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Die Zeit der Helden und Schreiber: Der historische Roman »Der Mönch und die Wikinger: Das Buch Glendalough« von Claus-Peter Lieckfeld jetzt als eBook bei dotbooks. Einige Jahre ist es her, seitdem der Mönch Agrippa mit dem jungen Herward nach Haithabu kam, um den christlichen Glauben bei den Nordmännern zu verbreiten. Doch als ihn seine Schwäche für das weibliche Geschlecht überkommt und er den Zorn des Jarls auf sich zieht, hat er keine Wahl als zu fliehen. Nach einer aufzehrenden Reise gelangt er in eine kleine irische Siedlung – doch die Ruhe dort währt nur kurz, denn schon bald gerät Agrippa mitten hinein in die Intrigen und Machtkämpfe der irischen Clans. Und auch seine nordischen Verfolger haben die Jagd auf den Mönch noch lange nicht aufgegeben … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Abenteuerroman »Der Mönch und die Wikinger: Das Buch Glendalough« von Claus-Peter Lieckfeld ist der zweite Roman in seiner »Der Mönch und die Wikinger«-Reihe und kann unabhängig gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 502
Über dieses Buch:
Einige Jahre ist es her, seitdem der Mönch Agrippa mit dem jungen Herward nach Haithabu kam, um den christlichen Glauben bei den Nordmännern zu verbreiten. Doch als ihn seine Schwäche für das weibliche Geschlecht überkommt und er den Zorn des Jarls auf sich zieht, hat er keine Wahl als zu fliehen. Nach einer aufzehrenden Reise gelangt er in eine kleine irische Siedlung – doch die Ruhe dort währt nur kurz, denn schon bald gerät Agrippa mitten hinein in die Intrigen und Machtkämpfe der irischen Clans. Und auch seine nordischen Verfolger haben die Jagd auf den Mönch noch lange nicht aufgegeben …
Über den Autor:
Claus-Peter Lieckfeld, geboren 1948 und aufgewachsen in der Lüneburger Heide, ist Gründungsmitglied von Horst Sterns Umweltmagazin natur. Als freier Autor war er u.a. für das SZ-Magazin, GEO, Merian, Die Zeit und Die Woche tätig. Außerdem schrieb er Texte für Kabarett-Programme, u.a. für Scheibenwischer und für die Münchner Lach- und Schießgesellschaft.
Bei dotbooks erschienen bereits Claus-Peter Lieckfelds historischer Roman »Pater Spee – Anwalt der Hexen« sowie die folgenden Romane der »Der Mönch und die Wikinger«-Reihe:
»Das Buch Haithabu«
»Das Buch Glendalough«
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eBook-Neuausgabe November 2013, März 2024
Copyright © der Originalausgabe der Originalausgabe 2000 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2013 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Covergestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © Adobe Stock / yuliachupina sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98952-030-1
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Claus-Peter Lieckfeld
Der Mönch und die Wikinger: Das Buch Glendalough
Roman
dotbooks.
Du siehst Dinge und du fragst: Warum?Ich aber träume DingeUnd ich frage:Warum nicht?
George Bernard Shaw
Ich werde mir nicht den Tod geben. Dies bekenne ich nach drei Tagen und Nächten angefüllt von reinigenden Gebeten. Ich, Agrippa de Ramsolano, fehlsamster aller Mönche, gelobe auf blutigen Knien vor Gott und den Menschen: Ich werde nicht Hand an mich legen. Ich werde nicht den leichten Weg gehen. Denn der Tod tilgt die Schande so wenig, wie die Nachtwolken die Sonne auslöschen. Der ewige Schlaf macht meine Schande so wenig stumm, wie aufgehäufelte Erde den Giersch erstickt. Oh, meine Schande ragt auf wie die südlichen Schneeberge! Oh, meine Sündhaftigkeit klebt wie das Pech in erkalteten Feuern! O Herr, die kleine Rute aus Haut und Fleisch ist die Geißel, mit der mein unreiner Geist besinnungslos geschlagen ward.
Wenn aber meine Schande mehr bedeuten soll als ein Schiss des Satans vor die Mauern des Himmlischen Jerusalem, so muss ich diese Schande bekennen vor aller Welt. Will also alles getreulich niederschreiben, auf dass künftige Gottsucher nicht die düsteren Pfade wandeln müssen, die ich ging.
In einer Epistel des heiligen Augustin, die ich als Scriptor im Stift zu Ramsolano ins Fränkische übertrug, las ich erschaudernd: An das Tor zur Hölle seien die Fratzen jedweder Sündentat gemalt. Dem wird wohl so sein (obwohl ich mich frage, woher er das wissen kann).
Oh, welch ein Leben lebe ich! Ein Leben, das eines Gottesdieners unwürdig ist, eines Mannes, der dem heiligen Benedikt seine reinen Lenden geweiht hat. Und tief besudelt steh ich da. Die Lachmöwen über dem Noor von Haithabu ersticken an ihrem Gelächter, erklingt nur mein Name. Die gottlosen Wikinger, denen ich den einzig wahren Gott bringen soll, haben mehr Zucht als ich, der ich den hohen Busen einer Frau nicht sehen kann, ohne in niedrige Gedanken zu sinken. Und diesen Heiden soll ich predigen: Euer Leib ist die Wohnung des Herren! Haltet rein – haltet ein!
Ha! Hat es denn wohl Gott gefallen, sein Wort ins Maul eines Narren zu legen? O Vater, was soll ich fürderhin tun, um nicht mehr tun zu müssen, was Dir und allen Heiligen missfällt?
Wäre nicht Klia gewesen, so wäre die Summe meiner Sünden um einiges geringer. Doch wäre Klia nicht gewesen, es hätten wohl auch an die hundert oder mehr Menschen vor der Zeit den Tod schmecken müssen. Es wäre noch mehr Blut geflossen ohne jedweden erkennbaren Grund. Und also ist es gut, dass es Klia gab ... meine ich. Dieser Satz klingt – so will es mir scheinen – wie der missglückte Versuch, dem kleinen Teufel unter meiner Kutte die Absolution zu erteilen. Aber ehe Ihr urteilt, Leser ferner Tage, hört meinen Bericht!
Ich, Agrippa de Ramsolano, vom Bischof zu Hamaburg ins ferne Haithabu zu den Wikingern geschickt, damit Gottes Wort auch in Heidenherzen vordringe; ich, der Geringste unter den Mönchen, will meine Beichte mit einem Apriltag des Jahres 906 beginnen.
Auf der großen Allmende nickten gelbe Himmelsschlüssel, und das noch wintermagere Vieh stand auf staksigen Beinen im Gras. Kibitze drehten ihre Gaukelflüge, so als hätten sie heimlich unsere Metvorräte überfallen. Und über Haithabu, der großmächtigen Wikingerstadt, zerbrach der froststarre Winterhimmel; an seinen Rändern quoll eine schöne Bläue hervor. Die Enten, die wie Wollgrasflocken auf dem Hafenwasser trieben, verabredeten sich schnatternd für das Brutgeschäft – sie müssen all diese Dinge nicht in Heimlichkeit tun. Wer das Wort Sünde nicht kennt, kann nicht sündigen. Es war die Zeit des Jahres, in der man am Hafen und in den Gassen an den Kanälen erstmals wieder lautes Singen hört.
Odin hat das Eis gebrochen.
Griesegrauer Wintertag
ist verbannt; uns ist versprochen,
was froststarr in der Erde lag ...
Unsere nicht unbeträchtlich gewachsene christliche Gemeinde schickte sich an, die Auferstehung des Herrn zu feiern.
Es hat sich wunderbarerweise so gefügt, dass die Heiden, die noch immer dem Thor und der Freya huldigen, gern mit uns die Auferstehung des Herrn feiern. Wenn wir uns vor dem blütengeschmückten Kreuz niederwerfen, brummeln sie zwar heidnische Zaubersprüche, aber den Segen und vor allem die krustig gebratenen Lämmer teilen sie sehr bereitwillig mit uns.
Ich habe versucht, der alten Heidenmelodie einen neuen Wortlaut zu geben:
Jesus hat die Nacht vertrieben,
Winternacht war frostbereift.
In der Bibel steht geschrieben:
Ewig lebt, wer das begreift.
Ein durchreisender Scholar, Walther von Trier sein Name, hat mich zwar heftig gescholten, dass ich christlichen Sinn in heidnische Lieder hineinlegte. Aber ich habe ihm geantwortet: Wenn es recht und gottgewollt ist, christliche Botschaft in heidnische Herzen zu legen, warum sollte man da nicht auch christliche Worte in ihre Lieder senken? Darauf schwieg er, setzte aber die heftige Rede gegen mich hinter meinem Rücken fort.
Walther hatte noch weitere Vorschläge, die er aber nicht als bescheidene Anregungen, sondern als von Gott offenbarte Wahrheiten vortrug. So forderte er, wir Christen sollten vom Kreuz ablassen, denn Christus hätte schließlich das Kreuz überwunden. Wir sollten deshalb das Kreuz zerbrechen und über das zerbrochene Kreuz blutbefleckte Linnen hängen, in Erinnerung an die Leichentücher des aufgefahrenen Christus.
