Der Mann im Salz - Ludwig Ganghofer - E-Book

Der Mann im Salz E-Book

Ludwig Ganghofer

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Beschreibung

Ein historischer Roman um irrationalen Glauben, Hexen und Hexenkraft, aus der Zeit vor dem Beginn des 30-jährigen Krieges. Ludwig Ganghofer war ein bayerischer Schriftsteller, der durch seine Heimatromane bekannt geworden ist.

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Der Mann im Salz

Ludwig Ganghofer

Inhalt:

Ludwig Ganghofer – Biografie und Bibliografie

Der Mann im Salz

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Der Mann im Salz, Ludwig Ganghofer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN:9783849614683

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Ludwig Ganghofer – Biografie und Bibliografie

Dichter und Schriftsteller, Sohn des August Ganghofer, geb. 7. Juli 1855 in Kaufbeuren, wandte sich erst der Maschinentechnik zu, betrieb dann in Würzburg, München und Berlin philosophische, naturwissenschaftliche und philologische Studien und widmete sich, nachdem er 1879 in Leipzig promoviert worden war, ausschließlich literarischer Tätigkeit. Er lebt in München. G. errang seine ersten Erfolge als Dramatiker durch die für die Wandertruppe der Münchener Dialektschauspieler gemeinsam mit Hans Neuert geschriebenen Volksstücke: »Der Herrgottschnitzer von Ammergau« (Augsb. 1880; 10. Aufl., Stuttg. 1901), »Der Prozeßhansl« (Stuttg. 1881, 4. Aufl. 1884) und »Der Geigenmacher von Mittenwald« (das. 1884, neue Bearbeitung 1900). Später folgten das gemeinsam mit Marco Brociner geschriebene Trauerspiel: »Die Hochzeit von Valeni« (Stuttg. 1889,.3. Aufl. 1903), die Schauspiele »Die Falle« (das. 1891), »Auf der Höhe« (das. 1892) und das ländliche Drama »Der heilige Rat« (das. 1901). Einen großen Leserkreis erwarb sich G. durch sein frisches Erzählertalent, insbes. mit seinen Hochlandsgeschichten. Wir nennen davon die meist in einer Reihe von Auflagen erschienenen Werke: »Der Jäger von Fall« (Stuttg. 1882), »Almer und Jägerleut« (das. 1885), »Edelweißkönig« (das. 1886, 2 Bde.), »Oberland« (das. 1887), »Der Unfried« (das. 1888), »Die Fackeljungfrau« (das. 1893), »Doppelte Wahrheit« (das. 1893), »Rachele Scarpa« (das. 1898), »Tarantella« (das. 1898), »Das Kaser-Mandl« (Berl. 1900) sowie die Romane: »Der Klosterjäger« (Stuttg. 1893), »Die Martinsklause« (das. 1894), »Schloß Hubertus« (das. 1895), »Die Bacchantin« (das. 1896), »Der laufende Berg« (das. 1897), »Das Gotteslehen« (das. 1899), »Das Schweigen im Walde« (Berl. 1899), »Der Dorfapostel« (Stuttg. 1900), »Das neue Wesen« (das. 1902). Daneben veröffentlichte er noch: »Vom Stamme Asra«, Gedichte (Brem. 1879; 2. vermehrte Aufl. u. d. T.: »Bunte Zeit«, Stuttg. 1883), »Heimkehr«, neue Gedichte (das. 1884), »Es war einmal«, moderne Märchen (das. 1891), »Fliegender Sommer«, kleine Erzählungen (Berl. 1893) u. a. Im Roman »Die Sünden der Väter« (Stuttg. 1886, 7. Aufl. 1902) versuchte sich G. ohne rechtes Glück als Sittenmaler; er hat darin den Dichter Heinrich Leuthold geschildert. G. gab auch eine Übersetzung von A. de Mussets »Rolla« (Wien 1880) und mit Chiavacci die »Gesammelten Werke Johann Nestroys« heraus.

Der Mann im Salz

1

Die Leute, die zu Grödig vor den Häusern standen, sahen ihm verwundert nach. Ein junger, schmucker Bursch, hoch gewachsen und schlank, von Gesundheit strotzend, mit festen Schultern. Dazu ein Gesicht, erschöpft und bleich, mit verstörten Augen. Und Schritte machte er wie ein Flüchtling, hinter dem der Blutbann her ist.

»Mensch«, sagte ein alter Bauer über die Gartenplanke zu seinem Nachbar, »der hat entweder ein böses Stück getan oder will eins tun!«

»Kann auch der Beste sein!« meinte der andere, ein Schmied in rußigem Schurzfell, mit tiefliegenden Augen in einem verbitterten Gesicht. »Heutigentags muß oft einer rennen, auf den unser Herrgott mit guten Augen herunterschaut. Was ist mein Mädel für ein braves Ding gewesen!« An den Wimpern des Schmiedes glitzerte etwas.

Der alte Bauer machte scheue Augen und setzte das Gespräch nicht fort. Er guckte dem jungen Menschen wieder nach. »Der muß ein Jäger sein!«

Das war am Weidgehenk und an der grünen Tracht zu erraten. Auf der Hubertuskappe saß die Weihenfeder, die nur der weidgerechte Jäger tragen durfte. Und schmuck sah das aus: dieser schlanke Körper in den wehenden Pluderhosen und in dem kurzen schmiegsamen Spenzer, über den sich der weiße Leinenkragen breit herauslegte. Ein kräftig gebildetes Jünglingsgesicht, die Wangen umkräuselt von einem jungen, dunklen Bart, mit braunen Augen, so nußbraun wie die Haarsträhnen, die, von Schweiß durchfeuchtet und mit Staub behangen, dick unter der grünen Kappe herausquollen. Bei einer Biegung der Straße blieb der Jäger wie ein müd Zerbrochener stehen, preßte die Fäuste auf seine Brust, wandte das verstörte Gesicht und blickte über die Straße zurück, gegen Salzburg.

Es war ein schöner Frühlingstag mit reiner Sonne, die aus der Mittagshöhe über den Untersberg herunterlachte auf das junge Grün der Wiesen und Felder. Am blauen Himmel keine Wolke. Dennoch lag es da draußen über den stolzen Zinnen der Bischofsfeste wie ein trüber, schwerer Dunst. Das war anzusehen, als wäre in der windstillen Luft der Rauch einer großen Brandstatt über den Dächern von Salzburg hängengeblieben.

Dem Jäger lief ein Schauer über den Nacken. In seinen Augen war ein entsetzter Blick, und jagenden Schrittes eilte er auf der Straße davon, den Bergen zu. Als er den Wald erreichte, der sich vom Untersberg auf steilen Gehängen niederschwang zu den ebenen Feldern, blieb er stehen. Er wollte sich nicht umschauen. Doch er mußte! Und als er über der Stadt da draußen dieses Dunkle wieder sah, das in den Lüften hing wie ein Riesenvogel mit grauem Gefieder, schlug er die Hände vor die Augen, sprang von der Straße wie ein Irrsinniger in den Schatten des Waldes, warf sich zu Boden und drückte das Gesicht ins Moos. Die Bilder, die ihn verfolgten, ließen sich nicht ersticken, nicht verjagen. Er dachte an alles, was ihm schön war an seinem jungen Leben. Aber kein Schönes, an das er sich zu denken zwang, verscheuchte ihm das Grauenvolle dieses Morgens. Immer sah er die quirlenden Wolken des schwarzen Rauches, die schürenden Freimannsknechte in ihren roten Wämsern, die lodernden Scheiterhaufen und an den Feuerpfählen die vier brennenden Menschen. Immer sah er dieses junge Mädchen in den Stricken hängen, sah, wie das Hexenhemd und das rote Haar zu einer schnellen Flamme wurden und wie für einen Augenblick der nackte, schöne Leib erschien, bevor ihn das Feuer umschleierte. Und immer sah er das: wie der Kopf der alten Frau in die Luft flog, als die Pulvertasche explodierte, die man ihr aus Gnade zur Erleichterung des Feuertodes um den Hals gebunden. Und immer sah er dieses Kind – ein siebenjähriges Mädchen, das in seiner Marter nur einen einzigen Schrei noch hatte: »Mutter, hilf mir!« – und dann in Ohnmacht fiel und stumm verbrannte.

Das Grausen verstörte ihm alle Sinne. Mit verhülltem Gesichte blieb er liegen, wohl eine Stunde lang. Die warmen Sonnenlichter, die durch das junge Laub der Buchen fielen, zitterten um seinen schlanken Körper. Ein feiner Duft um ihn her, von Veilchen und Glockenblumen, von roten Steinnelken und gelben Aurikeln. Goldenes Leuchten war in allen Dingen, und mit sanfter Murmelstimme floß ein Bach in der Nähe vorüber. Wie alles blühte, alles zusammenklang und ineinander leuchtete, war es ein wundersames Lied, das der Frühling summte an diesem Tag.

