Der Prophet Muhammed 2 - Das unendliche Licht - Fethullah Gülen - E-Book

Der Prophet Muhammed 2 - Das unendliche Licht E-Book

Fethullah Gülen

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Beschreibung

Sozialarbeiter, Lehrer, Staatsgründer, Befehlshaber oder Wahrsager. Für den einen der Hirte, den anderen ein Mediziner, für wiederum andere ein Wegweiser. Was macht einen Propheten aus? Und im Besonderen: Was macht die Gesandtscha­ des Propheten Muhammed aus? Dieses Buch nähert sich dem facettenreichen Leben des Propheten Muhammeds aus einer ungewohnten, ganz neuen Perspektive: Die Attribute der Gesandtschaft­ stehen im Mittelpunkt. Freuen Sie sich auf eine emotionale, doch gleichzeitig reflektierte Reise durch das Leben des Propheten. Ein Leben, das die Wesenheit des Menschen zu einem gewaltigen Spiegel verwandelt, in dem der Schöpfergott sich widerspiegeln kann.

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Der Prophet MUHAMMED

DAS UNENDLICHE LICHT Eine kontextuelle Analyse der universellen Botschaft

2

M. Fethullah Gülen

Copyright © Main-Donau Verlag, Berlin, 2019

Es ist nicht gestattet, Teile dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder in PCs/Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Vorlagen zu manipulieren oder in irgendeiner Art und Weise zu veröffentlichen, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Erschienen im Main-Donau Verlag

Korrespondenz: Wilhelmstr. 26-30 Haus 24 - 13593 Berlin Tel: +49 69 / 83-83-8000

www.deinbuchshop.de

ISBN: 978-3-946871-23-1

Die Attribute der Propheten

1. Fetãne – prophetische Weisheit

Fetānebedeutet, den Verstand mit Hilfe des Intellekts zu überwinden, man könnte auch „prophetischer Intellekt“ dazu sagen. Dieser Intellekt vereinigt den Geist, das Herz, die Empfindungen und das spirituelle Feingefühl.

Fetāne bezeichnet jedoch keineswegs nüchternen Verstand und kühle Ratio. Daher würde es nicht nur eine Verkennung, sondern bereits eine bedeutende Verdrehung des Islams bedeuten, wenn man sagte: „Der Islam ist eine Religion des Verstandes. Der Islam ist eine Religion der Logik.“ Nein, der Islam ist keine Religion des Verstandes oder der Logik, er ist eine Offenbarungsreligion.

Die Tatsache, dass die Lehren des Islams Verstand und Logik nicht widersprechen, liegt einerseits daran, dass der Koran in gewisser Hinsicht ja aus einem „wissenschaftlichen Milieu“ stammt und somit alle seine Themen verstandesmäßig bestätigt werden, aber auch am umfassenden Erkenntnisspektrum des prophetischen Intellekts, der den Islam seines göttlichen Ursprungs entsprechend erläutert. Es geht also um die Eingebung und die Vernunft der Propheten; eine Vernunft, die so geschaffen war, dass sie die göttliche Offenbarung erfassen konnten. Dieser Intellekt ist ebenfalls offen für Empfindungen, Argumente, das Herz, spirituelles Feingefühl und die Weisheiten der Philosophie. Es ist ein Intellekt, der den Verstand übersteigt, also die größte prophetische Weisheit (el-fetānet el-aʿzam).

Es ist eine Notwendigkeit und ein Bedürfnis, dass alle von Gott stammenden Offenbarungen zunächst einmal diese Vernunft widerspiegeln. Allerdings ist dieses Bedürfnis ein rein menschliches Bedürfnis. Wäre die Offenbarung den Menschen übermittelt worden, ohne zuvor der Vernunft unterworfen oder ohne gewissermaßen von Wechselstrom auf Gleichstrom geschaltet worden zu sein, würde die Menschheit unter dem umfassenden göttlichen Willen, der der heiligsten Überbordung entspringt, in Flammen aufgehen; ähnlich wie alles Bestehende zu Asche verbrennen würde, wenn Gott den Schleier seines Antlitzes lüftete.1

Die prophetische Weisheit bildete die Atmosphäre für die brennenden Sternschnuppen der Offenbarung. Tenezzulāt-ı ilāhiye (Herabneigung der Göttlichkeit zur Menschheit) ist das, was wir als Religion bezeichnen: die Offenbarung Gottes für den Menschen verständlich zu machen. Dies wurde durch die Weisheit und den Intellekt der Propheten möglich. Daher gehört fetāne zu den Attributen, die bei allen Propheten zu finden sein müssen, und bezeichnet einen Intellekt, der mit dem Begriff „Genie“ nur unzureichend beschrieben werden kann, denn der Intellekt der Propheten übersteigt allen Verstand.

Gäbe es die prophetische Weisheit nicht, wie hätten die Propheten dann auf die Einwände ihrer Gegner eingehen können, die Fragen ihrer Freunde beantworten und die unzähligen Angelegenheiten, die an sie herangetragen wurden, erklären und deuten können? Bliebe die Religion unverstanden, blieben alle religiösen Gebote bedeutungslos; gäbe es keine religiösen Gebote, wäre auch die Schöpfung des Menschen ad absurdum geführt. Dass es jedoch nicht zu diesen negativen Folgen kam, liegt am herausragenden Intellekt, mit dem die Propheten ausgerüstet wurden. In der Tat wurden die Propheten mit einer Weisheit geehrt, die sie in die Lage versetzte, allen Herausforderungen mit Leichtigkeit zu begegnen.

1 „Sein Schleier ist aus Licht (gemäß einer anderen Überlieferung: aus Feuer). Lüftete er sein Antlitz, er würde alle Geschöpfe, die seine Augen erblicken, im Feuer auslöschen“ (Muslim, Īmān 293–294; Ibn Mādje, Muqaddime 13; Aḥmed ibn Ḥanbel, Musned 4/401).

A. Die prophetische Weisheit des Gesandten Gottes

Zunächst ein paar Gedanken zu der Ära, in der der Gesandte Gottes lebte: Zum einen brachten die Gefährten alle Angelegenheiten des islamischen Rechts vor ihn, die sie nicht lösen konnten, zum anderen musste er auch die Fragen und Zweifel all jener beantworten, die sich dem Islam zugeneigt fühlten. Dem nicht genug, säten Schriftbesitzer, die dem Gesandten Gottes nicht wohlgesonnen und eifersüchtig auf ihn waren, Zweifel und Bedenken, die er nicht unbeantwortet lassen konnte. Hierauf passend und treffend zu antworten, war nur aufgrund seines prophetischen Intellekts (fetāne) möglich.

Die Menschen, denen er sich gegenübersah, waren äußerst unterschiedlich. Zum einen gab es religiöse Würdenträger, die in spirituelle Tiefen vorgedrungen waren und in den Kirchen und Klöstern zumindest eine gewisse Vorliebe für das Geistige entwickelt hatten. Andere seiner Zuhörer neigten der Philosophie zu; für sie gab es nur Verstand und Logik. Unter seinen Zuhörern gab es auch solche, die sich auf Handel und Ökonomie verstanden sowie prominente, auf den Schlachtfeldern erprobte Kommandeure, politische Größen und einfache Beduinen – sie alle hatten ihre speziellen Fragen. Die Antworten des Gesandten Gottes mussten daher individuell auf die Bedürfnisse eines jeden abgestimmt sein – vom Beduinen bis hin zu den höchsten Würdenträgern. Daran wird sich auch bis zum Jüngsten Tag nichts ändern, ist dies doch das Merkmal einer universellen Religion.

