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Der dritte Band der umfassenden Trilogie über die jüdische Familie Aumann aus Selters-Eisenbach im Taunus schließt die Erforschung ihrer dramatischen Geschichte ab. Trotz schwieriger Quellenlage und verloren geglaubter Zeugnisse ist es erstmals gelungen, durch jahrzehntelange intensive Recherchen ein umfassendes Bild des Schicksals einer jüdischen Familie in Deutschland vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart zu zeichnen. Band 3 beinhaltet neue Dokumente, Fotos, Briefe und Erinnerungsstücke der Familien Aumann und Oestreich. Mit den insgesamt 1.000 großformatigen Buchseiten des dreibändigen Werkes soll der Familie Aumann ein bleibendes Denkmal gegen das Vergessen gesetzt werden.
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Seitenzahl: 250
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Für Mathilde Mannheimer, geborene Aumann
Hört auf, sie immer Miriam
und Rachel und Sulamith
und Aron und David zu nennen
in eueren Trauerworten!
Sie haben auch Anna geheißen
und Maria und Margarete
und Helmut und Siegfried:
Sie haben geheißen wie ihr heißt
Erich Fried (1921-1988): Diese Toten1
Das Böse triumphiert allein dadurch, dass gute Menschen nichts unternehmen. (All that is necessary for the triumph of evil is that good men do nothing.)
Edmund Burke (1729-1797)
1 Fried, Erich: Gesammelte Werke, Bd. 3: Gedichte, Berlin 1998, S. 444f.
Stammbaum der Familie Aumann
Einleitung
Familie Gustav und Rosalie Aumann, geb. Marx
Siegmund Aumann
Mathilde Mannheimer, geb. Aumann
Otto und Käthe Aumann, geb. Bremer
Julius und Rosa Fromm, geb. Aumann
Stammbaum der Familien Aumann, Fromm, Udoff und Keller
Fanny Aumann
Familie Hermann und Johanna Aumann, geb. Heß
Hermann und Johanna Aumann
Die beiden Aumann-Familien als Unternehmer
Stammbaum der Familien Aumann, Heß, Oestreich und Freudenthal
Familie Oestreich
Stammbaum der Familien Oestreich und Aumann
Juden in Babenhausen
Nathan Oestreich ("Der alte Nehm")
Leo Oestreich, der Onkel von Max Oestreich
Julius und Sara Oestreich, geb. Adler
Sally und Berta Aumann, geb. Oestreich
Max und Gertrud Oestreich, geb. Fuld
Max Oestreichs Lebenserinnerungen
Stammbaum der Familien Oestreich, Fuld und Sherman
Bernhard und Fanny Fuld, geb. Strauß
Weitere Stammbäume von der Familie Aumann
Anhang
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Register
Samuel Aumanns Eltern waren Abraham und Zerla Seligmann, geb. Herz. Samuel heiratete am 12.01.1847 Karoline Aumann, geb. Mayer. Ihre Eltern hießen Salomon und Amalia Mayer, geb. Goldschmied (Rufname "Madje"). (Quelle: My Heritage)
Das Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust hat den meisten Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) erhebliche Probleme bereitet, und zwar nicht nur den schuldigen Tätern. Die Kulturjournalistin Dr. phil. Juliane Reil (geb. 1980) schrieb in ihrem »Entwurf einer historischen Gedächtnistheorie«: "Die Konfrontation mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nach 1945 – die zweite Geschichte des Nationalsozialismus – war lange Zeit ein schwieriges und umstrittenes Thema in der deutschen Gesellschaft und Politik."2 Es sind oft nur die Museen und Monumente zum Gedenken verfolgter und ermordeter Minderheiten, die das fehlende öffentliche Bewusstsein ersetzen sollen. Unmittelbar nach 1945 war bei der deutschen Bevölkerung ohnehin nicht daran zu denken, wie Reil betont: "Im Hinblick auf die materielle Not, den Hunger, die Zerstörung vieler Städte, die eigenen Kriegstoten und Kriegsgefangenen, die Vertriebenen und Ausgebombten in Deutschland sehen viele Deutsche in den ersten Jahren der Nachkriegszeit keinen Grund dafür, dem Leid der rassistisch und politisch Verfolgten Vorrang vor dem eigenen einzuräumen."3
Die sogenannte "Entnazifizierung" in Deutschland hielt nicht nur Thomas Mann (1875-1955) für eine Farce, denn man wollte ganz allgemein einen wie auch immer gearteten "Schlussstrich" unter die Nazi-Vergangenheit ziehen und so blieb es eine bis heute "unbewältigte Vergangenheit".4 Den sehr schwachen alliierten "Aufklärungsbemühungen" folgte ein großes Schweigen, Vertuschen und Verleugnen in den beiden 1949 gegründeten deutschen Staaten BRD und DDR. Aber an dieser Stelle sei auch betont, dass die Geschichte des Judentums "weit mehr als eine Ausgrenzungs-, Verfolgungs- und Opfergeschichte ist".5 Durch die vielfältigen Leistungen in Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik über viele Jahrhunderte wurden Jüdinnen und Juden zu einem herausragenden und integralen Bestandteil der abendländischen Gesellschaft.