Der Jäger hatte sich aufgerichtet und ging auf den kleinen Wildbach zu. Er trank aus der hohlen Hand. Und wusch das Gesicht und das verstaubte Haar. Und schüttelte sich, daß von den feuchten Strähnen die blitzenden Tropfen flogen. Mit der Kappe in der Hand, damit sein nasses Haar in der Sonne trocknen könnte, ging er schräg durch den Wald hinaus. Als er die Straße erreichte, blickte er sich um und atmete auf wie ein Erlöster, weil die grüne Mauer des Waldes ihm die Rückschau in das ebene Land versperrte. Er wandte sich und spähte über den Weg voraus, der sich am Ufer der rauschenden Ache hineinzog in die Berge. Warme Röte stieg ihm in die bleichen Wangen. Der Weg, der da vor ihm lag, war der Weg in das neue Leben, das er suchen wollte. Der Weg war schön. Wie wird das Leben sein, zu dem er führt?

Zur Linken die Ache und waldige Hügel, zur Rechten die steilen Gehänge des Untersberges, dessen steinerne Türme manchmal heruntergrüßten über die Wälder. Lärmend kam ein Zug von Salzkärrnern, die unter Geschrei ihre Maultiere trieben und mit den plumpen, von weißen Blachen überspannten Karren auf der schrundigen Straße ein schweres Fahren hatten.

Nach einer Stunde erreichte der Jäger die Grenze des Berchtesgadener Landes. Da war ein breiter Streifen durch die Wälder gehauen, und an der Straße war das Wappen des Fürstpropstes zu Berchtesgaden auf einen überhängenden Stein gemalt. Mit frischen Farben hatte man das alte, halb erloschene Bild erneuert, und unter dem Schilde standen zwei Jahreszahlen – eine, die schon ganz verwittert war: 1595 – und die zweite in neuer Farbe: 1618. Neben den gekreuzten Schlüsseln, den Wahrzeichen des gefürsteten Stiftes, zeigte das Wappen den bayrischen Löwen und das Rautenfeld. Ein Wittelsbacher, Herzog Ferdinand, war Fürstpropst des Berchtesgadener Landes. Aufmerksam betrachtete der Jäger den bunten Schild: das Wappen des Herrn, dem er dienen wollte.

Der Friede war in dieses Herren Land nicht immer heimisch gewesen. Denn der Jäger kam zu den Trümmern eines Tores, das einst seine festen Bogen über die Straße gespannt hatte. Daneben sah man die Reste einer gebrochenen Mauer und die mit leeren Fenstern gähnende Ruine eines niedergebrannten Hauses. Nur der mächtige Turm war unversehrt noch übrig von der ›Burghut am hangenden Stein‹, die Wolf Dietrich, der Erzbischof von Salzburg, vor acht Jahren in Scherben geworfen hatte.

Vor der Tür der Wachtstube, die in das ebenerdige Geschoß des alten Turmes eingebaut war, saßen zwei stutzerhaft gekleidete Musketiere beim Kartenspiel. »Hex!« schrie der eine und schlug die Schellensau auf die Bank. »Und Teufel!« lachte der andere, der mit dem Schellenober stach. Als er den eingestrichenen Gewinn in dem flatternden Wust von buntem Tuch verschwinden ließ, aus dem seine Hose bestand, gewahrte er den Fremden. »Der ist von auswärts!« sagte der Musketier, nahm das Feuerrohr mit der glimmenden Lunte von der Mauer und sprang auf die Straße hinunter. »Arreet Monscheer!« Dem Fremden schienen die beiden Worte nicht zu gefallen. Er wollte weitergehen, als hätte er nichts gehört. »Halt!« schrie der Musketier.

Der Jäger nickte. »Jetzt hab ich verstanden. Ich bin halt ein Deutscher, weißt!«

Die Ruhe dieser Antwort dämpfte das martialische Gebaren des Musketiers. Etwas sänftlicher fragte er: »Woher des Lands? Und wohin?«

»Von Schloß Buchberg komm ich und will nach Berchtesgaden ins Stift.«

»Was suchst du im Stift?«

»Das sag ich schon, wenn ich dort bin.«

Es blinkerte dem Musketier in den Augen. Dieses Wort hatte ihn an der Galle gekitzelt. Aber die Vorsicht war stärker in ihm als der Zorn. Erst musterte er den Fremden. Dann legte er, wie zu friedlicher Gesinnung beredet, die Muskete quer über den Arm. »Ihr müßt einen Paß weisen!«

Der Jäger griff in den Spenzer und reichte dem Musketier ein Blatt, das er aus einem ledernen Täschl genommen. Der andere las. Das war Arbeit für ihn, die langsam vorwärts ging. Er nickte. »Der Paß weiset, daß Ihr römisch seid. Aber ich muß Euch proben. Das ist Fürschrift. Ein Evangelischer geht bei uns nit ein ins Land. Schlaget das Kreuz!«

Eine Furche grub sich zwischen die Brauen des Fremden, während er das Gesicht und die Brust bekreuzte.

»Passiert!« sagte der Musketier und gab das Blatt zurück. »Freilich, mancher reißt ein Kreuz um das ander her. Und doch lügt er.«

Dem Jäger fuhr das Blut ins Gesicht. Seine Augen blitzten. »Willst du sagen, daß ich lüg?«

Der Musketier schmunzelte. »Ich hab nicht von Euch geredet. Mancher, hab ich gesagt, ganz deutlich und deutsch. Eurem Kreuz muß ich glauben.«

Der Jäger schritt die Straße hinaus, der Ortschaft entgegen, deren Kirchturm herlugte über einen grünen Hügel. Als er schon hundert Schritte gegangen war, schrie ihm der Musketier mit Gelächter nach: »Bonschur, Monscheer!« Der Jäger sah sich um und schob die Daumen hinter den Gurt seines Weidgehenks. »Vergelts Gott! Das hat kommen müssen: hinter dem Grausen die Narretei!« Er lachte. Aber lustig klang das nicht. In seinen Zügen blieb ein brütender Ernst. Als er die Brücke erreichte, auf der sich die Straße über das Bett der rauschenden Ache schwang, vernahm er das Rollen von Baumblöcken und hallende Beilschläge. Da arbeiteten an die zwanzig Leute, um einen Bergrutsch einzudämmen, der den Lauf des Baches zu verschütten drohte. Neben der Brücke stand ein alter Mann, der die Arbeit überwachte. Er war in schwarzes Tuch gekleidet, mit hohen Stiefeln. Auf der schwarzen, schirmlosen Kappe trug er eine weiße Feder. Ein struppiger Bart umhing das welke Gesicht, und sein Rücken war gekrümmt wie unter schwerer Last. Als er den Gruß des Fremden hörte, sah er sich um, und da fiel es ihm wie Schreck ins Gesicht. Seine Augen starrten, als käme ein Gespenst auf ihn zugegangen. »Bub! Wer bist du?«

»Ein Jäger. Ich will zu Berchtesgaden einen Dienst suchen. Der Ort da drüben, ist das schon Berchtesgaden?«

Lang schwieg der alte Mann. Noch immer wollte sich die Erregung nicht beruhigen, die ihm aus den Augen sprach. Dann sagte er: »Dich wird der Wildmeister nimmer auslassen. Das wird für mich ein hartes Stück werden, dich allweil sehen müssen.« Er nahm die Kappe herunter und strich mit der zitternden Hand über das graue Haar. »Jetzt soll mir unser Herrgott sagen, wie das sein kann! Ein Gesicht, das zweimal auf die Welt kommt! Hätt ich meinen Buben nit selber hinuntergelegt und tat ich nit wissen, daß er acht Jahr schon unter dem Wasen fault – ich tat drauf schwören, du wärst mein Bub!«

Der Jäger fand keine Antwort. Er streckte dem Alten die Hand hin. Der nahm sie, scheu und zögernd. Nach einer Weile sagte er: »Das da drüben ist Schellenberg. Bis auf Berchtesgaden streckt sich der Weg noch zwei gute Stund. Und des Wildmeisters Haus, das steht im alten Hirschgraben, gleich unter dem Stift. Aber sag mir, Bub, wie heißt du?«

»Adelwart.«

»Der meinig hat David geheißen. Der ist schon Häuer gewesen mit zwanzig Jahr. Und du bist Jäger? Da hast du ein Leben in Licht und Sonn. Mein Leben ist halb in der Nacht. Wir zwei, mein' ich, laufen nit oft aneinander hin. Aber wenn sich's gibt, Bub, daß ich dir einmal was helfen kann, da komm zu mir! Ich bin der Jonathan Köppel, der Hällingmeister zu Berchtesgaden.« Weil ihn die Arbeitsleute riefen, ging der Alte zur Ache hinunter. Alle paar Schritte sah er sich nach dem Buben um.

Noch lange blieb Adelwart auf der Brücke stehen, in einem Widerspiel von Gedanken. Die Worte des alten Mannes hatten ihn erschüttert, und dabei empfand er es wie warme Freude, daß er, ein Einsamer in der Fremde, an der Schwelle seines neuen Lebens einen Menschen gefunden hatte, der ihm Freund geworden. In Sinnen versunken, ging er der Straße nach. Und erschrak, als er aufblickte und den schwarzen Rauch sah, der bei der Kirche heraufstieg über die Dächer. Alles Grausen dieses Morgens stand ihm wieder vor Augen. Mit beklommener Stimme rief er einen Knaben an, der neben der Straße saß und aus den Stielen der Schlüsselblumen eine Kette flocht: »Was raucht denn da?«

Das Bübl sah nach dem Dorf hinüber. »Die Pfannhauser Öfen.«

»Gott sei Lob und Dank!«

Adelwart wanderte dem Dorf entgegen. Immer sah er die Blumen der Wiese an, um diesen Rauch nicht sehen zu müssen. Der wurde dünner; als er ganz verschwunden war, blieb über dem steilen Schindeldach des Salinenhauses nur das weiße Qualmen des Wasserdampfes, der aus den Salzpfannen stieg und durch das Dach hinausquoll in die Sonne.

