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Der Gotländer Heirik wird als Sohn eines vom Pech verfolgten Varägers an der Südküste des westfränkischen Reiches gefangen genommen. Später steigt Heirik zum Bischof von Bayeux auf und wird enger Vertrauter von Rollo, der auf der Suche nach Reichtum und Ehre nach Frankreich gekommen ist. Rollo verliebt sich in die deutlich jüngere Popa Berenger und heiratet sie. Doch gehört ihr Herz auch wirklich ihm allein? Auch Heirik empfindet tiefe Zuneigung zu der jungen schönen Frau, die nicht unerwidert bleibt. – Der Roman spielt vor dem historischen Hintergrund der Normandie und ist eine bunte, fesselnde Mischung aus Liebes-, Abenteuer- und Historienroman.Rezensionszitat"Litterarischer Hochgenuss. Vor allem für Liebhaber historischer Romane ein Muss!" – www.boksidan.netBiografische AnmerkungRune Pär Olofsson wurde am 28. Mai 1926 in Vamlingbo auf der schwedischen Insel Gotland geboren und ist ein schwedischer Autor, Journalist und Pastor. Zugleich ist er einer der beliebtesten Autoren historischer Romane in Schweden.-
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Seitenzahl: 516
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Saga
Während meiner Studentenzeit führte mich ein Stipendium zu einem französischen Benediktinerkloster. Dort fand ich die Chronik des Kanonikus Dudo über die normannischen Herzöge. Dudo regte mich an weiterzulesen - aber der Stoff blieb liegen.
1982 kam Clas Brunius mit seinem journalistisch brillanten „Nordens Franzosen“ mit Zeichnungen von Edward Lindahl (Norstedts) heraus. Der Untertitel des Buches ist „Sieben Herzöge in der Normandie“. War damit der Stoff für einen Roman unmöglich geworden ...?
Aber vielleicht doch nicht! Für jemand, der ein historisches Kompendium in leicht zugänglicher Form haben will, um „nachzuprüfen, was wahr ist“ und was als gelogen angenommen werden kann, ist Brunius´ Buch perfekt. Man findet darin auch kleine Karten und Literaturhinweise.
Rune Pär Olofsson
Mein Name ist Heirik. Ich bin ein uralter Priester. Ich sitze im normannischen Rouen und schreibe meine Erinnerungen nieder, damit die Zeit vergeht. Ich meine: die Zeit bis zu meinem Tod. Es muss ein Fehler in das himmlische Register geraten sein - oder sie können sich nicht entscheiden, wo ich landen soll. Mein Hinscheiden ist unter allen Umständen unanständig verzögert worden.
Während der Wartezeit muss ich ja etwas zu tun haben, da ich nun weder lahm noch blind bin, sondern im Gegenteil unverschämt gut sehe. Also schreibe ich.
Die wichtigsten Jahre meines Lebens habe ich in der Normandie zugebracht und in der Nähe der Herzogsfamilie gelebt - oder was diese Familie werden sollte. Ich hatte gedacht, über diese Zeit und über diese Menschen zu berichten. Aber bereits Cicero - oder war es Cato der Ältere - wusste, dass das Alter geschwätzig und mit sich selbst beschäftigt ist, weshalb ich fürchte, meine eventuellen Leser werden unnötig viel in diesem Buch finden, was von meiner Wenigkeit handelt. Wenn ich jetzt meine Aufzeichnungen lese, merke ich, am wortgewandtesten zu werden, wenn ich „wir“ sagen kann. Ich tröste mich damit, dass die Theologen immer meinten, St. Lukas würde besonders interessant sein, wenn er „wir“ in seine Acta Apostolorum schreiben kann. Er war doch dabei - persönlich!
Vieles in diesem Bericht würde jedoch unverständlich sein, wenn ich nicht versuchen würde, den Hintergrund der Hauptpersonen zu schildern und alles, was geschah, bevor ich gewissermaßen in die Handlung kam. Dem werde ich mich eine ganze Weile widmen und dafür jetzt meine Egozentrik bändigen. Über dieses oder jenes werdet ihr euch sicherlich wundern: Wie kann er das wissen? Wenn ihr es bis zum letzten Blatt schafft, werdet ihr vielleicht verstehen warum ...
Etwas muss ich jedoch jetzt schon über mich selbst sagen, sonst würde mein Auftreten in der Geschichte noch unverständlicher werden, als es mir selbst vorkommt - jetzt, wo ich zurückdenke.
Ich wurde am Ende des 9. Jahrhunderts nach Christi auf Gotland geboren. Mein Vater war Großbauer und Kaufmann; er unterhielt viele Schiffe, die jedes Frühjahr über das Baltische Meer segelten und nach längerer oder kürzerer Zeit zurückkehrten, manchmal wohl fast vor Kostbarkeiten und Merkwürdigkeiten berstend.
Aufrichtig gesagt weiß ich nicht weshalb, aber eines Frühlings nahm mein Vater meine Mutter und meine Geschwister mit sich auf ein Schiff und segelte südwestwärts. Ich habe eine dunkle Erinnerung an Streit und harte Worte vor unserer Abfahrt. Ich kann auch durch die Andeutungen meiner Mutter ahnen, dass wir übereilt auf den Weg kamen und dass sie meinen Vater dafür tadelte. Ich verstand auch durch das, was die Männer an Bord untereinander besprachen, dass die Fahrt in ungewohnte Richtung gehen würde: Auf dem Westweg waren sie vorher nie mit meinem Vater gewesen. Aber ich war zu klein, um zu erfassen, wohin wir fuhren und weshalb, und es bekümmerte mich wohl nicht sehr. Alles war neu und spannend - zumindest am Anfang.
Dann begannen die Unglücke.
Meine Geschwister ertrugen die See nicht oder es war etwas anderes, was sie nicht vertrugen. Kurz und gut, sie starben, während wir auf See waren. Ich erinnere mich, dass meine Mutter viel weinte und mein Vater gar nicht, während ich mit einer gewissen Zufriedenheit feststellte, dass ich mehr Schlafplatz bekam, als sie fort waren. Ich erfuhr auch oft die Gunst, bei meiner Mutter schlafen zu dürfen. Das war mir vorher nicht erlaubt worden ...
Nahe einer Küste gerieten unsere Schiffe mit anderen Schiffen in einen Kampf und das größte meines Vaters ging unter. Ich habe später begriffen, dieses Schiff war eine knarra, also ein Handelsfahrzeug. Wahrscheinlich führte mein Vater auf diesem Schiff seine Handelswaren und andere Kostbarkeiten; wahrscheinlich war er durch diesen Verlust verarmt. Und doch war dieser Verlust in meinen Augen nicht der schlimmste. Die Segelstange eines der feindlichen Schiffe schwang über unser Freibord herein. In der Vorbeifahrt fegte diese meine Mutter mit sich über Bord, und wir sahen sie nie wieder.
Wir erreichten einen Hafen in Friesland oder Flandern. Vater verkaufte die Hälfte der Schiffe, die er aus dem Seekampf gerettet hatte, und dann lagen wir einen Winter an Land, um Kräfte zu sammeln und Handel zu treiben; ich weiß nicht so genau. Aber während dieses Winters konnte ich so weit heranwachsen, dass ich einen besseren Begriff darüber bekam, welche Länder wir besuchten und was wir vorhatten.
Mein Vater kaufte und verkaufte nicht mehr und Bauer war er auch nicht mehr. Er war nicht besonders munter dabei und ich nehme an, es beruhte darauf, dass es schlecht für ihn lief. Wir machten Strandüberfälle, um uns Nahrung zu verschaffen, und ich bekam manchmal das Vertrauen, Eier zu stehlen oder in einen Winkel zu kriechen, in den die Großen nicht gelangen konnten. Zeitweise hungerten wir, aber manchmal hatten wir Überfluss an Essen und Trank. Das schwankte mit den Konjunkturen in unserem „Gewerbe“.
Nun werde ich jedenfalls weitschweifig - ich sollte versuchen, mich kurz zu fassen ... Mit seinen zwei verbliebenen Schiffen begab sich mein Vater unter irgendeinen Anführer, auf den er vor Valland stieß, und zusammen mit diesem fuhren wir die Seine hinauf. Da setzte ich mein erstes Haus in Brand! Das war lustig.
Dann wurde es weniger lustig, weil der Anführer fiel oder gefangen genommen wurde und Vater so wieder sein eigener Herr. Wir setzten die Fahrt um Westfranken und die Bretagne fort und kamen schließlich zu dem Ort, der Noirmoutier genannt wird, einer Insel vor der Mündung des Flusses Loire. Dort hatten sich Nordmänner bereits früher niedergelassen und von dort schikanierten sie alles und alle, so weit sie ins Land vermochten - und es war nicht viel, was sie nicht vermochten.