Als das Auferstehungsfest nahte, war es ihm tatsächlich gelungen, eine Schar von zehn oder zwölf schwankenden Rohren aus meiner Gemeinde herauszupflücken und neben der Kirche ein hässliches, zerbrochenes Kreuz mit nicht minder hässlichen Lumpen zu verhängen. Sein Erfolg war indes nicht sehr groß, denn er konnte weder gebratene Lämmer noch Wein anbieten. Und als auch noch, angesichts der am Spieß duftenden Lämmer, gut die Hälfte seiner kleinen Schar zu uns zurückfand, stieß er Verwünschungen aus, die von einiger Belesenheit und Bibelkenntnis zeugten: Es handelte sich überwiegend um recht frei ins Nordische übersetzte Beschreibungen des Jüngsten Gerichtes: »Ihr Schlangen, ihr Otterngezücht, wie wollt ihr der ewigen Verdammnis entrinnen? Über euch all kommt das gerechte Blut.« Aber auch solche Worte vermochten nichts gegen krustiges Lammfleisch auszurichten. Und Wikinger kann man mit der Androhung von fließendem Blut nicht wirklich erschrecken.
Dennoch ... ich hätte ein heraufdämmerndes Unheil vielleicht vorausahnen können, hätte ich genauer auf Walthers Worte geachtet. Während meine Christen und Haithabus Heiden »Jesus hat die Nacht vertrieben/Odin hat das Eis gebrochen« im Wechselgesang gegeneinander anbrüllten, versuchte Walther, seine hohe Stimme wie einen Keil dazwischen zu klemmen.
»Fresst euch nur am Fleisch fett, ihr Verlorenen, die Gott aus seinem Mund ausspeit wie faules Wasser. Ich aber sage euch: Heringsschwänze werden euch zu Boden schlagen!«
»Heringsschwänze werden euch zu Boden schlagen?« Ein seltsamer Fluch, dachte ich, fuhr aber unverdrossen fort, gesegneten Wein auszuschenken. Wahrlich ein seltsamer Fluch! Hieß doch Haithabus Häuptling, unser Jarl, Baldur Heringsflosse, der Besitzer der mastenreichsten Heringsfangflotte in den nördlichen Gewässern.
(Oh, ich kann den Namen Heringsflosse kaum niederschreiben, ohne Gedanken und Schrift auf seinen Vorgänger, den milden, gütigen Rangar, zu lenken, dessen Feuertod ich selbst erleben musste.i Ich könnte, nein, ich müsste Seiten füllen, wollte ich diese beiden Männer vergleichen. Ich kürze es ab: Jarl Rangar war ein Hühne, Jarl Baldur ein Hühnchen.)
Am Auferstehungstag hatten viele Schiffe im Hafen weiße Fähnchen gesetzt. Das zeigte mir, wie weit die Frohe Botschaft schon über alle Meere geflogen ist. Wir Christen eilten auf die weiß beflaggten Schiffe und boten den Weitgereisten kleine Brotlaibe und Wein. (Der Laib des Herren schmeckt übrigens am besten, wenn man den Dinkel vor dem Mahlen zwei Tage und Nächte in Met und Wasser quellen lässt.)
Die Kapitäne bedankten sich artig mit Grüßen aus allen Weltgegenden.
Klia, Heringsflosses Hauptfrau, ging mir zur Hand: Sie schritt mir voran auf die bewimpelten Schiffe, reichte auf weißen Linnen das Brot, während ich den Wein ausschenkte. Und mir blieb nicht verborgen, dass die hungrigen Augen der Fahrensleute länger auf Klias schlanker Gestalt verweilten, als die Gastfreundschaft an Bord es geboten erscheinen ließ.
Ein griechischer Geschmeidehändler, der sich zur Auferstehungsfeier goldene Bänder in seinen Schwarzbart geflochten hatte, verstieg sich sogar zu den Worten: »Gegrüßet seist du, Maria!«
»Mein Name ist Klia, und ich bin eine geringe Magd des Herren!«, sagte Klia und schlug die Augen nieder... so wunderbar, dass mich eine Regung warmer Zuneigung anwehte.
Der griechische Geschmeidehändler brach mit uns das Brot und erzählte, dass in seiner Heimat am Auferstehungstag die aufgehende Sonne einen heiligen Berg überstrahle, und wer reinen Herzens sei, könne in der roten Glut die Gestalt des Auferstandenen erkennen. Er selbst hätte sich bisher vergeblich gemüht und wäre fast erblindet bei dem Versuch, des Gottessohnes ansichtig zu werden.
»Mit wie viel Aufschlag verkaufst du deine Ware?«, fragte ich.
»Warum fragst du, Gottesmann?«
»Nun, so du denn Wucherpreise nimmst, wirst du den Heiland nie erkennen, nicht in der Sonne und sonst auch nirgendwo!«
Der Grieche lachte und schenkte Klia ein Lederband, in das wundersame Muscheln mit silberverzierten Rändern geflochten waren. »Vielleicht hilft es ja vor Gott, eine reine Frau zu beschenken.« Solcherart waren die Gespräche, und in allen schwang die Vorfreude auf die warme Jahreszeit.
Heringsflosse, unser Jarl und weltlicher Herrscher, sah dieses Tun seiner Hauptfrau Klia nicht allzu gern. Nicht etwa, dass er etwas gegen Gott gehabt hätte – er selbst lebte ein lasches Christentum, und auch ich war ihm nicht über alle Maßen zuwider. Es war nur unüblich, dass Frauen in aller Öffentlichkeit Dinge taten, die über ihre angestammten Wirkungsstätten im Haus und auf den Märkten hinausgingen. Um genau zu sein: Es war nicht nur unüblich, es war gegen die Ordnung!
Aber Klia konnte Baldurs gelegentlich versuchte Einrede mit einem Wimpernstreich zu Boden schlagen. Sie vermochte es, seinen Zorn niederzulächeln. So wie ein lachender Vater das Holzschwert seines im Spiel angreifenden Knaben zwischen zwei Fingern festhalten kann. Ja, Klia hatte Kraft in den Augen, wie ich das zuvor allenfalls beim Helden Herward gesehen hatte, dem Begleiter meiner mittleren Jahre.
Nachdem Klia und ich dergestalt zu Wasser und Land die Frohe Botschaft verkündet hatten, zogen wir uns in die hintere Kammer unserer Kirche zurück. Die oberen Lichtluken verstellte ich mit heiligen Gefäßen, auf dass nicht ein Späherblick zu uns herab dränge. Und dann lobte ich nicht länger den Herren, sondern sein Geschöpf, pries die lilienweißen Fesseln der Klia in Latein, ihre braunrote Lockenpracht in Sächsisch, ihre Brüste, die schönsten Doppeltürme des Nordens, in Nordisch. Und sie hob erst die Lider und dann meine Kutte: »O, Agrippa«, sprach sie mit gespieltem Erstaunen, »mir scheint, du musst schon eine Weile nicht mehr mit Herz und Kopf bei res divinae gewesen sein...«
Und dann umfasste sie die Wurzel allen Übels, sodass mir die Sinne schwanden.
In alten Schriften las ich viel von grausamen Herrschern, die leichter das Blut ihrer Untertanen verspritzten, als ein unachtsames Kind Milch verschüttet. Kann es Schlimmeres geben als Herrscher, die nicht erkennen, dass Macht ein überscharfes Schwert ist, das zu führen es Mut und großer Weisheit bedarf?
Vom Kaiser Nero heißt es, er hätte Christenmenschen als lebende Fackeln abgebrannt. Die Barbaren, die das heilige Rom plünderten, haben Tröge mit Menschenblut gefüllt und darin gebadet. Die Wikinger sollen in Trier, in der größten Kirche der Christenheit nördlich von Rom, mit Speeren auf den Leib Christi geworfen haben. Und auch der Große Karl, der Arm Gottes, soll über alle Maßen grausam gegen die Thüringer und Sachsen losgeschlagen haben.
Nicht schlimmer als grausame Herrschaft, aber oft nicht weniger verheerend, mögen wohl dumme Regenten sein.
Baldur Heringsflosse, den ein blindes Geschick zum Jarl von Haithabu machte, hatte von vielem viel: Gold, Silber, kostbare Pelze, wohl an die fünfzig Heringsschiffe, mindestens zehn Weiber, darunter zwei mohrenschwarze. Seine Stirn taugte dazu, zur Belustigung seiner Gäste ein dickes Holzbrett damit zu zerschlagen, aber leider war sein Schädel nicht die Wohnstatt eines regen Geistes. Ja, brauchbare Gedanken verhielten sich bei ihm wie Reisende in einem dürftigen Quartier: Gut für eine Nacht, doch dann auf Nimmerwiedersehen!
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als Thordalf, der König von Jelling, zu Besuch kam, ein Mann, der mit einiger Geisteskraft gesegnet, aber mit Zwergenwuchs geschlagen war. Deshalb auch verbrachte er den ganzen Tag im Sattel, selbst zu Festtafeln ritt er, stieg allenfalls vom Pferd, um sich auf einem stark erhöhten Stuhl niederzulassen.
Jeder Mensch von einigem Verstand erkannte den Grund der königlichen Vorliebe für Pferderücken und erhöhte Stühle. Nicht aber Baldur, unser Jarl. Er suchte sich, um (wie es sich gehört) dem König entgegen zu reiten, ein Pferd von enormer Größe und ließ zusätzlich noch den Sattel mit etlichen Lagen weicher Decken unterlegen.