Der Mensch ist ein Geschöpf, das kommuniziert und denkt. Darin spiegelt er ein Attribut Gottes wider. Werden Gedanken in Worte gekleidet und Worte in Schrift gegossen, bewirkt dies Kontinuität. Nicht ausgesprochene und nicht niedergeschriebene Gedanken werden nicht überleben und zusammen mit ihrem Besitzer begraben werden und vergehen. Die Fähigkeit zu denken ist wie die Fähigkeit zum Reden und Mitteilen von Gedanken eine große Gunstbezeugung Gottes an die Menschen. Der Koran legt in seiner Beschreibung der göttlichen Erbarmungen in seiner ihm eigenen prägnanten Ausdrucksweise dar, dass Gott dem Menschen nach seiner Erschaffung das Sprechen lehrte: „Er hat ihn das Sprechen gelehrt.“2 Seit den Tagen des ehrwürdigen Adam denkt und spricht der Mensch, und er wird bis zum Jüngsten Tag denken und sprechen. Allerdings wird es kein Ende des Denkens und Kommunizierens geben, denn dies sind Gaben der ewigwährenden Erbarmungen des Herrn.

Diejenigen, die sich dieser Gnadengaben im umfassendsten Sinne erfreuten, waren die Propheten und unter ihnen erfuhr der ehrwürdige Muhammed – möge Friede mit ihm sein – diese Gabe auf höchstem Niveau. Diese Begabung der Propheten und des Gesandten Gottes kann nur mit fetāne erklärt werden – der prophetischen Weisheit. Anders wäre dieser Zustand nicht zu erreichen. Daher können wir sagen, dass fetāne ein wichtiges Merkmal der Propheten ist.

Alle Propheten besaßen eine außerordentliche Verstandeskraft und die geistigen Fähigkeiten, ihren Gedanken Ausdruck zu verleihen. Mit Leichtigkeit lösten sie auch die komplexesten und kompliziertesten Angelegenheiten. Diese Leichtigkeit spiegelte sich auch in ihren Worten wider: Sie stellten komplexe Themen einfach und verständlich dar (sehl-i mümteni). Ihre Zuhörer dachten, auch sie könnten sich ebenfalls so ausdrücken; als sie dies versuchten, merkten sie jedoch, dass es unmöglich war, es den Propheten gleichzutun. Der Grund dafür lag darin, dass Gott es ihnen erleichterte, eigentlich sehr komplexe Themen zu vermitteln. Die Strahlkraft und Schönheit der Rede der Propheten findet sich bei keinem sonst!

Jedes Problem, mit dem man zu einem der Propheten kam, wurde mit Gewissheit gelöst. Auch zu den seltensten und komplexesten Themen äußerten sich die Propheten, als ob dies seit Jahren ihr Fachgebiet sei. Das ist der Grund, weshalb Bernard Shaw nicht anders konnte, als in Bezug auf den Gesandten Gottes zu sagen: „In einer Zeit, in der es nur so an Problemen wimmelt, brauchen wir mehr denn je einen ehrwürdigen Muhammed, der sie alle mit einer Leichtigkeit lösen würde, als ob er Kaffee trinke.“ Es gibt so viele wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Probleme, die einer Lösung bedürfen. Heute hat jeder, ob Freund oder Feind, verstanden, dass es nicht möglich ist, diese Probleme zu lösen, ohne sich an die reine Quelle der Offenbarung zu begeben.

Es gibt eine Reihe von Aussagen über die prophetische Weisheit des Gesandten Gottes. Würde man sie alle zusammentragen, käme ein umfangreiches Werk dabei heraus. Wir lassen es daher bei zwei Beispielen bewenden:

Der „scharfsinnigste Gelehrte der Umma“, ʿAbdullah ibn Abbas, dem die höchsten akademischen Titel verliehen wurden, äußerte sich wie folgt: „Der tugendhafteste und gleichzeitig klügste Mensch ist euer Prophet, der ehrwürdige Muhammed – möge Friede mit ihm sein.“3

Und Wehb ibn Munebbih, ein genauer Kenner der Thora und des Evangeliums und Gelehrter aus der Ära nach den Gefährten des Propheten, äußerte sich im Hinblick auf die prophetische Weisheit des Gesandten Gottes wie folgt: „Die Auffassungsgabe des Gesandten Gottes gegenüber der aller anderen Menschen, verhält sich wie ein Sandkörnchen im Vergleich zum Sand der ganzen Welt.“4

2 Sure Er-Rahmān, 55:4.

3 Ibn Ḥadjar, Maṭālib’l-ʿĀliye 3/214.

4 Qāḍī ʿIyāḍ, Schifāʾ 1/67.

B. Einige Beispiele

Ausbesserungsarbeiten an der Kaaba

Die Menschen, die zur Zeit der Unwissenheit lebten, waren gewissermaßen Kinder der Zwietracht – als ob sie einzig und allein dazu erschaffen worden waren, um Zwietracht zu säen. Kamen drei von ihnen zusammen, heckten sie gewiss einen Plan aus. Diese Menschen zusammenzuführen, aus ihnen Menschen zu machen, die einst allen Zivilisationen als Vorbild dienen würden, gehört zu den Wundern, die zu vollbringen nur dem Gesandten Gottes möglich war, aufgrund seiner prophetischen Weisheit, die himmlische Dimensionen annahm.

Die Ausbesserungsarbeiten an der Kaaba trug sich in den Jahren vor der Berufung des Gesandten Gottes zu. Die Kaaba wurde renoviert und die Einsetzung des Schwarzen Steins führte zu Zerwürfnissen und Zwietracht zwischen den Stämmen, denn jeder wollte diese Ehre für sich beanspruchen. Zu jener Zeit war der Gesandte Gottes noch nicht mit der Gesandtschaft geehrt worden. Auch wenn sein Auftrag noch nicht keimte und Früchte zeitigte, ruhte er doch einem Kern gleich in seinem Geist, der auf den Frühling wartete, um zu wachsen und zu gedeihen.

Die Schwerter wurden schon gezückt, die Pfeile aus dem Köcher geholt und die Bogen gespannt – der Konflikt war kurz davor zu eskalieren. Würde man keine Lösung finden, wer weiß wie viele Jahre dieser Bürgerkrieg andauern und wie viele Leben er kosten würde. Einer von ihnen unterbreitete, aus welchem Grund auch immer, einen Vorschlag: „Lasst uns denjenigen, der als erster durch diese Tür in die Kaaba tritt, zum Richter erklären und uns seinem Spruch unterwerfen.“ Alle Anwesenden waren mit diesem Vorschlag einverstanden. Ein jeder wartete gespannt, wer wohl als Erster eintreten werde, als man den ehrwürdigen, auserwählten Muhammed erblickte. Sie sagten: „Der Vertrauenswürdige (el-Emīn) kommt“, und berichteten ihm von ihrer Abmachung. Er sagte: „Bringt ein großes Tuch.“ Sie brachten es. Der Schwarze Stein wurde in die Mitte des Tuches gelegt. Die Vorsteher der Stämme nahmen jeder eine Ecke des Tuches und brachten den Schwarzen Stein so bis hin zu der Stelle, in die er eingesetzt werden sollte. Der Gesandte Gottes nahm den Stein und setzt ihn persönlich ein.5

So wurde ein großer Bürgerkrieg verhindert. Ohne zu zögern, mit spielender Leichtigkeit, löste er diese verworrene und vor der Eskalation stehende Situation mit einer schnellen Reaktion, noch bevor man ihn darum bat. Wie könnte man das erklären, wenn nicht mit dem prophetischen Intellekt? Er war zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Prophet, sodass man sein Vorgehen mit einer göttlichen Offenbarung erklären könnte. Es bedarf eines ausgesuchten Intellekts und prophetischer Weisheit, um eine Last wie die des Prophetentums zu stemmen. Sein Verstand übertraf allen Verstand, seine Logik übertraf alle Logik und seine Auffassungsgabe übertraf alle Auffassungsgaben – eigentlich eine Grundvoraussetzung für jemanden, der die göttliche Offenbarung des Korans zu stemmen hätte.

