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Seit mehr als vierzig Jahren schreibt der Autor Dr. Bernd A. Weil Kolumnen, Rezensionen, Essays, wissenschaftliche Abhandlungen, Unterrichtseinheiten, Dokumentationen und Biografien sowie erzählerische und poetische Texte. Die zwanzigste Buchveröffentlichung des promovierten Germanisten, Historikers und Politikwissenschaftlers stellt erneut einen Querschnitt seines geistigen Schaffens dar. So entstand ein spannendes Kaleidoskop an literarischen Texten, die an Grimmelshausen, Wilhelm Busch, Schobert & Black und andere Schriftsteller oder Liedermacher erinnern: Novelle, Satiren, Gedichte, Kurzgeschichten, Essays, Biografien und Kolumnen.
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Seitenzahl: 79
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Ähnlichkeiten mit realen Personen sind nicht beabsichtigt, sondern der menschlichen Fantasie entsprungen.
Eines nur ist Glück hienieden,
Eins: des Innern stiller Frieden
Und die schuldbefreite Brust!
Und die Größe ist gefährlich,
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er gibt, sind nicht'ge Schatten,
Was er nimmt, es ist so viel!
Franz Grillparzer (1791-1872): Der Traum, ein Leben (1834)
Der Mordbach
Die Schwarzseher
Nonsens und Vermischtes
Gedichte vom Smiegel
Wie Schall und Rauch
Der Limes
Die Saalburg
Klaus Mann (1906 bis 1949)
Jack London (1876 bis 1916)
Jon Krakauer und der Mythos der Wildnis
"Stell dir vor, es ist Krieg …"
Konrad Kellen (1913-2007)
Stammbaum der Familie WEIL
Buchveröffentlichungen von Dr. Bernd A. Weil
Personen der Handlung
Weitere Personen:
Dorfbewohner, Handwerksburschen,
Waschfrauen, Bauern, Jäger, Förster,
Treiber, der Graf des Gutshofes, eine Magd,
der Pfarrer und seine Haushälterin,
Bürgermeister, Schulrektor, Lehrer, der
Männergesangverein, ein Hühnerdieb, der
Schinderhannes und seine Bande, Wilderer,
ein Totengräber sowie mehrere Wanderer
Die alte Mühle im Wiesengrund war in Millionen Teile zerborsten, so heftig war die Explosion angesichts des überproportionierten Sprengstoffs. Der Knall war noch in den mehrere Kilometer entfernten Nachbarorten zu hören, sodass sämtliche Haushunde ein lautes Gebell veranstalteten oder sich ängstlich verkrochen. Doch was hatte dieses Denkmal in der Landschaft, das seit Jahrhunderten hier stand so brutal dem Erdboden gleichgemacht?
Bis dato lag die alte Mühle eher unscheinbar und halb zerfallen angesichts ihres fortgeschrittenen Alters etwas verschlafen im Tal des Baches, der dem kleinen Dorf seinen Namen gegeben hatte. Hier schien der Weg zu Ende zu sein und verengte sich nur noch zu einem bei nassem Wetter schlüpfrig werdenden Trampelpfad.
Nicht viele Menschen fanden sich bei der alten Mühle ein, seit ein Gasthof entlang des Weges zum Dorf von einem passionierten Jäger eröffnet wurde, der eingebunden in die Natur leben wollte, seiner Familie gegenüber jedoch keineswegs so feinfühlig eingestellt war, wie man glauben sollte. Dem Jagdfanatiker rutschte schon mal die Hand gegen seine Frau und seine Kinder aus und auch gegen ungebetene Gäste legte er gelegentlich die Flinte an, wenn ihn der schwarz gebrannte Schnaps wieder einmal zum Choleriker werden ließ.
Die alte Mühle war das ärmliche aber traute Heim eines Paares, wie es unterschiedlicher nicht hätte sein können. Aber dennoch gingen die Beiden auf Geheiß ihrer Eltern den Weg zum Traualtar, getreu dem Motto: "Die Liebe kommt schon von allein." Und so schien es nach der Geburt des einzigen Sohnes auch zu sein.
