Der Pfau - Isabel Bogdan - E-Book
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Der Pfau E-Book

Isabel Bogdan

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Beschreibung

Eine subtile Komödie in den schottischen Highlands – so britisch-unterhaltsam ist in deutscher Sprache noch nicht erzählt worden! Ein charmant heruntergekommener Landsitz, auf dem ein Pfau verrücktspielt, eine Gruppe Banker beim Teambuilding, eine ambitionierte Psychologin, eine schwungvolle Haushälterin mit gebrochenem Arm, eine patente Köchin, Lord und Lady McIntosh, die alles unter einen Hut bringen müssen, dazu jede Menge Tiere – da weiß bald niemand mehr, was eigentlich passiert ist. Isabel Bogdan, preisgekrönte Übersetzerin englischer Literatur, erzählt in ihrem ersten Roman mit britischem Understatement, pointenreich und überraschend von einem Wochenende, das ganz anders verläuft als geplant. Chefbankerin Liz und ihre vierköpfige Abteilung wollen in der ländlichen Abgeschiedenheit ihre Zusammenarbeit verbessern, werden aber durch das spartanische Ambiente und einen verrückt gewordenen Pfau aus dem Konzept gebracht. Die pragmatische Problemlösung durch Lord McIntosh setzt ein urkomisches Geschehen in Gang, das die Beteiligten an ihre Grenzen führt und sie einander näherbringt. Ein überraschender Wintereinbruch, eine Grippe und ein Kurzschluss tun ihr Übriges. Isabel Bogdan verbindet diese turbulente Handlung auf grandiose Weise mit liebevoller Figurenzeichnung.

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Seitenzahl: 282

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Isabel Bogdan

Der Pfau

Roman

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Über Isabel Bogdan

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

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Über Isabel Bogdan

Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch, »Sachen machen«, bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Bestsellerroman »Der Pfau« und 2019 »Laufen«. 2024 erscheint ihr neuer Roman »Wohnverwandtschaften«.

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Über dieses Buch

»Einer der Pfauen war verrückt geworden.« Dummerweise geschieht das gerade, als Chefbankerin Liz und ihre vierköpfige Abteilung sich mitsamt einer Psychologin und einer Köchin zum Teambuilding in die ländliche Abgeschiedenheit der schottischen Highlands zurückgezogen haben. Der verrückt gewordene Pfau, das rustikale Ambiente und ein spontaner Wintereinbruch sorgen dafür, dass das Wochenende ganz anders verläuft als geplant. So viel Natur sind die Banker nicht gewohnt.

Isabel Bogdan erzählt in ihrem ersten Roman pointenreich und überraschend von der pragmatischen Problemlösung durch Lord McIntosh, von der verbindenden Wirkung guten Essens und einer erstaunlichen Verkettung von Ereignissen, die bald keiner der Beteiligten mehr durchschaut.

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Leseprobe »Wohnverwandtschaften«

For Jeannie and Hector Maclean

Einer der Pfauen war verrückt geworden. Vielleicht sah er auch nur schlecht, jedenfalls hielt er mit einem Mal alles, was blau war und glänzte, für Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt.

Nun gab es oben in dem kleinen Tal am Fuße der Highlands glücklicherweise kaum Dinge, die blau waren und glänzten. Es gab Wiesen und Weiden und Bäume und überhaupt viel Grün, und es gab die Heide. Und jede Menge Schafe. Das einzige blau Glänzende, was sich gelegentlich hierher verirrte, waren die Autos von Feriengästen. Lord und Lady McIntosh hatten die ehemaligen Wirtschaftsgebäude, Scheunen und alles, was sonst zu ihrem Anwesen gehörte und sich dafür eignete, zu Feriencottages umbauen lassen, damit der alte Kasten das Geld, das er verschlang, wenigstens halbwegs wieder hereinholte. Die ältesten Teile des Herrenhauses stammten vermutlich noch aus dem siebzehnten Jahrhundert, in den folgenden Jahrhunderten hatte es verschiedene Anbauten und Erweiterungen gegeben. Für laufende Modernisierungen war nicht immer genügend Geld da gewesen, und so war es bis heute. Das Haus kostete Geld. Mal platzte der Außenputz ab und musste erneuert werden, dann barst ein Wasserrohr, dann musste das Dach neu gedeckt werden. Die Elektrik reparierte die Lady meist selbst, weil heute kaum noch ein Elektriker mit 110 Volt umgehen konnte und sich mit den alten Sicherungen auskannte. Die Heizkosten trieben den McIntoshs regelmäßig den Schweiß auf die Stirn, was man von den Temperaturen im Haus nicht behaupten konnte. Der Boden im Erdgeschoss bestand aus Steinplatten, dort wurde es nicht mal in besonders heißen Sommern warm, und heiße Sommer waren selten. Im Winter war es umso kälter. Es gab eine Zentralheizung, die den Namen nicht verdiente, und so war es in den meisten Räumen eben kalt. Nur in der Küche war es immer angenehm, weil dort stets ein Feuer im großen Aga brannte. Der Lord und die Lady saßen fast das ganze Jahr über abends vor dem Kamin in der Bibliothek, wo sie lasen, arbeiteten oder DVDs schauten. Im Winter trugen sie nachts im Bett manchmal Wollmützen. Es machte ihnen nichts aus, sie waren es gewohnt. Wenn sie durchgefroren waren, gingen sie in die Badewanne oder den Hot Tub draußen auf der großen Rasenfläche.

