Der Mann ohne Plan - Jürgen Mick - E-Book

Der Mann ohne Plan E-Book

Jürgen Mick

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Beschreibung

M. hat einen Suizidversuch überlebt. Hineingeboren in die Boomer-Generation und aufgewachsen in einer spätmodernen, westlichen Gesellschaft, sieht er sich vor die Aufgabe gestellt, sich selbst (er-)finden zu müssen. Dem ist M. nicht gewachsen. Während er nun nach seiner Genesung wenig vielversprechend einen Weg sucht, seine »Zweite Chance« zu leben, indem er sich von der realen Welt abschottet, um sich in die virtuelle Welt zu retten, gerät er genau dort in die unausweichliche Lage, sein altes Leben noch einmal durchleben zu müssen. Mit überraschender Erkenntnis.

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M. hat einen Suizidversuch überlebt. Hineingeboren in die Boomer-Generation und aufgewachsen in einer spätmodernen, westlichen Gesellschaft, sieht er sich vor die Aufgabe gestellt, sich selbst (er-)finden zu müssen. Dem ist M. nicht gewachsen.

Während er nun nach seiner Genesung wenig vielversprechend einen Weg sucht, seine »Zweite Chance« zu leben, indem er sich von der realen Welt abschottet, um sich in die virtuelle Welt zu retten, gerät er genau dort in die unausweichliche Lage, sein altes Leben noch einmal durchleben zu müssen. Mit überraschender Erkenntnis.

Jürgen Walter Günter Mick, 1964 geboren in Augsburg, ist Autor, Musiker und gelernter Architekt. Während seiner Schulzeit beginnt er mit dem Schreiben von Gedichten und Liedern und studiert Philosophie. Er arbeitet als Musiker, Soldat, Barkeeper und Architekt. Literarisch befasst er sich vorwiegend mit Essays, Lyrik, Erzählungen und Dramen.

»We are here tobe together.«

(Woodstock-Festival 1969)

CHARAKTERE & GEISTER

M.

Teufel (aka Ziggy S. DeVille)

Betula B.

The Many

Traumdoktoren

Captain Clio

Zeitgeistin

7 Todsünden der Moderne

Mr. MTV

Good Fairies

Dr. Robot

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Teil 2

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Teil 3

Kapitel 11

Teil 4

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Teil 5

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

EPILOG

ZEITGEISTIN

PROLOG

BETULA:

»Wir hatten seit mehr als dreißig Jahren nicht voneinander gehört, als das Telefon klingelte und M. mich unvermittelt fragte, ob ich ihm den Gefallen tun könnte, ihn vom Krankenhaus abzuholen und ihn »endlich nach Hause zu bringen«, wie er sich ausdrückte.

Als ich den Wagen stoppte, wie von ihm angewiesen, standen wir vor einer Villa – ehemals die seiner Großtante –, und er dankte mir und verabschiedete sich mit den Worten, er wollte eigentlich seine Wohnung niemals wieder betreten, aber ... Mit einem Achselzucken stieg er aus dem Wagen.

Das ereignete sich zwölf Monate nachdem er seinen Selbstmordversuch überlebt hatte. Von dem ich erst während dieser Fahrt erfahren hatte. Nie zuvor sprach er so offen zu mir, wie auf jener Autofahrt. Ich fühlte mich ihm näher denn je. Er müsse jetzt viel nachdenken sagte er mir, »Nicht jeder bekommt eine zweite Chance!« Damit hatte er verdammt recht, doch gleichzeitig grinste er dabei so ungläubig, dass es mir schwerfiel, ihm abzunehmen, dass er daran wirklich glaubte.

Vielmehr schien seine Mimik sagen zu wollen: »Mal sehen, wie lange ich es diesmal durchhalte!«

Als ich losfuhr, nachdem ich noch einige Minuten still verharrend im Wagen über seine Worte nachgedacht hatte, sah ich noch, wie er dabei war sämtliche Vorhänge und Jalousien zuzuziehen. Ich war mir nicht sicher, ob er gezögert hatte, um mich doch noch zu küssen?«

Teil 1

1.

Der Aufenthalt in der Rehabilitations-Klinik dauerte beinahe ein Jahr. Man hat sich sowohl körperlich als auch mental fürsorglich um M. gekümmert und ihn letztendlich als psychisch stabil eingestuft entlassen. Es war eine anstrengende Zeit und M. fühlt sich bis heute immer noch leer, gleichzeitig auch irgendwie erleichtert, wenn er auch keine Ahnung hat, was er nun mit dem wiedergewonnen Rest seines Lebens anfangen soll. Das mit dem Glück und dem Schmied haben sie ihm in der Therapie zur Genüge versucht klar zu machen, aber das war ihm doch nichts Neues, es kam ihm so alt und so verdammt bekannt vor. Und jedes Mal, wenn er darüber nachdenkt, tut sich ihm wieder der Spalt auf zwischen Einsicht und Handeln, zwischen Philosophie und Leben. Für ihn steht nur eines fest, dass er an sein altes Leben nicht wieder wird anknüpfen können.