Was jedoch die Verfolgungsgeschichte des Judentums betrifft, kann von einer fundierten oder gelebten "Erinnerungskultur" bis heute nicht gesprochen werden. Da helfen vor allem auch keine "empirischen Untersuchungen zur Wirkung von Gedenkstättenfahrten" und keine "Evaluierungen dieser »pädagogischen Maßnahmen«", die – in abstruser Anlehnung an eine Vorlesung Friedrich Schillers zur Wirkung des Theaters6 – dem Thema "Auschwitz als eine moralische Anstalt betrachtet" nachzugehen versuchen.7 Andererseits ist der Holocaust "ein maßgeblicher Bestandteil deutscher Identität" geworden.8 Die Nürnberger Prozesse9 stellten nur ein Feigenblatt der Aufarbeitung von Schuld und Verantwortung dar. Auffällig ist, dass es bis heute in der deutschen Sprache keinen Begriff für die Verbrechen des Nationalsozialismus gibt! Deshalb müssen wir weiterhin die Termini Holocaust10 und oder Schoah11 verwenden.
Im Jahr 1925 lebten laut einer Volkszählung12 563.733 Menschen mit jüdischem Glauben im Deutschen Reich.13 Bei einer Gesamtbevölkerung von 63,17 Millionen waren dies nur etwa 0,9 Prozent.14 Am 16. Juni 1933 waren es nur noch 499.682 Juden (ohne Saarland).15 Dies entsprach einem Bevölkerungsanteil von knapp 0,8 Prozent. Und dennoch waren die Leistungen der jüdischen Mitbürger auf allen kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Gebieten weit überproportional vertreten.16 Nach Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 waren noch rund 500.000 Juden im "Dritten Reich". Vor der nationalsozialistischen Gewalt flohen insgesamt etwa 275.000 bis 300.000 Juden17 aus Deutschland in mehr als 80 Staaten,18 die weitaus meisten bis zum Kriegsausbruch am 1. September 1939. Mindestens 165.000 deutsche Juden wurden von den Nazis ermordet.19 Praktisch alle 2.800 Synagogen20 wurden zerstört oder entweiht.21
Nach internationalen wissenschaftlichen Untersuchungen wurden von den Nationalsozialisten zwischen 5,7 Millionen22 und 6,3 Millionen23 Juden ermordet. Am Holocaust direkt beteiligt waren mindestens 300.000 Menschen (mit den sogenannten "Schreibtischtätern" sind es sogar rund 500.000).24 Lediglich etwa 7.500 Täter, also nur etwa 2,5 Prozent, wurden zu meist recht milden Strafen verurteilt!25 Die Anderen verschwanden in der Geschichte und entgingen jeglicher Strafverfolgung.26
1924/25 lebten in dem kleinen Taunus-Dörfchen Eisenbach 1.351 Einwohner, darunter 19 jüdische Personen.27 Der jüdischen Familie Aumann – über deren unglaubliches Schicksal ich nun bereits den dritten Band veröffentliche – "ist in beispielloser Weise nahezu alles Leid angetan worden, was die Nazis gegen die Juden ersonnen hatten. Das macht die Geschichte dieser Eisenbacher Familie in all ihrer Tragik auch zu etwas Besonderem."28 Mit diesen treffenden Worten fasste die freie Journalistin (DJV) Gundula Stegemann aus Limburg an der Lahn die Motivation und Intention für mein umfangreiches, dreibändiges Buchprojekt zusammen.
Als ich mit meinen intensiveren Recherchen begann, teilte mir Professor Dr. phil. Wojciech Płosa – seit 2008 leitender Direktor des Staatsmuseums Auschwitz-Birkenau in Oświęcim – in einer freundschaftlich-kollegialen E-Mail mit, dass er mein Vorhaben als Historiker zwar sehr begrüße, dass aber der größte Teil der Dokumente und Unterlagen von den Nazis kurz vor Kriegsende zerstört worden sei, um die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen.29 Vieles habe zudem der Krieg vernichtet. Diese schwierige Quellenlage spornte mich umso mehr an, beharrlich an meinem Forschungsprojekt festzuhalten. – Weltweit ist es bis zu dieser umfassenden Gesamtdokumentation über die Aumanns noch nie gelungen, das Leben einer jüdischen Familie über so viele Generationen detailliert und mit allen Dokumenten, Fotos, Relikten, Erinnerungen von Zeitzeugen etc. lückenlos auf insgesamt 1.000 großformatigen Buchseiten mit fast einer viertel Million Wörtern niederzuschreiben. Dadurch soll der Familie, die durch die reiche Überlieferung zu einem exemplarischen Kapitel deutscher Zeitgeschichte geworden ist, ein bleibendes Denkmal gegen das Vergessen gesetzt werden.
