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Kriminalkommisar Holk hat es geahnt! Doch die Polizeiliche Überwachung Olaf Wests wird von höchster Stelle abgelehnt – vor Wut bebend hält Holk das Schreiben seinem Kollegen in Kopenhagen hin. Er spürt es bis in seine Fingerspitzen, doch die Hände sind ihm gebunden. Dabei haben er und sein Kollege West gründlich unter die Lupe genommen, ihn umgekrempelt wie einen alten Anzug: Zwei verwegene Einbruchsfälle in Kopenhagen, die immernoch nicht aufgeklärt sind, nachdem West vor drei Jahren aus Amerika zurück nach Dänemark gekehrt ist, wo er in einem Zuchthaus in Atlanta wegen Einbruchs gesessen hat. Die New Yorker Kollegen hatten ihn dort lange Zeit im Verdacht, einer gefährlichen Gangsterbande anzugehören, nachweisen konnten sie ihm jedoch nichts. Und nun ist er zurück und Holk weiß einfach, dass West irgendwo in der Nähe des Tatorts gesehen worden ist, zur selben Zeit, in der die Einbrüche stattgefunden haben – und er gibt es auch noch frech zu! Doch Holk misstraut seinem gewitzten Alibi und gräbt tiefer – was er hier entdeckt, hätte er nie erwartet... Das Problem ist nur: Niemand glaubt ihm, als er seine Entdeckung kundtut. Hat er genug Zeit, seinen Kollegen bei der Polizei die Augen zu öffnen, bevor noch mehr Mädchen verschwinden?-
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Seitenzahl: 196
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Axel Rudolph
Kriminalroman
Saga
Der Mann aus Rio
© 1934 Axel Rudolph
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711445068
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
„Abgelehnt!“ Kriminalkommissar Dr. Holk wirft die Mitteilung, die den Briefkopf „Der Polizeipräsident“ trägt, ärgerlich und so laut auf den Tisch, daß sein Kollege Borup verwundert von seiner Arbeit aufsieht.
„Was haben Sie denn, Holk?“
„Da! Lesen Sie selbst!“ Dr. Holk wirft dem Kollegen das Schreiben hin. „Unser hoher Chef findet nach Durchsicht meines ausführlichen Memorandums keinen hinreichenden Grund, die dauernde polizeiliche Überwachung Olaf Wests anzuordnen! Natürlich! Erst muß das Unglück geschehen sein, ehe der Brunnen zugedeckt wird! Erst muß der tüchtige Olaf wieder ein schweres Ding gedreht haben, ehe ...“
„Na, na, na, seien Sie friedlich, Holk!“ Der Kriminalkommissar Borup gibt das Blatt zurück und legt dem Erregten die Hand auf die Schulter. „Alles gut und schön. Aber Ihre Idee mit dem Olaf West also — offen gestanden —, da kann ich auch nicht mit.“
„Wenn Sie nur einsehen wollten, Borup ...“
„Ich weiß.“ Borup winkt beruhigend ab. „Ich weiß alles, was Sie sagen wollen, lieber Holk. Ich hab’ Ihnen bisher auch in dieser Sache die Stange gehalten. Ich sagte mir: Es bestehen zwar tatsächlich keine Verdachtsgründe gegen West, aber wenn Holk es in den Fingerspitzen fühlt, daß er der Mann ist, den wir suchen, dann muß etwas dran sein. Na, und da hab’ ich — genau wie Sie selbst — mir diesen Olaf West unter die Lupe genommen, ihn sozusagen umgekrempelt wie einen alten Anzug, der als Corpus delicti vor mir liegt. Sehen wir uns einmal ruhig das Ergebnis an. Bestehen bleibt die Tatsache, daß wir in den letzten zwei Jahren zwei verwegene Einbruchsfälle hier in Kopenhagen gehabt haben, die noch nicht aufgeklärt sind. Bestehen bleibt ferner die Tatsache, daß dieser Olaf West, der vor drei Jahren aus Amerika in die alte Heimat zurückgekommen ist, drüben im Zuchthaus von Atlanta anderthalb Jahre wegen eines Einbruchs gesessen hat und daß unsere New-Yorker Kollegen ihn lange Zeit im Verdacht hatten, einer gefährlichen Gangsterbande anzugehören. Nachweisen konnten sie es ihm allerdings nicht.“