Vater begab sich unter einen neuen Anführer und war öfters mit den anderen Nordmännern auf Raubzug fort. Aber in Noirmoutier hatte er sich mit einer widerwärtigen Frau zusammengetan - mindestens meinte ich das so. Ich hasste meinen Vater für diesen Verrat an meiner Mutter, aber noch mehr hasste ich diese neue Frau. Es wurde festgelegt, dass sie meine neue „Mutter“ sein sollte, aber daran hatten weder sie noch ich große Freude während des langen Jahres, das wir zusammen verbrachten. Nun, mich sah sie wohl kaum mehr als zu den Mahlzeiten und in den Nächten, und an die Nächte möchte ich kaum erinnert werden, weil Vater und sie sich nicht schämten, miteinander zu buhlen, obwohl ich mich in der Kammer befand. Für den Raubzug war ich zu jung, weshalb ich wohl zugeben muss, einen Haufen Unfug gelernt zu haben, während ich mir selbst überlassen war, zusammen mit anderen kleinen Rackern.
Noch ein Frühling kam und die Schiffe wurden ausgerüstet, um nach Süden zu fahren. Dieses Mal wollte der Anführer ins Mittelmeer hinein, wenn auch manche abrieten. Vater und seine Leute sollten mit auf diese ferne Fahrt und man war der Meinung, ich sollte bei Vaters Hure bleiben, bis er zurückkehrte.
Bitten halfen nicht und Tränen auch nicht: Ich war eben zu jung, um unter Seefahrern und Kämpfern etwas zu taugen. Also versteckte ich mich an Bord.
Als man mich fand, erhielt ich natürlich Prügel. Aber es war zu spät umzukehren, und sie konnten mich nicht irgendwo an Land setzen. Ich musste mit nach Spaniens Küste herunter und hinein durch den Njörvasund. Für mich endete die Fahrt am Strand neben dem Delta des Flusses Rhône, aber meinen Vater sah ich nie wieder. Wenn mir jemand in diesen Tagen gesagt hätte, ich würde in einigen Jahren ein gelehrter Mann und christlicher Priester sein und meine Tage in Rouen beschließen, ja, da hätte ich ihn wohl für verrückt gehalten.
Aber - genug jetzt hierüber.
Eines Morgens im Mai, gerade bei Sonnenaufgang, wurde Popa von heftigen Hornklängen geweckt. Die Wächter müssen ungewöhnlich aufgeregt sein, dachte sie, deren Hörner hören sich an wie Junghähne. Dann hörte sie draußen Fußgetrappel und aufgeregte Rufe: „Die Normannen! Die Normannen!“
Nur mit einer Tunika über den nackten Körper geworfen sprang Popa aus dem Zimmer und vor zur Burgmauer. Ihr Mund stand offen und sie atmete kurz. Das Wetter war ganz ruhig, die Segel waren aufgerollt; dennoch flogen die Schiffe ohne Wind auf der Aure. Auf dem Rücken der Springflut ritten die Drachenboote der Normannen den Fluss hinauf, schneller als Pferde.
Die Glocken der Kathedrale begannen zu läuten, gerade als die Normannen ihre roten Schilde von den Relingen hoben und Männer, die sie nicht sah, Ruder fällten, um die Fahrt zu bremsen, sodass die Schiffe nicht an der Stadt Bayeux vorbeigetragen wurden. Zwölf Schiffe konnte sie zählen, bevor sie sich im Hafen zusammendrängten.
Der Anblick schlug Knoten in ihre Därme. Sie war 18 Jahre alt und hatte über die pfeilschnellen Überfälle der Normannen gehört, solange sie sich erinnern konnte. Aber niemals vorher hatte sie dergleichen bezeugt. Der Anblick war nicht einfach nur erschreckend. Das Bild war auch schön. Die schrägen Sonnenstrahlen des Maimorgens schlugen Echos aus Helmen und Klingen, als die Männer von den schlanken Schiffen an Land sprangen. Sie fühlte es unter den Achseln und im Schoß feucht werden, atmete aus und sagte laut: „Endlich!“
Endlich kam der Überfall, auf den sie so lange gewartet und sich so viele Male vorbereitet hatten. Doch kam er ohne Warnung. Wie beim vorigen Mal und davor ...
Vielleicht erinnerte sie sich falsch. Vielleicht war sie beim letzten Mal zu klein. Vielleicht war sie nicht einmal in Bayeux. Aber sie hatte die Geschichten so oft gehört, dass sie meinte, dabei gewesen zu sein. Der Fluss strotzte von Normannen. Grölende Fremde fuhren in die Häuser und kamen mit den Armen voll Diebesgut wieder heraus. Beim nächsten Mal kamen sie mit denen herausgeschleppt, die im Hause wohnten - die es nicht geschafft hatten, in die Stadt zu fliehen oder zu den Mönchen ins Kloster. Einige lagen bereits still, während das Blut den Boden um sie herum färbte - sie hatten versucht, ihre Werte zu verteidigen, entweder waren es Dinge oder die Schöße ihrer Frauen. Die Gefallenen waren Männer oder waren es gewesen. Einige waren Frauen. Die Frauen wurden zum Kai heruntergetrieben, wo andere Normannen sich ihrer zur Sortierung annahmen. Die Jungen und die mit festem Fleisch sollten an Bord genommen werden. Die Alten durften laufen. Kleine Kinder, die sich weiter an ihre Mütter klammerten und nicht loslassen wollten, erhielten die Axt in den Schädel, und so waren sie vom Jammer der Welt erlöst ...
Immer noch lärmten die Glocken in der Kathedrale. Ja, eine Kathedrale hatten sie in Bayeux, aber keinen Bischof. Er war mit Frau, Kindern und Buhlen in sicherere Gebiete geflüchtet - wenn es jetzt noch immer irgendwelche sicheren Gebiete im Reich des fränkischen Königs gab. Die Klostermauern hatten den Brechern der Normannen nicht standgehalten. Und nachdem die Mauern gestürzt waren, erhielten die Plünderer viele neue Männer und Frauen, die sie gebunden zu den Schiffen führen konnten. Gefangene brachten gute Preise in den Heimatländern der Nordmänner und an den englischen Herrenhöfen. Wozu die Frauen außerdem taugten, konnte sie sich vorstellen.
Dieses Mal gab es kein Kloster und keine Höfe außerhalb von Bayeux. Alles war niedergebrannt; das Kloster wurde wegen seines Widerstandes abgebrannt. Nun galt der Überfall Bayeux selbst. Dessen Mauern waren bisher zu dick, selbst für die Normannen. Von der Burg aus hatte ihr Vater, Graf Odo Berenger, den Widerstand mit frecher Lust geleitet. Die Normannen mochten das siedend heiße Öl nicht, das sie ins Gesicht bekamen, als sie auf den Enterleitern hingen. Genauso wenig die warme Pisse, die die Frauenzimmer in deren Augen kippten. Während der oberste Räuber auf der Leiter gerade sichtbar wurde und nicht am sichersten auf den Beinen war, bekam er einen Hieb mit einer Brotschaufel und stürzte von der Leiter. Dem nächsten Enterer erging es nicht besser. Die Verteidiger setzten sich hin und schissen direkt in die Hände - dann warteten sie, bis der Augenblick am günstigsten war. Der Augenblick kam, wenn der Enterer sein Bein über die Mauerkrone schwingen wollte; bisher hatte er sich mit Schild und Spieß geschützt, aber jetzt war er für eine kleine Weile preisgegeben. Die mutigsten Frauen flogen nach vorn und mauerten seine Augen mit der offenen Hand zu. Dann half es nicht, wenn er brüllte und um sich stach, weil er nichts sah. Der Pfeil kam von der Mauerinnenseite und saß quer durch seinen Hals und Sekunden darauf war ihm rückwärts auf den Weg geholfen, auf dem er gekommen war. Im Fallen riss er andere Kameraden mit sich zu Boden.
Popa lachte über diese List. Ihr Vater hatte lange und genau instruiert und die Bürger hatten gemeint, die Idee sei erheiternd und lernten schnell.
„Alle nehmen Eimer mit sich zur Mauer und lassen ihr Wasser dorthinein. Die mit Darmdrang halten sich am längsten zurück und begeben sich zur Krone. Die Pechsieder sollen ihre Kessel Tag und Nacht kochend halten, auch wenn es ein halbes Jahr oder mehr ruhig war. Jedes Viertel hat Verantwortung für sein Stück der Mauer, denkt daran. Ich weiß, wer von euch verantwortlich ist, die Wachen in gleichen vier Stundenläufen zu verteilen, und wer sich versäumt, verliert Fuß und Hand. Die Ölmischung muss siedend gehalten werden und nicht lauwarm und ...“
Ja doch, sie wussten. Und besonders stolz waren die Frauen der Stadt über die Rolle, die sie bei der Verteidigung spielen durften. Dass die Mauern bisher keinen Normannen über die Krone gelassen hatten, war zu einem großen Teil ihr Verdienst. Sein Wasser auf Befehl zu lassen, war nun nicht das Leichteste; die Spannung verschloss gern die Fluten. Dagegen brauchten die Bäuche keine besondere Aufmunterung, die wurden im Gegenteil ungewöhnlich schnell gelöst, und davon wurden die Verteidigungsmittel ja keineswegs schlechter. Um die Wahrheit zu sagen, hatten auch viele der Männer zum Willkommensgruß beigetragen, aber es biss offenbar besser, wenn der Schimpf von den Frauen kam. Auf andere Weise konnte man nicht erklären, weshalb der Überfall zum Stehen kam und die Normannen sich um das Feldzeichen scharrten und berieten. Währenddessen hatte sich ein Reitertrupp aus einem der kleineren Tore auf der Landseite begeben. In voller Karriere ritten die Reiter dann quer durch den unvorbereiteten Normannenhaufen. Einige der Räuber hatten sie gefällt, aber meistens deshalb, um an einige von denen zu kommen, die der Graf als Anführer ausgemacht hatte. Einige von diesen stürzten sie mit ihren Lanzen nieder, aber so vorsichtig, dass sie nicht totgeschlagen wurden. Dann wendeten sie genauso schnell zu den großen Toren, die Gefangenen hinter sich schleppend, wurden mit ihrer Beute eingelassen und Tor und Fallgitter landeten sicher auf ihren Plätzen, bevor die Normannen hinterherkamen.