Seit 38 Jahren erforsche ich die Geschichte der Juden in meinem Heimatort Selters-Eisenbach im Taunus im Kreis Limburg-Weilburg.30 Durch meine Recherchen über den Zeitraum von 1700 bis 2021 konnte ich mehr als 200 Personen aus zahlreichen Familienzweigen mit Hunderten Fotos aus dem Umfeld der jüdischen Familien Aumann und Oestreich zu einem umfassenden und detaillierten Stammbaum zusammentragen. Die Dokumentation habe ich online auf der israelischen Website My Heritage Ltd. – der größten genealogischen Forschungsplattform – auch für andere und künftige Familienforscher in der ganzen Welt zur Verfügung gestellt.31
Begriffe wie "Wiedergutmachung" und "Entschädigung" haben sich zwar im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt,32 sind aber im Zusammenhang mit dem NS-Unrecht sehr umstritten und bedenkenswert.33 Am 18. September 1953 trat das "Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung" – kurz »Bundesentschädigungsgesetz« (BEG) genannt – in Kraft.34 In 113 Paragraphen wurden die zu entschädigenden Personengruppen, die zu berücksichtigenden Schadensbestände, die Befriedigung der Entschädigungsansprüche und die zuständigen Behörden und Verfahrensvorschriften festgelegt.35 Auf dieser Grundlage wurden mehr als 4,5 Millionen Entschädigungsanträge gestellt.36 Dieses Gesetz wurde drei Jahre später durch das Bundesentschädigungsgesetz von 1956 abgelöst. Die Gesamtbilanz der Entschädigungszahlungen beträgt rund 103 Milliarden DM.37
Der Bestand Nr. 518 des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden (HHStAW) umfasste im Juli 2019 etwa 97.850 Entschädigungsakten der drei hessischen Regierungspräsidien Darmstadt, Kassel und Wiesbaden.38 Darunter fand ich auch die Unterlagen zu den Familien Aumann, Oestreich, Adler, Fuld usw. Über die Praxis der Entschädigung mit viel Licht und Schatten im Fall der Familie Aumann habe ich vor allem im zweiten Band meiner Darstellung "Verfolgt – deportiert – überlebt" ausführlich berichtet und zahlreiche Dokumente erstmals vorgelegt.39
Im Sommer 2010 wurde das erste israelische Altenheim für hilfsbedürftige Holocaust-Überlebende ("Home for Holocaust Survivors") in Haifa von der 1980 gegründeten "International Christian Embassy Jerusalem" (ICEJ) eröffnet.40 Im "Haifa-Heim" werden heute rund 70 Bewohner liebevoll versorgt und wenn nötig getröstet.41 Sie gehören zu den noch etwa 160.000 Holocaust-Überlebenden in Israel, von denen ca. 40.000 unterhalb der Armutsgrenze leben.42 Sämtliche Einnahmen aus dem Verkauf meiner dreibändigen Geschichte der Familie Aumann sowie aus allen Vorträgen, Lesungen und Interviews werden in vollem Umfang dieser jüdischen Hilfsorganisation zur Verfügung gestellt.
Wir alle sind das Ergebnis unserer Geschichte, und die Geschichte der Familie Aumann findet man in meinen drei großformatigen Bänden auf nunmehr insgesamt 1.000 Buchseiten.
Selters-Eisenbach (Taunus), im Januar 2021 Dr. phil. Bernd A. Weil M. A.
2 Reil, Juliane: Erinnern und Gedenken im Umgang mit dem Holocaust. Entwurf einer historischen Gedächtnistheorie. (Edition Kulturwissenschaft, Bd. 168). Bielefeld 2018, S. 132
3 Ebd., S. 133
4 Vgl. dazu besonders: Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996
5 Markus, Mario: 222 Juden verändern die Welt, Hildesheim/Zürich/New York 2019, S. 13
6 Unter dem Titel "Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet" wurde eine Vorlesung des herzoglichen Weimarischen Rates Friedrich Schiller (1759-1805) im Jahr 1785 in Leipzig veröffentlicht, die er am 26. Juni 1784 in einer öffentlichen Sitzung der kurpfälzischen deutschen Gesellschaft in Mannheim gehalten hatte. Darin beschäftigte er sich mit der Leitfrage: "Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?"
7 Vgl. Fuchs, Jochen: Auschwitz als eine moralische Anstalt betrachtet oder Was kann eine gute Gedenkstätte eigentlich bewirken? Eine empirische Untersuchung zur Wirkung von Gedenkstättenfahrten zum "Staatlichen Museum Auschwitz". (Magdeburger Reihe, Bd. 30). Halle (Saale) 2019
8 Reil: a. a. O., S. 145
9 Vgl. Wikipedia: Nürnberger Prozesse: https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%BCrnberger_Prozesse (Stand: 30.08.2018)
10 "Der Begriff Holocaust stammt vom griechischen Partizip ὁλόκαυστος (holókaustos, als Neutrum ὁλόκαυστον – holókauston)‚ das »vollständig verbrannt« bedeutet und seit etwa 2500 Jahren bekannt ist. Das zugehörige Substantiv ὁλοκαύτωμα (holocaútoma) bezeichnete im Altertum eine Brandopferung von Tieren. Die Latinisierung holocaustum ging über verschiedene Bibelübersetzungen zuerst in den französischen (l'holocauste) und englischen (the holocaust) Wortschatz, von da aus auch in andere europäische Sprachen ein. Seit dem 12. Jahrhundert bezeichnete holocaustum auch Feuertode vieler Menschen als Brandkatastrophen oder Verbrennungen." (Wikipedia: Holocaust [Begriff]: https://de.wikipedia.org/wiki/Holocaust_[Begriff)] {Stand: 02.07.2011}. – Vgl. dazu: Informationen zur politischen Bildung aktuell [kurz: Info aktuell]: 27. Januar – Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus; hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung [BpB], Bonn 2016, S. 2)