„Fügen Sie hinzu, Borup,“ wirft Dr. Holk lebhaft ein, „daß erwiesenermaßen bei beiden noch unaufgeklärten Einbrüchen der Kerl, der West, irgendwo in der Nähe des Tatortes gesehen worden ist, und zwar kurz nach der Zeit, zu der die Einbrüche stattgefunden haben müssen!“
„Ich wollte eben darauf kommen,“ beschwichtigt Borup und schneidet gedankenvoll mit der großen Schere ein Blatt Papier in lange, saubere Streifen. „Die Folge dieser Tatsache war, daß wir Herrn Olaf West uns herbestellt und verhört haben. Gründlich verhört, das werden Sie mir zugestehen, lieber Holk, denn Sie waren ja selber dabei. Was ist dabei herausgekommen? Nichts als die Tatsache, daß der Mann seine Anwesenheit in der Nähe des Tatorts zu dem fraglichen Zeitpunkt durchaus nicht bestritt, und daß er einwandfrei nachweisen konnte, was er dort, wo er gesehen wurde, zu tun hatte. Ja, noch mehr, er konnte auch für die übrige in Frage kommende Zeit ein Alibi nachweisen.“
„Ach, Alibi!“
„Ganz recht, Holk. Als Kriminalist ist man gegen jedes Alibi mißtrauisch. Ich habe auch trotz der harmlosen Erklärung, die das Auftauchen Wests fand, im stillen den Mann weiter beobachtet. Aber ich muß gestehen, ich habe dabei nicht das geringste Verdächtige gefunden. Olaf West ist seit genau drei Jahren hier in Kopenhagen ansässig und polizeilich gemeldet. Er bewohnt zwei möblierte Zimmer bei einer Frau Eriksen in der Colbjörnsonsgade, dicht hinter dem Bahnhof. Er ist seit fast drei Jahren als Kontorist angestellt bei der Firma Skovbäk & Co., Kohlenexport, und bezieht ein Monatsgehalt von 260 Kronen. Er befindet sich jeden Werktag von 9 Uhr bis 5 Uhr in den Büros der Firma am Halmtorv. Reisen hat er in dieser Zeit nicht gemacht. Nur voriges Jahr, während seines achttägigen Sommerurlaubs, hat er sich einen Ausflug nach Kullen geleistet und jenseits des Oeresundes am Strande gelegen und sich gesonnt. Er spielt nicht, er macht keine verdächtigen Geldausgaben, er hat keine noblen Passionen, er sendet und empfängt keine verdächtige Post. Der einzige Fehler, den man dem Mann nachweisen kann, ist der, daß er alle vier Wochen mal so etwas wie einen kleinen Rappel kriegt und einen Samstag und Sonntag sich in den Kneipen restlos betrinkt. Aber auch dabei gibt er nicht mehr Geld aus, als es seinen Verhältnissen entspricht. Er verkehrt nicht mit verdächtigen Personen. In den Ganoven- und Ringvereinskreisen kennt man ihn nicht. Sein ganzer Umgang, der sich feststellen ließ, sind ein paar seiner Arbeitskollegen und -kolleginnen. Außerdem besucht er ab und zu ein Mädel namens Paula Larsen in Christianhavn, die nicht gerade einen guten Ruf genießt in puncto Moral. Aber Sie, lieber Holk, wissen so gut wie ich, daß diese Paula Larsen zufällig zu unseren Vigilanten gehört und uns schon manchen wertvollen Fingerzeig gegeben hat. Sie hat auch unseren Auftrag, den Olaf West unauffällig auszuhorchen, prompt ausgeführt, aber mit absolut negativem Resultat. Fest steht jedenfalls, daß dieses kleine Verhältnis des West mit der Paula Larsen kein kriminalistisches Interesse für uns hat.