Als ich ihn auf die Unschicklichkeit seiner Pferdewahl hinwies, machte er sich auf dem Pferd stocksteif, sodass er noch ein wenig größer wirkte: »Sachse, was weißt du von Wikingerwürde! Ich ehre meinen König, indem ich ihn so empfange, wie es sich für die Größe und Erhabenheit von Haithabu geziemt.«
Andere sahen das anders. Der rotbärtige Feuerkopf, der den Tross des Königs anführte, erkannte das Unheil sogleich. Doch offenbar hatte er für Fälle wie diese vorgesorgt. Er ritt dicht an Heringsflosses Pferd heran und presste ihm unauffällig ein scharfes Eisenstück in die Weichteile. Der gepeinigte Gaul prustete, rollte die Augen zu weißen Bällen und tat aus dem Stand einen Riesensatz. Heringsflosse fiel auf sein breites Gesicht, seine schweren güldenen Ketten waren dreckverschmiert, als er sich langsam erhob. Sein Bart troff von Schmutzwasser. Über ihm thronte, in den Steigbügeln stehend, der Dänenkönig und machte mit seiner Zwergenhand eine huldvolle Bewegung: »Dein König nimmt deine Unterwerfung wohlgefällig entgegen. So stehe denn auf, Baldur, Schlammgeborener!«
Ich sah viele hüpfende Bäuche: Diese Bewegung entsteht, wenn man gewaltsam versucht, ein brüllendes Gelächter zu unterdrücken.
Neben mir stand Klia, die nicht mit Lachen, sondern einer anderen Regung zu kämpfen schien, als sie mir ins Ohr zischelte: »Kannst du ermessen, Agrippa, was es heißt, unter einem so blöden Stück Fleisch liegen zu müssen?«
»Still«, wisperte ich zurück. Wie leicht auch können solche Worte erlauscht und weitergetragen werden.
Gefürchtet waren Heringsflosses »Worte des Friedens und der Weisheit«. Sein Vorgänger, der große Rangar zu Thorsberg, hatte sich mit seinen Schlichtersprüchen unvergänglichen Nachruhm erworben. Ja, ich scheue mich nicht zu behaupten, salomonische Weisheit bei ihm erlauscht zu haben. Bei Heringsflosse dagegen blitzte nicht ein einziges Mal so etwas wie Schönheit des Gedankens auf. Da war nur klebriger Rotz ...
Als ich mich eines Tages beschwerte, dass immer wieder freche Heidenburschen gerupfte Hühner an das Kreuz des Herren nagelten, erteilte er mir die Erlaubnis, nun meinerseits im Hause der Übeltäter ein wenig Schabernack an den Hausaltären Odins und Freyas zu treiben. So dumm dieser Spruch auch war, offenbarte er doch ein ganz klein wenig Geschicklichkeit, die ich Baldur trotz der alles überwiegenden Stumpfheit seines Geistes nicht absprechen mag: Er war stets bemüht, die Balance zwischen Christus und Odin zu wahren. Auf seiner Brust schepperten Kreuze und Thorshämmer, Tieramulette baumelten in seinem Haus neben dem christlichen Fischsymbol – das ihm, so vermute ich, vor allem wegen seiner Heringsfischerei gelegen kam. Er faltete seine Pranken und lobte Gott, machte dann aber sogleich eine halbe Drehung und entbot Thor seinen Gruß. Ja, Klia wisperte mir eines Tages zu, dass Heringsflosse in windgepeitschten Nächten sogar das seidr betrieb, den Versuch, mit Hilfe der Freya Wissen über die Gedanken anderer zu erlangen. (Er kann in dieser Kunst nicht sehr weit gekommen sein, wusste er doch offenbar nicht, an wen sein Hauptweib dachte, wenn er sie auf seine Bettstatt befahl.) Eine aufgeblähte Schweinsblase, dieser Mann. Ein fettes Rohr im Wind.
In den Schilfhütten, auf den weiß gescheuerten Planken am Hafen, am großen Ringwall, der Haithabu wie eine halb geschlossene Faust umfängt, an allen Herdfeuern erzählte man sich Possen über Heringsflosse:
Warum hat Heringsflosse zehn Frauen? Weil er nicht bis elf zählen kann.
Woran erkennt Heringsflosse, wann Sonntag und wann Donnerstag ist? Wenn er auf Klia liegt, kann kein Sonntag sein, weil Klia am Sonntag in der Christenhütte (ein abfälliges Wort der Heiden für Kirche) weilt. Und wenn er auf Odda liegt, kann es nicht Donnerstag sein, weil am Thorstag Odda in der Mimirquelle badet.
Odda war Heringsflosses zweitwichtigste Frau, eher wuchtig als schön gewachsen, eher von heftigem Gemüt als klug. Aber ungemein fruchtbar! Von ihr wuchsen dem Jarl fünf Knaben zu, während Klia ihm nur eine Tochter gebar, die noch dazu kränkelte und im Alter von drei Jahren hustend aus dieser Welt ging. Die anderen Heringsflosse-Frauen hatten nur den Rang freigelassener Sklavinnen, deren Kinder das Haithabu-Einheitsbraun aus grobem Leinen trugen. Die Namen dieser Frauen und Kinder sind mir entfallen. (Das Volk von Haithabu konnte sich allerdings nicht satt gaffen an den beiden schwarzen Frauen, deren Handflächen wundersamerweise hell waren und deren Zähne weißer strahlten als Buschwindröschen-Blüten im März.)
Odda hasste Klia wegen deren Stellung. Aber Oddas Hass verkleidete sich oft als Kampf in den Wolken: Odin gegen Jesus. Mir schien es manchmal, dass der Kampf der Götter im Hause Heringsflosse stellvertretend von »Walküre Odda« gegen »Cherubin Klia« ausgetragen wurde. Welch ein Getöse muss das gewesen sein – und der arme Heringsflosse der tumbe Berg in der Mitte, um den die Blitze zuckten.
Einmal, nachdem sie mir bei drei Taufen die heiligen Gefäße gereicht hatte, lag Klia danach seufzend in meinen Armen und sagte: »Einem klugen Heiden könnte ich ein braves Weib sein, aber ein blöder Halbchrist ist eine Strafe Gottes!« Schicklich wäre es gewesen, ihr zu widersprechen. Aber ich tat es nicht.
In solchen Momenten großer Behaglichkeit redeten wir davon, was wir zu Haithabus Wohl und Glück alles erdenken könnten, auf dass es Klia dem Jarl bei passender Gelegenheit gehörig in den Dickschädel ramme.
Das ging eine ganze Weile gut. Wobei kein Tag verging, an dem ich nicht unter der Schandbarkeit meiner Unkeuschheit litt. Sagte ich »litt«? Litt ich nicht mehr in der Zeit des hohen Sommers, in der Heringsflosse mit allen seinen Weibern – und folglich auch mit Klia – und seinem halben Hausstand die Schlei hinab zum Meer fuhr, um beim Räuchern, Dörren und Einsalzen der Heringe zugegen zu sein. Dann lag ich des Nachts wach in meiner Hütte, und hätte sich ein Engel auf meiner Türschwelle niedergelassen und mir zweierlei Arten von Seligkeit zur Wahl gestellt, fleischliche und geistige, so hätte ich keiner Bedenkzeit bedurft. In solchen schwülen, einsamen Sommernächten konnte es geschehen, dass ich das Frühgebet nicht mit »Amen«, sondern mit »Klia« beschloss.
Zu meinen schönsten Pflichten gehörte es, die aufkeimenden Christengemeinden im weiten Land um Haithabu zu besuchen. Ich bin ein Mensch, der den Morgen liebt; dem benediktinischen Gebot, vor der Sonne aufzustehen, bin ich stets willig und leichten Herzens gefolgt. Ja, ich liebe den jungen Tag, den Anfang, den Aufbruch. Und junge Gemeinden, in denen noch die Begeisterung des Ursprungs lebt, erquicken mein Herz.
Aber es sind nicht nur die beseligenden Momente frischen Glaubens, die mich regelmäßig vor den großen Wall vor Haithabu ziehen. Es sind auch die Fußmärsche, die ich liebe. Durch Wälder wandeln, über Bäche springen, rastend die warme Erde spüren, mit jedem Schritt einen Tag jünger werden: Das ist etwas anderes als der Gestank von Waltran, Teer und verwesendem Hering, der nur allzu oft über Haithabu liegt.
An dem Tag, von dem ich berichten will, befand ich mich auf dem Rückweg von Norby, wo es galt, eine neu errichtete Kirche einzusegnen. Dieses Gotteshaus war gegen lang anhaltenden Widerstand der dortigen Heiden errichtet worden. Zweimal waren die Fundamente zerstört worden, einem tapferen Christen, der sich besonders für den Kirchenbau einsetzte, verreckte in einer einzigen Nacht alles Vieh, und erst als unsere große Christengemeinde in Haithabu versprach, fünf Jahre lang ausreichend Saatgetreide für ganz Norby zu liefern, willigten die Norbyer Heiden ein. Sie verlangten aber, dass die Kirche im hintersten Winkel des Ortes versteckt würde, weil so die Provokation zufällig durchreisender heidnischer Gottheiten am geringsten sein würde. Ich konnte es mir nicht verkneifen festzustellen, dass die Heiden wohl keine allzu hohe Meinung von der Umsicht ihrer Götter haben könnten, wenn sie vermuteten, eine gut versteckte Kirche könnte dem Blick von Freya oder Odin verborgen bleiben.
Aber weshalb sie in den Bau einer Kirche einwilligten, konnte mir einerlei sein, das »Ja« allein zählte.