12 Der Stichtag für diese große Volks-, Berufs- und Betriebszählung war der 16. Juni 1925. Vgl. dazu: 70 Jahre Volkszählung im Deutschen Reich. Zum 70. Jahrestag der ersten reichsdeutschen Volkszählung vom 1. Dezember 1871. In: Statistisches Reichsamt (Hrsg.): Wirtschaft und Statistik, 21. Jg., Nr. 22, 2. November-Heft, 1941, S. 410; online unter:
https://www.destatis.de/GPStatistik/servlets/MCRFileNodeServlet/DEAusgabe_derivate_00001155/Wirtschaft_und_Statistik-1941-22.pdf;jsessionid=FF07CAA7C01BD5D3AC852AA17D0CFB21
13 Vgl. bes.: Fahnenbruck, Nele Maya/Meyer-Lenz, Johanna (Hrsg.): Fluchtpunkt Hamburg. Zur Geschichte von Flucht und Migration in Hamburg von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Bielefeld 2018, S. 216
14 Quelle: Datentabelle zur Karte "Einwohnerzahl europäischer Staaten 1925"; online unter: http://www.atlas-europa.de/t04/bevoelkerung/einwohner/pdf/Bev_1925.pdf
15 Vgl. Schultheis, Herbert A./Wahler, Isaac Eddie: Bilder und Akten der Gestapo Würzburg über die Judendeportationen 1941-1943 (Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens, Bd. 5), Bad Neustadt an der Saale 1988, Klappentext
16 Vgl. dazu: Udoff, Michael D.: Foreword (Vorwort); in: Weil, Bernd A.: Unvergessene Nachbarn. Das Schicksal der Eisenbacher jüdischen Familien. Norderstedt 2013, S. 15 u. 17
17 Quellen: Institut für geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V. und: Auswanderung aus den Regionen des heutigen Rheinland-Pfalz: Jüdische Auswanderung; https://www.auswanderung-rlp.de/emigration-in-der-ns-zeit/allgemeines-juedische-auswanderung.html
18 Vgl. Fahnenbruck/Meyer-Lenz (Hrsg.): Fluchtpunkt Hamburg, a. a. O., S. 220
19 Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung: Unter der NS-Herrschaft ermordete Juden nach Land; online als Karte: https://www.bpb.de/fsd/centropa/ermordete_juden_nach_land.phpVgl. dazu auch: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. München 21996 (Erstausgabe: 1991)
21 Quelle: Deutsche Welle (DW): https://www.dw.com/de/synagogen-in-deutschland/g-18204486
22 Vgl. Asmuss, Burkhard (Hrsg.): Holocaust. Der nationalsozialistische Völkermord und die Motive seiner Erinnerung. (Ausstellungskatalog; hrsg. im Auftrag des Deutschen Historischen Museums [DHM]), Berlin 2002
23 Vgl. Benz (Hrsg.): Dimension des Völkermords, a. a. O., 21996
24 Vgl. Kwiet, Konrad: Rassenpolitik und Völkermord; in: Benz, Wolfgang/Graml, Hermann/Weiß, Hermann (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus, Berlin 1998, S. 62 (Digitale Bibliothek, Bd. 25: Berlin 1999) und: Pohl, Dieter: Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933-1945, Darmstadt 2003, S. 29
25 Vgl. Sandkühler, Thomas: Die Täter des Holocaust. Neuere Überlegungen und Kontroversen. In: Pohl, Karl Heinrich (Hrsg.): Wehrmacht und Vernichtungspolitik. Militär im nationalsozialistischen System. Göttingen 1999, S. 39-65; Online-Signatur der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) und der Digitalen Bibliothek des Münchener Digitalisierungszentrums (MDZ): 2000.12120; Digitalversion: https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00063738_00001.html (Stand: 1.6.2019)
26 Vgl. dazu mein Vorwort im zweiten Band der Geschichte der Familie Aumann: Weil, Bernd A.: Verfolgt – deportiert – überlebt. Unvergessene Nachbarn (Band 2). Norderstedt 2015, S. 7f. und: Kwiet: Rassenpolitik und Völkermord, a. a. O., S. 62
27 Datenquelle: Hessisches Statistisches Landesamt (Hrsg.): Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen, H. 1: Die Bevölkerung der Gemeinden 1834 bis 1967, Wiesbaden 1968
28 Stegemann, Gundula: Das kurze Leben der Mathilde Mannheimer; in: Nassauische Neue Presse (NNP), Jg. 73, Nr. 98, 27.04.2018, S. 11
29Anschrift: Professor Dr. phil. Wojciech Płosa, c/o Staatsmuseum Auschwitz-Birkenau, ul. Wieźniów Oświęcimia 20, PL-32-603 Oświęcim, Polen
30 Vgl. Weil, Bernd A.: Jüdische Familien in Eisenbach; in: Heimatbuch: 750 Jahre Eisenbach, Gemeinde Selters (Taunus) [1234-1984], Meinerzhagen 1984, S. 33
31 Anschrift: My Heritage Ltd., PO Box 50, Terminal Park, Or Yehuda 60250, Israel; Website: https://www.myheritage.de
32 Vgl. dazu: Herbst, Ludolf/Goschler, Constantin (Hrsg.): Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), München 1989 (Reprint: 2018)
33 Vgl. Weil: Verfolgt – deportiert – überlebt, a. a. O., S. 12
34 Quelle: Bundesgesetzblatt (BGBl.), Jg. 1953, Teil I, Nr. 62, 21.09.1953, S. 1387-1408. Der vollständige Gesetzestext ist online als PDF zu finden unter: https://www.gesetze-im-internet.de/beg/BEG.pdf
35 Vgl. Wikipedia: Bundesentschädigungsgesetz: https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesentsch%C3%A4digungsgesetz (Stand: 01.04.2019)
36 Vgl. Harthoff, Bernhard: Dreißig Jahre Wiedergutmachung; In: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums. 22. Jg., H. 87, 1983, S. 18
37 Vgl. Hockerts, Hans Günter: Wiedergutmachung in Deutschland. Eine historische Bilanz 1945-2000. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ), 49. Jg., 2. H., April 2001, S. 214; als Faksimile im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ): https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2001_2.pdf
