen. Durch Selektion und Negation erhält dieser Raum, den wir ›Gottesnähe‹ nennen, die kulturspezifische Form und Struktur einer Sinnwelt.«9
Der Mann als Gottesgestalt findet sich in der ramessidischen Reichstriade, die diesen Selektionsprozess erklärt:
»Drei sind alle Götter:
Amun, Re und Ptah, denen keiner gleichkommt.
Der seinen Namen verbirgt als Amun,
er ist Re im Angesicht,
sein Leib ist Ptah.«10
In diesem Selektionsprozess finden wir den Namen, das Gesicht und den Leib immer wieder in den Zeitzeugnissen dieser Kultur, die göttliche Gestalten verehrte. Ausgerechnet die Frage der trinitarischen Gottesgestalt wird in diesem ägyptischen Spruch beantwortet. Es ist textuell überliefert, wie die Götter aussehen und welche Funktion sie haben, sie nehmen mythische Gestalt an. Diese drei Götter nehmen in diesem Text eine männliche Position ein.
8 Vgl. Assmann, Jan 1984: Ägypten: Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur. Stuttgart: Kohlhammer / Urban Taschenbücher 366, S. 15.
9 Ebd., S. 15.
10 Ebd., S. 17.
Ramses III. feierte ein nationales Fest am Jahrestag seiner Krönung, zeitgleich mit dem Fest des Min, des Herrn von Koptos und der Wüste. Dieses Fest wurde im ersten Monat der Jahreszeit ›schemu‹ bei Erntebeginn gefeiert.11 Ramses III. ließ sich in der Sänfte zur Wohnung seines Vaters Min tragen, weil er dessen Schönheit betrachten wollte. Die Söhne des Königs und die höchsten Beamten stritten um die Ehre, das königliche Beförderungsmittel tragen zu dürfen. Die beiden Seiten des Armstuhls wurden von einem schreitenden Löwen und von einer Sphinx geschmückt. Andere Söhne des Königs sowie männliche Würdenträger eröffneten den Zug und trugen die Insignien des Pharaos: das Zepter, die Geißel, einen Rohrstab und die Hacke. Unter den Priestern fiel der ›Mann mit der Rolle‹ auf, der alle Einzelheiten anordnete und das Festprogramm in Händen hielt.12
Der ithyphallische Gott Min war ursprünglich wohl ein Gott, der Fruchtbarkeit verlieh.13