Das Endergebnis: Olaf West mag früher, drüben in Amerika, auf die schiefe Bahn gekommen sein. Seitdem er wieder hier in Kopenhagen ist, hat er nicht nur sich ausgezeichnet geführt, sondern sein Leben gibt uns auch nicht den geringsten Anhaltspunkt für irgend etwas Mystisches oder Verdächtiges. Wenn ich nicht wüßte, daß der Mann drüben gesessen hat, so würde ich ihn auf Grund meiner Beobachtungen und Ermittlungen gradezu für das Muster eines soliden, anständigen Junggesellen erklären. Oder sollten Sie, lieber Holk, zu anderen Resultaten gekommen sein?“
Dr. Holk schüttelt stumm den Kopf und schweigt. Sein Blick fährt gereizt über die mit Papieren bedeckte Tischplatte, folgt mechanisch den Papierstreifen, die von Borups Schere langsam herabringeln.
Alles, was Borup da sagt, weiß er selbst längst. Und doch machen die Worte starken Eindruck auf ihn. Denn es ist ja Borup, der so spricht, Karl Borup, der beste Freund und Kollege und nebenbei noch der gefürchtetste und erfahrenste Kriminalist der gesamten dänischen Polizei, Kommissar Borup, den die Verbrecherwelt von Kopenhagen bis Stockholm so haßt und fürchtet, daß er fast populär bei ihr ist. Wenn der sagt, daß Olaf West unverdächtig ist, Borup, dieser kühle, ruhige Rechner und Verstandesmensch, dann ... ja dann muß wohl doch ...
„Und ich habe doch recht!“ Dr. Holk schlägt plötzlich heftig mit der Faust auf den Tisch, und seine Augen bekommen einen fast fanatischen Glanz. „Ihr mögt alle sagen, was ihr wollt! Beweisen kann ich’s leider nicht, aber ich weiß so sicher wie nur etwas, daß dieser Olaf West der Mann ist, den wir alle suchen. Und eines Tages werde ich’s herauskriegen, Borup! Verlassen Sie sich darauf!“
Kommissar Borup lächelt ruhig. Der Kriminalassistent Hedekranz lächelt, die Kollegen, die durch die offene Tür zum Nebenbüro die lebhafte Unterhaltung mit angehört haben, zucken ebenfalls die Achseln und lächeln sich verstohlen an. Der gute Dr. Holk. Man kennt ja nun schon seit langem seine Marotte, die fixe Idee, daß dieser Kontorist West ein gefährlicher Gangster ist. Scheint ein bißchen Psychose dabei zu sein, weil der Mann aus Amerika gekommen und drüben mal mit dem Strafgesetz in Konflikt gewesen ist.
„Die Zeitungen, Herr Kommissar!“
Der Kriminalassistent hat schon eine ganze Weile mit einem Packen Zeitungen in der Hand dagestanden und legt sie nun still vor Dr. Holk auf den Tisch. Karl Borup nickt noch einmal dem Freund vertraulich zu und schwingt sich von der Schreibtischkante herunter, um in seinem Büro nebenan weiterzuarbeiten.
Dr. Holk überfliegt, immer noch verdrießlich, die Zeitungsblätter, in denen der Assistent bereits sorgsam die verdächtigen Anzeigen mit Rotstift angezeichnet hat. Viel ist es heute nicht. Ein Stellenangebot mit Kautionsforderung, das nicht ganz „sauber“ zu sein scheint, ein etwas dunkles Darlehnsangebot unter Chiffre. Und dann eine Heiratsanzeige:
„Ausländer, Anfang Dreißig, sympathische Erscheinung, in durchaus geordneten Verhältnissen lebend, sucht die Bekanntschaft eines jungen, blonden Mädels, das lebenslustig und eine gute Tänzerin ist und geneigt wäre, in Übersee ein kleines freundliches Heim zu gründen. Vermögen Nebensache. Zuschriften unter ‚Ernstgemeint‘ P. B. 1000 an die Expedition des Blattes.“
Dr. Holk liest diese Anzeige zweimal durch und sieht dann fragend zu seinem Assistenten auf. Aller Verdruß und Ärger ist plötzlich aus seinen Zügen verschwunden. Die Augen blicken wieder scharf und wach.
