Philosophie und Psychotherapie als Lösung für innerfamiliäre Traumata - Ronald Kern - E-Book

Philosophie und Psychotherapie als Lösung für innerfamiliäre Traumata E-Book

Ronald Kern

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Beschreibung

Dieses Buch versammelt drei wissenschaftliche Essays, die eine Verbindung zwischen philosophischen, psychologischen und traumatheoretischen Forschungsansätzen herstellen, um spezielle Fragestellungen zu untersuchen. Der Essay „Impulse in Richtung Kinderphilosophie“ zeigt auf, wie das Denken von Kindern in frühen Jahren geprägt wird, und stellt ausgewählte Methoden vor, die zur Förderung der Denkentwicklung beitragen können. Der zweite Essay widmet sich dem Thema „Vaterentbehrung“ und beleuchtet die Auswirkungen einer (psychischen oder physischen) Abwesenheit des Vaters auf die kindliche Entwicklung. Darüber hinaus bietet er Anregungen für die therapeutische Arbeit mit betroffenen Kindern und Familien. Der dritte Essay beschäftigt sich mit den psychischen Folgen der Kulturrevolution in China auf individueller und kollektiver Ebene. Das Schaffen ausgewählter chinesischer Philosophen und Literaten, die in ihrem Werk die Kulturrevolution thematisieren, wird insbesondere unter dem Blickwinkel der Traumaforschung betrachtet.

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Bitte lesen Sie dieses Buch sorgfältig. Vielleicht interessieren Sie sich auch für mein »Tagebuch Medium« aus dem Jahr 2008!

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen dieser Essays. Und denken Sie immer daran, es ist immer jemand für Sie da, wenn es Ihnen schlecht geht. Die österreichische Psychiatrie hat sehr fähige und hilfsbereite Ärzte. Arbeiten Sie sich in Ihr Problem ein, für alle Krankheiten gibt es Hilfe.

Vielen Dank für Ihre Zeit.

Ich wünsche Ihnen eine unterhaltsame Lektüre.

Und denken Sie vorerst mal an sich und daran, was Sie in Ihrem Leben gerne gemacht hätten.

Ich wünsche Ihnen alles Liebe!

Ronald Kern, Bakk. phil.

