Der Mann, der ins KZ einbrach - Denis Avey - E-Book

Der Mann, der ins KZ einbrach E-Book

Denis Avey

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Beschreibung

Als Millionen alles getan hätten, um herauszukommen, schlich sich ein englischer Soldat ins KZ Auschwitz. Denis Avey wollte mit eigenen Augen sehen, was in dem Lager geschah. Jahrzehntelang konnte er nicht darüber sprechen. Jetzt erzählt er mit BBC-Reporter Rob Broomby seine Geschichte. Eine unglaubliche Überlebensgeschichte voller jugendlicher Waghalsigkeit und echtem Mut.

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Denis Aveymit Rob Broomby

Übersetzung aus dem Englischenvon Dietmar Schmidt

Lübbe Digital

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen Werkes

Lübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG

Titel der englischen Originalausgabe:»The Man Who Broke Into Auschwitz«

Copyright © 2011 by Denis AveyForeword Copyright © 2011 by Martin GilbertFirst published in Great Britain in 2011 by Hodder & Stoughton, An Hachette KG company

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, KölnTextredaktion: Wolfgang Neuhaus, OberhausenUmschlaggestaltung: HildenDesign, MünchenUmschlagmotiv: HildenDesign, München unter Verwendung eines Motives von © Phillip W. Kirkland / ShutterstockDatenkonvertierung E-Book:le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-8387-0427-2

Sie finden uns im Internet unterwww.luebbe.deBitte beachten Sie auch:www.lesejury.de

Im Gedenken an Ernie Lobet und anden Mann, den ich nur als Hans kannte

Vorwort

Vor Ihnen liegt ein wichtiges Buch, eine Lebenserinnerung und zugleich eine Mahnung, welche Gefahren einer Gesellschaft drohen, wenn sie zulässt, dass sich Intoleranz und Rassismus ausbreiten. Denis Avey, ein dreiundneunzigjähriger Veteran des Zweiten Weltkriegs, möchte mit diesem Buch daran erinnern, dass Faschismus und Massenmord keineswegs verschwunden sind, sondern jederzeit und überall wieder auftauchen können, auch bei uns in Mitteleuropa, wo man gesellschaftliche und soziale Errungenschaften gerne als selbstverständlich erachtet und leichtfertig der Gefahr preisgibt.

Denis Avey hat Jahrzehnte gebraucht, bis er seine traumatischen Erlebnisse so weit verarbeitet hatte, dass er sie nun erzählen kann. Hinzu kommt, dass er – anders als 1945 – heute auf Menschen trifft, die bereit sind, sich seine Geschichte anzuhören. Es ist die Geschichte eines Mannes, der nicht nur die Schrecken des Krieges, sondern auch die Hölle des Holocaust durchlitten hat. Fünfundsechzig Jahre nach Kriegsende wurde Denis Avey vom britischen Premierminister Gordon Brown empfangen, der sich die bewegende Geschichte dieses alten Mannes anhörte, seinen Mut lobte und ihn mit dem Orden »Im Dienste der Menschlichkeit« ehrte.

Es braucht Mut, um als Zeuge dieser schrecklichen Zeit auszusagen. Bis heute erinnert Denis Avey sich mit Entsetzen an einen blutüberströmten jüdischen Jungen, der strammstehen musste, während er Schläge an den Kopf bekam, und daran, wie die Zwangsarbeiter im Buna-Lager Monowitz bei Auschwitz lebten und starben – ein Lager, in dem besonders jüdische Häftlinge unter der grausamen Behandlung durch die SS-Wachmannschaften zu leiden hatten. Wer zu geschwächt war, um noch arbeiten zu können, wurde ermordet.

Denis Aveys Erlebnisse, was den Umgang der Nazis mit den Juden betrifft, sind verstörend. Dem menschlichen Verstand fällt es schwer, in eine Welt einzutauchen, die von Brutalität beherrscht wird und in der jede noch so kleine Geste der Menschlichkeit – wie die Denis Aveys gegenüber einem holländischen Juden – ein winziges Licht des Trostes in einer Welt düsterer Trostlosigkeit bedeutet hat.

Avey berichtet von den Kämpfen in der Libyschen Wüste und von seiner Kriegsgefangenschaft, ohne sich von den Gräueln einschüchtern zu lassen, und vom Tod seines Freundes Les, der neben ihm »ins Himmelreich gebombt« wurde. »Les war der Bursche mit den funkelnden Augen, den ich aus Liverpool kannte. Ich hatte mit seiner Schwester Marjorie getanzt, hatte mit seiner Familie am Küchentisch gesessen, über ihre Witze gelacht und mit ihnen gegessen.« Doch als er mit dem Blut und den Überresten des »armen alten Les« überschüttet wird, ist sein erster Gedanke: »Gott sei Dank, dass es nicht mich erwischt hat.« Es belastet Denis Avey noch heute, dass er so reagiert hat.