„Übersee — blondes Mädel — Tänzerin — lebenslustig — Vermögen Nebensache. — Oho! Das klingt ja fast gerade wie im vorigen Jahr die Inserate von dem verdammten Südamerikaner, der uns im letzten Augenblick doch noch durch die Lappen ging! Teufel auch, das wäre! Wenn wir endlich mal diesem berüchtigten Mädchenhändler auf die Fährte kommen könnten!“
„Ich hab’ auch schon daran gedacht, Herr Doktor!“ Der Assistent weist mit einer leichten Handbewegung auf das Inserat. „Es wäre wohl angebracht, sich den Herrn mal näher anzusehen. Soll Frau Kjär Offerte einlegen?“
„Frau Kjär?“ Dr. Holk lehnt sich weit in seinem Stuhl zurück und streicht sich nachdenklich über die Stirn. „Nee, mein Lieber, das machen wir diesmal anders. Unsere gute Kjär ist eine tüchtige Beamtin, aber für die Rolle eines ‚jungen, lebenslustigen Mädels‘ eignet sie sich wirklich nicht. Außerdem: Wenn es sich hier wirklich um diesen mit allen Salben gesalbten Mädchenhändler handelt, dann dürfen wir ihm die Kjär nicht schicken. Überhaupt keine von unseren Beamtinnen, denn der Kerl kennt wahrscheinlich unsere ganze Garde. Wir wollen mal — wissen Sie was?“ Dr. Holk hebt, von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, lebhaft den Kopf. „Rufen Sie mir doch mal unsere kleine Stenotypistin Fräulein Vinge!“
*
„Herr Kommissar?“
Dr. Holk betrachtet wohlwollend das junge Mädchen, das, Bleistift und Stenogrammblock in der Hand, an der Tür steht.
„Kommen Sie mal her, Fräulein Vinge. Setzen Sie sich. Nee, Diktat — jetzt nicht. Etwas ganz anderes. Sagen Sie mal, wie alt sind Sie eigentlich?“
„Einundzwanzig.“ Ellen Vinge schaut verdutzt drein. Der Kommissar schmunzelt.
„Sie haben Ihre Arbeit bisher stets zu meiner Zufriedenheit erledigt, Fräulein Vinge. Aber wie wäre es, wenn ich Ihnen nun mal etwas ganz anderes anvertrauen würde?“
„Das wär’ nett von Ihnen, Herr Doktor.“ Ellens helle Augen blitzen vor Vergnügen, die Assistenten lächeln, und auch Dr. Holk freut sich über die kecke Antwort. Es geht etwas Helles und Frohes aus von diesem blonden Mädel, etwas, das an die grünen Buchenwälder draußen bei Klampenborg gemahnt und den blauen Sund mit den weißen kleinen Segeln, irgend etwas Sommerliches, Sonniges, das die ganze graue Atmosphäre von Aktenstößen und Protokollbündeln auf einmal heller macht.
„Tja. Und — hm — sind Sie schon verlobt, Fräulein Vinge?“
„Noch nicht.“ Ellens Augen streifen unwillkürlich die ringlose Hand des Junggesellen Holk und sehen dann mit komischem Entsetzen mitten in sein Gesicht. So deutlich steht die Frage darin, sprühen die Spottteufelchen, daß Dr. Holk lachend auf den Tisch schlägt.
