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"Im Schatten um Russlands Thron" ist eine eindrückliche Geschichte, die in mannigfaltiger Art die Ära Russlands der Zwischenkriegszeit wiedergibt. Abenteuerlich, tückisch und komplex, fesselt Axel Rudolphs Roman den Leser vom ersten Augenblick an. – Lesenswert!-
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Seitenzahl: 239
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Axel Rudolph
Saga
Schatten um Rußlands ThronCopyright © 1937, 2019 Axel Rudolph und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711445181
1. Ebook-Auflage, 2019 Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
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Sankt Petersburg.
Träge wälzt sich die Newa vorbei an der breiten, graden Uferstrasse. Drüben, jenseits des Flusses, steigen aus feuchten Märznebeln die grauen Bastionen und nadelspitzen Türme der Peter-Paul-Festung.
Unruhe ist in der Luft. Mit dem Winter kämpfen die ersten Frühjahrswinde. Ahnungsvoll knirschen und reiben sich die treibenden Eisschollen im Fluss, aneinander. Kommt das dumpfe Getöse von ihnen her oder ist es etwas anderes, das sich da wie Brausen und Grollen von Fernher heranwälzt?
Die Dworniks, die vor den Häusern den nassen, halbgetauten Schnee zusammenfegen, halten in ihrer Arbeit inne und blicken unruhig nach der Richtung, aus der das Brausen anschwillt. Selbst der dickwattierte Iswoschtschik dort an der Ecke hebt den Kopf und reckt sich ein bisschen auf seinem Kutschbock.
Nun quillt es hervor aus der Nebenstrasse, eine erregte, wild durcheinanderflutende Menschenmenge. Stahlglänzende Bajonette in ihrer Mitte.
„Gefangene“, sagt ein Hausverwalter, der zu dem Kutscher an der Ecke getreten ist, und bekreuzigt sich. „Arme Teufel, die man zur Festung führt.“
„Zurück da! Pack!“ Ein baumlanger Sergeant mit rotem Gesicht, der den Transport führt, sucht die den Zug umdrängende Menge fortzuscheuchen, aber heute scheint die bleiche Furcht, die das Volk sonst gefesselt hält, dahin zu sein. Ist das Mass so voll, dass es zwangsläufig überschäumt, oder wissen die Leute, dass den Soldaten, die da stumm neben den Gefangenen marschieren, selber der Ingrimm in der Seele brennt, dass sie nicht schiessen werden, selbst wenn man es ihnen befehlen sollte — die Menge lässt sich nicht verjagen. Drängend und stossend, schreiend und schimpfend laufen die Bürger neben dem Zuge her, drängen sich zwischen die Wachtsoldaten und stecken den Gefangenen ohne Scheu Lebensmittel und Tabak zu.
Etwa fünfzig Männer sind es, die von den Bajonetten eskortiert werden, ernste, von Arbeit durchgeistigte alte Gesichter, junge Menschen von aufrechter, stolzer Haltung. Manche von ihnen tragen Offiziersuniform.
„Man führt wieder neue Schlachtopfer in die Kasematten!“
„Gott sei mit euch, Brüder!“
Drohender, lauter werden die Rufe der Empörung. Die Menge wächst. Fast wird der Zug gegen die Häuserfront gedrängt. Der Sergeant flucht und schimpft.
,,Fort da, ihr schlechtes Gesindel! Gebt den Weg frei, oder . . .“
„Halt!“
Das ist eine Kommandostimme. Der Sergeant schaut verdutzt empor zu dem behäbigen, untersetzten Mann in Generalsuniform, der von der kleinen Freitreppe da mit mächtigem Bass das Wort gerufen hat, er gibt seinen Soldaten ein Zeichen. Wie ungebärdige Meereswogen stösst der Schwall der Menschen gegen den plötzlich wie zu Fels erstarrenden Zug.
Der kleine Mann in Generalsuniform ist die wenigen Stufen zur Strasse hinuntergestiegen, stösst mit den Armen rücksichtslos die im Wege Stehenden beiseite.
„Wohin Sergeant?“
Der Transportführer salutiert. „Zur Peter-Paul-Festung, Exzellenz. Man hat mir befohlen . . .“
Der General wendet ihm den Rücken. Sein Blick fliegt über die Schar der Gefangenen, bleibt an einem hochgewachsenen jungen Mann in Fähnrichsuniform haften.
„Auch du, Feodor Andrejewitsch?“
Der Gefangene hat Stellung genommen. Voll und offen ruht sein Blick in den Augen des Generals. „Wer Russland liebt, kann nicht zusehen, wie der Zar es den Jakobinern ausliefert, General Kutusow!“
„Halt dein ungewaschenes Maul, Junge!“ knurrt der General. Dann tritt er auf den jungen Mann zu und umarmt ihn. „Ich werde deinen Vater benachrichtigen.“ Wendet sich zu dem Transportführer und winkt heftig mit der Hand.
„Pascholl, Sergeant!“
Weiter marschiert der traurige Zug. General Kutusow wendet sich und stösst dabei mit einem alten Mann zusammen, der ihm nicht schnell genug ausweichen konnte.