Sein Gegenüber gut kennen

Husayn besuchte den Gesandten Gottes und beabsichtigte, ihm einen Rat zu geben. Er wollte den Gesandten Gottes davon überzeugen, von seiner Sache abzulassen. Das Haupt der zwei Welten besaß eine wundersame Gabe, sein Gegenüber und dessen Standpunkt zu erkennen. Ohne darüber nachzudenken, wendet er sich mit genau den passenden Worten an sein Gegenüber. Würden wir versuchen, die Reihenfolge seiner Worte zu vertauschen oder dieselben Worte an einen Menschen mit einer anderen Wesensart zu richten, würden wir alles durcheinanderbringen und niemals das Ziel erreichen. Der Gesandte Gottes war einmalig darin, die passenden Worte zu wählen sowie das Niveau und die Lebenssituation seines Gegenübers einzuschätzen. Kein Zweiter konnte das so wie er. Er vermochte es, blitzschnell einzuschätzen, mit wem er sprach sowie wie und wo er mit dieser Person zu reden hatte. Obwohl er nicht einen Moment darüber nachdenken musste, erwies es sich, dass alles, was er sagte, Worte waren, die unentbehrlich waren. Kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig. Wir können alle seine Reden im Detail analysieren und werden feststellen, dass kein einziges Wort darin zu viel ist. Wenn das nicht die prophetische Weisheit ist, was dann?! Husayn war von dieser prophetischen Weisheit zutiefst angetan:

Nachdem Husayn sein Anliegen vorgetragen hatte, richtete der Gesandte Gottes, ohne auch nur im Geringsten Anstand und Höflichkeit vermissen zu lassen, folgende Frage an ihn:

„Husayn, wie viele Götter betest du an?“

„Sieben auf der Erde und acht Göttern im Himmel diene ich.“

Das, was er als „im Himmel“ bezeichnete, war eigentlich Gott, Den sie doch nicht aus ihren Herzen verbannen konnten. Der Glaube an Gott ist eine Überzeugung und ein Wissen, das im Gewissen der Menschen derart tiefe Wurzeln schlägt, die auch eine überaus lange Zeit der Unwissenheit nicht auszureißen vermochte. Das Gewissen lügt nicht. Wenn nur die Zunge, vollständig und in Wahrheit wiedergibt, was die Stimme des Gewissens zu sagen hat! Die Fragen des Gesandten Gottes und die Antworten Husayns gingen noch weiter:

„Wenn dich ein Unglück trifft: Welche deiner Götter flehst du um Hilfe an?“

„Die im Himmel.“

„Und wen bittest du um Hilfe, wenn du deinen Besitz verloren hast?“

„Die im Himmel.“

In dieser Art ging es noch eine Weile weiter. Auf alle Fragen antwortete Husayn: „Die im Himmel.“ Er wusste jedoch nicht, worauf der Gesandte Gottes hinauswollte:

„Er ist derjenige, der ganz allein deine Gebete erhört, und du? Du stellst ihm ohne Grund Teilhaber zur Seite! Was ich dir rate? Bekenne dich zum Islam und werde gerettet!“6

Alle Sätze dieser Unterhaltung sind eigentlich sehr einfach gehalten. Allerdings wurden die Umstände und das Gedankenniveau des Gegenübers derart präzise eingeschätzt, dass Husayn nichts zu erwidern wusste. Nur diesen einen Satz vermochte er zu sagen, nachdem der Gesandte Gottes seine Ausführungen beendet hatte: „Lā ilāhe illallah Muhammedun Rasūlullāh.“ Husayn hatte zwei Möglichkeiten: Diesen Satz zu sagen und ewige Rettung zu erlangen oder in seinem Eigensinn zu verharren und ohne ein Wort zu sagen von dannen zu ziehen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Die Worte dem Gegenüber anpassen

Der Beduine lebt in der Wüste. Oftmals verliert er sein Kamel, vergisst irgendwelche Gegenstände oder gerät in einen Sandsturm, woraufhin er jammert und schreit. Was denkt und empfindet ein solcher Mensch? Was sagt er, wenn er in eine Notlage gerät? Sicher das, was auch der ehrwürdige Hamza einst zum Gesandten Gottes sagte, als er auf den rechten Weg gelangte: „O Muhammed! Während der finsteren Nächte in der Wüste habe ich begriffen, dass Gott viel zu groß ist, als dass man ihn in vier Wände zwängen könnte.“

All diejenigen, die sahen, dass Lāt, Uzzā und Hubal7 zu nichts nütze waren, sagten dasselbe. Es war der Ruf des Gewissens tief in ihrem Innern, und das Gewissen hatte recht. Viele Menschen mit einer ähnlichen Geisteshaltung kamen zum Gesandten Gottes, und er beantwortete alle ihre Fragen unter Berücksichtigung ihrer Herkunft und ihrer Gedankenwelt aufs Vortrefflichste, sodass sie den rechten Weg fanden und zu einem Stern am Firmament wurden.

Ahmed ibn Hanbel überliefert von Ebū Temime – möge Gott an ihm Gefallen finden – den Bericht eines anderen Gefährten:

Eines Tages saßen wir mit dem Gesandten Gottes zusammen, als ein Beduine herzutrat. Er sprach den Gesandten Gottes direkt an: „Bist du Muhammed?“ Der Gesandte Gottes reagierte überaus gutmütig darauf:

„Ja, ich bin Muhammed.“

„Wozu rufst du auf?“

„Ich lade zu Gott dem Ruhmreichen und Majestätischen ein. Aber nur zu Ihm. Er allein ist Gott und hat keine Teilhaber an Seiner Seite. Er ist der Gott, zu Dem du flehst, wenn dich ein Unglück trifft, und Er wird den Schaden wiedergutmachen. In Zeiten von Dürre und Not betest du nur zu Ihm. Er sendet den Regen und lässt das Gras wachsen. Wenn du in der unendlichen Weite der Wüste etwas verlierst, wirst du deine Hände zum Gebet an Ihn erheben und Er wird dich das Verlorene finden lassen.“

Sind das nicht großartige Worte? Wie jedes einzelne von ihnen lebenswichtige Aspekte des Beduinenlebens berührt! Dürre, Not, Unglück und Entbehrungen in der Wüste – man kann sich kaum vorstellen, was das bedeutet. Dem Beduinen, der all dies nur zu gut kannte, erzählt er von einer Ewigen Macht, dem einzigen Zufluchtsort, der in solchen Situationen Schutz bieten kann. Das, was ihm tief im Innern die Stimme des Gewissens sagte, hatte die gleiche Bedeutung. Allerdings war der Beduine noch nicht so weit, die Bedeutung dessen zu erfassen. Aber der Gesandte Gottes lehrte ihn gewissermaßen die Bedeutung dieser inneren Stimme. Der Beduine war von diesen Worten so berührt und überwältigt, dass er nicht anders konnte, als sich dem Gesandten Gottes zu ergeben und den Islam anzunehmen. Letztlich gelangte er sogar in den Rang eines Gefährten.8 Das, was gesagt wurde, war sehr einfach ausgedrückt; keine rhetorischen Stilmittel und keine Wortspiele. In Wahrheit war dies den gegebenen Umständen genau angemessen und brachte den Beduinen dazu, den Einen Gott anzubeten.

Wem außer dem ehrwürdigen Muhammed – möge Friede mit ihm sein – war es vergönnt, aus Menschen, deren Herzen hart wie Stein waren, eine engelsgleiche Gemeinschaft hervorzubringen? Er setzte die Dynamiken, die ihm von Gott dem Wahren verliehen wurden, so meisterhaft ein, dass die Revolution, die er hervorrief, Historikern und Soziologen heute immer noch Rätsel aufgibt. Die Wellen, die entstanden, als der Prophet jene Juwelen in den Ozean des gesellschaftlichen Lebens warf, reichen bis an die Strände des 21. Jahrhunderts und ziehen sie in ihren Bann. Zweifelsohne wird sich das auch bis zum Jüngsten Tag nicht ändern.