Graz, 10. September 2015

Inhalt

1 Impulse in Richtung Kinderphilosophie

1.1

Einleitung

1.2

Die Ausbildung »internaler Arbeitsmodelle« in der frühen Kindheit

1.3

Denken lernen – Routine und Reflexion

1.4

Tagträume bei Kindern

1.5

Kreatives, produktives Denken bei Kindern – Methoden zur Denkentwicklung

1.5.1

Tagebuch

1.5.2

Werkstatt

1.5.3

Theater

1.5.4

Reisen, Fremdsprachen und Mediennutzung

1.5.5

Bildende Kunst, Literatur und Musik

1.5.6

Diskussionen und Projekte im Schulunterricht

1.5.7

Praktisches Philosophieren mit Kindern

1.5.8

Kreatives Schreiben

1.6

Ziele der Kinderphilosophie

1.7

Eigene Meinung und Reflexion

1.8

Literatur

2 Vaterentbehrung

2.1

Einleitung

2.2

Psychische Abwesenheit des Vaters in bäuerlichen Familien

2.3

Der »kalte« Vater

2.4

Vaterentbehrung in früheren Zeiten

2.5

Vaterentbehrung in der psychologischen Forschung

2.6

Geschlechterrollenentwicklung bei Vaterentbehrung

2.7

Psychopathologie und Vaterentbehrung

2.8

Partielle Abwesenheit des Vaters

2.9

Vaterentbehrung während und nach dem Bosnienkrieg

2.10

Der geheim gehaltene Vater – ein Familiengeheimnis

2.11

Vaterentbehrung infolge einer Scheidung

2.12

Jugendliche Familienfähigkeit und Vaterschaft

2.13

Männerarbeit in der Zukunft

2.13.1

Die Säule

Beratung

2.13.2

Die Säule

Bildung

2.13.3

Die Säule

Begegnung

2.14

Resümee und Ausblick

2.15

Literatur

3 Trauma und Erinnerung: Kulturrevolution

3.1

Trauma und Philosophie

3.1.1

Ein liberaler Marxist: Li Zehou

3.1.2

Ein liberaler Existenzialist: Liu Xiaobo

3.1.3

Ein christlicher Theologe: Liu Xiaofeng

3.1.4

Resümee

3.2

Trauma und Literatur

3.2.1

Feng Jicais literarische Verarbeitung der Kulturrevolution

3.2.1.1

Generationen und seelisches Bindungssystemtrauma

3.2.1.2

Schuldfrage, Literaturkritik und Historikerfunktion

3.2.1.3

Ich-Funktionen, Komplexfelder und Hybris

3.2.2

Trauma und Liebe

3.2.2.1

Zhang Kangkang

3.2.2.2

»Das Recht auf Liebe«

3.2.3

Exkurs: Chinas »sexuelle Revolution« und

Civil Society

3.3

Resümee

3.4

Literatur

Vorwort

Mit meinem Buch »Philosophie und Psychotherapie als Lösung für innerfamiliäre Traumata« möchte ich in Problemfälle der Psyche Licht bringen. Es enthält drei wissenschaftliche Essays, die vor einigen Jahren an der Universität Graz und an der Universität Wien entstanden sind und nun in überarbeiteter Form vorliegen. Die Essays sind durch meine eigene schizophrene Erkrankung gefärbt und im Rahmen spezieller Lehrveranstaltungen verfasst worden.

Ich habe im Jahr 2008 mein eigenes Patienten-Tagebuch veröffentlicht und bin noch immer sehr glücklich, diesen Schritt getan zu haben, um anderen mein Trauma zu offenbaren.

Um meinen akademischen Lebenslauf kurz darzustellen, nenne ich alle Universitäten, die ich bisher besucht habe:

Universität Wien

Wirtschaftsuniversität Wien

Universität für Sprache und Kultur Peking

Medizinische Universität Graz

Universität Graz

Bedanken möchte ich mich für mein Weiterkommen in dieser Materie bei Privatpersonen (Familie und Betroffene), die mich auf meinem Weg uneingeschränkt unterstützt haben.

Mein Dank gilt:

Meiner Großmutter Rosa Maria Kern

Meinem Großvater Josef Kern

Meinem Vater Josef Heinz Kern

Meiner Tante Irene Amtmann

Meinem Cousin Patrick Amtmann

Meiner Großmutter Irma Erika Koch

Meinem Großvater Alfred Koch

Meiner Mutter Helga Irma Kern

Meiner Schwester Vanessa Sandra Kern

Meiner Tante Anna Koch-Handschuh

Meinem Onkel Alfred Koch-Handschuh

Unserem Hund Akiro

Unserem Hund Luna

Unserem Kater Moritz

Sowie

Meinem besten Freund Andreas Streif

Meiner besten Freundin Anita Eppensteiner

Meiner besten Freundin Verena Fischer

Meinem besten Freund Wolfgang Simacek

Meiner besten Freundin Edith Prähauser

Meinem besten Freund Daniel Gallner

Meinem besten Freund Dominik Peintinger

Meiner besten Freundin Katie Wei Lin Tam

Meinem besten Freund Ryan Mohr

Meiner besten Freundin Malka Older

Meiner besten Freundin Julia Steinbauer

Meinem besten Freund Aurélien Jemma

Meinem besten Freund Imre Vasvary

Meiner besten Freundin Ina-Alice Kopp

Meiner besten Freundin Nicole Lintschinger

Meiner besten Freundin Katharina Schober

Meinem besten Freund Marlon Fink

Meinem besten Freund Christian Huber

Meinem besten Freund Thomas Rechling

Meinem besten Freund Bo Chen

Meinem besten Freund Ouyang Tao

Meinem besten Freund Hannes Ploder

Meinem besten Freund Stefan Berger

Meinem besten Freund Wolfgang Tertinek

Meinem besten Freund Romain Jemma

Meinem besten Freund Andreas Ludwig

Meinem besten Freund Uwe Büchner

Meinem besten Freund Earl Mohr

Meiner besten Freundin Kim Mohr

Meiner besten Freundin Martine Jemma

Meinem besten Freund Marcel Jemma

Meinem besten Freund Markus Schwab

Meinem besten Freund Martin Appel

Meinem besten Freund Gerhard Rucker

Meinem besten Freund Martin Cvetko

Meiner besten Freundin Ute Gambutz

Meiner besten Freundin Tanja Potisk

Meiner besten Freundin Wu Yunxia

Sowie

Meiner Freundin, der »Liebe meines Lebens«, Wendy Wei EE Tam

Meiner Freundin, der »Liebe meines Lebens«, Anna Schröttner

Meiner Freundin, der »Liebe meines Lebens«, Claudia Kuhle

Meiner Freundin, der »Liebe meines Lebens«, Lisa Koller

Sowie meinen Freunden

Gerhard Zichner

Walter Meinhart

Michael Streif

1 Impulse in Richtung Kinderphilosophie

[Überarbeitete Fassung einer Seminararbeit, die im Rahmen des UK »Krisen- und Suizidprävention für Kinder und Jugendliche« (Leitung: Dr. Norbert Kriechbaum, Mag. Sabine Hüttl) an der Universität Graz im Sommersemester 2007 entstanden ist.]

1.1 Einleitung

Wer denkt nicht gern an seine Kindheit zurück? Diese Zeit ist meist von Unbeschwertheit und Sorglosigkeit geprägt, einige Menschen können sich dieses Lebensgefühl sogar bis ins hohe Alter bewahren.

Kinder sprechen und Kinder denken, viele Gedanken gehen jedoch verloren und sind im Nachhinein nicht mehr fassbar oder erklärbar. Um zu erforschen, wie Kinder denken, ist es möglich, sich an verschiedenen Quellen zu orientieren. Man kann seine eigenen Erinnerungen reflektieren oder sich theoretisch-wissenschaftlich in das Forschungsgebiet einarbeiten. Auch empirische Beobachtungen oder Gespräche mit Kindern können hier Aufschlüsse geben.

Erwachsene – Eltern oder auch Lehrer – haben unterschiedliche Ideen zum Thema »Kinderphilosophie«. Ich befasse mich aus Interesse und Neugier mit diesem Forschungsbereich, auch um meine eigenen Erfahrungen in der Kindheit zu reflektieren.

Es gibt zu diesem Thema zwei unterschiedliche Zugänge, einerseits den streng wissenschaftlichen und intellektuell-philosophischen, andererseits den direkten und spielerischen. Es sollte allerdings stets darauf geachtet werden, an wen ein Forschungsprojekt gerichtet ist. Zahlreiche Begriffe aus der wissenschaftlichen Literatur sind für Kinder nicht verständlich oder nachvollziehbar. Es wäre daher wichtig, wissenschaftliche Reflexionen zu diesem Thema auch für Kinder aufzubereiten und verstehbar zu machen, um eine Brücke zwischen der theoretischen Wissenschaft und der pädagogischen Praxis zu bauen.

Möchte man ergründen, was und wie junge Menschen denken, wagt man in gewisser Weise einen Sprung ins Ungewisse. Im Folgenden soll zunächst kurz dargelegt werden, wie das Denken in der frühen Kindheit geprägt wird. Daraufhin werden Methoden dargestellt, die die Denkentwicklung bei Kindern und Jugendlichen gezielt fördern können. Darüber hinaus wird der Versuch unternommen, dieses Thema mit therapeutischen Konzepten zu verbinden. Begriffe wie »Krise« und »Suizid« sind für Kinder unverstehbar und vieles weist darauf hin, dass diese Worte von Kindern nicht nur nicht verstanden werden, sondern auch maßlos überfordern können. Daher sollen im Folgenden auch Impulse gegeben werden, um die Kinder- und Jugendphilosophie im Hinblick auf therapeutische Zwecke fruchtbar zu machen.