„Sieh dich vor, Muschik! Kannst du einem General nicht Platz machen?“
Ein derber Knuff begleitet die Worte. Der Alte taumelt zur Seite und verneigt sich demütig. Tränen rinnen ihm dabei in den Bart.
General Kutusow verhält erstaunt den Schritt. „Warum weinst du, he?“
Wieder bekreuzigt sich der Alte: „Gott hat mich gestraft, Eure hohe Exzellenz. Ich bin aus Kaschira, im Gouvernement Tula. Alles hat man mir genommen, meinen Jungen, mein Weib — alles.“
„Wirst du verdient haben, Bauer.“
„So ist es, Eure Herrlichkeit.“ Der Alte schlürft hinter dem General her, der stampfend zu seinem vorgefahrenen Wagen schreitet. „Aber der Zar ist gnädig. Ich bin hierhergekommen, um mich ihm zu Füssen zu werfen, um Gnade zu bitten. Die Torwache hat mich geprügelt und davongejagt.“
„Scher’ dich zum Teufel!“ General Kutusow hat bereits einen Fuss auf dem Trittbrett seines Wagens, als er plötzlich innehält. Er greift in die Tasche und schleudert dem Alten ein Goldstück an den Kopf.
„Da! Besauf dich!“
Lässt sich Sann mit einem Schnaufen in das Polster fallen. „Zum Kasino, Iwan! Lass die Pferde laufen!“
„Was möchten Sie von mir wissen, Graf Pahlen?“
Lächelnd, die winzige Teetasse graziös in ihrer Linken balancierend, schaut Juliane Krüdener zu dem ihr Gegenübersitzenden auf. Der Ministerpräsident Graf Pahlen, dessen Gestalt die zierliche Figur der Baronin Krüdener um Kopfeslänge überragt, streicht sich das bartlose, energisch geformte Kinn.
„Vielerlei, Baronin. Vor allem möchte ich Ihnen meinen ergebensten Dank aussprechen, dass Sie meine Bitte erfüllt haben, diesen Nachmittag mein Haus mit Ihrer Gegenwart zu verschönen. Dann aber möchte ich wissen . . .“ Pahlens verbindliches Gesicht wird jählings ernst und eisern . . . „ob Sie etwas wissen!“
Juliane Krüdener lächelt unschuldig. „Von der Verschwörung, meinen Sie?“
Graf Pahlens Augenlider zucken etwas nervös. Einen Augenblick presst er die schmalen Lippen zusammen. „Ihre guten Verbindungen zur Diplomatie sind bekannt, meine Gnädigste. Dennoch überrascht es mich, dass Sie anscheinend auch über diese Sache informiert sind.“
„Haben Sie es nicht vorausgesetzt, lieber Graf? Ihre erste Frage liess es jedenfalls vermuten.“
Pahlen nickte bestätigend. „Ich erfuhr allerdings von einer gewissen Äusserung, die Sie vor einigen Tagen bei der Soiree im Palais Wolkonski getan haben. Und dieser Äusserung . . .“
„ . . . verdanke ich die heutige liebenswürdige Einladung des Herrn Ministerpräsidenten“, fällt die Krüdener lächelnd ein. ,,Wollen wir nicht mit offenen Karten spielen, Graf?“
„Wie Sie befehlen.“ Pahlen sieht seiner Besucherin entschlossen ins Gesicht. „Sie — kennen also einen der — Verschworenen?“
„Nein. Aber ich kenne Sie, Graf Pahlen!“
Aufmerksam, alle Sinne gespannt, blickt Pahlen sie an. „Wie, wünschen Sie, dass ich dies verstehe?“
Noch immer lächelt die Baronin Krüdener unschuldsvoll. Ihre wohlgeformten Schultern heben und senken sich kurz. „Die Verhältnisse unter der Regierung Seiner Majestät des Zaren Paul drängen unerbittlich zu einer Entscheidung. Jedes Kind kennt die erbitterte Stimmung im Volke. Die Herren Offiziere machen kein Hehl aus ihrer Gesinnung. Es liegt auf der Hand, dass infolge der zum mindesten — unvorsichtigen Dekrete Seiner Majestät eine Verschwörung, die auf eine Änderung der bestehenden Zustände hinzielt, nicht nur bei der Armee, sondern auch im Volke restlose Zustimmung finden würde. Sollte Graf Pahlen der Mann sein, eine solche Chance ungenutzt vorübergehen zu lassen?“
Pahlens Stirn hat sich umvölkt. „Sie sind wirklich fabelhaft gut informiert, Baronin.“
„Gar nicht. Es gehört nur eine bescheidene Kombinationsgabe dazu, dies einzusehen. Wer sollte geeignet sein, zu handeln, wenn nicht Graf Pahlen, Ministerpräsident und mächtigster Mann am Zarenhofe!“
„Zum Wohle Russlands handeln — meinen Sie?“
Eine Sekunde stutzt Juliane Krüdener. Dann neigt sie lächelnd den Kopf. „Nichts anderes wollte ich ausdrücken, Exzellenz.“
Graf Pahlen schweigt einen Augenblick überlegend. Dann weicht auch der Ernst seines Gesichts einem leisen Lächeln.