Menschen überall auf der Welt suchen in Scharen Schutz im Islam. Das ist nichts anderes als die Auswirkung der Wellen, die entstanden, als der Prophet jene Juwelen in den Ozean des gesellschaftlichen Lebens warf, und die nun an die Strände des 21. Jahrhunderts branden. Wer wenn nicht der ehrwürdige Muhammed – möge Friede mit ihm sein – hätte solch eine göttliche Anziehungskraft hervorrufen können, die ihre Wirkung über Jahrhunderte hinweg entfaltet? Es gibt keinen Zweiten wie ihn. Ganz gewiss nicht, denn er ist der Eine, um dessentwillen der Kosmos und die Zeit existiert. Alles dient zu seiner Ehre.

Ansprache an die Ansār9 nach der Schlacht von Hunain

Der Sultan der Propheten löste die komplexesten Probleme und schier unlösbaren Angelegenheiten mit einer Leichtigkeit und in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Genauso bewahrte er angesichts plötzlich auftretender Ereignisse, die andere in Panik versetzen und die intelligentesten Menschen unsicher machen, stets die Ruhe und schritt zügig zur Tat, löste im Handumdrehen das Problem oder den Konflikt und brachte die Situation unter Kontrolle. Betrachtet man jede seiner Aktionen, Schritte, Sätze und Worte genauer, wird man feststellen, mit welchem Gleichgewicht und Maß alle seine Aktionen, Schritte und Worte geplant und mit meisterhafter Genauigkeit getimt aufeinander abgestimmt waren. Gäbe es auch nur eine Verzögerung von einer Sekunde oder würde ein einziger Satz ausgelassen werden, wäre die Rede nicht mehr derart erfolgreich. Und doch hatte der Gesandte Gottes gar nicht die Zeit, sich von vornherein ausführlich Gedanken zu machen und seine Schritte abzuwägen. Wie könnte man daher solche Begebenheiten erklären, wenn nicht mit der größten prophetischen Weisheit (el-fetānet el-aʿzam), die nur er besaß?

Ja, er war ein Prophet und sein Intellekt war der eines Propheten. Er dachte wie ein Prophet und handelte wie ein Prophet, sodass keines seiner Unternehmungen fehlschlug. Nicht nur das, es war ihm stets ein Höchstmaß an Erfolg beschieden. Niemand sonst hätte Ähnliches erreichen können. Es gibt Hunderte von Begebenheiten und Ereignissen, die dies belegen. Das in unseren Augen wichtigste Geschehnis spielte sich nach der Schlacht von Hunain ab. Ibn Ishak überliefert es, die gleiche Erzählung findet sich auch bei Buḫārī und Muslim:

Die Schlacht von Hunain trug sich nach der Eroberung Mekkas zu. Der Gesandte Gottes verteilte die Beute unter Menschen, deren Herzen er für den Islam erwärmen wollte. Die meisten von ihnen waren in ihren Stämmen angesehene Persönlichkeiten, deren Wort etwas galt. Nach der Eroberung Mekkas war es im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Eroberungen wichtig, die Herzen solcher Personen für sich einzunehmen. Schließlich waren nicht wenige unter ihnen nur ungern Muslim geworden. Würde man es nicht schaffen, im Laufe der Zeit das Eis zum Schmelzen zu bringen, könnten sie eine noch größere Gefahr als zu Zeiten ihres Götzendienstes darstellen. Allein dies zeigt schon ganz klar die prophetische Weisheit des Gesandten Gottes.

An jenem Tag hatte man 6 000 Gefangene, die verteilt werden mussten. Dazu kamen noch 24 000 Kamele, 40 000 Schafe und Ziegen sowie 4 000 Okka10 Gold und Silber. Beim Verteilen der Beute beobachtete der Gesandte Gottes die Mekkaner und schenkte einigen Persönlichkeiten besondere Aufmerksamkeit, während er ihnen ihren Teil der Beute zuwies. Das waren, wie schon erwähnt, jene Personen, deren Herzen gegenüber dem Islam erweicht werden sollten – ein Unterfangen von großer Bedeutung und enormem Nutzen. Beispielsweise wurden Ebū Sufyan und seiner Familie 300 Kamele und 120 Okka Silber zugewiesen; Hākim ibn Hizām bekam 200 Kamele, Nadr ibn Hāris 100 Kamele, Kays ibn Adiyy 100 Kamele, Safwan ibn Umeyye 100 Kamele, Huwaytib ibn Abdiluzza 100 Kamele, Aqraʿ ibn Hābis 100 Kamele, Uyeyne ibn Hisn 100 Kamele und Mālik ibn Awf ebenfalls 100 Kamele. Weitere führende Persönlichkeiten erhielten entsprechend ihrer Umstände 50 beziehungsweise 40 Kamele.11

Es wurden zwar Kamele, Gold und Silber verteilt, was man jedoch erreichen wollte, war, die Herzen der Menschen für den Islam zu erwärmen, also die Religion zu schützen. Die Eroberung Mekkas ereignete sich erst kurz zuvor und einige Bewohner Mekkas hatten eine ablehnende Haltung entwickelt. Ihr Stolz und ihre Ehre waren mehr oder weniger verletzt worden – für die Mekkaner bedeutete ihre Ehre alles. Der Gesandte Gottes nutzte die Gelegenheit, die Gott der Wahre eröffnete, auf hervorragendste Weise und die etwaigen Wunden der Bewohner Mekkas wurde somit verbunden. Allerdings waren besonders die Jungen unter den Ansār ein wenig aufgebracht über diese Art der Verteilung. Einige von ihnen sagten sogar: „Ihr Blut tropft noch von unseren Schwertern und schon erhalten sie den größten Anteil an der Beute.“ Das war der Beginn einer Zwietracht und es spielte keine Rolle, dass sich nur wenige derart äußerten. Würde man dieser Zwietracht keinen Einhalt gebieten, sie würde sich zu einem Flächenbrand ausbreiten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass schon der geringste Widerspruch gegen den Gesandten Gottes zum Verlust des Glaubens und der Religion führt und damit ewigen Schaden mit sich bringt. Das wäre ein noch größeres Unglück als die Zwietracht zu Beginn.

Saʿd ibn Ubāde berichtete dem Gesandten Gottes umgehend von den Ereignissen. Obwohl es sich hauptsächlich um junge Leute handelte, die ihren Unmut bekundeten, und den Älteren solch ein Gedanke gar nicht in den Sinn kam, musste der Zwietracht Einhalt geboten werden, sonst würde sie sich ausbreiten.

Der Gesandte Gottes rief die Ansār sofort zu sich und sorgte dafür, dass sonst niemand mit hinzukam. Nachdem alle beisammen waren, hielt ihnen der Gesandte Gottes folgende Predigt:

„O ihr Helfer aus Medina! Mir kam zu Ohren, dass sich in eurem Herzen Bitterkeit mir gegenüber ausbreitet.“

Diese Anrede war aus psychologischer Sicht eine grandiose Einleitung, unvermittelt wie ein Schlag ins Gesicht. Da sie mit so etwas nicht rechneten und die meisten nicht einmal wussten, weshalb sie zusammengerufen worden waren, bezog jeder diese Worte auf sich selbst.