Die Ehrlichkeit dieses Buches unterstreicht seine Bedeutung. Es vertieft unser Wissen und die Einblicke in einen der schlimmsten Auswüchse des SS-Staates. Die Beschreibung von Auschwitz-Monowitz ist sachlich und zutreffend. Indem Denis Avey seine britische Heeresuniform gegen die gestreiften Lumpen eines jüdischen KZ-Häftlings tauschte und sich in den jüdischen Teil des ausgedehnten Zwangsarbeitskomplexes begab, wurde er zum Kronzeugen unsäglichen Schreckens. »Ich musste mit eigenen Augen sehen, was normale Menschen in Schattenwesen verwandelte«, schreibt Avey.

Sein Buch ist ein Tribut an ihn selbst und an all jene, deren Geschichte er unbedingt erzählen wollte – ein Anliegen, das ihm so wichtig war, dass er dafür sein Leben riskiert hat.

Martin Gilbert8. Februar 2011

Prolog

22. Januar 2010

Als ich in der Downing Street vor den gesicherten Toren aus dem Taxi stieg, wurden mir sofort Mikrofone entgegengereckt. Aber was sollte ich sagen? Es ging ja nicht um meine Kampfeinsätze in der Libyschen Wüste oder um meine Gefangennahme durch die Deutschen. Er ging um die Geschehnisse in Auschwitz.

1945 hatte niemand davon hören wollen; deshalb hatte ich fast sechzig Jahre lang nicht mehr darüber gesprochen. Und meine erste Frau bekam nur die schlimmsten Nachwirkungen meiner Erlebnisse mit. Damals wachte ich häufig auf, mitten in der Nacht, schweißgebadet und in feuchten Laken, immer wieder vom gleichen Albtraum verfolgt. Ich sehe noch heute diesen armen Jungen vor mir, blutüberströmt in Habtachtstellung, während sein Kopf mit Schlägen malträtiert wird. Ich erlebe es jeden Tag aufs Neue, selbst heute noch, fast siebzig Jahre später.

Als ich Audrey kennenlernte, die später meine zweite Frau wurde, wusste sie bereits von meinen inneren Dämonen und dass ich sie Auschwitz zu verdanken hatte. Trotzdem konnte ich jahrzehntelang nicht darüber reden. Heutzutage ist es umgekehrt: Ich rede so oft darüber, dass meine Frau glaubt, ich wäre in der Vergangenheit gefangen. Deshalb rät sie mir ständig, nach vorn zu blicken und mich von den Erinnerungen zu lösen. Aber in meinem Alter ist das nicht so einfach.

Die Tür zum Amtssitz des Premierministers in der Downing Street, in der ich im Fernsehen schon oft führende Politiker des Landes hatte stehen sehen, öffnete sich, und ich trat ein. Im Flur nahm man mir den Mantel ab und führte mich die Treppe hinauf, vorbei an den gerahmten Porträts ehemaliger Premiers, darunter das von Winston Churchill, das ich erstaunlich klein fand für einen politischen Riesen wie ihn. Ich blieb stehen, auf meinen Gehstock gestützt, um wieder zu Atem zu kommen, ehe ich an den Premiers der frühen Nachkriegsjahre und schließlich an Thatcher, Major und Blair vorbei an das obere Ende der Treppe gelangte.

Dort ließ ich mich erst einmal auf einen Stuhl sinken. Schließlich war ich einundneunzig und musste mich von dem Aufstieg erholen. Ehrfürchtig sah ich mich im beeindruckenden Terracotta Room mit seiner hohen Decke und den Kronleuchtern um. Am Morgen hatte Premierminister Brown verkündet, er werde vor dem Chilcot-Untersuchungsausschuss zum Irakkrieg aussagen, sodass ich mich fragte, ob er überhaupt Zeit für mich hatte, zumal auch die Wahlen näherrückten. Doch meine Zweifel verflogen, als der Premierminister ins Zimmer kam, auf mich zutrat und meine Hand nahm.

Er sprach leise, flüsterte beinahe. Obwohl das Zimmer voller Menschen war und die Pressefotografen und Kamerateams uns zusammen aufnehmen wollten, kam mir dieser Augenblick außerordentlich privat vor. »Wir sind sehr, sehr stolz auf Sie«, sagte der Premierminister. »Es ist uns eine Ehre, Sie bei uns zu haben.«

Ich war gerührt.

Seine Frau Sarah stellte sich mir vor. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also küsste ich ihr die Hand und sagte ihr, sie sähe noch besser aus als im Fernsehen. Das entsprach der Wahrheit, aber ich hätte es trotzdem für mich behalten sollen. Komplimente aus dem Munde eines alten Herrn wirken mitunter plump; andererseits lässt man einem Einundneunzigjährigen solche Unüberlegtheiten eher durchgehen. Doch ich begab mich rasch wieder auf sicheren Boden, indem ich hinzufügte: »Mir hat die Rede gefallen, die Sie neulich gehalten haben.« Mrs. Brown dankte mir mit einem Lächeln.