Der Ausfall dauerte nicht länger als es braucht, ein Paternoster und zwei Ave zu lesen. Graf Odo lobte, tadelte aber teilweise auch; ein paar der Gefangenen hatten die Reiter so unbedacht behandelt, dass sie bereits tot waren. Die Reiter hatten sich damit begnügt, die Gefangenen zwischen sich zu nehmen, jeder an einem Bein. Der Nacken war dabei gezwungen, die Galoppschritte zwischen dem Feldzeichenmann und dem Stadttor in Bayeux zu zählen, und das hatte der nicht ausgehalten.
Der Zorn des Grafen ermattete inzwischen sofort, da es sich zeigte, dass es den Reitern geglückt war, den Marschall der Normannen, wie sie ihn nannten, zu greifen. Einen besseren Fang konnten sie nicht gemacht haben.
Der Marschall war natürlich beschämt. Wie sich zeigte, hieß er Botho, und er drohte mit allen Gruseligkeiten des Abgrundes, wenn ihm auch nur ein Haar auf dem Kopf gekrümmt würde. Da würde sein Herr, Rolf, alle Normannen, die vor Frankreichs Küste zu finden waren, sammeln und Bayeux einschließen und die Bürger aushungern lassen, bis sie vor Ermattung starben oder sich auf Gnade und Ungnade ergaben. Obwohl an Gnade nicht zu denken war, Jung wie Alt, Mann wie Frau sollten erschlagen und von ihrer Stadt kein Stein auf dem anderen gelassen werden. Graf Odo und die Bürger hörten zu, ohne die Worte zu verstehen, die Botschaft konnten sie jedoch erraten. Der Graf riet zur Ruhe, umso mehr, als er sah, ein Schiff stach mit schnellem Ruderzug den Fluss hinab, während die übrigen Normannenhaufen müßig auf und um den Schiffen herumlagen. Nach einem Tag kam das ausgesandte Schiff zurück. Und nun hatten sie einen Mann dabei, der fränkisch sprechen konnte. Mit gewendetem Schild kam der Mann mit seinem Gefolge in Hörweite. Damit erfuhren die Verteidiger, was sie bereits wussten, und hörten die Drohungen, die sie bereits kannten. Ein Detail war jedoch neu: Rolf und seine Anführer boten Bayeux ein Jahr Frieden, wenn Botho schnell und gesund zurückgeliefert würde. Sonst!
Graf Odo und seine Leute dachten über dieses Angebot eine Weile nach, aber nicht länger als notwendig. Es war etwas auf dem Wege, worauf sie gehofft hatten. Vorausgesetzt, man konnte sich auf die Normannen verlassen? Botho versicherte, dass man das konnte: Er selbst würde dafür bürgen.
„Wir haben wohl mehr Freude an einem ganzen Jahr Frieden für eine Stadt als an einem normannischen Anführer im Keller“, meinte Graf Odo.
Also wurde Botho zu den Normannen herausgelassen; die übrigen Gefangenen sollten als Geiseln für ein Jahr verbleiben, zur Erinnerung, falls deren Herren sich vergessen sollten.
Während des Jahres, das vergangen war, wurde Bayeux mit großem Eifer zusätzlich befestigt. Vor einem Monat war dann die Frist ausgelaufen. Am Tag ein Jahr nach Bothos Gefangennahme segelte ein Normannenschiff die Aure herauf. Es hatte Friedensschilde aufgesetzt und war allein, weshalb sich keine Unruhe bei den Verteidigern zeigte. Das Geschäft des Schiffes war, die zurückgelassenen Geiseln zu holen. Aber Graf Odo hielt vor, in diesem Fall müssten neue Geiseln gestellt werden: Er war keinesfalls damit einverstanden, die normannischen Krieger für Nichts herauszulassen.
„Nichts? Du hast für ein Jahr Frieden erhalten. Nennst du das Nichts, sollst du bald etwas anderes erfahren. Da kann es geschehen, dass du meinst, nur ein Tag Frieden sei Gold wert.“
„Da sagst du etwas. Ich nehme gern Gold im Austausch für diese Großesser.“
Nach einer weiteren Weile Gezänk gingen die Sendboten auf das Schiff zurück. Als sie zurückkamen, waren sie mehr. Wie Odo erraten hatte, hatten sie damit gerechnet, neue Geiseln stellen zu müssen. Drei vollgerüstete Männer wurden nun zum Tor geführt, mit den Händen um die Schwertschneiden und die Griffe gegen Graf Odos Leute gewandt. Der Austausch geschah; die gefangenen Normannen wurden freigelassen und die Geiseln herein. Darauf eilten die Normannen zum Schiff, legten ab und verschwanden.
Die Geiseln wurden entkleidet und als drei friesische Nonnen befunden.
Die Burg in Bayeux war so gut wie von Kriegsvolk entleert. Ein gewaltiges normannisches Heer belagerte Paris und fuhr plündernd im Land darum umher. Herzog Robert von Francien, der auch Graf von Paris und dessen Vasall Graf Odo Berenger war, hatte seine Vasallen um Hilfe gebeten, die Gewalttäter aufzuhalten. Für solche Bitten waren die Vasallen ganz taub. Gewöhnlich konnten sie vorgeben, alle Hände voll zu tun zu haben, ihre eigene Grafschaft zu schützen - welche ja die des Herzogs in letzter Hand war. Aber nun, da Bayeux ein Jahr lang Frieden hatte, ohne dass die Abmachung gebrochen wurde, und die Normannen all ihre Kraft für den Überfall auf Paris gesammelt zu haben schienen, vermochte Graf Odo keine Entschuldigung zu finden. Außerdem hatte die Verwandtschaft des Grafen Lehen in dem Gebiet, das nun geplündert wurde: unter anderem Senlis, welches hoch angesehen war. Also sammelte er seine Leute und zog nach Paris. Mit ihm war der Sohn Bernhard, Popas zwei Jahre älterer Bruder. Die 18-jährige Popa wurde in Bayeux zurückgelassen. Es würde für sie dort sicherer als im Inneren des Landes sein, wenn man sie nicht bis hinauf nach Burgund führen wollte. An Senlis war da gar nicht zu denken! Aber Popa wollte nicht nachgeben, sondern von Senlis quengeln.
„Es ist nicht mal sicher, dass wir bis dorthin kommen", erklärte Graf Odo. „Und wer weiß, ob die Burg in diesem Fall standhalten könnte. Denke daran, dass die Normannen Teufel im Kriegführen sind. Die sind listig wie die Füchse und ganz schonungslos, wenn sie sich etwas in den Sinn gesetzt haben. Und etwas Schlimmeres kann ich mir nicht denken, als dass wir auf dem Weg dorthin überfallen werden und du armes Kind in deren Klauen landen solltest. Die vergewaltigen jedes Frauenzimmer, das sie zu sehen bekommen, egal ob Jung oder Alt. Färsen und Schafe helfen in Ermangelung von Besserem. So bleibst du hier in der Burg. Die Leibwachen sollen nach dir sehen und die Bürger verantworten Tore und Mauern, wenn irgendwelches loses Volk auftauchen sollte. Gehorche jetzt. Deine selige Mutter würde mir zugestimmt haben."
Popa machte eine Grimasse hinter dem Rücken ihres Vaters. Es war schlimm genug mutterlos zu sein; er brauchte sie nicht auch noch daran zu erinnern und die Tote als Rückhalt zu nehmen.
Mit der Belagerung von Paris ging es stockend. Um die Wahrheit zu sagen, machte sie nicht einen einzigen Fortschritt. Gewiss wuchs das Heer jeden Tag im Ausmaß: Nordmänner und Männer von den englischen Inseln, die das Gerücht über die große Belagerung gehört hatten und nun reiche und leicht gewonnene Beute winken sahen. Aber der Zuwachs des Heeres erschwerte auch die Versorgung. Man war gezwungen, immer größere Gebiete zu plündern, um das Nötigste für den Tag zusammen zu bekommen - und was wurde da aus der Belagerung! Rolf Jarl, der von den Franken Rollo genannt wurde, war mit dem meisten unzufrieden, so, wie die Sache nun stand. Sein Onkel Hulk war dem Namen nach oberster Kriegsanführer, auch wenn sich die Jarle gleich an Macht sahen und der Onkel nichts ohne deren Zustimmung tun konnte. Der Mann begann wohl alt zu werden und dazu selbstherrlich, so war es. Diese Belagerung hier betrieb er schlecht, so war es auch. Obendrein hatte sich der Narr von einem Bischof in Denain taufen lassen und dafür reiche Geschenke und schöne Versprechungen erhalten. Danach hatte er trotzdem weiter wie vorher gelebt, nicht nur, dass er sich zu Thor und Odin hielt, sondern auch seine Plünderungen fortgesetzt, entgegen dem gegebenen Versprechen.