Der Lord witzelte manchmal, er könne auch gleich versuchen, das Haus mit Geldscheinen zu isolieren. Der Lord war Altphilologe und verstand nicht viel vom Hausbau. Die Lady war Ingenieurin und verstand etwas mehr davon, auch wenn sie in einem Windkraftunternehmen arbeitete. Beide beherrschten die Grundrechenarten. Sie waren nicht arm, zum Leben reichte es gut, aber nicht für eine Grundsanierung des alten Anwesens.

Die Cottages waren nur geringfügig moderner ausgestattet, sie waren etwas besser isoliert, hatten Teppichboden und niedrige Räume, sodass sie deutlich besser beheizbar waren. Und natürlich gab es Heizdecken in sämtlichen Betten. Es war ganz gemütlich im ehemaligen Pförtnerhaus an der Einfahrt, etwa anderthalb Meilen vom Herrenhaus entfernt, im Gärtnerhaus auf der anderen Seite des Flüsschens, im Waschhaus eine halbe Meile weiter talaufwärts, im ehemaligen Pferdestall hinter dem Wäldchen und in den anderen Cottages, die weiter weg im Tal verstreut lagen, an Schotterpisten oder am Ende unbefestigter Wege. Seine nächsten Nachbarn besuchte man hier mit dem Auto, und falls man auf dem Heimweg betrunken war, war es nicht so schlimm, denn es war weder mit Verkehr noch mit Kontrollen zu rechnen. Falls man im Graben landete, gab es genügend Traktoren, die einen wieder herausziehen konnten. Es gab das sogenannte Village, das aus einer Handvoll Häuser, einer winzigen Kirche und einer Telefonzelle bestand, die seit Jahren niemand mehr benutzt hatte.

Die Vermietung der Cottages lief ganz gut, die Leute liebten die Ruhe und die Natur. Mal von allem wegkommen, kein Handyempfang, kein Fernsehempfang, nur das Rauschen des Bachs. Sie kamen vor allem im Sommer, oft Paare mittleren Alters, die zu Hause viel arbeiteten und hier hauptsächlich spazieren gingen, oder Familien mit Kindern. Das Leben verlief hier langsamer als in den Städten, der nächste größere Ort war zwölf Meilen entfernt.

In einem Anfall von Übermut hatte Lord McIntosh eines Tages fünf Pfauen erworben, drei Weibchen und zwei Männchen; er stellte es sich hübsch vor, wenn die Männchen auf der riesigen Rasenfläche vor dem Wohnhaus umherstolzierten und Räder schlugen. Die weniger hübschen Weibchen sollten sich dezent im Hintergrund halten und den Männchen unauffällig überhaupt erst einen Grund liefern, miteinander zu wetteifern und Räder zu schlagen. So hatte Lord McIntosh sich das vorgestellt. Lord McIntosh mochte Tiere im Allgemeinen sehr gern, verstand aber nicht sonderlich viel von ihnen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Pfauen ihren Bewegungsradius ausweiten und meist gar nicht zu sehen sein würden. Er hatte auch nicht damit gerechnet, dass man sie umso besser hörte, ihre Schreie hallten weit durchs Tal, es klang ein bisschen nach Urwald. Aber daran gewöhnten die McIntoshs sich, die Pfauen waren weitgehend sich selbst überlassen und gingen ihrer Wege. Und Räder schlugen sie auch nur zur Balzzeit im Frühjahr, danach warfen sie die langen Schwanzfedern ab. Sie wuchsen erst im nächsten Frühjahr wieder, was Lady McIntosh jedes Jahr aufs Neue beeindruckte. Die Natur war doch voller Wunder. Einmal im Jahr brüteten die Pfauen irgendwo im Wald und bekamen Junge, von denen die meisten nicht überlebten. Pro Jahr schafften es vielleicht ein oder zwei, inzwischen waren es mindestens vier Männchen und sechs Weibchen, aber so genau wusste das niemand. Nur gelegentlich fütterte der Lord die Tiere, vor allem im Winter, wenn sie nicht viel zu fressen fanden. Manchmal erfror eins irgendwo im Wald, und die McIntoshs wussten nicht recht, warum, denn eigentlich versammelten die Pfauen sich im Winter im Schuppen hinter dem Haus, wo sie gefüttert wurden und es deutlich wärmer hatten. Die Pfauen arrangierten sich mit den beiden Hunden Albert und Victoria, oder umgekehrt: Albert verstand irgendwann, dass die Pfauen sich erstens zur Wehr setzten und zweitens ohnehin nicht als Spielzeug freigegeben waren, und Victoria war zu klein und zu alt, um überhaupt noch auf solche Ideen zu kommen. Auch mit der grantigen alten Gans einigten sie sich irgendwann auf ein paar soziale Gepflogenheiten und Umgangsformen sowie die Verteilung der Futternäpfe, und nach einer Weile kamen alle Tiere miteinander aus und ließen sich im Wesentlichen in Ruhe. Man lebte friedlich nebeneinanderher, und die Feriengäste waren so oder so entzückt.