Wo die Schellenberger Gasse begann, stand neben der Straße ein zerstörtes Haus. Über der leeren Türhöhle trug die Mauer das aus Stein gemeißelte Salzburger Wappen, von Beilhieben zerhackt. Spielende Kinder tollten in den kahlen Räumen umher, und auf den roten Marmorstufen der Hausschwelle waren zwei Buben sich in die Haare geraten. Die rauften wie junge Bären.

»He! Wollt ihr Ruh geben!«

Die heißen Kämpfer überhörten diesen Mahnruf. Da spürten sie plötzlich einen festen Griff an ihren Ohren. Während sie mit verdutzten Augen dreinschauten, hielt ihnen Adelwart eine kleine Standrede über die Segnungen des Friedens. Weil es der Jäger haben wollte, reichten sie einander die Hände. Kaum war er davongegangen, da schwoll ihnen wieder der Kamm ihres Zornes. Die kleinen Fäuste nach hinten gestreckt, rückte einer dem anderen dicht vor die Nase.

»Wie, trau dich her, du!«

»Meinst vielleicht, ich fürcht mich vor so einem lutherischen Siech?«

»Du römischer Pfaffenwedel!«

Und zur Bekräftigung ihres Glaubensbekenntnisses spuckten sie einander ins Gesicht.

Die Frühlingssonne lachte auf die Buben herunter, vergoldete die Trümmer des zerstörten Hauses und spiegelte sich in den Pfützen der langen Gasse. Hier und dort im Schatten der vorspringenden Schindeldächer sah man Weiber vor dem Spinnrad sitzen, mit weißen Krausen um die Hälse. So dürftig ihr Leben war, die Mode, die sie an den Salzburger Frauen sahen, machten die Schellenbergerinnen immer mit. Kein Mann in der langen Gasse. Die Männer waren im Pfannhaus, im Bergwerk, auf den Feldern.

Vor dem Leuthaus stand ein Dutzend rastender Salzkarren, deren Gäulen und Maultieren die Futtersäcke umgebunden waren. Zwei wohlgenährte Schimmel, die aus einem Barren gefuttert hatten und jetzt von einem Knecht getränkt wurden, standen an der Deichsel einer kleinen Kutsche.

»Hans? Können wir fahren?« klang von der Tür des Leuthauses eine Mädchenstimme.

»Ein paar Vaterunser lang wird's allweil noch dauern, Jungfer«, gab der Knecht zur Antwort, »ich muß zum Schmied, der Handgaul hat ein Eisen locker.«

»Aber eil dich, gelt! Wir müssen in Salzburg sein, solang die Läden offen sind.«

Adelwart, der auf der Straße vorüber wollte, hatte beim Klang dieser Stimme aufgeblickt. Eine von jenen Stimmen war's, denen man gerne lauscht, weil sie zu singen scheinen, wenn sie reden. Er machte einen raschen Schritt, um zwischen den Salzkarren eine Lücke nach der Tür zu finden, und sah ein junges, schlankes Mädchen in das Leuthaus treten, schmuck in dunkles Blau gekleidet, ein kurzes Mäntelchen um die Schultern und über dem reichen Schwarzhaar ein hellgraues Hütl mit flacher Krempe und weißem Federbusch. Zwei schwere Zöpfe, mit roten Schnüren durchflochten, hingen über der weißen Krause auf die Brust herunter und ließen, als die Jungfer in die Türe trat, von ihrem Gesicht nur einen schmalen Streif der rosigen Wange sehen.

›Was muß das ein liebes Ding sein!‹ dachte Adelwart. Er wollte seiner Wege gehen. Da rief ihn aus einem offenen Fenster der Leutgeb an: »He! Jäger! Willst du nit zukehren? Grad zapfen wir an.« Adelwart zögerte. Dann trat er lächelnd in die Leutstube. Noch auf der Schwelle warf er einen raschen Blick über die Tische hin. Hier saßen nur die zechenden Salzkärrner mit Geschrei hinter ihren Branntweinstutzen und Bierkannen, ein paar Salzknappen und Bauern dazwischen. Beim Ofen schwatzte ein invalider Spießknecht mit der Harfenistin, die unter wenig melodischem Getön die Saiten schnurren ließ. Als der Jäger in die Stube trat, dämpfte sich der Lärm ein wenig, und alle Gesichter guckten nach ihm. Dann hub das Geschrei wieder an, die Fäuste trommelten, und die Würfel rollten. Während der Leutgeb für den neuen Gast schon den Brotlaib und die Bierkanne brachte, setzte sich Adelwart an einen Tisch, an dem ein Bauer und ein Salzknappe in eine aufgeregte Debatte verflochten waren. Sie stritten mit so heißen Köpfen, als ginge es um den teuersten Besitz ihres Lebens. Was die beiden so in Feuer brachte, war eine Meinungsverschiedenheit über Gottes Güte. »Daß unser Herrgott gut ist«, schrie der Knappe, »ist das wahr oder nit?«

»Wird wohl wahr sein!« Der Bauer wetterte die Faust auf den Tisch. »Aber wenn er zornig ist, rebellt er auf!«

Der Leutgeb, als er vor dem Jäger einen Holzteller mit einem dampfenden Stück Lammbraten hinstellte, mahnte die heißblütigen Gottesstreiter zur Ruhe. Das half nicht viel. »Meinst du, unser Herrgott ist, wie du bist?« kreischte der Knappe. »Unser Herrgott farbelt nit und bleibt bei der Stang. Ist er gut, so muß er's allweil sein und gegen alle. Gerechte und Ungerechte müssen teilhaben an seiner Gütigkeit.«

»Ketzerei! Ketzerei!« brüllte der Bauer. »Wenn Gottes Gut überall war in der Welt, was tat denn übrigbleiben für des Teufels Regiment? Wo kämen die Flöh und Wanzen her, die Maden und Blindschleichen, die Hexen und Zauberleut?«

Da warf der Jäger die Gabel aus der Hand und schob, von Ekel befallen, den Holzteller mit dem Braten fort. Bei dem Wort des Bauern und dem Geruch des gebratenen Fleisches wurden die Bilder dieses Morgens mit so quälendem Grauen in ihm wach, daß er aufsprang und aus der Stube rannte. In der Tiefe des dämmerigen Hausflurs sah er das leuchtende Viereck einer offenen Gartentür und draußen die Sonne, das Grün. Die Arme streckend, sprang er dieser Helle zu. Das waren nur wenige Schritte. Für das Entsetzen, das ihn erfüllte, war's eine endlose Zeit. Immer die tausendköpfige Menge vor seinen Augen, die Richter in schleppenden Talaren, die Wolken des Rauches, die lohenden Feuerstöße, die brennenden Menschen in ihrer Marter! Er hatte ein Gefühl, als stünde er dem Feuer so nahe, daß ihm die Hitze das Haar versengte. Und deutlicher als alles andere sah er hinter dem wogenden Flammenschleier das schöne, leichenblasse Greisengesicht des Chorherrn, den sie als Teufelsbündler verbrannten, weil er drei gefangenen Lutheranern zur Flucht aus dem Hexenturm verholfen hatte – und er hörte seine Stimme aus dem Rauschen der Flammen das Wort des Heilands hinrufen über die Menge: »Herr, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun!«

Das wirbelte dem Jäger durch Herz und Sinne, als er hinaustaumelte ins Freie, ins Grün, in die Sonne.

Ein kleiner Garten. Schmale Beete mit roten Aurikeln, die man ›Liebherzensschlüssel !‹ nannte. Und im Schatten eines blühenden Birnbaumes saß jenes junge Mädchen auf einer Bank, die ausgebreiteten Arme über die Lehne geschmiegt. Das Hütl hatte sie auf die Bank gelegt; die schwarzen rotdurchflochtnen Zöpfe hingen über die ruhig atmende Brust. Ihre Augen waren geschlossen. Sie schlief nicht, hatte nur die Lider zugetan, um in Behagen das linde Spiel von Schatten und Sonne auf ihrem Gesicht zu fühlen. Gleich schwarzen Monden lagen die Wimpern auf den leicht gebräunten Wangen, und halb geöffnet, wie in lächelndem Dürsten, atmeten die roten Lippen.

Der Jäger stand vor ihr, von einem Zittern befallen, das für ihn Erwachen und Erlösung, Schreck und Freude war. Was ihn trieb, das wußte er nicht. War es die Sehnsucht, nach allem Grauen dieser verwichenen Minute das schöne, blühende Leben zu umklammern? War es der bange Gedanke: Du bist ein Weib, auch dir kann drohen, was den anderen geschah? War es ein jäh erwachter Wille seines Herzens? Er wußte das nicht. Er tat nur, was er mußte, umschlang sie mit beiden Armen, hob sie an seine Brust und küßte in Glut ihren Mund. Das Mädchen wehrte sich in stammelndem Schreck. Mit kräftigen Fäusten stieß sie ihn zurück, und der Zorn blitzte in ihren dunklen Augen. Schweigend warf sie die Zöpfe über die Schultern, nahm den Hut von der Bank und verließ den Garten.