Derartiges brachte die Nordmänner in Verruf. Wer wollte letztendlich irgendwelche Übereinkommen mit ihnen eingehen, wenn sie eingegangene Absprachen nicht einhielten?
Es war noch mehr, was schlecht war. Allzu viele befestigte Burgen hatten unangetastet zurückgelassen werden müssen. Paris würde niemals genommen werden, wenn das Land im Rücken der Nordmänner in Feindeshand verbleiben sollte. Ständig wurde die Furage von Reitern aus diesen Burgen überfallen: Ein schneller Ausfall bedeutete den Tod guter Männer und verlorene Beute, und dann, flugs waren die Franken wieder in ihren Burgen, sicher und gesund, bereit zu neuen Ausfällen, sobald sie dazu Gelegenheit erhielten.
So ein Dorn im Auge Rollos war Bayeux. Mehrere Versuche, diese Festung zu erobern, waren missglückt und wurden frühzeitig aufgegeben. Mehr als ein Haufen Feinde hatte sich innerhalb dieser Mauern in Sicherheit gebracht. Mehr als einmal hatte ein Ausfall von dort Rollos eigene Streitkräfte aufgerieben oder wurde ihnen zu einer Bremse unter dem Steiß, als sie alle Kräfte für anderes benötigten. Wie jetzt. Er hatte eine gute Stellung räumen müssen, weil diese aus völlig unerwarteter Richtung angegriffen wurde. Gefangengenommene hatten erklärt: Die Reiter kamen von Bayeux - auf dem Weg, die Verteidigung von Paris zu verstärken ...
Es lagen gewiss ungebrandschatzte Burgen in näherer Umgebung; von Paris bis Bayeux war es nicht am nahesten. Aber Rollo hatte große Lust gerade gegen Bayeux zuzuschlagen. Nicht, weil die letzte Verstärkung für die Verteidiger von Paris von dort gekommen war und diese Gegend deshalb schlecht verteidigt war. Nein, er wollte Bayeux und dessen Graf für den Schimpf gegen Botho und für den schimpflichen Waffenstillstand bezahlen lassen. Dann würde es auch gut tun, sich an allen zu rächen - am meisten an diesen Frauenzimmern, die sich mit den Mitteln der Natur verteidigt hatten. Diese Schande würden die getroffenen Nordmänner lange nicht vergessen ...
Er rief seine Anführer zusammen und ließ sie an seinen Gedanken teilhaben. Ja, da waren sie mehr als willig, etwas anderes als diese zähe Belagerung zu probieren. Also beschlossen sie den Tag und beratschlagten über die beste Weise.
Rollo war sich zumindest einer Sache gewiss: Dieses Mal würden sie besser gerüstet sein und Rat finden, über die verdammte Mauer zu kommen.
Popa hatte sich so in ihren Gedanken verloren, dass sie erst jetzt die drohende Gefahr begriff. Alte ehrenreiche Erinnerungen waren nicht viel wert, sich dagegen zu lehnen, wenn es ernst wurde. Würden die Leibwächter und die Bürger gegen so viele Angreifer standhalten können? Nun, wo der Vater mit dem größten Teil der Garnison fort war, schienen auch alle seine guten Lehren wie fortgeblasen. Sie sah Männer und Frauen wie aufgescheuchte Hühner an der Stadtmauer entlang rennen und mal hier, mal dort picken. Und selbst fiel ihr nichts anderes ein, als da zu stehen, wo sie stand.
Sie hörte von unten die verängstigten Rufe der Verteidiger:
„Wer hat die Feuer ausgehen lassen! Das Pech ist ja steif wie Eichenholz!“
„Genauso schlimm ist es mit dem Öl, das ist nicht mal pisswarm ..."
Das klang nicht besonders hoffnungsvoll. Die Nordmänner standen bemerkenswert abwartend, seit sie an Land gegangen waren. Dachten sie nicht daran, zum Angriff überzugehen? Vielleicht hielten ihre Gebete zur Jungfrau Maria sie zurück, bis die Bürger sich sammeln und ihre Vorbereitungen beenden konnten! Obschon die selbst am Mangel an Wachsamkeit schuld waren. Andererseits konnten doch nicht alle ihre Pflichten versäumt haben, es gab ja mehr Pechkessel entlang des Verteidigungswerkes und viele andere, die ...
„Jungfrau Popa“, schrie jemand hinter ihr. Es war ihre alte Amme. Popa wandte sich um und sah die Alte mit ihren Armen rudern wie mit Windmühlenflügeln.
„Beeil dich und komm. Wir müssen uns verstecken. Die Heiden haben große Treppen auf der Landseite gebaut, sie sind jeden Augenblick in der Stadt. Und steh bitte sehr dort nicht ungeschützt, es kann ein Pfeil geflogen kommen, wenn du es am wenigsten erwartest.“
Sich verstecken - wo sollten sie sich verstecken? Besser sich offen fassen zu lassen, als wie ein Katzenjunges hervorgezogen zu werden.
Da hörte sie den Kampfruf der Nordmänner. „Thor“ brüllten sie und dann noch etwas, was sie nicht verstand. Es brach aus ihnen heraus. Wie ein Donnerknall. Sie fühlte eisige Schauer über den Rücken laufen und die Beine gehorchten ihr nicht mehr, trotz der immer wilderen Rufe der Amme.
Dann geschah alles mit Blitzgeschwindigkeit. Normannen flogen über die Mauer herein, schlugen sich zum Tor am Hafen durch und öffneten dieses für die Wartenden. Popa stand wie Lots Weib und sah alles geschehen; es war, als geschah es irgendwo anders, wo sie selbst nicht mit dem Körper dabei war.
Ihr Körper war jedoch aufs höchste in dem Augenblick anwesend, als ein Normanne in den Schützengang der Burg heraufbrauste, sie zu sehen bekam, stehen blieb und grinste. Gleich darauf hing sie über seiner Schulter auf dem Weg die Treppe hinunter. Sie strampelte pflichtschuldig, bemerkte aber, dass sie nirgends traf. Verdrehte seine Ohren, so gut sie konnte, hörte aber keine Wirkung. Die Tunika glitt während ihres eifrigen Bemühens von ihr herunter, das war das Einzige, was geschah. Der Normanne bemerkte zufrieden ihre Nacktheit und legte seine freie Hand mit einem festen Griff zwischen ihre Schenkel.
So, jetzt sollte auch ihr das Schicksal widerfahren, mit dem ihr Vater sie so oft erschreckt hatte ...
Die Tunika war ihr über Brust und Gesicht gerutscht, während sie aus der Burg geführt wurde. Wobei sie mit dem Kopf nach unten hängend mehr ahnte als wusste, dass sie durch das Tor hinunter zum Fluss getragen wurde. Auf einmal ließ der Heide sie los und die Welt stand wieder aufrecht. Doch brauchte sie eine Weile, um sich zu orientieren.
Um sie herum lagen die gebundenen Leibwächter. Die fluchten leise und innig. In einem Ring aus Männern hockten unter großem Gejammer Frauen und Kinder; von denen hatten die Nordmänner gemeint, es würde nicht der Mühe wert sein, sie zu binden. Ein gewaltiger Hügel von Beute lag rechts von ihr und wuchs ununterbrochen, je mehr von der Stadt mit ihrer Bürde zurückkamen. Einiges erkannte sie als aus ihrem eigenen Heim wieder. Da glänzte die große Silberterrine. Da fuhr der Bärenpelz ihres Vaters auf den Kleiderhaufen. Und - mochte ihn der Teufel holen - da besichtigte gerade ein Großgewachsener lachend ihren teuersten Armring.
Erst jetzt wurde sie gewahr, dass der Mann, der sie geholt hatte, sie vor einem Kerl, der auf einem Schemel saß, herunterfallen lassen hatte. Sie war weder gebunden noch war sie zum Frauenplatz geführt worden. Der Schemel war das Erste, was sie sah, dann die Beine mit ihren gekreuzten Bändern. Während sie versuchte sich mit der Tunika notdürftig zu verhüllen, erdreistete sie sich, einen schnellen Blick auf den Rest des Mannes zu werfen. Er saß mit nacktem Oberkörper und den Helm auf den Knien. Schweiß glänzte auf seiner Brust. So, er mag bei der Erstürmung dabei gewesen sein. Ob er der Anführer der Normannen war? In jedem Fall war er der Einzige, der saß, so weit sie sehen konnte.