Dem Premierminister wehte zu der Zeit ein politisch rauer Wind ins Gesicht, und ich sagte ihm, dass es mir nicht gefiele, wie seine Kollegen mit ihm umsprangen. Wenn er jemanden als Rückendeckung bräuchte, wäre ich sein Mann. Der Premierminister lächelte und erwiderte, er werde daran denken. »Ich möchte Ihren Job für kein Geld in der Welt«, fügte ich hinzu. Zwar hatte ich nicht für Gordon Brown gestimmt, aber er war ein anständiger Kerl, und seine Aufrichtigkeit hat mich beeindruckt.

Ich genoss seine ehrliche, ungeteilte Aufmerksamkeit so sehr, dass ich eine Zeitlang das Gefühl hatte, wir beide wären unter uns. Ich habe ein Glasauge – ein Andenken an Auschwitz – und hatte Mühe, den Premierminister mit meinem verbliebenen Auge deutlich zu sehen. Auch Mr. Brown hatte einen Sehfehler; deshalb rückten wir bei unserem Gespräch so nahe zusammen, dass wir einander fast mit der Stirn berührten.

Mr. Brown sprach von »Mut« und »Tapferkeit«, während ich ihm von Auschwitz erzählte, von der IG Farben, von der SS und allen möglichen anderen Dingen. Es sprudelte regelrecht aus mir heraus. Einmal hatte ich Schwierigkeiten, ein Wort zu finden; mir fiel nur das deutsche Wort Häftling ein. »Das geht mir genauso, wenn ich mich an diese Zeit erinnere«, sagte ein KZ-Überlebender, der ebenfalls im Zimmer war.

Kurz darauf als einer von siebenundzwanzig »Britischen Helden des Holocaust« geehrt zu werden, war ein bewegendes Erlebnis für mich. Fast alle wurden postum gewürdigt. Nur zwei von uns lebten noch – meine Wenigkeit sowie Sir Nicholas Winton, der mehr als sechshundert tschechoslowakische Kinder gerettet hatte. Ich bekam eine Medaille aus massivem Silber mit der Gravur »Im Dienste der Menschlichkeit«. Auf dem Weg nach draußen sagte ich zu einem Journalisten, dass ich nun als glücklicher Mann sterben könne. Ich hatte fast siebzig Jahre gebraucht, bis ich diese Worte auszusprechen vermochte.

Jetzt, wo ich imstande bin, über diese schreckliche Zeit zu reden, habe ich das Gefühl, als würde sich eine Last von meinen Schultern heben. Ich kann nun klar und deutlich an jenen entscheidenden Moment zurückdenken, den Augenblick des Austauschs.

Mitte 1944

Wir mussten uns beeilen. Ich wartete versteckt in dem kleinen Schuppen. Ich konnte nicht sicher sein, ob er wirklich erschien, aber dann kam er. Er war ein holländischer Jude. Ich kannte ihn als »Hans«. Als er sich zu mir hineinduckte, zog ich meine Uniformjacke aus. Hans schloss die Tür vor dem Lärm der höllischen Baustelle und streifte seine verdreckte gestreifte Häftlingskleidung ab. Er warf mir die dünnen Sachen zu, und ich schlüpfte hinein, ohne zu zögern. Dann beobachtete ich, wie er meine britische Felduniform anzog, wobei er immer wieder über die Schulter zur Tür blickte.

Mit dem Tausch unserer Kleidung hatte ich den Schutz der Genfer Konvention aufgegeben. Ich hatte Hans meine Uniform überlassen, meine Rettungsleine, meine größte Chance, lebend aus diesem Albtraum herauszukommen. Von nun an würden die Deutschen mich so behandeln, wie sie Hans behandelt hatten. Wenn sie mich schnappten, würden sie mich ohne viel Federlesens als Schwindler erschießen.

Es war Mitte 1944, als ich aus freiem Entschluss das Konzentrationslager Auschwitz III betrat.

1. Kapitel

Ich habe mich freiwillig zum Militärdienst gemeldet, aber es ging mir nicht darum, für König und Vaterland zu kämpfen, obwohl ich Patriot war. Der Grund war Abenteuerlust. Wie hätte ich auch ahnen können, welche Hölle mir bevorstand? Eine heroische Aufbruchstimmung jedenfalls gab es damals nicht. An einem schönen Augustmorgen des Jahres 1940 verließen wir Liverpool an Bord des Truppentransporters Otranto, ohne zu wissen, wohin die Reise ging.