38 Online verzeichnet unter: https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=b2958
39 Vgl. Weil: Verfolgt – deportiert – überlebt, a. a. O.
40 Deutsche Anschrift: Internationale Christliche Botschaft Jerusalem – Deutscher Zweig e. V., Motorstraße 36, 70499 Stuttgart; Postfach 130963, 70067 Stuttgart; Website: www.icej.de
41 Vgl. Muchnik, Kayla: Heim für Holocaustüberlebende. Trauer & Trost im Haifa-Heim. In: Internationale Christliche Botschaft Jerusalem (Hrsg.): Wort aus Jerusalem, 2019, Nr. 3, S. 14
42 Flyer der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem – Deutscher Zweig e. V. (Stand: 2019)
Gustav Aumanns Vorfahren43
Vorfahren von Rosalie Aumann, geborene Marx
Rosalie und Gustav Aumann in Eisenbach, Grabenstraße 24 (etwa 1930)44
43 Quelle: My Heritage Ltd., PO Box 50, Terminal Park, Or Yehuda 60250, Israel; Website: https://www.myheritage.de (Stand: 01.09.2019)
44 Für das Foto danke ich Rosalie und Gustav Aumanns einziger Enkelin Jean ("Jeany") Carol Udoff, geb. Fromm, und ihrem Ehemann Michael David Udoff, die heute in New York City-Manhattan leben.
Siegmund Aumann, der älteste Sohn von Rosalie und Gustav Aumann, wurde am 26. November 1895 um 1:15 Uhr nachts in Eisenbach (heute Selters-Eisenbach) geboren.45 In einigen Quellen wird er "Siegismund", "Sigismund", "Sigmund" oder auch "Siegfried" genannt, obwohl im Geburtsregister des Standesamts Eisenbach sein Vorname mit Siegmund dokumentiert ist.46
Siegmund Aumann leistete seinen Militärdienst während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) in der 1. Kompanie des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 18. Er wurde an der Ostfront eingesetzt und erlitt dort laut Schilderungen seines Bruders Otto Aumann bereits im Spätsommer 1915 einen Kopfschuss.47 In den deutschen Verlustlisten vom 22. November 1915 wird Siegmund ("Siegismund") als "schwer verwundet" geführt:
Preußische Verlustliste, Nr. Pr. 385 (Deutsche Verlustlisten, Nr. 799) vom 22. November 1915, S. 10284 (Ausschnitt)48
Siegmund Aumann kam sehr schwer verwundet in russische Gefangenschaft,49 wo die allgemeine und besonders die medizinische Versorgung außerordentlich schlecht waren.
Am 2. September 1916 wird Siegmund ("Sigismund") Aumann in den Deutschen Verlustlisten als "vermißt" geführt, was zunächst vermuten ließ, dass er gestorben wäre:
Preußische Verlustliste, Nr. Pr. 623 (Deutsche Verlustlisten, Nr. 1135) vom 2. September 1916, S. 14546 (Ausschnitt)50
In der Preußischen Verlustliste Nr. 1069 vom 20. Februar 1918 wurde gemeldet, dass Siegmund Aumann bisher als vermisst galt, sich laut einer privaten Mitteilung aber in russischer Gefangenschaft befindet:
Preußische Verlustliste, Nr. 1069 (Deutsche Verlustlisten, Nr. 1810) vom 20. Februar 1918, S. 22753 (Ausschnitt)51
Am 10. Juli 1918 vermerkte die Preußische Verlustliste Nr. 1185, dass Siegmund Aumann nach mehr als zweieinhalb Jahren aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist:
Preußische Verlustliste, Nr. 1185 (Deutsche Verlustlisten, Nr. 1999) vom 10. Juli 1918, S. 24955 (Ausschnitt)52
Siegmund Aumanns weiteren Lebens- und Leidensweg habe ich bereits in den ersten beiden Bänden meiner Geschichte der jüdischen Familie Aumann ausführlich dargestellt.53 Dennoch haben sich einige sehr interessante neue Recherche-Ergebnisse gefunden, die ich an dieser Stelle ergänzen möchte.
Siegmund Aumanns psychische Gesundheit ließ mit der Zeit immer mehr nach, sodass er schließlich von den Ärzten als geistig behindert eingestuft wurde. Im Jahr 1930 erkrankte er ernstlich an den Folgen seines im Ersten Weltkrieg an der Ostfront erlittenen Kopfschusses.54 Seine Eltern Rosalie (Dorfname "Salchen") und Gustav Aumann sahen sich auf ärztliches Anraten hin gezwungen, ihren Sohn am 14. November 1931 mit fast 36 Jahren dauerhaft in die Obhut der 1906 gegründeten Landesheil- und Pflegeanstalt in Hadamar (Mönchberg 8) zu geben.55 Die damals gestellte fehlerhafte Diagnose für den Patienten "Siegfried" Aumann lautete "Depression".56
In der Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar befanden sich zu dieser Zeit etwa 320 Patienten.57 Insgesamt 229 weitere Kranke waren keine Insassen, sondern extern in Familienpflege untergebracht.58
Bis Ende 1938 hatte sich die finanzielle Situation der jüdischen Familie Aumann derart verschlechtert, dass es ihnen nicht mehr möglich war, für Siegmunds Pflegekosten in der Heil- und Pflegeanstalt Hadamar aufzukommen. "Das Kreisverwaltungsamt übernahm den minimalen Tagessatz von 1,75 Reichsmark, der nun in der Heilanstalt Hadamar berechnet wurde."59
Siegmund Aumann wurde von Hadamar über Gießen in die Tötungsanstalt in Brandenburg an der Havel gebracht, wo ihn der "Euthanasiearzt" Dr. med. Irmfried Eberl (1910-1948) im Rahmen der "Aktion T4" am 1. Oktober 1940 in der Anstaltsscheune mit Kohlenstoffmonoxid (CO) vergaste und anschließend verbrennen ließ. – Offiziell gilt Siegmund Aumann immer noch als "in der Deportation verschollen".60
Nach der Flucht, Deportation oder Ermordung der anderen Familienmitglieder "versuchte das Kreiswohlfahrtsamt, die Pflegekosten, die für Siegmund vor seiner Ermordung aufgewendet worden waren, aus dem Besitz der Familie Aumann erstattet zu bekommen".61 Im Mai 1943 beantragte das im Landratsamt Limburg ansässige Kreiswohlfahrtsamt vom Finanzamt Limburg 477,75 Reichsmark aus dem Besitz der Aumanns für die geleisteten "Fürsorgeaufwendungen" für Siegmund Aumann. Erst am 30. September 1945 wurde dieses zynische Ansinnen vom Vorsteher des Limburger Finanzamts endgültig abgewiesen.62
Zellengebäude mit Anstaltsscheune in Brandenburg an der Havel (um 1925)63
45 Quelle: Geburtsregister des Standesamts der Gemeinde Eisenbach (heute Selters im Taunus), Brunnenstraße 46: Nr. 46, 1. September 1895, S. 46