M. legt im Flur seine Sachen ab und schließt anschließend als erstes die Fensterläden seines alten, neuen Zuhauses, das ihm gänzlich fremd erscheint. Er lässt alle Jalousien herunter und, als sei dies nicht genug, zieht er noch sämtliche Vorhänge vor die mannshohen Fenster. Die alte Villa hat ihm schon immer Angst oder zumindest Respekt eingeflößt. Heimisch hat er sich hier nie gefühlt. Auch nicht damals, als er noch zu Besuch hierhergekommen war. Zumeist in den Ferien, für einige Tage, immer dann wenn seine Eltern für sich sein wollten. Da er sie nun alle überlebt hatte, sowohl seine Eltern, als auch seine Großtante, die letzte stolze Besitzerin des Anwesens, kann er sich Eigentümer dieses herrschaftlichen Hauses bezeichnen. Wohl fühlt er sich dennoch nicht. Als Erbe beschleicht ihn sowieso stets das Gefühl einer Spezies der Schmarotzer anzugehören. Er hat es sich nicht verdient, hier zu leben, was er aber auch zu keiner Zeit angestrebt hat. Auffallend ist, mittlerweile stört er sich an derlei Dingen kaum noch ernsthaft. Vieles in seinem Leben ist nicht so gelaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Man gewöhnt sich daran. Und im Vorstellen, da ist er schon immer Weltmeister gewesen. Er denkt ungern zurück, an die ganzen Spinnereien und Utopien, die er sich ausgemalt hatte, von einer gerechten und vernünftigen Welt und einer Menschheit, die von der reinen Wissenschaft geleitet im Jahre 2050 schließlich friedfertig auf dem Mond in phantastischen Glaskugeln wohnen würde und mit ihren Kindern jeden Sonntag einen Ausflug zu den berühmtesten Kratern machen würden. Fortschritt galt ihm einst noch als Verheißung, als das Versprechen auf eine bessere Zukunft. Doch mehr als Sentimentalität ist daraus nicht geworden.

Es ist beschlossene Sache und eigentlich das Resultat seiner lang andauernden Grübelei gegen sein eigenes Leben und sich selbst: Er will sich dieser Prozedur nicht länger aussetzen, nicht länger nachdenken, endlich seinen Frieden finden! Er kehrt nun endgültig der Welt dort draußen den Rücken. Er wird sich allem weiteren Scheitern schlicht verweigern. Weltverweigerung scheint seine noch einzig verbliebene Motivation, angesichts der gescheiterten Utopien und einer offensichtlich dem Schwachsinn verfallenen Menschheit. Die Welt hat ihn nicht weniger als um sein Leben betrogen, weshalb sollte er noch einmal einen Schritt - nach draußen -, auf sie zugehen? Er wollte es deswegen schon einmal beenden, und wenn es nun – wie es aussieht – sein Los ist, weiter machen zu müssen, dann in seiner eigenen, selbstgewählten Welt, in der er der Held ist! Es gibt niemanden, dem er noch verbunden ist. Gewiss ist diese Entscheidung auch zum Teil seiner bevorzugten Situation geschuldet, in welche ihn die unerwartete Erbschaft gebracht hat, die es ihm erlaubt, sich abzuwenden. Er ist versorgt bis zu seinem Ende, wenn er nicht noch große kapitalistische Fehler begehen wird. Es ist so etwas wie der Vorschuss für sein Ende. Er sitzt im gemachten Nest, in einer sicheren, behüteten Welt. Und ja es stimmt, noch nie zuvor ging es der Menschheit so gut wie heute, – aber ist die Utopie seiner Generation deshalb schon aufgegangen? Noch nie erschien ihm die Welt auch so irre, und er kann sich, gemessen an den äußeren Umständen, selbst noch zu den Glücklichsten zählen, denen es unverschämt gut geht! Weswegen, ist er es dann nicht? Was hindert ihn glücklich zu sein? Diese Widersprüche lähmen ihn, machen ihn selbst irre und hindern ihn irgendetwas zu tun. Es sind die unauflösbaren Wiedersprüche, die er schon einmal glaubte, nicht mehr aushalten zu können. Sollte er sich deswegen schämen? Kann er selbst etwas dafür? Verpflichtet ihn der Vorzug seiner Geburt und Existenz zu irgendetwas? Jede Generation ist eine geworfene, in eine Welt, die sie selbst ja nicht gemacht hat. War es etwa seine Entscheidung – 1964 –, auf diese Welt zu kommen? Keineswegs will M. ungerecht sein, denen gegenüber, die es nicht so gut getroffen haben. Aber auch das liegt außerhalb seines Verantwortungsbereiches; der – und das ist ihm wahrscheinlich das Schlimmste – ihm immer mehr abhandenkommt. Er war und ist nun einmal ein männliches, westliches, weißes Kind aus einer wohlbehüteten Kinderstube – ganz ohne sein Zutun. Und hat er es nun versaut?

