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Timm Svensen, ein erfolgreicher, aber auch übereifriger deutscher Manager wartet bereits seit mehreren Jahren darauf, endlich seine Traumfrau zu finden. Aber weder die Frauen, die seine Mutter für ihn aussucht, noch die Damen, die ihm gelegentlich über den Weg laufen, sind für ihn schön, intelligent und außergewöhnlich genug. Im Januar 2005, während eines kurzen Urlaubs in seiner spanischen Villa, geschieht das, worauf er so lange glühend gewartet hatte: Er begegnet ihr, Roya Sassan, einer Studentin der Kunstakademie Barcelona. Sie ist sehr attraktiv, intelligent und verkörpert all die Eigenschaften einer Traumfrau, die er sich immer gewünscht hatte. Innerhalb einer relativ kurzen Zeit wird aus dieser oberflächlichen Bekanntschaft eine aufrichtige Liebe. Beide entdecken jede Menge Gemeinsamkeiten und eine tiefe Zuneigung füreinander. Während einer gemeinsamen Fahrt von Spanien nach Deutschland bemerken sie des Öfteren, dass man sie verfolgt, ohne darin einen plausiblen Grund zu erkennen. Sie haben keine Ahnung, dass einen Tag vor ihrer Reise die Mitglieder einer Terrororganisation Timms Abwesenheit nutzten, 120 Kilo Sprengstoff in den Kofferraum seines Autos luden und das Verriegelungssystem des Kofferraums blockierten. Sie verfolgen die Absicht, mit der Fracht einen Wolkenkratzer in Frankfurt in die Luft zu sprengen. Dieser Roman ist eigentlich eine herzergreifende Liebesgeschichte. Dennoch sorgt im Hintergrund die furchterregende Vorbereitung eines Terroranschlags für Nervenkitzel und Spannung. Ein brillanter Thriller.
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Seitenzahl: 576
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Für Jasmin
Prolog
Timm
Spitzel
Roya
Mausefalle
Präparation
Öl und Wasser
Unerwünschte Zeugin
Fahrgemeinschaft
Das Geschenk
Enthüllung eines Geheimnisses
Eine mutige Entscheidung
Der Unfall
Einsatz von Plan B
Enttäuschende Begegnung
Eine Seele und zwei Körper
Kommissar Bernard
Die Entführung
Die zerstreuten Puzzleteile
Rätsel um den Kofferraum
Solange ich atme, hoffe ich
Die erbarmungslose Richterin
Begeben in Gefahr
Strategieplan
Ein verlockendes Angebot
Zähmen eines Trotzkopfes
Krankhafte Neugier
Schatzkammer
Der Mann, der aus der Hölle kam
Der Mitternachtstraum
Ein Wille und ein Weg
Epilog
Nach den schrecklichen Terroranschlägen in New York am elften September 2001 vereitelte die nachhaltige Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen in mehreren westlichen Staaten die mörderischen Pläne der Terroristen, ganz besonders die der
Al-Qaida-Organisation, fast nahezu.
Die permanente Überwachung der Grenzübergänge, des Zahlungsverkehrs in den Geldinstituten sowie das Abhören der Telefongespräche von verdächtigen Personen führten dazu, dass die Organisation der Terroranstalt in den arabischen Ländern zusammenbrach.
Obwohl zwischen 2001 bis 2004 einige Gewaltaktionen stattfanden, konnten die geplanten Überfälle auf Hunderte von westlichen Einrichtungen nicht durchgeführt werden.
Die westlichen Sicherheitsapparate beobachteten aufmerksam fast jede verdächtige Bewegung in Europa und Amerika.
Es dauerte Monate, bis die zentrale Organisation der Terrorfabrik in Afghanistan auf die Idee kam, ihre Terror-Projekte, wie es in der Wirtschaft üblich ist, outzusourcen. Für die Umsetzung wurden mehrere einflussreiche, clevere, aber auch unauffällige Personen in den europäischen Ländern gesucht, die gegen angemessenes Honorar solche Aufgaben übernehmen sollten.
Die Auftragnehmer wurden verpflichtet, die gewünschte Aktion mit einem eigenen Team selbstständig durchzuführen.
Um die Realisierung des Auftrags nicht zu gefährden, mussten sie sicherstellen, dass alle Teammitarbeiter juristisch unbelastet und in der Gesellschaft völlig unauffällig waren. Eine weitere Bedingung für die Durchführung solcher Aufträge war, dass die Teammitarbeiter in dem jeweiligen Land bereits seit mehreren Jahren lebten und vor allem eine gültige Aufenthaltserlaubnis besaßen. Natürlich mussten sie gutgläubige Moslems sein und die anvertrauten Aufgaben mit voller Überzeugung übernehmen wollen. Im Gegenzug stellte der Auftraggeber einen großzügigen Etat zur Verfügung.
Die Geldübergabe an den Auftragnehmer erfolgte durch ausgewählte Kuriere, zumeist Kaufleute, die oft im Ausland Geschäfte für Saudi-Arabien abwickelten.
Als weitere Maßnahme wurden ihnen mehrere Mobiltelefone oder E-Mail-Adressen von unbekannten Hausfrauen in arabischen Ländern zur Verfügung gestellt.
Es wurde sichergestellt, dass die Telefongespräche sowie die Kommunikation im Internet nur verschlüsselt durchgeführt werden konnten.
Zur Vorbereitung des Terroranschlags erhielt der Auftragnehmer mehrere Bilder des Objekts, das zu einer bestimmen Zeit explodieren sollte. Er hatte dann einige Monate Zeit, um hierzu ein Konzept zu erarbeiten und dieses mit dem Auftraggeber abzustimmen.
Vahid al Mokhtar wurde vor Kurzem Auftragnehmer der Al-Qaida. Er war ein großer schlanker und gutaussehender, fünf und-vierzigjähriger Ägypter. In den neunziger Jahren war er einer der wichtigsten Berater von Jassir Arafat. Während seiner Amtszeit gelang es ihm regelmäßig, wenn er das iranische Außenministerium in Teheran besuchte, mit seinem Charme und seiner cleveren Verhandlungsstrategie nicht nur mehrere Lastwagen voller schwerer Waffen für die Palästinensische Befreiungsorganisation zu organisieren, sondern er brachte auch mehrere Koffer mit Millionen Dollars als Entwicklungshilfe mit.
Anfang 2001 zog er sich aus der politischen Szene zurück, da er von den andauernden Problemen zwischen der PLO und Israel nichts mehr wissen wollte. Er kaufte sich eine Luxusvilla in dem westlichsten Ferienort der Costa del Sol, in Estepona, nicht weit von der Plaza „de las Flores“. Es hielt sich das Gerücht, dass er sich während seiner Beratungstätigkeit an iranischen Großzügig-keiten ordentlich bereichert hatte.
Anfang 2002 eröffnete Vahid al Mokhtar Reisebüros in Barcelona, Madrid und Málaga. Geschäftsführer wurde ein langjähriger Freund, dem er ganz besonders vertraute.
Gelegentlich beriet er gegen ein ansehnliches Honorar seinen Cousin, Wagdi bin Sadegh, der eine „Schein-Autowerkstatt" bei Cretiel (ca. achtzehn Kilometer südlich von Paris) unterhielt, bei der Beschaffung von Waffen für einige arabische Länder.
Obwohl er sich immer in der Öffentlichkeit als ein gläubiger Moslem präsentierte, wussten viele seiner Freunde, dass er sich nicht immer an die Gesetzte des Korans hielt. Er trank Alkohol, verkehrte fast jeden Abend im Bordell und war ein passionierter Spieler. Und gerade diese Sucht hatte ihn im Laufe der Zeit fast ruiniert. Innerhalb eines Jahres verlor er knapp achthunderttausend Euro in verschiedenen Kasinos, besonders in der Spielbank von Marbella.
Die Einnahmen aus seinen Reisebüros sowie aus seinen Beratungstätigkeiten deckten kaum ein Fünftel seines kostspieligen Lebensstils ab.
Von Tag zu Tag schwand sein Vermögen dahin und er wirkte immer verzweifelter, trauriger und niedergeschlagener. Gelegentlich überlegte er wieder, zu seinem alten und inzwischen völlig angeschlagenen Freund Jassir Arafat zurückzukehren und seine alte Tätigkeit als Berater wiederaufzunehmen. Anderseits hoffte er darauf, die Spielbank eines Tages zu knacken, um all seine Verluste auszugleichen.
Am 28. März 2004 bekam er Besuch aus Saudi-Arabien von einem Scheich namens Omar Salehi. Dieser hatte sich einen Tag vorher telefonisch bei ihm gemeldet und um einen Termin gebeten. Er wusste, wo er wohnte, und schlug vor, ihn gegen fünfzehn Uhr in seinem Haus zu besuchen.
Als Scheich Omar sich pünktlich bei seiner Haushälterin meldete, wusste Vahid nicht mehr, wer der Fremde war und was er von ihm wollte. Er hatte diesen Termin schlicht vergessen.
Fast eine Stunde ließ er den Scheich im Wohnzimmer warten, da er sich zunächst unter der Dusche von Körpergeruch und seinem Alkoholrausch befreien musste.
Scheich Omar Salehi stellte sich freundlich vor, richtete schöne Grüße von Abu-Muhammad Osama bin Laden aus und ohne um den heißen Brei herumzureden, kam er gleich zur Sache. Er fragte ihn, ob er bereit wäre, im Auftrag von Al-Qaida tätig zu werden.
Ohne auf seine Reaktion zu warten, betonte er, dass seine Organisation ganz bewusst ihn ausgesucht hätte, weil man ihn für einen ausgezeichneten Organisator halte und seine enge Beziehung zu zahlreichen wichtigen Männern und Frauen in Europa und Nordafrika hochgeschätzt werde.
Er fügte hinzu, dass seine Organisation dringend zuverlässige und unauffällige Personen wie ihn bräuchte, da der Großteil der Mitglieder der Al-Qaida-Organisation ständig von ausländischen Geheimdiensten überwacht werden würde.
Er betonte, dass man ihm bei der Gestaltung und Durchführung seines Auftrags freie Hand lassen würde. Dennoch sei es wichtig, dass er vor der Ausführung des Auftrags sein Gesamtkonzept sowie die Namensliste seines Teams mit ihnen abstimme.
»Ich habe immer noch nicht verstanden, worüber Sie reden und was Sie von mir wollen«, sagte Vahid irritiert.
Er schaute Scheich Omar zum ersten Mal direkt in die Augen und fügte hinzu: »Vielleicht wissen Sie schon, dass ich mich seit ein paar Jahren aus der politischen Szene zurückgezogen habe.«
»Ja, das wissen wir wohl. Aber Osama ist der Meinung, dass Sie der beste Mann für uns sind und wir Sie jetzt brauchen.
Sie werden seit ein paar Jahren nicht mehr überwacht und haben hinreichende Beziehungen zu ausländischen Leuten aus Wirtschaft und Industrie. Vor allem aber wissen Sie, wo man heiße Waren beschaffen kann. Wie gesagt, wir wollen von Ihnen keine aktive Beteiligung, sondern Sie sollen aus dem Hintergrund planen und steuern.«
»Planen und steuern? Wofür? Geht es um Entführung, Erpressung oder…«
Scheich Omar öffnete seinen Aktenkoffer, legte einige Bilder von einem Riesengebäude in der Stadtmitte von Frankfurt am Main vor und erwiderte mit ruhiger Stimme:
»Wir wollen diesen deutschen Wolkenkratzer in Frankfurt von der Erde verschwinden lassen. Die Aktion soll ganz effektiv und überraschend durchgeführt werden. Wir legen Wert darauf, dass keiner von ihren Leuten dabei erwischt, verletzt oder getötet wird.«
Vahid betrachtete das Bild genauer, pfiff durch die Zähne und fragte leise: »Was haben Sie sich dabei gedacht? Soll das Gebäude von oben attackiert werden, wie in New York, oder von unten?«
»Von Wollen ist keine Rede. Nach unserer Information ist ein Angriff von oben fast unmöglich, denn die deutsche Luftüberwachung ist nicht zu überwinden. Um das Gebäude zu vernichten, so denken wir, sollte man mit ausreichend hochexplosiven Bomben entweder das gesamte Fundament so erschüttern, dass das gesamte Bauwerk in die Luft gesprengt wird oder, wenn man die Statik des Bauwerkes kennt, eine empfindliche Etage so zerstören, dass die anderen Etagen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Welche Methode auch immer, es ist sehr wichtig, dass die Explosion an einem normalen Arbeitstag stattfindet.«
Als die spanische Haushälterin mit einem Tablett kalter Getränke ins Zimmer eintrat, blieb Scheich Salehi stumm. Er schwieg, bis sie wieder das Wohnzimmer verließ, und sagte dann:
»Wenn Sie diesen Auftrag übernehmen, können Sie selbstverständlich allein entscheiden, welche Möglichkeiten bestehen und wie Sie es ausführen wollen. Wie gesagt, Sie müssen nur Ihren Plan mit uns abstimmen.«
Vahid blieb für mehrere Minuten stumm und nachdenklich. Allmählich begriff er, das war kein Höflichkeitsbesuch, sondern man hatte ihn gezielt für eine riskante Aufgabe ausgesucht.
Er überlegte, ob es nicht besser wäre, den unsympathischen Scheich aus seiner Wohnung rauszuwerfen, um sich von dieser gefährlichen Unternehmung zu befreien. Aber der große Aktenkoffer von Scheich Salehi roch nach Geld, viel Geld. Einige Bündel davon hatte er schon gesehen. Ja, Geld, das war es, was er dringend brauchte.
Ohne seinen Blick von dem Koffer abzuwenden, fragte er: »Warum ein Terroranschlag in Deutschland? Ich dachte, die deutsche Regierung ist gegen den Krieg im Irak.«
»Mag sein. Es geht nicht nur um Protest gegen den Krieg im Irak oder um die Unterdrückung unserer Brüder und Schwestern in Afghanistan«, erwiderte er mit erhobener Stimme. »Nein, es geht darum, diesen arroganten und ungläubigen Aggressoren klarzumachen, dass sie ihre satanische Ideologie in islamische Länder nicht importieren dürfen. Sie müssen endlich begreifen, dass uns unsere Werte heilig sind und sie ihre schmutzige und unislamische Lebensform in unserer Welt nicht ausbreiten dürfen. Mit solchen Aktionen, völlig egal, in welchem Staat sie stattfinden, wollen wir gegen die Länder protestieren, die mit ihrer einseitigen Israelpolitik unsere Moslembrüder wie den letzten Dreck behandeln. Wir besitzen keine Hightech-Waffen, Überwachungssatelliten oder Intelligenz-services, aber wir können unsere Muslimbrüder so mobilisieren, dass sie jeden Tag das Leben der Ungläubigen in eine Hölle verwandeln. Sie sollen ständig zittern und endlich begreifen, dass wir uns wehren können. Ja, es geht darum, zu beweisen und ein deutliches Zeichen zu setzen, dass wir trotz ihres außergewöhnlichen Sicherheitsapparates in der Lage sind, jederzeit anzugreifen und sie bloßstellen zu können. Aber nicht nur das, Osama geht einen Schritt weiter; es geht um die Wiederherstellung einer islamischen Ordnung in der ganzen Welt. Es geht um Macht mein Freund, um die Macht des Islams.«
Er trank etwas von dem kalten Wasser, besänftigte seine Stimme und sagte in einem geheimnisvollen Ton: »Eigentlich ist der Wolkenkratzer in Frankfurt für uns unwichtig, wichtig ist der Inhalt des Gebäudes.“
Der letzte Satz verstärkte Vahids Neugierde. Er starrte ihn mit aufgerissenen Augen an und fragte leise:
»Was gibt es noch außer Menschen, Akten und Geld in dem Gebäude?“ Ein triumphierendes Lächeln zuckte um die Mundwinkel des Scheichs und er antwortete zögerlich:
»In diesem Gebäude befindet sich eine Firma mit Namen „VIO Consulting“. Diese Firma ist in Wirklichkeit eine der wichtigsten Auslandsbüros des israelischen Geheimdiensts, Mossad. Sie überwacht alle Aktivitäten von Bürgern aus islamischen Ländern, die in der Bundesrepublik wohnen, und noch schlimmer, sie gibt ihre Informationen an die deutschen Behörden weiter. Daher wollen wir dieses Gebäude, ganz besonders seine 32. Etage, in die Luft sprengen, koste es, was es wolle. Dann haben wir vielleicht einige Zeit Ruhe und ein gutes Gefühl, nicht ständig überwacht zu werden.«
Er starrte Vahid herausfordernd an und fragte: »Würden Sie diesen Auftrag für uns übernehmen, Herr Mokhtar?“
Vahid schaute Scheich Omar mit prüfendem Blick schweigend an. Er konnte sich nicht erklären, warum, aber seine Argumente schienen ihm nicht so überzeugend. Es fehlte in seiner Rede an Enthusiasmus und in seinem Gesicht war keine glaubwürdige Überzeugung erkennbar; so als ob er alles, was er sagte, auswendig gelernt hatte. Seiner Erfahrung nach wurden solche fanatischen Sätze in arabischen Ländern immer emotional und mit heftigen Handbewegungen ausgesprochen. Aber der Scheich schien die ganze Zeit nüchtern, sachlich und rational zu sein.
Dennoch, Vahid war es egal, ihm ging es nur um das Geld. Der Auftrag kam ihm allerdings gefährlich vor, aber, da er lediglich die Planung sowie die Steuerung übernehmen sollte, konnte er es riskieren. Er erwiderte Schulter zuckend:
»Ja, es lässt sich machen. Wann soll es losgehen?«
»Wenn es nach uns geht, sollten wir es in ein paar Monaten hinter uns gebracht haben. Ich denke, Sie werden etwas Zeit dafür brauchen. Dennoch, spätestens bis Ende Herbst muss diese Aktion erledigt sein.« Vahid schüttelte seinen Kopf pessimistisch und erwiderte scharf:
»Das ist unmöglich. Ich kenne dieses Gebäude gut und weiß, welcher gigantische Sicherheitsapparat dahintersteckt. Attackieren aus der Luft ist, wie Sie selbst angedeutet haben, ausgeschlossen. Also bleibt nur ein schneller und wirksamer Angriff von der Innenseite des Gebäudes. Ich denke, am besten sollte man es in der Tiefgarage versuchen.
Da Sie die Durchführung dieser Aktion effektiv und überraschend wünschen und darüber hinaus erwarten, dass keiner unserer Leute zu Schaden kommen soll, so wäre es unsinnig, mit Gewalt in das Gebäude vorzudringen. Denn kaum, dass eine Stange Dynamit an einer Wand befestigt wird, würde das Sicherheitspersonal sofort eingreifen und unsere Männer gnadenlos erschießen.
Ich habe natürlich auf diese Aufgabe nicht gewartet und daher habe ich jetzt auch keine konkrete Vorstellung, wie so etwas überhaupt realisiert werden könnte. Aber ich denke, um eine solch aufwendige Aktion unauffällig durchzuführen, bräuchten wir den gesamten Bauplan, die statische Berechnung sowie mindestens eine wichtige Person, einen Insider, eine Person, die dort arbeitet und die in der Tiefgarage dieses Gebäudes einen ständigen Parkplatz hat. Wo ich die erforderlichen Baudokumente finde, vor allem, wann ich diesen ehrwürdigen Parkplatzbesitzer in mein Team aufnehmen kann, weiß ich nicht.
Bis ich ausreichend recherchiere, mein Team zusammengestellt sowie meinen Plan oder, wie Sie es formuliert haben, ein Gesamtkonzept erarbeitet habe und dieses mit Ihnen abgestimmt ist, dürfte das Jahr 2004 fast rum sein. Also in diesem Jahr können Sie es schlicht vergessen.
Schauen Sie mich jetzt nicht so entsetzt an, Herr Salehi, das ist meine realistische Einschätzung. Vielleicht kennt eure Organisation noch jemanden, der diese sehr riskante Aufgabe schneller erledigen kann. Ich kann so etwas jedenfalls nicht versprechen. Wenn ich für die Erstellung und Ausführung eines Konzepts Verantwortung übernehmen soll, dann lege ich Wert darauf, dass es kein Fantasieplan wird. Das Konzept muss Hand und Fuß haben, es muss praktisch und risikofrei sein. Verstehen Sie, was ich meine?
Ich finde es gut, dass Sie der Meinung sind, dass meine Leute dabei nicht zu Schaden kommen sollten. Also, es muss alles sorgfältig geplant sein, denn solch eine gefährliche Aufgabe, vor allem unbemerkt in ein ständig überwachtes Gebäude einzudringen, kann man nicht unvorbereitet durchführen.«
Einige Minuten herrschte im Raum ein beklemmendes Schweigen. Dann sprach Scheich Omar mit ernster Miene:
»Wir legen großen Wert darauf, dass Sie diese Aufgabe übernehmen. Daher möchte ich Sie herzlich bitten, alles daranzusetzen, dass wir spätestens im Winter Ihren Erfolg zusammen feiern können.
Ich habe die Vollmacht Ihnen zu versichern, dass bei dieser Unternehmung Geld keine Rolle spielt. Sie können so viele Personen einsetzen und Geld ausgeben, wie Sie es für nötig halten.
Für heute möchte ich Ihnen hundertfünfzigtausend Euro zur Verfügung stellen. Ich werde Sie in vier Wochen wieder besuchen und dann bringe ich mehr Geld mit, viel mehr. Sie sollen bei Ihren Aktivitäten kein Geldproblem haben. Sind Sie mit meinem Vorschlag einverstanden?«
Zum ersten Mal funkelten Vahids Augen vor Freude. Das Gefühl, dass mit diesem Auftrag sein finanzielles Problem beseitigt würde, löste bei ihm eine innere Zufriedenheit aus. Er sagte in vertraulichem Ton und senkte die Stimme:
»Lieber Freund, Sie haben gesagt, was Sie von mir wollen. Aber Sie haben kein Wort darüber verloren, was es mir persönlich bringt, ich meine finanziell, wenn ich die Planung und die Organisation dieser Aufgabe übernehme? Wissen Sie, ich möchte von Anfang an bei unserer Zusammenarbeit Klarheit haben. Es darf nachher zwischen uns keinen Ärger oder Missverständnisse geben.
Sie müssen mich verstehen, wenn ich an die Arbeit gehe, kommen immense Kosten auf mich zu. Ich muss mehrere Personen ganztägig einstellen, ich muss für sie ein Auto und eine Wohnung besorgen. Ich muss für viele wichtige Informationen im Ausland einige einflussreiche Personen reichlich bestechen. Und nicht zu vergessen, um ein Riesengebäude in Asche und Rauch umzuwandeln, muss man sehr teuren Sprengstoff und den dazugehörigen Elektronikbaukasten beschaffen. Ich schätze allein dafür brauche ich mindestens eine Viertel Million Euro.
Die Personen und Materialien kosten Geld, viel Geld. Also, wie viel wollen Sie in diese Aktion investieren? Wie viel wollen Sie mir als Honorar zahlen? Erst dann kann ich Ihnen sagen, ob ich Ihren Auftrag übernehmen werde oder auch nicht.«
Scheich Salehi erwiderte aufrichtig:
»Sie können davon ausgehen, dass, wenn wir mit Ihrem Konzept zufrieden sind, das Geld wirklich keine Rolle spielt. In diesem Fall werden wir Sie so belohnen, dass Sie in Zukunft voller Freude und Begeisterung weitere Aufgaben für uns übernehmen werden.
Selbstverständlich werden wir alle Personalkosten, Material und vor allem Ihr Honorar uneingeschränkt übernehmen.
Das Geld, das ich Ihnen heute überlasse, betrachten Sie als Anzahlung. Wir wollen, dass Sie sofort an die Arbeit gehen. Ich werde Sie Ende Mai wieder besuchen und hoffe, bis dahin haben Sie, worauf wir ungeduldig warten. Wenn wir mit Ihrem Konzept einverstanden sind, werden Sie bestimmt auch mit Ihrem Honorar zufrieden sein, das verspreche ich Ihnen.«
Vahid al Mokhtar war in der Tat ein außerordentlich intelligenter und scharfsinniger Analytiker. Gleich am zweiten Tag nach diesem unerwarteten Besuch schloss er sich in sein Arbeitszimmer ein und begann für diese mörderische Aufgabe verschiedene Lösungs-ansätze zu erarbeiten. Vier Wochen lang hatte er mit zahlreichen Personen telefoniert, in der Stadtbibliothek von Málaga und im Internet recherchiert und hielt sein Konzept auf fünfzig Seiten Papier fest. Er schrieb für jeden Schritt mehrere alternative Wege auf und dokumentierte alle deren Vor- und Nachteile.
Er hatte mehrere Listen darüber angefertigt, was er für dieses Projekt benötigen würde und welche Hindernisse nach und nach beseitigt werden müssten. Er erstellte einen umfassenden Netzplan mit all seinen Abhängigkeitskriterien sowie seinen kritischen Pfaden und legte die entsprechenden Maßnahmen fest.
Er hatte an jedem Akt seines Planes ausreichende Erläuterungen vermerkt, sodass der ganze Ablauf für jeden anschaulich und verständlich erscheinen konnte.
Ende Mai 2004 stellte er sein Projekt in Form zweier Ordner Scheich Salehi zur Verfügung.
Wie Vahid erwartet hatte, wurde sein Konzept am 11. Juni 2004 von bin Laden persönlich abgesegnet. Als Scheich Salehi ihm einen Aluminium-Koffer mit großen Scheinen aushändigte, hatte er nur noch eine einzige Frage. Er wollte wissen, woher und wie er die Sprengstoffe besorgen wolle. Das hätte er in seinem Konzept nicht deutlich genug erwähnt.
»Die Sprengstoffe werden von einem Bombenspezialisten in Casablanca hergestellt«, sagte Vahid ganz stolz. »Sie werden in mehreren Aluminiumkisten positioniert und jede Kiste wird mit einem Elektronikanzünder versehen. Diese werden dann in mehreren Obstkisten verstaut und in einem Lastwagen nach Gibraltar transportiert.
Von dort werden die Waren sorgfältig in den Kofferraum eines spanischen Autos gelegt und nach Estepona gebracht.«
»Gibraltar? Nie gehört, wo ist das?«, fragte Scheich Salehi verwirrt.
»Gibraltar? Das ist eine britische Kolonie. Ein Jurakalkfelsen auf der Halbinsel an der Südspitze von Spanien. Ein sogenannter Staat im Staat.«
»Aha! Und wer sorgt dort für eine diskrete Logistik?«
»Mein Schwager, Hamid Sadat. Ich weiß nicht, ob Sie ihn schon kennen. Während meiner Beratungstätigkeit bei Jassir Arafat war er mein Assistent. Er ist eine clevere und fähige Persönlichkeit. Ohne ihn wäre es mir nicht möglich gewesen, einige wichtige und schwierige Aufgaben zu bewerkstelligen.
Als meine Schwester starb, war er nicht mehr derselbe. Er hat mit seiner Arbeit bei der PLO aufgehört und reiste nach England. Dort hat er eine englische Frau kennengelernt. Sie war etwas älter als er. Um in England eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, er wollte sich eine neue Existenz aufbauen, beschloss er, sie zu heiraten. Nach einem Jahr langweiligen Aufenthalts in England konnte er seine Frau davon überzeugen, die Insel zu verlassen, da er es dort nicht mehr aushalten konnte. Sie zogen nach Gibraltar um und eröffneten dort einen Duty-Free Shop. Sie leben dort offenbar nicht schlecht. Gelegentlich nutzte er sein Know-how und beriet einige Waffenhändler in Europa.
Sie brauchen keine Angst zu haben, er ist absolut in Ordnung. Er hat schon öfter für mich gearbeitet und ist sehr zuverlässig. Man kann ihm uneingeschränkt vertrauen.
Außerdem ist das aus meiner Sicht die einzige Möglichkeit solch heiße Waren hinter dem Rücken von spanischen Zollbeamten und der Polizei hierher zu schmuggeln.«
»Perfekt, es hört sich gut an. Offenbar haben Sie für jedes Problem mindestens eine Lösung. Jetzt weiß ich, warum Osama unbedingt Sie für dieses Projekt haben wollte. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.«
Von diesem Tag an hatte Vahid tatsächlich keine finanziellen Probleme mehr; denn Scheich Omar Salehi hatte sein Versprechen wahrgemacht. Er hatte zwei Millionen Euro für dieses Projekt zur Verfügung gestellt.
Innerhalb von dreißig Tagen stellte er mit Hilfe seines erfahrenen Freundes, Massoud Sabah, einem Marokkaner mit spanischer Staatsangehörigkeit, seine Mannschaft zusammen.
Das Team bestand aus fünf Marokkanern, zwei Spaniern, einem Franzosen sowie einem Belgier. Zusätzlich sollten am Tag X zwei weitere Bombenspezialisten (beide Ägypter) in Frankfurt sein Team unterstützen.
Massoud hatte zuerst die Aufgabe, eine Person ausfindig zu machen, die in der Tiefgarage des Frankfurter Wolkenkratzers eine dauerhafte Parkplatzberechtigung hatte. Parallel dazu übernahm er die Rolle eines Trainers und bildete die zentrale Verbindungsstelle.
Er sollte genau nach den Anweisungen von Vahid vorgehen, alle Entscheidungen mit ihm abstimmen und nach und nach seine Leute auf diese Aktion vorbereiten.
Massoud war Anfang fünfzig, ein kraftvoll gebauter Mann mit dichtem, schwarzem Haar und einem breiten, tief gefurchten Gesicht.
Er lebte in den neunziger Jahren in Deutschland und arbeitete gelegentlich für Vahid. 1993 verbüßte er wegen eines bewaffneten Raubüberfalls in Mannheim drei Jahre Haft im Gefängnis und wurde unmittelbar nach seiner Entlassung in seine Heimat abgeschoben. Seine Mutter und seine kleine Schwester, Djamileh, blieben jedoch in Frankfurt ansässig.
1995 wanderte er nach Spanien aus und zwei Jahre später war es ihm gelungen, mit drei Millionen Peseta Bestechungsgeld seinen Antrag auf die spanische Staatsangehörigkeit durchzusetzen.
Am Anfang arbeitete er als Hausmeister und nach zwei Jahren harter Arbeit konnte er mit seinen Ersparnissen eine Hausverwaltungsfirma für Ferienhäuser in Castelldefels (dreißig Kilometer südlich von Barcelona) gründen.
Er war ein erfolgreicher Mann. 2004 hatte er vierzig Mitarbeiter; zumeist Afrikaner. Sie alle kümmerten sich um die Reinigung und um die Durchführung von Reparaturen an den Ferienhäusern sowie um die Schlüsselübergabe.
Am ersten August 2004 lud Massoud die ausgesuchte Mannschaft in sein Haus ein. Nach dem Abendessen führte er mit jedem Teammitglied Einzelgespräche. Je nach Dauer und Art der Tätigkeit hatte er mit jedem einen festen Lohn vereinbart. Dieser belief sich auf zehn- bis dreißigtausend Euro plus Spesen. Eine besondere Prämie hatte er ebenfalls in Aussicht gestellt. Bedingung war, dass alles reibungslos und ohne Panne laufen würde.
In einem aggressiven Tonfall drohte er an, dass, falls ein Mitarbeiter ihn verlassen wolle, derjenige im Falle etwaiger Versäumnisse oder eines Verrats mit schlimmer Vergeltung rechnen müsse.
Obwohl bei diesem Projekt alles perfekt und vielversprechend erschien, war die ganze Aktion abhängig von der Mitarbeit einer Person, eines Mannes, der in dem Frankfurter Wolkenkratzer arbeitete und sein Auto dort parken durfte.
Timm Svensen war ein erfolgreicher deutscher Manager. 37 Jahre alt, 185 cm groß, breite Schultern und besaß eine dynamische, selbstbewusste, dennoch freundliche Ausstrahlung. Er hatte leuchtend blaue Augen, dunkelblonde Haare und eine hell kupferne Hautfarbe.
Sein Vater starb, als er acht Jahre alt war, und hinterließ ihm und seiner Mutter knapp elf Millionen Euro Vermögen.
Eigentlich war Timm ein verträumter Romantiker. Interesse an irgendeiner kaufmännischen Tätigkeit hatte er nicht. Er hätte gerne nach dem Abitur seine Ausbildung in einer Schauspielschule fortgesetzt, das war sein Traum. Darüber hatte er des Öfteren mit seiner Mutter gesprochen, seine Wünsche wurden jedoch zu keinem Zeitpunkt von ihr richtig wahrgenommen. Seine Mutter war im Gegensatz zu ihm eine strenge und konservative Frau, mit völlig anderer Denkweise und Lebensanschauung.
Sie war der Auffassung, dass wenn er sich intensiver mit den Bereichen Wirtschaft und Informatik beschäftigen würde, könnte er sich eine stabile und sichere Zukunft aufbauen.
Gerade wegen dieser unterschiedlichen Gesinnung gab es ständig heftige Konflikte zwischen Mutter und Sohn. Er hatte ihr des Öfteren zu verstehen gegeben, dass Wirtschaftswissenschaft nicht seine Welt war und er sich damit nicht anfreunden könne. Aber er unterschätzte die Zielstrebigkeit seiner Mutter; sie war hartnäckig und setzte ihn ständig unter Druck. Nach einem Jahr des angenehmen Nichtstuns bewarb er sich dann doch an der Universität Hamburg und lernte genau das, was sie für ihn ausgesucht hatte: Business Management.
Am Anfang hatte er enorme Schwierigkeiten. Aber nach und nach gelang es ihm, in dieser ihm unbekannten und ungeliebten Welt Fuß zu fassen.
Nach dem Abschluss seines Studiums, er war jetzt Diplom-Kaufmann, arbeitete er einige Jahre bei verschiedenen Banken und Versicherungen. Nebenbei setzte er seine Ausbildung im Bereich Sicherheit der Informationsverarbeitung fort.
1998 gründete er eine Firma mit dem Namen „IT Security Consulting GmbH“, auch ISC genannt. Innerhalb kurzer Zeit stellte er acht Mitarbeiter ein, zumeist IT-Spezialisten mit mehreren Jahren Erfahrung. Sein erster Kunde war sein ehemaliger Arbeitgeber. Schnell erwarb er sich einen ganz ausgezeichneten Ruf und erhielt in kurzer Zeit von verschiedenen großen Firmen neue, attraktive und dauerhafte Aufträge.
2001 schloss er mehrere langfristige Verträge mit bekannten internationalen Firmen in Frankreich und Spanien ab, die ihren Hauptsitz in Deutschland hatten.
Er und seine Mitarbeiter entwickelten Sicherheitssysteme-Verfahren für Informationsübertragung via Festnetz, Funk oder Internet.
Weiterhin hatten sie sich auf die Zugangskontrolle, die Verschlüsselungs-Technik von Daten sowie auf die maschinelle Überwachung des Zahlungsverkehrs spezialisiert. Mit zahlreichen Artikeln über Sicherheitsverfahren im Datennetz in verschiedenen Fachzeitschriften machte er sich in diesem Segment relativ schnell einen guten Namen.
2002 leitete er eine solide Firma mit 35 Spezialisten in Deutschland, Belgien, Frankreich und Spanien. Trotz hoher Miete übernahm er eine ganze Etage eines Wolkenkratzers im Zentrum von Frankfurt am Main. Er meinte, ein repräsentatives Verwaltungsgebäude würde das Image und die Seriosität seiner Unternehmensberatung verstärken.
Er hatte recht, sogar das Bundeskriminalamt in Wiesbaden beteiligte sein Unternehmen an der Entwicklung eines maschinellen Passkontrollsystems. Er prüfte selbst jedes entwickelte System ganz kritisch auf Herz und Nieren, und erst, wenn er keine Lücke feststellen konnte, gab er es für den Einsatz frei.
Diese zeitaufwendige Aufgabe führte dazu, dass er manchmal bis zu sechzehn Stunden arbeitete und oft auf Dienstreise gehen musste. Aber dieses stressige Leben machte ihm gar nichts aus, im Gegenteil, er betrachtete seine Tätigkeit als angenehme Herausforderung. Außerdem legte er großen Wert auf den Ruf seiner Firma.
Im Sommer 2002 ließ er sich bei einem Besuch der spanischen Tochtergesellschaft von BASF in Tarragona während des Mittagessens mit seinen Kunden von einem spanischen Manager dazu überreden, ein Haus direkt an der Küste von Dorado in Miami Playa zu kaufen.
Das Haus war in der Tat ein Schmuckstück. Es war groß, besaß zwei Etagen, mehrere Zimmer, einen traumhaften Garten und lag direkt am Strand.
Der erste Besitzer, ein deutscher Manager, musste wegen eines Scheidungsprozesses das Haus verkaufen.
Er bezahlte dafür weniger als fünfhunderttausend Euro, obwohl der alte Besitzer insgesamt fast achthunderttausend darin investiert hatte.
Timm hatte es gekauft, ohne zu wissen, wozu er ein Haus in Spanien brauchte. Aber er stimmte dem spanischen Manager zu, dass das Haus sehr preiswert und eine gute Kapitalanlage sei.
Außerdem konnte er immer, wenn er seine spanischen Kunden besuchte, ungestört in seinem eigenen Haus Urlaub machen und den immer größer werdenden Stress abbauen. Ansonsten wurde das Haus oft von seiner Mutter benutzt.
Innerhalb der letzten sechs Jahre selbstständiger Arbeit war er ziemlich reich geworden; der letzte Jahresumsatz betrug über 35 Millionen Euro.
Er war in der Tat erfolgreich und mit seinem Leben fast zufrieden. Es fehlte ihm jedoch etwas Wichtiges, eine Frau, eine Liebe, jemand außerhalb der Berufswelt. Jemand, der in seiner Freizeit an seiner Seite steht, mit ihm ins Theater geht, tanzt, Urlaub macht und eine bedeutende Rolle in seinem Leben einnimmt.
Dennoch, die umfangreiche Arbeit im In- und Ausland ließ ihm kaum Zeit, seine Traumfrau irgendwo zu finden. Die interessanten Freundinnen aus der Studienzeit waren inzwischen entweder verheiratet oder ins Ausland ausgewandert.
Manchmal versuchte er in einem Theater, in der Oper, in einer Kunstgalerie und sogar bei verschiedenen Seminaren eine Frau nach seiner Vorstellung zu finden, aber er hatte keinen Erfolg.
Entweder waren seine Ansprüche zu hoch oder die Frauen, die er selbst hier und da kennenlernt oder die von seiner Mutter empfohlen wurden, waren ihm zu ordinär und nicht attraktiv oder nicht intelligent genug.
Aber die Hoffnung, eines Tages seine unbekannte Traumfrau zu finden, loderte stark und beständig in ihm.
Sie stand mehrere Minuten vor dem Empfangsbüro der Firma IT Security Consulting GmbH, ziemlich aufgeregt und unsicher, und traute sich nicht einmal, an die Tür zu klopfen.
Sie schien höchstens zwanzig Jahre alt zu sein. Sie hatte ein hellbraunes Gesicht, dichte schwarze Haare und große schwarze Augen. Für 160 cm. Körpergroße wirkte sie etwas korpulent, gleichwohl war sie ein auffallend sympathisches Mädchen. Als ein Mitarbeiter der ISC, Herr Jürgen Puls, bei ihr vorbeiging, fragte er sie mit freundlicher Miene, ob sie zu Frau Schneider gehen wollte. Zuerst war sie unschlüssig, nickte dann aber lächelnd. Jürgen öffnete die Tür und sagte:
»Renate, Besuch für dich«, und mit einer höflichen Handbewegung ließ er die junge Frau ins Büro eintreten.
Zögernd näherte sie sich dem Schreibtisch der Chefsekretärin und schaute sie schüchtern an.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Renate entgegenkommend und bat sie gleichzeitig mit einem Handzeichen Platz zu nehmen. Sie blieb aber stehen und sagte stotternd:
»Entschuldigen Sie die Störung, ich … ich, wollte fragen, ob Sie eine Mitarbeiterin brauchen? Ich kann alles für Sie erledigen: putzen, Kaffee kochen, alle Arten von Verwaltungstätigkeiten, z. B. kopieren, archivieren, alles, was Sie benötigen. Ich bin nicht an eine bestimmte Arbeitszeit gebunden. Täglich zehn oder zwölf Stunden Arbeit, das macht mir nichts aus.«
»Nehmen Sie doch Platz. Wie kommen Sie darauf, dass wir jemanden für solche Arbeiten brauchen?«
Sie war spürbar nervös, versuchte jedoch, ruhig zu wirken. Sie setzte sich auf den Besucherstuhl, schaute direkt in Renates Augen und erwiderte lächelnd: »Wissen Sie, ich dachte, in einer großen Firma wie ISC könnte man doch „ein Mädchen für alles“ gut gebrauchen. Deshalb möchte ich mein Glück versuchen.«
»Wie heißen Sie? Sie sind doch keine Deutsche, habe ich recht?«
»Ganz recht. Ich stamme aus Marokko, genau gesagt aus Tanger, der Hafenstadt im Nordwesten von Marokko. Ich heiße Djamileh, mein Vater lebt nicht mehr und ich wohne mit meiner Mutter nicht weit von hier entfernt. Ich bin in Frankfurt aufgewachsen, zur Schule gegangen und ich habe zwei Jahre lang eine Berufsausbildung als Bürofachkraft gemacht.« Ihre Stimme war jetzt etwas emotionalisiert. »Glauben Sie mir, ich bin fleißig, zuverlässig, arbeitswillig und ich bin mit jedem Gehalt einverstanden. Ich brauche nur einen Job, bitte helfen Sie mir.«
Renate blieb für eine Weile nachdenklich, dann holte sie einen Einstellungsfragebogen aus ihrer Schublade, legte ihn auf den Tisch und sagte:
»Bitte füllen Sie dieses Formular sorgfältig aus und schicken es dann an uns zurück. Die Entscheidung liegt allerdings beim Chef. Sobald Ihr ausgefüllter Antrag zurückkommt, spreche ich mit ihm. Vielleicht stimmt er zu.«
Plötzlich blitzten ihre schwarzen Augen fröhlich und sie sagte:
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie würden mich überglücklich machen, wenn Sie mir diesen Job geben.«
»Moment mal! Ich habe Ihnen keine Versprechungen gemacht. Ich sagte lediglich, dass ich mit dem Chef spreche und wenn er einverstanden ist, können wir es auf Probebasis miteinander versuchen. Wollen wir so verbleiben?«
Sie war absolut einverstanden. Denn zuvor hatte sie in diesem Gebäude bei mehreren Firmen ihr Bestes gegeben, um einen Job zu finden, aber niemand wollte sie haben. Bei ihrem ersten Versuch hatte man sie sogar aus dem Büro herausgeworfen. Sie hatte in der Tat Glück, der Chef hatte nichts dagegen. Im Gegenteil, er war froh, dass er mit der Einstellung einer Hilfskraft seine Sekretärin von vielen zeitaufwendigen Aufgaben entlasten konnte und sie sich mehr ihren ursprünglichen Aufgaben wie Terminplanung, Vertrags-ausfertigung und Buchhaltung widmen konnte.
Zwei Wochen später wurde ein Einstellungsvertrag – zuerst für drei Monate Probezeit und mit der Option bei gegenseitigem Einverständnis für unbestimmte Zeit – an die Adresse von Djamileh geschickt.
Als sie mit der Arbeit begann, war sie vor Glück und Freude überwältigt. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie alles gelernt, was Renate ihr beigebracht hatte. Sie merkte sich, voll konzentriert, wie Renate die Dokumente sortierte, archivierte und in einer Datenbank registrierte.
Zweimal pro Tag kochte sie Kaffee und Tee und servierte die Getränke jedem Mitarbeiter am Schreibtisch.
Djamileh war ständig bemüht, die Büroräume sauber zu halten, und ohne nennenswerte Beanstandung erledigte sie alle denkbaren Verwaltungstätigkeiten sorgfältig und vollständig. Jeden Tag brachte sie einen Sack voller Briefe zur Post und danach erledigte sie alle
notwendigen Einkäufe für die Küche.
Wie sie am ersten Tag versprach, achtete sie nie auf die Uhr. Sie war die erste und letzte Person im Büro; manchmal arbeitete sie über zwölf Stunden pro Tag.
Als sie ihr erstes Gehalt bekam, kaufte sie eine große Torte und gab ihren Einstand aus. Sie wurde in der Tat von Tag zu Tag beliebter und nach drei Monaten nahezu unentbehrlich.
Als Renate eine Woche im Urlaub war, übernahm sie sogar die Terminplanung für den Chef. Sie ging gerade mit dieser kritischen Arbeit sehr sorgsam um.
Renate war zutiefst beeindruckt und sorgte nach ihrer Rückkehr dafür, dass Djamileh eine Sonderprämie für ihr außergewöhnliches Engagement bekam.
Drei Monate nach ihrer Einstellung schrieb Djamileh einen Brief an ihren Bruder, Massoud, in Spanien.
„Lieber Massoud,
wie ich Dir bereits am Telefon erzählte, eine Stelle in diesem renommierten Hochhaus zu bekommen, ist schwieriger als Dein letzter Banküberfall in Mannheim.
Dennoch, seit gut drei Monaten sitze ich fest im Sattel. Man hat mich inzwischen gern und behandelt mich voller Respekt.
Du hast mir eine lange Liste von Fragen geschickt und ich versuche heute einige davon zu beantworten: In unserer Firma haben nur drei Personen eine Berechtigung in der Tiefgarage zu parken. Diese sind der Chef, Herr Svensen, Frau Schneider aus dem Sekretariat und der Stellvertreter des Geschäftsführers, Herr Jörg Schröder.
Zu Deiner Frage bezüglich der Auslandsreise der Führungskräfte habe ich herausgefunden, dass Herr Svensen und Herr Schröder des Öfteren ins Ausland reisen, meist nach Frankreich, Belgien oder Spanien. Wie es aber aussieht, gibt es zurzeit keine Reisepläne, jedenfalls ist mir nichts bekannt. Und jetzt eine Nachricht, die Dir wahrscheinlich gefallen wird:
Nachdem, was ich bisher erfahren habe, hat Herr Svensen eine Ferienvilla in Spanien in einem Ort namens „Miami Playa“.
Wenn ich meine Kollegen richtig verstanden habe, wird das Haus hauptsächlich von seiner Mutter benutzt. Aber … aber von ihm auch. Allerdings bleibt er in seiner Villa meistens nur für ein paar Tage, wenn er seine Kunden in Spanien besucht. Aber, mit absoluter Sicherheit wird er sich in der Zeit um Weihnachten und Neujahr für ein paar Wochen allein dort ausruhen. In dem Terminkalender steht, dass er zwischen dem 15.-20. Dezember seine Kunden in Frankreich und Spanien besucht und anschließend bis zum zweiten Januar in seiner Villa Urlaub macht.
Deine Frage, in welchem Klub er Tennis oder Golf spielt, muss ich mit „in keinem“ beantworten. Nach allem, was ich herausgefunden habe, hat er kaum Zeit für eine solche Art von Sport. Er ist allerdings ein Kunstfanatiker. Wenn er für sich überhaupt Zeit findet, besucht er Kunstgalerien. Am Schluss meines Briefs möchte ich mich für Deine großzügige Geldüberweisung bedanken. Mama hat sich sehr gefreut. Es macht Spaß, für Dich zu arbeiten. Ich hoffe, dass ich in meinem nächsten Brief Deine restlichen Fragen beantworten kann. Grüß Zahra von mir.
Deine Djamileh“
Djamileh wirkte immer glücklich und genügsam. Das Einzige, was sie täglich störte, war das unfreundliche Verhalten des Chefpförtners an der Rezeption des Gebäudes. Er war Mitte fünfzig, korpulent und groß. Sein glatt rasierter Kopf, sein buschiger, schwarz gefärbter Schnurrbart und vor allem seine misstrauischen Blicke verliehen ihm ein unsympathisches und manchmal furchterregendes Äußeres.
Im Gegensatz zu anderen Mitarbeitern an der Rezeption mochte er Djamileh überhaupt nicht. Eigentlich begann die feindselige Beziehung, als sie, im Auftrag von Massoud, zum ersten Mal in das Gebäude kam, um sich bei irgendeiner Firma zu bewerben. Sie war kaum in der Nähe des Fahrstuhls, da verlangte der Chefpförtner, dass sie sofort das Gebäude zu verlassen hätte.
Sie erklärte ihm höflich, dass sie einen Job suche und ihr Glück bei einigen Firmen in diesem Gebäude versuchen möchte. Aber er war damit nicht einverstanden. Er meinte, keine Firma in diesem Gebäude würde ein kleines afrikanisches Mädchen wie sie einstellen.
Als sie ein paar Tage später es noch einmal heimlich versuchte sich in die Halle einzuschleichen, war er wieder kompromisslos abweisend. Er hatte kein Interesse an ihren Erklärungen, packte sie gewaltsam und schubste sie hinaus. Er drohte mit der Polizei, wenn Sie sich noch einmal in unerlaubter Weise Zutritt in das Gebäude verschaffen wolle.
Aber Djamileh war hartnäckig; sie versuchte es noch mehrere Male. Eines Tages nutzte sie einen Augenblick, wo der Pförtner sich mit jemandem unterhielt, und nicht bemerkte, wie sie plötzlich in einem offenen Fahrstuhl verschwand.
Für sie ging es nicht nur darum, die von Massoud versprochene Prämie in Höhe von zehntausend Euro zu kassieren, sondern auch darum, ihren Willen gegen diesen feindseligen Pförtner durchzusetzen.
Als sie mit einem Bewerbungsbogen in der Hand bei dem Pförtner vorbeiging, traute er seinen Augen nicht. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Sie grinste ihm direkt ins Gesicht und ungeachtet seiner Wut tanzte sie etwas orientalisch, während sie das Gebäude verließ.
Zwei Wochen später, als sie wieder in das Gebäude eintrat, war der genervte Pförtner völlig außer sich; er versuchte entschieden sie nicht ins Haus reinzulassen. Aber sie zeigte mit einem triumphalen Gesicht ihren Firmenausweis, was den Pförtner in tiefe Enttäuschung und Wut versetzte.
Von diesem Tag an nutzte sie ihre Stellung und immer, wenn sie bei ihm vorbeiging, machte sie eine provozierende Geste und ruinierte seine Laune für mehrere Stunden. Einmal sagte er:
»Pass gut auf dich auf, du Negerkuss. Ich bin sicher, eines Tages finde ich eine Gelegenheit dir zu zeigen, was ich gegen deine Provokationen machen kann, darauf kannst du dich verlassen.«
Diese Gelegenheit hatte er in der Tat einmal bekommen, jedoch konnte er nicht viel daraus machen.
Er hatte sie einmal an einem Spätnachmittag in der Tiefgarage erwischt, als sie mit der Kamera ihres Handys von verschiedenen Positionen der Tiefgarage Aufnahmen machte, obwohl sie gar kein Auto besaß und sich dort nicht aufhalten durfte. Sie begründete ihren unerlaubten Besuch in diesem Sperrgebiet damit, dass sie die Stärke der Kamera ihres Handys ausprobieren wollte.
Auch Renate war einmal völlig außer sich, als sie einen Ausdruck des Terminkalenders des Chefs neben dem Drucker fand.
Nur während ihrer langen Abwesenheit hatte Djamileh auf den Kalender zugreifen dürfen. Als Renate sich bei ihr über diesen merkwürdigen Vorfall erkundigte, begründete ihn Djamileh damit, dass sie lediglich ihren eigenen Urlaub in einem Zeitraum, wo der Chef im Ausland sei und Renate weniger zu tun habe, planen wollte. Die Begründung schien plausibel. Außerdem begeisterte dieses raffinierte Mädchen mit ihrem Charme und ihrer unaufhörlichen Fleißarbeit ständig ihre Kollegen. Sie machte sich wieder sehr beliebt, als sie eigenständig Hunderte von verschiedenen Schlüsseln, die in den letzten Jahren hier und da lagen, perfekt bezeichnete und zuordnete.
Dies waren Schlüssel von Büroräumen, Schränken, Schreibtischen und vor allem von Firmenwagen. Sie lagen ohne Etiketten in verschiedenen Schubladen.
Sie registrierte sorgsam alle Schlüssel mit einer zugreifbaren Identifikationsnummer und speicherte diese in einer von Jürgen Puls eingerichteten Excel-Datei. Diese außerordentliche Tätigkeit brachte ihr wieder eine Sonderprämie ein.
Am 29. November 2004 um 16.00 Uhr brachte sie wie jeden Tag sämtliche Postsendungen zu der Postfiliale in der Zeil Straße. Es waren viele Rechnungen, geschäftliche Briefe an Kunden oder an Mitarbeiter im Außendienst.
Diesmal gab es noch eine private, große Sendung, adressiert an ein Reisebüro in Barcelona sowie einen Brief an ihren Bruder.
Das war ihr letzter Arbeitstag in diesem Jahr. Zuvor archivierte sie alle bearbeiteten Unterlagen, reinigte die Küche gründlich und verabschiedete sich bei allen Mitarbeitern der ISC.
Am Jahresende standen ihr zwei Wochen Urlaub zu und sie konnte durchsetzen, dass sie zwei weitere Wochen unbezahlten Urlaub bekam. Am zweiten Januar 2005 sollte sie wieder mit der Arbeit beginnen.
Als sie mit einem verächtlichen Blick und einem hochmütigen Lächeln bei dem Chefpförtner vorbeiging, sagte sie leise:
»Hey du, wenn du irgendwann deinen hässlichen Schnurrbart rasieren würdest, vielleicht könnte man deinen kahlen Kopf als Kürbis zu Halloween benutzen, meinst du nicht?«
Bevor der Pförtner richtig begriff, was sie sagte, verließ sie tanzend das Gebäude.
Die große Sendung nach Barcelona schickte sie per Einschreiben. Sie beinhaltete den Terminplan von Timm Svensen, die Adresse seines Hauses in Miami Playa, Spanien, sowie mehrere Bilder und Bauzeichnungen des Bürogebäudes in Frankfurt. In einer kleinen Schachtel gab es noch den Ersatzschlüssel von Timm Svensens Wagen.
In einen zweiten Umschlag steckte sie einen kurzen Brief in arabischer Sprache:
„Lieber Massoud,
ich grüße Dich ganz herzlich.
Mit Ausnahme der Chipkarte für die Zufahrt in die Tiefgarage habe ich alle geforderten Sachen und Gegenstände, einschließlich des zweiten Ersatzschlüssels für den Wagen des Chefs, auftreiben können und schicke sie vereinbarungsgemäß per Einschreiben an das Reisebüro „Oriental Agencia de Viajes“ in Barcelona. Ich denke, die Bilder von der Tiefgarage hast Du bereits erhalten.
Nach meiner Überzeugung hat niemand im Büro etwas von meiner Spionagetätigkeit gemerkt. Ich bin froh, dass ich alle Deine Anweisungen sorgsam und unauffällig durchführen konnte.
Bezüglich der Einfahrtsberechtigung in die Tiefgarage möchte ich darauf hinweisen, dass die Parkberechtigung grundsätzlich an ein registriertes Fahrzeug und die dazugehörige Person gebunden ist. Das heißt, ein Erkennungschip befindet sich auf der Frontscheibe des Autos. Zusätzlich wird über mehrere Kameras eine genaue Gesichtskontrolle vorgenommen. Nur wenn der Fahrer dem Sicherheitspersonal bekannt ist und eine Parkerlaubnis hat, wird das Einfahrtstor geöffnet.
Außerdem sind an mehreren Stellen der Tiefgarage zahlreiche Kameras installiert, die von Sicherheitsmännern Tag und Nacht beobachtet werden.
Wie ich in meinem letzten Brief erwähnte, beginnt ab morgen mein Jahresurlaub. Heute war mein letzter Arbeitstag in diesem Jahr, und wenn ihr euer Ziel erreichen würdet, war das mit Sicherheit mein letzter Tag in diesem fantastischen Gebäude.
Planmäßig fliege ich am Mittwoch nach Hause. Ich bitte Dich dafür zu sorgen, dass mich jemand am Flughafen abholt. Die Flugdaten kannst Du der beigefügten Kopie meines Tickets nach Marrakesch entnehmen.
Viele Grüße. Bis bald,
Djamileh.“
Das Reisebüro „Oriental Agencia de Viajes“ befindet sich in einer Nebenstraße der stark frequentierten Avinguda Diagonal in Barcelona. Das große Fenster an der Straßenseite ist vollkommen mit zahlreichen Angeboten für Reisen in arabische und afrikanische Länder bedeckt.
An der Eingangstür stehen verschiedene Plakate für Stadtrundfahrten sowie Ausflugsangebote für sehenswerte Stadtteile von Barcelona und Umgebung.
Es war gegen achtzehn Uhr am siebzehnten Dezember 2004. In dem Reisebüro arbeitete ein schwarzhaariger Mann an einem alten PC und in einem kleinen Nebenraum saßen zwei Frauen bei einer Zigarettenpause zusammen. Sie arbeiteten dort als Reiseführerinnen.
Eine von den Frauen, Zahra Talebi, war Anfang vierzig, ziemlich klein und hatte hellbraune Haare. Die kleine platte Nase und ein Muttermal auf der linken Wange verliehen ihrem schmalen Gesicht keine besondere weibliche Schönheit. Auf den ersten Blick ließ sich vermuten, dass sie aus einem arabischen oder afrikanischen Land stammte.
Die andere Frau, Roya Sassan, Mitte zwanzig, schlank, zart, mit langen dichten schwarzen Haaren und sinnierenden leuchtenden Augen, war eine Studentin der Kunstakademie Barcelona und arbeitete zeitweise für dieses Reisebüro.
Beide Frauen waren seit ein paar Stunden mit ihrer Abrechnung für den Monat Dezember beschäftigt. Offenbar schien das Ergebnis ihres Monatsabschlusses nicht berauschend zu sein. Wegen einiger Feiertage, aber auch wegen fehlender Touristen in dieser Jahreszeit konnten sie ihren Umsatzplan nicht einhalten und hatten daher in diesem Monat nicht sonderlich viel Geld verdient.
Zahra war ein gesprächiger Mensch. Die ganze Zeit hatte sie etwas zu erzählen, meistens von ihrem Verlobten, einem Landsmann, der in Castelldefels wohnte. Sie holte aus der kleinen Kochnische zwei Tassen Kaffee, setzte sich wieder gegenüber Roya und sagte tröstend:
»Was soll’s, man kann nicht immer erreichen, was man plant. In Marokko gibt es ein Sprichwort: „Hinfallen ist keine Schande, nur liegen bleiben ist verachtenswert.“
Wir werden nicht liegen bleiben, vielleicht haben wir im Januar mehr Glück.« Dann blickte sie in die Augen ihrer Kollegin und fragte:
»Sag mal, was macht du während deiner Ferien? Wie immer zu Hause sitzen und lernen oder bis zum Umfallen Bilder malen?«
»Weder noch. Ich habe genügend Bilder zu verkaufen. Ich will jeden Tag meine Bilder in Rambla oder in Barceloneta zur Schau stellen, um sie zu verkaufen. Sie sind doch beste Weihnachtsgeschenke, meinst du nicht?« Sie trank einen Schluck von ihrem Kaffee und sagte mit ernster Miene weiter: »Ich muss mein Bestes geben, sonst kann ich mit dem Einkommen vom Dezember sogar meine Miete nicht rechtzeitig bezahlen.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich habe eine bessere Idee, wie du dich aus dieser bedrückenden Situation befreien kannst. Komm mit mir nach Miami Playa und bleib dort bei mir bis Anfang Januar.«
»Ich verstehe nicht, wohin?«
»Miami Playa. Das ist ein traumhafter Ferienort an der Küste von Dorado.«
»Bist du verrückt geworden? Ich rede von finanziellen Problemen und du redest vom Urlaub.«
»Du kannst in einem von Massouds Ferienbungalows kostenlos wohnen. In dieser Zeit sind sie alle leer.«
»Ich dachte, er hat nur in Castelldefels Ferienwohnungen.«
»Er hat überall Immobilien. Außerdem ist er Hausverwalter. Du hast bei ihm immer eine große Auswahl.
Schüttele deinen hübschen Kopf nicht so stur, ich bin noch nicht fertig. Du kannst tagsüber neue Bilder malen und abends mit uns etwas unternehmen. Außerdem bringst du alle deine Bilder mit, denn ich denke, die Chance, dort einige davon zu verkaufen, ist sehr groß.«
»Das glaube ich nicht. Du hast selbst gerade gesagt, in dieser Zeit gibt es kaum jemanden in diesem Ferienort. Soll ich meine Bilder an die Seemöwen verkaufen?«
»Nicht an Seemöwen, sondern an Seemillionäre. Etwa fünfhundert Meter entfernt von einem von Massouds Ferienbungalows wohnt ein deutscher Manager. Massoud kennt ihn gut.
Er sagt, der Mann ist reich und vor allem ein Kunstliebhaber. Er verbringt einen Großteil seiner Freizeit in Kunstgalerien, um teurere Bilder zu kaufen. Die Chance, dass du ein paar deiner Bilder an ihn verkaufst, ist groß. Du bist eine hochbegabte Künstlerin.
Deine Bilder sind doch so schön und wertvoll. Wegen deiner finanziellen Probleme solltest du sie nicht so billig an die Touristen verkaufen. Ich bin fest davon überzeugt, dass du mit deiner Kunst diesen deutschen Millionär begeistern kannst.«
Roya lächelte, ein weiches, skeptisches Lächeln, und sagte spöttisch: »Interessant. Aber woher weißt du, dass der deutsche Millionär gerade in der Weihnachtszeit in Miami Playa ist? Und noch eine Frage:
Nehmen wir an, dass er doch zu Hause ist, wie stellst du dir alles vor? Soll ich an seiner Haustür klingeln und ihn fragen, ob er an dem Kauf meiner Bilder interessiert ist?«
»Zu deiner ersten Frage, Massoud sagt, er benutzt seine Villa meistens am Jahresende, warum weiß ich nicht. Also muss er während unseres Aufenthaltes dort sein«, erwiderte sie mit glaubhaftem Gesichtsausdruck und fügte hinzu: »Und zu deiner zweiten doofen Frage: Du brauchst nicht an die Tür klopfen, er wohnt direkt am Strand. Du kannst täglich vor seinem Haus arbeiten und malst ein neues Bild vor seinen Augen. Ich bin sicher, er wird dich und deine Kunst nicht übersehen. Allein wegen deines Aussehens wird er mit zittrigen Beinen ständig neben dir stehen. Außerdem, was hast du zu verlieren? Dort ist das Wetter viel schöner als hier und du kannst in Ruhe malen, relaxen und einfach abschalten. Wie gesagt, der Bungalow kostet dich gar nichts. Du fährst mit mir und dann hast du auch keine Fahrtkosten. Abends kannst du das tun, was du in Barcelona vorhattest, nämlich mit dem Zug nach Tarragona fahren und deine Bilder auf dem Weihnachtsmarkt zur Schau stellen. Dort hast du weniger Konkurrenz, sogar mehr Chancen als in Barcelona. Dennoch bin ich sicher, dass der Deutsche von deinen Bildern hellauf begeistert sein wird. Du musst ihm lediglich die Möglichkeit dazu einräumen.«
»Noch eine doofe Frage: Woher weiß Massoud das alles? Spioniert er seine Nachbarn aus?«
Sie warf ihr einen tadelnden Blick zu, schüttelte ihren Kopf und sagte energisch:
»Die Anwohner in dieser Gegend kennen sich untereinander. Außerdem ist sein Freund Carlos der Hausverwalter des Deutschen. Immer wenn er seine Villa benutzen will, bekommt Carlos rechtzeitig Anweisungen. Und wenn ich Massoud richtig verstanden habe, mussten Carlos und seine Frau in den letzten Tagen ständig in seinem Haus und Garten arbeiten, um bei ihm einen guten Eindruck zu erwecken, besser gesagt, um ihren Job nicht zu verlieren. Das heißt, während unseres Aufenthaltes wird er mit Sicherheit dort sein.«
»Reg dich bloß nicht auf, das war nur eine Frage. Wann willst du losfahren?«
»Ich fahre am Donnerstag dem 23. Dezember hin und am Mittwoch dem 5. Januar fahre ich nach Barcelona zurück.«
»Bist du sicher, dass Massoud nichts dagegen hat, dass ich kostenlos in seinem Bungalow wohne?«
»Ach was? Erstens ist es nur für ein paar Wochen und zweitens hat Massoud nichts zu sagen. Du weißt doch, ich habe den Jungen voll im Griff. Wir wollen nächstes Jahr heiraten und er soll allmählich wissen, wer hier was zu sagen hat.«
»Danke für das Angebot. Es hört sich gut an. Ich freue mich riesig, wenn es klappen würde.«
»Dann fahr mit. Ich freue mich auch, wenn du mitkommst. Denn Massoud muss tagsüber arbeiten und ich sitze dort allein. Wenn du Lust hast, kannst du mir Gesellschaft leisten.«
»Okay, du hast mich überzeugt, ich fahre mit. Zu welcher Uhrzeit fahren wir los?«
»Ich klopfe gegen zehn Uhr an deine Tür. Die fast 130 Kilometer lange Fahrt schaffen wir bis Mittag. Bist du einverstanden?«
Plötzlich stand Roya auf, umarmte sie und sagte voller Freude:
»Danke Zari, ich bin so glücklich, eine nette Freundin wie dich zu haben. Ehrlich gesagt, ich war traurig, dass ich wieder die langweiligen Tage vor dem Jahresende allein zu Hause bleiben muss.
Wenn du meinen Stundenzettel dem Chef aushändigen würdest, werde ich jetzt nach Hause gehen und mich für die Reise vorbereiten. Ich muss noch einiges erledigen.«
»In Ordnung, du brauchst nicht weiter zu warten. Ich bleibe hier, bis der Kerl endlich kommt. Ich sorge dafür, dass er per Online-Banking unseren Lohn auf das jeweilige Bankkonto überweist. Geh, falls sich in den nächsten Tagen unsere Wege nicht kreuzen, sehen wir uns spätestens am Donnerstag nächste Woche gegen zehn Uhr bei dir.«
Kaum verließ Roya das Reisebüro, holte Zahra ihr Handy aus der Umhängetasche, wählte eine Nummer an und sagte kurz danach zu ihrem Gesprächspartner: »Hallo Massoud! Du glaubst es wohl nicht, aber es hat doch geklappt. Deine Kandidatin macht mit.
Ich habe gerade mit ihr darüber gesprochen und vereinbart, dass sie am Donnerstag mit mir nach Miami Playa fährt. Sie bleibt dort bis zum fünften Januar.
Obwohl ich sie nur ungern in diese Sache reinziehe, stimme ich dir aber zu, dass wir mit ihrem Einsatz mehr Erfolg haben als mit deiner zweiten Kandidatin Carmen. Abgesehen davon, dass sie mehrere Sprachen beherrscht, ist sie eine begabte Künstlerin und vor allem sehr attraktiv. Ich bin sicher, allein wegen ihres Aussehens wird der Kerl kaum zu Hause bleiben.«
»Fantastisch. Hast du gut gemacht. Carmen ist auch eine talentierte Künstlerin, aber sie ist nicht so schön wie Roya.
Jetzt haben wir ein Problem weniger. Aber nicht vergessen, du musst dafür sorgen, dass sie jeden Tag vor seinem Haus am Strand steht und arbeitet. Da wir nicht wissen, wann der Fisch den Köder schluckt, muss jeden Tag die gleiche Show inszeniert werden. Und noch etwas, wenn es läuft, wie besprochen, muss der Deutsche mindestens zwei Stunden mit ihr in der Wohnung bleiben. So lange brauchen wir, um sein Auto zu beladen und anschließend zu präparieren.«
»Keine Sorge Liebling, ich werde mich anstrengen, dass alles so läuft, wie du es wünschst. Aber was passiert, wenn der Deutsche kein Interesse zeigt und unser Plan nicht funktioniert?«
»Das wäre schlecht. Wir haben dennoch zwei weitere Optionen. Aber das Beste ist natürlich, sich einige Stunden mit Kunst abzulenken und sich von der hübschen Künstlerin faszinieren zu lassen. Die anderen Pläne sind etwas riskant und können eventuell Aufsehen erregen. Das möchte der Chef nicht. Das gesamte Szenario muss natürlich und unverdächtig aussehen. Er soll Roya entdecken und sie muss versuchen, ihn einige Stunden in der Wohnung aufzuhalten.
Ich schließe jedoch nicht aus, dass der Kerl die meiste Zeit zu Hause bleibt und kein Interesse an dem zeigt, was vor seinem Haus läuft. In diesem Fall dürft ihr euer Ziel bis zum letzten Tag nicht aufgeben.
Du musst Roya jeden Tag motivieren nördlich vor seinem Haus zu stehen und ein schönes Bild zu malen. Theoretisch muss er irgendwann rauskommen und frische Luft schnappen. Und wenn es klappt und er sich tatsächlich zu ihr gesellt, dann wartest du unbemerkt in der Nähe und beobachtest den ganzen Vorgang.
Wenn du sicher bist, dass es wie besprochen läuft, ich meine, wenn er Interesse an weiteren Bildern von ihr zeigt und mit ihr in ihre Wohnung geht, rufst du mich an. Dann werde ich veranlassen, dass die Jungs sofort an die Arbeit gehen.«
»Ich bin Optimist, Massoud. Ich habe keinen Zweifel, dass, wenn der Bursche einmal neben ihr steht und ihre Arbeit betrachtet, wurde er sie dann den ganzen Tag nicht mehr allein lassen. Du musst einmal ihre Bilder sehen und dann wirst du verstehen, was ich meine; sie sind einfach umwerfend.
Dennoch darfst du andere Optionen nicht außer Acht lassen. Denn die Anwendung einer Mausefalle ist immer Glücksache, manchmal knabbert die Maus den Käse, ohne sich fangen zu lassen.«
»Für unsere Maus ist es schmerzloser, wenn er alles frisst, was wir ihm geben. Andernfalls müssen wir doch Gewalt anwenden. Wenn die Show von Roya erfolglos bleibt, werden wir zur letzten Stunde seines Aufenthalts den Plan B durchführen.«
Zahra blieb stumm. Sie verstand, was er meinte. Sie änderte das Thema und fragte: »Ich weiß immer noch nicht, wo wir genau wohnen werden.«
»Ich habe für dich und Roya einen Bungalow in Miami Playa direkt am Strand reserviert. Ich werde mit meinem sechsköpfigen Team in einem großen Haus in Cambrils wohnen. Das Haus verfügt über alles, was wir für unsere Arbeit brauchen. Ruf mich an, wenn du in der Nähe von Miami Playa bist. Ich werde euch zu eurem Bungalow hinführen.«
»Heißt das, du bist schon in der Gegend?«
»Klar. Wir haben hier viel zu tun. Wir müssen das Szenario mit dem Beladen seines Autos und der Blockierung des Kofferraumes mehrere Male üben, damit bei der echten Aktion keine Fehler oder Pannen passieren. Es muss alles schnell und fehlerfrei laufen.«
»Und was ist mit den heißen Waren? Sind sie schon angekommen?«
»Sie sind seit September da. Wir warten alle ungeduldig auf diese entscheidende Situation. Wenn es klappt, was wir hoffen, dann können wir mit unserer Arbeit zufrieden sein.«
»Allah wird uns helfen. Noch etwas Massoud, ich brauche Geld. Ich bin pleite und kann nicht einmal mein Auto betanken.«
»Morgen Nachmittag muss das Geld auf deinem Konto sein. Du bekommst noch fünfhundert Euro, wenn alles reibungslos läuft.«
»In Ordnung, ich werde mir Mühe geben. Dann bis nächste Woche Donnerstag. Sobald ich die Autobahn verlasse, rufe ich dich an.«
»Gute Fahrt.«
Jedes Jahr, zwei Wochen vor Weihnachten, startete Timm Svensen eine Goodwill-Reise. Er besuchte seine Geschäftspartner und Außendienstmitarbeiter im In- und Ausland. Im Gepäck hatte er wertvolle sowie geschmackvoll verpackte Weihnachtsgeschenke.
Diese Dienstreise dauerte fast eine Woche. Er begann zuerst mit seinen Kunden in Süddeutschland, fuhr dann quer durch Frankreich, um anschließend nach Spanien zu kommen. Seine letzte Station war die Firma BASF in Tarragona, ca. 30 Kilometer von seiner spanischen Villa in Miami Playa entfernt.
Normalerweise fand die Geschenkübergabe in einem renommierten Restaurant an dem jeweiligen Ort statt. Diese Geste der Dankbarkeit war in den letzten Jahren fast eine Tradition geworden.
Nach der letzten Veranstaltung freute er sich über mindestens zehn freie Tage irgendwo in Spanien. Seit ein paar Jahren hatte er jedoch die Möglichkeit in seiner eigenen Villa, an der Küste von Dorado, Urlaub zu machen.
Carlos und seine Frau Rosa kümmerten sich um ihn, wenn er da war. Das Ehepaar bekam rechtzeitig von Renate Schneider einen Brief mit einer Liste von Anweisungen darüber, was sie während seines Aufenthaltes für ihn erledigen mussten. Carlos sorgte dafür, dass im Haus alles in Ordnung war und der Garten einen gepflegten Eindruck machte. Rosa war für den Haushalt zuständig. Sie kam jeden Vormittag und brachte ausreichend Lebensmittel mit. Außerdem putzte sie die Wohnung, wusch und bügelte seine Sachen. Nach einigen Stunden getaner Arbeit verschwand sie lautlos, ohne ihn zu stören.
Am zwanzigsten Dezember 2004, nach einer langen Reise, freute er sich, dass er sich endlich fast zwei Wochen ungestört und stressfrei in seiner Villa ausruhen konnte.
Auch dieses Mal war alles bestens organisiert; das Haus war sauber, alle Zimmer durchgelüftet und für die Jahreszeit warm genug.
Nach einem Jahr harter Arbeit und viel Stress freute er sich auf sein Paradies, auf diese himmlische Ruhe. Das Umfeld hier war absolut unkompliziert, die Menschen hilfsbereit und sehr zuvorkommend. Keine geschäftlichen Termine, keinen Ärger mit Kunden oder Mitarbeitern. Sein Programm bestand meistens daraus viel zu schlafen, täglich zwei Stunden zu joggen, viel zu lesen und zuweilen die Kunstgalerien in der Umgebung zu besuchen. Dennoch, kaum war er da, fühlte er sich plötzlich einsam und hatte des Öfteren Langeweile.
Timm vermisste eine Frau, eine liebevolle Freundin und Partnerin, um aus diesen freien und eigentlich schönen Tagen etwas mehr herauszuholen. Er träumte von einer jungen, gebildeten Frau, gemeinsamen Spaziergängen am Strand, spannenden Diskussionen über Literatur und Kunst sowie gelegentlichen Ausflügen ins Innere des Landes. Aber dieser Wunsch blieb für ihn immer ein unerreichbares Begehren.
Die Zeit verging sehr schnell. Am dreißigsten Dezember 2004 besuchte er Barcelona und machte einen ausgedehnten Stadtbummel. Auf dem Rückweg besuchte er mehrere Kunstgalerien in Sitges und Tarragona. Er war auf der Suche nach einem schönen Bild für den Wohnbereich seiner Villa. Aber, genauso wie im letzten Jahr, fand er nichts, was seinem Geschmack entsprach. Silvester blieb er die ganze Zeit im Bett und las sein mitgebrachtes Buch, es war sein letztes Buch, zu Ende.
Der erste Januar war warm und sonnig. Kaum ein Wölkchen am tiefklaren, blauen Himmel. An seinem letzten Urlaubstag schlief er fast bis zehn Uhr. Er hatte keine Lust wie jeden Tag am Strand zu laufen.
Sonnenlicht durchflutete das Schlafzimmer und am liebsten wäre er den ganzen Tag dort liegen geblieben. Doch er hatte Hunger und stand endlich auf. Während er sich im Badezimmer rasierte, glitt sein Blick durch das offene Fenster. Er sah eine junge, dunkelhaarige Frau, die am Strand stand und ein Bild malte. Auch während seines Frühstücks beobachtete er sie bei der Arbeit. Neugierig nahm er sein Fernglas und versuchte die Frau und ihr Kunstwerk besser zu sehen; aber es war vergeblich. Sie stand schräg seitwärts und so war nichts zu erkennen.
Dennoch, plötzlich konnte er sich erinnern, dass er sie schon während seines täglichen Morgenjoggings am Strand aus der Ferne gesehen hatte. Da er aber immer eine andere Strecke benutzt hatte, war er nicht direkt bei ihr vorbeigelaufen.
Eine Künstlerin bei der Arbeit vor seinem Haus, unglaublich. Als Kunstliebhaber wollte er auf eine solche Gelegenheit, Künstlerin und ihr Werk kennen zu lernen, nicht verzichten, schon gar nicht an solch einem ruhigen Tag. Ohne sein Frühstück zu Ende zu essen, verließ er das Haus und näherte sich der Künstlerin am Strand.
Es war in der Tat ein wunderschöner Tag; sonnig, kein Wind und ein weißer, blauer Himmel, den man oft am Januarmorgen in dieser Region bewundern kann. Die helle Sonne ließ alle Gegenstände in der Landschaft in einem ungewöhnlichen Glanz erscheinen.
Am Strand war kaum jemand zu sehen, nur einige hundert Meter weiter war ein junger Mann, der mit seinem Hund spielte.
Zögernd stand er neben der Frau und betrachtete mit großem Interesse das Bild. Dann warf er ihr einen verstohlenen Blick zu. Die Frau hatte eine unglaubliche Aura, eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Sie stand selbstbewusst vor einer aufgestellten Leinwand und malte voller Konzentration ein Bild.
Forschend betrachtete er das Bild und war von ihrem Motiv und ihrer künstlerischen Raffinesse aufrichtig begeistert. Es war ein wunderbares Gemälde; im Hintergrund des Bildes sah man den wolkenlosen, blauen Himmel, dann das wellenlose, türkisfarbige Meer und in der Mitte saß ein junger Fischer in einem Boot und hielt eine lange Angel in der Hand. Hinter dem Rücken des Fischers wuchs spiralförmig die abstrakte Gestalt einer nackten Frau, wobei die Hälfte ihres Körpers noch im Wasser steckte, so als ob sie sich wie ein Delfin über der Wasserfläche halten wollte. Plötzlich drehte sich die Malerin verwundert um, und ohne ein Wort zu sagen, lächelte sie ihn freundlich an.