 

Bis einer der Pfauen verrückt wurde. Oder schlecht sah. Hinterher ließ sich natürlich nicht mehr feststellen, was es war und wann es angefangen hatte. Als Mr und Mrs Bakshi Ende August ankamen, konnte jedenfalls noch niemand etwas ahnen. Die Bakshis hatten für drei Wochen eines der Cottages gemietet, sie bezogen das ehemalige Waschhaus und fanden es zauberhaft und hinreißend und sagten ziemlich oft, wie gut sie es doch hätten und wie reizend das doch alles sei und was für ein Glück, dass sie hier gelandet seien. In Wahrheit war auch das Cottage nicht gerade luxuriös. Es gab keine Dusche, nur eine unisolierte Badewanne, in der das Wasser immer gleich wieder abkühlte. In der Küche war der Fußboden so schief, dass die Bakshis sich in den ersten Tagen fühlten wie auf einem Schiff, denn der Boden war beim Gehen immer haarscharf nicht dort, wo man ihn erwartete. Aber es dauerte nicht lange, da hatten sie sich daran gewöhnt, dass das Wasser in der Spüle nicht komplett ablief, weil der Abfluss nicht an der tiefsten Stelle lag; auch damit, dass das Öl in der Pfanne sich immer auf einer Seite sammelte, konnte Mrs Bakshi umgehen, sie fand auch das charmant und zauberhaft. Irgendwann fanden sie es sogar praktisch, dass jede Weintraube, die ihnen hinunterfiel, in dieselbe Ecke kullerte.

Mr Bakshi spritzte einmal am Tag mit dem Gartenschlauch die Bodenplatten vor dem Cottage ab, um den Gänsedreck wegzuspülen. Die Gans hielt sich aus unerklärlichen Gründen am liebsten direkt vor ihrer Tür auf, und Mr Bakshi war täglich aufs Neue beeindruckt, wie viel Dreck eine einzige Gans produzieren konnte. Lady Fiona McIntosh war es ein bisschen unangenehm, dass die Gans sich ausgerechnet den Platz vor der Tür des Waschhauses als neuen Lieblingsplatz ausgesucht hatte, aber die Bakshis versicherten ihr, dass es ihnen überhaupt nichts ausmache. Eigentlich, sagte die Lady, sei so eine Gans auch nicht fürs Alleinsein gemacht, das sei nicht gut für sie, aber sie wollten nicht bis in alle Ewigkeit immer neue Gänse anschaffen müssen, nur damit nicht eine allein sei. Vielleicht suchte sie also nur ein bisschen Gesellschaft.

Die Bakshis verbrachten die drei Wochen hauptsächlich mit Nichtstun. Sie gingen viel spazieren, die Einfahrt hinunter, am Pförtnerhäuschen vorbei durchs Village, an einer Weide entlang, auf der überraschenderweise zwei Alpakas standen, über die kleine Fußgängerbrücke über den Fluss, auf der anderen Flussseite wieder zurück bis zur übernächsten Brücke und von dort aus zurück zum Haus. Oder sie gingen hinter dem Haus links hoch, an der verfallenen Kapelle vorbei, die etwas versteckt abseits des Weges unter dichten Bäumen lag, über eine Kuhweide und im großen Bogen bis zur Einfahrt und von dort aus zurück. Unterwegs pflückten sie Brombeeren oder blieben stehen, um die Aussicht auf die hügelige Landschaft und die weiter im Norden liegenden Highlands zu genießen. Sie öffneten Gatter und traten in Kuhfladen, kletterten über Zäune und traten in Schafköttel, sie spülten ihre Schuhe im Bach ab, der durch das Tal rauschte, und wuschen sich darin die Hände. Sie staunten über die schiere Menge von Kaninchen, beobachteten Vögel und einmal sogar einen kapitalen Hirsch. An einem besonders warmen Tag zeigte Lady McIntosh ihnen eine versteckte Stelle unter den Bäumen hinter einer Kuhweide, wo der Bach breiter war und einen natürlichen Pool bildete, in dem sie schwimmen konnten. Es war kalt, aber herrlich, man konnte entspannt gegen den Strom schwimmen und blieb dadurch an Ort und Stelle. Die Bakshis lachten vor Vergnügen, trockneten sich hinterher schnell ab und zogen sich an.

Ansonsten lasen sie und sahen der Gans und den Pfauen beim Stolzieren über die große Rasenfläche zu. Mr Bakshi schlich hartnäckig hinter den Pfauen her und versuchte, sie zu fotografieren, was sich als verblüffend schwierig erwies, und Mrs Bakshi häkelte eine Decke für ihr erstes Enkelkind, das bald kommen sollte.

 

Sie waren von allem so begeistert, dass sie die McIntoshs an ihrem letzten Abend zum Abschied zu sich ins Waschhaus einluden, wo Mrs Bakshi dem Lord und der Lady ein spektakuläres Geflügelcurry auftischte. Eigentlich gehörte es sich nicht, zahlende Gäste in ihrem Cottage zu besuchen, aber seit dem Tod des alten Lords vor einigen Jahren waren Hamish und Fiona McIntosh da nicht mehr so.

