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Wüstungen sind vergangen, aber nicht vergessen. Das gilt auch für die längst untergegangene Siedlung Frondorf in der Gemarkung Eisenbach im Taunus (heute Selters-Eisenbach), über die hier erstmals in einer wissenschaftlichen Monografie berichtet wird. Seit der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1089 existierte Frondorf mindestens bis 1529. Noch immer erinnern zahlreiche Urkunden und historische Karten an die Wüstung und den weiterhin sprudelnden Frondorfer Brunnen. Für diese erste historische Abhandlung über die Wüstung Frondorf wurden alle erhaltenen historischen Dokumente, geografischen Karten, archäologischen Funde, schriftlichen Aufzeichnungen, Fotos und mündlichen Überlieferungen vor dem Hintergrund der überregionalen deutschen Geschichte ausgewertet. Ein umfassendes Literaturverzeichnis rundet die wissenschaftliche Darstellung ab.
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Seitenzahl: 72
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"Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?"
Thomas Mann: Joseph und seine Brüder1
1 Mann, Thomas: Joseph und seine Brüder I: Die Geschichten Jaakobs. Roman. (Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, Bd. 7.1). Frankfurt am Main 2018, Vorspiel: Höllenfahrt, S. IX (Entstehungszeit: zwischen Dezember 1926 und Oktober 1930)
Vorwort
Der Begriff "Wüstung"
Die geologischen Verhältnisse im Gebiet von Frondorf
Die Lage von Frondorf
Erste urkundliche Erwähnung Frondorfs
Weitere urkundliche Erwähnungen Frondorfs
Mit Frondorf verbundene Siedlungs- und Flurnamen
Der Untergang Frondorfs
Hofgut Wiesengrund (Frondorfer Hof)
Schlussbemerkungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Buchveröffentlichungen von Dr. Bernd A. Weil
Über dieses Buch
Über den Autor
Wüstungen sind vergangen, aber nicht vergessen. Das gilt auch für die längst untergegangene Siedlung Frondorf in der Gemarkung Eisenbach im Taunus (heute Selters-Eisenbach), über die hier erstmals in einer wissenschaftlichen Monografie berichtet wird. Seit der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1089 existierte Frondorf mindestens bis 1529. Noch immer erinnern zahlreiche Urkunden und historische Karten an die Wüstung und den weiterhin sprudelnden Frondorfer Brunnen.
Für diese erste historische Abhandlung über die Wüstung Frondorf wurden alle erhaltenen historischen Dokumente, geografischen Karten, archäologischen Funde, schriftlichen Aufzeichnungen, Fotos und mündlichen Überlieferungen vor dem Hintergrund der überregionalen deutschen Geschichte ausgewertet. Ein umfassendes Literaturverzeichnis rundet die wissenschaftliche Darstellung ab.
Die Bezeichnung "Wüstung" steht "für eine Siedlung oder Wirtschaftsfläche (Flurwüstung), die in der Vergangenheit aufgegeben wurde, an die aber noch Urkunden, Flurnamen, Reste im Boden, Ruinen oder örtliche mündliche Überlieferungen erinnern".2 Wüstungen sind ehemalige Dörfer des Mittelalters, die im Allgemeinen aus einer kleineren Ansiedlung in der Größe von sechs bis zehn Bauernhöfen bestanden, die von den Bewohnern aus verschiedenen Gründen verlassen wurden und heute verfallen oder verschwunden sind.3 Im Englischen heißen sie "abandoned villages"4 und in Spanien werden verlassene Dörfer "despoblados"5 genannt.
Im Jahr 1350 gab es in Deutschland rund 170.000 Siedlungen. Bis zum Jahr 1450, also innerhalb von nur ein hundert Jahren, verschwanden davon etwa 40.000 Siedlungen.6 Heute sind im Landesgeschichtlichen Informationssystem (LAGIS) allein für Hessen 3.508 Wüstungen erfasst.7 Insgesamt geht die Forschung von weit über 40.000 Wüstungen in Deutschland aus.8
Als die wichtigste Ursache für den spätmittelalterlichen Wüstungsprozess gilt der Rückgang der Bevölkerung.9 Zu den Hauptgründen der Entsiedlungsvorgänge, die im Einzelfall sehr vielschichtig sein konnten, zählen:10
Abwanderung der Bevölkerung als Folge von Kriegen oder Landfehden
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Grangiënbildung,
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das heißt die zunehmende Zahl von Gutshöfen zur Eigenversorgung im Umfeld von Zisterzienserklöstern
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und das damit oft verbundene "Bauernlegen"
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Bevölkerungsrückgang infolge von Hungersnöten (besonders zwischen 1309 und 1317)
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und Pestzügen als Folge der Beulenpest
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zwischen 1347 und 1353.