„Ich bewundere Ihre Klugheit, Baronin, die höchstens noch von Ihrer Schönheit übertroffen wird, und ich stehe nicht an, Ihnen einzugestehen, dass Ihre Kombination richtig ist. Ich hoffe, dass Sie mit dieser offenen Antwort zufrieden sind.“
„Ich weiss sie zu schätzen, Graf Pahlen. War das alles, was Sie von mir wissen wollten?“
Wieder zieht ein leiser Schatten über Pahlens Stirn. Es ist wirklich schwer, dieser Frau gegenüber den richtigen Ton zu finden. Und dabei sollte man meinen . . . Pah, wer ist sie denn, diese Baronin Krüdener! Eine Dame aus kleinem baltischen Landadel, die junge Witwe des verstorbenen russischen Gesandten in Berlin, eine Frau, die in den Salons von Petersburg wegen ihrer geistreichen Spöttereien und literarischen Ambitionen geschätzt ist — sonst nichts. Er dagegen ist der allmächtige Ministerpräsident, Vertrauter des Zaren, der Mann, zu dem halb Russland aufschaut wie zu einem Halbgott. Und dennoch vermag Pahlen ihr gegenüber nicht die Überlegenheit zu finden, die ihm seine hohe Stellung eigentlich geben müsste.
„Sie haben von diesen heiklen Dingen gewusst und trotzdem geschwiegen“, sagt er unmutig. „Ich möchte wissen, welche Pläne Sie eigentlich verfolgen, Baronin.“
„Das nenne ich wirklich offen gesprochen“, lächelt Juliane, wird aber im nächsten Augenblick unversehens ebenso ernst wie ihr Gegenüber. „Wenn ich nicht irre, steht auch Seine Kaiserliche Hoheit, der Zarerwitsch, Ihrem — Vorhaben sympathisch gegenüber?“
„Ja.“ Fast rauh kommt die knappe Antwort, fast wie eine Drohung. Juliane Krüdener sieht dem Grafen fest in die Augen.
„Ich werde immer auf der Seite sein, auf der Kronprinz Alexander steht.“
Erleichtert atmet Pahlen auf. Das also ist es! Zum Teufel mit Subkoff und den anderen, die in dieser Baronin Krüdener eine gefährliche Intrigantin sehen und ihm mit Warnungen den Kopf heiss gemacht haben! Eine ehrgeizige, schöne junge Frau, die sich in die Gunst des jungen Thronfolgers einschmeicheln möchte, der vielleicht bald Zar sein wird! Harmlos! Mag sein, dass die gute Juliane insgeheim davon träumt, eines Tages mit Hilfe des Kronprinzen Alexanders so etwas wie eine kleine Pompadour zu werden. Nun, mag sie das immerhin. Es besteht wenig Aussicht, dass dieser Traum jemals in Erfüllung geht. Der Zarewitsch Alexander bevorzugt die Gräfin Natalie Narischkin, vor deren anerkannter Schönheit selbst die Reize der Baronin Krüdener zurückstehen müssen. Und selbst wenn es ihr eines Tages gelingen sollte, die Narischkin zu verdrängen — Graf Pahlen wird dafür sorgen, dass Russlands Politik nicht von den weichen Händen einer verliebten Frau gemacht wird, sondern von Männern.
Pahlens Ernst verwandelt sich in lächelnde, geschmeidige Verbindlichkeit. Jetzt ist er wirklich der Ministerpräsident, der hohe Herr, der die kleine Baronin Krüdener unnahbar überragt.
„Wir dürfen Sie also als eine Bundesgenossin betrachten, Baronin? Charmant! Ich freue mich darauf, nach dem Erfolg, Seiner Majestät, dem Zaren Alexander von Ihnen berichten zu können.“
Juliane Krüdener wiegt den Kopf. „Sind Sie des Erfolges so sicher, Graf? Zar Paul ist misstrauisch, und die Macht liegt noch in seiner Hand. Ein winziger taktischer Fehler hat oft im letzten Augenblick die klügsten Pläne zuschanden gemacht.“
Sorglos bedient Pahlen am Teetisch seinen Gast. „Es wird keinen solchen Fehler geben können, liebe Baronin. Ich bin meiner Sache so sicher, dass ich Ihnen sogar die Einzelheiten unserer — Aktion verraten will. In der Stunde der Entscheidung werden drei Kolonnen der Garde von verschiedenen Seiten vorrücken und das Winterpalais besetzen, stark genug, um etwaige Sicherungsmassnahmen zu bewältigen und geführt von . . .“
„ . . . Seiner Exzellenz, dem Ministerpräsidenten Graf Pahlen!“
„Nein“, lächelt Pahlen überlegen. „Ich selber folge mit einer vierten und stärksten Kolonne, mit der Garde.“
„Um den Ausschlag zu geben!“ nickt die Krüdener lebhaft. „Vorzüglich, Graf! Klappt die Geschichte, so übernehmen Sie als Oberkommandierender die Zügel. Sollte aber wider Erwarten Zar Paul Wind bekommen oder gewisse Umstände eintreten, so erscheint Graf Pahlen mit der vierten Kolonne — als Retter!“
Pahlen stutzt. Dieser Gedanke . . .! Die Krüdener ist wirklich eine sehr kluge Frau. „Ich hoffe, Sie werden mir nicht zutrauen, meine Kameraden zu verraten“, sagt er langsam.