Die Sache verlief gut, und die Heiden spendeten zur Kirchweih sogar reichlich Dörrfisch, Met und Bier. Und dass just zur Stunde der Kirchweih ein Kind geboren wurde, ein kräftiges Mädchen, wurde allgemein als gutes Zeichen gesehen. Obwohl es ein Heidenkind war, gelang es mir, es auf der Schwelle des jüngsten Gotteshauses im Land der wilden Dänen zu taufen. Die Mutter, die erst ein ängstliches Geschrei anstimmte, beruhigte ich mit einem großen Bernsteinklunker, von denen ich für solche Fälle immer einige bei mir trage.
Und ich sprach mit hoch erhobenem Kreuz und nicht weniger erhobener Stimme: »Es geht kein Mensch über die Erde«, und dies sagend, küsste ich die winzigen Füße des neugeborenen Kindes, »ohne dass der Herr ihm irgendwann die Frage stellt: Willst du in meinen Fußspuren gehen oder nicht? Die aber weiterhin den Einflüsterungen des bösen Windes vertrauen (ich musste vorsichtig sein und durfte die Heidengötter nicht direkt bei Namen nennen), die dem Sturm folgen, die wird er zerstreuen. Und so, wie dieses Gotteshaus in seinem Inneren uns vor ungutem Wind schützt, so sei fortan die Hand Gottes schützend über euch...«
Sehr satt gegessen und guter Dinge trat ich den Rückweg an, schritt kräftig aus und hatte mich bei Missunde, dort wo die Schlei sich zu einem Fluss verengt, ins Gras gelegt, um meine Füße zu kühlen. Seeadler standen als schwebende Großkreuze gegen das Sommerblau des Himmels. Ein milder Wind fächelte vom Wasser herüber, gelber Hahnenfuß kratzte an den Wolken. Und mir war wohl.
Ich liebe den warmen Sommerwind, wenn er sich jauchzend in den Dinkel wirft und die Wolken wie Schiffe über den Himmel schiebt. An Tagen wie diesen vermag ich es nicht zu glauben, dass unter diesem Himmel Menschen den Tod ausbrüten: Pläne schmieden, wie sie andere, die ebenfalls im warmen Wind träumen, berauben, verstümmeln, niedermetzeln können. Unvorstellbar erscheint es mir an Tagen wie diesen, dass Menschen Schiffe in Auftrag geben, mit denen sie marodierend die Elbe, die Weser, die Seine hinunterfahren werden, sodass sich das Kielwasser rot färbt.
Ich denke, Mordpläne müssen die Nachtgeburten des eisigen Februars sein, oder des klebrig nassen Novembers, nicht des Sommers. Sommerwind ist Gottes schönes Geschenk an seine empfindsamen Kinder. Da ist Wärme und Kühle in einem, ein Ding, das so unglaublich ist wie flüssiges Feuer oder brennendes Wasser. Ich liebe den Sommerwind. Ich kann ihn nicht durch den schütterer werdenden Haarkranz, der meine Tonsur umrandet, streichen lassen, ohne das Psalmodieren zu beginnen: »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln...«
Dieser Psalm ward mir von meiner lieben Gemeinde in Ramsolano an der Seeve gesungen, an dem Tag, als ich vor etlichen Jahren auf Geheiß des Bischofs zu Hamaburg ins Land der Wikinger aufbrach. An meiner Seite ging damals der junge Herward, der in Haithabu den Mörder seiner Eltern suchte – und fand: Der Mörder war Rangar, der gute Jarl, der kluge Jarl, jener Jarl, der vor Heringsflosse regierte. Rangar, der Kaperfahrer; Rangar, der Zwiegesichtige – daheim ein Salomo, auf Kaperfahrt ein Blutsäufer und Schädelspalter. Diesen Rangar ließ Herward auf der Insel Bornholm lebend zu Asche verbrennen. Und ich stand da und schaute zu, wie die Flammen den Rangar fraßen. Langsam. Nicht hastig, wie Hunde und Wölfe fressen, nein, langsam wie Katzen, jeden Bissen beleckend, ehe sie ihn verschlingen. Und ein Schrei wie Möwengekreisch hallte in den Klippen. Rangar wurde zu Asche, aber Herward?
Herward ... wo mag er sein? Als er mit Frau und Kindern vor zwei Jahren von Haithabu gen Osten zog, war es mir, als verlöre ich ein Glied meines Körpers, einen Arm, ein Bein ... Es ist immer ein kleiner Tod, wenn ein Mensch von einem geht und man weiß, dass man ihn nicht wieder sehen wird. Nicht in dieser Welt. Ein kleiner Tod. Ein bitterer Vorgeschmack, der die Zunge lähmt.
Im Sommerwind liegend, betrachte ich die Möwen. Seltsam, sie beginnen ihren Flug, einerlei in welche Richtung sie fliegen wollen, immer gegen den Wind. Empfindet nicht der Wanderer Erleichterung, wenn er mit dem Wind reist? Hat nicht jeder, der einmal auf hoch beladenem Ochsenkarren über Land reiste, gespürt, um wie viel leichter sich die Zugtiere tun, wenn sie den Wind im Rücken haben? Warum also erheben sich die Möwen gegen den Wind? Und wie ich noch so denke und nachsinne und mir anmaße, den großen Plan des Schöpfers zu erahnen, segelt eine Möwenfeder zu mir herab auf die Wiese. Und als ich sie in den Wind halte und ihre Stellung ein wenig verändere, spüre ich, dass eine mir unerklärliche Kraft sie leicht anhebt.
Keine drei Stunden später, die Sonne war untergegangen, sah ich das Wasser brennen. Drüben bei Missunde, dort wo sich die Schlei auf gut zwei Steinwürfe verengt, begann das Wasser zu brennen. So schien es mir jedenfalls.
Und ich band die Rockschöße der Kutte hoch und rannte auf den Feuerschein zu. Näher kommend bemerkte ich mit nicht geringem Entsetzen, dass die beiden großen hölzernen Wachtürme brannten, die die Haithabu-Wikinger beidseits der Fjord-Enge errichtet hatten. Diese Befestigungen dienten als Ausguck und als Plattform für Signalfeuer. Wer immer über die breite Schlei auf Haithabu zusteuert, muss diese Stelle passieren. Und wenn sich gar feindliche Schiffe nähern, kann auf den Plattformen ein Feuer entzündet werden, auf dass ganz Haithabu genug Zeit hat, sich gegen einen Angriff zu rüsten.
Diese Bauwerke waren erst vor wenigen Jahren errichtet worden, nachdem es Bornholmer Wikingern gelungen war, unbemerkt fast bis in unseren Hafen vorzudringen. Nur die Lachmöwen hatten uns im letzten Moment gewarnt, so wie die Gänse des Capitols das heilige Rom retteten. (Und gerettet hatte Haithabu nicht zu einem geringen Teil Herwards Kampfeswille. Aber das ist eine andere Geschichte.)
Mit den Armen rudernd und schreiend lief ich voran, stolperte in einen schlammigen Graben, hetzte weiter, den Heliand, das Buch der Wundertaten des Gottessohnes, fest umklammert. Der Feuerschein füllte den Himmel, ich hörte das Bersten von Balken, die mit Teer eingestrichen waren. Wie Schmerzensschreie klang das. Ein Soldat fiel, einer lebenden Fackel gleich, ins Wasser.
Ich konnte gerade noch erkennen, wie eine Vielzahl kleiner und großer Schiffe die Schmalstelle der Schlei füllte. Und von den Flößen, Schiffen und Booten wurden Steine, Buschwerk und ganze Bäume ins Wasser geworfen. Ja, selbst Weiber und Kinder sah ich, die den Männern sperriges Gerümpel zureichten, das jene im Wasser versenkten.
»Haltet ein, was soll das!«, brüllte ich.
Dann spürte ich einen stechenden Schmerz, und es war nur noch finsterste Nacht um mich. Als ich erwachte, ertastete meine Hand eine dicke Blutkruste, da, wo mein Schädel am bloßesten ist. Ich lag im nachtfeuchten Gras, lauschte eine Weile meinem Atem, bis ich davon überzeugt sein durfte, mich nicht in einer Welt jenseits des Todes zu befinden.
Schließlich hörte ich eine vertraute Stimme: »Keiner mehr da, verdammter Schleimschiss! Aber wartet nur, das bleibt nicht ungesühnt!«
Es war Heringsflosses Stimme, und ich hätte nach so viel Ungemach gerne eine mir angenehmere vernommen. Ich erhob mich und wandte mich an den Jarl, der in schauerlich blauschwarzer Kriegsbemalung vor mir aus dem Gras emporwuchs.
»Wenn du wissen willst, o Jarl, was hier vorgefallen ist, musst du mir etwas genauer zuhören, als du es in der Kirche tust!«
»Du hier, Agrippa?«
»Ja, ich. Oder trägt hier sonst noch jemand eine Kutte?«
»Keine Sprüche, Agrippa, berichte!«
Zu berichten ist von großer Dummheit. Und für Dummheiten eines gewissen Ausmaßes war in Haithabu seit einigen Jahren fast ausschließlich Jarl Heringsflosse zuständig.
Haithabu ist groß und berühmt geworden wegen der Freiheit des Handels. Wer hier seine Ware anlandet, muss nicht fürchten, dass freche See- oder Landräuber des Nachts die Schiffe plündern. Haithabus Soldaten wachen über das Gut fremder Kaufleute, als wäre es ihr eigenes. Diese Sicherheit wird allgemein gerühmt.