Die Gefährten würden dem Gesandten Gottes ohnehin nicht widersprechen. Es konnte sich also nur um eine Bitterkeit in ihrem Herzen handeln, die sich entwickelte, und die mit prophetischer Besonnenheit jederzeit ausgemerzt werden konnte – schon mit seinen ersten Worten hatte der Gesandte Gottes angezeigt, dass er damit bereits begonnen hatte. Sein einleitender Satz wirkte sich enorm auf seine verbitterten Zuhörer aus. Sofort gingen sie in sich und richteten ihre Augen auf den Gesandten Gottes. Die folgenden Worte würden ohne Zweifel von größter Bedeutung sein. Jeder schenkte ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit und wartete gespannt auf die weiteren Ausführungen. Dieser erste Vorstoß brachte den erhofften Nutzen, aber es war nötig, Zug um Zug weiter voranzuschreiten. Würden diese Schritte nicht von Erfolg gekrönt sein, würden sie statt dem erwünschten Nutzen Schaden verursachen und somit das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken. Daher musste der Gesandte Gottes das richtige Maß finden. Hier seine weiteren Worte:

„Wart ihr nicht vom Weg abgekommen, als ich kam? Hat Gott euch nicht durch mich auf den rechten Weg geführt?“

„Wandet ihr euch nicht in Armut und Not, als ich kam? Hat Gott euch nicht durch mich reich gemacht?

„Wart ihr nicht miteinander verfeindet, als ich kam? Hat Gott nicht durch mich eure Herzen versöhnt?“

Die Ansār beantworteten gemeinschaftlich jede seiner Fragen mit lauter Stimme: „Ja, ja, Dank sei Gott und Seinem Gesandten!“

Der Gesandte Gottes hatte genau zur rechten Zeit und in angemessener Weise die Weichen gestellt. In diesem Augenblick, als die Emotionen hochkochten, ergriff erneut er im Namen der Ansār das Wort. Was würden sie im schlimmsten Fall sagen? Genau diese Gedanken sprach der Gesandte Gottes aus. Würde ein Muslim so etwas zu seinem Propheten sagen, er würde zugrunde gehen. Das Haupt der zwei Welten fuhr fort:

„O ihr Helfer aus Medina! Ihr hättet mir auch anders antworten können, wenn ihr es gewollt hättet. Ihr hättet zum Beispiel Folgendes sagen können: ‚Du bist irregeführt aus Mekka gekommen, und wir haben dir geglaubt. Du warst verlassen, und wir nahmen dich auf. Du wurdest aus deiner Heimat vertrieben, und wir haben dir unsere Häuser geöffnet. Du bist als Bedürftiger gekommen, und wir haben alle deine Bedürfnisse gestillt!‘ Hättet ihr auf diese Art mit mir gesprochen: ihr hättet Recht gehabt. Niemand hätte euch widersprechen können.

O ihr Helfer aus Medina! Wenn ich einigen Personen, von denen ich erhoffe, dass sie Muslime werden, einen Anteil an weltlichen Gütern gegeben habe und ihr deshalb verbittert seid, so bedenkt Folgendes: Wollt ihr nicht – während sie mit Kamelen und Schafen in ihre Häuser zurückkehren – zusammen mit dem Gesandten Gottes zurückkehren? Ich schwöre bei Gott, dem ich mein Leben verdanke: Wenn alle Menschen in ein Tal zögen und die Ansār in ein anderes, ich würde, ohne zu zögern, in das Tal gehen, in dem die Ansār sind. Wäre die Hidjra nicht gewesen, wie sehr hätte ich es mir gewünscht, einer der Ansār zu sein. Mein Gott, beschütze die Ansār, ihre Kinder und ihre Enkel!“

Diese Worte ließen kein Auge trocken. Jeder weinte und schluchzte und raunte mit letzter Kraft: „Wir brauchen nur Gott und seinen Gesandten. Etwas anderes wollen wir nicht.“12

Mit dieser kurzen und prägnanten Rede verhinderte der Gesandte Gottes eine mögliche Spaltung im Ansatz und nahm ihre Herzen noch mehr für sich ein. Dies ist eine solch bemerkenswerte Begebenheit, dass man sie nicht anders erklären kann, als erneut auf den Begriff fetāne – prophetische Weisheit – zurückzugreifen.

Sehen wir uns diese Sätze im Einzelnen näher an. Berücksichtigen wir das Timing. Bemessen wir den geistigen Fortschritt der Gefährten, den sie zwischen dem einführenden Satz und den abschließenden Sätzen zurückgelegt haben. Und zudem sollte man bedenken, dass dies Worte waren, die nicht zuvor sorgsam zurechtgelegt, sondern ohne nachzudenken spontan geäußert wurden. Nun sollte sich jeder fragen, wer dieser Sultan des Wortes sein könnte. Und die Antwort lautete sicher: „Muhammedun Rasūlullāh.“ Im Grunde wird jeder Mensch, dessen Gewissen noch nicht abgestumpft ist, diese Antwort in seinem Gewissen vernehmen, wenn er nur den Pfad des Starrsinns und festgefahrener Ansichten verlässt und sich objektiv der Analyse der Geschehnisse widmet.

Nach der Analyse dieser kurzen Rede überlassen wir die eingehende Erörterung der Angelegenheit zukünftigen Generationen bevorrechtigter Psychologen und Soziologen. Sie mögen sich den Geschehnissen aus ihrer Sicht nähern und untersuchen und somit eine weitere Dimension im Verständnis der prophetischen Weisheit des Gesandten Gottes hinzugewinnen, von der wir alle Nutzen ziehen werden.

Erstens: Diese Rede galt ausschließlich den Ansār, denn für die emigrierten Muslime und die Bewohner von Mekka gab es keinen Anlass, so zu reden. Daher war diese Rede nicht in erster Linie für die Letzteren gedacht und ihre Anwesenheit hätte die Ansār in ihrer Konzentration gestört. Das war zu jenem Zeitpunkt ein wichtiger Aspekt, den es zu berücksichtigen galt.

Zweitens: Nur die Ansār zu versammeln, war eine Ehre für sie. Bei dieser Zusammenkunft ohne andere Teilnehmer allein mit dem Gesandten Gottes zusammen zu sein, wirkte sich psychologisch äußerst positiv auf sie aus.

Drittens: Manche Aussagen hätten die Emigrierten und die Bewohner von Mekka verletzen können, zum Beispiel der Hinweis: „Während ein jeder mit Kamelen und Schafen in sein Haus zurückkehrt …“

Viertens: Am Ende werden die Ansār gelobt und es wird für sie gebetet. Den Emigrierten, die Haus und Hof zurückließen, wäre eine solch bevorzugte Behandlung möglicherweise übel aufgestoßen.

Fünftens: Diese Rede ist im arabischen Original auch hinsichtlich sprachlicher Dichte und Schönheit herausragend.

Sechstens: Es ist äußerst bemerkenswert, dass der Gesandte Gottes die Zuhörer zunächst aufrüttelte, um sie anschließend zu besänftigen und sie ausschließlich in der Rolle der Zuhörer ließ, indem er selbst in ihrem Namen sprach.

Siebtens: Ohne sich anzubiedern, sagte der Gesandte Gottes alles aus reinstem Herzen und in einer Aufrichtigkeit, der seine Zuhörer nichts mehr entgegenzusetzen hatten, was im Hinblick auf das beabsichtigte Ergebnis äußerst bedeutsam war.

Achtens: Eine weitere Dimension der Wirkung seiner Worte entfaltete sich durch die Spontanität seiner Worte, die er, ohne nachzudenken, äußerte.

Diese und weitere Aspekte zeigen, dass der Gesandte Gottes nicht seine eigenen Gedanken äußerte, sondern vielmehr Probleme löste und bedeutungsschwere Aussagen traf, die sich aus der Offenbarung und der ihm von Gott gegebenen prophetischen Weisheit speisten.