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Die Beulenpest wurde nach dem lateinischen Wort "bubo" für Beule synonym auch Bubonenpest oder "Schwarzer Tod"
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genannt. In Limburg gab es laut der "Lympurger Chronica" des Johannes Mechtel (1562-1653) mehrere Pestzüge ab 1348/49.
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Von den 4.500 bis 5.500 Einwohnern Limburgs
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starben 1349 mindestens 2.500 Menschen.
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Andere Quellen sprechen von "mindestens einem Drittel Pesttoten unter der Stadtbevölkerung".
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1350 brach die Pest auch in den Nachbargebieten um Limburg aus.23
Weitere Pestfälle in Limburg sind in den Urkunden für die Jahre 1356, 1365, 1383 und 1395 verzeichnet.24 Auch Frankfurt am Main und ganz Hessen wurden im Jahr 1356 von einer Pestepidemie heimgesucht.25
Agrarkrisen, klimatische Veränderungen
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und Abwanderung der Bauern in die ökonomisch und sozial attraktivere Städte (Landflucht)
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Zum letzten Punkt ist anzumerken, dass in fruchtbaren Landschaften wie dem Goldenen Grund28 im ausgehenden Mittelalter die Siedlungskontinuität bedeutend stärker ausgeprägt war als in den klimatisch ungünstiger gelegenen Mittelgebirgszonen Deutschlands, weswegen Frondorf relativ lange Zeit bestand.29
Obwohl Wüstungen kaum noch oder nicht mehr existieren, so stellen sie heute keineswegs nur "topografische Leerstellen"30 dar. Bei der Klassifizierung unterscheidet man verschiedene Arten von Wüstungen wie zum Beispiel die Dorfwüstung, die sich auf Wohn- und Wirtschaftsgebäude bezieht, und die Flurwüstung, mit denen die aufgegebenen Äcker, Wiesen und Weiden gemeint sind.31 Daneben differenziert man zwischen einer dauerhaften Wüstung, wenn der Ort nie wieder besiedelt wurde, einer temporären Wüstung, wenn der Ort nur zeitweise nicht besiedelt war,32 einer partiellen Wüstung mit einer teilweisen Aufgabe und der totalen Wüstung, bei der Orts- und Flurwüstung zusammenfallen.33
Die verschiedenen Formen und Phasen einer Wüstung werden im Falle von Frondorf in dieser Darstellung dokumentiert, denn das untergegangene Dorf durchlief mehrere Wüstungsprozesse, bevor es endgültig verschwunden war.
2 Wikipedia: Wüstung: https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%BCstung (Stand: 04.06.2018)
3 Zum Terminus "Wüstung" vergleiche vor allem die folgenden Buchtitel:
Abel, Wilhelm: Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters. Ein Beitrag zur Siedlungs- und Agrargeschichte Deutschlands. (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, Bd. 1). Stuttgart 31976 (Erstauflage: Jena 1943)
Abel, Wilhelm (Hrsg.): Wüstungen in Deutschland. Ein Sammelbericht. (Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie [ZAA], Sonderheft, Nr. 2) Frankfurt am Main 1967
Becker, Hans: Die Wüstungen im Kreise Limburg, Ahlbach 1964 (Typoskript)
Beschorner, Hans: Übersicht über das Wüstungs-Schrifttum. Ein Aufruf zur Mitarbeit. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, Bd. 4, Leipzig 1944
Beschorner, Hans: Wüstungsverzeichnisse; in: Deutsche Geschichtsblätter, Bd. VI, 1, Gotha 1905, S. 1-15
Scharlau, Kurt: Beiträge zur geographischen Betrachtung der Wüstungen, Freiburg i. Br. 1933
Scharlau, Kurt: Zur Frage des Begriffes "Wüstung"; in: Geographischer Anzeiger 39, 1938, S. 247-252
Wagner, Georg Wilhelm Justin: Die Wüstungen im Großherzogthum Hessen, 3 Bde., Darmstadt 1854-1862 (Reprint: London 2018)
4 Vgl. Wikipedia (englisch): Abandoned village: https://en.wikipedia.org/wiki/Abandoned_village#Germany (Stand: 15.04.2018)