Am unteren Hafen hatte Heringsflosses ruhmreicher Vorgänger, Jarl Rangar von Thorsberg, ein Eisengitter an doppelt fingerdicken Tauen aufhängen lassen zur steten Mahnung: Auf diesem Gitter sollten Frevler gebunden und ertränkt werden, wenn sie den Hafenfrieden störten.
Solange Rangar regierte, wurde dieses schauerliche Eisen nicht ein einziges Mal genutzt. Die Drohung schien zu wirken.
Heringsflosse aber hatte irgendwann die Garantie der Hafenfreiheit zur Angelegenheit der Hafennutzer erklärt. Die Soldaten, die bisher nachts an den vertäuten Schiffen Wache geschoben hatten, ließ er abziehen. Zu teuer, sagte er auf die beunruhigten Anfragen vieler Haithabuer und die Proteste der empörten Kauffahrer.
Schon bald geschah es, dass sich Diebe auf die Schiffe schlichen. Ein Ölhändler – ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, ein Christ aus der Gegend von Neapel – stand eines Morgens schreiend und weinend vor meiner Hütte: Man hatte in der Nacht alle seine Amphoren davongeschleppt. Die Kapitäne organisierten daraufhin ihre eigenen Wachen, die zwar schlechter bewaffnet waren als die Soldaten, diesen Mangel aber mit großem Mut ausglichen. Eine Räuberbande schlugen sie so blutig, dass eine Weile Ruhe herrschte.
Heringsflosse sann auf weitere Einsparungen. Er entschloss sich, die Soldaten, die auf dem Danewerk – jenem mächtigen Wall, der die Südgrenze des Dänenreichs sichert – Wache hielten, mit altem Brot zu versorgen, mit Brot, das auf den Haithabuer Märkten nicht verkauft worden und für den hundertsten Teil eines Kölner Kaisers pro Laib feilgeboten wurde.
Es entstand Unruhe unter den Soldaten, die bis an das Ohr des Königs in Jelling drang, der sogleich einen reitenden Boten schickte. Heringsflosse musste die Anordnung zurückziehen. Was Snorri, unseren Sänger, zu einem launigen Lied inspirierte:
Altes Brot frisst nur das Vieh,
und kein Soldat trinkt aus der Gosse.
Das muss ich ändern! – solches schrie
laut in die Welt Jarl Heringsflosse.
Ich denke, ein Jarl und Fürst, über den solcherlei Spottverse verbreitet werden, ist kein Anführer, zu dem man aufschauen kann. Ich konnte es nie. (Ich will nicht verhehlen, dass mir die fehlende Scharfsinnigkeit des Jarl sehr angenehm war: Hätte nicht ein klügerer Mann die Untreue seines Weibes gespürt, so wie ein guter Seefahrer den Umschwung des Windes an der Kräuselung der Wasseroberfläche vorausahnt?)
Kaum, dass das Gelächter über Heringsflosses Schlappe mit dem alten Brot verklungen war, unterlief ihm sofort eine neue Dummheit. Er verfügte, Hering und anderer Fisch dürften ab sofort nur noch in Fässern in Haithabu angelandet werden – angeblich, um eine bessere Übersicht über die umgeschlagenen Mengen zu behalten. Da er aber den Handel mit Salz und Fässern vollständig in der Hand hatte, war die Absicht hinter seiner Verordnung leicht zu durchschauen.
Die kleinen Heringsfischer entlang der Schlei, die auf schwachen Booten mutig aufs Meer fahren und nicht wie Heringsflosses Leute auf stattlichen Schiffen, erhoben ein großes Geschrei: Ihre Einkünfte reichten knapp, um die Ihren am Leben zu halten, keinesfalls aber zum Erwerb kostspieliger Fässer. Die Fischerweiber legten ihre vor Hunger schreienden Kinder vor Heringsflosses prächtige Hütte und zerrissen sich die ohnehin schon löchrigen Kleider. Der Jarl jedoch trat ihnen entgegen, schnäuzte sich, ließ Mütter und Kinder beiseite räumen und dröhnte dazu: »Vertrödelt nicht den Tag, schert euch an die Arbeit!«
Klia redete in der folgenden Nacht wie mit feurigen Zungen auf ihren Hackklotz von Mann ein, aber der schnaubte nur und schleuderte einen Holzteller nach ihr. Mit dem ersten Licht des folgenden Tages lief sie zu mir, weinend sank sie in meine Arme und schluchzte: »Es wird etwas Schlimmes passieren, Agrippa, etwas Schlimmes!«
Und so kam es. Wenig später brannten die Holztürme von Missunde, und an die hundert Fischer verstopften den Wasserweg nach Haithabu mit Gerümpel aller Art. Doch das war nur der Anfang.
Seit ich Heringsflosse kenne, glaube ich, es gibt Schlimmeres als einen grausamen Herrscher: einen dummen. Vor herrschaftliche Grausamkeit mag Gott einen Riegel schieben – wenn Ihn denn die Menschen allzu sehr dauern. Aber Dummheit lässt er walten. Warum nur? Ich fürchte, ich werde dereinst aus dieser Welt gehen und die Wege des Herren nur zum allerwenigsten verstanden haben.
Als der Jarl Heringsflosse über mir stand und mich anschnaubte mit splitterndem Eis in der Stimme – »Keine Sprüche, Agrippa, berichte!« –, da wischte ich mir erst das Blut ab, das von meinem Schädel über das Gesicht rann, und sagte so leise, dass er sich zu mir herabbeugen musste; denn auf diese Verbeugung legte ich Wert: »Höre, o Jarl, du hast die Fischer vom großen Haithabu-Markt vertrieben, denn sie haben wahrlich keine Reichtümer, um deine Fässer kaufen zu können. Du hast ihre Klage in den Wind geschlagen, und nun haben sie deine Türme angezündet und die Missunder Enge mit Gerümpel verstopft. So einfach ist das! Die schlechte Tat gebiert keine gute.«
Heringsflosse rollte die Augen und zog sein Schwert. Einen Herzschlag lang dachte ich, er wollte mich von dieser Erde hinwegspießen. (Guten Grund, von dem er jedoch nichts wusste, hätte er gehabt!)
Wie alle Adeligen Haithabus führte Heringsflosse ein gutes Eisen, eine ausgesucht feine fränkische Damaszenerklinge mit einem Haithabu-Knauf aus gezwirbelten Gold- und Silberfäden. Er führte die Klinge nicht gegen mich, er reckte das Eisen gen Himmel, so als wolle er dem Kriegsgott Thor in den Hintern stechen, und brüllte dabei: »Blut für Blut! Alle, die Haithabu angriffen, sollen drei Tode sterben: Luft, Feuer und Wasser! Nennt mich heimskr (häuslich, zurückgeblieben, dumm), wenn nicht Blut diese Schande abwäscht, bevor der Mond wieder rund ist.«
Ich sah in sein hässlich verzerrtes Gesicht und erkannte, dass die Christlichkeit, die er bisweilen vor sich her trug, nur ein fadenscheiniges Gewebe war, durch das die ungewaschene heidnische Schwärze hindurchschimmerte. Der Schrei gen Himmel über sein hoch gerecktes Schwert hinweg bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass sich Heringsflosse vor seinen Gefolgsleuten, vor den anwesenden Soldaten und vor seinen heidnischen Göttern verpflichtet hatte, seinen Heringskrieg fortzusetzen.
Der Tag, der so blütenzart und sommerlind begonnen hatte, färbte sich über dem Wasser rot. (Gut, das bewirkte die untergehende Sonne, aber mir erschien es wie der Vorschein von Menschenblut.)
Ein Soldat, dem ich vor nicht allzu langer Zeit zwei eitrige Zehen kuriert hatte, kam mit einem Schweißtuch zurück, das er in der Schlei gewässert hatte, und legte es mir auf die Schädelwunde. »Hier, Christenhäuptling, das kühlt«, sagte er und hetzte dann sogleich seinen Kameraden hinterher, die in breiter Phalanx ausschwärmten, um arme, abgemagerte Fischer zusammenzutreiben.
Eine Weile noch hörte ich die Stimme Heringsflosses – wie abziehendes Gewitter: »Schlagt tot, wer fliehen will, schlagt tot, schlagt tot, schlagt tot ...« Ich wollte aufstehen, um im Namen Gottes Mäßigung zu erflehen, aber ich fiel zusammen wie eine schlecht beworfene Wand.ii Der Blutverlust hatte mich wohl doch sehr geschwächt. Mir fehlt in meiner Erinnerung eine geraume Weile, die von Sonnenuntergang bis Mitternacht. Als ich wieder zur Besinnung kam, schwankte und zitterte über mir der Sternenhimmel, und ein halber Mond schlingerte unruhig über der Schlei. Ein Käuzchen trug seine einstrophige Totenklage vor. Ich brauchte eine Weile um zu begreifen, dass ich auf einer roh gefügten Trage lag, die von zwei Soldaten getragen wurde.
»Was ist geschehen?«
»Ruhig, Agrippa, wir sind bald zu Hause.«
Der dies sagte war der nämliche Soldat, der mir Kühlung verschafft hatte. Nun sah ich, von meiner Trage aus seinen Rücken betrachtend, einen großen rotschwarzen Fleck zwischen seinen Schulterblättern. Fischerblut, ohne Frage!