Wieder lächelt Juliane Krüdener herzlich. „Graf Pahlen wird auch das können, wenn es — zum Wohle Russlands nötig sein sollte.“
Ist das Spott oder Ernst? Einen Augenblick will Pahlen wieder der Argwohn überschleichen, als ob diese Frau mit ihm spiele. Die Kameraden kommen ihm in den Sinn, die ihn vor der Krüdener gewarnt und ihn aufgefordert haben, sie rechtzeitig „aus dem Wege zu räumen“. Es wäre leicht genug. Eine Verdächtigung würde genügen, um Juliane Krüdener auf Befehl des Zaren Paul in der Peter-Paul-Festung verschwinden zu lassen. Aber Juliane Krüdener lächelt harmlos. In ihren grossen, klugen Augen, die den Blick Pahlens ruhig aushalten, ist nichts, das auf Spott und Ironie deutet. Pahlen zwingt den aufsteigenden Argwohn zurück und neigt ernst den Kopf.
„Nun ja. Für Russlands Wohl — auch das.“
„Wir verstehen uns, Graf Pahlen.“
„Die Karten liegen offen auf dem Tisch. Unnötig zu versichern, Baronin, dass nach dem Erfolg Ihre Wünsche stets meine wärmste Unterstützung finden werden.“
Juliane Krüdener steht auf. „Sehr verbunden, Graf Pahlen. Aber für die Erfüllung meiner Wünsche sorge ich schon selbst.“
Sekundenlang ist wieder dies fanatisch-energische Blitzen in ihren grauen Augen, das Pahlen vorhin so betroffen machte, sekundenlang ein leises Stutzen, Warnen in seinem Innern. Aber er wirft es weg. zu klein, zu lächerlich sind diese Wünsche, von denen Juliane Krüdener spricht. Der Traum einer kleinen Frau, die eine Nebenbuhlerin verdrängen und selber die Freundin des Kronprinzen werden möchte. Belanglos, ungefährlich für Russland und den Grafen Pahlen!
Juliane Krüdener den Arm bietend, geleitet er sie ritterlich zum Vorzimmer. „Ich bitte um das Glück, Sie heute abend zum Ball des Leibgrenadierregiments führen zu dürfen, Baronin.“
,,Seine Kaiserliche Hoheit, der Zarewitsch!“
Sporenklirren, feste Schritte im Vorsaal, rasches, dienstliches Zurücktreten des Adjutanten — in der Uniform des Leibgrenadierregiments, den Hut im Arm, tritt Kronprinz Alexander in das Arbeitsgemach seines Vaters, hochgewachsen, schlank und elegant. Ein schöner Mann, der Zarewitsch. Man munkelt in Hofkreisen hundert Geschichten von Damen, die seinetwegen Herzschmerzen haben, und wahr ist es: Kronprinz Alexanders männlich schöne Züge sind das Idealbild der Schönen am Petersburger Hof. Er ist umschwärmt wie kein Zweiter, und nicht nur, weil man den Thronerben in ihm sieht. Sonderbar genug, dass dieser junge, blendende Zarewitsch bisher den Lockungen weiblicher Reize widerstanden hat. Da ist allerdings die junge Gräfin Natalie Narischkin, die in hohem Masse seine Gunst geniesst. Die Neider und Klatschbasen am Hofe haben daraus längst ein Liebesverhältnis gemacht, aber die Vernünftigen müssen sich gestehen, dass es noch niemand gelungen ist, einen Beweis dafür zu erbringen. Der Zarewitsch bevorzugt die Narischkin auffallend, sie geniesst sein Vertrauen, bei Galabällen und anderen Festlichkeiten macht er ihr gelegentlich sogar regelrecht den Hof, aber wenn man glaubt, ihn ertappt zu haben, wendet er sich mit herzlicher Freundlichkeit an seine Gemahlin, die stille, zurückhaltende Kronprinzessin Elisabeth. Schwer, sehr schwer zu deuten ist das Wesen Alexanders und macht am meisten Kopfzerbrechen dem, der in dem blühenden, bestechenden Nachfolger täglich das langsam, aber unerbittlich herannahende Ende seiner eigenen Tage sieht.
Grämlich, misstrauisch hebt Zar Paul I. den Kopf und mustert über den mächtigen Schreibtisch hinweg seinen Sohn, der in der vorschriftsmässigen, dienstlichen Haltung vor ihm erstarrt ist.