Ich blickte über den sich verbreiternden Streifen aus braunem Mersey-Wasser auf das Royal Liver Building, ein Wahrzeichen Liverpools, und fragte mich, ob ich die grünen Liver-Vögel auf seinen Kuppeln je wiedersehen würde. Zu der Zeit war Liverpool von Bombenangriffen noch weitgehend verschont geblieben. Einen Monat nach meiner Abreise sollte sich das ändern, aber noch war Liverpool eine Stadt, die beinahe so aussah wie in Friedenszeiten. Ich war einundzwanzig Jahre alt und fühlte mich unzerstörbar, unverwüstlich. Wenn du einen Arm oder ein Bein verlierst, gelobte ich mir, kehrst du nicht nach Hause zurück. Ich war ein junger Soldat mit rotem Haar und einem Temperament, das dazu passte und das mir eine Menge Schwierigkeiten einbringen würde. Aber das konnte ich nicht ändern.

Ich war ins Heer eingetreten, weil mir die Luftwaffe zu langsam war: Bei der Royal Air Force dauerte der Papierkram länger. Das war die erste glückliche Entscheidung meiner militärischen Laufbahn. Als ich die Spitfires sah, die über uns durch die Wolken jagten, wünschte ich mir zwar immer noch, Pilot zu sein, aber es hätte mit ziemlicher Sicherheit meinen Tod bedeutet, wäre ich zu dieser Zeit der Royal Air Force beigetreten. Die RAF-Piloten waren die Ritter der Lüfte, doch als die Luftschlacht um England begann, hatten die meisten dieser armen Kerle nicht mehr lange zu leben. Deshalb hatte ich Glück, nicht zu ihnen zu gehören.

Ich meldete mich am 16. Oktober 1939 zum Dienst. Weil ich gut mit dem Gewehr umgehen konnte, steckte man mich – Rifleman Denis George Avey, Dienstnummer 6914761 – in das 2. Bataillon der Rifle Brigade und schickte mich zur Grundausbildung in eine Kaserne in Winchester.

Die Ausbildung war streng. Man achtete nicht auf Regen oder Sonnenschein. Die Rifle Brigade war ein Regiment von Berufssoldaten, und als Kriegsfreiwillige wurden wir besonders hart geschliffen. Wir exerzierten bis zum Umfallen, machten knochenhartes Ausdauertraining und endlose Hindernisläufe, sodass wir jeden Abend erschöpft auf unsere Pritschen sanken. Doch am Ende waren wir ziemlich fitte Jungs. Wir wurden an jeder Waffe ausgebildet, die der British Army zur Verfügung stand, doch ich war mit Schusswaffen aufgewachsen. Mein Vater hatte mir meine erste Schrotflinte gekauft, eine Vier-Zehner, als ich acht Jahre alt war. Sie hatte einen eigens gekürzten Kolben, damit ich sie an die Schulter setzen konnte. Die Waffe hängt noch heute an einer Wand meines Hauses.

Mein Vater hat immer auf strenger Disziplin bestanden, was Waffen anging. Bei uns auf dem Land gab es nur Ja oder Nein, kein Vielleicht. Ich bin in einer Welt unumstößlicher moralischer Grundsätze aufgewachsen, und es wurde von mir erwartet, für das einzustehen, was richtig war. Mein Vater lehrte mich den Respekt vor Mensch und Tier. Vögel wurden für die Speisekammer erlegt, nicht zum Spaß. Ich erlernte das Tontaubenschießen, und es dauerte nicht lange, bis ich die Scheibe selbst in die Luft schleudern, die Flinte hochreißen und die Tontaube vom Himmel putzen konnte, ehe sie zu Boden fiel.

Das Gewehrschießen bei der Army war anders, aber ich hatte schnell den Bogen raus und traf bald auf bis zu 550 Meter Entfernung ins Schwarze.

Einmal, am Ende eines besonders langen Ausbildungstages, gingen wir zum Schießstand von Winchester. Ich drückte den Abzug meines Lee-Enfield .303, spürte den Rückschlag und traf mühelos das Ziel. Die Kameraden, die die Zielscheiben bedienten, waren hinter einem Erdwall in Deckung. Sie zeigten mit einem langen Stab, an dem eine tellergroße weiße Scheibe befestigt war, auf die Treffer. Als einer der Männer seinen Zeigestab zögernd auf das Schwarze richtete, um meinen Treffer anzuzeigen, lud ich das Gewehr durch und schoss ihm die weiße Scheibe vom Stab.

Der Mann war nicht in Gefahr gewesen, aber ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich geprahlt hatte. Der Vorfall trug mir einen Rüffel ein, machte mich aber bei den einfachen Soldaten beliebt. Wegen meines Könnens mit der Waffe machte man mich zum »Star-Man«, und ich erhielt ein Schützenabzeichen, das ich an meiner Uniform zu tragen hatte.