„Zum Donnerwetter, ich will Ihnen keinen Heiratsantrag machen, Fräulein Vinge! Ich frage Sie nur, weil ich Sie bitten will, uns in einem besonderen Fall zu helfen. Lesen Sie sich mal das Inserat hier durch!“
„Wir haben Grund zu der Annahme, daß es sich hier um einen gefährlichen Burschen handelt,“ fährt er fort, als Ellen die Zeitung wieder hinlegt und ihn fragend ansieht. „Ihre Aufgabe wäre es, zunächst einmal diese Anzeige zu beantworten, mit dem Mann in Briefwechsel zu treten, später dann seine persönliche Bekanntschaft zu machen und herauszukriegen, was mit ihm los ist.“
„Fein!“ Ellen Vinge reckt sich stolz. Endlich mal etwas anderes als Diktate aufnehmen und Tag für Tag langweilige, endlose Protokolle und Berichte abtippen. Dr. Holk betrachtet ihr freudestrahlendes Gesicht mit unverhohlenem Wohlwollen.
„Trauen Sie sich diese Sache zu, Fräulein Vinge?“
„Warum denn nicht? Das ist doch einfach.“
„Nun, so ganz einfach ist das gar nicht. Es gehört immerhin ein bißchen Überlegung dazu, kleines Fräulein. Vor allem darf der Mann natürlich nicht ahnen, daß Sie ausgerechnet bei der Polizei beschäftigt sind. Sonst springt er ab. Mädchenhändler, die sich als Opfer grade jemand aussuchen, der bei der Polizei angestellt ist oder — sagen wir mal — verwandtschaftliche Beziehungen zur Polizei hat, gibt es nur im Film. Die wirklichen hüten sich vor solchen Komplikationen. Sie müssen ihm vorlügen, daß Sie in irgendeinem großen Betrieb tätig sind. Und selbstverständlich dürfen Sie zu niemandem von der Sache sprechen. Kein Wort. Ein Geheimnis, von dem drei Personen wissen, ist kein Geheimnis mehr. Renommieren können Sie bei Ihren Freundinnen später noch genug mit dem Fall, wenn wir den Burschen in Numero sicher haben.“
„Jawohl, Herr Doktor.“
„Na, dann wollen wir’s mal versuchen. Schreiben Sie jetzt gleich eine Antwort auf das Inserat und bringen Sie mir den Brief zur Durchsicht. Sobald Sie Antwort haben, geben Sie mir natürlich Nachricht.“
Dr. Holk sieht dem jungen Mädchen nach, wie es mit vor freudiger Erregung gerötetem Gesicht im Nebenzimmer verschwindet, und wendet sich dann mit einem kleinen Seufzer an den Assistenten.
„Unsere brave Frau Kjär wird mir zwei Wochen lang ein Essiggesicht zeigen, wenn sie davon erfährt, aber es geht nicht anders. Auf die gute Kjär fiele ich auch nicht rein, wenn ich Mädchenhändler oder Heiratsschwindler wäre. Aber auf die da ...“ Sein Blick fällt auf das Schreiben des Polizeipräsidenten, und eine finstere Wolke zieht plötzlich wieder über seine Stirn. „Legen Sie das in die Mappe, Hedekranz. Erledigt. Also die vorgesehene Überwachung dieses — äh ... dieses Olaf West unterbleibt bis auf weiteres.“
Der Assistent Hedekranz macht ein dienstlich undurchdringliches Gesicht, während er die Papiere in der Mappe ordnet, innerlich aber fühlt er sich grundzufrieden mit der Entscheidung des Präsidenten. Es war wirklich schon langweilig geworden, einen Menschen zu überwachen, der ein so harmloses, geordnetes und leicht zu übersehendes Leben führte wie dieser West. Stundenlang vor dem Hause Colbjörnsonsgade 12 zu patrouillieren und dann den Rest des Abends in irgendeinem Café zu sitzen, wo der West seinen Toddy trank oder mit einem ebenso harmlosen Geschäftskollegen Schach spielte. Oder von Haus zu Haus zu laufen, Nachbarn und Arbeitskollegen des West in vorsichtigster Form auszuhorchen und immer nur zu erfahren, was man selber längst wußte, nämlich daß wirklich nichts Besonderes mit dem Mann los sei. Eine traurige Sache für einen ehrgeizigen Kriminalassistenten, der sich viel lieber mit anderen Kollegen auf der Jagd nach schweren Jungen seine Sporen verdient hätte. Und alles nur wegen der fixen Idee des Kommissars Holk. Wirklich ein Glück, daß das jetzt aufhörte!