Adelwart stand mit blassem Gesicht und griff an seine Stirn, als müßte er sich besinnen, was da geschehen war. »Jungfer, ich bitt Euch, Jungfer –« Ratlos sah er im leeren Garten umher.

Aus dem Haus, von der Leutstube, hörte man einen wüsten Lärm. Allen Spektakel übertönte eine schrillende Stimme: »Ein Ketzer! Ein verkappter Lutherischer ist er! Von Gottes Gütigkeit sagt er –«

Der Jäger hörte das nicht. Er sprang in den Flur. Seine Augen suchten.

Da gab es in der Leutstube ein wildes Rumoren, ein wirres Kreischen. »Jesus Maria!« Mit langen Sprüngen jagte einer im Bauernkittel auf den Platz hinaus, ein paar Salzkärrner und Knappen waren hinter ihm her, und der ganze Flur füllte sich mit drängenden, schreienden Leuten. Als sich Adelwart einen Weg schaffen wollte, fiel sein Blick in die Stube. Da lag der Knappe auf dem Lehmboden, die Stirn von Blut überströmt, und neben ihm lag eine zinnerne Bierkanne, die aus der Form geraten war. »Parieren hätte er müssen«, erklärte der invalide Spießknecht mit einer Armbewegung, »so hätt er parieren müssen!« Und ein alter Bauer schimpfte: »Allweil sag ich's, das ganze Deutsche Reich wird noch in Scherben fallen, weil jeder von Gottes Gütigkeit ein anderes Prämißl hat!«

Von dem Gedränge, das den Flur erfüllte, wurde Adelwart zur Haustür hinausgeschoben und sah in der langen Gasse die Kutsche mit den zwei Schimmeln um eine Ecke biegen. Da fühlte er an seinem Spenzer einen derben Griff. Der Leutgeb sagte zu ihm: »Jäger, das Zahlen hast du vergessen!« Bleich, mit zitternden Händen, holte Adelwart ein Silberstück aus dem Geldbeutel und warf es dem Leutgeb hin. Als er durch die Sonne hinunterging zur Berchtesgadener Straße, klang aus allem Lärm, der in der Leutstube war, ein wirres Saitengeklirr heraus. Da hatte einer das Instrument der Harfenistin umgeworfen.

2

In dem Jäger brannte eine fiebernde Ungeduld nach seinem Ziel. Bei jeder Straßenbiegung spähte er, ob ihm der zurückweichende Wald nicht die Mauern und Türme des Stiftes zeigen möchte.

Wieviel hundertmal seit seinen Kinderjahren hatte er vom Mauerkranz des Buchberger Schlosses mit heißem Blick die fernen Berge gesucht, immer die Sehnsucht im Herzen: Dort, wo die Welt so blau ist, möcht ich leben! Vor zwei Jahren, als sein Herr den ›Söllmann‹ gekauft hatte, einen roten Schweißhund, der aus dem Zwinger des Berchtesgadener Stiftes kam, hatte Adelwart mit dem Klosterknecht, der den Hund gebracht, die ganze Nacht beisammen gesessen und hatte sich von ihm erzählen lassen: wie hoch man zu Berchtesgaden das Weidwerk hielte und wie schön das Land wäre. Und vor drei Tagen, als der Freiherr zu Buchberg hinter der Kutsche, in der seine Frau und seine Kinder saßen, mit blassem Gesicht zum Schloßhof hinausgeritten war, um für sich und die Seinen irgendwo in evangelischem Land eine neue Heimat zu suchen, da hatte Adelwart auf die Frage des Salzburger Vogts den Kopf geschüttelt: »Unter den neuen Farben mag ich nit dienen. Mein Herr ist fort, jetzt bin ich ein Freier. Ich geh nach Berchtesgaden.« Noch in der gleichen Stunde hatte er sein bißchen Hab und Gut gepackt, hatte den kleinen Koffer über den Schloßberg hinuntergezogen, hatte ein letztesmal das namenlose Grab seiner Eltern besucht und war auf einen Salzkarren gestiegen, der von der Donau heimkehrte in die Berge.

Eine Nacht und einen endlosen Tag hatte die träge Fahrt gedauert.

Als er Salzburg am Abend erreichte, war er, wirbelig von Lärm und Schauen, in den Straßen umhergelaufen, bis das Gebimmel der Bürgerglocke und das Trommelgerassel der Ronde die Leute in ihre Stuben trieb. Die Nacht in der Herberge zum ›Goldenen Stern‹ wurde für ihn zwischen Wachen und Schlummer zu einem dürstenden Traum von dem blauen Land seines Glückes. Schwül atmend blieb er stehen, die Wangen brennend vom heißen Marsch. »Die ganze Freud ist mir verdorben!« Er preßte den Arm über die Augen. »War ich nur da nit hinausgegangen! Hätt ich nur das nit sehen müssen!«

Der lärmende Menschenhaufe, der am frühen Morgen vor dem ›Goldenen Stern‹ mit Geschrei durch die Gasse gezogen war, hatte ihn mit hinausgerissen zur Nonntaler Wiese. Das Wort ›Hexenfeuer‹, das er immer wieder hörte, hatte ihn neugierig gemacht. Davon hatten seit seiner Kindheit im Buchberger Schloß alle Mägde getuschelt. Immer hatte er ungläubig den Kopf geschüttelt. Nun sollte er's mit eigenen Augen sehen, wie die Hexen um das Feuer tanzen. Es war anders gekommen. Er hatte sehen müssen, wie das Feuer um die Hexen tanzt.

Lange stand er auf der Straße, den Arm über die Augen gepreßt. Zwischen wogendem Rauch und rauschenden Flammen sah er immer zwei große, dunkle, schöne Mädchenaugen, die in Zorn und Empörung blitzten. »Hätt ich nur das nit getan! Das wird ein Elend für mich.« Wie war es denn nur geschehen? Er sann und grübelte. Wie ein Blitz herunterfährt, so war's über ihn gekommen, daß er's tun hatte müssen – wie eine dunkle Gewalt, die ihn zwang, wie ein mächtiger Zauber. Eine abergläubische Regung zuckte in ihm auf. Aus Zorn über diesen Gedanken schlug er mit der Faust in die Luft. Und atmete auf. Und lächelte. Was so hold und schön ist, muß das nicht ein Heiliges sein? Woher sollte das kommen, wenn nicht aus des Herrgotts schenkender Hand? Und wenn des Herrgotts schönes Werk mit lieben Gewalten nach einem jungen Herzen greift? Ist das nicht wie im Frühling, wenn der Sonnenschein aus kaltem Boden die Blumen weckt? Ein Zauber! Einer, der heilig ist und den der Herrgott will!

Und die Kutsche? Die in der Schellenberger Gasse verschwunden war? Die mußte von Berchtesgaden gekommen sein. Das blaue Land, das da draußen in Schönheit leuchtete, mußte ihre Heimat sein. Wie hell ihm plötzlich die Augen glänzten! Hastigen Schrittes folgte er der Straße. Die machte eine Biegung, und da hörte Adelwart ein grimmiges Schelten und Fluchen.

Von einer Felswand sickerte eine Quelle in hundert blitzenden Fäden herunter. Das Wasser, das in der Sonne so silberig glitzerte, hatte die Straße in tiefen Morast verwandelt. Und da stak ein Salzkarren festgefahren bis an die Naben seiner Räder. Der Kärrner peitschte schimpfend auf die Maultiere los, die zitternd im Schlamm standen und nimmer ziehen wollten. »He! Fuhrmann!« rief der Jäger. »Schlag doch nit so unsinnig auf die armen Viecher los! Laß gut sein, ich will dir helfen!« Der Zorn des Kärrners war flink beschwichtigt. »Ja, Bub! Da tat ich dir ein festes Vergeltsgott sagen!«

»Die Blach mußt du auftun! Ich mach mich fertig derweil. Wir müssen den Karren ein bißl leichtern.« Während sich Adelwart auf einen Stein setzte und die Schuhe und Strümpfe herunterzog, stieg der Fuhrmann auf den Karren und schlug die weiße Blache über die Reifen zurück – ein magerer Kerl, schon über die Fünfzig, mit borstigem Grauhaar und einem roten Bart, der wie ein ausgezacktes Schurzfell um das verwitterte Gesicht herumhing. Dann watete Adelwart mit den nackten Beinen in den Schlamm. Selbander hoben sie ein halb Dutzend Salzsäcke vom Karren und trugen sie auf trockenen Boden. »So, jetzt nimm den Leitstrang!« sagte der Jäger und warf auch den Spenzer ab. »Ich tauch am Wagen an. Wenn ich hopp schrei, laß die Häuter ziehen.« Er stieg in den Sumpf und legte sich mit der Schulter gegen das Gestäng des Karrens. »Hopp!« Der Fuhrmann schrie mit hoher Fistelstimme sein »Hjubba!« und ließ die Peitsche niedersausen. Schnaubend zogen die Tiere an, und der Jäger schob am Karren, daß ihm die Stirne blau wurde. Erst machten die Räder in dem zähen Schlamm nur einen trägen Ruck. Dann fingen sie im Sumpf zu rollen an und rollten hinaus auf die trockene Straße.