»Was ist geschehen?«, begehrte ich abermals zu wissen. »Ruhig, ruhig, die Schuldigen sind gefasst, und wir sind bald zu Hause. Ich sehe schon den großen Wall.«
Als ich das nächste Mal erwachte, erkannte ich eine schlanke, schöne Hand auf meinem Laken, und eine liebe Stimme sagte: »Schlaf, mein Liebster, der Knochen ist nicht geborsten, es ist nur ein großer Riss im Fleisch, ich habe die Wunde gesäubert, so wie du es mich gelehrt hast.«
»Weiß Heringsflosse, dass du bei mir bist?«
Klia lächelte und sagte: »Ja. Er hat mich sogar zu dir geschickt. Du sollst nicht verrecken, ehe du nicht gesehen hast, wie ein Jarl zu Haithabu und Statthalter der Majestät zu Jelling die Ehre der Stadt verteidigt. So seine Worte.«
»Dieser ungewischte Hintern!«
»Was sagtest du, Liebster?«
»Nichts, was dem HERRN gefällt ... Wie viele Fischer hat er gefangen?«
»Ich weiß es nicht. Aber fünfzig sind es gewiss. Darunter sehr alte und sehr junge ... schlaf weiter!«
Ich glitt hinüber in einen fiebrig heißen Traum. Über mir wogte der reife Roggen, und Klia, die ihre Seidenröcke geschürzt hatte und mich ritt. »Ich will einen Sohn von dir, Agrippa, einen kleinen Heiligen, ein Kind, das mit Freude empfangen ward.« So zirpte sie, und im Takt ihrer rhythmischen Bewegungen schwangen ihre Zöpfe, in die okzetanische Silberfäden gesponnen waren, vor und zurück, sodass sie immer wieder mein feuchtes Gesicht kitzelten, vor und zurück, vor und zurück ...
Doch dann war da ein Rauschen, das jäh wieder erstarb: Die Schnitter hatten das Feld um uns frei gemäht. Heringsflosse stand da, warf einen Strick um Klias Hals und zog sie daran empor, sodass unter ihren Röcken mein nackter Leib erschien. Und ich hörte Heringsflosses Stimme, wie das Gekläff eines Hundes, dem die wilden Säue ihre Hauzähne in den Leib rammen: »Schlagt tot, schlagt tot das Weib und den schändlichen Christenhäuptling dazu. Aber zuvor nehmt ihm die Männlichkeit!« Über meinem nackten Leib blitzte eine Klinge und eine rohe Hand griff nach dem, der sich nicht schnell genug wieder klein machen konnte.
»Ahhhhhh! «
»Still, still, Agrippa! Du hast schlecht geträumt.« Zwei warme Lippen schlossen meinen vom Schrei geöffneten Mund. »Ich muss zurück zu Heringsflosse. Wenn er vor Wut siedet, verlangt er alle Stunde nach einer anderen Frau. Er wird es bemerken, wenn ich zu lange fort bin. Schlaf du derweil weiter. Schlaf nur, Lieber!«
Und ich schlief, fast ohne Unterbrechung, einen Tag und eine Nacht. Im Dämmerschlaf erkannte ich liebe Menschen aus meiner Gemeinde, die an mein Lager traten und Gebete sprachen. Ich nickte ihnen zu, stand aber nur gelegentlich auf, um den Verband zu wechseln, den ich in einem Sud aus Holundermark und Beinwell tränkte. Es gibt zwischen Haithabu und den wundertätigen irischen Mönchen von Glendalough keinen Lebenden unter der Sonne, der mehr von Pflanzen und deren Kraft versteht als ich, der fehlsamste Gottesdiener auf der Erdenscheibe. Das sage ich nicht aus Anmaßung und falschem Stolz, sondern aus Wahrheitsliebe, zu der ich mich bisweilen verstehe.
Vor allem aber verstehe ich eines: Die Kraft der Pflanzen vermag nichts ohne Gottes segnendes Dazutun. Das wissen all die minderen Heiler nicht. Aber warum nur füllt der Herr segnende Heilkraft in ein so abgestoßenes Gefäß, wie ich eines bin?
In einer jener Nächte, in denen noch der Schmerz in meinem Kopf pochte, kam ein Soldat in meine Hütte, eine nicht entzündete Fackel in der Hand. Ich erkannte den Mann als einen der wenigen Soldaten, die sich öffentlich zu Gott bekannten, ein Riese von einem Kerl mit gutmütigem Kindergesicht.
»Du schleichst ohne Licht zu mir, Bruder in Christo, was gibt es?«
Der Mann hockte sich umständlich vor meine Lagerstatt; ich bemerkte, dass er seinen Langspieß in Griffweite abstellte. Schließlich verlangte er nach frischem Wasser und berichtete mir, in kleinen Schlucken trinkend, zunächst von Dingen, die ich schon wusste: Einem Soldaten, dem ich einen schlimmen Dorn gezogen hatte, ging es wieder gut. Die Frau eines Hauptmannes lobte die Wohltaten, die ich ihrem eitrigen Auge erwiesen hatte.
Schließlich konnte der späte Eindringling nicht länger übersehen, dass ich müde und erschöpft war, und er näherte sich in der unbeholfenen Weise einfacher Menschen der eigentlichen Ursache seines Besuches.
»Du weißt, o heiliger Künder, dass all meine Brüder Fischer sind, die auf Heringsflosses Schiffen fahren?«
Er stützte den schweren Schädel, so als belastete das Denken und Reden ihn zusätzlich. »Das wusste ich nicht, aber du hast es mir ja nun gesagt.«
»Ja, Fischer sind sie. Und ich wollte, ich wäre auch Fischer geworden. Aber ich bin Soldat. Und von denen, von den Soldaten, hast du gesagt: Wer das Schwert erhebt, kommt durch das Schwert um.«
»So steht es geschrieben. Aber nicht für jeden ereignet sich das Wort in gleicher Weise. ... Willst du, dass ich dich von Sünden freispreche?«
»Das hat Zeit, damit eilt es nicht. Ich möchte, dass du mich ... krank machst ...«
Schlagartig war ich wach. Nicht zählbar die Scharen, die im Laufe eines Jahres zu mir kamen, auf dass ich sie mit Kräutern, Salben und Gebeten heilte. Und nun dies. Es entstand eine lange Pause. Ein paar Hütten weiter den Kanal hinab klagte eine kalbende Kuh, das ferne Hafenfeuer warf schwaches rötliches Licht durchs Fenster.
»Krank machen ... sagst du.«
»Ja ... nicht krank auf den Tod, aber so krank, dass es jeder sieht und keiner von mir verlangt, was Heringsflosse von mir verlangt.« »Was verlangt er?«
»Ich bin ein Soldat. Ich bin es nicht gern, aber ich bin ein Soldat.«
»Du sagtest es bereits. Also sprich wie ein Soldat, in kurzen, klaren Worten!«
»Richtig, ein Soldat bin ich, der mit der Axt und dem Beil zuschlagen kann, wenn es gegen Feinde geht. Und ich habe auch schon in Dorestadt geplündert und Wehrlose geschlagen. Aber nur, weil es die Art ist, solches zu tun.«
»Ich denke aber, es ist nicht das, was du mir beichten willst?« »Nein. Alle meine Brüder sind Fischer. Mein Großvater und mein Vater sind es gewesen. Alle, nur ich nicht.«
Ich wurde unruhig und unwillig. Die Wunde an meinem Schädel pochte. »Sag klar heraus, was du willst! Sag, warum ich dich krank machen soll!«
Der schwache Widerschein des großen Hafenlichts war immerhin stark genug, dass ich das Gesicht des Mannes erkennen konnte, der – sofern ich mich recht erinnere – Grani hieß. Und in diesem kinderfrommen Gesicht war Verzweiflung zu lesen. »Heringsflosse will alle fünf-mal-alle-Finger gefangenen Fischer erst an den Beinen aufhängen, will sie dann, ehe sie noch ganz tot sind, durchs Feuer schleifen und dann ertränken.«
»Das habe auch ich vernommen.«
»Und ich soll alles bewirken, befehligen und das meiste davon noch selbst tun.«
Ich verstand. Aus dem hinteren Teil meiner Hütte holte ich frisches Wasser, gab Grani zu trinken, sah, dass seine Hand zitterte, diese Riesenpranke, mit der er den Becher zum Mund führte. Die linke trug eine schlecht verheilte Wunde, ein Spieß musste sie vor vielen Jahren durchbohrt haben, auch fehlte der kleine Finger.
»Ich bin Soldat, und ich bin der Sohn von Fischern. Ich bin kein Henker. Alle meine Brüder werfen Netze ins Wasser. Und wäre ich nicht ein Narr gewesen, der als Knabe immer mit dem Fischmesser des Vaters strandhoeg (schneller Überfall, Raubzug) gespielt hat, dann wäre ich jetzt auf dem Meer. Weit fort. Aber das Fáfnismál (Vogelweissagung) hat mich zum Soldaten bestimmt.«
Nebenan war das Stöhnen der kalbenden Kuh lauter geworden, dazu mischten sich menschliche Stimmen. Offenbar eine schwere Geburt. Der Fluch der schweren Geburt, mit dem der Herr einst Eva belegt hat, scheint auch auf die Tiere, die der Mensch in seinen Hütten hält, ausgeweitet worden zu sein. Einen Moment lang dachte ich daran, Grani eine Weile allein zu lassen und den Nachbarn zu helfen. Aber die Stimmen wurden leiser.