Ziemlich grässlich war die Ausbildung mit dem Bajonett. Bei den Rifles wurden Bajonette von jeher »Schwerter« genannt. Wir wurden darauf gedrillt, einen feindlichen Soldaten aus nächster Nähe zu töten – so nahe, dass man seinen Atem riechen und sehen konnte, ob er sich morgens rasiert hatte. Bei der Ausbildung erhielten wir den Befehl, schreiend und brüllend auf dreißig Meter entfernt stehende Puppen in Menschengestalt loszustürmen. Wir mussten ihnen die Klinge in die Eingeweide stoßen, sie herausziehen, den Gewehrkolben herumschwenken und ihn der Puppe im Vorbeilaufen gegen den Kopf rammen.

Sergeant Bendle beobachtete uns missbilligend. Er war ein untersetzter Mann, klein und zäh. »Lauter, lauter!«, brüllte er, bis sein Gesicht knallrot war, und er gab sich nicht eher zufrieden, bis wir mit der gleichen Lautstärke brüllten wie er.

Das Gebrüll war psychologische Kriegführung und half einem, den Bajonettangriff durchzustehen. Wir mussten ihn immer wieder üben, bis wir ihn beherrschten. Danach wusste ich: Sollte es wirklich mal hart auf hart kommen, würde ich nicht derjenige sein, der sich in Todesqualen am Boden wand.

Das Bajonettfechten Mann gegen Mann war nicht ganz so schlimm, weil es einem wenigstens ein bisschen wie Sport vorkam. Wir bekamen Gewehre mit Federbajonetten, auf deren Spitze eine Schutzkappe saß. Wenn wir einen Stich erhielten, den wir nicht abwehren konnten, sollte das Bajonett sich in den Griff zurückschieben. Die Berufssoldaten aber stießen noch einmal nach und rammten einem das Ding vor den Bauch, was unglaublich wehtat. Anderseits erinnerte es einen daran, was passierte, wenn man nicht auf der Hut war.

Von Winchester wurden wir nach Tidworth auf der Salisbury Plain verlegt. Dort gab es einen Offizier, der bei den Männern besonders beliebt war. Er war ein adretter, gut aussehender Bursche mit dunklem Menjoubart und stets ordentlich gekämmtem Haar.

Wenn ich mich recht erinnere, war er damals Second Lieutenant und ein erstklassiger Offizier, aber die meisten von uns kannten ihn besser als Raffles, den Gentleman-Dieb. Der Film war kurz vor dem Krieg in die Kinos gekommen, und die Poster hingen noch überall. Unser Lieutenant war niemand anders als der zuvorkommende und kultivierte Filmstar David Niven.

Nach einer Übung sammelten wir uns zur Nachbesprechung um ihn, aber in Wirklichkeit wollten wir Klatsch und Tratsch aus der Welt des Glamours hören. Niven machte es nichts aus, mit uns, seinen Fans, zu reden, denn er war bereits vor dem Krieg in Sandhurst ausgebildet worden und passte sich nun wieder an das Leben im Militär an. Er hatte gerade mit Olivia de Havilland gedreht, aber es war eine gewisse Ginger, sein Co-Star in Die Findelmutter, über die er am meisten sprach. Wir alle wussten, wen er meinte. Es wurde gewitzelt und herumgealbert, und einer von den Jungs sagte: »Ich wette, Sie wären überall lieber als hier, Sir, nicht wahr?« Niven überlegte kurz, ehe er antwortete: »Sagen wir mal so … Ich würde lieber Ginger Rogers’ Titten kraulen.«

In der vierten Maiwoche 1940 holte uns die Wirklichkeit ein. Einhundert von uns wurden ausgewählt und zum Bahnhof von Tidworth gebracht, ohne dass man uns einen Grund dafür nannte. Wir wussten, dass es in Frankreich schlecht für uns stand. Ich erhielt den Befehl über ungefähr zwanzig Mann und musste die Granatwerfer, die leichten Bren-MGs und die Gewehre verteilen.

Nach einer Stunde fuhr der Zug ein, wobei er Wolken aus Dampf und Rauch ausstieß. Wir stiegen zwischen den Zivilisten ein, und die Fahrt zur Küste begann.

Das britische Expeditionskorps steckte in ernsthaften Schwierigkeiten. Calais wurde belagert, und die Schlinge der Deutschen zog sich zu. Das 1. Bataillon der Rifle Brigade saß dort fest, und unsere Einheit aus dem 2. Bataillon wurde bereitgestellt, um die Jungs herauszuhauen.

Allerdings saßen wir auf der falschen Seite des Ärmelkanals. Aus der Sicherheit Englands starrten wir auf das grelle Küstenlicht. Wir konnten uns die Katastrophe, die sich jenseits des schmalen Wasserstreifens abspielte, nur schwer vorstellen, aber wir hörten die Schüsse der schweren Artillerie – ein gespenstisches, Unheil verkündendes Dröhnen.