Aber nun erhob er sich. Beugte sich nieder und hob sie auf die Füße. Nackt auch diese ... Sie leistete keinen Widerstand, als er sie aufrichtete, nicht einmal, als er mit einem raschen Griff ihre Tunika abstreifte und sie vor all diesen Normannen und ihrem eigenen, gefangenen Volk entblößt dastand. Ja, sie versuchte nicht einmal Brust und Schoß zu verhüllen, wie es eine ehrbare Jungfrau tun sollte. Die Leute würden über sie reden, wenn sie Gelegenheit dazu bekämen. Doch spürte sie keine Scham, eher eine Art Lüsternheit: Sie ertrug es, beschaut zu werden, und selbst hatte sie sich ja nicht ausgestellt. Jedoch wollte sie ihren Betrachter noch nicht offen anblicken. Unter halb geschlossenen Augenliedern sah sie einen Mann im Alter ihres Vaters. Sehnig, ohne überflüssiges Fleisch. Weshalb hatte sie sich eingebildet, alle Normannen wären haarig und dickbäuchig? Dass dieser Mann nicht größer und kräftiger war, enttäuschte sie fast, ein so sichtbar gewöhnlicher Kerl konnte wohl kaum der oberste Herr der Normannen sein ...?
Endlich sah sie ihm direkt ins Angesicht. Unter Haaren wie vom Regen gefällter Weizen leuchtete ein braun umrandetes Lachen und die Augen strahlten vor Entdeckerlust. Er streckte die rechte Hand aus und hob ihr Kinn, drehte ihren Kopf erst nach rechts, dann nach links. Kam näher und fühlte über ihre Mitte und Hüfte. Nahm gleichsam Maß von ihr ... Sie spannte die Schenkel an und presste diese vor dem, was kommen würde, zusammen. Er begnügte sich aber damit, nach unten über ihren Biber zu streichen und mit dem Mittelfinger an der empfindlichsten Stelle zu verweilen. Sie zitterte und war nahe daran, die Balance zu verlieren. Drückt er tiefer, fühlt er, wie feucht ich bin, dachte sie und verfluchte ihr Erröten, das sie vom Haaransatz nach unten kribbeln fühlte, wagte aber nicht, nach unten auf ihren Körper zu schauen, um zu sehen, ob sich die Röte ganz über sie ausgebreitet hatte. Verzweifelt hielt sie seinem Blick stand, nachdem der von ihrem Heimlichsten zurückgekehrt war - sein Finger verweilte weiterhin dort.
„Virgo?“, fragte er noch immer lachend.
So! Er konnte wenigstens ein Wort in christlicher Sprache. Vielleicht verfügten die Normannen über eine Art Wortliste über die wichtigsten Fragen und Anträge! „Virgo“ war wahrscheinlich eines der wesentlichsten Worte für einen Räuber wie diesen hier. Sie war nah daran „Fühl nach!“ zu sagen, schwieg aber.
„Na ja, Zeit genug, das zu erfahren“, murmelte er in seiner eigenen Sprache.
Dieses verstand sie nicht, konnte es aber vielleicht erraten. Seine Finger hatten mit der Untersuchung aufgehört, und ohne erklären zu können weshalb, fühlte sie sich ein wenig enttäuscht. Nach wie vor über das ganze Gesicht lachend ging er dann um sie herum. Nahm einige Schritte rückwärts und betrachtete sie von weitem. Sie konnte seinen Bewegungen folgen, indem sie über ihre Schultern blickte. Machte er einen Überschlag und errechnete, was er herausbekommen würde, wenn er sie verkaufte? Der Schreck durchrieselte sie erneut. Nun war er auf ihrer linken Seite und ließ die Hand im Vorbeifahren sich über ihren Stert wölben. Dann tat er etwas, was sie sich nicht hatte vorstellen können: Er hob ihren linken Arm und roch in ihrer Achselhöhle. Ein Dunst von seinem warmen Körper stach in ihre Nase, der war aber nicht abstoßend.
Als sie danach in seine Augen sah, wurde sie mit einem Mal ruhig: Dieser Mann hier würde sie nicht verkaufen. Er würde sie für sich selbst behalten - und sie fand in einer verwirrten Freude, dass sie es wollte.
Ihr Lachen traf seines. Für den Fall, er würde noch zögern, wollte sie versuchen, ihn zu überzeugen, ihn dazu zu bringen, zu wählen wie sie wollte. Eine andere Art, zu ihm zu sprechen, kannte sie nicht. Sie hatte gar kein Wort für das, was sie sagen wollte, auch wenn er ihre Sprache verstanden hätte.
Er beugte sich nach unten, nahm ihre Tunika von der Erde und ließ diese über sie fließen. Er sagte etwas zu ihr, was sie nicht verstand, und wandte sich dann zu seinen Männern. Zeigte und gestikulierte immer noch mit äußerstem Humor. Popa stand und wartete ab. Etwas würde nun mit ihr geschehen - aber was?
Als sie ihre Tunika wieder über sich hatte, sah sie, was sie eben aus ihrem Bewusstsein verdrängt hatte. Der Normanne hatte sie der Schande ausgesetzt, nackt von all seinen Leuten gesehen zu werden, während er sie betastete, als ob sie ein Schlachttier oder eine Hure wäre. Würde er sie wirklich so behandelt haben, wenn er sie für sich selbst wünschte? Oder lag irgendeine Art Angeberei in seiner öffentlichen Untersuchung: seht nur und werdet neidisch! Sie sah sich um. Ja, noch lag die Lüsternheit dick wie Käse über den grinsenden Gesichtern der Normannen. Die zeigten auf sie und machten Gesten und lachten untereinander, und jetzt erst fühlte sie sich trotz der bedeckenden Tunika ausgezogen.
Die Angst ergriff sie erneut. Zitternd suchte sie Schutz beim Anführer der Normannen, aber der hatte sich von ihr abgewandt. Er sprach mit dem, der sie in der Burg gefunden und sie hier herunter getragen hatte. Ein schneller Blick in ihre Richtung, dann wandte er sich zu den Schiffen und rief etwas. Popa konnte sehen, wie das Gesicht des Normannen nun ernst war.
Und siehe, ein groß gewachsener Kerl mit geschorenem Kopf kletterte aus einem Boot und kam zu ihnen heran. Das musste ein Mönch sein! Endlich jemand, mit dem sie sprechen konnte - obwohl, was sollte sie sagen?
Der Mönch lauschte verdrießlich eine Weile auf den Normannen, dann wandte er sich zu Popa.
„Das hier ist der erste Anführer der Normannen“, sagte er auf Fränkisch. „Rolf heißt er, wird aber von den Unseren Rollo genannt. Er sagt, noch nie eine schönere Frau getroffen zu haben. Dass du in der Burg des Grafen gefunden wurdest, macht ihn neugierig darauf, wer du bist? Mit dem Recht des Siegers kann er dich zu seiner Buhle nehmen oder dich verkaufen. Vielleicht taugst du auch zur Geisel und kannst gegen Gold getauscht werden: Ich kenne seine Meinung nicht recht. Aber nun will Rollo, dass du ihm über deine Herkunft Bescheid gibst. Und ich würde dir raten, die Wahrheit zu sagen. Weil er bald merkt, ob du gelogen hast - und dann wird dir dein Schicksal nicht gnädig sein.“
Popa holte tief Luft und schwieg eine Weile, bevor sie antwortete. Dann sah sie direkt auf Rollo und sagte:
„Ich bin Popa, Tochter des Grafen Odo Berenger, Herr über Bayeux bis zum heutigen Tag. Und ich bin es nicht gewöhnt zu lügen - jedenfalls nicht, wenn sich hier so viele Zeugen befinden.“
Sie zeigte auf die Leibwächter, die Frauen auf der Wiese wurden vielleicht nicht als Zeugen angesehen?
Der Mönch übersetzte und Rollos Gesicht wurde noch ernster. Er kratzte ein Wundmal, welches vom Bart zum linken Ohr verlief, und betrachtete sie erneut. Eine Weile schwieg er, dann sprach er wieder mit dem Mönch, aber dieses Mal sah Rollo die ganze Zeit auf sie.
Erneut übersetzte der Mönch Rollos Rede.
„Rollo sagt, zuerst daran gedacht zu haben, dich zur Buhle zu nehmen, ob du wolltest oder nicht. Aber nun, seit er erfahren hat, wer du bist, glaubt er, es wäre ohne deine Zustimmung nicht ratsam. Nach Graf Berengers Zustimmung zu fragen, findet er jetzt keinen Grund. Für die schimpfliche Behandlung, die er dich gerade hat ausstehen lassen, bittet er dich um Vergebung. Er ist jedoch nicht bereit, dich außer Sichtweite zu lassen, weshalb er dich vorerst mit nach Rouen nimmt. Dort darfst du in Ruhe beim Klostervolk von St. Ouen über sein Angebot nachdenken - ja, dort befinden sich nicht nur Brüder, sondern auch einige fromme Frauen mit eigenem Haus, sodass du dich nicht beunruhigen brauchst.“
Wahrhaftig, der Normannenanführer mochte sie. Da war es vielleicht nicht so, dass sie die Gefangene war, sondern er ... Der Mut stieg, und sie erdreistete sich zu fragen:
„Was geschieht, wenn Rollo meine - meine „Zustimmung“ nicht erhält?“
„Darüber wird er nachdenken, wenn der Tag gekommen ist. Während dieser Zeit verspricht er, dich bei den frommen Frauen in St. Ouen in Frieden zu lassen."