»Vergelts Gott, Bub!« Der Kärrner lehnte die Peitsche an einen Baum. »Du mußt Eisen in den Knochen haben!«

Adelwart lachte. »Wenn's sein muß, bring ich schon ein Bröckl fürwärts.« Er guckte an sich hinunter. »Gut schau ich aus! Aber komm! Laß aufladen!« Als sie den ersten Sack auf den Karren hoben, fragte er: »Bist du in Berchtesgaden daheim?«

»Nein, Bub, ich bin ein Passauer!« Der Kärrner begann zu erzählen, daß er einen Kramladen hätte, ein braves, fleißiges Weib und sieben Kinder. Zweimal des Jahres, im Mai und im Herbst, da kommt er mit seinem Karren den weiten Weg gefahren, um die vierzig Metzen Salz für seinen Laden zu holen. Und von dem Spielzeug, das sie zu Berchtesgaden schnitzen, bringt er jedes Jahr ein Kistl voll mit heim für ›seine lieben kleinen Föhlen‹.

»Da wirst du dich in Berchtesgaden nit auskennen?«

»Weg und Steg, die kenn ich wie meinen Jankersack. Jedsmal bleib ich drei Tag. Da guckt man sich allweil ein bißl um.«

Sie hoben den letzten Sack auf den Karren. Das war keine harte Müh. Dennoch brannte dem Jäger das Gesicht. »Hast du in Berchtesgaden nie eine Jungfer gesehen, schön und lieb wie ein Gottestag? Augen hat sie wie Rädlen. Und ihre schwarzen Zöpf, die sind rot gebändert.«

Der Passauer guckte ihn an und schmunzelte. »Nein, Bub! Auf Jungfern schau ich mich nimmer um.« Er stieg auf den Karren und zog die Blache über die Reifen. Plötzlich hob er den Kopf. »Halt, du! Vorigs Jahr, da hab ich so eine gesehen. Eine, so um die zwanzig Jahr. Am feinen Hälsl hat sie ein kleines, rotes Mal, als war ein Hanniskäferlein hingeflogen. Ist das die?«

»Das weiß ich nit.«

Die Schnüre der Blache waren festgebunden, und der Passauer sprang vom Wagen. »Also, Bub, vergelts Gott!«

Da sah der Kärrner, daß an Adelwarts Schulter ein paar rote Tropfen durch das Hemd herausquollen. »Herrjöi, Bub! Da hast dir weh getan! Um meinetwegen!«

Das hatte der Jäger gar nicht gemerkt. Er sah es erst jetzt und schob das Hemd zurück. Handbreit lief ein blauer Striemen über die Schulter, und ein Stückl Haut war abgeschürft. »Das tut nichts«, sagte er und haftelte den Kragen wieder zu. »Fahr nur! Und guten Heimweg!« Er setzte sich ans Ufer der Ache, wusch den Schlamm von den Beinen und schlüpfte in die Strümpfe. Der Kärrner strich ihm sacht mit der Hand über die wunde Schulter. »Ein Salwesblatt mußt du auflegen. Da ist's gleich wieder gut. Und vergelts Gott halt! Führt uns wieder einmal ein Weg überzwerch, und ich kann dir was helfen, Bub, so sag's!« Er lachte. »Ich tu's, und müßt ich für dich dem Teufel ein Dutzend Borsten aus dem Schwanzquästl reißen.«

Adelwart band die Riemen seiner Schuhe. »Hjubba!« klang es hinter ihm. Ein Peitschenknall. Dann zogen die Maultiere den rasselnden Karren davon. »Jetzt hab ich schon zwei, die mir helfen wollen!« Einen heiteren Blick in den Augen, erhob sich der Jäger und sah dem Passauer mit einem Lächeln nach, als war in ihm der Gedanke: ›Was wirst du mir helfen können?‹

Ganz ohne Hilfe war der Passauer nicht davongefahren. Bei der Arbeit, die der Jäger für den Karren getan hatte, war ihm alles Quälende aus den Gedanken gefallen. Als er einen Fußpfad am Ufer der Ache einschlug, sah er nur das schöne blaue Land, das ihn erwartete, und sah zwei große, dunkle Mädchenaugen, in denen sich der Zorn zu freundlichem Blick verwandelt hatte. »Die ist in Berchtesgaden daheim! Die seh ich wieder!« Dieser Glaube machte ihm das Land seiner Sehnsucht noch schöner um ein helles Licht. Bei allem Schauen merkte er nicht, daß sich der Fußpfad, den er eingeschlagen hatte, immer weiter von der Straße entfernte, auf schmalem Steg die Ache übersetzte und im Tal durch die Wiesen ging, während die Straße drüben am Waldsaum ein wenig zu steigen begann.

Wie schmuck die Jungfer gekleidet war! Nur schmuck, nicht reich. Sie mußte eines Bürgers Kind sein. Wär' sie aus eines Herren Haus, so hätte sie die Straußenfeder oder die Reihergranen auf dem Hut getragen oder ein seltsam Federwerk, wie es aus der indianischen Welt herüberkommt. Ob sie nicht gar eines Jägers Kind ist? Das schoß ihm durch den Kopf. Denn der Federstoß auf ihrem Hut, das waren die weißen Schäufelchen eines Birkhahns. Käme nur ein Mensch, den er fragen könnte! Der Pfad, so weit er sich überschauen ließ, war leer. Doch nein, in den Erlenbüschen am Ufer des Baches bewegte sich was. Dort saß einer mit der Angelgerte, in Hemdärmeln, mit einer buntgestreiften Hose, wie die Landsknechte sie getragen hatten, als der Jäger noch ein Kind war.

Wo der Fischer saß, bildete der Bach einen großen Kolk. Über dem Wasser schwamm die Schnur mit dem Federspliß, nach dem der Fischer guckte. Ein Mann, schon an die Sechzig, klein und wohlgenährt, mit einem gut gepolsterten Wanst, über dem der Hosenbund nicht mehr zusammenging. Die runden, wasserblauen Augen saßen in einem fetten Gesicht mit Schlotterbacken. Ein grauer Schnauzer hing ihm über die Mundwinkel, und wie ein dicker Dorn stach aus dem breiten Doppelkinn der Knebelbart heraus. Ein Fischer von Beruf? Den macht sein Handwerk mager. Adelwart riet: ein Bäcker oder Müller. Die pflegen sich bei gutem Verdienst zu runden. Aber eine Mühle war Bach auf und ab nicht zu sehen. Auf einen Steinwurf von der Ache entfernt, zwischen Erlen und blühenden Obstbäumen, stand ein kleines, aus Steinen gebautes Haus mit geweißten Mauern, bis über die Fensterhöhe von einer dichten Bretterplanke umzogen, an der auch die Fugen der Bretter wieder mit Latten vernagelt waren.

Beim Rauschen der Ache hatte der Fischer die Schritte des Jägers überhört. Jetzt zuckte er die Schnur aus dem Wasser, so geschickt, daß ihm die Forelle, die gebissen hatte, gleich in den Schoß fiel. Wie er den Fisch packte! Mit dieser kleinen, weibisch gerundeten Hand. Das war ein Griff, so merkwürdig sicher! Und vergnügt, mit schmalzigem Gemecker, rief er zum Haus hinüber: »Huldla! Ich hab schon wieder einen!« Dann riß er dem Fisch die Angel aus dem Schlund, daß die ganze Zunge der Forelle am Haken hängenblieb. »Aber, Mensch!« sagte Adelwart geärgert. »Man kann dem Fisch das Eisen doch sänftlich auslösen.« Mit flinker Bewegung hob der Fischer das Fettgesicht, sah den Jäger verwundert an, maß ihn vom Kopf bis zu den Füßen und schmunzelte, wie ein erfahrener Greis zur Weisheit eines Kindes lächelt.

Vom Haus herüber kam mit hölzernem Kübel ein junges Mädel gelaufen, ein paar Jahr über die Zwanzig; sie war barfüßig und trug nur ein kurzes schwarzes Röckl über dem Hemd; in wirren Zotten hingen ihr die schweren, rostbraunen Haare um das bleichsüchtige, hagere Gesicht, das nicht häßlich war trotz der galligen Vergrämtheit und der hungernden Sehnsucht in den scheuen Augen. Erschrocken stand das Mädel, starrte den Jäger an wie ein Wunder und stammelte: »Vater –«

»Siehst du den Ferch nit? Da, im Gras!«

Das Mädel bückte sich nach dem Fisch, der keinen Zuck mehr tat, und legte ihn in den Kübel. Zögernd ging sie davon und drehte immer wieder das Gesicht.

Der Fischer hatte die Zunge der Forelle als Köder benützt und einen Wurm dazugespießt. Den beköderten Haken tauchte er in einen kleinen Napf, der ein weißliches Fett enthielt.

»Gelt, das ist Reiherschmalz?« fragte Adelwart, der von den Künsten der Fischerei was verstand.