Als Erstes wollte Lord McIntosh an diesem Abend jedoch die Formalitäten erledigen. Das schottische Fremdenverkehrsamt führte eine statistische Erhebung durch, alle Feriengäste sollten einen Fragebogen ausfüllen: wie lange sie in der Gegend blieben, wie oft sie schon dort gewesen waren, wie alt sie waren, in welcher Art Unterkunft sie übernachteten und so weiter. Ein endloser Fragebogen, den Lady Fiona, wie der Lord den Bakshis erzählte, manchmal selbst ausfüllte, statt die Gäste damit zu behelligen. Notfalls denke sie sich halt etwas aus. Der Lord selbst halte von diesem Vorgehen eigentlich nichts, aber seine Frau sei da manchmal kaum zu bremsen und sehr kreativ.

Na, dann geben Sie mal her, sagte Mr Bakshi und nahm ihm den Fragebogen ab. Mrs Bakshi sagte, die Leute würden das sowieso nicht wahrheitsgetreuer ausfüllen, als die Lady es tat, er solle sich da mal keine Gedanken machen. Sie selbst würde in solchen Fällen grundsätzlich das ankreuzen, was sie am lustigsten fand, oder irgendeinen Quatsch reinschreiben. Lady Fiona McIntosh fand das vernünftig. Die Damen verstanden sich.

Mr Bakshi las die Fragen vor und fragte seine Frau, warum sie denn hier gewesen seien, was sie hier gemacht hätten. Sie fragte, was denn zur Auswahl stehe; hier, sagte sie, wildlife watching, das klinge doch super, dafür seien sie hier. Neulich abends hätten sie tatsächlich eine Eule gesehen. Ja, sagte der Lord, die sehe man hier öfter. Und dann hier, sagte Mrs Bakshi, action and adventure, auch toll, das solle er auch ankreuzen. Tatsächlich, erzählte Mr Bakshi den McIntoshs, hätten sie morgens beides gehabt, reichlich action and adventure mit dem wildlife, und zwar direkt hier in ihrem Cottage.

An diesem Morgen, erzählten sie, seien sie nämlich sehr früh von einem eigenartigen Geräusch geweckt worden. Mrs Bakshi habe gedacht, es müsse sich um Vögel handeln, die draußen auf der Fensterbank herumtobten und vielleicht, nun ja, kleine Vogelkinder machten und dabei mit den Flügeln gegen die Scheibe schlugen. Sie war aufgestanden, hatte vorsichtig den Vorhang zur Seite geschoben, und tatsächlich sei dort eine Meise gewesen, allerdings nicht draußen, sondern drinnen. Sie sei gegen die Scheibe geflattert, weil sie hinauswollte. Die Bakshis fragten sich, wie die Meise wohl hereingekommen war, über Nacht waren alle Fenster geschlossen gewesen. Weniger aus Angst vor Vögeln als vor Mücken. Der Lord sagte, manchmal würden tatsächlich Vögel durch den Kamin hereinfallen und eine ziemliche Sauerei veranstalten mit dem ganzen Ruß, den sie mitbrächten. Die Meise, sagten die Bakshis, habe allerdings ganz sauber ausgesehen, na ja, jedenfalls sei sie also drin gewesen, in ihrem Schlafzimmer. Mrs Bakshi hatte das Fenster hochgeschoben, und die Meise hatte schnell verstanden, war auf die Fensterbank geflattert und dann hinaus in den Wald. Mrs Bakshi war wieder ins Bett gegangen und hatte das Fenster offen gelassen, damit ein bisschen frische Luft hereinkam.

Keine besonders aufregende Geschichte, aber eine Stunde später seien sie von demselben Geräusch wieder aufgewacht. Blödes Vieh, hatte Mr Bakshi in sein Kissen geknurrt, hier einfach wieder reinzukommen. Diesmal sei es aber eine Schwalbe gewesen, und sie sei tragischerweise zwischen den beiden Scheiben des hochgeschobenen Fensters eingeklemmt gewesen, sie hätten ziemliche Mühe gehabt, sie da wieder herauszumanövrieren, das Tier sei in Panik geraten und habe sich, wenn sie das Fenster bewegten, nur noch weiter den Flügel eingeklemmt. Mit einem Kochlöffelstiel hätten sie den völlig verstörten Vogel schließlich irgendwie zwischen den Scheiben hochgeschoben, Mr Bakshi habe ihn endlich zu packen bekommen, ihn aufs Fensterbrett gesetzt, und er sei davongeflogen, hinaus an die Luft, er sei zum Glück nicht verletzt gewesen. Es sei doch wirklich eigenartig, dass sich an ein und demselben Morgen gleich zwei Vögel so seltsam verhielten, das täten sie doch sonst nicht, einfach in menschliche Behausungen zu fliegen.

Der Lord erzählte, etwas weiter oben in den Bergen lebe seit einer Weile ein Adlerpaar, und gelegentlich seien die Adler von hier aus zu sehen, meist weit weg, hoch am Himmel. Es könne aber auch schon mal sein, dass sie näher kämen, dann würden die Vögel hier im Tal immer ganz verrückt. Vielleicht sei das ja heute Morgen der Fall gewesen, denn dass erst eine Meise auf mysteriöse Weise ins Haus gelangt und sich dann eine Schwalbe zwischen den Scheiben verklemmt, so sonderbar verhielten sich die Vögel normalerweise nicht.