1.2 Die Ausbildung »internaler Arbeitsmodelle« in der frühen Kindheit

Kognitive Prozesse können heute in der Entwicklungspsychologie sichtbar gemacht werden. John Bowlby, einer der Pioniere der Bindungsforschung, etablierte die These, dass Kinder in den ersten Lebensjahren innere Organisationssysteme ausbilden, die frühe Bindungserfahrungen und Erwartungen gegenüber Bezugspersonen beinhalten. Bowlby bezeichnete diese inneren Systeme als »Inner Working Models«.

»Bowlbys theoretische Vorstellung über ein ›internales Arbeitsmodell (Inner Working Model: IWM) von sich und Anderen‹ bezieht sich vor allem auf die Entwicklung innerer hypothetischer Organisationen von Emotionen im Zusammenhang mit dem Bindungs- und Explorationssystem. Bowlby wählte den Begriff Arbeitsmodell, weil sich das Modell von sich und anderen durch beständig neuartige Erfahrungen ändern kann, der Veränderungsprozess allerdings mit zunehmendem Alter und Menge der Erfahrung schwerer wird, weil es sich selbst stabilisiert.«1

Dieses »internale Arbeitsmodell« kann somit als ein hypothetisches Organisationssystem von Emotionen, also Gefühlen, betrachtet werden. Unser Bindungsund Erkundungsverhalten – und vor allem unsere Art zu lieben – ist entscheidend durch Erfahrungen aus unserer frühen Kindheit geprägt.

Man kann davon ausgehen, dass ein Ergründen von frühen Erfahrungen im späteren Leben sehr interessant sein kann, z. B. wenn die eigene Kindheit noch mal reflektiert und interpretiert wird, um bestimmte Probleme zu lösen. Die meisten Menschen erleben unterschiedliche emotionale Kontakte in ihrer Kindheit, als Erwachsene wissen sie aber nur mehr bruchstückhaft, was damals passiert ist. Der Begriff »internales Arbeitsmodell« verdeutlicht, dass unser »inneres Denken« einerseits sehr gut »organisiert« ist und dass es andererseits nicht automatisch in seiner Struktur gegeben ist. Vielmehr wird dieses innere Arbeitsmodell in der Kindheit durch Erfahrungen ständig von Neuem »erarbeitet«. Es kann sich somit immerzu durch hinzukommende Erfahrungen verändern.

Junge Menschen, die in derselben Kultur heranwachsen, machen ähnliche Erfahrungen und durchleben ähnliche Veränderungsprozesse, doch kann die familiäre Situation sehr unterschiedlich sein und somit variieren auch die individuellen Erfahrungen. Nach den ersten Kindheitsjahren stabilisieren sich diese Erfahrungen zu Schemata. Es wäre natürlich wünschenswert, dass ein Mensch die Stabilisierungsphase auf einem möglichst hohen Niveau erreicht, um in seinem Leben möglichst breite Erfahrungen machen zu können.

Das »Inner Working Model« kann auch als hypothetisches Organisationssystem von Emotionen bezeichnet werden. Dies bedeutet, dass es in der frühen Kindheit zu einem Abgleich zwischen den inneren Erwartungen und den tatsächlichen Erfahrungen mit Bezugspersonen kommt, was ein wichtiger Prozess ist. Dieser Abgleich vollzieht sich in zwei Richtungen, nämlich erstens nach außen (zentrifugal) und zweitens nach innen (zentripetal). Das Zentrum wäre in beiden Fällen die innere Welt (die Psyche) des Menschen, der Ort, an dem unser ganzer Erfahrungsschatz gespeichert ist und auf den nur wir selbst zugreifen können.