„Noch eine Ladung Post, Herr Bruhn!“
Peter Bruhn steht in seinem Zimmer im zweiten Stock des Hotels d’Angleterre und blickt mit ehrlichem Entsetzen auf den Haufen Briefe, den ihm der Zimmerkellner eben mit zuvorkommendem, diskretem Lächeln auf den Tisch legt. Großer Kaiser von China! Das ist nun schon der dritte Haufen heute! Nie hätte Peter Bruhn gedacht, daß es soviel heiratslustige junge Mädchen in Kopenhagen geben könne, und eine kleine Reue beginnt ihn zu erfassen, daß er den „nicht mehr ungewöhnlichen Weg“ einer Zeitungsannonce eingeschlagen hat, um sich eine Lebensgefährtin zu suchen. Aber was soll man tun, wenn man als Fremdling aus Übersee hierherkommt, den europäischen Verhältnissen entfremdet und gänzlich ohne Bekanntschaften und Verbindungen ist? Schöne junge Mädchen gibt’s zwar auch drüben in Rio genug, und Peter Bruhn hat unter den Palmen am Meeresstrand da drüben schon in manch zärtlich funkelndes Glutauge geblickt, das wohl einen Mann glücklich machen könnte. Aber wenn er an eine Lebenskameradin dachte, so hat ihm immer etwas ganz anderes vorgeschwebt, etwas Helles, Frisches, von Nordseebrise und Heimatduft Umwehtes, und er hat sich geschworen, sich seine Frau aus dem alten Lande einmal zu holen, aus Norddeutschland oder Skandinavien, und als ihn die Geschäfte zu dieser Reise nach Kopenhagen zwangen, hat er den festen Entschluß gefaßt, nicht ohne die Erfüllung seines Traumes zurückzukehren.
Die Fenster stehen offen. Draußen, um die Reiterstatue auf dem Kongens Nytorv, duften die Rhododendren, von Nyhavn her weht die starke, teergewürzte Hafenluft, überfüllte Straßenbahnwagen mit sommerlich hell und bunt gekleideten fröhlichen Menschen klingeln vorüber. Irgendein Festtag mußte heute sein, denn von allen Dächern und Fenstern weht das gleißende Rot und das weiße Kreuz des Daneborg.
Hell scheint die Frühlingssonne. Es müßte schön sein, jetzt mit den anderen Fröhlichen hinauszufahren in die Buchenwälder von Skofsborg und Klampenborg oder in einem Segelboot auf dem blauen Oeresund zu liegen. Peter Bruhn seufzte ein wenig, und der Blick, den er den Briefen auf dem Tisch sendet, ist wenig freundlich. Aber — Peter Bruhn ist ein korrekter Mann, ein Pflichtmensch, der nicht ins Vergnügen zu steigen vermag, solange noch eine Arbeit auf ihn wartet. So setzt er sich also etwas mißmutig an den Schreibtisch und beginnt seine Post durchzusehen. Manchmal schüttelt er den Kopf, manchmal muß er hell auflachen bei der Lektüre. Ein unglaubliches Durcheinander von Angeboten und Zuschriften, die man schon sorgfältig studieren muß, um sich ein Bild von den einzelnen Schreiberinnen machen zu können. Da sind kindlich-naive Zuschriften von Mädels, die wahrscheinlich noch in irgendeinem Lyzeum die Schulbank drücken, andere Briefe, denen man es direkt ansieht, daß sie aus Ulk geschrieben sind. Da sind zynisch offene Angebote von Damen, denen es nur auf eine finanzkräftige Herrenbekanntschaft ankommt, sentimentale Briefe von „Hausmütterchen“ und „Sonnenscheinehen“. Da sind Angebote von Dienstmädchen, die wie Bewerbungsschreiben um irgendeine geschäftliche Stellung anmuten, junge Frauen und Witwen, die mit „Ersparnissen“ und „gemütlich eingerichteten Wohnungen“ locken, vielversprechende Angebote von zünftigen Ehevermittlungsbüros und Briefe, denen man den Ernst anmerkt, der dahintersteckt, die unerfüllte Sehnsucht nach einem glücklichen kleinen Heim.