»Reiherschmalz?« Der Fischer guckte auf, mit seinem vergnügten Gemecker. »Reiherschmalz? Freilich, da beißen sie gern. Aber das da? Das ist was Besseres. Da schnappen sie wie närrisch.« Er warf die Schnur ins Wasser. »Reiherschmalz? Da hast du dich um ein paar Buchstäblen verredt!« Lustig blinzelte er an dem Jäger hinauf. »Das ist Räuberschmalz.«

»Schau, jetzt hab ich was gelernt!« sagte Adelwart. »Daß die Talgzähren, die an einem Kerzenlicht vom glostenden Räuber tropfen, ein guter Köder auf Ferchen sind, das ist mir neu.«

Der Fischer schnellte schon wieder eine Forelle aus dem Wasser und rief über die Schulter: »Huldla!« So flink war das Mädel zur Stelle, als hätte sie auf diesen Ruf gewartet. Jetzt trug sie ein geblümtes Miederchen aus gelber Seide, hatte blau gezwickelte Strümpfe und niedliche Pantöffelchen an den Füßen. Die Haare waren zurückgestrichen und in einem Knoten gebändigt. Immer sah sie den Jäger an, und heiße Flecke brannten ihr auf den bleichen Wangen. »Vater«, fragte sie, »soll ich gleich auf den nächsten warten?«

Aus dem Fettgesicht des Fischers schwand die lustige Gemütlichkeit. »Geh ins Haus!« sagte er grob. Kaum war das Mädel verschwunden, da lachte der Alte wieder. Und während er die Angel frisch beköderte und in das Tiegelchen tauchte, schwatzte er vor sich hin: »Da beißen sie wie närrisch. Und das da ist besonders gut, weil's von einem Sakrileger ist. Den hab ich vor drei Wochen schinden müssen, weil er in der Ramsauer Kirch die Monstranz gestohlen hat.«

Erbleichend stammelte der Jäger: »Mensch, wer bist denn du?«

»Du bist ein Fremder, gelt? Sonst tatst du den Jochel Zwanzigeißen kennen.«

Der Dicke warf die Schnur ins Wasser.

Dann hob er lachend das runde, glänzende Gesicht. »Ich bin der Freimann von Berchtesgaden.« Erheitert über den Schreck, mit dem der Bub vor ihm zurückwich, fragte er:

»Hast du vielleicht ein schlechtes Gewissen?«

Durch alles Grauen, das den Jäger befallen hatte, zuckte ihm der Gedanke: Wie kann man so fett werden und so lustig sein bei dem Handwerk! Das Gewirbel der Bilder, die quälend wieder in ihm erwachten, zwang ihn zu der Frage: »Hast du auch schon Hexen verbronnen?«

»Freilich. Weit über die hundert schon. Muspere Weiblen sind dabei gewesen. Der Teufel hat einen feinen Gusto.« Schmunzelnd beobachtete der Dicke den auf dem Wasser tanzenden Federspliß. »Wie ich noch Gesell zu Bamberg und in Salzburg gewesen bin, haben wir fleißig brennen müssen. Seit ich zu Berchtesgaden bin, hab ich Feierabend.« Das lustige Gemecker des Dicken hatte plötzlich einen anderen Klang. »Meine Herren im Stift und unsere Patres Franziskaner denken so viel gut von der bäurischen Menschheit. Die glauben allweil, es gäb im Berchtesgadener Land keine Hexen. Tät einer fest hinschauen –« Den Hals streckend, schwieg er und guckte schärfer nach dem Federkiel, der auf dem Wasser zu zittern begann.

Mit jagendem Schritt ging Adelwart davon. Als ihm dichtes Erlengebüsch das Haus des Freimanns schon verdeckte, hörte er noch die lustige Stimme: »Huldla! Ich hab schon wieder einen!« Kaltes Grauen rüttelte seinen Leib. Er rannte über die Wiesen und hielt erst inne, als er zu einem Sträßl kam, auf dem er Fuhrwerk und Menschen gewahrte. Aufatmend drückte er die Fäuste auf die Brust. »Meinem Herrgott dank ich, daß ich den nit gefragt hab um die Jungfer!« Zögernd wandte er das Gesicht und sah bei den Erlenbüschen die Freimannstochter stehen, in der Ferne so klein, daß ihr gelbes Mieder im Grün wie ein Blüml aussah. Da mußte er an die Fische denken – und sah, wie die beiden, Vater und Tochter, bei der Schüssel hockten. Der Ekel fuhr ihm in alle Knochen.

Er sprang auf die Straße, stand wie angewurzelt, und alles Zittern seiner Sinne war ihm verwandelt zu heißer Freude. Weit offen in der Sonne lag das herrliche Tal mit allen Bergen vor ihm, mit dem Riesenzahn des Watzmann, ein grünes Wunderland, überwölbt vom reinen Blau. Von den smaragdenen Wiesenhöhen, die sich zur Rechten gegen die Wälder des Untersberges hoben, grüßte der mächtige Bau des Stiftes mit blinkenden Fenstern. Wie die Schäfer bei der Herde stehen, hoben sich die Türme des Münsters und zweier Kirchen über das sonnbeglänzte Dachgewirr des Marktes. Kleine Gärten mit blühenden Obstbäumen hingen zwischen Mauern auf dem steilen Geländ, und auf der Höh schob sich überall der Bergwald mit lichten Buchen und leuchtendem Felsgeschröff bis dicht an die Häuser her. Den grünen Hügeln zu Füßen, am Ufer der blitzenden Ache, lag ein großes Gebäude, das Pfannhaus der Saline Frauenreut, und ein Gewirbel feinen Wasserdampfes quoll über das hochgegiebelte Dach hinaus und verwehte mit zarten Schleiern in der Sonne. Überall im Tal, so weit man sehen konnte, lagen umzäunte Gehöfte einsam zwischen Wiesen und Wäldchen; hoch im Bergwald droben, auf kleinen Geräumten, leuchteten die grauen Dächer, und über dem Kranz der Almen, die zu grünen begannen, stiegen die Wände ins Blau, noch halb übergossen von Schnee und gleißend wie Silber. »Herr du mein! O du schönes Land, du!« stammelte der Jäger. Und während er dem Sträßl folgte, hingen seine staunenden Augen immer an den weißgemäntelten Riesen da droben, am Watzmann und seinen steinernen Kindern.

Nur weil er unter Bäume kam, deren Kronen ihm das Bild der Ferne verhüllten, fand er auch einen Blick für die Nähe. Da stand auf der einen Seite der Straße ein stattliches Gebäude, das neue Hällingeramt, auf der anderen Seite die Salzmühle, in der es rauschte, rasselte und pochte. Dunkel gähnte am Berghang das Tor eines Stollens. Auf hölzerner Rollbahn kamen mit flinkem Schuß die mit rötlichen Salzsteinen beladenen ›Hunde‹ herausgefahren; erst hörte man nur das dumpfe Rollen, ohne daß in dem finsteren Schacht etwas zu sehen war; dann plötzlich schoß der Wagen heraus in den Tag, und der Hundsmann, der ihn führte, mit dem rußenden Grubenlicht am Gürtel, zwinkerte die Augen zu, weil ihn die Sonne blendete. »Das muß ein trauriges Schaffen sein, da drinnen in der schwarzen Tief!« Bei diesem Gedanken suchten die Augen des Jägers den Wald und die freien Berge.

Als er die Straße hinauswanderte, schoß ihm jäh das Blut in die Wangen. Er sah einen greisen Priester kommen, im weißen Habit der Augustiner, mit einer pelzverbrämten Kappe über den grauen Haarsträhnen, die dünn herunterhingen auf die Schultern. Ein feines, bleiches Gesicht mit dem Ausdruck tiefen Kummers und mit brütender Sorge in den Augen. Adelwart las nicht die Sprache dieses Gesichtes, sah nur das Kleid, und brennend war der Gedanke in ihm: Von meinen Herren einer! Aber nicht der Propst! Das merkte er gleich. So allein geht doch ein Fürst nicht über den Weg. Er zog unter stammelndem Gruß die Kappe.

»Herr? Möget Ihr aus Gütigkeit erlauben, daß ich eine Frag an Euch tu?«

Mit zerstreutem Blick hob der Priester das Gesicht.

»Gelt, Ihr seid von den Herren einer, aus dem Kloster droben?«

Der Stiftsherr nickte.

»So sagt mir, Herr, welchen Weg ich machen muß, daß ich mit dem gnädigen Fürsten zu reden komm?«

Ein wehes Lächeln zuckte dem Stiftsherrn um die schmalen Lippen. »Das kann ich dir nicht sagen. Wüßt ich da einen Weg, so würd ich ihn selber machen. Noch heut!« Er wollte gehen. Da sah er die Ratlosigkeit im Gesicht des Jägers. »Bist du fremd? Weißt du nicht, daß Seine Liebden Herzog Ferdinand, unser Fürst, der Erzbischof zu Köllen am Rhein ist? Seit wir ihn zum Fürsten wählten, hat er sein Land nicht gesehen.« Die Stimme des greisen Priesters zitterte, »Seit zweiundzwanzig Jahren.«

»Jesus!« Der Schreck war dem Jäger in alle Glieder gefahren. »Was soll ich denn da jetzt tun?«

Schweigend betrachtete ihn der Stiftsherr. In seinen sorgenvollen Augen erwachte ein freundlicher Blick.