Jakob, der bereits etwas betagte Müller, den man im Dorf-Jargon "Miller-Jaab" nannte, war tagsüber zu beschäftigt, um sich Gedanken über seine Familie oder das Leben an sich zu machen. Seine hübsche und zunehmend unternehmungslustige Frau Sophie war von ganz anderer Natur. Dass ihr nach so vielen Ehejahren nicht nur der Mann, sondern auch der kleine Hannes zu einem Klotz am Bein wurden, durfte sie weder sich noch der streng katholischen Umgebung eingestehen. Das wuchtige Gotteshaus war nicht nur das höchste Gebäude im Zentrum des Dorfes, sondern es drohte auch wie ein moralischer Zeigefinger den armen Sündern, die hier ihr Leben fristeten.
Viel zu lachen gab es in der alten Mühle nicht. Nur wenn der Frieder vorbeikam, der wegen seiner langen und tollpatschigen Schritte nur der "lange Frieder" genannt wurde, war selbst in der finsteren Mühle für kurze Zeit für Heiterkeit gesorgt. Der geistig zurückgebliebene, aber gerade wegen seiner Eigenheiten liebenswerte junge Mann war stets gut für einen Scherz. Dieses Mal kam er, um wieder einmal eines seiner selbst gedichteten Lieder zum Besten zu geben, ob man es hören wollte oder nicht.
Ein Wilderer schläft in der Au,
Der Kerl träumt von der Jägerei.
Der Fuchs, der ist in seinem Bau,
Der Oberförster eilt herbei
Und trägt bei sich ein "Mords-Geweih"!
Frieder rief zum Schluss laut "Halali, Halali", so als wollte er die Zuhörer zu einer Zugabe bewegen. Doch obwohl dem nicht so war, ließ er sich von einem Dacapo nicht abhalten.
Dem bösen Wolf, dem ist's ganz flau,
Die Geißlein hauen wild drauf 'nei.
Die Stimme ist vom Schreien rau,
Dem Dichter war das einerlei!
Niemand im Dorf wusste, woher Frieder eigentlich kam. Frauen, die am Bach ihre Wäsche versorgten und zum Bleichen auf einer Wiese ausbreiteten, hörten einst nahe dem Wasser Babygeschrei und nahmen das kleine verschmutzte Bündel mit nach Hause. Der Pfarrer bat seine Haushälterin, sich aus christlicher Nächstenliebe um den Kleinen zu kümmern und taufte ihn auf den Namen Friedrich. Schnell machten Gerüchte die Runde, dass der Graf des ortsansässigen Gutshofes der Vater des Kindes sei, denn vor einiger Zeit hatte man eine seiner Mägde in einem Waldstück tot aufgefunden, die offensichtlich kurze Zeit zuvor in der Einsamkeit ein Kind entbunden hatte.
Solche und viele andere Geschichten dieser Art führten bei den Dorfbewohnern zu einer trauten Übereinkunft der Verschwiegenheit, um bloß nicht in Schwierigkeiten zu geraten. In ihrem Naturell fürchteten sich die Menschen hier vor jeder Veränderung, die ihr Leben ins Wanken bringen könnte. Neben der streng katholischen Erziehung hatte es vornehmlich damit zu tun, dass die bodenständigen Dorfbewohner buchstäblich nie über ihren Horizont hinausschauen konnten, denn kaum jemand war in seinem ganzen Leben über ein paar Nachbardörfer hinausgekommen. Für eine Reise fehlte den Menschen der damaligen Zeit sowohl der Grund als auch das Geld. Daher war man für jede noch so kleine Abwechslung dankbar.
Wenn nach starkem Regen der Wasserstand im Bachlauf anschwoll, bauten die Dorfkinder einen Damm, um in dem gestauten Wasser zu baden und herumzutollen. Ihr schlammiges "Bauwerk" nannten sie stolz "die Insel". Der mitunter cholerische Müller duldete dies nur unterhalb seiner Mühle, weil ihm sonst Wasser zum Antrieb seines Mühlrades gefehlt hätte. Insgeheim war es dem "Mühlen-Jaab" sogar ganz recht, beeinträchtigte die Konstruktion der Badekinder doch die etwas weiter unten gelegene, mit ihm konkurrierende zweite Mühle in ihrer Nutzleistung.