„Bitte kurz, Alexander. Ich habe wenig Zeit.“
„Majestät!“ Die Züge des Kronprinzen drücken höchste innere Erregung aus. „Sie wollen wirklich den französischen Gesandten empfangen? Erlauben Sie mir, noch einmal zu sagen: Es tut nicht gut! Dies Bündnis mit revolutionären Königsmördern an der Seine ist unserm Volk verhasst.“
„Bist du der Anwalt des Volkes?“ In unverhohlenem Argwohn ruhen die unsteten Augen des Zaren auf dem Kronprinzen. „Mische dich gefälligst nicht in meine Politik, sondern kümmere dich um deine militärischen Obliegenheiten.“
„Majestät, ich komme in letzter Stunde. Nicht zu meinem Vater, nicht zum Selbstherrscher aller Reussen, sondern zu Zar Paul, dem letzten Ritter ohne Furcht und Tadel, dem Grossherrn des Johanniterkreuzes — und ich weiss, er wird das Gebot der Ehre und des Rechts hören.“
„Nicht so unrichtig, nicht so unrichtig.“ Paul I. erhebt sich, geschmeichelt wie immer, wenn man ihn an diese Würde erinnert, geht wie beiläufig zu dem zwischen zwei Fenstern angebrachten hohen Spiegel und liebäugelt mit dem breiten Ordensband, das sich über seine Brust zieht. „Ich höre, Alexander. Was hast du mir zu sagen?“
„Das Bündnis mit Frankreich . . .“
Der Kronprinz bricht ab, denn Paul I. hat eine kurze Handbewegung gemacht und lauscht. Fanfarengeschmetter dringt von der Strasse herauf, Räderrollen, Hufgeklapper. Dazwischen aber noch andere Laute: ein dumpfes, anschwellendes Brausen, aus dem sich laute Schmährufe lösen. Paul I. tritt an das Fenster und wirft hinter den Gardinen einen finsteren Blick auf den Schlossplatz hinunter, wendet sich dann stirnrunzelnd um.
„Was hat das zu bedeuten?“
„Wahrscheinlich der französische Gesandte, der mit allem Pomp zur Audienz fährt.“ Alexander zuckt die Achseln. „Das Volk bereitet ihm auf seine Weise eine kleine Ovation.“
Ausgelöscht die selbstgefällige Eitelkeit und die bereitwillige Freundlichkeit im Gesicht des Zaren. Wut und Grausamkeit verzerren seine Züge.
„Ich werde die Garde in das Pack feuern lassen! Ich werde . . . Du wolltest etwas sagen, Alexander?“
„Nur, dass die Truppe die Gefühle des Volkes teilt, Majestät.“
„Du meinst wohl, meine Herren Offiziere! Die Offiziere deines Regiments!“ Mit einem hässlichen Lachen setzt Zar Paul sich an seinen Schreibtisch und wirft jagend einige Zeilen auf ein Blatt, klingelt heftig.
„Dem Ministerpräsidenten Graf Pahlen“, zischt er förmlich den eintretenden Adjutanten an. „Ordre, das wachhabende Regiment abzulösen. Pahlen bestimmt künftig, welche Truppenteile die Wache im Schloss beziehen!“
„Zu Befehl, Majestät!“ Der Adjutant nimmt das Blatt entgegen und schlägt noch einmal die Hacken zusammen. „Der französische Gesandte Ew. Majestät. Er wartet im Audienzsaal.“
„Majestät! Vater!!“ flehend, beschwörend die Stimme des Kronprinzen. Paul I. mustert scharf seinen Sohn.
„Nichts mehr. Du hörst, ich habe zu tun!“
Durch die breite Flügeltür, Sie der Adjutant aufreisst, geht Paul I. mit festen Schritten in den Audienzsaal, ohne seinen Sohn noch eines Blickes zu würdigen.
Hoffnungslos, mit hängenden Armen bleibt Kronprinz Alexander allein im Arbeitsgemach zurück. Von unten her dringen noch immer Rufe und erregtes Gemurmel herauf, ein paar schneidende Kommandostimmen dazwischen. Alexander zuckt bitter die Achseln. Umsonst. Der Zar hört dich nicht, russisches Volk, weder dich noch die Stimme des leiblichen Sohnes.
Der Zar. Der Vater. — Sorgenschwer wandern die Blicke des Kronprinzen über das Gemach zu den lebensgrossen, in kostbaren Goldrahmen steckenden Gemälden an der Wand, aus denen die Gestalten der russischen Herrscher herabschauen. Man munkelt, dass der Wahnsinn auf dem Zarenthron sitzt, und es ist wahr: Das unstete, jähzornige, misstrauische Wesen Pauls I., seine willkürlichen Urteile, die Hinrichtungen und Verbannungen, seine Rasereianfälle und seine komödiantenhafte Eitelkeit sind nicht mehr auf vernünftige Weise zu erklären. Aber kann es anders sein? Kann ein Mann, der im Schatten der grossen Katharina aufgewachsen ist, der die Ermordung des Vaters erlebt und von Kindheit auf für sein eigenes Leben gezittert hat, anders sein als argwöhnisch, grausam, gewalttätig, selbst den engsten Verwandten gegenüber? Doch wenn dieser Wahnwitz, diese Gewalttätigkeit übergreift auf das Geschick des ganzen Volkes, Russland an den Rand des Abgrunds führt, dann . . . dann . . . Kronprinz Alexander seufzt tief auf. Schwer, unsäglich schwer wird es sein, eines Tages diese Krone zu tragen, deren Rubine leuchten wie unverwischbare Blutflecke! Nur eines wird sie leichter machen können: Das Bewusstsein, dass man sie trägt für Russlands Wohl.