Sie blinzelte zu Rollo und ließ den kleinen Teufel, der in sie gefahren war, wieder heraus; vielleicht würde seine Geduld zu hart geprüft, aber sie konnte es nicht bleiben lassen:
„Reichen nicht die friesischen Nonnen als Jungfrauen?“
Der Mönch verstand nicht, übersetzte dennoch und sah Rollos Angesicht in ein breites Grinsen aufgehen.
„Sie ist eine Frau nach meinem Sinne, das höre ich! Sage ihr, sie darf in ihr Gefolge nehmen, wen sie will, und von ihrer beweglichen Habe, welche nun etwas zerstreut ist, so viel nach Rouen mit sich führen, so viel es ihr behagt.“
Popa sah sich um, auf die gebundenen Leibwächter und auf die eingehegten Frauen und Kinder. Dann schöpfte sie erneut Atem und nahm Anlauf:
„Ich benötige keine Bedenkzeit. Ich folge lieber dir, Rollo, jetzt sofort, und fühle keine Notwendigkeit, meine Tugend von irgendwelchen ungewaschenen Nonnen verteidigen zu lassen.“
Das Letzte wollte der Mönch nun nicht wortgetreu übersetzen, aber es reichte dazu, dass Rollo die Augenbrauen anheben und wieder froh aussehen sollte. Sie hob die Hand:
„Nur eine Bedingung: die anderen Gefangenen sollen ihre Freiheit wiederbekommen.“
Rollo verfinsterte sich, als er ihre Bedingung zu hören bekam, und auch die übrigen Anführer murmelten und hatten Einwände. Ein Halbdutzend Kerle versammelte sich um Rollo, um Rat zu schlagen. Zuletzt waren sie sich einig. Popa erhielt, was sie wollte, wenn auch nicht ganz.
„Alle vom fränkischen Stamm mögen gehen, wohin sie wollen, wenn sie nur über die Berge nach Süden verschwinden“, bestimmte Rollo. „Hier sollen hinterher nur verlässliche Nordbewohner zu finden sein.“
Damit die Franken nicht allzu große Bürden zu tragen hatten, befreiten die Normannen sie von allem überflüssigen Gut. Als sie darüber grummelten, völlig verarmt von Grund und Hof ziehen zu müssen, wurde Rollo böse und brüllte:
„Ihr sollt verdammt dankbar sein, dass ihr das Leben behalten dürft. Und wer nur im geringsten murrt, kann noch das Schwert kosten. Wir haben noch nicht das Willkommen vergessen, welches uns voriges Jahr empfing. Es sei nur Popa zu danken, dass wir euch nicht in eurem eigenen Dreck ertrinken lassen. Aber um euch auf den Weg zu helfen und euch dazu zu bringen, dankbare Gebete den Weg nach oben zu senden, lassen wir einigen von euch einen Vorgeschmack von dem Schicksal zukommen, das ich für die garstigsten von euren Frauen ausgedacht hatte.“
Er wählte einen Mann und eine Frau aus und diese wurden trotz heftiger Tränen und großen Widerstandes zurück in die Stadt geführt. Popa konnte am Anfang nicht feststellen, was die Unglücklichen erwartete, aber so allmählich begann sie es zu ahnen. Und als sie zurückkamen, waren sie über den ganzen Körper beschmiert und sprangen kopfüber in die Flut.
Es war so, dass die Burg von Bayeux in drei Etagen gebaut war. Im Innersten des Hauskörpers befand sich ein Rohr, welches zum Keller führte. Zu diesem Rohr führte eine Anzahl von Abtritten, und was in diesen verrichtet wurde, fiel herunter in die unterirdische Latrine. Mit jeder Frühlingsflut wurde ein Bach unter die Burg geleitet, um die Hinterlassenschaft des Jahres wegzuspülen. In diesem Jahr war jedoch keine Frühlingsflut gekommen und die Latrine war deshalb wohlgefüllt.
In dieser waren die Zwei getauft worden - als Dank für das Willkommen vom vergangenen Jahr. Nachdem sie die zwei Gefangenen hatten herauskommen sehen, muckste keiner mehr. Fort rannten sie. Als sie sich umsahen, fanden sie ihre Heimstatt in Flammen.
So trafen sie aufeinander, Rollo und Popa.
Am Anfang entsetzte sie sich viele Male: Was war in sie gefahren, dass sie sich beinahe ungenötigt mit den Normannen eingelassen hatte? Was würden ihr Vater und ihr Bruder und andere Verwandte denken, wenn die erfuhren, was sie getan hatte? Sicher meinten die, sie hätte lieber den Tod wählen sollen, als sich einem Heiden und Feind ihres eigenen Volkes und Landes als Buhle zu geben. Außerdem war der mehr als doppelt so alt wie sie.
Die einfache Wahrheit war, sie wollte ihn haben - und er sie. Eine Antwort, welche wohl vor ihren Verwandten nicht gelten würde ... Doch wessen Fehler war es, dass sie in Bayeux zurückgelassen wurde?
Auf dem Weg von Bayeux nach Rouen - „Adieu Bayeux!“ - hatte sie den Mönch so viel, wie sie wagte, ausgefragt. Denis hieß er, wie der Schutzpatron des Frankenreiches, und kam von Jumièges. Der Mönch war von seltsamer Art, und sie glaubte erst, seine Schweigsamkeit käme aus einem moralischen Grund: In seinen Augen musste sie eine Sünderin sein, zumindest eine werdende. Recht bald fand sie, Denis war von Natur aus bitter, wenn auch auf seinen Erlebnissen beruhend. Dass er Dänisch konnte, hing damit zusammen, dass er Sklave eines dänischen Häuptlings war, der dann ein mächtiger Herr beim dänischen König im östlichen England wurde. An und für sich hatte er es nicht so schlecht am dänisch-englischen Hof. Sein Herr hatte ihn an König Gudrum verschenkt, der sich nach seiner christlichen Taufe Adelstan nennen ließ, und dieser ungelehrte König hatte Denis als Schreiber benutzt. In Franreich waren seine Frau und seine Kinder zurückgeblieben, und während seiner Jahre in England hatte er nicht gewusst, ob sie lebten oder nicht.
„Aber dann kam Rollo nach England“, berichtete Denis. „Am Anfang war es wohl so und so mit der Freundschaft zwischen ihm und dem König. Aber nach einem Plünderungszug entlang der Küste des Kontinents kam Rollo mit großen Reichtümern zurück. Und was noch besser war: mit einem richtigen Heer, welches sich an Adelstanes Seite gegen andere englische Könige schlug. Danach stand Rollo hoch in der Gunst. Der König wollte, dass Rollo als Jarl in seinem Reich verbleiben sollte, aber Rollo lehnte dankend ab; aus einem gewissen Grund glaubte er, sein Glück würde auf ihn in Frankreich warten.“
„Ist Rollo getauft?“, wollte sie wissen.
„Nein, nur primgesegnet. Unterbreche mich nun nicht, nachdem ich in Gang gekommen bin, auf deine vielen Fragen zu antworten. Kurz und gut, Rollo fasste Zuneigung zu mir. Vielleicht war es, weil ich ein wenig Dänisch konnte, vielleicht hatte er Nutzen davon, was ich vom Land um die Seine herum zu berichten wusste. Als er hierher von dannen zog, bat er den König, mich freizukaufen und mit sich nehmen zu können. Wie du bemerkt hast, bin ich so eine Art Dolmetscher für ihn. Er ist ein guter Mann, mitten in seinem heidnischen Unverstand - möge St. Denis mit ihm sein auf allen seinen Wegen. Und mit dir auch; ich glaube, du wirst ihm Segen bringen.“
Sie verstummte beinahe vor Verwunderung.
„Ich dachte, du würdest mich verachten“, antwortete sie schließlich.
Denis schüttelte mit dem Kopf. Als er nichts weiter herausbrachte, versuchte sie es erneut mit einer Frage:
„Aber wenn nun der englische König getauft und Rollos Freund ist, weshalb überredete er da nicht Rollo, sich taufen zu lassen?“
Denis schüttelte erneut seinen Kopf, zog eine Zwiebel heraus und begann davon zu essen.
„Das sollst du versuchen, selbst herauszufinden", schlug er vor. „Rollo mag es merkwürdigerweise nicht, darüber zu reden. „Das hat Zeit." antwortet er, wenn ich ihm zusetze. Ich glaube, er rechnet damit, sich eine Art Vorteil von einem hohen Herrn zu verschaffen, wenn er sich taufen lässt - vielleicht vom fränkischen König sogar. Aber er ist kein Heide schlecht und recht und überhaupt kein Feind der christlichen Kirche. Im Gegenteil, als er von seinem flandrischen Zug kam und bei Jumièges an Land ging, hatte er die Reliquien von St. Hameltrudis bei sich und legte diese auf den Altar von St. Vaas. Und er hat heilige Träume gehabt – aber über die soll er selbst berichten, wenn er meint, sie sollten berichtet werden."
Heide und doch nicht ... Sie brachte es nicht zusammen. Das war genauso schwer erklärbar wie, dass sie hier in Rollos Boot saß, auf dem Weg, seine Geliebte zu werden.