5 Ibn Hischām, Sīratu’n-Nebewiyye 2/18–19; Ṭabarī, Tarihu’l-Umem we’l-Mulūk 1/526.

6 Ibn Ḥadjar, Iṣābe 2/87.

7 Die wichtigsten drei Götzen der arabischen Polytheisten (Anm. d. Hrsg.).

8 Aḥmed ibn Ḥanbel, Musned 4/65 (dieses Hadith findet sich mit geringen Abweichungen auch bei Ebū Dāwūd, Libās 25).

9 Ansār: Helfer. Der Begriff wird für die Muslime in Medina verwendet, die den aus Mekka emigrierten Muslimen dabei halfen, sich in Medina anzusiedeln (Anm. d. Hrsg.).

10 Gewichtsmaß im Osmanischen Reich. 1 Okka entspricht 1282 Gramm (Anm. d. Hrsg.).

11 Ibn Saʿd, Ṭabaqātu’l-Kubrā 2/152–153.

12 El-Buḫārī, Menāqibu’l-Ensār 1–2; Meğāzī 56; Muslim, Zekāt 132–140; Aḥmed ibn Ḥanbel, Musned 3/76–77; Ibn Hischām, Sīratu’n-Nebewiyye 5/169–177; Ibn Keṯīr, El-Bidāye we’n-Nihāye 4/355–360.

C. Die prophetische Weisheit in seinen Worten

Eine besondere Dimension seiner prophetischen Weisheit kommt in seiner Zusammenstellung der Wortgewandtheit (djewāmiʿuʾl-kelim) zum Vorschein – er konnte mit wenig Worten viel sagen.

Ja, er war der Sultan des Wortes. Wie könnte es auch anders sein, sandte ihn doch Gott, um als Mittler Seiner Worte zu walten.

Bis zum heutigen Tag wurden eine Menge schöner Worte geäußert – jedes von ihnen gemäß der Befähigung [seines Sprechers]; in den Worten des Schönen aller Schönen – Friede sei mit ihm – offenbart sich jedoch ein Tiefgang, ein Genuss, eine Anmut ohnegleichen.

Seine – Friede sei mit ihm – Äußerungen sind so lieblich und seine Ausdrücke so zauberhaft, dass sich andere umdrehten, wenn er redete, ihr Gesichtsausdruck sich veränderte, das Herz für einen Moment stehen blieb, Verstand und Denkkraft die Waffen streckten, menschliche Gefühlsregungen zum Leben erwachten und dem Geist förmlich Flügel erwuchsen. Gott verlieh seinen Worten solche Kraft, dass es denjenigen, denen die Ehre zuteilwurde, in der erhabenen Gegenwart des Sultans des Wortes zu verweilen und seine treffenden und ausdrucksvollen Worte zu vernehmen, förmlich die Sprache verschlug und sie verzaubert wurden. Wann auch immer sich aus seinem Munde Brillanten der Weisheit ergossen, verstummten die Meister des Verstandes und der Denkkraft; wann immer er begann, über das Gute, das Schöne und das Wahre zu berichten, umhüllte er den Geist derjenigen, die seinen Worten süßen Nektars lauschten; wann immer jedoch seine feurigen Worte auf die Bosheiten abzielten, ertränkte er den Unglauben und alles Verbotene in ihrer eigenen Widerlichkeit. Und wenn er erst im Namen seiner Sache seine Stimme donnernd erhob, um Beweise und Argumente vorzubringen, band er die Zunge aller finsteren Geister in Fesseln und brachte ihrer Finsternis eine Niederlage bei.

Er – Friede sei mit ihm – war sich all dieser Begabungen bewusst und sah nichts Verkehrtes darin, diese Gunstbezeugung Gottes auch kundzutun: „Ich bin Muhammed, der des Lesens und Schreibens unkundige Prophet. Nach mir wird es keinen Propheten mehr geben. Mir wurde die Ehre des ersten Wortes, des letzten Wortes und der Zusammenstellung der Wortgewandtheit (djewāmʿiu’l-kelim) zuteil.“13 Mit diesen Worten zählt er die göttlichen Gaben auf und mit der glänzenden Ankündigung: „Oh Menschen, mir wurde die Ehre der Zusammenstellung der Wortgewandtheit (djewāmiʿu’l-kelim) zuteil und das letzte Wort zu sprechen, das alles zum Abschluss bringt“,14 verkündete er, dass er der ruhmreiche Orator (ḫaṭīb-i zīschān) der Vergangenheit und der Zukunft sei.

In der Tat war der Herr der Herren – Friede sei mit ihm – gleich einer Nachtigall, die mit ihrem belebenden Atem Lieder für die Rosen im Garten Gottes komponierte; wann immer er trillerte, kleidete er sein Innerstes in Worte und mit der Zunge seines Herzens sang er die bezauberndsten Melodien. Die taufrischen Worte, die zwischen den grünen Setzlingen seines Gartens sprossen, glichen nicht den Blüten, die sich im Frühling der anderen öffnen, und den Blumen, die am Morgen in der Sonne der anderen erwachen. Auf der Tafel seiner Worte war alles taufrisch und unverbraucht wie eine Knospe der Erstlinge. Die Segnungen dieser Erstlingsfrüchte in ihrer ganzen Tiefe zu schmecken und zu begreifen, sowie zu erkennen und in ihrem Entzücken dahinzuschmelzen, war den ersten glücklichen Teilnehmern dieses Banketts vergönnt.

Dieser Sultan der Worte – Friede sei mit ihm – formte aus den Juwelen der Worte ein solches Schwert, das über den Häuptern sich einmal drehend alle lügnerischen und trügerisch glänzenden Äußerungen wie die Fledermäuse in ihren Verschlägen verstecken ließ und alle Märchen sich wie der Phönix hinter den Berg Qaf verzogen. Er brachte solche Brunnen des Ausdrucks und der Worte zum Sprudeln, dass sich die Weiten der Sahara der Unwissenheit unvermittelt in die Gärten des Paradieses verwandelten und brachte Wasserfälle hervor, in denen die gläubigen Herzen dem unendlichen Ozean entgegentrieben.

Seine Worte waren von einer besonderen Tiefe. Gäbe es seine Worte, die wie der Docht der Offenbarung leuchten, nicht, so würden die Welten immer noch im Chaos versinkend dahinschwinden. Er zerschnitt den Vorhang, der sich über die Natur legte, mit dem Schwert seines Wortes und verzierte das Buch der Religion mit den Ornamenten seines Wortes. Das Wort ist die Ware, die auf dem Rücken seines Pferdes gebunden war, und der goldene Pfeil in seinem Köcher. Wo immer sein Weg ihn hinführte, er füllte den Schoß der Menschen, die die Worte verstanden, mit Juwelen und führte sein Pferd, den Bogen gespannt, über die Felder der Finsternis. Als Gott noch ein weiteres Mal gebot, ein Reich auf Erden zu gründen, setzte er als Oberbefehlshaber den Sultan des Wortes – Friede sei mit ihm – ein und legte die Rede, die Sikke und die Tughra in seine Hände.15

Alle Meister des Wortes der Vergangenheit und der Zukunft waren Glieder des Chors, der die Manifestation des Thrones Gottes besang. Er war der Chorleiter dieser Versammlung von Nachtigallen. Propheten und Gottesfreunde kamen einer nach dem anderen und bildeten die Glieder einer Kette des Dhikr (Gottgedenken). Er kam mit dem Auftrag, das Haupt (serzākir) dieses heiligen Kreises zu sein. Er kam und mit seiner vollen Stimme stürzte er Himmel und Erde in Aufregung. Alle Speisen auf der himmlischen Tafel, die er mit Worten deckte und der Menschheit darbot, entspringen den geheimsten Stellen des Gartens der Freundschaft und sind die Früchte der großartigen Gnaden, welche ihm in einem Schrein, den keiner zu öffnen vermag, dargereicht wurden. Diese Früchte bekam vor ihm niemand zu sehen, noch wurden sie vor ihm je berührt.