46 Quelle: ebd.
47 Quelle: HHStAW 518-53738, Bd. 1, Bl. 7: Dr. Ernst Reichmanns Abänderung der Klagebegründung gegen das Land Hessen vom 16. März 1960 (Az.: 1.0. [Entsch.] 214/59), S. 1f. (Zu: I 6 W/ 32313/ 00/A/-/ Au.)
48 Quelle: Preußische Verlustliste, Nr. Pr. 385; in Deutsche Verlustlisten, Nr. 799, 22. November 1915, S. 10284 (Ausschnitt); online als PDF-Datei unter: http://des.genealogy.net/search/show/3368819
49 Quelle: HHStAW 518-53738, Bd. 1, Bl. 7: Dr. Ernst Reichmanns Abänderung der Klagebegründung gegen das Land Hessen vom 16. März 1960 (Az.: 1.0. [Entsch.] 214/59), S. 1f. (Zu: I 6 W/ 32313/ 00/A/-/ Au.)
50 Quelle: Preußische Verlustliste, Nr. Pr. 623; in Deutsche Verlustlisten, Nr. 1135, 2. September 1916, S. 14546 (Ausschnitt); online als PDF-Datei unter: http://des.genealogy.net/search/show/4426873
51 Quelle: Preußische Verlustliste, Nr. 1069; in: Deutsche Verlustlisten, Nr. 1810, 20. Februar 1918, S. 22753 (Ausschnitt); online als PDF-Datei unter: http://des.genealogy.net/search/show/6303937(Für diesen Hinweis danke ich Herrn Christian Heinz aus Selters-Eisenbach im Taunus.)
52 Quelle: Preußische Verlustliste, Nr. 1185; in: Deutsche Verlustlisten, Nr. 1999, 10. Juli 1918, S. 24955 (Ausschnitt); online als PDF-Datei unter: http://des.genealogy.net/search/show/4608922
53 Vgl. Weil: Unvergessene Nachbarn, a. a. O., S. 66-82 und: ders.: Verfolgt – deportiert – überlebt, a. a. O., S. 49-75
54 Quelle: HHStAW 518-53738, Bd. 1, Bl. 7: Dr. Ernst Reichmanns Abänderung der Klagebegründung gegen das Land Hessen vom 16. März 1960 (Az.: 1.0. [Entsch.] 214/59), S. 1f. (Zu: I 6 W/ 32313/ 00/A/-/ Au.)
55 Quelle: Brief Otto Aumanns an den Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen vom 30.11.1961 (Digitales Archiv, ITS Bad Arolsen)
56 Quelle: Hauptkrankenverzeichnisse der Landesheil- und Pflegeanstalt Hadamar vom 1. April 1937 bis zum 31. März 1941, ID 81, lfd. Nr. 83 (Archiv der Gedenkstätte Hadamar)
57 Vgl. "Verlegt nach Hadamar". Die Geschichte der NS-"Euthanasie"-Anstalt. Begleitband zur Ausstellung des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (Hrsg.). [Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen. Kataloge. Bd. 2], o. O. (Kassel), o. J. (1994), S. 31
58 Vgl. ebd., S. 31
59 Leder, Bettina/Schneider, Christoph/Stengel, Katharina: Ausgeplündert und verwaltet. Geschichten vom legalisierten Raub an Juden in Hessen. (Schriften des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 36). Berlin 2018, S. 401
60 Quelle: HHStAW 518-19052: Einzelfallakte Aumann, Siegmund: "In der Deportation verschollen"
61 Leder/Schneider/Stengel: Ausgeplündert und verwaltet, a. a. O., S. 401
62 Quellen: HHStAW: Verwertungsakte Otto Aumann, Abt. 519/2, Nr. 1065: Schreiben des Kreiswohlfahrtsamts vom 23.08.1945, Az.: K. W. 2410 und: Antwortschreiben des Finanzamts Limburg vom 30.09.1945
63 Foto (um 1925): Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (SBG); Website: www.stiftung-bg.de In einem erhaltenen Originalgebäude des ehemaligen Zuchthauskomplexes wurde im Jahr 2012 für die mehr als 9.000 ermordeten Menschen aus dem nord- und mitteldeutschen Raum eine Gedenkstätte mit einer Dauerausstellung, einem Archiv und einem Lernzentrum eröffnet. Anschrift: Nicolaiplatz 28, 14770 Brandenburg an der Havel
Mathilde Aumann (1901-1942)64
Das Foto wurde Mitte der 1930er Jahre auf einem Balkon des Hotels "Kronprinz" in Wiesbaden (Taunusstr. 46-48) aufgenommen, wo "Fräulein Mathilde" als Zimmermädchen angestellt war.65
Mathilde Aumanns Vorfahren
Alfred und Mathilde Mannheimer, geb. Aumann, wurden am 10. Juni 1942 mit Lastwagen aus ihrer Wohnung in Wiesbaden (Luisenstraße 47) geholt und unter Bewachung durch die Staatspolizei zum Sammelplatz im Städtischen Schlachthaus (Schlachthof) in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs gebracht.66 Die exakte Vorgehensweise "mit der notwendigen Härte, Korrektheit und Sorgfalt" war in einem nicht datierten "Merkblatt für die bei der Evakuierung am 11. Juni 1942 eingesetzten Beamten" detailliert geregelt.