„Jumièges“, erinnerte sie sich. „Hast du etwas über die Deinen erfahren?“
„Ja und nein“, antwortete er kurz und schwieg dann. Denis hatte für dieses Mal genug geredet. Auf ihre nächste Frage antwortete er gar nicht und dann setzte er sich woanders hin.
An der nächsten Flussmündung lag eine Flotte normannischer Schiffe, und diese schlossen sich nun Rollos Schiffen an. Aus dem fröhlichen Gespräch zwischen den Booten zog sie den Schluss, dass auch diese Männer beim Überfall auf Bayeux dabei gewesen waren. Sie fragte Denis, und dieser bekräftigte ihr Raten mit einem Nicken. Also waren sie im Gegensatz zu dem, was Bayeux erwartet hatte, mit ihren Entertreppen über den Landweg gekommen ...
Popa war noch niemals so weit ostwärts bis zur Seinemündung gewesen. Wie gewöhnlich warteten die Schiffe die Flutzeit ab und ritten auf dem Rücken der Flutwelle die Seine hinauf; sonst hätte man gegen den Strom rudern müssen. Von Booten hatte Popa wenig Ahnung, aber diesen Kniff konnte sie nicht genug bewundern!
Von der Seinemündung und ein gutes Stück aufwärts lief die Flussrinne gerade und breit durch eine flache Landschaft; man fand dort nicht viel, was das Auge erfreute. Aber jetzt machte der Fluss eine scharfe Wendung und die Hänge wurden steiler, immer grüner, immer blühender. Das war schön! Sie erhob sich, stellte sich an die Reling und nahm mit all ihren Sinnen auf, was sie sah, hörte und fühlte. Ein gellender Pfiff ließ sie sich nach achtern wenden. Es war Rollo, der mit den Fingern im Mund von seinem Platz oben auf dem lyfting gepfiffen hatte. Er winkte sie zu sich und sie kam. Dann hob er sie zu sich herauf, setzte sie sich auf seine Knie und hielt sie um ihre Mitte. Seine freie Hand machte einen weiten Bogen.
Ja, sie sah. Der steile Kalkfelsen, der Steilhang leuchtete zwischen üppigen Gewächsen, die hinauf und herunter in allen Regenbogenfarben wuchsen.
Die Fahrt ging mit Windeseile im Takt der Springflut. Der Fluss machte eine neue Biegung und gleich noch eine schärfere. Sie brausten an einer gewaltigen Schlange entlang voran, und unbewusst drückte sie sich dichter an Rollo: Wenn der Rudersmann nicht aufpassen und sie quer zur Strö-mung geraten oder geradeaus fahren würden, statt zu schwenken! Rollo lachte; er verstand, was sie fühlte.
„St. Vandrille Backbord“, unterwies er sie. „Altes Kloster.“
Ja, sie verstand; aber von dem Kloster war nicht viel geblieben. Freveltat der Normannen, dachte sie und wurde mit Schmerzen an das brennende Bayeux erinnert. Sie hoffte auf den Augenblick, in dem sie es ihm in seiner Sprache sagen konnte! Jetzt musste sie sich damit begnügen, sich zu wenden und auf die Ruinen zu zeigen, mit dem Kopf zu schütteln und böse auszusehen. Er lachte wieder sein dröhnendes Lachen, sodass sie auf seinen Knien hüpfte.
„Ich werde das alles bald wieder aufbauen!“, rief er, ließ sie los und formte mit den Händen, weshalb sie nahe daran war, von seinen Knien zu fallen. Er nahm sie erneut in den Griff, fester nun und höher; seine großen Hände umfassten jede eine ihrer Brüste, und die Hände wussten bald, dass die Brüste wussten. Popa fühlte, wie die Warzen unter seinen wandernden Fingern steif wurden. Kein Mann hatte vorher ihre Brust berührt, und nun, da er es tat, breitete sich ein kribbelndes Gefühl in ihrem Körper aus und schlug gerade dort Wurzel, wo er sie am Strand von Bayeux angefasst hatte; auch dort hatte sie bisher noch kein Mann berührt. Erschreckt fragte sie sich, ob die anderen Männer an Bord bemerkten, was mit ihr geschah, aber da ließ er plötzlich ihre linke Brust los und zeigte wieder:
„Jumièges! Das Kloster, von dem Denis herkommt - das steht zumindest noch, jedenfalls das meiste. Sankt Per geweiht.“
Dann wechselte er den Griff wieder zur linken Brust und mit der rechten Hand in einem neuen Bogen heraus:
„Dort St. Vaast! Dort setzte ich zum ersten Mal meinen Fuß auf fränkische Erde.“
Dem meisten, was Rollo sagte, konnte Popa dank ihres Gesprächs mit Denis folgen. Plötzlich bog sich die Seine so gefährlich, dass Popa für einen Augenblick glaubte, sie würden wenden. Rollos Hand kehrte nicht zurück, und die linke Hand vergaß, was sie vor sich hatte, und sank auf ihren Bauch. Rollo war in Gedanken versunken: Er erinnerte sich zurück und träumte voraus. Popa war dafür dankbar, gleichzeitig, wie sie seine Hände vermisste ...
Zwei schwindelnde Biegungen erreichte die Flut, dann waren sie vor Rouen. Die Ruderer mühten sich aus Leibeskräften, das Schiff aus der Hauptströmung und in ruhigeres Wasser nach Backbord zu bringen.
Rouen ...
Die Stadt sollte die vornehmste neben Reims sein, aber was Popa sah, waren meistens Ruinen, notdürftig zusammengeflickt und mit Segeltuch gedeckt - wenn sie überhaupt einen Schutz gegen Sonne und Regen hatten. Aber die Normannen hatten starke Mauern aufgebaut; sie sah, große Teile der Mauern waren neu, wie auch Türme und Erker. Ein Pfahlkranz umschloss das äußere Hafenbecken und eine Insel im Fluss, wodurch ein guter Hafen gebildet wurde. Innerhalb dieses Hafens befand sich noch ein Wall und in diesem ein Wassertor. Rollos Schiff musste den Mast umlegen, um hindurchzukommen. Der Sinn war, dass drinnen weder Gezeiten noch Feinde Unruhe bringen konnten.
Rouen war eine einzige große Befestigung. Hierher würden sich die Normannen in äußerster Not zurückziehen können - denn kein fränkischer oder flämischer Markgraf träumte etwas anderes, als stark genug zu werden, um die Räuber ins Meer zu werfen. Käme es jedoch dazu, dass die Normannen gezwungen waren, Frankreichs Erde zu verlassen, waren die Schiffe ihr Nabelstrang, ihre einzige Möglichkeit zur Befreiung. Also war es notwendig, die Schiffe so gut wie möglich zu schützten. Was Popa noch nicht verstand - und was selbst die Normannen noch nicht richtig begriffen hatten - war, dass die Franken wenig Geschick mit Kriegsschiffen hatten und darin niemals so sehr viel besser werden sollten. Auf den Flüssen und entlang der Wasserwege blieben die Normannen die Herren, unabgesehen aller Vorsichtsmaßnahmen.
Die Normannen, die kein Quartier in ausgeräumten Häusern oder in geflickten Ruinen genommen hatten, wohnten in hölzernen Gassen entlang des Hafens, manche sogar in einem Zelt. Zwischen diesen Zelten und Buden liefen Waschrinnen, und Popa sah zu ihrer Überraschung mehrere Frauen und Kinder. Waren die Frauen Sklaven - wie sie selbst? Nein, viele sprachen Rollos Sprache, das hörte sie, als sie sich zwischen Booten und Land gegenseitig anriefen.
Bald sollte sie erfahren, dass viele Nordleute ihre Familien mitgenommen hatten. Die eine oder andere Frau war von fränkischer Herkunft und war auf ungefähr gleiche Weise wie Popa im Heer gelandet. Und dann gab es natürlicherweise auch Sklaven, Männer und Frauen - obgleich keiner von denen Nordmensch war.
Popa hatte erwartet, man würde ihre Sachen losbinden und an Land bringen, ja, natürlich auch, dass sie selbst an Land gehen durfte. Aber Rollo hatte nur ein Geschäft in der Stadt zu erledigen. Bald war er wieder an Bord und das Schiff steuerte wieder in die Hauptströmung und fuhr noch weiter den Fluss hinauf. Wohin in aller Welt waren sie auf dem Weg?
Die Seine war nun, wenn das möglich war, noch weniger geneigt, zwischen den Bergen zu laufen, und wand sich so heftig, dass Popa voll zu tun hatte, sich auf den Beinen zu halten. Kroch sie unter Deck, wurde ihr schwindlig und sie musste sich erbrechen. Sie ließ deshalb alle Fragen sein und schloss sich in ihr Schweigen ein. Der Anblick des verwundeten und geflickten Rouen hatte auch ihren Mut sinken lassen. Wenn es hier so ärmlich war, wo die Normannen lebten, wie sollte sie es da aushalten! Und weshalb brannten sie eine so ausgezeichnete Festung wie Bayeux nieder! Sie sollte den Mann hassen, der ihr Heim zerstört hatte, anstatt ... Sie suchte Rollo mit dem Blick, aber er hatte jetzt keine Zeit für sie, er stand spähend am Bug. Wieder schlug das Entsetzen über sie: Wie konnte sie anderes als Abscheu für ihn fühlen? Sie sah ihn nun als den Fremdling, der er war. Was war es, das ihr in seiner Nähe die Sinne verwirrte? Welcher Dämon hatte ihr Sand in die Augen geworfen?