Und ganz besonders, wenn die ruhmreiche Nachtigall (andelīb-i zischān) – Friede sei auf ihr – mit den lieblichsten Melodien die reinsten Rosen in den herausragendsten und vor aller Augen verborgenen Gärten besingt und die Taube der Inspiration sich erhebt, verstummen alle Zungen, horchen alle Herzen auf und alle Geister geraten in Verzückung ob des Zemzem16 ihrer Verkündigung.

Ja, seine Worte sind wie ein Meer, das mit jeder seiner Wellen den Strand mit Perlen säumt; sind wie ein Wasserfall, der von hoch oben herabfällt und die Herzen mit Schauder erfüllt; sind wie ein Brunnen, dessen Wasser aus der Tiefe emporspringt. Es ist nicht möglich, diese Meerestiefen in ihrem Reichtum und ihrem Inhalt zu beschreiben, die Wasserfälle zu deuten oder in die Tiefen des Brunnens vorzudringen und ihn zu begreifen.

Bis heute kreisten Hunderte von gründlichen Forschern und Literaten um die Juwelen seiner Worte. Tausende und Abertausende Philosophen zogen dieses reine Wasser des Lebens zu Rate und gar viele Geistesgrößen bemühten sich ihr Leben lang, die Tiefe seiner Worte zu erfassen – vergeblich. Einer unserer Dichter bringt dies meines Erachtens in einem Gedicht über den Koran gut auf den Punkt:

„Die jungfräuliche Vorstellung des Kosmos wurde jäh zerrissen aber

Im unbefleckten Vorhang blieben uns noch die Worte des Gesandten.“

Ja, so wie ein Tropfen den Ozean nicht vollständig ausdrücken und ein Schimmer nicht alle Eigenschaften der Sonne widerspiegeln kann, repräsentieren die Gelehrten (ʿulemā), die Gottesfreunde (awliyā) und auch die auserwählten Gläubigen (aṣfiyā) – selbst wenn sie im Vergleich zu anderen verhältnismäßig vollkommen sind – ihn nicht vollständig und können ihn nicht gleichsam widerspiegeln.

Der Gesandte Gottes war ein vollkommener Lehrer, der selbst keine Schule oder Medresse besuchte. Die Stärke seines körperlichen und seelischen Wesens, die Reinheit seiner Gefühle, die Standfestigkeit seiner Gedanken und die Weite seines Herzens, das den hohen, dem menschlichen Verstand weit übersteigenden Erkenntnissen gegenüber offen ist, machen ihn zum herausragenden und vollkommenen Lehrer, obgleich er keine Schule und Medresse besuchte. Er war aber von Natur aus gesegnet mit Veranlagungen, die ihn dazu prädestinierten, die Botschaft Gottes so zu empfangen, wie sie war und sie, ihre Originalität bewahrend, der Menschheit zu übermitteln. Er bewahrte die Reinheit seines Geistes und seines Inneren und wurde später, obgleich ihm der Zugang zu menschlicher Bildung und Erziehung, zu den Einflüssen der menschlichen Systeme für Bildung und Erziehung verschlossen war, ausgerüstet mit den Offenbarungen Gottes der Menschheit gesandt.

Seine Natur und sein Charakter, seine Gefühle, wie sie nach außen drangen und wie sie ihn innerlich erfüllten, sein Verstand und seine Denkkraft waren dem Auftrag als Prophet derart angemessen, dass die Botschaft Gottes, der Hauch der Inspiration, ohne auch nur im Ansatz verändert oder abgeschwächt worden zu sein, von Seinem Licht ausstrahlend, im Glanz seiner Art klar wie Kristall wurde, um später als auf der Wellenlänge der Herabneigung [der Göttlichkeit] (tenezzulāt) sein Ziel zu erreichen.

Die in all ihren Facetten göttliche Botschaft, die aus den reinsten Quellen hervorsprudelt, fließt und ergießt sich in ein Herz, das reiner als rein ist; eine Botschaft, die danach in der anmutigsten, reinsten und wahrhaftigsten Sprache der menschlichen Auffassungsgabe angemessen zum Klingen gebracht wird, ist das Erkennungsmerkmal seines Prophetentums, der Beweis seiner Gesandtschaft; zugleich aber auch eine Urkunde und ein Beweis gegenüber seinen Gegnern, und ihm selbst auf den verworrenen Pfaden, auf denen er schritt, Nahrung und Proviant, Licht und Burāq17. Wenn er seinen Zuhörern die göttlichen Botschaften überbrachte, verkündete er gleichzeitig auch sein Prophetentum und seine Gesandtschaft. Desgleichen gebrauchte er die zauberhaften Juwelen des Schatzes der geheimnisvollen Offenbarung, um die Probleme seiner Zuhörer zu lösen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Und um seine Gegner zum Schweigen zu bringen, gebrauchte er ebenfalls dieses diamantene Schwert.

Der Koran war alles für ihn: Luft, Wasser, Waffe, Rüstung, Festung, Zinne und die Flagge, die auf der Zinne im Wind weht. Mit dem Koran atmete er, mit ihm erklomm er die Himmel hoch wie die Wolken, mit ihm kam er wie Tropfen der Gnade erneut den Geschöpfen auf Erden zu Hilfe; mit seiner Hilfe kämpfte er gegen die Unterdrücker, mit ihm schützte er sich vor allem Bösen und den Bösen; mit ihm donnerte er, wurde zum Licht und zum Regen.

Jedoch erinnerte der Sultan des Wortes mit seiner reinen Sprache der Weisheit neben der Botschaft des Korans an die Grundlage seiner Verkündigungen. Er, der neben der niemals versiegenden Quelle des verborgenen Schatzes göttlicher Erkenntnis viele Fragen, die an ihn gerichtet wurden, beantwortete und viele Probleme, die gelöst werden mussten, sowie viele religiöse, soziale, wirtschaftliche und politische Angelegenheiten seiner Umma, die er in seiner ihm eigenen muhammedischen reinen Sprache und in seinem ahmedischen reinen Herzen,18 die als der glänzende Spiegel des ewigen Wissens und Ort des Offenbarwerdens göttlicher Gaben, der Bestimmungsort, das Zentrum und der Forst zählen, löste; Unbekanntes erläuterte, und viele, mit dem Koran gekommene unumstößliche Gebote einschränkte, Einschränkungen auflöste, das Spezielle Allgemeingut werden ließ und das Allgemeine zuwies. Ohnehin wäre ein Verkündiger, Anführer, Versöhner und Erneuerer, der mit seinem universellen Prophetentum die gesamte Menschheit anspricht und ihnen zugeneigt ist, anders gar nicht vorstellbar.

Zu der Zeit, als der Gesandte – Friede sei mit ihm – mit dem Prophetentum geehrt wurde, war die Kunst der sprachlichen Schönheit (belāghat) und puristisches Redevermögen (faṣāhat) die auf den Märkten seiner ersten Zuhörer meistgefragteste Ware. In späteren Zeitperioden war dieses vornehme und kluge Volk, das mit ihrem überlegenen Verstand, ihren Worten und ihrer Verkündigung die Welt beherrschte und sich unterwarf, stets verzückt und voller Wertschätzung ob der segensreichen und erleuchteten Darstellung der göttlichen Offenbarung, sei es im Koran, der wahy metluw(rezitierte Offenbarung), oder in den anderen Dingen wie den Botschaften außerhalb des Korans, in den den rechten Weg zeigenden Anleitungen (irschād), Predigten (ḫutbe), Reden (nuṭq) oder Weisungen (taʿlīmāt). Was den Propheten betrifft, auch er verschaffte sich stets Gehör, wusste, seine Zuhörer zu überzeugen und wurde von ihnen niemals kritisiert. Gäbe es auch nur die kleinste Kritik oder einen unbedeutenden Einwand gegen ein Wort, eine Aussage oder einen Gedanken von ihm – seine Gegner hätten sich damals wie heute sofort darauf gestürzt und es in die Welt posaunt. Das hätte ihnen in die Karten gespielt, denn sie fanden nichts, was sie hätten ausschlachten können, um ihn zum Straucheln und zu Fall zu bringen, ihn herabzuwürdigen oder zu widerlegen; obgleich ihnen jedes Mittel recht war und sie vor den beschämendsten Verleumdungen nicht zurückschreckten. Im Gegenteil: Über die Kraft seiner Worte, seiner Aussagen und seiner Rede wurde nichts Geringschätziges gesagt, es konnte nichts Geringschätziges gesagt werden – unmöglich; nicht einmal das, was Pharao über den ehrwürdigen Moses sagte.