Im Laufe der frühsten Kindheit werden Explorations- und Bindungsmuster internalisiert, die die Grundlage unserer Beziehungen zu anderen, unseres Kontakts zu Freunden und zu unserer Familie bilden. Das Gefühl, nicht ohne den anderen zu können, kann als eine Quelle der Angst entstehen. Viele Kinder, die z.B. aufgrund einer Scheidung ein Elternteil seltener sehen, werden sich ihrer Bindungskapazität stärker bewusst und reagieren eventuell überfordert, weil sie ihre Bedürfnisse so stark spüren. Für die Entwicklung eines Kindes sind Bindungserfahrungen sehr wichtig, weil es, mit sich selbst im Zentrum, unbedingt Perspektiven von und nach außen braucht.

1.3 Denken lernen – Routine und Reflexion

Philip Cam vertritt in seinem Buch »Zusammen nachdenken« die These, dass Routine und Reflexion zwei Grundelemente kindlicher Bildung und Erziehung darstellen sollten:

»Wenn Kinder beispielsweise lernen, flüssig zu lesen, zuverlässig zu buchstabieren und ohne Probleme zu multiplizieren, sind sie auf dem Weg zu einer Art ›Routine‹.

Bei anderen Fähigkeiten ist es genau umgekehrt. Es sind die Dinge, die wir nur dann gut machen, wenn wir gelernt haben, darüber nachzudenken. Man nennt sie ›reflexiv‹. Es muss uns unbedingt gelingen, Fähigkeiten und Gewohnheiten beider Art – Routine und Reflexion – auszubilden, um wirklich intelligente Kinder (in ihren Gedanken) und vernünftige Kinder (in ihren Handlungen) zu erziehen.«2

Ein ständiges Überprüfen der eigenen Gedankenordnung3 ist sehr wünschenswert und wichtig. In einigen Fällen wird dies jedoch erst durch eine Psychotherapie im Erwachsenenalter erreicht. Es besteht jedoch die Möglichkeit, bereits in der frühen Kindheit die introspektive Begabung zu fördern. Ich bezweifle allerdings, ob ein sehr junger Mensch zu intensiven Gedankenüberprüfungen schon in der Lage ist, wenn er gerade erst Lesen und Schreiben lernt und noch über sehr wenig Lebenserfahrung verfügt. Vielmehr denke ich, dass der Impuls, Gedankengänge zu überdenken, nur auftritt, wenn eine entsprechende Situation erlebt wurde, die einen Menschen zur Reflexion »zwingt«.

Die Intelligenz eines Kindes kann durch Sozialisation negativ oder positiv beeinflusst werden. Zur Entwicklung der Intelligenz ist sowohl Reflexion als auch Routine notwendig, beides kann über die Sozialisation vermittelt werden. Wenn ein Mensch es z. B. nicht gewohnt ist, über etwas nachzudenken, weil er das Reflektieren als etwas Mühevolles erlebt, kann er es aber trotzdem lernen. Die Schule wäre ein geeigneter Ort, um Kindern einige Methoden zur ständigen Überprüfung ihrer Gedankenordnung zu lehren.

Es gibt in unserem österreichischen Schulsystem, das (neben der Familie) eines der primären Sozialisationssysteme ist, nur Unterscheidungen ins Negative, in Form von Sonderschulen, aber keine staatlichen Bildungseinrichtungen für besonders begabte Kinder. Daran ist die Bildungsentscheidung abzulesen, dass man alle Kinder, so weit wie möglich, einheitlich ausbilden will und jedem die gleiche Chance geben möchte. Legt man das Augenmerk jedoch auf kindliche Krisenpotenziale, wäre es wichtig, den Kindern auch in der Schule zu vermitteln, warum ein Überprüfen der eigenen Gedanken so wichtig ist, ohne sie zu schockieren oder zu überfordern. In problematischen Situationen dürfen Kinder mit Krisengedanken nicht sich selbst überlassen werden.