»Was wolltest du beim Fürsten?«

»Ach, Herr!« Dem Jäger sprudelte die ganze Geschichte seiner blauen Träume aus dem Herzen. »Da komm ich jetzt von so weit! Und möcht Eurem Fürsten dienen als Jäger. Das darf ich sagen ohne Hochmut: Ich bin kein schlechter. Was tu ich jetzt? Wenn Euer Fürst zu Köllen hockt! Ich kann doch nit durchs ganze Deutsche Reich hinunterlaufen bis an den Rhein. Und möcht doch bleiben. Ums Leben gern!«

Mit einem Blick des Wohlgefallens legte der Stiftsherr dem Jäger die Hand auf die Schulter. »Dazu brauchen wir den Fürsten nicht. Geh hinüber zum Wildmeister! Da drüben am Stiftsberg, das Haus bei den Birnbäumen, da wohnt er. Wenn er dich tüchtig findet in allem Weidwerk, wird sein Antrag, dich als Jäger zu dingen, bei mir ein williges Ohr finden.« Er nickte lächelnd und ging seiner Weg, wieder mit dieser grübelnden Sorge in den Augen.

Dem Jäger glühte die Freude im Gesicht. Einen Knappen, der von der Saline kam, faßte er am Arm. »Du, ich bitt dich, sag mir, wer das ist: der gute Herr dort!«

»Der edel Herr von Sölln, unser Kanzler und Dekan.«

»Jesus! Da ist mein Glück gemacht!«

Wie heiß auch in Adelwart das Frohgefühl dieser Stunde rumorte, wie ungeduldig er auch das Haus des Wildmeisters zu erreichen suchte – er mußte, als er die Achenbrücke überschritten hatte, doch stehenbleiben und ein Menschenpaar betrachten. Unter dem Schatten großer Ulmen stand ein kleines Haus inmitten eines gutgepflegten Gartens. Auf grauer Steinbank, zwischen blühendem Holunder, saß eine junge, zarte Frau in grauem Kleid, ein weißes Häubchen um das Haar gebunden, von dem sich zwei blonde Locken noch herausstahlen unter der Leinwand; ein schmales, bleiches Gesicht, dessen Augen regungslos und traurig ins Leere schauten. Wie eine Kranke sah sie aus, die ein schweres Leiden überstanden hat und nicht an Genesung glauben will. Während sie so saß wie ein steinernes Bild, mit den Händen im Schoße, kam aus dem Haus ein Mann, noch jung, kaum über die Dreißig hinaus, schwarzbärtig, mit dicken Haarbüscheln um das ernste Gesicht. Vor der Brust trug er eine Lederschürze, und kleine Holzspäne hingen an seinem Gewand. Er nahm die Hand der Frau. »Geh, Trudle, komm herein ins Haus! Die Sonn geht bald hinunter, da wird der Abend kühl.« Sie hob das Gesicht zu ihm: »Mir ist auch kalt in der Sonn.« Adelwart stand bei der Hecke und sah die beiden langsam zwischen dem blühenden Holunder davongehen und im Haus verschwinden. Er fühlte: Da geht ein tiefes Elend unter Dach! Um den Schauer seines Erbarmens zu überwinden, mußte er an die frohe Hoffnung denken, die ihm die vergangene Minute geschenkt hatte. Die Kappe zurückschiebend, sprang er über die Straße und zum Haus des Wildmeisters. Das lag am Fuße des Stiftsberges in einer Wiesenmulde, die sich ansah wie ein aufgefüllter Wallgraben. Überall in der Nähe gewahrte man halb abgetragene Festungsmauern, noch mit Schießscharten in den übriggebliebenen Resten. Um den Hof des Hauses zog sich eine beschnittene Weißdornhecke, so hoch, daß man mit der Hand kaum hinaufreichte an den Saum. Über der Hecke sah man die Kronen blühender Birnbäume und ein steinbeschwertes Schindeldach mit einem Hirschgeweih am First.

Im lebenden Zaun eine hohe Brettertür. Die war verschlossen. Als Adelwart an der Klinke rüttelte, erhob sich hinter der Hecke ein Kläffen und Bellen vieler Hunde. Die Tür wurde von innen aufgeriegelt, ein gellender Pfiff machte die Hunde schweigen. Vor Adelwart stand der Wildmeister Peter Sterzinger in grünen Bundhosen und im hirschledernen Wams, um den Hals einen breiten Leinenkragen, der ein weites Maß hatte. Böse Zungen konnten behaupten, daß der Atem des Wildmeisters durch einen linksseitigen Kropf beengt wäre. Für ein nachsichtiges Urteil war's nur jene Ausbuchtung der Halslinie, die der Volksmund als ›Wimmerl‹ bezeichnet. Über diesem doppelfaustgroßen Kröpfl saß ein fester Eisenkopf mit kurzgeschorenem Haar. Kleine, kluge Augen blitzten, in dem braunen Gesicht, dessen Kinn und Wangen rasiert waren, während über dem Mund ein dicker Schnauzbart sein dunkles Dächl struppte. Ein hurtiger Blick musterte den Jäger. Und eine strenge, kurzatmige Stimme fragte: »Wer bist du? Was willst?«

Adelwart zog die Kappe. »Gottsgrünen Weidmannsgruß, Herr Wildmeister! Ein Jäger bin ich und tät gern dienen unter Euch. Mit dem edlen Herrn von Sölln, den mir eine gute Stund über den Weg geschoben, hab ich schon geredet. Der tat mir ein willig Ohr geben, hat er gesagt, wenn Ihr mich gerecht findet in aller Jägerei!«

Wieder flog der Blick des Wildmeisters über die Gestalt des Jägers auf und nieder. Dann machte er eine merkwürdig flinke Zuckbewegung mit dem Kopf, wie ein Specht, der den Schnabel in eine Baumrinde schlägt. Das kannten die Leute an ihm und sagten: ›Er schnackelt!‹ – oder sie sagten auch: ›Er macht den Specht!‹

»Komm!« schnackelte Peter Sterzinger. »Da muß ich dir mit fester Zang an die grüne Leber greifen.«

Adelwart trat hinter dem Wildmeister ins Gehöft und bekreuzte sich. Soweit hatte er den Peter Sterzinger bereits kennengelernt, um zu wittern, daß es ein scharfes Examen absetzen würde.

Baut man auch in solcher Stund auf seine gute Kraft, so ist doch des Himmels Beistand nie von Schaden.

3

In dem saubergepflegten Gemüsegarten, der das Haus des Wildmeisters umgab, waren alle Blumen des Frühlings in Blüte. Dem Jäger stieg es heiß ins Gesicht, als er eine Rabatte mit roten Aurikeln sah, mit ›Liebherzensschlüsselen‹. Vor allen Fenstern hingen Blumengitter aus Weidengeflecht, und an den Rosenstöcken, mit denen sie besetzt waren, begann das Laub zu sprossen. Ein Stall und eine Tenne waren unter gleichem Dach an das Haus gebaut, und in der Tiefe eines langen Wiesgartens sah man den großen Hundezwinger, hinter dessen Staketen an die dreißig Hunde umhertrabten, gelbe Bracken und gefleckte Rüden. Vor der Tenne saß ein alter Knecht in der Sonne und schor einem Schaf die Wolle herunter. Zwei hübsche Kinder standen dabei und guckten zu, ein vierjähriger Bub mit schwarzem Krauskopf, hemdärmelig, in kurzen Lederhöschen, und ein fünfjähriges Mädel mit blondem Zopf, in einem lichtblauen Leinwandröckl. Als die Kinder den Fremden sahen, kamen sie neugierig gelaufen. Der Vater drückte ihre Köpfe zärtlich an sich. Dann sagte er: »Marsch weiter, ihr kleine War! Da wird eine ernste Sach geredet!« Und rief zu dem Knecht hinüber: »He! Schinagl! Tu mir die Kinder hüten!«

»Miggele! Bimba!« Der Knecht winkte mit der Schere. »Kommet her da! Ich verzähl euch was Schönes!«

»Vaterle?« fragte das Bürschl. »Ist das noch lang, bis morgen?«

»Nein, Miggele, das wird's gleich haben. Am Abend schläfst du ein bißl, und wenn du die Guckerln auf tust, ist es morgen. Und die Madda ist wieder da.«

»In der Früh schon?« zwitscherte das Mädel.