Draussen geht das Murmeln unter in lauten Schreckensschreien. Wilde Massenflucht fegt über den Schlossplatz. Hufe donnern. Die Gardekosaken reiten an.
„Pahlen“, denkt Kronprinz Alexander. „Der allmächtige Ministerpräsident, der einzige wirkliche Vertraute Zar Pauls I. Und dabei doch . . . Dieser Mann, der jetzt so prompt den Befehl seines Zaren ausführt, mitleidlos die Kosaken einhauen lässt auf das Volk, das ist derselbe Mann, der schon vor Wochen in geheimer Beratung mit dem Zarewitsch Alexander das Wort gesprochen hat:
„Die Abdankung des Zaren und die Übernahme der Herrschaft durch Eure Kaiserliche Hoheit ist die einzige Rettung Russlands!“
Hell strahlen die Kerzen der grossen Kronleuchter im Offizierskasino des Leibgrenadierregiments. Im grossen Ballsaal flutet die beste Petersburger Gesellschaft, vorwiegend Offiziere der kaiserlichen Garde mit ihren Damen, dazwischen Hofleute, hohe Beamte, Minister, der halbe Gouvernementsadel. Ganz im Hintergrunde, über der Empore der Musikkapelle, eine mächtige Samtdraperie, auf der das Wappen und der Namenszug des Zaren prangen.
„Du willst wirklich fort, Natalie?“
„Ich muss! Du hörst ja, Alexej . . .“ Ungeduldig wehrt die schöne junge Dame den Gardeleutnant ab, der sie am Eingang des Saales zurückhalten will, nimmt aus der Hand eines Lakaien Schal und Mantille.
„Gut. Dann begleite ich dich! — Lakai! Säbel und Mantel!“
„Das wirst du nicht, Alexej!“ Ärgerlich sieht Natalie Narischkin den jungen Mann an. „Ich sagte dir doch, dass ich eine Verabredung habe . . .“
,,Mit dem Zarewitsch!“ knirscht der Leutnant.
„Ich halte das nicht mehr aus, Natalie! Ich dulde nicht, dass du dich wegwirfst!“
„Keine Szene, bitte!“ Natalie Narischkin drückt verstohlen zärtlich die Hand des jungen Mannes. Einen Augenblick ruhen ihre mandelförmigen, dunklen Augen fast betrübt auf seinem vor leidenschaftlicher Eifersucht geröteten Gesicht. „Wann wirst du endlich begreifen, Alexej, dass ich nur für dich handle! Der Zarewitsch liebt mich, — vielleicht. Nun gut. Folgt daraus, dass ich ihn wieder lieben muss?“
„Er zeichnet dich aus! Er empfängt dich! Nie, wenn du nicht an meiner Seite bist, weiss ich, ob du nicht bei ihm weilst! Ganz Petersburg erzählt sich, dass der Zarewitsch dich mit seiner Gunst beehrt.“
„Und ich lasse es mir gefallen, nicht wahr? Weisst du denn noch immer nicht, Alexej, dass ich dich liebe? Ihr Männer seid nie zufriedenzustellen! Was man auch immer euch gibt, stets wollt ihr weitere, neue Beweise unserer Liebe. Soll ich den Zarewitsch vor den Kopf stossen? Begreif doch, Lieber! Für dich, für unsere Zukunft lächle ich Seiner Kaiserlichen Hoheit! So Gott will, wirst du noch zehn Jahre unter Zar Paul dienen, den Rest deines Lebens aber unter — Zar Alexander. Man muss vorsorgen, Lieber.“
„Gleichviel! Ich gehe mit dir! Ich will wissen, zu wem du jetzt gehst!“
„Still! Kein Wort mehr!“ Natalie Narischkin fasst heftig den Arm des Leutnants und blickt nach dem Saaleingang, wo eine Bewegung entstanden ist. Offiziere nehmen dienstlich Stellung, Damen und Herren verneigen sich vor einem schlanken, hochgewachsenen Herrn in der goldbestickten Ministeruniform, der an der Seite einer etwas kleineren, selbstbewusst einherschreitenden Dame eingetreten ist. Natalie Narischkin gibt ihrem Verlobten einen kleinen Stoss, um seine Aufmerksamkeit auf das Paar hinzulenken. „Graf Pahlen und die Krüdener!“
,,Einen Augenblick, lieber Pahlen.“ Die Augen der Baronin Krüdener, die aufmerksam über den Saal geschweift sind, während ihr Mund lächelnd die Komplimente der empfangenden Herren beantwortete, haben das junge Paar entdeckt. Mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln kommt sie direkt auf die beiden zu.