M. greift zum Telefon und bestellt sich etwas zum Essen. Dann setzt er sich an seinen Computer. Ein weißer Lichtblitz durchzuckt das vollkommen abgedunkelte Zimmer, kurz bevor ein tief blauer Schimmer sich auf die Wände legt. Er startet ein Spiel, er ruft seine Welt auf! Endlich in seine Welt fliehen – und wenn Schopenhauer recht behalten sollte, wäre es eh immer nur die seine, die von ihm vorgestellte Welt, in die er sich begibt. Da soll es egal sein, ob sich ihm diese auf dem »Holo-Deck« realisiert. Das einzige Ziel ist schließlich, der Held des eigenen Lebens zu sein! Er selbst zu sein!

2.

Während die neuen Welten heraufziehen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, unbekannte Universen das Zimmer erfüllen und das Spiel M.´s Avatar in Stellung bringt, versinkt M. in seinen Gedanken. Er fühlt sich wehrlos seinen Erinnerungen ausgeliefert und sieht sich plötzlich – wie aus sich herausgetreten – von außen, inmitten seiner ungezählten Kolleginnen und Kollegen seiner Generation. Er erkennt seine einstigen Schulfreunde und Betula, seine unvergessene Liebe und alle Gefährten seines Lebens. Zusammen mit den Gesichtern seiner Generation, steht er im Kreis um den spielenden M., beobachtend, wie der mit aufgerissenen Augen paralysiert in drei große Bildschirme starrt.

Gemeinsam stimmen die Vielen ein Lied an. Sie singen und resümieren über eine verspielte Generation, ihre Generation? Was ist deren Rolle heute, als Teil der alten, analogen Welt, die zu Ende geht und in der sie selbst die Letzten ihrer Spezies gewesen sein sollten? In ihrer Liebe zum Fortschritt und ihrer Unersättlichkeit am Guten und ihrer Begeisterungsfähigkeit zur Illusion haben sie doch auch jene Gadgets und Chips erst ersonnen, die computergesteuert die Menschheit in die Globalisierung beförderten. Sie haben ja tatsächlich ins Leben gerufen, was in ihrer Kindheit noch als Science-Fiction galt. Und sie taten es nicht einfach so, sondern weil in einer vernetzten Welt der Zukunft niemand mehr den anderen als »Feind« bezeichnen sollte. In den unendlichen Weiten des Universums sollte Leben gefunden werden, das uns ungeahnte Erkenntnisse vermitteln würde und dem wir im Gegenzug Liebe und Frieden lehren würden. Ideale einer alten analogen Welt, die wir geradezu selbstverschuldet zu Grabe getragen haben? Weil wir sie eigentlich hinter uns lassen wollten, indem wir alles dem Fortschritt opferten, allein um des Fortschritts Willen!?

Gemeinsam singen die Vielen heute von ihrem Zuhause, in dem sie unantastbar sind, in das sie sich zurückziehen und von der neuen, digitalen Welt, dort draußen, in der sie die Ersten waren, diejenigen die sie entdeckt haben, ja eigentlich selbst kreiert haben und deren Gesetzmäßigkeiten sie dennoch nicht mehr verstehen und wahrhaben wollen? Die Letzten sollen die Ersten sein! Doch was nützt es ihnen, wenn die Ersten schlussendlich zu alt sind, um noch zu verstehen? Sie fragen sich, wo war der Moment, als das Ende ihrer Individualität eingeleitet wurde? Ihre Chancen, Möglichkeiten und Hoffnungen auf eine intelligente, moderne Welt enttäuscht wurden, obgleich sie Teil und Ursache derer waren, die das Neue wollten und dabei lediglich das geliebte Alte zerstörten?

Der Chor verstummt, das Licht erlischt. Der Raum ist nur noch wohliger Uterus. M.´s Mimik verzerrt sich angestrengt, er verschmilzt mit seinem Avatar und mutiert zum Gamer. Für ihn gelten nun nur noch die Befehle der Maschine: »Start the game! Load the weapon! Break the score! Be the hero of your game!«

Aus den Lautsprechern dringen Detonationen, Motoren- und Düsenlärm, das Zischen der Raumschiffe, die durch Raum und Zeit schießen. Schüsse und Schreie, Schussfeuersalven versetzen den Gamer in sein selbstgewähltes Inferno aus Feuer, Blitzen, Rauch und Trümmern, das er beherrscht! M., der Gamer kämpft um sein Leben – endlich – hier ist er Gott!

3.