»Reflexives Denken taucht dann auf, wenn wir Entscheidungsbedarf haben, weil wir verwirrt sind, zweifeln oder staunen.«4

Entscheidungen, die uns als Erwachsene stark beschäftigen, fällt ein Kind eher intuitiv. Aus diesem Grund können wir uns auch nicht an Entscheidungen, die wir als Kind getroffen haben, erinnern, weil wir damals nicht intensiv darüber nachgedacht haben. Unser Entscheidungsspielraum verändert sich im Laufe des Heranwachsens sehr stark, bis wir erwachsen sind und uns um uns selbst kümmern können. Wir entwickeln in den ersten Kindheitsjahren ein System des »inneren Denkens«, in dem sich unsere Gefühle und Gedanken bewegen, bis wir irgendwann definitiv entscheiden, was für uns »wahr«5 ist und was Wahrheit für uns bedeutet.

Wenn ein Mensch schon in frühen Jahren gelernt hat, auf Verwirrungszustände oder auf Verzweiflung mit einem reflexiven Gedanken zu reagieren, kann er sich besser entwickeln. Psychisch gesund zu bleiben oder zu werden, ist ein großes Ziel für jeden von uns.

Wie oben zitiert, kann reflexives Denken durch Verwirrung, Zweifeln oder Staunen ausgelöst werden. »Staunen« scheint mir ein Begriff zu sein, der die eher spektakulären Dinge im Leben eines jungen Menschen quittiert, was der Entwicklung sicher positiv dienen kann. Das Staunen ist entwicklungspsychologisch bedeutsam, denn es kann einen jungen Menschen voranbringen und zum Lernen anregen, wenn dieses Staunen nicht plötzlich die gesamte geistige Welt zu dominieren beginnt. Es ist für einen jungen Menschen unerlässlich, das Leben in seinen vollen Breiten kennenzulernen und sich in unterschiedlichen Feldern zu bewegen. Einengungen der Fantasie im Kindesalter wirken sich negativ aus und führen zu einem Mangel an psychischer Kraft.

»Kritisches Denken ist immer auch ein bisschen kreativ, genauso wie kreatives Denken immer auch ein bisschen kritisch ist. Deshalb sind sowohl kritisches als auch kreatives Denken Aspekte oder Ausprägungen des Nicht-Routine-Denkens, das man als höheres Denken bezeichnet.«6

Diese unterschiedlichen Begrifflichkeiten sind natürlich teilweise philosophische Spielereien, können aber zum Nachdenken anregen. Kritisches und kreatives Denken bedingen sich gegenseitig und verstärken sich gegenseitig. Ein Mehr von beidem ist immer besser und kann helfen, die Routine zu durchbrechen. Um kritisches und kreatives Denken zu wecken, haben wir bei Jugendlichen natürlich andere Instrumente in der Hand als bei einem Kleinkind. Bei einem 18-Jährigen können völlig andere Fähigkeiten vorausgesetzt werden, was das geistige Niveau, die Ausdrucksfähigkeit und auch das freizeitliche Geschehen anbelangt. Kinder lassen aber möglicherweise stärker unbewusste Gedanken zu. Sie sind in der Regel vorbehaltslos in Bezug auf andere und teilen alles ungefiltert mit.

»Die größte Veränderung in der Fähigkeit des Kindes, Sprache als Werkzeug der Problemlösung zu benutzen, findet statt, […] wenn das sozialisierte Sprechen (das vorher an die Erwachsenen gerichtet wurde) sich nach innen richtet.

Sprache übernimmt so zusätzlich zum interpersonalen Gebrauch eine intrapersonale Funktion.

Sie wenden ihr soziales Bewusstsein erfolgreich auf sich selbst an.