So plätscherte das Gespräch dahin, man unterhielt sich bei Mrs Bakshis köstlichem Geflügelcurry über Vögel. Mr und Mrs Bakshi fanden alles unglaublich interessant und herrlich, so nah an der Natur zu sein, und Hamish und Fiona freuten sich über ihre glücklichen Feriengäste.

 

Am Ende dieses Abends spielte der Pfau zum ersten Mal verrückt. Mr und Mrs Bakshi begleiteten die McIntoshs zur Tür, öffneten sie, und das Licht aus dem Cottage fiel auf den Wagen der Bakshis. Er war metallicblau lackiert, glänzte im Lichtschein und war, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade ein Luxusgefährt. Man stand noch ein bisschen vor der Tür und tauschte Höflichkeiten aus, als sich plötzlich und wie aus heiterem Himmel einer der Pfauen auf den Wagen stürzte und ihn mit lautem Geschrei und Flügelschlagen attackierte, mit dem Schnabel auf der Motorhaube herumhackte, dass es nur so schepperte, und die McIntoshs ebenso verblüffte und erschreckte wie die Bakshis. Mit einem rasenden Pfau möchte man sich nicht anlegen, und dieser hier war ganz offensichtlich ziemlich wütend. Die Damen flohen ins Cottage, die Herren ließen sich eine Decke herausreichen, wedelten damit vor dem Pfau herum und brüllten ihn an. Das beeindruckte ihn offenbar genügend, und er flatterte davon.

Auf den Schreck tranken die Bakshis und die McIntoshs erst mal einen Whisky. Und dann noch einen. Und dann keinen mehr, denn die Lady war eine Lady. Bevor die McIntoshs gingen, schalteten sie das Licht im Cottage aus, damit der blaue Wagen nicht noch einmal angeleuchtet und der rasende Pfau nicht noch einmal angelockt wurde.

 

Der Schaden am Auto war, wie sich am nächsten Morgen zeigte, beträchtlich. Der Pfau hatte in der kurzen Zeit ordentlich was angerichtet, die Motorhaube hatte Dellen, an einigen Stellen war der Lack abgeplatzt. Mr Bakshi sagte, das sei nicht so schlimm, seine Werkstatt würde das schon wieder hinkriegen beziehungsweise finde seine Frau ja ohnehin schon seit Jahren, er solle sich endlich einen neuen Wagen kaufen. Aber nun ja, sagte Mr Bakshi, er hänge halt irgendwie an dem alten Ding.

Na also, sagte der Lord, und genau deswegen werde er das schön über seine Versicherung laufen lassen, er wolle selbstverständlich für den Schaden aufkommen, und im Übrigen seien die Bakshis eingeladen, im nächsten Jahr zwei Wochen kostenlos im ehemaligen Waschhaus zu wohnen, wenn sie sich denn nach dieser Attacke noch hierhertrauten. Bis dahin würde der Pfau sich bestimmt wieder beruhigt haben. Wer weiß, vielleicht sei er ja ebenfalls noch vom Besuch des Adlers verstört gewesen? Wieso er deswegen allerdings ein Auto angreifen sollte, sei dem Lord nicht klar, aber wer wisse schon, zu was für Übersprungshandlungen so ein Pfau in der Lage sei.

Und so verabschiedeten die beiden Paare sich unter allerlei Beteuerungen, dass es halb so wild sei und die Versicherung das schon regeln würde und man sich sicher einig werde und Mr Bakshi auf jeden Fall die Rechnung schicken solle und man sich freuen würde, sich im nächsten Jahr wiederzusehen.

 

Das alles geschah Mitte September. Im Oktober zerfetzte der Pfau eine blaue Mülltüte und verteilte ihren Inhalt großräumig über den Rasen, er nahm einem Gastkind ein blaues Spielzeug weg und verschleppte es in den Wald, wo man es nicht mehr wiederfand, sodass Hamish das verstörte Kind mit einem etwas größeren Geschenk in Rot wieder versöhnen musste, und er zerdepperte unter beträchtlichem Getöse die Dekokugel aus blauer Keramik, die Fiona neben den Teich gelegt hatte, und hackte sie in tausend Scherben.

 

Anfang November starb die kleine, alte Hundedame Victoria und wurde im Wald beerdigt. Albert und die McIntoshs trauerten und hatten anderes im Kopf, als sich um den verrückten Pfau zu kümmern. Die Regentonne aus blauem Plastik hatte eines Tages Löcher und Risse und lief aus, und ein Freund der McIntoshs konnte seinen Wagen gerade noch rechtzeitig in die Garage stellen. Ryszard rettete den blauen Plastikschutz über den Federn des Trampolins, das in einer Ecke der großen Rasenfläche stand, indem er eine grüne Folie draufklebte. Ryszard, ein junger Pole, war für alles zuständig, was draußen im Freien passierte. Zum Anwesen gehörten unzählige Morgen Land, beinahe das halbe Tal, und dieses Land musste versorgt werden. Ryszard kümmerte sich um die Heide, um den Wald und die Weiden, er flickte Zäune, wartete die Elektroleitungen zu den Cottages, hob mit dem Bagger Gräben aus, räumte mit schwerem Gerät umgestürzte Bäume weg und verarbeitete sie zu Kaminholz. Außerdem pflegte er die große Rasenfläche vor dem Haus und kümmerte sich um alles Handwerkliche, was die Lady nicht selbst erledigen konnte. Für Lord und Lady McIntosh war Ryszard eine große Hilfe und geradezu eine Erleichterung nach einigen unschönen Erfahrungen mit seinen Vorgängern. Ryszard sah selbst, was zu tun war, er arbeitete gern und hart, und er sprach wenig, denn sein Englisch war auch nach einigen Jahren in Schottland immer noch nicht besonders gut. Er war zurückhaltend, aber von gleichbleibender Freundlichkeit und Verlässlichkeit.

