Wohnverwandtschaften - Isabel Bogdan - E-Book

Wohnverwandtschaften E-Book

Isabel Bogdan

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Beschreibung

Ein Roman über eine Wohngemeinschaft, in der vier Menschen unterschiedlichen Alters aus unterschiedlichen Motiven zusammenleben und feststellen: Freunde sind manchmal die bessere Familie. Constanze zieht nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten in die Wohngemeinschaft von Jörg, Anke und Murat. Was zunächst als Übergangslösung gedacht war, entpuppt sich als zunehmend stabil. Da ist Jörg, dem die Wohnung gehört und der eine große Reise plant; Anke, die als mittelalte Schauspielerin kaum noch gebucht wird und plötzlich nicht mehr die einzige Frau in der WG ist; und Murat, der sich einfach keine Sorgen machen will und dessen Lebenslust auf die anderen mitreißend und manchmal auch enervierend wirkt. Constanze sorgt als Neuankömmling dafür, dass sich die bisherige Tektonik gehörig verschiebt. Alle vier haben ihre eigenen Träume und Sehnsüchte und müssen sich irgendwann der Frage stellen, ob sie eine reine Zweck-WG sind oder doch die Wahlfamilie. In diesem virtuos komponierten, lebensklugen und humorvollen Roman kommen reihum vier grundverschiedene Menschen zu Wort, die jeweils auf ihre Weise ihre Lebensentwürfe neu justieren müssen.

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Isabel Bogdan

Wohnverwandtschaften

Roman

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Über Isabel Bogdan

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Inhaltsverzeichnis

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Über Isabel Bogdan

Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch, »Sachen machen«, bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Bestsellerroman »Der Pfau« und 2019 »Laufen«. 2024 erscheint ihr neuer Roman »Wohnverwandtschaften«.

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Über dieses Buch

Ein Roman über eine Wohngemeinschaft, in der vier Menschen unterschiedlichen Alters aus unterschiedlichen Motiven zusammenleben und feststellen: Freunde sind manchmal die bessere Familie.

Constanze zieht nach der Trennung von ihrem Lebensgefährten in die Wohngemeinschaft von Jörg, Murat und Anke. Was zunächst als Übergangslösung gedacht war, entpuppt sich als zunehmend stabil. Da ist Jörg, dem die Wohnung gehört und der immer vergesslicher wird; Anke, die als mittelalte Schauspielerin kaum noch gebucht wird und plötzlich nicht mehr die einzige Frau in der WG ist; und Murat, der sich einfach keine Sorgen machen will und dessen Lebenslust auf die anderen mitreißend und manchmal auch enervierend wirkt. Constanze sorgt als Neuankömmling dafür, dass sich die bisherige Tektonik gehörig verschiebt. Alle vier haben ihre eigenen Träume und Sehnsüchte und müssen sich irgendwann der Frage stellen, ob sie eine reine Zweck-WG sind oder doch die Wahlfamilie.

In diesem virtuos komponierten, lebensklugen und humorvollen Roman kommen reihum vier grundverschiedene Menschen zu Wort, die jeweils auf ihre Weise ihre Lebensentwürfe neu justieren müssen.

Inhaltsverzeichnis

Förderhinweis

Constanze

Alle

Jörg

Constanze, Mutter

Murat

Anke, Murat

Anke

Murat, Constanze

Jörg

Anke, Jörg

Murat, Constanze

Constanze, Murat, Jörg

Anke

Murat, Anke

Alle

Anke

Jörg

Anke, Murat, Jörg

Constanze

Alle

Anke

Constanze, Murat

Murat

Jörg, Constanze

Jörg

Alle

Anke

Constanze, Anke, Murat

Constanze

Anke, Murat, Jörg

Murat

Constanze, Anke

Anke

Constanze, Murat, Jörg

Jörg

Anke, Jörg

Murat, Constanze

Constanze, Anke, Murat

Anke

Jörg, Sebastian

Constanze

Anke, Jörg

Murat

Constanze, Jörg

Alle

Anke, Jörg

Jörg

Alle

Murat

Constanze, Anke

Constanze

Alle

Anke

Constanze, Murat, Anke

Jörg

Alle

Alle

Gefördert durch ein Hamburger Zukunftsstipendium der Behörde für Kultur und Medien in Zusammenarbeit mit der Hamburgischen Kulturstiftung

Constanze

Samstag, 15. Januar 2022

Als Letztes kommt das Klavier. Passt schon, mit dem Klavier hat es ja auch angefangen. Das Ende. Wenn es ihnen auf der Treppe wegrutscht, dann ist der, der unten geht, tot. Ich gucke vorsichtshalber nicht hin, sondern verziehe mich in mein Zimmer. Was soll ich überhaupt mit dem beknackten Klavier, eigentlich können sie es gleich wieder runtertragen und auf der Straße stehen lassen. Ich leihe mir eine Axt und zertrümmere es öffentlich. Aggressionsabbau als Kunstaktion, mega Idee.