Das 1. Bataillon befand sich erst seit zwei oder drei Tagen in Frankreich. Man hatte es eilig hinübergeschafft, damit es unseren Divisionen die Flucht ermöglichte, indem es den Hafen von Calais offen hielt. Es leistete zähen Widerstand und kämpfte, bis ihm die Munition ausging. Eine Handvoll Überlebender wurde von der Royal Navy nach England gebracht; die anderen fielen oder gerieten in Gefangenschaft. Winston Churchill dankte ihnen später und erklärte, ihr Widerstand habe mindestens zwei deutsche Panzerdivisionen gebunden, während die »kleinen Schiffe« in Dünkirchen so viele Soldaten an Bord nahmen, wie sie konnten.

Dort einzugreifen wäre Selbstmord für uns gewesen. Wir wären noch auf dem Wasser zusammengeschossen worden. Zum Glück sahen die hohen Tiere das rechtzeitig ein, und der Plan wurde aufgegeben. Ich sollte erst als Kriegsgefangener auf das europäische Festland gelangen. Falls ich einen Schutzengel besaß, so hatte er gerade wieder eingegriffen. Bereits zum zweiten Mal, nachdem ich mich schon nicht zur RAF gemeldet hatte, war ich dem Tod durch pures Glück von der Schippe gesprungen.

Als Nächstes wurden wir zur Pferderennbahn von Aintree nördlich von Liverpool verlegt. Dort findet normalerweise das Grand National statt, doch jetzt war die Rennbahn ein Meer aus Soldaten, die darauf warteten, dass man sie Gott weiß wohin schickte.

Wir übernachteten im Freien. Obwohl Sommeranfang war, erwachte man mit Gliederschmerzen und einer vom Tau klammen Decke. Aber am Canal Turn zu biwakieren, dem Sprunghindernis mit seiner berühmt-berüchtigten Neunzig-Grad-Biegung, war ein echter Leckerbissen für einen jungen Mann, der mit Pferden aufgewachsen ist. Nach drei Wochen zogen wir in ein großes Haus in der Stadt um und hatten endlich die Nässe hinter uns, wenn schon sonst nichts.

Dort bin ich Eddie Richardson zum ersten Mal begegnet. Er war ein prima Kerl aus einer alten Soldatenfamilie; deshalb nannten wir ihn »Regimental Eddie« oder kurz »Reggie«. Wir lagen auf der gleichen Stube. Reggie konnte sich sehr gut ausdrücken, redete vielleicht sogar ein bisschen hochgestochen im Vergleich zu uns anderen. Monate später sollte er in der Wüste am gleichen Tag, an dem mein Glück mich verließ, in Schwierigkeiten geraten.

Die Ausbildung in Liverpool besaß eine ganz eigene Atmosphäre. Wir übten in abgesperrten Straßenzügen, die zum Abriss vorgesehen waren, den Häuserkampf. Wir erlernten die schwierige Kunst, Molotowcocktails herzustellen und zu werfen, und meisterten die Mills-Granate, eine Handgranate mit einer segmentierten Stahlhülle, die wie eine Mini-Ananas aussah. In den Monaten, die vor mir lagen, sollte ich eine innige Vertrautheit mit der Mills-Granate entwickeln. Das Ding war so simpel, wie es gemein war. Man konnte unterschiedliche Zünder einsetzen, die drei, sieben oder neun Sekunden bis zur Detonation verstreichen ließen, aber man musste sich sehr genau überlegen, welchen Zünder man nahm. Denn wer möchte schon, dass jemand von der anderen Seite Zeit genug bekommt, das Ding zurückzuwerfen? Man zog den Sicherungsstift, lief ein Stück vor und schleuderte die Handgranate mit ausgestrecktem Arm wie beim Kegeln, während man sich auf den Bauch warf. Wenn man sich nicht selbst in die ewigen Jagdgründe sprengte, sollte die Handgranate in einer großen, tiefen Grube landen, wo die Explosion relativ abgeschirmt verlief.

Das alles war kein Problem für mich. Als Sechzehnjähriger hatte ich einen Kricketball neunzig Meter weit werfen können. Für mich war alles immer noch ein Spiel.

Als wir an Bord der Otranto von Liverpool ausliefen, war uns bewusst, dass wir Großbritannien in einem traurigen Zustand hinter uns ließen. Im Juni war Frankreich an die Deutschen gefallen, Italien hatte den Alliierten den Krieg erklärt, und über Südengland fanden regelmäßig Kurvenkämpfe zwischen Jägern der deutschen Luftwaffe und der RAF statt. Die Luftschlacht um England hatte begonnen.

Als ich an Bord des Truppentransporters ging, pusteten dessen Zwillingsschornsteine mit ihren dunklen Bändern Rauch in die Luft. Es wimmelte von Männern, die sich eine Koje suchten. Einige trugen Marschgepäck und waren auf Kabinen aus, andere riefen ihre Kameraden herbei und versuchten sich auf dem Schiff zurechtzufinden. Auf den Decks unter uns waren die Fahrzeuge und das schwere Gerät verstaut.