Merkblatt für die bei der Evakuierung am 11. Juni 1942 eingesetzten Beamten
"1. Sie begeben sich zu der festgelegten Zeit in die Ihnen zugewiesenen Judenwohnungen. Falls die Juden Ihnen den Eintritt verweigern und nicht öffnen, bleibt einer von Ihnen an der Wohnung, während der andere sofort das nächste Polizeirevier benachrichtigt. In der Judenwohnung rufen Sie sämtliche Familienangehörige zusammen und verlesen Ihnen die »staatspolizeiliche Verfügung«, die Ihnen ebenfalls mit dem Merkblatt ausgehändigt worden ist. Die Juden haben nunmehr in einem Raum zu bleiben, den Sie ihnen anweisen. Ein zweiter Beamter bleibt während der ganzen Zeit mit den Familienangehörigen der Juden zusammen. Sie selbst wenden sich an den Haushaltungsvorstand der Judenfamilie.
2. Mit dem Haushaltungsvorstand gehen Sie durch die Wohnung. Soweit geheizte Öfen vorhanden sind, ist nicht mehr nachzulegen. Handelt es sich um Dauerbrandöfen (Kachelöfen oder ähnliches), so ist die Ofentür aufzuschrauben, damit das Feuer noch in der Zeit, die Sie in der Judenwohnung sind, ausgeht. Wenn Sie die Wohnung verlassen, muß das Feuer gelöscht sein.
3. Alsdann machen Sie sich mit dem Haushaltungsvorstand daran, den Koffer oder den Rucksack zu packen. Sie müssen dabei beachten, daß nur das in der »Staatspolizeilichen Verfügung« Vorgesehene mitgenommen wird. Sie sind dafür verantwortlich, daß Wertgegenstände usw., die nach der Verfügung nicht mitgenommen werden dürfen, auch nicht in den Koffer gepackt werden. Der Koffer ist alsdann von Ihnen mit einem Siegelstreifen zu sichern. Soweit Rückfragen bei anderen Familienmitgliedern erforderlich sind, gehen Sie mit dem Haushaltungsvorstand wieder in den Raum, in dem sich alle Juden aufhalten, zurück und lassen sich sagen, was sonst gepackt werden soll. Notfalls lassen Sie den Haushaltungsvorstand da und gehen mit der Jüdin oder einem anderen Familienmitglied packen. Es muß jedoch auf jeden Fall dafür gesorgt sein, daß die übrigen Familienmitglieder auch unter Aufsicht stehen und nicht einen Augenblick allein sind.
4. Die Wolldecken, die mitgenommen werden dürfen, müssen eingerollt oder doch so gelegt sein, daß sie ohne Schwierigkeiten transportiert werden können.
5. Gehen Sie mit dem Haushaltungsvorstand durch die Wohnung (auch Keller- und Bodenräume) und stellen fest, was an Lebensmitteln (leicht verderblich) und lebendem Inventar in der Wohnung ist. Diese Sachen tragen Sie, wenn sich das möglich machen läßt, mit dem Haushaltungsvorstand auf den Flur zusammen. Sie benachrichtigen die NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt; d. Verf.] und lassen die Sachen abtransportieren.
6. Wertgegenstände, Sparbücher, Wertpapiere, Schmuckgegenstände und Bargeldbeträge, die über die Freigrenze hinausgehen, hat der Jude zusammenzutragen. Diese Gegenstände oder Werte sind von den Beamten entgegenzunehmen, in ein Verzeichnis einzutragen und in einem Säckchen oder Umschlag zu verpacken. Dieses Behältnis ist zu verschließen und auf der Vorderseite mit Vor- und Zunamen, Wohnort und der Wohnung des Eigentümers zu versehen. Das Verzeichnis ist von dem Beamten und Juden auf seine Vollständigkeit zu prüfen und unterschriftlich anzuerkennen. Das, was mitgenommen wird, ist in dem Verhandlungsformular ebenfalls ersichtlich zu machen.