Mit den Bedingungen, die im Inserat gestellt waren, nehmen es die meisten Schreiberinnen nicht so genau. „Ich bin zwar dunkelblond, aber ...“ — „Ich bin allerdings kein Backfisch mehr, sondern eine gereifte Frau, aber ...“
Peter Bruhn legt einen Brief nach dem anderen kopfschüttelnd zur Seite. Auch die Fotos, die den meisten beiliegen. Ein halbes Dutzend ungefähr sind darunter, die ihm wohl gefallen könnten. Junge, gute Mädchengesichter. Auch die dazugehörigen Briefe sind recht ansprechend. Aber je länger Peter Bruhn vergleicht und überlegt, um so stärker kommt ihm zum Bewußtsein, daß es unmöglich ist, auf diese Weise eine Entscheidung zu treffen. Man müßte sie dann alle persönlich sehen und kennenlernen, und das geht doch nicht gut. Nein, der Gedanke mit der Zeitungsannonce war verkehrt.
Gewissenhaft beginnt Peter Bruhn die mühselige Arbeit, sämtliche Fotos wieder in Briefumschläge zu packen und eine kurze, aber höflich gehaltene Absage dazuzuschreiben. Die Uhr zeigt bereits fünf Uhr nachmittags, als er mit der Arbeit fertig ist.
*
In derselben Stunde schließt der Kontorist Olaf West, in Firma Skovbäk & Co., sein Schreibpult und wäscht sich draußen im Waschraum genießerisch langsam die Hände, mit dem guten Gewissen eines Mannes, der sein Tagewerk vollbracht hat und dem ein wohlverdienter gemütlicher Feierabend winkt.
„’n Abend, West!“
„Kommen Sie heute abend ins Café National?“
Olaf West erwidert freundlich die Grüße der Kollegen, die mit ihm über die Treppe des Handelshauses hinunterströmen. Eben, als er auf die Straße treten will, geht Fräulein Sörensen an ihm vorbei, das Fräulein von der Telefonzentrale der Firma. Olaf West beschleunigt ein wenig seine Schritte und holt sie ein.
„Fahren Sie auch mit der Linie 6, Fräulein Sörensen?“
Die schlanke Braunhaarige mit den frauenhaften Bewegungen schaut gleichgültig auf. „Nein, ich fahre nach Charlottenlund hinaus heute. Will mal ein bißchen frische Luft schnappen.“
„Das ist nett.“ Olaf West paßt seinen Schritt dem Mädchen an und hält sich an ihrer Seite. „Frische Luft kann ich auch gebrauchen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich die gleiche Bahn benutze wie Sie, Fräulein Sörensen?“
„Warum sollte ich?“
Sie stehen an der Haltestelle und warten. Sprechen vom Geschäft, von den Kollegen, von all den hundert kleinen Nichtigkeiten des Alltags. Niemand kann etwas Besonderes dabei finden. Zwei Menschen aus dem gleichen Geschäft, die sich auf dem Nachhausewege gleichmütig unterhalten. Sonst nichts. Es fällt auch keinem der Kollegen, die vorübergehen und die beiden sehen, ein, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Man weiß, daß zwischen Olaf West und Fräulein Sörensen absolut kein näheres Freundschaftsverhältnis besteht. Sie wechseln höchstens hier und da ein paar kollegial-freundschaftliche Worte im Betrieb, in der Frühstückspause oder beim Nachhausegehen. Überdies gilt die Sörensen für eine kalte, hochmütige Natur, die selbst einem harmlosen Flirt im Büro eisig aus dem Wege geht.