Es war inzwischen eindeutig, dass es nicht der Adler, sondern die Farbe Blau war, die den Pfau so erzürnte. Der Pfau war noch jung, offenbar setzte die Geschlechtsreife ein; er hatte erst kürzlich sein blaues Federkleid bekommen, seine Schleppe war noch nicht sonderlich lang, und die McIntoshs nahmen an, dass es sich um eine pubertäre Hormonverwirrung handelte. Das einzige Blaue, was der Pfau nicht angriff, waren die anderen Pfauen. Sie waren auch die Einzigen, die sich wehrten. Die Balzzeit war vorbei, aber da war der Pfau noch nicht auffällig geworden. Niemand wusste, ob er erfolgreich gebalzt hatte, irgendetwas musste bei ihm schiefgelaufen sein. Die McIntoshs beschlossen abzuwarten, ob das Problem sich über den Winter von allein erledigen würde, und bei Gelegenheit den Tierarzt um Rat zu fragen. Im Moment hatten sie ohnehin keine Zeit, sich darum zu kümmern, denn es hatte sich hoher Besuch angekündigt.

Das Management der Investmentabteilung einer Londoner Privatbank hatte für ein verlängertes Wochenende Ende November den Westflügel des Herrenhauses gemietet. Die Leiterin der Abteilung reiste mit vier Kollegen, einer Köchin und einer Psychologin an, zu einer, wie es hieß, kreativen Auszeit und Teambuildingmaßnahme. Kreativ, lästerte Hamish McIntosh, wozu Banker denn bitte schön kreativ sein müssten, vielleicht zum Bilanzenfälschen? Die McIntoshs ahnten schon nach den ersten Telefonaten mit der zuständigen Sekretärin (die gar nicht mitreisen würde), dass die Chefin der Investmentabteilung etwas schwierig sein könnte. Aber sie brachte Geld. Und so waren sie damit beschäftigt, den Westflügel herzurichten, denn der war zwar vor hundert Jahren mal recht luxuriös gewesen, aber das war eben hundert Jahre her. Und mit Köchin war hier schon ungefähr ebenso lange niemand mehr angereist.

Aileen machte Überstunden. Aileen war die Haushaltshilfe und Putzfrau für das Herrenhaus und die Cottages, sie machte die Wäsche der Familie und der Ferienhäuser, stellte Tee und Kekse bereit, wenn neue Gäste kamen, und hatte ziemlich genaue Vorstellungen davon, was nötig war, was gemacht werden musste und was vollkommen überflüssig war. Aileen hielt, kurz gesagt, den Laden am Laufen. Sie würde eines Tages eine hervorragende Hausfrau werden, aber nach ein paar kürzeren Katastrophenbeziehungen war sie erst mal froh, allein zu sein. Zum Kinderkriegen hatte sie noch genügend Zeit, sie machte sich keine Sorgen darum, den richtigen Mann für die Gründung einer eigenen Familie noch zu finden. Es reichte ja, wenn er friedlich war, nicht zu viel trank und Arbeit hatte, ihre Ansprüche waren nicht allzu hoch. Sie selbst würde natürlich ebenfalls weiter arbeiten, es machte ihr Spaß, Herrin über mehrere Cottages samt Ausstattung zu sein.

Aileen teilte Hamish mit, ein neuer Durchlauferhitzer für das Bad im Westflügel sei unerlässlich, die lauwarme alte Tröpfeldusche könne man Feriengästen wirklich nicht mehr zumuten, schon gar nicht so wichtigen. Hamish tat im Allgemeinen, was Aileen ihm sagte, denn Aileen war eindeutig praktischer veranlagt als er, und so ließ er einen neuen Durchlauferhitzer installieren. Einen, der in unbegrenzten Mengen richtig heißes Wasser produzierte. Am Wasserdruck ließ sich leider nicht viel ändern, mehr Druck kam nun mal nicht aus den alten Leitungen. Aber eine heiße Tröpfeldusche war immerhin besser als eine lauwarme.