„Sie wollen doch nicht fort, liebste Narischkin?“
„Ich muss — zu meinem Bedauern. Eine Verabredung dringender Art . . .“
„Ich verstehe“, lächelt die Baronin Krüdener etwas anzüglich. „Aber nicht, bevor Sie mich mit diesem charmanten jungen Kavalier da bekannt gemacht haben.“
„Alexander Orlow, Leutnant im Leibgrenadierregiment Seiner Majestät“, stellt der junge Offizier, stramm aufgerichtet, sich selber vor, als Natalie unwillkürlich zögert. Die Baronin Krüdener neigt lächelnd den Kopf.
„Alexander? Ein Name von guter Vorbedeutung, nicht wahr, beste Narischkin?“ Eine Sekunde lang tauchen ihre grauen, grossen Augen tief in die des jungen Offiziers. Dann macht sie eine leichte Schulterbewegung zu dem herantretenden Grafen Pahlen. „Sie entschuldigen mich einen Augenblick, Graf. Ich möchte mit Leutnant Orlow tanzen.“
„Du sagtest doch vorhin . . .“ Fast ängstlich greift Natalie nach dem Arm ihres Verlobten. „Willst du mich nicht begleiten, Alexej?“
„Ich denke, du wolltest allein gehen?“ Alexej Orlows Augen hängen wie gebannt an der Baronin Krüdener, die seinen Blick nicht loslässt. Es sind nur Sekunden, aber sie entscheiden ein Schicksal. Juliane Krüdener ist keine so glänzende Schönheit wie Natalie Narischkin. Sie ist fünf Jahre älter, und ihr Gesicht ist zwar regelmässig, aber von einer gewissen herben Strenge. Doch ihre Augen sind gefährlich, diese klugen, grossen Augen, die mit einem kurzen Blitz Männer fesseln können.
„Lassen Sie sich nicht aufhalten, Liebste“, wendet sie sich mit überlegenem Lächeln an Natalie, die noch immer den Arm Orlows umklammert hält. „Man darf nicht warten lassen, am allerwenigsten den — Zarewitsch. Was mich betrifft, ich ziehe diesen Alexander vor.“
„Und ich — Sie, gnädigste Baronin!“ bricht Orlow flammend aus. ,,Gestatten Sie, dass ich Sie zum Tanze führe!“
In ohnmächtigem Zorn starrt Natalie Narischkin dem Paare nach. Wie vertraulich die Krüdener sich an Alexej schmiegt! Wie sie lächelt, die Schlange! Und er? Keinen Blick hat er mehr für andere! Glühend, fasziniert hängen seine Augen an der Frau, die er führt. Natalie Narischkin zerknüllt ihr Spitzentuch in der Hand. Dann wirft sie rasch ihren Schal um und eilt aus dem Saal, Tränen ohnmächtigen Zornes in den Augen. —
„Das gibt zu denken“, sagt der Oberst Fürst Suboff, der neben den Ministerpräsidenten Graf Pahlen getreten ist. „Haben Sie gesehen, wie die Krüdener den Verlobten der Narischkin eskamotierte? Eine gefährliche Frau, die Krüdener.“
„Lassen wir ihr den kleinen Triumph.“ Pahlen lächelt leichthin. Im nächsten Augenblick aber verdrängt strenger Ernst seine Fröhlichkeit. „Ist Kutusow schon hier?“
„Er sitzt drinnen im Spielzimmer.“ Suboff zuckt die Achseln. „Raucht und trinkt — wie gewöhnlich.“
„Wir müssen ihn haben!“ Graf Pahlen fasst den Freund am Arm und zieht ihn mit sich quer durch den Ballsaal, mit lächelnder Maske nach allen Seiten grüssend.
Tabakschwaden und Alkoholdunst drinnen im Spielzimmer, wo ein Dutzend Offiziere beim Eintritt Pahlens emporschnellen und salutierend Stellung nehmen. Nur der General Kutusow bleibt in seinem Sessel am Kamin sitzen. Er hat die Knöpfe seines Uniformrocks geöffnet und eine ganze Batterie von dickleibigen Flaschen vor sich auf dem Tischchen stehen. Aus rotem Gesicht glänzen seine kleinen Äuglein gutmütig dem Eintretenden entgegen.
