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Die Arktis und der Traum vom Aufbruch
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Seitenzahl: 242
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Matthias Hannemann
DER
NEUE
NORDEN
Die Arktis und der Traum vom Aufbruch
scoventa
Die Karte auf dem Cover zeigt die Gebiete in der Arktis, in denen größere Öl- und Gasvorkommen erwartet werden. Aus der Studie: »Circum-Arctic Resource Appraisal: Estimates of Undiscovered Oil and Gas North of the Arctic Circle«, US Geological Survey, 2008.
Verwendung der Karte mit freundlicher Genehmigung der USGS, Denver, Colorado, USA, www.usgs.gov
Originalausgabe © SCOVENTA Verlagsgesellschaft mbH 2010
www.scoventa.de
Cover-Gestaltung: Sven Welters und Sven Uftring
eBook-Konvertierung: Sven Welters
isbn 978-3-942073-06-6
INHALTSVERZEICHNIS
KaffeeIqaluit – 63 Grad Nord – Der Traum vom Jackpot
ImaqaMaarmorilik – 71 Grad Nord – Die Schatzinsel
ProgressumKiruna – 67 Grad Nord – Der Griff nach den Sternen
FuturumNarvik – 68 Grad Nord – Der Rhythmus der Zivilisation
Into the WildNyksund – 69 Grad Nord – Die Pioniere
RomantikHarstad – 68 Grad Nord – Die Romantik ist eingefroren
TechnikHammerfest – 70 Grad Nord – Die Fabrik
DiplomatieOslo – 59 Grad Nord – Die rote Arktis
GrenzenKirkenes – 69 Grad Nord – Der Netzwerker
Industria hominum naturam vincitHammerfest – 70 Grad Nord – Nachhaltiges Wachstum
Die Stille, das Licht und so weiterHavøysund – 71 Grad Nord – Fisch für die Welt
NordpoldämmerungIm Nichts – 90 Grad Nord – Ultima Thule
Im Gepäck
Danksagung
Reisestationen
Unterwegs nach Nyksund (mit Sitzheizung)
Es ist merkwürdig. Als das Flugzeug nach Kiruna den Polarkreis überquerte, musste ich ausgerechnet an einen Satz denken, den Leutnant John Dunbar zu Beginn des großen Leinwand-Westerns »Der mit dem Wolf tanzt« sagt: »Sie wollen den Westen kennen lernen?«, fragt sein Gegenüber. Dunbar antwortet: »Yes Sir, solange es ihn noch gibt.« Vielleicht ist es so auch mit dieser Reise. Ich möchte den Norden sehen, solange es ihn noch gibt und in dem Moment dabei sein, wenn er von Ingenieuren und Diplomaten erobert und verändert wird. Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens, liegt jetzt hinter mir. Narvik auch. Ich bin per Mietwagen unterwegs zu einer Geisterstadt, irgendwo hinter den Felsen der Vesterålen (die Sie für eine Verlängerung der Lofoten halten werden), dann weiter nordwärts. Und überall treffe ich diese Menschen, die der Gegenwart trotzen, die nach vorne blicken und etwas schaffen wollen, mit eingebautem Traumantrieb, gewissermaßen. Sie hätten den Flughafendirektor sehen sollen, der von der Eroberung des Weltraums sprach. Sie hätten die Energie-Kundschafter hören sollen, mit denen ich eben telefonierte: berauscht von der Jagd nach dem Schatz im Nordmeer. Und wussten Sie, dass Narvik der Hafen nach China ist? Ich auch nicht. Aber das ist es ja. Sie halten hier alles für denkbar. Sie denken groß. Und das hat nicht nur mit der Dunkelheit zu tun, mit der Abgeschiedenheit. Diese Aufbruchstimmung hängt vor allem mit dem Tauwetter und geopolitischen Überlegungen zusammen – mit dem Gas, dem Öl, den Russen. Und mit großem Power-Point-Kino, Power-Point können sie im Norden alle.
Was geschieht eigentlich, wenn eine ganze Region zu träumen beginnt? Wenn eine Region von der Peripherie zum Zentrum werden möchte? Wenn die Inuit auf Grönland und die Bürgermeister im leeren Nordnorwegen über Nacht zu Global Playern werden?
Sie kennen den Ordner, den ich auf meinem Rechner anlegte, als Russland im Sommer 2007 ein Fähnchen in den Meeresboden unter den Nordpol bohrte. Dieser füllt sich stetig. Eben noch hörte ich von einem Unternehmen, das in Finnland und Nordschweden Uran abbauen möchte – es wirbt mit dem Slogan »fuelling the future« und einer Arktis, die auf der »Political And Economic Risk Map« mit »Low Risk« überschrieben war. Ich stieß auch auf ein Interview aus Russland. In den Jahren zwischen 2030 und 2050, sagte da ein Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, werde sich die Energieproduktion der Welt hauptsächlich auf Feldern im Fernen Osten und in der Arktis abspielen. Und ich schnappte eine neue Wettervorhersage für die Zukunft der Arktis auf: »Wärmer, wilder, nasser« werde es hier oben, so der Experte.
Den Ordner habe ich »Der neue Norden« genannt.
(Aus einem Brief des Autors an den Verlag)
KAFFEE
Iqaluit – 63 Grad Nord – Der Traum vom Jackpot
Zehn Minuten, heißt es. In Iqualuit, einem Ort im vereisten Nordosten Kanadas, den vor Jahren nur Abenteurer und Testpiloten kannten, gibt es nach Feierabend neuerdings zehn Minuten Rush Hour, in denen nichts mehr geht. In diesen zehn Minuten stauen sich die Fahrzeuge vor der einzigen Kreuzung. Über diese zehn Minuten diskutiert der Stadtrat, weil er die Rufe nach einer Ampelanlage nicht länger überhören kann, und die Bürgermeisterin, die im Hauptberuf ein kleines Café namens »Grind & Brew« betreibt, sagt darüber beschwichtigend, das alles sei nun einmal die Folge des erhofften Aufschwungs. Wie sollte es auch anders sein, wenn sich die Bevölkerung eines entlegenen Fleckchens am Polarkreis innerhalb weniger Jahre auf nunmehr siebentausend Einwohner verdoppelt.
Die Journalisten, die es im Frühjahr 2010 nach Iqaluit verschlagen hatte, quittierten das Schauspiel mit einem ungläubigen Lächeln. Sie waren sich darin einig, dass es Iqaluit nur dank seiner Abgeschiedenheit zu einem Konferenzort gebracht hatte, an dem die Finanzminister der sieben großen Industriestaaten unbehelligt reden konnten, und je länger sie die Einwohner beobachteten, je mehr sie im Dunkel der Wintertage von Alkoholismus, Selbstmord und Sozialhilfe hörten, umso unwahrscheinlicher schien es ihnen, dass dieser Frostwinkel in der Baffin Bay eines Tages aufblühen könnte. Der Artikel über »Die täglichen zehn Minuten Verkehrsstau in Iqaluit« jedenfalls, der in einer renommierten Tageszeitung erschien, fiel in der Anlage in die Kategorie »Kurioses aus dem Völkerkundemuseum«.
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