Es war wahr: Sie hatte nur zu wählen zwischen ihm oder als Sklavin verkauft zu werden ...
Es dauerte nicht lange, bis sich das Schiff wieder dem Land näherte. Sie wählten dieselbe Seite des Flusses wie in Rouen. Backbord wurde sie gewissermaßen genannt; also würden sie auf der rechten Seite der Seine an Land gehen - sie hatte gelernt, dass man immer die rechte und linke Seite eines Flusses von oben, von der Quelle zum Meer festlegte.
Sollten sie hier wirklich bleiben?
Desgleichen hatte sie nie gesehen oder sich vorstellen können. Das Boot hatte sie mitten in ein gewaltiges Heerlager geführt. Mit dem, was sie sah, sollte sie in den nächsten Jahren bis zum Überdruss wohlbekannt werden; jedoch hörte sie niemals auf, von der wahnwitzigen „Stadt“ fasziniert zu sein. Ihr zukünftiger Streifzug gab ihr dieses Bild vom Lager der Normannen:
Ein hoher Erdwall lief um das äußere Lager und innerhalb des Walles mit den Giebeln zu diesem standen niedrige, lang gestreckte Gebäude Seite an Seite. In der Mitte des Lagers befand sich eine kreisrunde Anlage mit noch höheren Wällen. Zwei holzbelegte Straßen kreuzten einander mitten im Lager und führten zu vier Toren in vier Himmelsrichtungen. Die Straßen teilten die „Stadt" in vier gleiche Quadranten auf, jeder beherbergte vier bootförmige Gebäude. Diese vier Häuser waren so gelegen, dass sie einen vierseitigen Hof umschlossen.
Allmählich entdeckte Popa, auch die Häuser des äußeren Gürtels waren nach gleichem ungewöhnlichen Muster gebaut; von oben mussten die wie Seite an Seite vertäute Schiffe aussehen.
Eins von diesen inneren Vierteln war Rollos „Quartier“ - im buchstäblichen Sinn.
Er hatte ihr an Land geholfen und behielt dann seinen Griff um ihren Arm bei, während er die Schritte geraden Wegs zu seinem Quartier steuerte. Stolz schlug er das Tor an der Giebelseite auf und bat sie einzutreten. Zuerst schien ihr das langgestreckte und bis auf einige Luken fast fensterlose Gebäude ein Stall oder Magazin zu sein.
Nachdem sich ihre Augen ein bisschen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, wurde sie an den Längsseiten Tisch und Bänke und mitten an den Längsseiten erhöhte Sitze gewahr - Rollo nannte sie Hochsitze. In der Mitte auf dem Boden war ein länglicher Herd aus Steinen eingemauert und über allem hing ein Rauchfang mit einem Fries rundherum. Auf dem Fries standen lange Trinkhörner und Kannen, Abendmahlskelche und kleiner Becher aus Gold und Silber. In Augenhöhe waren die Wände mit Borten oder Wandbehängen bekleidet; deren Muster waren ungewohnt - aber schön. Die Wandteppiche konnten wohl eine halbe Elle breit sein. Im Übrigen war der Saal bis auf eine Anzahl aufgespannter Felle samt aller Art von Waffen kahl.
Popa musste mächtig verwundert ausgesehen haben, weil Denis hereingerufen wurde. Er erklärte, dies wäre die Halle eines normannischen Fürsten. Sogar die größten Könige im Norden hielten sich an „Schalen" wie diese. Dort aßen und tranken sie am Abend mit ihren Männern und Gästen - ja, auch Frauen durften bei den Festen dabei sein, solange sie wollten oder sollten ...
Das Letzte sagte Denis mit leiser Stimme.
Dann war es Zeit für Popa, das Allerheiligste der Halle sehen zu dürfen. Rollo ging zu einem schrankähnlichen Aufbau in der äußersten linken Ecke und zog die Vorhänge weg. Oho, das war ein Himmelbett. War es ihr also bestimmt, dort drinnen zwischen den Fellen mit ihm zusammen zu liegen?
Sowohl als auch. Rollo und Denis hatten es eilig, sie aus der Halle und um die Ecke zu führen. Und dort, an den Giebel angebaut, stand ein kleines Haus aus Holz. Eine steile Treppe führte zu einer Galerie. Rollo sprang hinauf und bedeutete ihr nachzufolgen. Nach einiger Mühe mit ihrem langen Rock kam sie die Treppe hinauf und schaute in eine hübsche Kammer. Das war ihr eigenes kleines Haus, erklärte Rollo - er war flink in der Zeichensprache. Und unten im Erdgeschoss fand sie etwas, was wohl im fränkischen Sprachgebrauch Salon oder Boudoir genannt werden könnte – aber auch hier stand ein Schrankbett, wenn auch nicht von so gewaltigem Ausmaß wie Rollos.
„Hier schläft deine Dienerin“, erzählte Rollo während Denis nebenher lief und übersetzte. „Sie ist Frankin und heißt Arlette, und sie wird dir helfen, heimisch zu werden. Nun darfst du dich bis zum Abendessen einrichten. Wann dieses sein wird, wirst du hören - da schlägt man auf das Kupferbecken, das vor der Halle hängt. Aber komm dann sofort! Derjenige, der sich aufhält und später kommt, als ich den ersten Kelch getrunken habe, muss büßen.“
Wie in den Märchen stand auf einmal alles um sie herum, was sie sich wünschen konnte: die sich verbeugende Arlette, all ihr Eigentum, das sie bei der Burg in Bayeux ausgesucht hatte - und dazu viele Dinge, von denen sie gedacht hatte, sie würden auf einem Schiff keinen Platz finden. Himmel, wohin sollte sie alles stellen und legen! Aber Arlette fand Rat. Rollo hatte eine ganze Längsseite als Speicher. Popa konnte ihre Kisten dort unterbringen, bis Rollo ihr ein eigenes Haus schaffen konnte, das größer war. Erst jetzt bemerkte Popa, dass sie ja die ganze Zeit fränkisch mit Arlette sprechen konnte - und da setzte sie sich hin und weinte.
Als sie sich ein bisschen erholt hatte, folgte sie Arlette zum Speicher. Und das war nicht irgendein beliebiger Speicher!
Überall an den Wänden, auf dem Fußboden, unterm Dach hingen, standen und lagen Kostbarkeiten zu Tausenden. Kisten voller Gold und Silber, Münzen und Armringe, Fingerringe und Ketten, Abendmahlskelche und Kruzifixe. Dicke Ballen aus Brokat und Kleider und unzählige andere Tucharten. Seidenmäntel und Biberpelze - bald würde der Bärenpelz ihres Vaters hier landen.
Sie konnte nicht alles beim Namen nennen, was sie sah. Hier wurde es also gesammelt, alles, was die Normannen während der Jahre in ihrem Land geraubt hatten, in „ihren" Kirchen und Klöstern. Gegen ihren Willen näherte sie sich dem Regal mit kostbaren Frauenkleidern und strich über Tücher und Stickereien. Wer etwa hatte diese besessen und getragen?
„Aber", sagte sie verwirrt, „dass man wagt, alle diese Reichtümer hier so offen zu lagern! Du hast ja keinen Schlüssel - und das Tor steht unverschlossen ...!"
„Oh“, antwortete Arlette, „hier im Lager der Normannen stiehlt jemand nicht mal einen Kamm. Der würde sofort gehängt.“
Aber ... Popa schwieg über das, was sie dachte: Wenn diese Regel für das Heer und die Normannen galt, war es ja nicht sicher, dass sich Franken wie Arlette und sie selbst daran hielten. Was hinderte es, dass Arlette stahl, so viel sie zu tragen vermochte, und entfloh?
Arlette musste ihr Gedanken gelesen haben.
„Kein Dieb kommt hier weit. Alle, die es versucht hatten, kehrten zurück - um gehängt zu werden ..."
Das klang wie eine Warnung!
Deutlich waren die inneren Viertel vornehmer als die äußeren, am nächst stattlichsten war das von dem ihr von Bayeux bekannten Marschall Botho, und dann wohnten die übrigen normannischen Anführer darin - oft mit Familien. Keiner von ihnen verschloss die Tür hinter sich ...
Jedoch erlebte Popa das Heerlager wie ein Gefängnis. Wälle überall, wohin man schaute. Und ohne Schutz durfte sie nirgendwohin gehen.
„Ich glaubte, du hättest eine Burg in Rouen?“, versuchte sie es, als Rollo sie eines Tages umherführte.
„Die werde ich wohl bald haben“, antwortete er zögernd. „Aber lieber baue ich mir einen prächtigen Hof in einem fruchtbaren Tal, wenn ich einmal Zeit und Ruhe finde.“
„Ja, tu das!", ermunterte sie ihn eifrig. Was auch immer, es musste wohl besser sein als dieses Gefängnis hier. „Kann Rouen nicht reichen, bis ...?"
Er machte eine weite Handbewegung über das Lager.