 

Im Westflügel hatte sich im Laufe der Zeit einiges an Gerümpel angesammelt – der Flügel war recht groß und wurde nur selten vermietet, und so hatten die McIntoshs dort alles Mögliche untergestellt, von dem sie nicht gleich entscheiden konnten, wohin es sollte. Kisten mit Büchern und den ausrangierten Spielsachen der inzwischen erwachsenen Kinder, ein paar ausgediente Möbel, die entweder zu schade zum Wegwerfen oder nur noch nicht entsorgt worden waren, Geschirr, Blumentöpfe, Weihnachtsdeko, abgetretene Teppiche, Geweihe, Gemälde und was sich sonst so in alten Häusern findet, die von Generation zu Generation weitervererbt werden und aus denen nie jemand auszieht. Aileen sortierte ein bisschen was durch, brachte das ein oder andere kaputte Kleinmöbel zum Müll und stellte alles andere vorerst in die Garage. Dort stand es immerhin trocken und war nicht im Weg, und das Tor konnte man einfach zumachen. Was das eigentliche Problem natürlich nicht löste, sondern nur räumlich verlagerte. Einige der alten Sachen sollten zum Charity Shop gebracht werden, und Aileen wusste genau, dass jedes erneute Sortieren und Umräumen den Lord dazu bringen würde, sich von weiteren Dingen zu trennen. Insofern war die Aktion immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Und vor allem war der Westflügel wieder vermietbar.

Aileen nahm die langen dunkelroten Samtvorhänge ab und fuhr sie in die Reinigung, weil sie in keine Waschmaschine passten. Sie schäumte die Teppichböden im gesamten Westflügel ein, putzte die Fenster und kontrollierte alle Kommodenschubladen und Schrankfächer, ob kein Gast dort etwas vergessen hatte oder womöglich ein Falter darin gestorben war. Sie putzte sogar die Glasscheiben der Bilderrahmen mit den alten Stichen. Teilweise hatten sich zwischen Bild und Glasscheibe Kolonien winziger Insekten angesiedelt, ganz besonders schlimm war es in dem Stich The weighing of the birds. Sie nahm ihn ab und brachte ihn in ihren Hauswirtschaftsraum, um ihn später in Ruhe zu reinigen. Es hatte doch auch sein Gutes, dachte sie, dass diese wichtigen Leute kamen, da machte sie endlich mal so gründlich sauber, wie sie es schon längst hatte tun wollen. Eigentlich hätte sie alle Bilder abhängen, aus den Rahmen nehmen und von Insekten befreien sollen, aber so viel Zeit hatte sie nicht. Wenigstens das am schlimmsten befallene Bild sollte in Ordnung sein, zumal es an prominenter Stelle direkt neben dem Eingang hing. Was waren das überhaupt für Tiere, die da in den Bilderrahmen wohnten, fragte sie sich, wovon lebten sie? Von so verschwindend kleinen Papierstückchen, dass man es dem Papier nicht mal ansah? Von Staub? Es waren nur winzige Flecken zu sehen, die vermutlich von den Ausscheidungen der Tiere kamen. Und woher kamen die Viecher überhaupt, wie kamen sie in die Bilderrahmen? Aileen entfernte die winzigen Tierchen mit einem Pinsel. Auf dem Stich war eine Jagdgesellschaft zu sehen, die auf einer großen Waage die erjagten Fasane und Moorhühner wog.

Zwei Tage bevor die Banker kommen sollten, hing das Bild wieder an seinem Platz. Die Glasscheibe war deutlich sauberer als die der anderen Bilder, sodass deren Verschmutztheit nun umso mehr auffiel, aber Aileen konnte jetzt nicht noch alle anderen Bilder aus den Rahmen nehmen und die Scheiben von innen putzen. Einfach sämtliche Bilder abzunehmen, kam ebenfalls nicht infrage, weil auf den Tapeten dahinter große, helle Flecken waren.

Aileen bezog die Betten frisch, legte ausreichend Handtücher bereit, und als sie ganz zum Schluss noch versuchte, den Staub aus einem alten Trockenblumenstrauß zu pusten und zu schütteln, zerfiel der komplett. Die trockenen Blütenblätter rieselten auf den Boden, und Aileen musste Henry noch einmal holen. Henry war der Staubsauger, ein kleines rotes, rundes Gerät mit aufgemaltem lachendem Gesicht. Den Schlauch steckte man Henry als Nase an, wie einen Rüssel. In sämtlichen Cottages befanden sich ebenfalls Henrys, Aileen freute sich immer wieder neu an dem freundlichen Staubsauger. Überhaupt war sie eine Frohnatur und meistens gut gelaunt. An diesem Tag war sie besonders gut aufgelegt, sie hatte sich ein Radio mit in den Westflügel genommen, sang lautstark mit und legte mit Henry zu Dancing Queen eine flotte Sohle auf den Teppichboden. You can dance, you can jive, having the time of your …, und dann bekam sie einen fürchterlichen Schreck, weil plötzlich die Lady mit verschränkten Armen in der Tür stand und ihr amüsiert zusah. Aileen schaltete Henry und das Radio aus und stammelte, jetzt sei sie aber erschrocken und wie lange die Lady denn schon dort stehe. Die Lady grinste, machte Och und sagte, der Fahrer von der Wäscherei sei da gewesen und habe die Vorhänge gebracht, ob sie ihr wohl eben tragen helfen könne.

Die beiden Frauen schleppten meterweise dicken Samt in den Westflügel und hängten die Vorhänge auf. Aileen stand oben auf der Trittleiter, die Lady reichte ihr die schweren Vorhänge an, beide waren erfreut und ein bisschen beschämt, wie prächtig sie jetzt wieder aussahen und wie nötig es offenbar gewesen war.