5 Vgl. Wikipedia (spanisch): Despoplado: https://es.wikipedia.org/wiki/Despoblado (Stand: 26.07.2018)
6 Vgl. Wunderli, Richard: Peasant Fires. The Drummer of Niklashausen. Ed. by Indiana University Press, 1992, p. 52
7 Quelle: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS): https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/rsrec/sn/ol/register/ortstyp/entry/wuestung (Stand: Januar 2018)
8 Vgl. Wikipedia: Wüstung: https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%BCstung (Stand: 04.06.2018)
9 Vgl. Rösener, Werner: Die Wüstungen des Spätmittelalters und der Einfluss der Klimafaktoren; in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte (ZHG), Bd. 115, 2010, S. 64; online als PDF-Datei unter: http://www.vhghessen.de/inhalt/zhg/ZHG_115/Roesener_Wuestungen.pdf
10 Vgl. Spektrum.de: Lexikon der Geographie; online unter: https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/wuestung/9167 (Stand: 01.08.2018)
Vgl. Lexikon des Mittelalters, Bd. IV, München 2003, Sp. 1653f. und: Schöneweis, Tobias: Grangien; in: Cistercienser-Chronik, 2012; online unter: http://www.cistercienserchronik.at/index.php/ordensgeschichte/77-mitarbeiter/101-grangien sowie: Wikipedia: Grangie: https://de.wikipedia.org/wiki/Grangie (Stand: 28.03.2018)
13 Im Fall von Frondorf war dies das Zisterzienserinnen-Kloster Gnadenthal (lat.: valle gracie) bei Dauborn (heute Hünfelden-Dauborn).
14 Als "Bauernlegen" bezeichnet man die Enteignung und das Einziehen von Bauernhöfen durch Grundherren, um sie als Gutsland selbst zu bewirtschaften. Dies konnte – wie im Fall von Frondorf – auch durch Erbschaften zugunsten des Zisterzienserinnen-Klosters Gnadenthal geschehen. (Vgl. u. a. Wikipedia: Bauernlegen (Geschichte): https://de.wikipedia.org/wiki/Bauernlegen_(Geschichte) [Stand: 18.07.2018])
15 In den Jahren von 1309 bis 1317 gab es in Hessen und Thüringen mehrere teils lang anhaltende Hungersnöte und einen grassierenden "Hungertyphus" (Fleckfieber; auch "Kriegspest" genannt [nicht mit Typhus zu verwechseln]). {Vgl. Rösener: a. a. O., S. 64}
16 Bei der Pest handelt es sich um eine bakterielle Infektionskrankheit, die im Mittelalter vor allem durch Ratten und andere wildlebende Nagetiere (Murmeltiere, Eichhörnchen) auf Flöhe und Menschen übertragen wurde (Zoonose). Die Ratten trugen als Zwischenwirte das erst am 20. Juni 1894 von dem Schweizer Arzt und Bakteriologen Dr. med. Alexandre Émile Jean Yersin (1863-1943) in Hongkong entdeckte und nach ihm benannte Pestbakterium Yersinia pestis in sich und wurden von den Flöhen bei deren Blutmalzeit gebissen. Starben die Ratten, befielen die 1,5 bis 3 mm großen Ratten- oder Pestflöhe (Xenopsylla Cheopis [Rothschild]) auch den Menschen (der eigentlich ein Fehlwirt der Parasiten ist) und infizierten ihn (Wirtswechsel). [Vgl. Bergdolt, Klaus: Der Schwarze Todin Europa. Die Große Pest und das Ende des Mittelalters. München 42017, S. 17]
17 Viele Menschen flüchteten in Panik aus den betroffenen Städten, wodurch sich die Seuche umso schneller verbreitete. Schätzungsweise 25 Millionen Menschen – etwa ein Drittel der europäischen Bevölkerung – starben zwischen 1347 und 1353 an dieser großen Pest-Pandemie.
18 Bei der Beulenpest entstehen nach einer Inkubationszeit von zwei bis sechs Tagen an den Stellen der Flohbisse (keine "Stiche") Bläschen und Nekrosen, die sich blau-schwarz verfärben ("Schwarze Blattern"), weswegen die Krankheit später der "Schwarze Tod" genannt wurde. Die Patienten bekommen am ganzen Körper eitrige Beulen (daher der Name), haben meistens hohes Fieber und starke Schmerzen. (Vgl. bes. Bergdolt: a. a. O., S. 18 sowie: Wikipedia: Schwarzer Tod: https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzer_Tod#Begriff_%E2%80%9ESchwarzer_Tod%E2%80%9C [Stand: 26.07.2018])
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