Ich verschwand abermals im hinteren Teil meiner Hütte, und ich spürte, dass Granis Augen sehnsüchtig in meinem Rücken brannten, als ich im Halbdunkel suchend umhertastete.
»Diese Blätter werden bewirken, was du willst. Zerkaue sie, aber nie mehr als eines pro Tag. Nimmst du mehr, werden alle deine Probleme für immer gelöst sein. Aber das ist ja nicht in deinem Sinne, oder?«
Voller Dankbarkeit begann Grani, mein Gesicht mit Küssen zu bedecken, und in seinem Ungestüm berührte er meine frisch vernarbte Wunde. Als er ging, hatte sein Schritt etwas Federndes.
Am nächsten Tag lag ich nach der Spätmesse bei Klia. Als unsere Lust verebbt war, sah ich, dass sie weinte: »Er will sie dreifach zu Tode bringen, in der Luft, im Feuer und im Wasser. Es sind auch Knaben dabei, noch Kinder fast.«
»Ich weiß, Klia, ich weiß.«
»Und wir können nichts tun? Agrippa, du weißt doch immer so kluge Dinge ...«
»Der Tod so vieler wird neuen Hass säen. Die Angehörigen der Fischer werden Rache nehmen. Der Teufel spielt sein Spiel.«
Lange lagen wir und sahen, wie das Mondlicht sich im Messgeschirr spiegelte. Schließlich legte Klia ihre hohe, runde Stirn gegen meine: »Agrippa, der Teufel spielt sein Spiel, sagst du? Das darf nicht sein!«
Zweierlei geschah. Das eine war wunderbar: Klia gelang es – Gott weiß wie –, Heringsflosse davon zu überzeugen, die meisten gefangenen Fischer (darunter alle Kinder) freizulassen und seine Rache auf nur zehn zu beschränken, die er für die Rädelsführer hielt. Das andere konnte mich nicht sehr verwundern: Grani wollte das glaubhafte Bild eines dienstunfähigen Soldaten bieten. Er stopfte sich alle Blätter ins Maul – so wie ein auf Honig gieriges Kind gesüßte Brotkrusten zum Julfest verschlingt. Die letzte verständliche Äußerung, die man von dem sterbenden Soldaten hörte, war: »Ich bin ein Fischer.«
Zwei Tage nach Granis Tod weckte mich ein Geräusch, das ich als den Laut übergroßer Stille zu beschreiben versucht bin. Das Fehlen von Kindergeschrei. Keine polternden Schritte auf den Holzplanken und Bohlenwegen. Selbst die Mäuse in den Schilfdächern schwiegen. Die jungen Schwalben in ihren Nestern hielten den Atem an. Etwas lag in der Luft.
Ich trat ins Freie und gewahrte, dass sich eine Riesenmenge von Menschen zur Allmende ergoss, wo ein großes Feuer brannte. Von fern sah ich einige gebeugte Gestalten, die der Mob vor sich her stieß.
Es schnürt mir die Kehle zu, wenn ich jene gräulichen Bilder wieder in mir aufsteigen lasse. Bilder, die Heringsflosse meinte, der Stadt und dem weiten Umland einbrennen zu müssen. Er ließ (die Reihenfolge hatte er im letzten Moment ändern lassen) die unglücklichen Zehn erst durch ein Feuer schleifen, die halbtot Gebrannten dann für eine kurze Weile kopfüber aufhängen und ertränkte sie anschließend. Aber den Wassertod nach dem Feuer- und dem Lufttod erlebten nur noch wenige. Einer, den man für den Anführer hielt, soll aber, während man seinen geschundenen Leib zum Ertränken auf das Gitter band, geschrien haben: »Heringsflosse, du überlebst mich keine vier Monde! Keine vier Monde!«
Als er diesen seinen letzten Satz gebrüllt hatte, war es ein paar Herzschläge lang still. Zufällig streifte mein Blick den eines Specksteinhändlers, der mir wegen seiner kräftigen Gestalt aufgefallen war. Auch er hatte sich wie ich abseits der Gaffer gehalten, drehte dem grausigen Spektakel demonstrativ den Rücken zu. »Vier Monde sind eine sehr kurze Zeit, oder was meinst du, Christenhäuptling?«, sagte er und spuckte aus. Der Mann hieß Egil. Aber das erfuhr ich erst später.
Es waren einige Wochen vergangen, seit die Schreie der gemarterten Fischer verklungen waren. Menschen tun Dinge verschieden schnell. Aber eines können fast alle Sterblichen gleich gut: vergessen! Flossen in den Tagen nach der Hinrichtung die Münder über von all den Schilderungen, wie der und jener heulend oder schweigend den Martertod ertragen hatte, war doch schon bald wieder Ruhe, und der Alltag kehrte ein. Man interessierte sich wieder mehr für die einlaufenden Schiffe und die Speckstein- oder Fellpreise. Die Weiber, die noch vor wenigen Tagen kreischend von jenem Mann berichteten, welcher brennend nach seiner Mutter rief, kreischten jetzt wieder beim Anblick einlaufender fränkischer Dickschiffe, die allerfeinste Stoffe anlieferten. Ein Händler aus dem großen Köln hat mir einmal seufzend über einen Becher Wein hinweg gebeichtet, das Gefährlichste an seinem Gewerbe seien nicht Sturm und nicht Untiefen, das Gefährlichste sei der Moment des Anlegens in Haithabu, wenn eine schreiende Weiberschar an Bord dränge und mit gierigen Klauen seine Stoffe zu zerreißen drohe.
Auch mein Alltag verlief wieder so wie vor Heringsflosses Blutgericht. Ich taufte Heidenkinder, gab Sterbenden Halt und sank so oft zwischen Klias weiße Schenkel, wie sie sich fortstehlen konnte, ohne Aufsehen zu erregen. Meist nutzten wir das Dunkel der Sakristei. (Allein dafür werde ich verdammt werden!) O Vater im Himmel, ich bin ein auf den Kopf gestellter Augustin: Während der große Heilige als Jüngling in Karthago die schönsten Verwirrungen der Fleischlichkeit erlebte und dann zu einem wahrhaft Heiligen heranreifte, war meine Jugend einigermaßen unbefleckt, während ich mit den Jahren tiefer und tiefer in die Abgründe zwischen Weiberschenkel sank.
Sagte ich »Abgründe«?
Und können nicht auch Heilige irren? Erschaudernd hatte ich schon in meinen jungen Jahren als Novize im hohen Kloster zu Corvey gelesen, dass Augustin die Umarmung der Frauen »schmutzig, klebrig und fürchterlich« nannte und dass dem menschlichen Samen die »Erbsünde» anhafte. Mir will das nicht in den Kopf: Wo doch Gott Adam gesagt hat, dass Menschen die Erde bevölkern sollen! Kann er es dann so eingerichtet haben, dass sein Auftrag nur um den Preis schwerer Sünde zu erfüllen ist? Aber was weiß ich! Was kann ich mehr wissen als der große Augustin?
Ich weiß nur, dass Klia die sanfte Herrscherin über mein Herz und meinen Leib war, und um dieser Liebe ein wenig Ewigkeit zu schenken, ließ ich einen blauen Stein, den mir eine reiche Frau aus Dankbarkeit für die Rettung vor dem Schlagfluss geschenkt hatte, in Gold fassen. In den Stein eingelassen prangte ein silbernes Kreuz, um das sich eine Schlange wand.
Nie vergesse ich das Strahlen in ihren Augen, als ich ihr das Kleinod an den Finger steckte. »So blau ... so schön! Ich werde sagen, ich hätte den Ring gefunden, falls Heringsflosse ihn bemerkt. Aber er wird ihm nicht auffallen«, sagte sie und küsste erst den Ring, als wäre es ein Bischofsring, und dann mich, der ich gewiss kein Bischof bin. Und wir liebten uns im Stehen, im Stamm eines hohlen Baumes wie Lif und Lifthra, die nach dem Glauben der Heiden als einzige den großen Frost, geschützt in der Baumhaut, überlebten. Und ich fühlte mich wohl und keinesfalls »klebrig, schmutzig und fürchterlich«.
Von allen Ehemännern, die ich betrog, bereue ich den Betrug an Heringsflosse am wenigsten. Ich vermute, Heringsflosse ahnte nichts von den Diensten, die sein Weib an Gott geweihtem Männerfleisch verrichtete. Wohl aber war es nicht ohne Hintersinn, dass er seinem Weib den Aufenthalt in meiner Nähe gestattete: Der Jarl dünkte sich sehr schlau, Klia öffentlich in der Christengemeinde auftreten zu lassen. Er selbst war ja weder eifriger Christ noch eifriger Götzenanbeter. Seine beiden Hauptweiber aber, Klia und Odda, neigten mit jeweils gleicher Glaubensstärke Jesus und den Asen zu. Also ließ er seine Frauen wie vorgeschobene Boote beim strandhoeg fechten, während er faul hinten im Häuptlingsboot lag. Er ließ beten. Und so wie dem Thorshammer nur das winzige obere Stück fehlt, um ein Kreuz zu sein, so lagen in seinem Haus das Lager der Odda und das der Klia dicht beieinander.
