Der Nachahmungstäter - Jeffery Deaver - E-Book

Der Nachahmungstäter E-Book

Jeffery Deaver

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Beschreibung

Abgründige Spannung aus der Feder des Meisters!

Vor acht Monaten versetzte eine brutale Mordserie die Bevölkerung einer amerikanischen Kleinstadt in Angst und Schrecken. Der »Greenville-Würger« wurde nie gefasst, doch nun liefert ein Reporter der Polizei einen entscheidenden Hinweis …

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Jeffery Deaver

Der Nachahmungstäter

Story

Deutsch von Fred Kinzel

Buch

Vor acht Monaten versetzte eine brutale Mordserie die Bevölkerung einer amerikanischen Kleinstadt in Angst und Schrecken. Der »Greenville-Würger« wurde nie gefasst, doch nun liefert ein Reporter der Polizei einen entscheidenden Hinweis … Abgründige Spannung aus der Feder des Meisters!

 

Autor

Jeffery Deaver gilt als einer der weltweit besten Autoren intelligenter psychologischer Thriller. Seit seinem ersten großen Erfolg als Schriftsteller hat der von seinen Fans und den Kritikern gleichermaßen geliebte Jeffrey Deaver sich aus seinem Beruf als Rechtsanwalt zurückgezogen und lebt nun abwechselnd in Virginia und Kalifornien. Seine Bücher, die in 25 Sprachen übersetzt werden und in 150 Ländern erscheinen, haben ihm zahlreiche renommierte Auszeichnungen eingebracht.

 

 

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Die Geschichte ist der Storysammlung »Gezinkt« entnommen. Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel »More Twisted« bei Simon & Schuster, Inc., New York.

 

E-Book-Ausgabe 2016 Copyright der Originalausgabe © 2006 by Jeffery Deaver Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Copyright dieser Ausgabe © 2016 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de Umschlagmotiv: © Arcangel Images/Roy Bishop

ISBN 978-3-641-21176-9V003

Der Nachahmungstäter

Detective Quentin Altman schaukelte nach hinten, und sein Stuhl quietschte, das verräterische Ächzen in die Jahre gekommener Behördenmöbel. Er beäugte den schmalen, nervösen Mann, der ihm gegenübersaß. »Fahren Sie fort«, sagte der Polizist.

»Ich sehe mir also dieses Buch aus der Bücherei an, nur so, zum Spaß. Das tue ich sonst nie, ein Buch nur so zum Spaß lesen. Ich habe nicht viel Freizeit, wissen Sie?«

Altman hatte es nicht gewusst, aber er hätte es sich ohne Weiteres denken können. Wallace Gordon war der einzige Polizeireporter von Greenvilles Tribune, und der Anzahl der Artikel nach zu urteilen, die täglich unter seinem Namen erschienen, musste er sechzig, siebzig Stunden die Woche Texte herunterschreiben.

»Ich lese so dahin und …«

»Was lesen Sie?«

»Einen Roman – einen Krimi. Dazu komme ich noch … Ich lese also so dahin, und ich bin irritiert«, fuhr der Reporter fort, »denn irgendwer hatte ganze Passagen angestrichen. In einem Buch aus der Bücherei.«

Altman brummte zerstreut. Er war der Leiter des Morddezernats in einem Bezirk, der den Namen einer Kleinstadt trug, aber die Verbrechensstatistik einer Großstadt aufwies. Der etwas über fünfzig Jahre alte Detective war sehr beschäftigt und hatte wenig Zeit für Reporter mit aberwitzigen Theorien. Auf seinem Schreibtisch lagen zweiundzwanzig Mappen mit aktuellen Fällen, und dieser Wallace tischte ihm hier irgendeine unausgegorene Geschichte über verunstaltete Bücher auf.

»Erst achte ich nicht sehr darauf, aber dann blättere ich zurück und lese einen der angestrichenen Absätze noch einmal. Es erinnert mich an etwas. Jedenfalls schaue ich bei den Leichen nach …«

»Bei den Leichen?« Altman runzelte die Stirn und rieb sich das drahtige, rote Haar, das nicht eine graue Strähne aufwies.

»Unsere Leichen, nicht Ihre. Das Archiv. Die ganzen alten Artikel.«

»Verstehe. Wie wär’s, wenn Sie endlich zur Sache kämen?«

»Ich lande bei den Artikeln über den Mord an Kimberly Banning.«

Quentin Altmans Aufmerksamkeit wuchs. Die achtundzwanzigjährige Kimberly war vor acht Monaten erdrosselt worden. Der Mord war zwei Wochen nach einem ähnlichen Tötungsdelikt – an einer jungen Studentin – geschehen. Die beiden Morde schienen das Werk derselben Person zu sein, aber es gab nur wenige Spuren und kein feststellbares Motiv. Der Fall führte zur Bildung einer Sonderkommission, aber irgendwann schieden alle Verdächtigen als Täter aus, und der Fall wurde kalt.