Vor dem Haus hupte der Postbote. Die Lady ging hin, und Aileen schaltete das Radio wieder an. Es konnte dauern, bis die Lady wiederkam, aber allein konnte sie den nächsten Vorhang nicht aufhängen, dafür war er zu schwer. Sie inspizierte noch einmal schnell das Bad, ob dort noch etwas zu tun wäre, und probierte die neue Dusche aus. Dabei sang sie etwas weniger lautstark mit, denn sie fürchtete, die Lady womöglich wieder zu überhören. Das Wasser war jetzt zwar schön warm, tröpfelte aber ebenso kraftlos aus dem Duschkopf wie eh und je. Nun ja, beschloss sie, das sollte nicht ihr Problem sein. Wenn die Banker damit nicht zurechtkamen, hatten sie Pech gehabt. Vielleicht tat etwas weniger Luxus ihnen ja sogar mal ganz gut. Aileen hatte keine besonders hohe Meinung von Bankern.

Als Nächstes wären die Vorhänge im Wohnzimmer dran, Aileen brachte schon mal die Trittleiter dorthin, da lief im Radio Come On Eileen. Ihr Lied! Aileen sang jetzt doch wieder aus vollem Halse mit, nahm diesmal die Leiter als Tanzpartner und wirbelte mit ihr ins Wohnzimmer, wo ihr letzter Tanzpartner, Henry, dummerweise eine Fußangel ausgelegt hatte. Vielleicht war er eifersüchtig. Ein Bein der Trittleiter verfing sich im Staubsaugerschlauch, Aileen stolperte und fiel mitsamt der Trittleiter über Henry. Sie hörte es in ihrem rechten Arm krachen, der Schmerz war überwältigend. Ganz benommen blieb sie liegen, bis die Lady wiederkam, sie aus dem Gewirr des grinsenden Henry, seinem Kabel, dem Schlauch und der Trittleiter befreite, das – wie Aileen es ausdrückte – gottverdammte Scheißradioausmachte und den Krankenwagen rief. Man brauchte kein Arzt zu sein, um zu erkennen, dass Aileens Arm gebrochen war.

 

Bis der Krankenwagen die fünfzehn Meilen vom Krankenhaus ins Tal gefahren war, verging eine Weile. Aileen hatte es mithilfe der Lady in einen Sessel geschafft, ihr Arm ruhte auf einem Kissen auf der Armlehne und schmerzte so sehr, dass es ihr immer wieder die Tränen in die Augen trieb. Die Lady verabreichte ihr ein Schmerzmittel. Sie bot ihr dazu auch einen Whisky an, aber den wollte Aileen nicht, sie trank nicht, nie, und das wusste Fiona McIntosh auch. Womöglich musste sie auch operiert werden, und da war es sicher ohnehin keine gute Idee, betrunken im Krankenhaus anzukommen. Die Lady versprach ihr, sich um ihre Hündin Britney zu kümmern, bis Aileen aus dem Krankenhaus kam. Und ja, sie würde auch in ihrem Häuschen ein paar Meilen weiter oben im Tal nach dem Rechten sehen, die Blumen gießen und die Post sichten. Aileens Eltern waren vor einigen Jahren in die Stadt gezogen, nachdem man ihrem Vater wegen wiederholter Trunkenheit am Steuer den Führerschein abgenommen hatte. In der Stadt konnte er sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen und musste sich nicht permanent von seiner Frau chauffieren lassen. Seitdem lebte Aileen allein in ihrem Elternhaus. Sie hatte damals in einem Restaurant auf halber Strecke zum nächsten Dorf gearbeitet und keinen Grund gesehen, mit ihren Eltern wegzuziehen. Im Gegenteil, sie war ganz froh und ohnehin alt genug, um allein zu leben. Sie liebte das Tal und das Haus, hatte gründlich entrümpelt, alles hell gestrichen und aus dem düsteren, vollgestopften Cottage ein gemütliches und helles Heim gemacht. Sie bemitleidete ihren Vater wegen seines Alkoholkonsums und ihre Mutter, weil sie es hinnahm und ebenso wenig dagegen ankam wie ihr Vater. Aber Aileen konnte ihren Eltern auch nicht aus der Situation heraushelfen und hatte nur noch sporadisch Kontakt zu ihnen.

Im Übrigen, sagte die Lady, müsse man mit einem Armbruch sicher nicht lange im Krankenhaus bleiben, Aileen würde bestimmt einen Gips bekommen und dann wieder nach Hause geschickt werden. Sie solle anrufen, wenn sie abgeholt werden wolle. Ryszard würde sich sicher gern um die Cottages kümmern, solange Aileens Arm eingegipst war.

Doch, doch, das würde er schon hinkriegen, versicherte die Lady Aileen. Ja, auch das Saubermachen. Insgeheim war sie da nicht so sicher, denn in Wahrheit war sie ebenso überzeugt wie Aileen selbst, dass niemand so putzen konnte wie Aileen, aber sie beruhigte sie, so gut sie konnte. Aileen hatte eine kleine Schwäche für Ryszard, er war groß und stark und fleißig und freundlich, und er liebte die Natur. Aber was das Putzen anging, traute sie ihm nicht allzu viel zu. Ersteres hätte sie niemals zugegeben, Letzteres teilte sie der Lady recht