„Hast du schon gehört, Pahlen, dass Schuwalows Sohn heute auf die Festung gebracht worden ist?“
Pahlen neigt bestätigend den Kopf. „Ja, und morgen kommen Sie an die Reihe, General.“
Kutusow feixt verächtlich. „Mich kannst du nicht bange machen, Brüderchen.“
„Aber die Lage ist ernst.“ In tiefer, innerer Erregung tritt Pahlen dicht vor den General hin. „Sagen Sie doch selbst, was soll aus Russland werden! Ein wahnsinniger Herrscher auf dem Thron. Jeder Tag bringt neue Bedrückungen, Gewalttaten, Verhaftungen, Hinrichtungen. Die Politik des Zaren treibt uns den Franzosen in die Arme. Soll Russland nun auch, wie andere Reiche, ein Spielplatz jakobinischer Ideen werden? Vasallenstaat Napoleons?“
„Wir müssen handeln!“
„Wir zählen auf Sie, Exzellenz!“
Fürst Suboff, der Flügeladjutant Wolkonski, der Obrist Araktschejew, der General Bennigsen, — alle, die sich im Spielzimmer befinden, haben sich um die beiden geschart und blicken Kutusow erregt und gespannt an. Der trinkt mit Behagen sein Glas aus und erhebt sich ächzend und etwas schwerfällig.
„Ihr sagt Russland und meint euch selbst. Russland? Was wisst ihr von Russland?“ Kutusow schlägt sich mit der Faust vor die breite Brust. „Russland sitzt hier! Nicht in euern seidenen Rökken und auch nicht auf eurem verdammten Parkettboden und in euren französischen Parfüms. Russland ist zu gross für eure kleinen Verschwörungen und Intrigen!“
„Belieben Sie zu bedenken, General: Napoleon! Wenn das Volk erst im Gegensatz gebracht ist zu seinem Zaren, durchseucht mit den jakobinischen Ideen, wird der korsische Wolf sich nicht bedenken, in Russland einzumarschieren. Das Bündnis mit Frankreich ist letzten Endes — der Krieg!“
Kutusow hat ein neues Glas ergriffen, trinkt es mit einem Zuge aus und schmettert es auf den Boden. ,,Russland ist gross“, wiederholt er, mit weinseligen Augen um sich blickend. „Gross genug, um ein Grab zu werden, auch für den Napoleon und seine Franzosen. Gott schütze den Zaren!“
Eisiges Schweigen. Niemand stimmt in den Ruf ein wie sonst. Betreten, mit zusammengekniffenen Lippen, starren die Offiziere zu Boden. Kutusow sieht sich schweigend im Kreise um.
„So steht es also mit euch? Nun, Gott mit euch, Brüderchen. Ich will nichts damit zu tun haben. Ich gehe!“
Und General Kutusow knöpft schwerfällig seinen Uniformrock zu, tätschelt einem jüngeren Offizier, der ihm mechanisch Säbel und Mütze reicht, väterlich die Wangen und wandert mit leichtem Schwanken dem Ausgang zu. —
„Er wird uns verraten!!“
Graf Pahlen beruhigt mit einer lässigen Handbewegung den Fürsten Suboff, der den Ruf ausgestossen hat, als Kutusow hinter der Tür verschwunden ist.
„Der Zar vertraut mir! Es muss ohne Kutusow gehen. Diese Altrussen sind schwerfällig wie die Bären. Russlands Geschick haben von jeher wir gemacht.“
Stolz in den Blicken der Offiziere, gerechter Stolz und selbstbewusstes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die meisten von ihnen entstammen dem baltischen Adel, andere, wie Suboff und Wolkonski sind Petersburger, seit Generationen in westländischer Kultur aufgewachsen.
„Sagen Sie, wie es steht, Pahlen“, drängt der General Bennigsen.
„Das Bündnis mit Frankreich ist beschlossen. Heute hat der Zarewitsch noch einmal versucht, Seine Majestät umzustimmen. Es war umsonst. Der Zar hat gleich darauf den Gesandten Frankreichs in Privataudienz empfangen.“ Pahlens Gestalt scheint zu wachsen. Seine Stimme, obwohl halblaut, nimmt plötzlich einen scharfen, schneidenden Ton an. „Das Leibregiment wird abgelöst. Heute abend beziehen die Grenadiere die Wachen im Winterpalais.“
„Unser treu ergebenes Regiment? Auf Ihren Befehl?“ Erregt umdrängen die Offiziere den Minister. „Pahlen, das ist Revolution!“
„Noch nicht.“ Lächelnd zieht Pahlen die kaiserliche Order aus der Tasche. „Es geschieht auf Befehl des Zaren. Aber die günstige Gelegenheit müssen wir benutzen. Meine Herren, ich erwarte Sie um elf Uhr in der Wachtstube des Winterpalais. Die Gardetruppen, mit wenigen Ausnahmen, stehen auf unserer Seite, das Volk . . .“
„Und — der Zarewitsch?“
„Der Zar Alexander wird sich dem Wohle Russlands nicht verschliessen“, sagt Pahlen kühl. „Auch die Stadtverwaltung geht mit uns.“
„Sie sind unheimlich entschlossen, Pahlen“, klingt in die von heissem Atem durchkeuchte Stille die Stimme des bedächtigen General Bennigsen. „Sind Sie sicher, dass alle mit Ihnen gehen, bis zur — Letzten Konsequenz?“
„Es wäre besser, wenn kein Blut vergossen werden muss“, fällt Wolkonski ein.