Für jeden Haushaltungsvorstand oder selbständigen Juden ist die beigefügte Verhandlung auszufüllen und von dem Juden und Beamten mit seiner Unterschrift zu versehen."67
Nachdem alle Wertgegenstände konfisziert waren, durften Mathilde und Alfred Mannheimer offiziell je "ein Gepäckstück mit Kleidung und persönlichen hygienischen Utensilien, 50-80 Reichsmark, gute Schuhe und auch Lebensmittel für 14 Tage mitnehmen".68
Über die Wiesbadener Viehverladerampe des 1884 in Betrieb genommenen Schlachthofs bestiegen die Wiesbadener Juden die Deportationszüge. Mathilde und Alfred Mannheimer wurden am 10. Juni 1942 mit dem Zug vom Wiesbadener Hauptbahnhof nach Frankfurt am Main gebracht. Vom Hauptbahnhof in Frankfurt mussten sie unter dem höhnischen Gegröle der Nazi-Anhänger zu Fuß durch die Stadt zur Großmarkthalle,69 der zentralen Sammelstelle, laufen. Seit Oktober 1941 organisierte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) Frankfurt am Main (Lindenstraße) in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen und kommunalen Stellen Deportationen in Konzentrations- und Vernichtungslager, wofür der östliche Kellerbereich der Großmarkthalle als Sammelplatz angemietet wurde, während direkt nebenan der normale tägliche Marktbetrieb weiterlief. Die grausamen Vorgänge und Misshandlungen blieben den dort Beschäftigten keineswegs verborgen.
Keller der Großmarkthalle in Frankfurt am Main heute70
Zwischen dem 19. Oktober 1941 und dem 15. März 1945 wurden etwa 10.700 Menschen vom Bahnhof Großmarkthalle71 mit Zügen der Deutschen Reichsbahn in geschlossenen Waggons gewaltsam in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt und ermordet. Davon überlebten gemäß neueren Forschungen insgesamt nur ca. 577 Personen.72
Im Jahr 2002 verkaufte die Stadt Frankfurt am Main das Gelände an die Europäische Zentralbank (EZB). Ab 2009 plante die Stadt in Abstimmung mit der EZB und der Jüdischen Gemeinde Frankfurt die Errichtung einer Erinnerungsstätte an der Großmarkthalle.73 Den offenen internationalen Wettbewerb unter 139 Architekten und Stadtplanern zur Realisierung des Projektes gewann 2011 das in Köln und Darmstadt ansässige renommierte Architekturbüro "Katz-Kaiser GbR" (Tobias Katz und Marcus Kaiser).74 Auf dem heutigen Areal der Europäischen Zentralbank (Sonnemannstr. 20) befindet sich seit dem 22. November 2015 eine Erinnerungsstätte.75
Denkmal an der Frankfurter Großmarkthalle mit dem früheren Gleisfeld76
Am frühen Morgen des 11. Juni 194277 wurden Alfred und Mathilde Mannheimer mit 1.251 weiteren Juden78 vom Bahnhof an der Großmarkthalle laut offizieller Fahrplan-Anordnung Nr. 972 vom 2. Juni 194279 "nach dem Osten evakuiert", um dort angeblich zu "arbeiten", wie offiziell behauptet wurde. Der sechste Frankfurter Transport umfasste Juden aus folgenden Städten und Kreisgebieten:80
Frankfurt am Main
618 Juden
Wiesbaden
371 Juden
Kreis Biedenkopf
12 Juden
Dillkreis
9 Juden
Kreis Limburg
27 Juden
Main-Taunus-Kreis
32 Juden
Obertaunuskreis
27 Juden
Untertaunuskreis
4 Juden
Oberwesterwaldkreis
28 Juden
Unterwesterwaldkreis
1 Jude
St. Goarshausen
25 Juden
Oberlahnkreis
1 Jude
Wetzlar
75 Juden
Aus sonstigen Orten
23 Juden
1.253 Juden
Der Holocaust im besetzten Polen81
Der Deportationszug nach Sobibór über Lublin (Majdanek) und Izbica mit dem Kürzel "Da 18"82 für "Davidszug" kam nach zwei Tagen Fahrt am 13. Juni 1942 im Konzentrationslager (KL) Majdanek an,83 das bis zum Frühjahr 1943 offiziell noch "Kriegsgefangenenlager Lublin" hieß.84 Die Häftlinge wurden zunächst jedoch an einer Eisenbahnrampe im Lager "Flugplatz" ("Alter Flughafen") aufgehalten. Das Zwangsarbeitslager für männliche Juden "Alter Flughafen" (polnisch: Stare Lotnisko)85 bei Lublin in der Region Województwo Lubelskie war ein Umschlagplatz für Hunderttausende und bestand vom 7. Februar 1942 bis zum 22. Oktober 1943.86 Dieses Arbeitslager befand sich in den Gebäuden der ehemaligen, von 1920 bis 1939 bestandenen Lubliner Flugzeugfabrik "Lubelska Wytwórnia Samolotów" (LWS) in der Ulica Fabryczna (Fabrik-Straße). Vorher war hier seit 1864 die Maschinenfabrik "Zaklady Mechaniczne E. Plage i T. Laśkiewicz" untergebracht.87
An der Eisenbahnrampe wurden die Juden selektiert, ob sie gleich in das Vernichtungslager Sobibór kamen oder zunächst nach Majdanek, Izbica oder in ein anderes Lager verschleppt wurden.88 Der polnische Historiker, Leiter der Gedenkstätte Bełżec und Mitarbeiter des Staatlichen Museums Majdanek Dr. phil. Robert Kuwałek M. A. (1966-2014) schrieb dazu: "Seit Mitte April 1942 gingen die Deutschen dazu über, die Transporte in Lublin auf der Eisenbahnrampe beim »Flugplatz« oder auch »Alter Flughafen« genannten Arbeitslager aufzuhalten. Hier beschlagnahmten sie das Gepäck der ankommenden Juden und beließen sie praktisch ohne jegliche Gegenstände."89