Auch während der langen Fahrt sprechen Olaf West und Elna Sörensen nur Alltägliches miteinander. Nicht einmal der Kriminalist Dr. Holk würde etwas Verdächtiges darin finden, daß der Kontorist Olaf West sich mit seiner Kollegin Sörensen unterhält, die zufällig wie er selbst nach Geschäftsschluß vor die Stadt hinausfährt, um sich ein bißchen von der frischen Abendluft den Staub aus den Lungen wehen zu lassen.
Auch daß die beiden an der Endstation den Wagen verlassen und gemeinsam die Richtung nach der Eremitage einschlagen, ist nicht auffallend. Warum sollen sie nicht, da sie nun einmal zusammen herausgefahren sind, den Spaziergang gemeinsam fortsetzen? Aber Dr. Holk würde viel darum gegeben haben, wenn er die Unterredung hätte belauschen können, die Olaf West und Elna Sörensen miteinander führen, als sie erst draußen auf der freien Wiese der Eremitage sind, in einer Einsamkeit, wo es keine Gebüsche und Bäume gibt, hinter denen irgendein Unbefugter ihr Gespräch belauschen kann.
Der gleichgültig-müde Gesichtsausdruck Elna Sörensens ist plötzlich verschwunden. Die Qual eines zerrissenen Menschenherzens steht auf einmal groß und verzweifelt darin.
„Wann soll das nun enden, Olaf?“ stößt sie jäh hervor, gleichsam als würfe sie eine lästige, schmerzende Maske von sich. „Ich kann das nicht mehr lange aushalten. So oder so, wir müssen zu einer Entscheidung kommen!“
„Aber Elna!“ Olaf West läßt im Sprechen fortwährend mißtrauisch seine Augen über die einsamen Wiesen schweifen, jeden Moment bereit, abzubrechen, wenn irgendwo ein Mensch auftauchen sollte. „Meinst du, es sei für mich angenehm, dich entbehren zu müssen? Aber es geht doch nicht anders. Unsere einzige Chance liegt darin, daß niemand, aber auch niemand weiß, wie nahe wir beide einander stehen.“
Elna Sörensen atmet tief und erregt. „Ja, das hast du gesagt damals, als ich die Stelle bei Skovbäk & Co. bekam. Ein Jahr, hast du gesagt, dann bin ich obenauf, dann können wir wegfahren und die ganze Welt auslachen. Ein Jahr! Nun geht es schon ins dritte Jahr, Olaf, und ich muß noch immer die widerwärtige Komödie spielen. Siehst du denn nicht, daß ich dabei kaputt gehe?“
Olaf West hat einen finsteren Zug im Gesicht. „Ich gebe zu, es hat nicht alles so geklappt, wie ich hoffte. Du weißt es ja selbst, die Ausbeute ist geringer gewesen, als wir dachten. Noch reicht es nicht hin und nicht her, trotz aller Sparsamkeit. Wir müssen die Ohren steif halten, Elna, und abwarten.“
Die junge Frau schweigt und heftet den Blick auf den Rasen, über den sie schreiten. „Du hast leicht reden, Olaf. Ein Mann versteht das nicht. Ein Mann hat’s leicht. Aber ich? Ist das denn noch ein Leben, Tag für Tag um dich sein zu müssen als eine Fremde, eine Kollegin, die nur ein paar gleichgültige Worte für dich haben darf? Höchstens daß wir alle vier Wochen mal wie heute uns ein paar Stunden stehlen dürfen, heimlich, unter freiem Himmel wie zwei Obdachlose.“ Sie bleibt plötzlich stehen und sieht den Mann aus angstvoll flehenden Augen an. „Olaf! Ich hab’ dich früher schon darum gebeten und tu es noch einmal! Du bist seit drei Jahren für die