Wieso habe ich das Ding überhaupt mitgenommen, ich habe gar keinen Platz dafür. Es sieht nicht mal gut aus, ich meine – wer kauft denn ein weißes Klavier, bin ich Udo Jürgens, oder was? Ein anständiges Klavier ist aus Holz und sieht auch so aus. Spielen kann ich es eh nicht, und Platz habe ich auch nicht. Es muss an die Wand gleich neben der Tür, das wird alles viel zu eng, aber im Wohnzimmer wollen die anderen es auch nicht haben. Verstehe ich, hässliches Ding. Und das Wohnzimmer ist auch voll genug mit dem Riesensofa und dieser imposanten Bücherwand.

Typisch Flo, so ein blödsinniges Geschenk. Bloß weil ich irgendwann mal gesagt habe, ich würde gern Klavier spielen können, einfach so dahingesagt, wie man halt alles Mögliche gern können würde. Ich würde auch gern eistanzen können, aber deswegen kaufe ich mir ja nicht gleich Schlittschuhe. Ach, war trotzdem irgendwie süß, mir dieses Klavier zu schenken, aber gleichzeitig total bescheuert. Man behebt Beziehungskrisen nicht durch überdimensionierte Geschenke, so funktioniert das doch nicht.

Wenn er wenigstens ein elektrisches genommen hätte, auf dem man mit Kopfhörer üben kann! So wird das sowieso nichts, wie soll ich denn üben, wenn es hier jeder hört. Zu Hause wäre es gegangen, aber da habe ich es auch nicht angefasst. Zu Hause, jaja. Zu Hause ist jetzt hier. Wie so ne Studentin. Nee, das Klavier muss weg, aber erst mal muss es hier rein.

Ich schiebe die Kartons beiseite, die dort stehen, wo das Ding hinmuss. Die Männer haben es mitsamt dem Klavier die Treppe hochgeschafft, zum Glück haben sie den Schrank und die Regale schon vorher aufgebaut. Und das Bett. Dann kann ich mit Auspacken anfangen, sobald sie weg sind.

 

Anke und Murat sind nicht da, Jörg steht im Flur herum und fragt, ob er helfen kann, kann er aber nicht. Beim Auspacken würde man sich sowieso nur im Weg stehen. Er sagt, ich soll mich melden, falls er was tun kann.

Okay, guter Wille ist erkennbar. Flo hätte mir von sich aus einen Kaffee gekocht und dann angefangen, die leeren Kartons zusammenzulegen und sie in den Keller zu bringen oder so. Jörg verzieht sich ins Wohnzimmer, auch gut.

Das Klavier steht, wo es stehen soll (glaube ich), ich gebe den Helfern ihr Trinkgeld und verabschiede sie.

 

Dann bin ich jetzt wohl angekommen. Neues Zuhause. Übergangsweise. Irgendwann werde ich ja eine eigene Wohnung finden, ein richtiges Zuhause. Meins. Ach, Mist. Ich hatte doch schon mal eins.

Das Telefon klingelt, Flo ist dran. Mit dem will ich gerade am wenigsten reden, eigentlich will ich mit niemandem reden, ich möchte mich in ein frisch bezogenes Bett legen und mir die Decke über den Kopf ziehen. Mit einer Kilobox Lakritz und Weingummi.

Flo.

Habe ich was bei ihm vergessen? Ich will nicht mit ihm reden, ich will nicht bei ihm sein, ich will auch nicht in einer WG wohnen.

Und ich will dieses Klavier nicht.

 

»Hi, Flo.«

»Hallo. Ich wollte nur mal hören, ob alles gut gelaufen ist.«

»Ja, klar. Ich bin schon am Auspacken. Sogar das Klavier hat irgendwie reingepasst.«

»Schön.«

»Habe ich was vergessen oder so?«

»Wüsste nicht. Aber wenn du noch was haben willst, sag Bescheid.«

»Ich habe ja hier eh nicht so viel Platz.« Vor allem nicht für das dusslige Klavier.

»Wie groß ist denn dein Zimmer?«

»Weiß nicht, so vier mal fünf Meter vielleicht.«

»Das ist ja nicht so viel.«

»Na ja, ein Zimmer halt. Aber wir haben ja auch noch die Küche und das Wohnzimmer für alle.« Will er jetzt, dass ich ihn einlade, mal gucken kommen? Lieber nicht. Klarer Schnitt.

»Hier hättest du …«

»Flo.«

»Schon gut.«

»Also dann.«

»Also dann. Komm gut an. Tschüss.«

»Danke. Tschüss.«

»Und meld dich, wenn du noch was brauchst. Oder möchtest.«

»Mach ich. Tschüss, Flo.«

 

Was haben wir früher geredet und gelacht. Und jetzt sitze ich hier in einer WG, mit meinem Klavier. Erst mal stelle ich die Topfpflanzen drauf, damit die aus dem Weg sind. Wenn ich nur schon ein Tuch hätte, das ich drunterlegen kann, damit der Lack nicht beschädigt wird, ich will das ja verkaufen. Ein Handtuch würde erst mal reichen, aber wo sind die jetzt? Wahrscheinlich ist es egal, wo ich anfange, muss ja sowieso alles ausgepackt werden.

Kulturbeutel wär auch gut. Jörg hat gesagt, Murat kocht nachher für alle, da sollte ich wohl besser geduscht sein. Ich stinke wie ein Iltis. Kulturbeutel und was Frisches zum Anziehen, ich fange mal mit den Kleiderkisten an.

Kleider auseinandersortieren war einfach. Bücher schon schwieriger, ich dachte, ich hätte viele, aber verglichen mit Jörgs Bücherregal im Wohnzimmer ist das gar nichts. Den kompletten Küchenkram habe ich dagelassen, hier ist ja alles, und wenn ich dann endlich eine eigene Wohnung habe, kann ich immer noch gucken, ob ich was nachhole oder neu kaufe. Eigentlich will ich von unseren gemeinsamen Sachen gar nichts mehr haben, ich wollte das Bett nicht mitnehmen und das Sofa nicht, dabei wäre das gar keine schlechte Idee gewesen, immerhin ist es ein Schlafsofa, da hätte ich drauf schlafen können, es nimmt weniger Platz weg als ein Bett und sieht tagsüber besser aus, aber ich möchte in einem richtigen Bett schlafen und mich nicht immer fühlen, als wäre ich bei mir selbst zu Besuch. Der Mensch braucht doch ein Bett. Ein Sofa gibt’s im Wohnzimmer, aber da wird man Konversation machen müssen, ich habe gar nicht so richtig Lust auf Zusammenwohnen und abends gemeinsam im Wohnzimmer sitzen und fernsehen oder so. Das hatte ich jetzt lange genug. Aber dass Murat zu meinem Einzug kochen will, ist wirklich nett.

Zum Glück stand der kleine Kleiderschrank noch auf dem Dachboden, der reicht für meine Klamotten, für Bettwäsche und Handtücher habe ich die Kommode, es ist schon alles ein bisschen eng.

Aber das Auspacken geht mir gut von der Hand, viel schneller als das Einpacken natürlich, und vielleicht kann es hier auch ganz nice werden. Gut, dass ich beim Einpacken auch gleich so viel weggeworfen und nur Lieblingssachen mitgenommen habe. Ich beziehe das Bett, lege die neue Tagesdecke drüber, stelle Bücher und Ordner ins Regal, morgen hänge ich die Bilder auf. Die leeren Kartons lege ich zusammen und stelle sie erst mal in den Flur, ich hoffe, die können dann in den Keller oder auf den Dachboden. Ich brauche sie ja bald wieder, wenn ich eine eigene Wohnung gefunden habe. Absurd, wie schwierig das ist. Bis dahin mache ich es mir hier wenigstens so schön wie möglich. Einrichten hat mir immer Spaß gemacht, etwas Neues anfangen, mit den alten Sachen zwar, aber in neuer Umgebung, wo alles anders ist, das Licht, die Geräusche, die Gerüche. Und womöglich schadet es auch nicht, mal in einer WG gewohnt zu haben. Die sind bestimmt alle nett, und wenn man sogar bekocht wird, will ich nicht meckern. Ist ja doch ein bisschen anders als im Studiwohnheim. Hoffentlich gibt es keinen regelmäßigen Plan, wer wann mit Kochen dran ist, da habe ich gar keinen Bock drauf. Ich muss mir eine Liste machen, was ich noch alles fragen muss. Wie sie das mit dem Geld machen, mit Einkaufen und Kochen. Und mit Putzen. Habe ich alles total zu fragen vergessen, als ich mich vorgestellt habe, weil wir gleich so viele andere Gesprächsthemen hatten.

Alle

Freitag, 21. Januar 2022

Küche. Murat kocht.

Constanze kommt herein: Boah, riecht das gut!

Murat: Schmeckt auch geil und ist so einfach. Dauert aber noch ne Viertelstunde. Glas Wein?

Constanze: Ach ja, was soll’s. Gerne.

Murat: Paar Oliven dazu?

Constanze: Das ist ja wie im Sternerestaurant hier! Kochst du schon wieder für alle?

Murat: Logisch. Für einen allein macht das ja keinen Spaß.

Constanze: Nice! Ich glaube, ich komme jetzt öfter.

Murat: Geht klar.

Constanze: Kann ich noch was tun?

Murat: Nö, läuft. Essen ist im Ofen, ich räume nur schnell die paar Sachen weg, und dann ist nicht mehr viel zu tun. Du kannst schon mal den Tisch decken.

Constanze: Wie macht ihr das hier sonst mit Kochen? Ist jeder mal dran? Oder machst du das immer?

Murat: Ach, wie es sich ergibt. Manchmal macht sich einfach jeder ein Brot, manchmal koche ich. Die anderen, na ja, eher weniger. Anke manchmal oder wir beiden zusammen – Jörg isst lieber, als dass er kocht.

Constanze: Da wird er aber nicht weit mit kommen, wenn er wochenlang mit dem Bulli unterwegs ist.

Murat: Monatelang! Da wird er sich schon gelegentlich ne Dose warm machen.

Constanze: Lecker.

Murat: Das war jetzt gemein. Es ist nicht so, dass er überhaupt nicht kochen kann, er hat nur meistens keine Lust. Dafür geht er klaglos einkaufen. Kochst du?

Constanze: So mittel. Was ich koche, kann man schon essen, aber preisverdächtig ist es nicht. Ich backe aber super Kuchen!

Murat: Frau Zahnärztin! Ich bin schockiert!

Constanze:Dreimal täglich nach dem Essen: Zähneputzen nicht vergessen!

Murat: Apropos Zähne: Brauchst du die Bohrmaschine noch?

Constanze: Brüller. Nee, hängt alles, und die Maschine habe ich wieder in den Keller gebracht.

Murat: Sieht auch schon super aus bei dir, finde ich. Als ich die Kartons gesehen habe, dachte ich, nie im Leben passt das alles rein.

Constanze: Ohne das blöde Klavier würde es super passen.

Murat: Wieso blöd? Ich freu mich schon auf Musik!

Constanze: Wenn du es spielen kannst: bitte. Ich kann’s nicht. Ich bezahle auch gern noch mal zwei Möbelpacker, damit sie es in dein Zimmer verfrachten.

Murat: Äh, wieso hast du ein Klavier dabei, wenn du gar nicht spielst?

Constanze: Komplizierte Geschichte. War ein Geschenk.

Murat: Dann kannst du doch damit machen, was du willst. Aus dem Fenster werfen oder meistbietend versteigern. Oder Klavierunterricht nehmen.

Constanze: Mal sehen. Erst mal steht es da jetzt. Kam ja auch alles ziemlich plötzlich mit dem Umzug.

Murat: Wieso eigentlich?

Constanze: Ach, ich … musste weg.

Murat: Doofer Freund?

Constanze: Nee, ich bin selber doof.

Murat: Das hast du beim Casting nicht gesagt! Dann überlegen wir es uns vielleicht noch mal, doof wollen wir hier nicht.

Constanze: Casting? Oh weia, das war mir nicht klar. Ich hab keine Ahnung, wie Castings gehen.

Murat: Kann Anke dir bestimmt erzählen. Aber jetzt bist du ja hier, scheint also geklappt zu haben.

Anke kommt in die Küche: Boah, riecht das gut!

Murat: Du kommst gerade richtig, Conny braucht Castingtipps.

Anke: Wieso, spielst du auch?

Constanze: Oh, pleeeease, nicht Conny!

Murat: Wieso das denn nicht?

Constanze: Wegen der mit der Schleife im Haar. Und nee, ich spiele nicht. Nicht mal Klavier.

Jörg kommt herein: Boah, riecht das gut!

Murat: Kennt ihr diese kleinen Plastikvögel mit Bewegungsmelder, die in Geschäften manchmal am Eingang stehen und zwitschern, wenn einer reinkommt? So einen hätte ich gern für die Küchentür mit »Boah, riecht das gut«.

Anke: Sollen wir das nicht sagen? Es riecht aber so gut!

Murat: Doch, klar! Wein?

Anke: Auf jeden! Danke.

Jörg: Unbedingt!

Constanze: Hast du die Äpfel jetzt mit dem Rosenkohl zusammen im Ofen gebacken?

Murat: Ja. Rosenkohl, Äpfel und Pekannüsse. Und Zwiebeln natürlich. Und auf dem anderen Blech die Kartoffeln mit bisschen Thymian und Knoblauch. Ich rühr jetzt noch schnell einen Kräuterdip an, und dann können wir gleich essen.

Jörg: Soll ich Kräuter holen?

Murat: Ja, bisschen Thymian könnte ich noch brauchen.

Er reicht ihm eine Schere, Jörg geht.

Murat zu Constanze: Haben wir alles auf dem Balkon. Was man so an Kräutern braucht.

Constanze: Super. Und Jörg weiß, was was ist? Mein Vater wüsste das nicht.

Murat: Ist ja auch nicht jeder ein Koch. Oder Gärtner.

Anke: Du solltest Murat mal in seinem Garten erleben.

Constanze: Du hast einen Garten?

Murat: Ja! Von nix eine Ahnung, aber voll Bock. Habe ich von Jörg übernommen. Geht bald wieder los mit Aussähen und so, ihr könnt noch Wünsche anmelden!

Jörg kommt herein: Hier, Rosma… Ach, Mist. Du wolltest Thymian, ne? Sorry.

Murat: Ja, Thymian. Macht nichts, den Rosmarin tu ich einfach auch mit rein.

Constanze: Dann gehe ich jetzt mal Thymian suchen.

Jörg reicht ihr die Schere: Auf dem Balkon.

Murat zu Anke: Und, wie war’s beim Yoga?

Anke: Wie immer eigentlich: Erst fühle ich mich alt und steif, und hinterher geht es mir irgendwie besser.

Murat: Du bist nicht alt. Du bist eine schöne Frau und eine fantastische Schauspielerin, und irgendwann werden sie das alle sehen.

Anke: Ja, in einer Muttirolle in einem Fernsehfilm.

Jörg überreicht ihr feierlich das Rosmarinsträußchen: Coolste Mutti aller Zeiten. Guck mal bitte in den Spiegel.

Anke: Ihr seid süß. Danke.

Jörg

Montag, 7. Februar 2022

Das lässt sich doch gut an mit der Neuen. Manchmal komme ich immer noch mit ihrem Namen durcheinander, Constanze heißt sie, nicht Corinna und nicht Cornelia, das sollte mir wahrscheinlich peinlich sein, aber Sebastians Grundschulfreundin hieß Corinna und meine Jugendliebe Cornelia, da kann man schon mal durcheinanderkommen. Constanze. Nett ist sie, auch wenn sie jetzt mein Arbeitszimmer besetzt, aber die paar Sachen, die ich noch manchmal schreibe, kann ich auch im Wohnzimmer machen, und das Geld kann ich für die Reise gut gebrauchen. Ich muss nur irgendwann mal die ganzen alten Ordner durchgucken, die jetzt im Keller sind, das meiste davon kann wahrscheinlich weg. Ich hatte aber keine Lust, alles zu sichten, und jetzt steht es halt erst mal im Keller. Mache ich irgendwann in Ruhe. Sie will ja auch eigentlich gar nicht in eine WG, sondern sucht was Eigenes, und wenn sie wieder weg ist, kann ich die Sachen ja wieder hochholen und das nach und nach hier machen. Unglaublich, was für Themen ich früher recherchiert habe! Und alles aufbewahrt. Wer weiß, vielleicht kann man es noch mal brauchen. Sebastian lacht mich dafür aus, steht doch alles im Internet, da hat man es tausendmal schneller und aktueller als in den Unmengen alter Kopien. Hat er ja auch recht. Aber es ist mein Archiv! So was wirft man doch nicht weg. Es ist allerdings wirklich überraschend viel Zeug.

Jetzt habe ich in meiner eigenen Wohnung nur noch ein einziges Zimmer für mich, wie Brigitte das wohl fände? Eigentlich war es ja ihre Wohnung. Eine WG wäre nichts für sie gewesen. Sie hat immer gern jede Menge Besuch gehabt, aber dann auch wieder ihre Ruhe gebraucht. Okay, das Wohnzimmer gibt es auch noch, aber da ist man selten allein. Ich will ja auch gar nicht allein sein.

Zahnärztin ist sie. Constanze. Ich brauche keine Zahnärztin, ich brauche auch kein Arbeitszimmer mehr, aber manchmal würde ich es gern noch brauchen, und manchmal bin ich froh, nicht mehr so viel arbeiten zu müssen. Vielleicht bei Gelegenheit mal wieder eine größere Reportage schreiben, aber nicht mehr den ganzen täglichen Kleinkram. Lieber nutze ich die Zeit zum Reisen, und wenn der Bulli es bis Georgien schafft, kriege ich die Story auch verkauft. Und Murat hat so nett darum gebeten, dass Constanze einziehen kann, stimmt ja auch, ich war sowieso nie mehr im Arbeitszimmer, und für die Reise kann ich das Geld gut brauchen. Murat hat echt ein großes Herz. Nur weil er in ihrer Praxis den Zettel gesehen und nachgefragt hat, als er ihr die neue Software erklärt hat. Und weil sie dringend was suchte.

Morgen rufe ich in der Werkstatt an, wann ich den Wagen vorbeibringen kann, die sollen den mal gründlich durchchecken. Wird ein paar Taler kosten, auch wenn er gerade gar nichts Akutes hat. Aber wäre blöd, wenn er unterwegs kaputtginge. Keine Ahnung, wie lange es in Bulgarien oder so dauert, Ersatzteile zu besorgen. Oder Georgien. Womöglich geht es da auch schneller als hier, weil sie irgendwas vom Schrottplatz organisieren, manchmal funktioniert Pragmatismus ja besser als die deutsche Gründlichkeit, wo das Originalteil mit Garantie beim Originalhersteller geordert werden muss und der ganze Kokolores. Trotzdem, erst mal Werkstatt, mich selbst auch noch mal durchchecken lassen, dann bald los, im Spätsommer oder so. Wie alt ist der Bulli jetzt? Da war Brigitte noch kerngesund und Sebastian ein Teenie – fünfzehn oder so. Nee, Moment, der Wagen war ja schon drei Jahre alt, als wir ihn gekauft haben. Sah aus wie neu, es war mir fast peinlich, als wir das erste Mal damit unterwegs waren. Dann ist er jetzt fast zwanzig Jahre alt.

Dänemark! Hätte schön sein können, aber Basti war so schlimm im Genervtheitsalter, dass wir nach drei Tagen dachten, wir hätten ihn besser zu Hause gelassen oder mit irgendeiner Jugendreisegruppe losgeschickt. Alles, was wir getan oder nicht getan haben, war peinlich, Nacktbaden ging gar nicht mehr, noch ein Jahr davor war es überhaupt kein Thema gewesen. Und dann hat Brigitte seine Gereiztheit nicht mehr ausgehalten, und wir sind früher nach Hause gefahren, weil wir einander nicht mehr ertragen haben auf so engem Raum. Ab dem nächsten Jahr ist Basti mit seinen Kumpels in Urlaub gefahren und Brigitte und ich allein, das war immer schön. Frankreich, Südengland, Italien, sie wollte es immer warm, bis ich sie schließlich doch zu Schottland überreden konnte. Da fand sie es auch toll, aber zu kalt, und mit dem Bulli wollte sie nicht noch mal Richtung Norden. Mit dem Bulli nur noch in warme Regionen. Okay, nachts war es wirklich kalt, aber dafür hat man schließlich gute Schlafsäcke.

Mein Schlafsack ist genauso alt wie der Bulli, aber auch der geht noch. Vielleicht sollte ich ihn mal in die Reinigung bringen vor der großen Tour. Brigitte hätte jetzt eine Liste angelegt, was noch alles zu erledigen ist, sie war immer so gut organisiert. Aber Auto in die Werkstatt und Schlafsack in die Reinigung kann ich mir auch so merken. Und neue Wanderschuhe brauche ich, die alten sind wirklich hinüber.

Brigitte hat das alles mitgemacht. Ich glaube, so schlecht fand sie es auch gar nicht, na klar, bisschen eng im Bus, Hygiene nicht immer wie gewohnt, und beim Wildcampen hatte sie manchmal Angst vor Wildschweinen oder sogar Bären oder Wölfen und ist nachts nicht gern allein pinkeln gegangen. Ich hab sie so lange mit dem Bärwolf aufgezogen, bis sie selbst lachen musste. Aber mit rausgehen musste ich trotzdem. Falls es doch einen Bärwolf gibt. »Bitte beuge mich! Des Weswolfs, dem Wemwolf, den Wenwolf.«[1] Aber sonst? Alle paar Tage mal auf einen Campingplatz mit Duschen, das hat ihr gereicht. Ach, Brigitte. Gribitte, Gritte, Gitti, Brix. Was haben wir für schöne Reisen gemacht. Griechenland! Italien, Kroatien, eigentlich um das ganze Mittelmeer und die südliche Atlantikküste. Nie mit viel Geld, aber oft genug mit richtig schön Zeit. Was wir alles gesehen haben!

Jetzt muss ich allein los. Endlich nach Georgien, da wollten wir eigentlich zusammen hin. Ich wüsste nicht, wen ich sonst mitnehmen sollte. Sebastian ist aus dem Alter raus, wo er herummault, aber dafür hat er jetzt selbst eine Familie und muss arbeiten. Ich weiß auch nicht, ob er wochenlang mit seinem alten Vater loswollen würde, er ist ja immer froh, wenn er mal wieder hier in Hamburg ist. Auch wenn er freiwillig nach Südfrankreich gezogen ist, zu Céline, aber manchmal vermisst er es eben doch und macht seinen Urlaub hier, mit Céline und Louis.

Brigitte hat noch gesagt, ich soll mir eine neue Frau suchen. Als wäre das so einfach, als könnte ich sie kurz mal eben abhaken und anderswo weitermachen, als könnte ich mir einfach die Nächstbeste ins Auto packen und mit ihr nach Georgien juckeln. Vielleicht fährt Matthias ja ein Stück mit, er hat gesagt, er möchte auch gern nach Georgien, und ich kann es mir gut mit ihm vorstellen. Er will nicht ganz so lange unterwegs sein, aber vielleicht kann er hinfliegen, und wir fahren zusammen zurück. Oder dort ein bisschen herum.

Constanze, Mutter

Freitag, 25. Februar 2022

Constanzes Telefon klingelt.

Constanze: Hallo, Mama!

Mutter: Conny, mein Schatz! Wie geht’s dir?

Constanze: Gut! Ich hab ziemlich lange gearbeitet heute, und jetzt habe ich Hunger. Murat kocht uns was.

Mutter: Murat, ich hör immer Murat.

Constanze: Wir wohnen zusammen.

Mutter: Ach, kann ja auch mal ganz interessant sein, was Ausländer kochen.

Constanze: Er kommt aus Köln und macht Pizza.

Mutter: Ich mein ursprünglich. Wer weiß denn schon, was Türken so essen?

Constanze: Er ist Deutscher. Deal with it, Mama.

Mutter: Was?

Constanze: Schon gut.

Mutter: Ich mochte Florian ja.

Constanze: Ich auch, aber das reicht eben nicht.

Mutter: Was willst du denn noch? Gutbezahlter Job, schönes Haus, und nett war er auch.

Constanze: Ja, das ist er auch immer noch. Aber das kann ja nicht alles sein. Und bei euch so?

Mutter: Keine großen Neuigkeiten. Frau Neureuther ist gestorben.

Constanze: Was? Sie war doch noch gar nicht so alt.

Mutter: Dreiundsiebzig.

Constanze: War sie krank?

Mutter: Keine Ahnung, so viel Kontakt hatten wir ja nicht. Dieser Türke …

Constanze: Er heißt Murat.

Mutter: Das kann sich doch kein Mensch merken.

Constanze: Fünf Buchstaben, Mama. Schaffst du.

Mutter: Aber du musst dich ja nicht gleich so von ihm abhängig machen.

Constanze: Abhängig? Er kocht für alle!

Mutter: Ich finde das nicht richtig. Wohngemeinschaft. Mit einem fremden Mann.

Constanze: Jetzt komm mal runter. Es sind sogar zwei Männer, und wir feiern hier dauernd wilde Orgien mit Drogen und freier Liebe. Trotz Corona!

Mutter: Ich mach mir doch nur Sorgen!

Constanze: Brauchst du nicht. Das sind total nette und normale Leute.

Mutter: Na ja, arbeitslose Schauspielerin.

Constanze: Guck mal morgen Abend im Ersten, da wird irgendwas Altes mit ihr wiederholt. Hauptrolle.

Mutter: Ach, das mit dem toten Kind? Hab ich in der Fernsehzeitung gelesen, ich glaube, den hab ich schon mal gesehen.

Constanze: Ihr könnt mich ja auch mal besuchen kommen und alle kennenlernen, dann wirst du sehen, dass es hier ordentlich zugeht. Manchmal putzen wir sogar.

Mutter: Haha, und wo sollen wir schlafen? Im Wohnzimmer, oder wie?

Constanze: Im Hotel? In meinem Zimmer ist jedenfalls kein Platz.

Mutter: Im Hotel, so weit kommt’s noch. So reich sind wir nicht.

Constanze: Man muss nicht reich sein, um mal zwei Nächte in einem Hotel zu verbringen. Und übrigens verdiene ich auch nicht so schlecht, dann zahle ich das eben.

Mutter: Constanze, also wirklich. Du hast manchmal Ideen. Halt dein Geld mal schön zusammen, damit du dir irgendwann eine eigene Wohnung leisten kannst.

Constanze: Mama, ich bin Zahnärztin. Damit wird man heute nicht mehr reich, aber ich kann mir durchaus eine Wohnung leisten. Wie geht’s Papa?

Mutter: Der sitzt auf dem Sofa und guckt Fernsehen.

Siehste, deswegen ging das mit Flo auch nicht mehr. Der saß auch auf dem Sofa und sah fern. Und deswegen sitze ich jetzt in einer WG und sehe auf ein Klavier, das ich nicht will.

Constanze: Sag ihm schöne Grüße. Ich glaube, die Pizza ist gleich fertig. Tschüss, Mama!

Mutter: Tschüss, Conny. Guten Appetit.

Murat

Donnerstag, 10. März 2022

Ein Neuer ist da, Ingo, Bekannter von Gernot, find ich super. Wir sind zwar eigentlich genug, aber inzwischen alle so alt, dass dauernd welche verletzt sind und nicht mitspielen können. Wir machen uns warm, haha, wir traben ein, zwei Runden durch die Halle und wissen genau, dass das bisschen Dehnen nicht reicht, wenn was passiert, wenn wir doch zusammenknallen oder eine blöde Bewegung machen. Immer gleich ne Zerrung, immer gleich zwei, drei Wochen nicht dabei oder nur hinterher zum Bier. Und eigentlich immer selber schuld. Oder Gernots Schuld, der hat immer noch nicht geschnallt, dass er sich nicht ganz unter Kontrolle hat, so’n richtiger Körperklaus, brettert dauernd mit irgendwem zusammen, obwohl wir das eigentlich vermeiden, rennt selbst gegen die Wand oder uns übern Haufen, tritt nach dem Ball, obwohl der längst weg ist, und peilt mit über fünfzig immer noch nicht, wie man sich ein bisschen vorsichtiger bewegt. Irre eigentlich, dass er so begeistert Fußball spielt. Ich hab ihn furchtbar gern. Wenn er mich nicht gerade umrennt. Wir nennen es tatsächlich Training, was wir hier machen, totaler Quatsch. Wir spielen, weil es Bock macht, wir trainieren nicht. Wir nehmen nicht an Turnieren teil, wir spielen in keiner Liga, wir machen uns ja nicht mal richtig warm.

Wir bilden Mannschaften, fünf gegen fünf, optimal, und wir pfeifen drauf, wer mit wem spielt, kommt nicht so genau drauf an. Die einen ziehen so ein rotes Leibchen über, das sind die Roten, die anderen sind die Nackten, obwohl wir ganz angezogen spielen. Nur halt ohne rotes Leibchen. Ich bin heute nackt. Gernot ist auch bei uns, das ist gut, dann rennt er mich vielleicht nicht um, außerdem Frank, Molle und Ingo. Das wird ein gutes Spiel, Frank kommt mit seinen Teleskopbeinen immer noch an den Ball, wenn jeder andere schon aufgegeben hätte, Gernot rennt die Roten einfach übern Haufen, Molle ist so ein Flitzer, der überall zwischendurchwuselt. Mal sehen, wie der Neue ist. Die Roten haben Christoph, der ist ein bisschen was Besseres, weil er früher in der B-Jugend bei Kickers Emden gespielt hat und heute noch davon redet, wie er mal kurz mit Jörg Heinrich trainiert hat. Na gut, er spielt wirklich ein bisschen besser als wir anderen, er ist der Dribbelking.

Ich hab Bock! Wir spielen immer so eine gute Stunde, keine Halbzeiten, auch nicht auf richtige Tore, sondern auf hingelegte Kästen, ohne Torwart, damit man nicht so draufholzen muss. Keine hohen Bälle, keine Kopfbälle, kein gar nichts, jede Menge Vorsichtsmaßnahmen, eigentlich sind wir ja alle zu alt für den Quatsch. Aber es macht so einen Spaß! Rennen, brüllen, gegen den Ball treten, der Geruch von Männerschweiß. Herrlich.

Meine Habibis. Wir rennen wild durcheinander, müssen uns als Mannschaften erst finden, ich bekomme einen Pass von Christoph, er muss gedacht haben, ich bin in seiner Mannschaft, aber er ist rot, und ich bin nackt beziehungsweise braun-weiß, ich spiele natürlich im St.-Pauli-Shirt, Ehrensache. Christoph flucht, er hat sich tatsächlich einfach vertan, das ärgert ihn sehr. Wie Jörg, wenn er irgendwas vergessen oder verwechselt hat, dann ärgert er sich auch immer so. Aber meine Güte, so was passiert halt mal, ist ja nicht schlimm. Geht ja meistens nicht die Welt von unter. Ich passe zu Ingo, der spielt offenbar nicht schlecht, er schießt auf den Kasten, aber knapp dran vorbei. Schade eigentlich. Zehn Minuten später mache ich ihn rein, ich freu mich, die anderen jubeln mit, wir fallen uns um den Hals wie die Profis. So ein Treffer ist einfach geil. Muss gerade an Constanze denken, am Anfang war ich nicht sicher, ob sie ein Treffer ist oder ob wir für sie ein Treffer sind, aber jetzt fürchte ich den Tag, an dem sie eine Wohnung findet. Sie soll bleiben, sie ist gut für uns alle, sie bringt hier und da ein bisschen Struktur rein, und selbst Anke findet sie gar nicht mehr so spießig, glaube ich. Sie ist irre gut organisiert, und sie macht sich langsam locker, vielleicht sind wir ja auch gut für sie. Bestimmt.

Huch, ich hab Molle ganz übersehen, jetzt renne ich auch schon Leute um und auch noch welche aus meiner eigenen Mannschaft, sorry, Molle! Er ist schon weg, mitsamt dem Ball, so schnell kann man manchmal gar nicht gucken, wie der ist. Conny soll bleiben und nicht genauso plötzlich wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht ist. Sie muss doch auch merken, wie gut das mit uns allen passt. Puh, ich bin ein bisschen schnell gerannt gerade, und irgendwie bin ich nicht so fit, wie ich gern wäre. Die Roten schießen ein Tor, ich bin froh, dass wir kurz Pause machen und ich was trinken kann. Ich muss unbedingt mehr Sport machen, mal mit Anke laufen gehen oder so, aber ist auch bisschen peinlich, wenn ich neben ihr her schnaufe wie so ne Lokomotive und sie neben mir die Gazelle gibt. Nee, besser allein, erst mal wieder fit werden.

 

Päuschen zu Ende, die anderen sind auch ordentlich verschwitzt, alle freuen sich jetzt schon auf das Bier danach. Aber erst mal wird noch gerannt, es steht drei zu zwei für uns, und ich will jetzt gewinnen. Wenn wir gewinnen, bleibt Constanze bei uns. Ich gebe alles, ich renne in der Halle herum wie ein Irrer, ich will Tore schießen, ich will fit und stark sein und gewinnen. Wie im Kindergarten, wir rennen und brüllen herum, wir sind unvernünftig, wir lachen und haben Spaß und nehmen uns für jedes Tor in den Arm oder hauen einander mindestens auf die Schultern, und das tut gut. Könnte Jörg vielleicht auch mal gebrauchen.

Christoph hüpft um den Ball herum wie ein Welpe, er dribbelt uns alle aus und schießt ein Tor für die Roten. Ich muss manchmal beinahe lachen, so verspielt und elegant sieht das aus, wenn er über den Ball springt und uns damit jedes Mal wieder überrascht, weil das sonst keiner von uns macht, es ist ein etwas unorthodoxes Vorgehen, aber höchst effizient. Es steht vier zu vier, wir beschließen, Schluss zu machen, ist doch schön, unentschieden, niemand hat verloren. Aber ich wollte doch gewinnen! Ich wollte gewinnen, damit Conny bei uns bleibt, als hätte das eine irgendwas mit dem anderen zu tun.