Der große und hagere Reporter Wallace, aus dessen blasser Haut Sehnen und Adern hervortraten, versuchte – zumeist erfolglos – sein furchteinflößendes Aussehen mit braunen Tweedsakkos, Cordhosen und pastellfarbenen Hemden abzumildern. Er fragte den Detective nun: »Erinnern Sie sich, wie die ganze Stadt nach dem Mord an dem ersten Mädchen durchdrehte? Wie alle ihre Türen doppelt abschlossen und keine Fremden ins Haus ließen?«

Altman nickte.

»Nun, sehen Sie sich das an.« Der Reporter zog Latexhandschuhe aus der Tasche und streifte sie über.

»Wozu die Handschuhe, Wallace?«

Der Mann ignorierte die Frage und holte ein Buch aus seiner abgenutzten Aktentasche. Altman erhaschte einen Blick auf den Titel. Zwei Tode in einer Kleinstadt. Er hatte noch nie davon gehört.

»Dieses Buch wurde sechs Monate vor dem ersten Mord veröffentlicht.« Er öffnete es an einer eingemerkten Stelle und schob es über den Tisch. »Lesen Sie diese Absätze.« Der Detective setzte seine Discounterbrille auf und beugte sich vor.

Der Jäger wusste, dass die Stadt nun, da er einmal getötet hatte, wachsamer denn je sein würde. Ihre Seele würde nervöser sein, die kollektiven Nerven angespannt wie die Stahlfedern einer Tierfalle. Frauen würden nicht allein durch die Straßen gehen, und die, die es taten, würden sich pausenlos nach einer möglichen Gefahr umsehen. Nur Narren würden noch einen Fremden in ihr Haus lassen, und der Jäger hatte keine Freude daran, Narren zu töten.

Also wartete er am Dienstagabend, bis es Zeit zum Schlafengehen war – gegen dreiundzwanzig Uhr –, und schlich dann in die Maple Street. Dort tränkte er das Dach eines abgestellten Cabrios mit Benzin und entzündete die beißend riechende, bernsteinfarbene Flüssigkeit. Ein mächtiges Zischen … Er versteckte sich in einem Gebüsch, beobachtete gebannt den Wirbel aus Flammen und schwarzem Rauch, der über dem sterbenden Wagen in den Himmel stieg, und wartete. Nach zehn Minuten donnerten Ungetüme von Feuerwehrautos die Straße entlang, und ihr Sirenengeheul lockte die Menschen aus den Häusern, weil sie sehen wollten, was es Aufregendes gab.

Unter den Neugierigen auf dem Gehsteig befand sich auch eine junge, sittsame Blondine mit herzförmigem Gesicht namens Clara Steading. Sie war die Frau, die der Jäger besitzen musste – vollständig besitzen. Sie war die Inkarnation der Liebe, Amore persönlich, sie war Schönheit, sie war Leidenschaft … Und sie war außerdem völlig ahnungslos, was ihre Rolle als das Objekt seiner krankhaften Begierde anging. Clara fröstelte in ihrem Bademantel, während sie inmitten einer Traube aufgeregt schnatternder Nachbarn stand, die alle beobachteten, wie die Feuerwehrleute den Brand löschten und dem bestürzten Besitzer des Wagens, der einige Türen weiter wohnte, Trost zusprachen.

Schließlich begannen sich die Schaulustigen zu langweilen oder wurden von dem bitteren Geruch verbrannten Gummis und Kunststoffs abgeschreckt, und sie kehrten in ihre Betten, zu einem kleinen Mitternachtsimbiss oder ihrem geisttötenden Fernseher zurück. Ihre Wachsamkeit jedoch ließ nicht nach; sobald sie im Haus waren, verriegelten sie alle sorgfältig ihre Fenster und Türen, damit der Würger nicht etwa in ihrem Zuhause ein weiteres Mal zuschlug.

In Clara Steadings Fall hatte die Sorgfalt, mit der sie Riegel und Kette vorlegte, jedoch eine etwas andere Wirkung: Sie schloss den Jäger mit sich ein.

»Großer Gott«, murmelte Altman. »Genau so hat es sich im Fall Kimberly Banning abgespielt, genau so ist der Täter ins Haus gekommen. Er hat ein Auto angezündet.«

»Ein Cabrio«, ergänzte Wallace. »Und dann blätterte ich zurück und fand einige angestrichene Passagen. Eine handelte davon, wie sich der Mörder an sein erstes Opfer herangepirscht hatte, indem er so tat, als würde er für die Stadt arbeiten und die Pflanzen in einem Park gegenüber der jungen Frau schneiden.«

Genauso hatte sich der Würger von Greenville an sein erstes Opfer, die hübsche Studentin, herangepirscht.