Zum Oster- oder Weihnachtsfest zeigte sich Heringsflosse in einem kreuzbestickten Mantel, der vermutlich in Wessex geraubt worden war, an der Seite von Klia, ließ sich von ihr die heiligen Worte zumurmeln, ehe er sie laut und offiziell verkündete, und beugte dann artig den Kopf vor dem Gekreuzigten.
An heidnischen Hochtagen, etwa Mittsommernacht, erschien er an Oddas Seite, prahlte, protzte, soff, ließ sich als Held nie geschlagener Schlachten besingen, und Odda war zuversichtlich, ihn endgültig für Odin zurückgewonnen zu haben. Aber Heringsflosse gefiel sich darin, weiterhin Thorshammer und Kreuz zu tragen, worin ja auch eine gewisse Schläue lag: Die vielen Heiden Haithabus und die nicht mehr ganz so wenigen Christen konnten mit gleichem Recht sagen: Der Jarl glaubt an meinen Gott, er ist einer von uns!
Aber das Thorsamulett über das Kreuz zu hängen ist eine Sache, mit einer Christin und einer Heidin Tisch und Bett zu teilen eine andere. Oh, was mögen unter Heringsflosses langem Schilfdach für Weiberkriege getobt haben, wie viel heimlich verwanzte Gewänder, wie viel hinterrücks gestochene Kammstiele, wie viel Urin in der Milch der anderen, wie viel vergiftete Worte! Ich habe übrigens nie begriffen, wie sich die Weibertruppen im Hause Heringsflosse aufteilten, wie viele Nebenfrauen Odda und wie viele Klia hinter sich bringen konnte. Ich denke, man kämpfte dort mit wechselnden Truppen.
Es gab wichtigere Entwicklungen. Viele in Haithabu, darunter einsichtige Adelige und vor allem die Kaufleute und Händler, hatten gehofft, der große Fehlschlag mit dem Heringsfass-Zoll hätte den Jarl vorsichtig gemacht. Aber kaum wuchs an der Stelle, an der die Fischer gebrannt hatten, frischgrünes Gras, kaum waren die Wachtürme an der Missunder Enge wieder aufgebaut, überraschte der Jarl die Stadt Haithabu mit einer neuen Idee: Neben dem üblichen königlichen Zoll auf jedwede umgeschlagene Ware, seien es nun Tonkrüge, Frankschwerter, Tuch oder was auch immer, sollte ab sofort eine so genannte »Liegegebühr« entrichtet werden. Für jeden Tag, den ein Schiff in Haithabu vertäut lag, würde ab sofort zur Kasse gebeten. Die Folge war leicht abzusehen: Die Kaufleute würden es sich künftig nicht mehr leisten können, ihre Ware langsam zu verkaufen, um so möglichst gute Preise zu erzielen. Die Aufkäufer, allen voran der Jarl selbst, konnten sich diesen Zeitdruck zu Nutze machen und ihre eigenen Preise diktieren, solange diese immer noch erträglicher erschienen als hohe Liegegebühren.
Ein Specksteinhändler, der ein seltsames Nordisch sprach (später lernte ich diese Sprachfarbe genauer kennen als die Zunge der irischen Wikinger), machte sich zum Sprecher aller Kapitäns-Kauffahrer und trug dem Jarl die Forderungen der Weitgereisten vor.
Es war der nämliche Mann, Egil, der mir aufgefallen war, als er sich – genau wie ich – von der Hinrichtung der Zehn abgewandt hatte. Seine Rede war bemerkenswert. Und da er sie am Hafen öffentlich vortrug, die Schiffe aus allen Weltprovinzen im Rücken, war auch ich ihr Zeuge.
Heringsflosse hatte sich zu dem »Thing der Kaufleute« (wie es später genannt wurde) lange bitten lassen und hatte dann aber seinen Residenzstuhl, auf dem er sonst nur zu höchst feierlichen Anlässen thronte, hart ans Wasser rücken lassen. Schon diese Geste signalisierte Ablehnung. Während der Specksteinhändler sprach und er sprach besser als manch gelehrter Mann – verschränkte Heringsflosse die Arme vor der breiten Brust, so als wolle er keine Erkenntnis zu seinem Herzen vordringen lassen.
Egil stand unerschrocken am Fuß des Stuhles, einer schweren Konstruktion aus Esche, kunstvoll mit Tieren verschnitzt, die sich zu fließenden Bewegungen verknoteten. Der Kapitän und Specksteinhändler begann mit einer Verbeugung, nicht allzu tief, aber auch nicht so flüchtig, dass Heringsflosse daraus eine Missachtung seiner Würde hätte erkennen können.
»Ich spreche zu dir, o Jarl von Haithabu, in der Sprache, die wir beide besser verstehen als die Sprache des Geschwätzes: Ich spreche in der Sprache des Meeres. Du selbst bist lange Jahre über das glitzernde Meer gefahren, um das Silber der See einzufangen. Hering hat Frigga dir reichlich gegeben als Lohn für deine Kühnheit. Und nach durchstürmten Nächten, nachdem der Frost dir seine Klauen durchs Gesicht gezogen hatte, kehrtest du immer wieder gern zurück in die schützenden Häfen. Was gibt es Besseres als die Sicherheit des Hafens, nachdem man den Gewalten des Wassers und des Windes entronnen ist, den frechen Angriffen von Piraten, nachdem man klug und besonnen und mit Hilfe der Götter das bergende Ufer erreicht hat?
Und unter allen Häfen, die wir kennen, genießt keiner einen besseren Ruf als Haithabu. Selbst das große Birka, das herrliche Dorestadt, das emsige Dublin, meine Vaterstadt, sind geringe Orte gemessen an Haithabu. Wer dem widersprechen wollte, der hat nicht zwei gesunde Augen im Kopf, oder er ist ein übler Lügner. Wer sein Schiff hier vertäut, weiß, dass keine Hafenräuber ihm den verdienten Lohn seines Wagemutes nehmen kann. Man kann sich an Land zum Schlafen legen, keiner wird es wagen, sich nächtens auf die Planken seines Schiffes zu stehlen. Haithabu ist Sicherheit. Haithabu ist Freiheit. Haithabu ist so offen, wie der Himmel für Möwen und Adler offen ist. Haithabu soll leben!«
Beifall brandete auf. Heringsflosse hatte seine Armschranke geöffnet und kratzte sich am massigen Schädel. Sein dicker Hals trug keinen sehr hellen Kopf (ich sagte es verschiedentlich), aber sein Verstand war doch immerhin klar genug, um zu erkennen, dass dieser Specksteinhändler seine Sache gut machte. Und gut hieß: schlecht für ihn.
Kaum merklich und mit vielen Schleifen und Ehrbezeugungen kam Egil auf den Punkt. »Wenn aber ein neuer Zoll uns Weitfahrer so schnell wie möglich wieder aus diesem gastlichen Hafen jagen soll, so wird ein Geflüster anheben auf allen Meeren, in allen Buchten, lauter als seitlicher Wind in den Segeln. Haithabu? werden die Schiffer fragen, Haithabu ... ist das nicht der Ort, wo man seine Ware an Land werfen und das zurückgeworfene Bruchsilber zusammenkehren muss, um möglichst schnell wieder das offene Meer zu erreichen? Haithabu ... der Ort, wo man die besten und stärksten Sklaven erwerben kann, wo es das prächtigste Bernstein gibt ... Haithabu nur mehr ein Ort unwürdiger Eile?«
Immer häufiger wurde Egils Rede durch zustimmende Zwischenrufe unterbrochen: »Grad so!« Oder: »Er sagt, wie es wirklich ist!« Schließlich brüllte einer und sein Witz wurde durch lautes Lachen belohnt: »Hör zu, o Jarl, diese Wahrheiten gibt es ohne Entgelt!«
Dieser Zwischenruf, ich glaube von einem abodritischen Fellhändler, veranlasste Heringsflosse zu einer Entgegnung. Er blähte die Brust und schlug auf dieselbe, sodass Thorshämmer und Kreuz schepperten.
»Wahr hast du gesprochen, Egil von Dublin. Haithabu ist ein Ort der Sicherheit und der Freiheit. Sie zu wahren, habe ich gerade zehn aufsässige, räuberische Banditen der Heliii übergeben. Aber diese Freiheit kostet. Die Soldaten des Königs von Jelling wollen essen. Ich muss sie noch in diesem Jahr mit den neuen, besseren Frankenspießen ausrüsten, wie sie die Friesen schon lange haben. Diese Sicherheit ist auch eure Sicherheit. Also lasst uns nicht über Zoll reden, der Haithabu nicht reich macht und euch nicht arm.«
Dann ließ er sich wieder forttragen, und ich sah viele heimlich geballte Fäuste. Neben mir sagte ein Einheimischer, der mit Walrosszahn-Handel wohlhabend geworden war: »Wäre Rangar noch Jarl, nie hätte so eine Engherzigkeit geschehen können.« Aber Rangar war auf Bornholm langsam verbrannt, und ich, der ich mit dem Schwert seinen Qualen ein Ende hätte bereiten können, habe es nicht getan.
Es gab viel Gewisper über die Rede und den Auftritt des Specksteinhändlers; Einhard, der Schiffsbauer, sagte ein bemerkenswertes Wort: »So redet kein Händler, so wirft einer seine Worte, der auch Speere schleudern kann!«
Wenige Wochen nach dem öffentlichen Wortwechsel muss es wohl gewesen sein, dass Snorri in einem seiner Verse die Versammlung am Kai »das Thing der Kaufleute« nannte: