Zermahlt zwischen CIA und Pasdaran - Hassan M.M. Tabib - E-Book

Zermahlt zwischen CIA und Pasdaran E-Book

Hassan M.M. Tabib

4,8

Beschreibung

Eigentlich, eigentlich ist Kian Pourzand ein ganz normaler junger Mann, Student der TH München mit klaren Vorstellungen über sein Leben; Studium erfolgreich abschließen, einen attraktiven Job in Deutschland finden und mit Caroline, seiner Verlobten, eine Familie gründen. Kian Pourzand ist Iraner. Wie viele Studenten muss auch er jobben, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Nicht zuletzt wegen seines Studiums kannte er sich in der PC-Welt ganz außergewöhnlich gut aus. Als er einen Job fand, wo er nicht nur seine Fachkenntnisse anwenden konnte, sondern auch noch Kontakt mit Landsleuten hatte, empfand er es als einen Glücksfall. Seine Landsleute, die als selbstständige Kaufleute ihr Geld an verschiedenen Orten in der Bundesrepublik verdienten, unterstützte er bei der Installation sowie beim laufenden Betrieb ihrer PCs. Dazu musste er viel reisen. Dies nahm er in Kauf, da der Job sehr gut bezahlt wurde. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, als er erkannte, dass seine Kunden keine gewöhnlichen Händler, sondern Agenten des iranischen Geheimdienstes waren. Und er, Kian Pourzand, er war ohne es zu wissen ein Teil des Spionagenetzes der Pasdaran. Angst und Verzweiflung machten sich bei ihm breit. Wie sollte sein Leben weitergehen? Er unternahm alle Anstrengungen, um sich ein Visum für einen Aufenthalt in den USA zu besorgen. Doch es kam noch schlimmer. Der amerikanische Geheimdienst war auf ihn aufmerksam geworden und erpresste ihn. Sie erkannten, dass er vom iranischen Geheimdienst für eine Schulung über eine neue Spionagesoftware in Teheran vorgesehen war. All seine Träume löste sich in Luft auf; oder doch nicht? Der Roman „Zermahlt zwischen CIA und Pasdaran“ ist eine authentische, spannende Geschichte aus dem Reich eines mächtigen, aber auch korrupten Regimes der Welt; der islamische Republik Iran.

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Bemerkung:

Die meisten Namen, Orte und andere wichtige Attribute wurden geändert. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

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Kapitel

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Epilog

Prolog

Ausgerechnet am Freitag, dem 22. März 2003, veranstaltete mein Verlag eine Lesung für mein neues Buch in Wien. Ich erinnere mich noch sehr daran, dass meine Familie über diesen unpassenden Termin ganz und gar nicht erfreut war. Denn der einundzwanzigste März – der erste Tag des Frühlings – ist das größte iranische Fest, persisches Neujahr, genannt "Jaschne Nourouz", und wird schon seit mehr als 2500 Jahren gefeiert. Seitdem ich im Westen lebe, bin ich dieser großen Tradition immer treu geblieben, und meine Frau sorgt dafür, dass alle Einzelheiten bei diesem Fest genauso ablaufen, wie wir es von zu Hause bereits kennen.

Aber es war nichts zu machen, denn gemäß Verlagsvertrag hatte ich keine Chance, diesen Termin abzusagen. Ich erfuhr, dass der Veranstalter bereits mehr als zweihundert Eintrittskarten verkauft hatte und eine Absage oder Terminverschiebung nicht möglich war. Also blieb mir keine andere Wahl, als diesen Termin wahrzunehmen.

Am frühen Morgen des 21. März, also dem ersten Tag des persischen neuen Jahres, kurz nach dem Geschenkaustausch, verabschiedete ich mich von meiner Familie und machte mich auf den Weg zum Hauptbahnhof. Obwohl sich die Strecke zwischen Hamburg und Wien auf knapp tausend Kilometer beläuft, entschied ich mich doch für die Bahn und bildete mir ein, bei dieser Tageszeit wäre der Zug nicht voll. Ich wollte die lange Reisezeit nutzen, um meine Unterlagen neben mir auszubreiten und mich umfassend auf die Lesung vorzubereiten. Aber an diesem Freitag war der Zug vollkommen überfüllt. Insbesondere zerrte mein lebhafter Nachbar an meinen Nerven, der ständig mit seinem Mobiltelefon verschiedene Leute anrief und sich laut mit ihnen unterhielt. Daher war es mir unmöglich, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren.

In München musste ich in einen anderen Zug umsteigen, doch hatte ich bei der Reservierung nicht aufgepasst; mein reservierter Platz im neuen Zug befand sich nicht in einem Großraum-Waggon, sondern in einem voll besetzten Abteil.

Ab Innsbruck wurde die Situation ein wenig besser. Dort stiegen zuerst vier Personen aus, weshalb ich annahm, dass ich das ganze Abteil für mich allein haben könnte. Doch die Freude über diese Wunschvorstellung dauerte nur dreißig Sekunden. Plötzlich ging die Tür wieder auf und zwei neue Passagiere setzten sich mir gegenüber.

Als der Zug in Richtung Wien weiterfuhr, war ich doch nicht ganz unzufrieden, denn der Sitz neben mir war endlich frei und ich hatte die Möglichkeit, meine Unterlagen ungehindert auszubreiten. Die beiden neuen Passagiere zeigten kein Interesse an meiner Beschäftigung. Ich hörte ab und zu, wie sie sich leise miteinander in englischer Sprache unterhielten.

Ich hatte keine Zweifel, dass nur einer von ihnen Amerikaner war. Nicht nur wegen seiner Aussprache, sondern auch aufgrund seines legeren Outfits.

Er war schätzungsweise achtundzwanzig Jahre alt, trug eine typische GI-Frisur, dicke Turnschuhe, ein weißes T-Shirt und eine Jeanshose. Die unerträgliche Wärme in dem Abteil veranlasste ihn dazu, genau wie sein Freund, sein dickes, weites Windjackett auszuziehen. Daraufhin schloss er seine Augen und schlief unmittelbar danach ein.

Seinen Freund hatte ich zuerst für einen Franzosen oder Italiener gehalten. Er war ein schlanker, großer Mann, etwa fünfundzwanzig Jahre alt und fiel angenehm auf. Er hatte ausdrucksvolle, schwarze Augen, braunes, glattes Haar, ja – er war das Idealbild männlicher Schönheit. Sein dunkelbrauner Vollbart verlieh ihm jedoch eine mysteriöse Erscheinung.

Trotz der angenehmen Ruhe in dem Abteil konnte ich mich nicht richtig auf meine Sache konzentrieren. Das lag an seinem merkwürdigen Verhalten. Wie oft stand er plötzlich auf, verließ das Abteil und sah jedes Mal, wenn er zurückkam, blass, benommen, ja tieftraurig aus. Ich konnte mir nicht erklären, was mit ihm los war. Ich hatte den Eindruck, dass er allein sein wollte, um zu weinen. Denn immer, wenn er zurückkam, schienen seine Augen feucht, rot und sein hübsches Gesicht blass und trübsinnig. Und wenn er sich wieder auf seinen Platz setzte, schrieb er nachdenklich, ja ziemlich melancholisch in sein dickes rotes Notizbuch.

Wir saßen schon seit zwei Stunden in dem Zug. Abgesehen von seinen merkwürdigen Gefühlsausbrüchen und dem hektischen Kommen und Gehen herrschte in dem Abteil eine angenehme Ruhe, sodass ich genügend Zeit hatte, den Lesungsablauf festzulegen. Der Amerikaner schlief, wie gesagt noch immer tief und fest und der andere schrieb hastig unablässig in sein Notizbuch.

Plötzlich bemerkte ich, dass er mich irritiert anstarrte. Als mein Blick seine Augen kreuzte, zeigte er mit seinem Finger auf den Boden. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Dann sagte er leise in persischer Sprache:

»Sie haben ein Blatt von Ihren Unterlagen unter dem Fuß.«

Eilig nahm ich das einzelne Blatt auf und dankte ihm ebenfalls auf Persisch. Aber dann fragte ich völlig irritiert:

»Woher wussten Sie, dass ich Iraner bin?«

Mit ruhigem Blick schaute er mich an und erwiderte:

»Abgesehen davon, dass Sie wie jeder andere Iraner aussehen: Das persische Buch neben Ihnen lässt keine Zweifel über Ihre Nationalität zu.« Er hatte recht; neben mir lag ein Buch von Sadegh Hedayat1, einem der besten iranischen Autoren. Ich trug es bei mir, um die lange Rückreise zu überbrücken. Ich nickte mit dem Kopf und erwiderte:

»Aber ich habe Sie für einen Südeuropäer gehalten. Woher kommen Sie?«

»Ich bin Teheraner. Ich habe fünf Jahre in Deutschland studiert.« Dann versuchte er auffällig das Thema zu wechseln und fragte: »Leben Sie in München oder in Wien?«

Ich überreichte ihm meine Visitenkarte und erwiderte:

»Weder noch. Ich wohne in Hamburg. Ich bin Buchautor und muss gezwungenermaßen morgen eine Lesung in Wien halten.«

»Warum gezwungenermaßen?«

»Haben Sie vergessen, dass ab heute Jaschne Nourouz beginnt? Ich wollte gerne wie all die anderen Jahre diese wichtigen Festtage mit meiner Familie feiern. Aber mein Verlag organisierte die Lesung für morgen in Wien, ohne es mit mir abzustimmen. Ich konnte sie unmöglich absagen.«

Er warf einen Blick auf meine Visitenkarte, zeigte zum ersten Mal ein kurzes Lächeln in seinen Mundwinkeln und sagte:

»Ich kenne Sie. Ich habe leider bis heute keines Ihrer Bücher gelesen. Aber ich habe mehrere Berichte über Ihre Person und Ihr großes Engagement für die Freilassung inhaftierter Schriftsteller im Iran gelesen. Ich fühle mich geehrt, Sie kennenzulernen.«

Ich glaube, er war im Begriff aufzustehen und meine Hand zu schütteln, aber in diesem Augenblick öffnete der Amerikaner seine Augen und starrte uns schweigend an. Offenbar wunderte er sich über den unverständlichen Dialog zwischen uns. Mein Landsmann fragte ihn auf Englisch:

»Are you still tired?«

» Yes, I am. I need only sit in a train for five minutes then I fall asleep. Where are we now?«

»I don’t know. However, we have still time. Close your eyes and sleep.«

Seine Empfehlung war wie ein Befehl; der Amerikaner schloss die Augen und schlief weiter. Ich hätte gerne unsere Konversation fortgesetzt. Ich wollte wissen, was mit ihm los war. Warum er jedes Mal, wenn er verschwand, mit geröteten Augen zurückkam. Aber offensichtlich war er an keinem weiteren Gespräch interessiert. Auch auf meinen Glückwunsch zum persischen Neujahr reagierte er deutlich reserviert. Er begann wieder in sein Notizbuch zu schreiben; man bekam den Eindruck, die Zeit liefe ihm davon oder er habe Angst, seine Gedanken zu verlieren.

Ich arbeitete an meiner Lesung. Ab und zu warf ich ihm einen verstohlenen Blick zu. Was mir am meisten imponierte, war seine außergewöhnliche Armbanduhr; solch einen seltenen Schmuck hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Man hatte eine goldene handgearbeitete alte Uhr auf einem Stück runder Silberplatte befestigt. In dieses massive Edelmetall war die Gestalt eines prächtigen Adlers meisterhaft eingeprägt. Der fachmännisch rund geformte Flügel des Adlers diente gleichzeitig als Armband. Ich hätte gern gewusst, woher er diesen extravaganten Schmuck hatte.

Aber sein melancholisches Antlitz und seine verschlossene Haltung bewirkten bei mir eine gewisse Schüchternheit. Ich traute mich einfach nicht, ihn in ein weiteres Gespräch zu verwickeln.

Wir saßen eine weitere Stunde schweigend in diesem Abteil; der Amerikaner schlief und wir beide gingen unserer jeweiligen Beschäftigung nach.

Die lange Reise hinterließ allmählich auch bei mir ihre Spuren. Ich war sehr müde. Meine Augen wurden schwer und ich konnte mich nicht mehr richtig konzentrieren.

Ich weiß nicht, wann und wie lange ich auf meinem Platz geschlafen hatte. Als ich meine Augen flatternd öffnete, bemerkte ich, dass ausgerechnet der Amerikaner versuchte mich zu wecken:

» Get up man! We are already in Vienna. «

Er hatte recht. Der Zug hielt schon im Westbahnhof. Eilig verstaute ich alle meine Sachen in der Reisetasche und folgte ihnen aus dem Zug. Auf dem Bahnsteig bekam ich eine kurze Gelegenheit, mich bei meinem Landsmann zu verabschieden. Ich schüttelte seine Hand und wünschte ihm einen angenehmen Tag. Der Amerikaner war nicht geneigt, mir die Hand zu geben. Er winkte und sagte einfach „bye“. Sie gingen rasch zum Ausgang und kurz danach verlor ich sie aus den Augen.

In diesem Augenblick hatte ich in der Tat keine blasse Ahnung, dass die beiden eines Tages die wichtigsten Protagonisten in meinem neuen Roman sein würden.

Die Lesung verlief sehr gut; ich bekam viel Beifall und musste mich anschließend fast eine Stunde zum Signieren meiner Bücher zur Verfügung stellen. Gegen Abend ging ich in ein Hotel. Ich war von der langen Reise und dem anstrengenden Tag völlig erschöpft und begab mich umgehend ins Bett.

Am nächsten Tag hatte ich weder Lust zu einem Stadtbummel noch zu einem Museumsbesuch. Ich nahm den ersten Zug nach Hamburg.

Ich hatte Glück, denn der Zug war fast leer und so hatte ich die große Auswahl, mir einen bequemen Platz zu suchen. Jetzt konnte ich mich entspannen und in aller Ruhe mein Buch lesen. Ich steckte meine Hand in den oberen Teil der Reisetasche und bemerkte erstaunt, dass dort zwei Bücher verstaut waren. Ich zog sie beide heraus; eins war das Buch von Sadegh Hedayat und das andere das Notizbuch meines Landsmannes aus dem Zug.

Fassungslos nahm ich es in die Hand und fand zuerst keine Erklärung dafür, wie in aller Welt es in meinem Gepäck landen konnte. Neugierig blätterte ich es durch und plötzlich fiel ein kleiner Zettel auf den Boden. Ich hob ihn auf; es war eine kurze Mitteilung von ihm. Er schrieb auf Persisch:

„Bitte verzeihen Sie mir, dass ich absichtlich mein Tagebuch in Ihrer Reisetasche versteckte, während Sie schliefen. Eigentlich war das eine spontane Entscheidung. Ich habe mich dazu entschieden, mich von diesem Buch zu trennen, da ich ab morgen meinen Tagesablauf nicht mehr niederschreiben möchte und mich auf den neuen Abschnitt in meinem Leben konzentrieren will, auch wenn diese Entscheidung mein Herz bricht. Ich habe seit den letzten fünfzehn Jahren meine Lebensgeschichte in vier Büchern niedergeschrieben. Drei davon hatte man mit anderen Unterlagen aus meiner Wohnung entwendet. Den letzten Teil, über den Sie jetzt verfügen, habe ich immer bei mir getragen. Ich wollte es nicht einfach wegwerfen. Dieses Buch war mein bester Freund, mein Geheimnisträger und vor allem meine geduldige Klagemauer.

Ich dachte, dass vielleicht ein renommierter Buchautor wie Sie dafür Verwendung finden könnte. Vielleicht verfassen Sie meine Lebensgeschichte in Form eines Romans. Tun Sie damit, was Sie wollen. Es gehört jetzt Ihnen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und eine gute Reise. Kian Pourzand.“

Wenn ich heute an jenen einundzwanzigsten März 2003 zurückdenke, kann ich meine passive Reaktion auf sein Geschenk nicht plausibel erklären. Ich erinnere mich daran, dass ich im Zug wahllos einige Seiten gelesen habe, allerdings diagonal, ja flüchtig, und dann steckte ich es lustlos wieder in meine Reisetasche zurück.

War ich immer noch müde, widerwillig oder hatte das Buch von Hedayat mich mehr interessiert? Ich weiß es nicht. Ich dachte mir, dass ich es irgendwann, wenn ich mehr Zeit hätte, schon noch lesen würde.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass, als ich nach Hamburg zurückkehrte, Kian Pourzand und sein Tagebuch bereits in Vergessenheit geraten waren. Ich arbeitete damals intensiv an einem neuen Roman und hatte kaum Zeit, mich irgendwie ablenken zu lassen.

2006 fand ich während einer Generalreinigung in meinem Arbeitszimmer zwischen einem Haufen alter Manuskripte plötzlich das rote Tagebuch von Kian Pourzand. Dieses Mal betrachtete ich es jedoch sehr interessiert, vielleicht auch mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Ich zog mich für mehrere Tage in mein Arbeitszimmer zurück und las es aufmerksam bis zur letzten Seite. Gleich in den ersten zwei Kapiteln bemerkte ich, dass der Kerl einen außergewöhnlichen Stil hatte. Er beschrieb jedes Ereignis des Tages präzise und anschaulich, jedoch nicht in der richtigen Reihenfolge. Man bekam den Eindruck, dass ihm die Resultate einiger Ereignisse erst später verständlich geworden waren.

Sein letztes Tagebuch umfasste nur knapp fünfzig Tage, vom ersten Februar bis zum einundzwanzigsten März 2003. Was er in dieser Zeitperiode erlebte, war unvorstellbar, imponierend, ja unglaublich. Der Inhalt war nicht nur dramatisch und spannend, er war nicht nur eine rührende Liebesgeschichte, sondern auch ein ergreifender Nervenkitzel.

Dann begann für mich eine mühsame Arbeit. Ich musste zuerst ein Ereignis-Chart aufstellen, um die chronologische Reihenfolge der Vorfälle verständlich darzustellen.

Um die Wahrhaftigkeit mehrerer Begebenheiten sachlich zu prüfen und vor allem einleuchtend abzuhandeln, musste ich jeden Tag stundenlang im Internet oder in öffentlichen Bibliotheken recherchieren, um auch für Leser ohne Kenntnisse der politischen Lage im Iran einige Passagen entsprechend zu ergänzen, ohne die Authentizität dieser außergewöhnlichen Geschichte zu verändern.

Verändert habe ich allerdings aus juristischen Gründen mehrere Namen (nicht aber die Namen prominenter iranischer Politiker oder Geistlicher). Selbstverständlich habe ich auch meine schriftstellerische Freiheit benutzt, um aus dieser exzeptionellen Zeitgeschichte einen hoch spannenden Roman zu schreiben. Ich denke, es ist mir gelungen, jedoch überlasse ich die entscheidende Beurteilung meinen Lesern.

1 17. Februar 1903 in Teheran; † 9. April 1951 in Paris.

1. Kapitel

Sonntag, den 02. 02. 2003

Der Winter 2003 hatte fast ganz Europa fest im Griff, wobei Norddeutschland, insbesondere das Flachland um Hannover, von der Kältewelle am meisten betroffen war. Ein weißer Teppich aus pulverartigem Schnee bedeckte den vereisten Boden. Die gefrorenen Bäume, die vereisten Bäche und vor allem der beißende kalte Wind verliehen der Landschaft eine ungemütliche Atmosphäre.

An diesem Sonntag, dem zweiten Februar, herrschte jedoch trotz des miserablen Wetters ein reges Treiben in fast allen Straßen der niedersächsischen Hauptstadt.

Am Ufer des Maschsees zogen nicht nur wie gewöhnlich Jogger oder Frischluftfanatiker ihre Kreise, sondern es waren auch viele feierlich angezogene Männer und Frauen zu sehen, die eilig auf ein besonderes Ziel zusteuerten, nämlich auf ihr Wahllokal, das neue Rathaus. Es war Landtagswahl und dieses Mal deuteten alle Prognosen auf dramatische Verluste der SPD und die Regierungsübernahme der CDU hin.

Man hörte überall leidenschaftliche Diskussionen zwischen den Passanten. Jeder versuchte in dieser entscheidenden Phase, den anderen von der eigenen politischen Meinung zu überzeugen und ihn möglicherweise bei seiner Stimmabgabe zu beeinflussen.

Das aktuelle Thema „Explosion der Raumfähre Columbia in Amerika“ war auch für viele Leute ein brisanter Gesprächsstoff. Folgendes stand in der Sonntagszeitung:

„Sieben Astronauten tot, die Raumfähre in Tausende von brennenden und rauchenden Einzelteilen zerborsten und in Texas und Louisiana auf die Erde gestürzt. Wie konnte so etwas passieren?“

An diesem Sonntagvormittag spazierten zwei dunkel gekleidete Männer am Maschsee entlang, die weder an der Landespolitik Niedersachsens noch an der Raumfahrtkatastrophe in den USA interessiert waren.

Sie bewegten sich langsam und vorsichtig auf dem rutschigen Boden weiter, und zwar in die Gegenrichtung des Wahllokals. Ihr ziemlich unauffälliges und leises Gespräch wurde kaum von jemandem wahrgenommen. Hätte man dennoch versucht, ihre Unterhaltung zu belauschen, wäre kein einziges Wort zu verstehen gewesen, denn sie sprachen in persischer Sprache, „Farsi“.

Einer der Männer, Kamran Jazdi, war etwa 1,70 m groß, Anfang fünfzig, ein schwer atmender, behäbiger Mann. Er trug eine Brille mit starken Gläsern und hatte dunkle glatte Haare, die an den Schläfen silbergrau geworden waren. Ein dünner schwarzer Vollbart umrahmte sein rundes Gesicht. Der andere Mann, Hussein Kazemi, war etwas kleiner, schlanker und schien über sechzig zu sein. Er hatte graue fettige Haare und trug einen pechschwarz getönten Schnurrbart. Während Jazdi ununterbrochen sprach, schien er allem, was dieser sagte, eifrig zuzustimmen.

Jazdi war der Chefkoordinator des iranischen Pasdaran2-Geheimdienstes. In seinem Reisepass war er als Regierungsbeauftragter eingetragen. Er war seit mehreren Jahren unter anderem für die Betreuung aller iranischen Agenten in Europa, Asien und den USA verantwortlich.

Sein Partner Kazemi besaß einen Supermarkt für asiatische Spezialitäten in der Stadtmitte von Hannover. Er verkaufte in seinem kleinen Laden verschiedene Lebensmittel, Bücher in persischer Sprache, Souvenirs, aber auch orientalische Musikkassetten bzw. CDs. Seit 1997 arbeiteten er und seine Frau nebenbei als Boten für den Pasdaran-Geheimdienst in Deutschland.

Er erhielt in regelmäßigen Abständen Topsecret-Postsendungen in Form von Musikdatenträgern mitsamt den bestellten Lebensmitteln direkt aus Indien oder Dubai. Um bei der Verteilung der Datenträger jede Verwechslung zu vermeiden, hatte man den jeweiligen Agenten bestimmte iranische Schlagersänger zugeordnet. Er musste unmittelbar nach dem Erhalt der Waren die Musikkassetten bzw. CDs in ein gepolstertes Kuvert stecken, es ausreichend frankieren und dem entsprechenden Agenten zustellen. Er betreute insgesamt fünfzehn in Deutschland aktive Agenten, und zwar von München bis Hamburg.

Die Löhne für ihn, seine Frau sowie die fünfzehn ihm zugeteilten Agenten wurden ihm jeden Monat von einem Kurier ausgehändigt. Aus Sicherheitsgründen wollte man grundsätzlich keine Überweisung per Bank oder Post vornehmen.

Zwischen dem Dreizehnten und Fünfzehnten eines Monats kam ein junger Mann und gab ihm einen großen gelben Umschlag, der Personal- und Reisekosten der gesamten Mannschaft beinhaltete; einen Betrag zwischen sechzig- und siebzigtausend Euro. Kazemi steckte das Geld nach einem Verteilungsschlüssel in mehrere Umschläge und dann schickte seine Frau diese auf eine Rundreise quer durch Deutschland. Die Agenten mussten sich pünktlich am Bahnsteig eines großen Bahnhofs in ihrer Fahrtrichtung aufhalten. In zwei bis fünf Minuten Fahrtunterbrechung des Zuges mussten sie schnell in den ersten Wagen neben dem Zugrestaurant einsteigen, ihre Lohntüte abholen und dann rasch verschwinden. Kam der Betroffene nicht pünktlich zu der festgelegten Stelle, musste er entweder nach Hannover kommen, um das Geld persönlich abzuholen, oder noch einen Monat, bis zum nächsten Zahltag, auf seinen Lohn warten.

Das Ehepaar Kazemi erhielt für seine Tätigkeit viertausendfünfhundert Euro pro Monat plus Spesen. Die beiden etablierten sich für die Pasdaran als zuverlässige und vertrauensvolle Mitarbeiter.

Kazemi hatte sich in den letzten Jahren nie ernsthaft Gedanken darübergemacht, woher der junge Kurier so viel Geld bekam und was die Agenten tatsächlich tun mussten, um in jedem Monat diese Summen zu verdienen. Er und seine Frau konzentrierten sich ausschließlich auf ihr Aufgabengebiet. Sie versuchten, alles unauffällig, korrekt und pünktlich zu erledigen. Die Rückmeldung der jeweiligen Agenten an Teheran erfolgte allerdings über die normale Postsendung, jedoch nicht direkt nach Teheran, sondern über Dubai oder Indien. Von dort wiederum leitete man die gesendeten Pakete nach Teheran weiter.

Diese Dienstbesprechung am Ufer des Maschsees, und zwar an diesem eiskalten Sonntag, konnte sich Kazemi nicht schlüssig erklären und sie beunruhigte ihn. Vor zwei Tagen rief Jazdi ihn an und bat ihn ohne irgendeine Erklärung, am Sonntag pünktlich um zehn Uhr vor dem Gebäude des NDR-Rundfunks auf ihn zu warten. Während ihres Spaziergangs sagte er mit leiser Stimme:

»Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich mit Ihnen weder in Ihrem Geschäft noch in meinem Hotel reden wollte. Man kann nie wissen, wo möglicherweise eine Wanze versteckt ist und wer das Gespräch mithört. Hier können wir uns unbesorgt miteinander unterhalten. Außerdem habe ich wegen meines Kreislaufs täglich das Bedürfnis, etwas frische Luft zu schnappen.« Er schaute sich vorsichtig um und sagte weiter: »Bei meinem letzten Besuch hatte ich Ihnen schon mitgeteilt, dass die Firma beabsichtigt, die Arbeitsabläufe sowie Kommunikationsverfahren unserer Agenten vollständig zu reorganisieren. Wir wollen in Zukunft, im Gegensatz zu den letzten Jahren, alle festgelegten Aufgaben effektiver, schneller und vor allem sicherer durchführen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist kein Vorwurf gegen Sie und ihre betreuenden Mitarbeiter.

Tatsache ist, dass wir gerade wegen der veralteten Arbeitsweise, aber auch aufgrund mehrerer Pannen und schlampiger Arbeit einiger Verbindungsmänner in Dubai bzw. Kalkutta in den letzten Jahren oft in ernsthafte Schwierigkeiten geraten sind. Die Kommunikationswege sind oftmals nicht nur umständlich und langsam, sondern auch nicht kontrollierbar. Wir haben in Teheran keine Möglichkeit zu prüfen, ob MAD, CIA und andere gottverdammte Geheimdienste unsere Aktionen überwachen und möglicherweise über unsere Vorhaben informiert sind.

Ich möchte noch einmal betonen, dass ich Sie, unseren zuverlässigen Koordinator, für diese Steinzeit-Methode nicht verantwortlich machen möchte. Sie führen Ihre Aufgabe gemäß der mit Ihnen vereinbarten Richtlinie durch. Aber diese Kommunikationswege sind einfach nicht zeitgemäß und zu riskant. Verstehen Sie, was ich meine?« Kazemi machte ein verständnisvolles Gesicht, obwohl es so schien, als hätte er keine blasse Ahnung, was sein Partner von ihm wollte. Jazdi fügte hinzu: »In einer Zeit moderner Technologie kommunizieren wir mit unseren Agenten per Brief oder CD, und zwar auf eine sehr aufwendige, primitive und unsichere Art und Weise. Haben Sie einmal überlegt, was passieren würde, wenn die deutsche Polizei oder Zollbehörde die aus Indien oder Dubai gelieferten Datenträger ordentlich prüfen würde? Sie würden Sie und Ihre Kollegen entweder sofort inhaftieren oder direkt in den Iran abschieben.

Wie Sie wissen, haben wir den ersten Schritt zu einem modernen und sicheren Verfahren vor zwei Jahren vorgenommen. Wir haben für jeden Agenten einen teureren und leistungsfähigeren PC bzw. Notebook gekauft und diesen durch unsere neuen Mitarbeiter installieren lassen.« Er fasste sich einige Sekunden nachdenklich an seine Stirn und fragte verwirrt: »Wie heißt der neue Mann?«

»Welcher neue Mann? Sie meinen Herrn Pourzand, Kian Pourzand.«

»Richtig, Pourzand. Er hat jeden Agenten wochenlang geschult und ihm beigebracht, wie er mit den englischen und persischen Textverarbeitungs-Programmen arbeiten soll. Aber bis heute hat sich unsere teure Investition kaum amortisiert. Zugegeben, bei unkritischen Fällen kommunizieren wir miteinander per Internet, aber wenn es um sensiblen Datenaustausch geht, traut sich niemand, das Internet zu benutzen, denn wir können nicht wissen, wer unsere Daten mitliest. Ja, lieber Herr Kazemi, dieser Zustand ist völlig unakzeptabel.« Er zögerte einen Augenblick, ehe er fortfuhr:

»Seit dem elften September 2001 hat sich die Situation in unserer Branche dramatisch zugespitzt. Die USA und fast alle europäischen Länder haben ihre Überwachungsapparate erheblich erweitert. Sie kontrollieren alles: Briefe, Pakete, Telefonanrufe, E-Mails und sogar Gespräche in Hotels, auf Bahnhöfen usw. Die Asiaten werden am meisten verdächtigt. So können wir unmöglich unsere Arbeit fortsetzen. Es bleibt uns keine andere Wahl, als das gesamte Verfahren radikal zu modifizieren.« Er schaute Kazemi eine Weile misstrauisch an, um zu prüfen, ob dieser verstanden hatte, was er sagte. Offenbar war das nicht der Fall. Er schien mehr verwirrt als informiert, bemühte sich dennoch mit ständigem Kopfnicken, seine Aufmerksamkeit deutlich zu demonstrieren. Jazdi sagte weiter: »Unsere Spezialisten in Teheran haben in den letzten zwei Jahren mehrere gute Systeme entwickelt, um die Datenverarbeitung am Computer sowie die Kommunikation per Telefon, Fax oder Internet sicherer abzuwickeln. Die neuen Systeme haben sich positiv bewährt. Die erste Reaktion unserer Kollegen in den USA ist ermutigend. Wir müssen daher alle Agenten in Europa eingehend schulen. Sie werden lernen, wie sie im Internet mit verschlüsselten Texten umgehen können. Darüber hinaus wollen wir allen Agenten beibringen, ihre Passwörter besser zu verwalten und vor allem ihren Arbeitsplatz vor Lauschangriffen zu schützen. Im Klartext heißt das: Ihre Mannschaft muss bald nach Teheran reisen und mehrere Wochen an einem Seminar teilnehmen. Nach der Schulung und einem Praktikum werden wir jeden Teilnehmer eingehend prüfen, und wenn wir davon überzeugt sind, dass er alles verstanden hat und mit den neuen Methoden selbstständig arbeiten kann, erlauben wir ihm, seine Tätigkeit im Ausland fortzusetzen. Ansonsten bleibt er so lange in Teheran, bis wir von seiner Leistungsfähigkeit überzeugt sind.«

Allmählich begriff Kazemi, dass die gute alte Zeit zu Ende zu sein schien. Es roch nach Schwierigkeiten. Er starrte Jazdi mit aufdringlicher Miene an und warf ihm vorsichtig die Frage hin:

»Erlauben Sie mir eine Frage, Herr Jazdi: Heißt das, wenn die Agenten geschult sind, ist mein Dienst nicht mehr erwünscht?«

»Quatsch! Auf einen loyalen und zuverlässigen Verbindungsmann wie Sie können wir kaum verzichten. Sie werden in Zukunft neben der Geldverteilung andere Aufgaben übernehmen. Allerdings müssen Sie, genau wie Ihre Kollegen, nach Teheran reisen und sich einige Wochen intensiv schulen lassen. Ich fürchte, es wird für Sie und einige Kollegen nicht einfach sein. Aber wenn Sie sich anstrengen, werden Sie das auch lernen.«

»Habe ich Sie richtig verstanden, dass alle fünfzehn Agenten, mich inbegriffen, bald für mehrere Wochen nach Teheran reisen müssen?«

»Ganz richtig. Und zwar bis spätestens zum siebzehnten Februar dieses Jahres«, antwortete Jazdi kurz und bündig.

»Das kann nicht Ihr Ernst sein. Das bedeutet in etwa zwei Wochen.« Er wirkte jetzt sehr aufgebracht. »Wie stellen Sie sich das alles vor? Ich kann nicht mehrere Wochen meinen Laden zumachen. Und ich denke, einige Kollegen können ebenfalls nicht einfach kurzfristig nach Teheran reisen. Nein, es geht nicht. Vier Agenten sind Studenten und können unmöglich ihr Studium abbrechen.«

Jazdi warf ihm einen eisigen Blick zu und erwiderte:

»Jeder von Ihnen erhält von Pasdaran mehrere Tausend Euro pro Monat – steuerfrei selbstverständlich. Sie sind unsere Angestellten und müssen sich Tag und Nacht nach unseren Forderungen richten und sich zur Verfügung halten. Sie und Ihre Frau verdienen mehr als ein iranischer Hauptmann. Ich erwarte gerade von Ihnen keine Widerrede. Im Gegenteil: Ich möchte, dass Sie einen Teil der Organisation für dieses Meeting übernehmen.

Eines steht fest: Wir können unmöglich den festgelegten Schulungsplan verschieben. Man erwartet Sie und Ihre Leute bis spätestens zum siebzehnten Februar in Teheran.«

»Das ist unmöglich, Herr Jazdi«, erwiderte Kazemi. Seine Worte klangen unsicher, ja fast flehend. Er sagte weiter: »Ich kann für mich irgendwie eine Lösung finden; es ist ziemlich schwierig, aber machbar. Meine Frau kann den Laden allein führen. Ich habe jedoch starke Bedenken, ob in der festgelegten Zeit alle meine Kollegen nach Teheran reisen können. Außerdem sind, wie Sie wohl wissen, einige von unseren Mitarbeitern nicht immer erreichbar. Ich denke, ich werde mehrere Tage benötigen, um mich mit allen in Verbindung zu setzen. Aber das bedeutet nicht, dass sie Ihre Anweisungen befolgen werden.«

»Sehen Sie, das ist genau das, was ich meinte: Wir sind nicht richtig organisiert. Wir sind unflexibel, langsam und ineffektiv. Das muss geändert werden, und zwar so bald wie möglich.

Rufen Sie alle Ihre Kollegen heute an und laden Sie sie nach Hannover ein. Sie sollen sich am siebten Februar nicht später als elf Uhr im Hotel Maritim einfinden. Wir treffen uns in einem von mir bereits gemieteten Konferenzraum. Wir werden miteinander reden, gemeinsam essen und danach kann jeder wieder nach Hause fahren. Die Agenten, die in München, Aachen oder Freiburg wohnen, müssen halt früher aufstehen oder am sechsten Februar anreisen. Wir bezahlen volle Spesen. Ich werde bei dieser Konferenz deutlich machen, dass sie an der geplanten Schulung teilnehmen müssen und der Termin nicht verschiebbar ist.«

»Ich werde es versuchen, aber garantieren kann ich für nichts.«

»Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden, Herr Kazemi.« Die Augen von Jazdi hatten jetzt einen harten, grausamen Ausdruck angenommen. Seine Erwiderung klang so frostig wie der Eishauch des Maschsees. Er hielt hastig seinen Arm fest und sagte drohend weiter: »Es muss Ihnen gelingen, sonst werden Sie mit mir mächtige Probleme bekommen. Ich fliege schon am Samstag, den achten Februar nach London, wo es um das gleiche Thema geht. Dort werde ich genauso kompromisslos sein. Unser Ziel ist es, bis Ende Mai dieses Jahres unsere gesamten europäischen Netzwerke neu zu strukturieren. Diese gewaltige Aufgabe kann nur reibungslos bewältigt werden, wenn alle betroffenen Mitarbeiter uneingeschränkt kooperieren. Ich meine alle, Sie auch. Haben Sie mich richtig verstanden, Herr Kazemi?« Er ließ ihn gar nicht zu Wort kommen und fuhr mit aggressivem Ton weiter: »Eigentlich brauchen wir nicht mehr darüber zu diskutieren. Gehen Sie wieder nach Hause und versuchen Sie, heute alle Mitarbeiter telefonisch zu erreichen. Sie brauchen nicht zu erzählen, um was es geht, sondern nur zu sagen, dass ich sie unbedingt am siebten Februar in Hannover sehen und sie über unsere Pläne informieren möchte. Die Teilnahme ist Pflicht.

Vergessen Sie nicht zu erwähnen, dass sie sich vernünftig anziehen und an der Hotel-Rezeption nach meinem Namen Fragen sollen. Ich habe einen kleinen Konferenzraum für den siebten Februar reserviert. Ich muss allerdings vorher jede Ecke des Saals auf eine eventuell eingebaute Wanze überprüfen. Ich denke, keine deutsche Behörde hat meinen plötzlichen Besuch in Deutschland sonderlich zur Kenntnis genommen. Aber ich bin halt vorsichtig; sicher ist sicher.

Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, können Sie jetzt gehen. Ja, gehen Sie, wir sind schon fertig. Wir sehen uns spätestens am siebten Februar um elf Uhr im Maritim Grand Hotel gegenüber dem Rathaus. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.«

Dann entfernte er sich mit eiligen Schritten, ohne auf das unzufriedene, ja besorgte Gesicht seines Mitarbeiters zu achten.

2 Armee der Wächter der Islamischen Revolution.

2. Kapitel

Sonntag, den 02. 02. 2003

An jenem Sonntag gegen neunzehn Uhr saß ein junges Paar glückstrahlend in dem rustikalen, italienischen Restaurant „Bella Italia“ in Schwabing, einem Stadtteil von München, einander gegenüber. Die junge Frau, Caroline Sander, saß da mit den Ellbogen auf dem Tisch, das Kinn in die Hände gestützt, und musterte fasziniert ihren Partner, Kian Pourzand, während dieser bei dem Kellner ein bereits ausgewähltes Menü in italienischer Sprache bestellte.

Sie war eine auffallend schöne Frau Anfang zwanzig, mit rötlich-blonden Haaren grünen fröhlichen Augen, einer schmalen Stupsnase und einem gut geformten, sanften Mund.

Ihr Verlobter, Kian Pourzand, war ein schlanker großer Mann, etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Er hatte braune glatte Haare, ein helles Gesicht und leuchtend schwarze Augen. In seinem dunklen Anzug und einem roten Rollkragenpullover sah er sehr elegant und charmant aus.

Das war ihr Stammlokal. Sie hatten sich vor knapp zwei Jahren in der Stadtbibliothek München kennengelernt. Seitdem trafen sie sich fast jede Woche entweder in seiner Wohnung oder sie gingen gemeinsam ins Kino und aßen anschließend zusammen in diesem Restaurant.

Eigentlich wusste monatelang niemand von ihrer heimlichen Verlobung. Das war eine spontane, emotionale Entscheidung während ihres zweiten gemeinsamen Urlaubs in Italien. Es hatte ein paar Monate gedauert, bis Caroline endlich den Mut fasste und ihrer Mutter von diesem Ereignis berichtete, vor allem von ihren Hochzeitsplänen.

Ihre Mutter, Sabrina, wusste schon, dass sie mit einem Perser befreundet war, aber sie hatte keine Ahnung, um wen es sich handelte und wie er aussah. Sie hatte grundsätzlich Vorurteile gegen Ausländer, ganz besonders gegen Asiaten. Sie wünschte sich, dass ihre Tochter eines Tages einen anständigen deutschen Mann heiraten würde. Vielleicht hinderte gerade diese konservative Einstellung Caroline daran, ihr Geheimnis frühzeitig preiszugeben.

Aber allmählich merkte sie, dass es so nicht weitergehen konnte, denn sie brauchte jede Menge Unterstützung – moralisch, aber auch finanziell.

An einem Sonntag bei ihrem gemeinsamen Frühstück schüttete sie aufrichtig ihr Herz aus, erzählte von ihrer großen Liebe und vor allem von ihren Zukunftsplänen. Dieses Geständnis hätte ihrer Mutter fast das Herz gebrochen und machte mit einem Schlag alle ihre großen Illusionen zunichte. Danach entbrannte ein entsetzlicher Streit zwischen Mutter und Tochter.

Sabrina schloss sich mehrere Tage in ihrem Schlafzimmer ein und mied jeden Kontakt zu ihrer Tochter. Sie schien die ganze Zeit völlig verzweifelt und enttäuscht zu sein. Aber dann änderte sie ihr Verhalten und versuchte, ganz ruhig und liebevoll mit ihr zu sprechen, um so möglicherweise ihre Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Sie erklärte mit ruhiger Stimme, dass sie solch eine Heirat nicht für gutheißen und ihr daher nicht zustimmen könne. Sie erwähnte einige ähnliche misslungene Ehen aus ihrem Bekanntenkreis und war der Meinung, dass Caroline das gleiche Schicksal ereilen würde. Sie sagte voller Überzeugung:

»Abgesehen von dem Problem mit der unterschiedlichen Mentalität landest du irgendwann in einer fremden Welt, wo das Leben für dich unerträglich sein wird. Traue keinem Asiaten; sie sind aggressiv, fanatisch und unzuverlässig.«

Nach diesen und weiteren Gesprächen merkte Sabrina, dass ihre mahnenden Hinweise keine Wirkung zeigten. Im Gegenteil: Je negativer sie sich zu dieser Beziehung äußerte, desto überzeugter und unnachgiebiger blieb Caroline im Hinblick auf ihre Entscheidung. Sie stellte schockiert fest, dass sich ihre Tochter Hals über Kopf in diesen unbekannten Perser verliebt hatte. Denn jedes Mal nach ihrer Unterhaltung betonte sie entschieden, dass, wenn sie einmal in ihrem Leben heiraten würde, nur ein Mann infrage käme – und das war Kian Pourzand. Die verzweifelte Frau spekulierte dann auf die Zeit und hoffte, dass sie im laufender Zeit ihre Meinung ändern würde.

Kaum notierte der Kellner die Bestellung und sie waren wieder allein, eröffnete Kian das Gespräch mit seiner charmanten Art und sagte:

»Erzählst du mir, was sie dieses Mal gesagt hat? Ist sie immer noch der Meinung, dass ich dich in den Iran entführe und in eine Hütte einsperren werde?«

Sie schaute ihn belustigt an und erwiderte lächelnd:

»Von einer Hütte war nie die Rede, sondern sie redet von einem Harem!« Sie ließ ihren Ton etwas ernster werden und fügte hinzu: »Eigentlich sie ist eine wunderbare Mutter. Sie hat einfach Angst und ist allgemein misstrauisch. Seit dem Tod meines Vaters konzentriert sie sich ausschließlich auf mein Leben und meine Zukunft.

Glaube mir: Ihre Bitterkeit oder ihr Misstrauen hat nichts mit dir persönlich zu tun. Denn sie kennt dich überhaupt nicht. In Wirklichkeit traut sie kaum einem fremd aussehenden Menschen, egal, welche Herkunft er hat. Warum sie so argwöhnisch ist, kann ich nicht erklären. Vielleicht schaut sie täglich stundenlang die kritischen Berichte im Fernsehen oder liest oft die Reportagen von Frauen, die in ihrem Leben schlechte Erfahrungen mit ausländischen Männern gemacht haben. Sie sagt oft zynisch, dass die Perser geborene Herzensbrecher sind.« Sie hielt inne, starrte fest in seine Augen und sagte weiter: »Ich denke, sie übertreibt ein bisschen, aber nur ein bisschen. Denn wenn ich an dein Verhalten in den letzten Monaten zurückdenke, muss ich gestehen, ist schon etwas Wahres an ihrer Aussage dran.«

Kian warf ihr einen irritierten Blick zu und erwiderte energisch:

»Ich begreife die Welt nicht mehr! Du weißt doch, wie sehr ich dich liebe. Ich brenne darauf, dich zu heiraten, und möchte mein ganzes Leben mit dir verbringen. Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll, damit du und deine Mutter mir mehr Vertrauen schenken könnt.«

»Ich stehe zu dir, und zwar uneingeschränkt, das weißt du doch. Dennoch, da wir jetzt offen miteinander sprechen, möchte ich dir sagen, dass mich ab und an dem Gedanken überfällt, dass du entweder irgendwo noch eine Freundin hast oder mir über deine merkwürdige lange Abwesenheit nicht erzählen willst. Ich weiß so wenig von dir. Jedes Mal, wenn du wochenlang verschwindest und ich dich frage, wo du gewesen bist, gibst du mir gar keine glaubhaften Erklärungen. Ich frage mich die ganze Zeit, wo du wirklich gewesen sein könntest? Warum weichst du so schnell aus, wenn ich dich danach frage, und versuchst mit einer charmanten, jedoch ablenkenden Liebeserklärung davonzukommen. Es fehlt mir daher eine solide Basis, damit ich an dich glauben und meiner Mutter mit mehr Überzeugung widersprechen kann.«

»Als Tochter einer reichen Familie kannst du meine finanzielle Situation nicht richtig begreifen. Das Studium, die schöne Wohnung, das Auto und der Lebensunterhalt in dieser Stadt kosten viel Geld, mein Schatz, welches von irgendwoher kommen muss. Daher muss ich neben meinem Studium hart arbeiten, um mein angenehmes Leben ohne Schulden zu finanzieren.

Aber das ist ein vorübergehender Zustand. Ich bin mit meiner Diplomarbeit so gut wie fertig und davon überzeugt, dass ich bald irgendwo eine gut bezahlte Position bekommen werde. Dann habe ich mehr Zeit für dich und bin in der Lage, langsam unsere Träume zu verwirklichen.«

»Ich verstehe, dass du neben deinem Studium arbeiten musst. Aber was machst du eigentlich, um so viel Geld zu verdienen? Wo arbeitest du? Ich weiß, du beherrscht mehrere Sprachen. Ich weiß, du bist ein Computergenie. Ich weiß auch, dass du bald Diplom-Informatiker bist. Aber was machst du, um finanziell unabhängig zu bleiben? Du hast bis heute nie von deinem Arbeitgeber gesprochen.

Du hast nur einmal in einem anderen Zusammenhang gesagt, dass du bis heute keinen Cent Lohnsteuer bezahlt hast. Kannst du mir sagen, wie du es schaffst, so viel Geld zu verdienen, um dieses bequeme Leben zu pflegen und gleichzeitig keinen Cent Steuer zu zahlen? Etwas stimmt nicht.«

Der Ober unterbrach ihr Gespräch und servierte die Vorspeise. Caroline zögerte, mit den leckeren Meeresfrüchten zu beginnen. Sie blickte ihn durchdringend an und erwartete eine Antwort.

»Ich merke, dass die Epidemie des Misstrauens deiner Mutter dich auch erwischt hat«, sagte Kian ganz ruhig, während er eine gegrillte Garnele probierte. Er wartete keine Reaktion ab, sondern redete noch etwas leiser weiter: »Ich habe den Eindruck, dass du mich für einen Drogendealer hältst. Ich muss zugeben, ich arbeite – wie fast jeder Student – schwarz. Im Grunde zahlen die meisten Studenten in Deutschland kaum Steuern an den Staat. Aber ich merke, dass es sich bei deinen Sorgen nicht um die Steuern handelt, sondern du wissen willst, ob ich in kriminelle Machenschaften verwickelt bin. Richtig?« Caroline schaute ihn schweigend, aber interessiert an und er sagte weiter: »Ich arbeite für mehrere iranische Firmen in Deutschland. Ich installiere neue PCs, schreibe für sie Computerprogramme oder berate sie, wie ihre technischen und betriebswirtschaftlichen Probleme zu lösen sind. Im Prinzip setze ich das, was ich in den letzten Jahren an der Uni gelernt habe, in die Praxis um. Das ist die beste Möglichkeit, ein wenig praktische Erfahrung zu sammeln und gleichzeitig gutes Geld zu verdienen. Sie zahlen mein Honorar bar ohne übliche Abzüge, z. B. Steuern, Krankenversicherung, Sozialversicherung etc. Ich verdiene pro Monat nicht weniger als zweitausend Euro, manchmal sogar fast dreitausend. So ist es mir möglich, mein Studium und vor allem dieses unbesorgte Leben zu finanzieren. Das ist die ganze Wahrheit.« Er warf ihr einen erwartungsvollen Blick zu und fragte: »Bist du jetzt mit meiner Erklärung zufrieden? Isst du bitte deine Vorspeise, sonst wird sie kalt. Sie schmeckt köstlich.«

Während der Vor- und Hauptspeise verblieben beide schweigend, eher nachdenklich. Nur ab und zu lobte Kian die Qualität und den Geschmack seines Essens. Offenbar zeigte diese plausible Erklärung langsam ihre positive Wirkung. Allmählich verschwanden die dicken Wolken des Misstrauens aus ihrem Gesicht und sie schien wieder beruhigt und entspannt zu sein. Während sie ihren Nachtisch probierten, ging sie zu einem anderen Thema über und sagte:

»Du hast gesagt, nach Abschluss deines Studiums möchtest du irgendwo arbeiten. Was meinst du mit irgendwo?«

»Nicht im Iran, falls du darauf anspielst. Vielleicht irgendwo in Europa, ehrlich gesagt, am liebsten möchte ich in die USA auswandern und dort arbeiten. In Amerika kann man als IT-Spezialist viel Geld verdienen.

Ich befasse mich mit diesem Gedanken seit mehreren Monaten. Um mein Glück zu testen, habe ich sogar vor knapp drei Monaten das amerikanische Konsulat in Frankfurt aufgesucht und ein Einreisevisum beantragt.« Sie warf ihm einen erstaunten Blick zu und er sagte weiter: »Ich weiß, ich weiß, es ist einfach dumm von mir, bis jetzt kein Wort mit dir darüber gesprochen zu haben. Aber ich wollte zuerst prüfen, ob ich Amerika in meinen Zukunftsplänen berücksichtigen kann. Denn ich bin mir nicht sicher, ob sie meinen Antrag bewilligen würden. Es ist wohl bekannt, dass die Amerikaner, genau wie deine Mutter, keine gute Meinung von Iranern haben. Dennoch wollte ich die Hoffnung nicht aufgeben und meinem Glück eine Chance geben. Wenn das amerikanische Konsulat meinem Antrag zustimmt, würde ich gern in die USA auswandern.« Er verstummte für eine Weile, hielt inne und sagte dann herausfordernd: »Vorausgesetzt, dass du mich begleiten würdest.«

»Aber warum Amerika? Warum willst du nicht in Deutschland bleiben?«

»Ganz einfach, weil ich kurz nach Abschluss meines Studiums Deutschland verlassen muss. Ich habe ein zeitlich begrenztes Studentenvisum und in ein paar Monaten läuft meine Aufenthaltsgenehmigung ab.

Vielleicht würden die Behörden mir freundlicherweise erlauben, nach dem Abschluss meines Studiums noch ein paar Monate bei einer deutschen Firma ein Praktikum zu machen, aber es besteht keine Chance auf die Erteilung einer unbegrenzten Aufenthaltserlaubnis.

Ein Beamter vom Ordnungsamt ermahnte mich kürzlich, dass angesichts von fast fünf Millionen Arbeitslosen in Deutschland keine Möglichkeit besteht, meine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.«

»Auch, wenn du eine deutsche Frau heiraten würdest?«

»Das weiß ich nicht genau, vielleicht doch. Aber offen gesagt, ich will meine Existenz in diesem Land nicht vom Heiraten abhängig machen. Ich möchte nicht bei allen unseren Freunden und Bekannten den Eindruck erwecken, dass ich dich wegen einer Aufenthaltserlaubnis geheiratet habe. Deine Mutter würde es als Erste glauben.

Andererseits mache ich mir natürlich Sorgen, dass bald eine unerträgliche Zeit kommt, da ich zwangsweise dieses Land verlassen muss und dich möglicherweise dadurch verliere. Das wäre ein trauriger und schmerzhafter Schlag für mich.

Jeden Abend, wenn ich im Bett liege, stürmen so viele furchterregende Gedanken auf mich ein, dass ich kaum schlafen kann. Ich frage mich die ganze Zeit, wohin ich auswandern soll, damit du mich mit voller Zustimmung und Freude begleiten kannst?

Ich muss ein Land aussuchen, wo ich gutes Geld verdiene und du dich wohlfühlst, denn du bist in deinem Leben immer verwöhnt gewesen, und wenn du eines Tages dein Zuhause verlässt, erwartest du bestimmt einen adäquaten Lebensstandard. Wenn ich also in Deutschland keine Aufenthaltsberechtigung bekäme, wären die USA eine gute Alternative.« Er machte eine kurze Pause, um seinen Worten noch mehr Eindringlichkeit zu verleihen. »Du kannst davon ausgehen, dass ich mein Bestes geben werde, um dich in jeder Hinsicht glücklich zu machen. Auf ein Haus wie eure Münchener Stadtvilla musst du allerdings einige Jahre verzichten. Aber ich sorge dafür, dass du, egal wo wir zusammenleben werden, glücklich und zufrieden sein wirst.« Er schaute sie eine Weile prüfend an und sagte mit ernster Stimme weiter: »Aber ich nehme an, auf deine Frage wolltest du etwas Anderes hören, nicht wahr? Du bist noch bei der Warnung deiner Mutter. Ich verspreche dir, ich habe keine Absicht, in den Iran zurückzukehren, um dort zu leben. Das ist mein Ehrenwort.«

»Das wird meine Mutter sehr gern hören«, sagte Caroline lächelnd. »Ich glaube dir. Aber ich verstehe deine Sorge überhaupt nicht. Meiner Meinung nach dramatisierst du deine Situation völlig unbegründet.

Erstens kann ein Mann mit deiner Qualifikation überall eine angesehene Arbeit finden. Du bist sehr intelligent, hast eine gute Ausbildung und vor allem sprichst du mehrere Sprachen. Du kannst sowohl in Deutschland eine sogenannte Greencard bekommen als auch im UK oder meinetwegen in den USA. Und was meinen Lebensstandard betrifft, kann ich dir versichern, dass ich mit dir sogar in die Wüste ziehen würde, wenn ich sicher bin, dass du mich wirklich liebst und mit mir ein liebevolles Leben führen willst. Ich träume oft von einem einfachen und sorgenlosen Leben mit dir; kein Luxus wie zu Hause; nein, ich brauche so etwas nicht. Was ich brauche, ist ein harmonisches und glückliches Leben. Ich habe bei unserer letzten Diskussion deutlich gesagt, dass ich keinen Wert auf Luxus und die Schickeria-Szene lege. Ich glaube, ich bin zu unkompliziert, zu bürgerlich. Ich möchte meine eigene Familie gründen, bevor ich dreißig bin, zwei Kinder haben und – wenn du mitmachst – insgesamt sogar fünf Kinder.

Gleichgültig, ob wir unsere Träume in Amerika, in Afrika oder irgendwo in Europa wahrmachen, wir halten zusammen. Wir werden uns gegenseitig motivieren und uns richtig anstrengen, unser Ziel zu erreichen. Selbstverständlich komme ich mit dir in die USA. Jedoch wird die Welt auch dann nicht zusammenbrechen, wenn die Amerikaner deinen Antrag ablehnen und die Deutschen bei der Verlängerung deiner Aufenthaltsgenehmigung Schwierigkeiten machen. Im schlimmsten Fall können wir nach Australien auswandern.

Du weißt doch, mein Vater war Australier und ich habe immer noch einen australischen Pass. Ich denke, sie werden dich mit offenen Armen empfangen, denn dein Fach ist überall begehrt. Wenn es dir nicht unangenehm ist, kannst du in der Firma meines Onkels Arthur arbeiten. Mehr als die Hälfte des Kapitals dieser Firma gehört meiner Mutter.

Ich glaube, ich habe einmal erwähnt, dass mein Vater Chemiker war. 1950 gründete er mit seinem Bruder Arthur eine mittelständische Chemiefabrik mit dem Namen „SCI“ in Melbourne und seitdem läuft die Firma erfolgreich. Im September 1963 machte mein Vater eine Geschäftsreise nach Europa. Während seines Aufenthalts in München hatte er in einem Oktoberfestzelt meine Mutter kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Dann machte er ihr einen Heiratsantrag und sie war mit allen Bedingungen einverstanden. Er nahm sie mit nach Melbourne und heiratete sie in seinem Elternhaus. Sie hatten ein glückliches Leben, wovon Mutter mir oft stolz erzählt. Mit meiner Geburt waren sie noch glücklicher.

1990 machten sie einen gemeinsamen Urlaub in Deutschland. Ich blieb bei meiner Tante in Sydney. Dann geschah etwas Schreckliches: Bei einer Massenkarambolage auf einer Münchener Autobahn kam mein Vater ums Leben. Meine Mutter hatte Glück, denn außer ein paar oberflächlichen Verletzungen kam sie mit einem blauen Auge davon.

Als sie das Krankenhaus verließ, entschied sie, ohne meinen Vater nicht mehr in Australien leben zu wollen. Sie gab meinem Onkel eine Handelsvollmacht und kehrte mit mir nach Deutschland zurück. Seitdem ist sie sehr zurückhaltend, ängstlich und oft misstrauisch.«

Kian sah sie sehr aufmerksam an und mit jedem Wort funkelten seine Augen mehr vor Erstaunen. Das war das erste Mal, dass sie so ausführlich ihre Familiengeschichte erzählte. In den letzten zwei Jahren kreisten ihre Gespräche meistens um ihr Studium, Sport, Urlaub und Zukunftsplanung; manchmal ging es eben auch um die negative Einstellung ihrer Mutter bezüglich der Migranten in Deutschland.

Nach ihrer heimlichen Verlobung hatten die Themen Heiraten und Zusammenleben ihre leidenschaftlichen Gespräche dominiert.

Zuerst war Caroline etwas zurückhaltend gewesen, aber dann hatte sie sich getraut, über ihre Träume und Visionen zu sprechen und er war jedes Mal mit Leib und Seele dabei. Er hörte ihr immer aufmerksam zu und ergänzte ihre Lebensvorstellungen mit seinen vielversprechenden Visionen. Mit einer Spur Sanftheit in ihrer Stimme sagte Caroline weiter: »Ich denke, dass ein spezieller Ort, an dem wir zusammenleben werden, nicht so entscheidend ist. Wichtig ist, dass wir uns treu bleiben, einander vertrauen, gemeinsame Ziele festlegen und gegenseitig offen und aufrichtig bleiben. Wir sind jung und können gemeinsam eine verheißungsvolle Zukunft erleben.« Sie blieb wieder für eine Weile schweigsam. Man konnte sehen, dass sie noch etwas sagen wollte und eine geschickte Formulierung suchte. Sie blickte Kian tief in die Augen und sagte mit überzeugender Stimme: »Ich glaube doch, dass du mich liebst; dennoch: Was das Vertrauen betrifft, muss ich dir leider sagen, dass es für ein gemeinsames Leben noch nicht ausreicht. Wenn du bei mir bist, fühle ich mich immer gut und mache mir keine Sorgen, aber ich habe viel Angst und Kummer, wenn du wochenlang weg bist. Du tust mir mit deinem merkwürdigen Schweigen sehr weh. Ich weiß auf einmal nicht, woran ich bei dir bin. Ich frage mich, warum du dich derart vor mir verschließt. Wozu diese Geheimnisse? Und warum redest du nicht über deine Erlebnisse, deine Sorgen? Manchmal erwische ich mich bei dem Gedanken, ob in deinem Leben noch eine andere Frau existiert. Bist du vielleicht doch im Iran verheiratet gewesen und versuchst, dies vor mir geheim zu halten? Dieser undurchschaubare Zustand macht mich verrückt. Ich bin so offen zu dir und du so verschlossen.

Erinnerst du dich, dass du mir vor einiger Zeit die Gedichte eines persischen Dichters, Molana3, geschenkt hast? Ich liebe dieses Buch, obwohl es manchmal sehr schwierig ist, einige seiner Verse zu verstehen. In diesem Buch gibt es ein kurzes Gedicht, das unsere Beziehung poetisch beschreibt:

Jeden Tag weint mein Herz mehr Tränen um dich,

Dein hartes Herz wird meiner immer mehr überdrüssig.

Du gibst mich auf, die Trauer tut das nicht,

Doch die Trauer ist treuer als du. «

Kian starrte sie die ganze Zeit stumm und aufmerksam an. Er war so gerührt, dass er Tränen in den Augen hatte, als sie die persische Poesie so gefühlvoll wiedergab; er war hingerissen.

Plötzlich unterbrach das leise Klingeln seines Mobiltelefons auf dem Tisch ihre geistvolle Unterhaltung. Zuerst zeigte er gar kein Interesse an dem unpassenden Lärm seines Handys. Er hielt ihre Hand ganz fest und war im Begriff aufzustehen und sie zu küssen. Dieses ehrliche Geständnis, dieser hinreißende Ausdruck ihrer Gefühle versetzte ihn in große Begeisterung.

Das Mobiltelefon spielte andauernd eine bekannte Melodie und vibrierte unruhig auf dem Tisch. Ohne seinen Blick von ihr abzuwenden, nahm er zögerlich das Gerät in die Hand, warf dann einen kurzen Blick auf den Namen des Anrufers auf dem kleinen Monitor und plötzlich erlosch das feurige Strahlen in seinem Gesicht. Er wirkte auf einmal sehr bedrückt und spürbar nervös.

»Bitte entschuldige mich, Liebling! Ich komme gleich wieder zurück.« Danach verließ er hastig, ohne ihre erstaunte Reaktion zu beachten, das inzwischen voll belegte Lokal.

Draußen war es eisigkalt. Er konnte in seinem dünnen Anzug unmöglich zu lange auf der vereisten Straße stehen und telefonieren. Andererseits wollte er sicherstellen, dass keiner sein Gespräch mithören konnte, auch wenn er Persisch sprach. Er ging einige Meter weiter und sagte mit ärgerlicher Stimme: »Wir haben vereinbart, dass du mich nur am Vormittag anrufst. Was willst du, Kazemi?«

»Entschuldige die Störung. Ich wurde beauftragt, alle Kollegen zu einer außerordentlichen Mitarbeiterbesprechung in Hannover einzuladen. Der Chef ist plötzlich anwesend und möchte mit uns sprechen. Er sagte, er besteht darauf, dass sich alle Mitarbeiter aus Deutschland am siebten Februar im Hotel Maritim Hannover versammeln. Du und der Kollege aus Freiburg müsst am sechsten Februar anreisen, da die Sitzung für elf Uhr terminiert ist. Das heißt, ihr müsst in Hannover übernachten.«

»Was will er? Was für eine Besprechung?«

»Keine Ahnung. Es soll aber ein sehr wichtiges Meeting sein.«

»Und wenn ich mich drücke?«

»Keine Chance, mein Freund. Wir dürfen keine Konfrontation mit ihm riskieren. Bitte sei nett, komm pünktlich.«

»Ich bin nicht sicher, ob ich es schaffe. Ich rufe dich morgen früh an.«

»Du brauchst mich nicht zurückzurufen. Du hast keine andere Wahl. Du buchst eine Fahrkarte für den sechsten Februar und ich reserviere für dich ein Zimmer im Maritim Grand Hotel Hannover. Ansonsten wirst du mächtigen Ärger bekommen. Du kannst am siebten Februar ab fünfzehn Uhr wieder nach München zurückfahren. Jetzt muss ich aber Schluss machen, um andere Kollegen rechtzeitig zu erreichen. Wir sehen uns in Hannover.«

Das Gespräch war plötzlich zu Ende. Er stand für eine Weile wie angewurzelt vor dem Eingang des Restaurants, ja fast gelähmt, ohne die unangenehme Kälte zu spüren. Offenbar ließen die paar Stunden Gesellschaft seiner bezaubernden Verlobten ihn seine reale Situation einfach vergessen. Er war auf keinen Fall ein freier Mann, der freie Entscheidungen treffen konnte, wie er seiner Verlobten gegenüber behauptete. Er war einfach ein bezahlter Befehlsempfänger des iranischen Geheimdienstes, auch wenn er diese Tatsache nicht wahrhaben wollte.

Als er wieder an seinen Tisch zurückkehrte, bemerkte er, wie Caroline ihn besorgt anschaute. Er musste sich jetzt eine plausible Erklärung einfallen lassen, um seine merkwürdige Flucht zu begründen.

Caroline musterte ihn mit kritischem Blick und konnte nicht erkennen, ob er ihr wegen der Kälte, die draußen herrschte, so blass, trübsinnig und auf einmal so verbittert erschien oder ob er mit jemandem ein unangenehmes Gespräch geführt hatte. Er setzte sich wieder ihr gegenüber hin und entschuldigte sich mit einem leeren Lächeln. Trotz seiner Bemühungen, sich normal zu verhalten, spürte sie deutlich, wie aufgeregt er war.

»Das war ein persischer Freund.« Sein Ton war jetzt um Glaubhaftigkeit bemüht. »Ich wollte nicht in diesem voll belegten Lokal mit ihm laut auf Persisch kommunizieren. Er kann schlecht hören. Man muss fast schreien, um ihm alles verständlich zu machen.«

»Was wollte er?«

»Er zieht von Frankfurt nach Hannover um und bat mich, ihm dabei zu helfen.«

»Es scheint, als wenn du davon nicht sonderlich begeistert bist, oder?«

»Ich habe natürlich nicht darauf gewartet. Aber ich muss es tun. Er half mir auch schon mehrere Male – jetzt bin ich dran.« Trotz seiner Anstrengung merkte man dennoch, dass er an etwas Anderes dachte, als an das, was er sagte. Er wechselte ganz geschickt das Thema, kam wieder auf den Inhalt des Gedichtes zurück und sagte:

»Du hast das Gedicht von Molana mit großem Enthusiasmus wiedergegeben; ich war hellauf begeistert.«

»Danke, aber du musst wissen, dass ich es nicht zufällig gewählt habe. Ich habe seinen Inhalt ernst gemeint«, sagte sie mit finsterer Miene und fügte hinzu: »Ich muss offen sagen, dass ich manchmal Probleme mit dir habe. Die extremen Schwankungen in deiner Mimik verwirren mich sehr. Ich möchte gerne herausfinden, warum du oft ohne erkennbaren Grund so blass und spürbar nervös wirst. Zum Beispiel siehst du gerade jetzt völlig durcheinander aus. Man hat den Eindruck, dass du zufällig erfahren hast, dass deine Aktien völlig wertlos sind oder die Frau, die du heimlich besuchst, unerwartet schwanger ist!

Ich glaube nicht, dass der Hilferuf eines Freundes dich so verwirren kann, wie du es jetzt gerade darstellst. Was ist los mit dir, mein Lieber?

Hast du so wenig Vertrauen zu mir, dass du nicht ehrlich über deine Sorgen sprechen kannst? Warum sagst du nicht einfach, dass du gerade mit einer Frau gesprochen hast? Zum Beispiel mit einer schwangeren Freundin, einer Liebhaberin, einer …« Sie konnte nicht weiterreden. Sie blieb stumm und hielt mit großer Mühe die Tränen zurück.

Kian schaute sie hilflos an und stellte fest, dass sie sehr aufgeregt war. Kein Anflug von Weichheit mehr in dem rot gefärbten Gesicht. Er wusste längst, dass sie äußerst scharfsinnig, aber auch empfindlich war. Keine Chance, sie zu belügen. Es war auch undenkbar, ihr jetzt von seinen merkwürdigen Tätigkeiten zu erzählen. Ein Wort darüber bedeutete gleich das Ende ihrer Beziehung. Er versuchte, die angespannte Atmosphäre zu entschärfen und ihr Vertrauen wiederzugewinnen. Mit ruhiger und sicherer Stimme sagte er lächelnd:

»Ich weiß nicht, wie ich dir meine Unschuld beweisen soll. Ich schwöre, es gibt keine andere Frau in meinem Leben. Du bist die einzige Frau, die ich von ganzem Herzen liebe.

Ich gebe zu, es gibt noch einige unausgesprochene Themen, die wir miteinander zu klären haben. Aber die sind zurzeit unwichtig und für unsere Beziehung nicht relevant. Ich werde dir bei einer anderen Gelegenheit alles erzählen und alle deine Fragen ehrlich beantworten. Aber lass uns diesen schönen Abend gemeinsam genießen. Kein Streit, kein Misstrauen. Glaube mir, ich liebe dich von ganzem Herzen.«

Es dauerte einige Minuten, bis sie sich wieder wie eine Blume öffnete. Dieses Geständnis tat ihr gut. Langsam nahm sie seine fast erfrorenen Hände in ihre warmen und weichen und fragte mit ihrer sanften Stimme:

»Ehrenwort? Gibt es keine andere Frau in deinem Leben?«

»Ich schwöre bei Gott, dass du meine einzige und große Liebe bist. Ich schwöre, ich habe keine Beziehung zu einer anderen Frau. Glaubst du mir jetzt?«

Sie blieb für eine Weile nachdenklich und sagte dann:

»Vielleicht doch. Weißt du, du hast sehr schöne und interessante Augen. Sie sind ehrlich und ausdrucksvoll. Ich brauche sie nur einmal tief anzuschauen und weiß, ob du mir die Wahrheit erzählst oder nicht.«

»Und was sagen meine Augen jetzt?«

»Die bestätigen deinen letzten Satz. Sie sagen mir auch, dass ich Geduld mit dir haben soll. Aber dein Gesicht sieht unglücklich aus; es ist geprägt von Sorge und Traurigkeit. Ich wünschte, ich könnte dir helfen. Aber erst musst du dich öffnen.«

»Mein einziges großes Problem habe ich dir bereits erzählt.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die deutschen Behörden meine Aufenthaltserlaubnis nicht dauerhaft verlängern werden. Diese Gedanken belasten mich sehr, weil sie unsere Pläne negativ beeinflussen können. Ich hoffe, es gelingt mir, ein Visum für Amerika zu bekommen. In diesem Fall werde ich im April, nach der Abschlussfeier meines Studiums, in die USA reisen und dort eine angemessene Stelle suchen. Dann komme ich wieder zurück, wir heiraten, fliegen gemeinsam in unsere neue Welt und suchen eine schöne Wohnung, wo du dich absolut wohlfühlst.

Meine liebe Caroline, ich möchte mein Leben mit dir teilen. Ich möchte dich heiraten, wie du gesagt hast, mehrere Kinder haben, um gemeinsam ein gemütliches, verheißungsvolles Leben zu führen. Ich verspreche dir, dass ich dich glücklich machen werde, egal wo wir leben werden – habe Vertrauen zu mir.«

»Ich habe keine Zweifel an deiner guten Absicht. Aber wie stellst du dir das in Wirklichkeit vor? Wir haben uns bereits heimlich verlobt. Willst du, dass unsere Heirat genauso abläuft?«

»Nein, ich will mein Glück mit allen unseren Freunden und Verwandten teilen. Du verdienst eine Traumhochzeit, ein Fest, an das wir in Zukunft mit großer Freude denken werden. Wir heiraten hier in Deutschland.«

»Das will ich auch. Aber so etwas muss ausführlich besprochen werden; es muss alles geplant sein. Außerdem benötigen wir finanzielle Unterstützung. Wir sind auf die Hilfe meiner Mutter angewiesen.« Plötzlich blitzten ihre Augen und sie sagte weiter: »Warum kommst du nicht am kommenden Freitag zu uns und versuchst, dich mit meiner Mutter zu versöhnen. Ich möchte auf jeden Fall, dass meine Mutter bei unserer Hochzeit dabei ist. Sie ist zwar nicht gut auf unsere Beziehung zu sprechen, aber sie ist immerhin meine Mutter.«

»Ich würde gern kommen. Aber du hast mehrere Male gesagt, dass sie von deinem Vorschlag nicht begeistert ist. Daher bin ich nicht sicher, ob sie mich überhaupt empfangen will.«

»Mache dir keine Sorgen. Ich werde morgen ausführlich mit ihr darüber sprechen und noch einmal klarstellen, was ich will und vor allem, was wir vorhaben. Ich bin sicher, ich kann sie positiv beeinflussen, sodass sie in Zukunft anständig mit dir umgeht.«

»Ich hoffe, sie regt sich ab. Nächsten Freitag kann ich leider nicht. Ich habe gerade meinem Freund versprochen, ihm zu helfen. Aber ich komme am Freitag, den vierzehnten Februar gegen sechzehn Uhr und bringe für dich und deine Mutter Blumen mit. Schließlich ist Valentinstag. «

»Das ist eine gute Idee. Mutter und ich haben dann fast zwei Wochen Zeit, vernünftig miteinander zu diskutieren und uns einig zu werden.

Ich bin sicher, ich werde sie davon überzeugen, dass wir uns von ganzem Herzen lieben. Mach dir keine Sorgen – meine Mutter und ich werden gern auf dich warten.«

Sie erntete ein dankbares und zufriedenes Lächeln von ihm. Er strahlte wieder, und bevor sie das Lokal verlassen wollten, bestellte er beim Ober zwei Espresso und beglich die Rechnung. Gegen zweiundzwanzig Uhr verließen sie das „Bella Italia“.

3 Rumi (Molana) wurde in Balkh geboren, einer Stadt, die früher an der Ostgrenze des Persischen Reiches lag und heute zu Afghanistan gehört.

3. Kapitel

Freitag, den 07.02.2003

Schon kurz vor elf Uhr erschienen alle eingeladenen Mitarbeiter im Konferenzraum des hannoverschen Maritim Grand Hotels. Die fünfzehn in Deutschland niedergelassenen iranischen Agenten sowie die Herren Kazemi und Pourzand standen schweigend und angespannt um den großen ovalen Besprechungstisch und warteten auf ihren Chef. Einige Agenten begegneten sich zum ersten Mal. Nur Kazemi und Pourzand waren jedem Anwesenden bekannt; einer fungierte als Verbindungsmann und koordinierte ihre Gehälter, der andere war ihr Computerbetreuer.

Pünktlich um 11 Uhr betrat Herr Jazdi den Saal und begrüßte jeden Mitarbeiter mit kräftigem Händeschütteln. Er trug einen dunklen Anzug, keine Krawatte, sondern ein zugeknöpftes, kragenloses weißes Hemd. Mit einer höflichen Geste bat er alle, am Tisch Platz zu nehmen. Während er mit einem weißen Tuch seine Brille putzte, schaute er jeden Anwesenden prüfend an und begann dann mit seinem Vortrag:

»Besmelahe Rahmane Rahim.4

Meine lieben Brüder, seien Sie herzlich willkommen in unserer außerordentlichen Versammlung. Ich möchte Ihnen ganz herzlich danken, dass Sie meiner kurzfristigen Einladung gefolgt sind und mit Ihrer Pünktlichkeit dazu beigetragen haben, meinen Plan einzuhalten.

Ich kann mir denken, dass jeder von Ihnen neugierig ist zu wissen, warum diese Besprechung so plötzlich angeordnet wurde. Ich werde Ihnen meine Gründe ausführlich erläutern und anschließend Ihre Fragen beantworten.

Ich möchte klarstellen, dass wir über das Thema, welches ich Ihnen eingehend erklären werde, nur begrenzt diskutieren dürfen. Denn die Entscheidung über die Ausführung und vor allem über den Termin ist bereits in Teheran gefallen.

Es geht um eine neue Schulung, ein mehrwöchiges Seminar über sichere und effektive Kommunikationsverfahren.

Meine Herren, Sie haben sicherlich in den letzten Jahren bemerkt und vielleicht sogar darunter gelitten, dass die Arbeit auf unserem Geschäftsgebiet immer schwieriger und unsicherer geworden ist.

Die neuen Gesetze zur Terrorismusbekämpfung der Europäer sowie unseres Feindes Nummer eins, Amerika, beeinträchtigen schmerzlich unsere Aktivitäten. Das heißt, wir können uns nicht wie früher einigermaßen frei bewegen, unbeobachtet unsere Einkäufe im Ausland tätigen, ganz zu schweigen von der risikoreichen Kommunikation untereinander. In Amerika und Europa nimmt die Überwachung von Menschen aus arabischen bzw. asiatischen Ländern ständig zu. Mir ist bekannt, dass diese Länder trotz ihrer hochgelobten Grundgesetze, mit ihren raffinierten Computerprogrammen fast alle Telefongespräche der von ihnen verdächtigten Personen belauschen und auswerten. Daher ist die Frage, die wir uns ernsthaft stellen müssen: Können wir in Zukunft ungestört und ohne beobachtet zu sein unsere Aufträge im Ausland erfolgreich erledigen? Wohl kaum.