Les Jackson war von Anfang an dabei. Er war damals Corporal, ein Berufssoldat – ein großartiger Kamerad mit einem Funkeln in den Augen und einem verschmitzten Humor. Er war älter als die meisten von uns, über dreißig, aber wir waren von Anfang an gut miteinander ausgekommen, und am Ende sollten wir ebenfalls zusammen sein: Achtzehn Monate später, als wir frontal in eine Wand aus Maschinengewehrfeuer hineinfuhren, saß ich neben ihm.

Les hatte mich seiner Familie in Liverpool vorgestellt, und ich hatte mich in seine Schwester Marjorie verguckt. Sie war ein sehr attraktives Mädchen mit hellem Haar und leichtem Liverpooler Einschlag; ein freundlicher Mensch und eine ausgezeichnete Tänzerin. Ich hatte sie ein paarmal ausgeführt, aber wir waren die Unschuld in Person. Damals konnte man nachts ein Mädchen meilenweit nach Hause begleiten, und am Ende des Weges war ein Kuss auf die Wange das höchste der Gefühle. Trotzdem war zwischen uns etwas Besonderes. Die Familie hatte mir herzliche Gastfreundschaft entgegengebracht, aber nun sollten fünf Jahre vergehen, ehe ich wieder die Schwelle ihres Hauses überschritt, um Les’ Vater auf ein Bier abzuholen, leider zu einem alles andere als freudigen Anlass.

Ich hatte Marjories Foto an die Wand der kleinen, stickigen Kabine geklebt, die ich mit drei Kameraden teilte. Aber Marjorie war nicht die Einzige. Ich hatte immer viele Freundinnen gehabt; deshalb besaß ich eine ansehnliche Sammlung an Fotos.

Ich lag in der obersten Koje, Bill Chipperfield lag unter mir. Er war ein bodenständiger Bursche aus einer armen Familie in Südengland, grundehrlich und stets gut gelaunt. In der Kabine lagen noch zwei andere Soldaten, aber die armen Teufel mussten auf dem Boden pennen. Wir waren eingequetscht wie Sardinen in der Dose, und man konnte sich in der Dunkelheit nicht bewegen, ohne auf jemanden zu treten.

Wir hatten vierundzwanzig Stunden Heimaturlaub erhalten, ehe wir an Bord mussten, und den größten Teil dieser Zeit hatte ich auf dem Hin- und Rückweg verbracht. Meine Familie lebte tief im Süden, im Dorf North Weald in Essex. Wir waren erfolgreiche Bauern, sodass es uns nie an etwas mangelte, und ich hatte eine schöne Kindheit auf dem Lande hinter mir.

Meine Mutter weinte herzzerreißend, als sie mich zum Abschied küsste. Ich hatte mit meiner Schwester Winifred für Fotos posiert. Das Bild, auf dem der Wind in ihrem dunklen, welligen Haar spielt, besitze ich noch heute. Auf dem Foto trägt sie ein Strickkleid und eine Perlenkette. Ich bin in Uniform, die Hosenbeine hochgezogen, die Uniformjacke an den Hüften straff gezogen, das Schiffchen in kesser Schieflage auf dem Kopf. Als ich mich verabschiedete, kam mir gar nicht der Gedanke, dass ich vielleicht nicht mehr heimkehren könnte. Ich war überzeugt, auf mich aufpassen zu können. So ist man in der Jugend. Meine Schwester verbarg in ihrem Innern, was sie empfand. Wir wussten nicht, was der Krieg bringen würde. Warum sich also Sorgen machen?

Nur einer von uns ahnte, was kommen würde, aber er sagte nichts: George Avey, mein Vater. Er hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft und wusste, was mir bevorstand: Schmutz, Blut und Entbehrungen. Er schüttelte mir nur die Hand und wünschte mir Glück. Er war ein anständiger, stolzer Mann mit vollem dunklem Haar – ein gläubiger Christ, der hohe Anforderungen stellte und die Kraft hatte, sie durchzusetzen. Er hatte mir nie viel väterliche Wärme entgegengebracht, aber das hatte auch seine Vorteile: Einige Geschehnisse in späterer Zeit sind darauf zurückzuführen, dass ich mit der Vorstellung aufgewachsen bin, Prinzipien müssten in die Tat umgesetzt werden. Vater war von Beruf Ratsschreiber, und dies zu einer Zeit, als eine solche Aufgabe einem Mann noch Respekt und lokal begrenzte Allmacht einbrachte, aber er war im Dorf beliebt, weil er unterschiedslos jedem half, der in der Klemme steckte. Später erfuhr ich, dass er hin und wieder die Steuern ärmerer Mitbürger aus eigener Tasche beglichen hatte.