Der Badespaß wurde zu einem sommerlichen Anziehungspunkt für die gesamte Dorfjugend. Besonders Eifrige hatten schmale Stufen in die lehmige Uferböschung gegraben, damit man den Bachlauf leichter erreichen und ihm wieder entkommen konnte. Die pubertierenden Jugendlichen nutzten die Badespiele – bei denen ihre Eltern so gut wie nie zugegen waren – um erste unsichere Kontakte zum anderen Geschlecht zu knüpfen und noch unbeholfen zu erkunden.
Der wasserscheue Frieder zog es vor, das Wasser zu meiden, wollte aber gerne dabei sein, um als Ältester seine Späße zu machen. Er schaute aber gerne dort ins Wasser, wo es so seicht war, dass man die Steine am Grund des Bachlaufs erkennen konnte. Frieder hielt die Steine für Buchstaben, obwohl er gar nicht richtig lesen und schreiben konnte. Den Leuten, die ihn für verrückt hielten, sagte er, das Plätschern, Gurgeln und Rauschen des Baches seien die Wörter, die aus den Buchstaben am Boden entstünden.
Keiner verstand, was Frieder mit seinen Gedichten meinte, die er – untermalt durch eine wirre Melodie – auf seiner selbst gebastelten Haselnuss-Pfeife hervorbrachte. Vermutlich hatte er hier und da ein paar Wortfetzen aufgeschnappt und wie ein falsch zusammengesetztes Puzzle zu einem "Gedicht" neu geformt.
Ein Mensch, der denkt, 's wär' Höflichkeit
Und hält für and're 's Bad bereit,
Der hat am Schluss den Schaden dann –:
Beim Frühstück steht er hinten an.
Frieder besaß ein kleines Haustier, auf das er sehr stolz war und das er liebevoll beschützte. Es war ein Hamster, wie ihn damals viele Jungen als ihren tierischen Spielkameraden hielten. Er nannte den Nager "Flockie", weil dieser in seinem Käfig meistens mit einigen Flocken aus Holzspänen auf dem Rücken herumwuselte. Den größten Spaß hatte der listenreiche Frieder, wenn er einkaufen gehen sollte und dazu den Hamster in der linken Brusttasche seines Hemdes mit sich führte. Die Frauen in den Geschäften erschraken gehörig, hielten sie das putzige Tierchen doch für eine gefährliche Maus und ließen Frieder daher an der Einkaufstheke bereitwillig den Vortritt, was dieser von nun an zur Gewohnheit werden ließ.
Eines Tages brach ein kleines Feuer in der Mühle aus, das aber schnell wieder gelöscht werden konnte. Drei Jungs rauchten heimlich ihre erste Zigarre, die einer von ihnen vom Großvater stibitzt hatte. Es wurde den jungen Helden nicht nur fürchterlich schlecht davon, sondern sie waren bei der verbotenen Aktion auch noch derart ungeschickt, dass sie durch die nicht vollständig gelöschte Glut einen Brand verursachten. Einer der Buben wunderte sich, dass nicht der gefürchtete "Mühlen-Jaab" hinter ihnen herlief, sondern ein fremder Mann, dem sie allerdings leicht entkamen.
Im Dorf ereigneten sich gelegentlich kleine kuriose Begebenheiten. Als eine bettelnde Landstreicherin mit ihrem hungernden Kind vorbeikam, gab ihr ganz spontan aus christlicher Nächstenliebe eine alte verwitwete Bäuerin ein Stück Brot und zog einen ihrer Oberröcke aus, von denen damals vor allem die älteren Frauen mehrere übereinander trugen. Gerade, die Menschen, die selbst nicht viel besaßen, waren bereit, anderen zu geben.
Seit einigen Wochen bemerkten mehrere Dorfbewohner, dass immer häufiger, Eier und jetzt auch Hühner aus den Ställen gestohlen wurden. An einen Fuchs als Hühnerdieb glaubte schon lange niemand mehr. Dagegen war man einhellig der Meinung, es müsste sich um den gleichen Mann handeln, der seit Jahren immer wieder – mit einer Kapuze verkleidet – Äpfel klaute und junge Mädchen im Dunkeln erschreckte. Fassen konnte man ihn allerdings nicht.