»Wie bräver du bist, wie bälder kommt sie. Jetzt geht miteinander zum Schinagl!« Der Wildmeister führte das Pärchen bis zur Tenne, kam zu Adelwart zurück und ließ sich neben der Haustür auf die Steinbank nieder. »Also, Bub, sitz her da! Und die erste Frag: Warum bist fort von deinem Herrn?«

»Der ist fort von mir. Evangelisch ist er gewesen. Allweil ein guter, lustiger Herr. Vier Jahr kann's her sein, da ist er einmal heimgekommen von seiner Fahrt zum Regensburger Reichstag, ganz verdrossen und verwendt.«

Peter Sterzinger schnackelte. »Das ist selbigsmal gewesen, wie die luthrischen Unisten und die römsichen Ligianer so schiech aneinandergeraten sind.«

»Davon weiß ich nichts. Aber ich seh's noch allweil, wie mein Herr zum Tor einreitet. Noch im Stegreif hat er seiner lieben Ehfrau zugeschrien: ›Böse Zeitung, Weib, das Feuer geht auf, und Gut und Leben, Volk und Reich und alles ist in Fahr!‹ Selbigsmal zu Regensburg, da muß mein Herr mit dem Salzburger bös überzwerch geraten sein. Der hat ihm derzeit das Leben so sauer gemacht, daß mein Herr verkaufen hat müssen. Vor drei Tag ist er fort mit Weib und Kind ins Brandenburgische.«

Der Wildmeister drehte mißmutig das Gesicht über die Schulter, als könnte er über die Berge hinausgucken nach Salzburg. Dann sagte er: »Du hast mir gefallen, Bub! Aber wenn du deines Herrn Glauben hast, so ist kein Bleiben für dich.« »Ich bin römisch getauft und bin's geblieben.« Peter Sterzinger sah verwundert auf. »Dein Herr hat nit verlangt, daß sein Gsind zum gleichen Herrgott betet wie er?«

»Der hat jeden glauben lassen, was er mögen hat.« Der Wildmeister machte die Bewegung des hämmernden Spechtes. Das schien bei ihm ein Zeichen gebesserter Laune zu sein. »Wer ist dein Herr gewesen?«

»Der Edelherr von Buchberg.«

»Buchberg? Buchberg?« Peter Sterzinger besann sich. »So hat doch einer geheißen, an den das Stift den Söllmann verkauft hat?«

»Freilich! Den Söllmann hab ich hundertmal auf die Rotfährt angelegt. Herrgott, ist das ein Hund gewesen! So einen darf man suchen.«

Das begeisterte Lob des Hundes, den Peter Sterzinger in seinem Zwinger gezogen, ließ die beiden auf der Steinbank näher aneinanderrücken. Ein Stündl ging mit den Geschichten hin, die der Jäger von Söllmanns Wundertaten im Buchberger Forst zu erzählen hatte. Immer häufiger machte der Wildmeister den Specht, und schließlich klatschte er dem Jäger die Hand aufs Knie. »Jetzt sag mir, Bub, wie heißt du denn?« »Adelwart.«

»Wie noch?«

»Ich hab sonst keinen Namen.«

»Du mußt doch auch nach deinem Vater heißen?«

Der Jäger schüttelte den Kopf und begann zu erzählen, während seine Augen an den roten Aurikeln hingen. Vor sechsundzwanzig Jahren hatten zu Buchenau, in dem kleinen Dorf, das mit seinen hundert Hütten dem Buchberger Schloß zu Füßen lag, die Bauern in einer Herbstnacht wildes Geschrei auf der Landstraße gehört, ein Dutzend Musketenschüsse, Waffengeklirr und den Hufschlag jagender Pferde. Niemand hatte sich aus dem Haus gewagt. Im Grau des Morgens hatte man auf der Straße einen umgestürzten Blachenkarren gefunden. Erschossen lag der Fuhrmann neben dem toten Pferd, und zwischen den Rädern ein erschlagener Mann, der wie ein Knecht gekleidet war, aber weiße Hände ohne Schwielen hatte. Unter der Blache des Karrens hörte man leises Wimmern und fand in Magdkleidern eine junge Frau, die gesegneten Leibes war, mit einem Säbelhieb über das schöne Gesicht. Sie hauchte ein paar Worte in einer Sprache, die keiner verstand. Die Bauern trugen die Frau zum Widum. Auf den Dielen der Pfarrstube gab sie sterbend einem Knaben das Leben, einem Würml zum Erbarmen, kein Härchen auf dem Kopf, keinen Nagel an den winzigen Fingern.

»Und bist so ein fester Bub geworden!«

Adelwart nickte.

Die drei toten Menschen hatte man bei der Friedhofsmauer zur Ruh gelegt. Der Pfarrer hatte nicht den Mut, sie christlich zu begraben. Dazu hätte er wissen müssen, ob sie auch christlich getauft waren. In dem geplünderten Karren und in den Kleidern der Toten hatte man nicht das geringste gefunden, was Aufschluß hätte geben können. Seine Härte gegen die namenlosen Toten machte der Pfarrer an dem lebenden Bübl wett. Das behielt er im Widum. Seine alte Magd mußte das Kind mit Geißmilch aufpäppeln. Und als der Bub heranwuchs, sollte ein Priester aus ihm werden.

»Mein guter Pfarrvater hat mich lesen und schreiben gelehrt und hat schon Lateinisch mit mir angefangen. Im Herbst einmal, in einer Lektion, da hat er konjugieret: ›morior, mortuus sum‹, hat einen Schlag auf den Boden hingetan und ist tot gewesen. Der junge Kaplan, der hinter ihm gekommen ist, hat nichts wissen mögen von mir. So bin ich mit vierzehn Jahr im Buchberger Schloß als Troßbub eingestanden. Weil mir allweil der Wald das Liebste gewesen, bin ich Jäger worden.«

»Und ein guter!« Peter Sterzinger legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das hab ich herausgehört, wie du vom Söllmann erzählt hast. Aber daß ich vor meinem Herrn das Gewissen salvier, müssen wir die Prob aufs End bringen.« Er ging ins Haus und brachte eine Armbrust und ein Luntengewehr mit Pulverhorn und Kugelbeutel. »Jetzt zeig, was du kannst!«

Adelwart griff zuerst nach der Armbrust.

»Brauchst du eine Zwing?«

Der Jäger spannte den dicken Stahlbogen frei mit den Händen. »Gib mir ein Ziel!« Er legte den Bolzen auf.

Peter Sterzinger zupfte von den roten Aurikeln ein Blümchen ab und steckte die Blüte auf fünfzig Gänge an die Rinde eines Baumes. Wie ein winziger Blutstropfen sah das aus. Adelwart, dem es heiß über die Wange brannte, stammelte: »Meister, auf das Liebherzensschlüsselein schieß ich nit gern.«

»Das ist närrischer Aberglauben!«

Schweigend hob Adelwart die Wehr ans Gesicht. Man sah es ihm an, wie ein eiserner Wille alle Muskeln seines Körpers straffte.

Die Sehne schnurrte, und ein Zisch ging durch die Luft.

»Brav, Bub!« Peter Sterzinger schnackelte. Um die Breite eines Messerrückens stak der Bolz neben der roten Blüte. Und Adelwart schmunzelte; jetzt hatte er's allen beiden recht gemacht, seinem pochenden Herzen und dem Wildmeister. In Eifer legte er die Armbrust fort und griff nach dem Luntengewehr. Aufmerksam guckte Peter Sterzinger zu, während der Jäger das Pulver, auf der Hand gemessen, in die Röhre schüttete, die Kugel aufsetzte, bis der Ladstock aus dem Lauf sprang, Feinkorn in die Pfanne gab und die angebrannte Lunte in der Hahnschneppe befestigte. Auf achtzig Gänge lag ein weißer Kiesel am Wiesenrain. Während Adelwart zielte, kräuselte sich vor seiner Stirn der Luntenrauch in die Höhe, und drüben bei der Tenne hielten sich die Kinder die Ohren zu. Der Schuß krachte, und der weiße Kiesel war verschwunden. Lachend machte Peter Sterzinger den Specht, und die Kinder schrien vor Vergnügen. Adelwart blickte verwundert in die Lüfte. Wie der Donner eines Ungewitters rollte das Echo des Schusses über die Berge hin. Als dieses Rollen schon erlöschen wollte, begann es von neuem und verzitterte mit leisem Hall in der blauen Ferne. Das hatte der Jäger noch nie gehört. »Herrgott, wie schön ist das!« Aufatmend stellte er den Kolben des Feuerrohrs zu Boden. »Da möcht einer pulvern den ganzen Tag! Und allweil lusen!«

Der Wildmeister war guter Laune, schenkte aber dem Jäger kein Quentl der gewichtigen Probe. Als sie wieder auf der Hausbank saßen, wurde Frage um Frage die ganze Jahresarbeit des Weidwerks durchgehechelt, die Kurtoasey vor dem Jagdherrn und die Spruchweisheit des fährtengerechten Jägers. Da gingen, halb gesprochen und halb mit singendem Klang, zwischen Meister und Gesell die Wechselreden:

»Jo ho, mein lieber Weidmann unveracht, Hast du des Hirschen sieben Zeichen betracht?«

»Jo ho, lieb Meister, hör zur Stund, Der Zwang und Ballen ist mir kund, Der Burgstall und der Grastritt drein, Sind welk, sind grün die Gräserlein? Der Schrank und Schritt, Die Oberrücken mit, Da kann ich bei schnellem Fliehen, Als auch bei sachtem Ziehen Allzeit den edlen Hirsch erkennen Und auch nach seiner Güt benennen.«

»Jo ho, sag an, mein lieber Weidmann, Was hat der edel Hirsch unten und oben getan?«

»Hat unten geblendt und oben gewendt, Da hat ihn der Jäger gerecht erkennt.«

»Jo ho, mein lieber Weidmann, sag mir fein, Was bringt den Hirsch von Feld gen Holz hinein?«

»Der liebe Tag und der Morgenschein, Die treibenden Hirsch gen Holz hinein.«

»Ho, Jäger jung, so tu mir kund, Was macht den edeln Hirschen wund Und den Jäger gesund?«

»Ein guter Schuß und ein guter Hund, Die machen den edeln Hirschen wund, Und ein feines liebschönes Jüngferlein Mit Aug voll Lieb und Sonnenschein,