Es fiel meinem Vater schwer, Zuneigung zu zeigen, und auch Lob war bei uns ein karges Mahl. Als ich als Kind einen begehrten Sportpokal errang, sagte er nur: »Gut gemacht, Junge«, und sprach dann nie wieder darüber. Erst nach dem Krieg wurde mir klar, dass er verdammt große Stücke auf mich gehalten hat. Kurz nachdem ich in See gestochen war, meldete er sich freiwillig zur Army; zu diesem Zweck musste er lügen, was sein Alter betraf. Später erzählte man mir, dass er immer gefragt habe, wo ich stationiert sei. Ich nehme an, er hegte die Hoffnung, sich irgendwie um mich kümmern zu können, wenn er sich zu mir versetzen ließ, aber natürlich trafen wir nie zusammen.

Er geriet auf Kreta in Kriegsgefangenschaft und kam als Zwangsarbeiter nach Deutschland, wo er beim Bau einer Bergbahn eingesetzt wurde, obwohl er an Lungenentzündung litt. Oft schleuderte er Schrauben und Muttern den Hang hinunter – eine Trotzreaktion, um zu beweisen, dass er noch nicht geschlagen war. Er konnte ganz schön widerborstig sein. Das habe ich wohl von ihm geerbt.

An Deck schaute ich zu, wie die Besatzung sich gegen Gefahren wappnete, die unter Wasser auf uns lauern konnten – U-Boote und Minen, die nur darauf warteten, ein Leck in den Schiffsrumpf zu reißen und uns in die Tiefe zu schicken. Der einzige wirksame Schutz gegen Minen war das Ottergerät, ein torpedoförmiges Ding mit scharfen Finnen. Über die Reling gelehnt, beobachtete ich, wie es an der Seite heruntergelassen wurde und in den Wellen verschwand.

Das haiartige Gerät erwachte zum Leben, sobald es im Wasser war; seine Flossen zogen es in die Tiefe und vom Schiff weg. Das schwere Kabel wurde abgerollt, bis der Otter ein gutes Stück vom Schiff entfernt war und parallel zu ihm durchs Wasser glitt. Das Kabel sollte die Minen von ihren Ankern reißen. Kamen sie dann an die Oberfläche, wurden sie mit Maschinengewehren unter Feuer genommen, oder sie glitten am Kabel entlang und trafen den Otter, wo sie in einer weißen Fontäne explodierten, das Schiff aber verschonten, was uns ein gewisser Trost war.

Mich faszinierten solche Erfindungen. Ich hatte oft an Autos und Motorrädern herumgebastelt, und als Schüler wollte ich unbedingt Ingenieur werden. Ich hatte immer schon meinen eigenen Kopf gehabt. Als Junge hatte ich sogar meine eigene Kinderarmee geführt. Wir waren umhermarschiert, echte Gewehre auf den Schultern, die allerdings nicht geladen waren. Auf der Schule wurde ich Schulsprecher, und ich hatte die nötige Kraft, um den Schlägern Grenzen zu setzen, was ich auch tat. Später zog meine Frau Audrey mich damit auf, dass ich dann ja selbst zum Schläger hatte werden müssen. Ich fürchte, es war nur halb im Scherz gemeint. Jedenfalls hatte ich vor nichts und niemandem Angst.

Ich besuchte das Leyton Technical College in Ostlondon und hielt mich dort ganz gut. 1933 – in dem Jahr, als Hitler Reichskanzler wurde – stand ich in der Stadthalle von Leyton auf der Bühne, um für meine schulischen Leistungen einen Preis entgegenzunehmen. Ich war erst vierzehn, aber der Mann, der mir den Preis überreichte, hätte mich tiefer beeindrucken müssen, als es der Fall war: Es handelte sich um den Kriegsveteranen und Dichter Siegfried Sasson. Er war damals Mitte vierzig und hatte dunkles Haar, das er aus der hohen Stirn gekämmt trug. Er beglückwünschte mich kurz und knapp und überreichte mir zwei bordeauxfarbene Bände mit goldener Prägung in Gestalt eines Schwertes und eines Schildes. Ich hatte mir Bücher von Robert Louis Stevenson und Edgar Allan Poe ausgesucht.

Das alles schien mir jetzt, als England hinter dem Schiff im Dunst verschwand, ewig lange her zu sein. Die zivilisierte Welt, die ich gekannt hatte – die Welt mit ihren Gesetzen, Gebräuchen und Vorstellungen von Anstand –, blieb langsam hinter mir zurück.

2. Kapitel

Les Jackson kannte immer die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten. Kaum war die Otranto ausgelaufen, kam er in unsere Kabine und stieg mit langen Schritten vorsichtig über die am Boden Liegenden hinweg, weckte sie aber trotzdem. Er schaute sich die Reihe von Mädchenfotos an, die ich an die Wand geklebt hatte, darunter auch das Foto seiner Schwester Marjorie. Ich rechnete mit einem spöttischen Kommentar, der jedoch ausblieb. Les wusste, dass ich eine Schwäche für Marjorie hatte, doch ihm lag etwas anderes auf dem Herzen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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