Wallace wies auf mehrere andere Passagen, die mit Sternchen gekennzeichnet waren. Es gab auch Randnotizen. In einer hieß es: »Überprüfen. Wichtig.« Eine andere Notiz lautete: »Benutzte Ablenkung.« Und »Entsorgung der Leiche. Merken.«

»Der Mörder ist also ein Nachahmungstäter«, murmelte Altman. »Er hat den Roman zur Recherche benutzt.«

Was bedeutete, dass das Buchexemplar möglicherweise Hinweise enthielt, die zum Täter führten: Fingerabdrücke, Tinte, Handschrift. Deshalb die CSI-Handschuhe des Reporters.

Altman betrachtete die melodramatische Umschlagillustration des Romans – die gezeichnete Silhouette eines Mannes, der in das Fenster eines Hauses späht. Der Detective zog selbst Latexhandschuhe an und ließ das Buch in einen Beweismittelumschlag gleiten. Er nickte dem Reporter zu und sagte ein von Herzen kommendes: »Danke. Wir hatten seit mehr als acht Monaten keine Spur mehr in der Sache.«

Dann ging er in das Büro nebenan – das seines Assistenten, eines jungen Detectives mit Bürstenschnitt, der Josh Randall hieß – und wies diesen an, das Buch ins Bezirkslabor zur Analyse zu bringen. Als er zurückkam, saß Wallace immer noch erwartungsvoll auf dem harten Stuhl vor Altmans Schreibtisch.

Altman war nicht überrascht, dass er nicht gegangen war. »Und die Gegenleistung?«, fragte er. »Für Ihre gute Tat?«

»Ich will exklusiv berichten. Was sonst?«

»Dacht ich mir schon.«

Altman hatte theoretisch nichts dagegen. Kalte Fälle waren schlecht für das Image der Polizei, und einen zu lösen war gut für die Karriere eines Polizisten. Ganz davon zu schweigen, dass irgendwo immer noch ein Mörder frei herumlief. Er hatte Wallace jedoch nie gemocht, der auf eine unheimliche Weise ein bisschen wie außer Kontrolle wirkte und so aufreizend war, wie es Kreuzritter meist sind.

»Okay, Sie bekommen die Exklusivrechte. Ich halte Sie auf dem Laufenden.« Altman stand auf, hielt inne. Wartete, dass Wallace ging.

»Oh, ich gehe nirgendwohin, mein Freund.«

»Das ist eine offizielle Ermittlung …«

»Und es wäre keine ohne mich. Ich will diese Geschichte aus der Insidersicht schreiben. Meinen Lesern schildern, wie eine Mordermittlung aus Ihrer Sicht abläuft.«

Quentin Altman argumentierte noch ein wenig, aber letzten Endes gab er nach, weil er merkte, dass er keine Chance hatte. »Also gut. Aber stehen Sie mir nicht im Weg. Wenn Sie das tun, sind Sie raus.«

»Würde mir nicht einfallen.« Wallace runzelte ein unheimliches Aussehen in sein langes, langzahniges Gesicht. »Vielleicht erweise ich mich sogar als nützlich.« Falls es ein Witz gewesen war, hatte er ihn ohne Spur von Humor geäußert. Dann sah er zu dem Detective hinauf. »Und was machen wir nun als Nächstes?«

»Na ja, Sie fassen sich erst mal in Geduld. Ich werde die Akte des Falles noch einmal durchgehen.«

»Aber …«

»Immer mit der Ruhe, Wallace. So eine Ermittlung braucht seine Zeit. Lehnen Sie sich zurück, ziehen Sie Ihr Jackett aus. Genießen Sie unseren fantastischen Kaffee.«

Wallace blickte zu dem Schrank, der als Teeküche des Polizeireviers diente. Er verdrehte die Augen, und statt des unheilvollen Tons von vorhin ließ er nun ein Lachen hören. »Das ist ja lustig. Ich wusste gar nicht, dass man noch löslichen Kaffee kaufen kann.«

Der Detective blinzelte und wankte auf seinen schmerzenden Beinen den Flur entlang.

 

Quentin Altman hatte den Fall des Greenville-Würgers nicht bearbeitet. Er hatte ein wenig daran mitgewirkt – die ganze Polizeibehörde hatte irgendwie damit zu tun gehabt –, aber der leitende Beamte war Bob Fletcher gewesen, ein Sergeant, der seit einer Ewigkeit bei der Truppe war. Fletcher, der nicht wieder geheiratet hatte, seit seine Frau ihn vor einigen Jahren verließ, und kinderlos war, hatte nach der Scheidung sein ganzes Leben der Arbeit gewidmet und schien es sehr schwer zu nehmen, dass es ihm nicht gelungen war, den Fall zu lösen; der freundliche Mann hatte sogar eine hochrangige Position im Morddezernat aufgegeben und war ins Raubdezernat gewechselt. Altman freute sich nun für den Sergeant, dass es eine Chance gab, den Mörder festzunageln, den er nicht zu fassen bekommen hatte.