Über den Worten „Mein Herr lehrte mich Anstand und die dichterische Ausdruckweise, er lehrte sie mich sehr gefällig“ erhob sich eine rauschende Stimme, die Freund wie Feind gleichermaßen tief berührte und sie veranlasste, sich vor diesen übermenschlichen Äußerungen zu verneigen.

Die Gefährten des Propheten (aṣḥāb-ı kirām), Hunderte Meister des Wortes, wie die ehrwürdigen Lebid, Hansā, Kaʿb, Hassan und ibn Rawāha; Hunderte Prediger wie Ebū Bekr, Umar, Ali, Muawiye, ʿAmr ibnu’l ʿĀs und Ibn Abbas und Hunderte Rechtsgelehrte sowie Hunderte Weise befragten ihn in fast jeder Angelegenheit, suchten Zuflucht bei ihm, sättigten an dieser himmlischen Tafel ihren spirituellen Hunger und Durst und fanden sicheres Vertrauen und Befriedigung. Sie betrachteten ihn als ihren Meister, ihren Lehrer und ihren Wegleiter. Während der folgenden Jahrhunderte schöpften große Hafiz und Kommentatoren der Hadithe, aufmerksame Koranexegese betreibende geniale Imame, des Rechts auf einmalige Weise kundige, übermenschliche Mudjtehīdesowie Mudjeddīde, die ihresgleichen suchen, Tausende, das spirituelle Klima beherrschende Gottesfreunde (awliyā), auserwählte Gläubige (aṣfiyā), Segensreiche und Gottnächste, Hunderte Wissenschaftler, die sich auf den Gebieten der Rhetorik, Logik und Rechtsprechung sowie in den positiven Wissenschaften einen Namen gemacht haben, stets aus dieser überströmendsten, segensreichsten, klarsten und untrüglichsten Quelle, den Juwelen seiner Äußerungen, weit wie die Ozeane.

Gestern wie heute dient die Sunna den Mudjtehīdenals untrügliche Quelle; denen, die sich zu den Himmeln der Gotteserkenntnis aufmachen als kräftigste Flügel; den Wissenschaftlern als klarste Quelle und den Gottesfreunden und auserwählten Gläubigen als Born der leuchtendsten Eingebungen (wāridāt). Die vielfältigen Wissenschaften der islamischen Normlehre, die unterschiedlichen Wege des Sufismus, die Essenz und der Extrakt des universellen und des persönlichen Wissens sprudeln stets aus den Juwelen dieser seiner leuchtenden Worte.

Vom Anfang bis zum Ende der Existenz, von der Schöpfung des Menschen bis hin zu seinem Erreichen des Paradieses oder der Hölle; vom Erwachen des Gewissens der Gotteserkenntnis bis hin zur Wahrnehmung der Gottesschau (Djemāllullāh); vom Glauben und religiöser Überzeugung bis hin zu den Feinheiten des Gottesdienstes – all diese Themen und viele mehr hat er in einer zu jedem Thema angemessenen Sprache und Stil so vortrefflich erläutert. Man kann daher sagen, dass mit Ausnahme des Korans keine andere Verkündigung erfolgt ist, die ihm gleichkäme.

Er beschreibt Gott, seine Essenz, seine Eigenschaften und Namen – und das in einer Feinheit, Sensibilität und unglaublichen Ausgeglichenheit, die dem Thema angemessen ist. Er beschreibt den Tag der Auferstehung und das Jüngste Gericht, Himmel und Hölle – in einer Weise, die in der Hoffnung donnernd Schaudern erregt und Sinnesfreuden in Schrecken verwandelt. Er beschreibt die Engel, Geister, Dämonen und den Schaitan, die Mysterien der unsichtbaren Welt, hinter beschlagenem Kristallglas. Er beschreibt den Glauben, die Glaubenstaten, Aufrichtigkeit im Verhalten, das dem Samen innewohnende Potenzial, die Kraft des Erdbodens, die lebenserhaltende Kraft des Regens und den farbenfrohen Frühling in seiner Form in einer Art und Weise, dass der Mensch beim Betrachten dieser großartigen bildhaften Beschreibungen förmlich sieht, wie sich die reinen Geschöpfe im Glauben auf das Wachstum vorbereiten, wie sie im Islam wachsen und gedeihen, wie sie sich in Aufrichtigkeit in einen Paradiesbaum (tubā­-i djennet) verwandeln.

In seinen Verkündigungen spricht er über das Hauptgebet: das Aufstehen und Niederbeugen, dem Menschen Freund und Gefährte sein, seine Einsamkeit zerstreuen und in seinem Licht seine Wege erleuchten. Er spricht über die Waschung: wie sie, gleich dem Leben und dem Blut in den Adern und wie Bäche vor der Tür fließt und den Menschen von allen Unreinheiten reinigt. Er spricht über den Gebetsruf: der Aufruf zum Gebet, der sich wie Zypressen zu voller Statur erhebt und schwingt, mit seinem Ton erschüttert und die Schaitane erschreckt und den Geist derer umhüllt, die sich in innerer Ruhe und im Vertrauen auf Gottes Fürsorge zum Gebet aufgemacht haben. Er spricht über Zekāt und Almosen(sadaqa): die wie Brücken voneinander getrennte Landmassen zusammenführen, die wie eine stabile Naht die Teile zusammenhalten. Er spricht über das Fasten: das wie ein Schild seinen Besitzer schützt und, um ihm auf dem Weg zum Paradies behilflich zu sein, zur geheimen Tür in der Mauer des Paradieses wird und ihm wie ein Mundschenk mit dem Becher in der Hand den Nektar der Paradiesquelle (kewthar) reicht. Er spricht über die Wallfahrt: die wie ein Schneider die Risse flickt, wie ein Tuchwäscher die Flecken wäscht und wie eine öffentliche Ratsversammlung alle Gläubigen zusammenführt. Er spricht über den Djihad: der selbstaufopfernd die Wege zur Hölle verriegelt und wie ein Ordner die Wege zum Paradies öffnet und die Menschen bittet, einzutreten, der wie ein liebevoller Vater die Trotzigen an die Hand nimmt und sie „in Ketten“19 dem Garten des Paradieses entgegenführt. Er spricht über das Gottesgedenken (dhikr) und das Gebet: die wie ein schnurloses Telefon eine Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf herstellen und sie miteinander reden lassen. Das Gute gebieten und das Böse verbieten (amr bi’l-mʿārūf nehy ʿani’l-munkar): wie ein Verkehrspolizist und ein Türhüter, die an den Straßen und den Türen stehen und darüber wachen, wer den Weg betreten und wer durch die Tür eintreten darf und wer nicht. Zusammenhalt in der Familie (ṣilat raḥm): wie eine Mutter, die mit offenen Armen wartet, die mit den Menschen um das Recht kämpft, mit ihnen spricht, Versprechungen macht, die mahnt, wenn sie fürchtet, dass sie vom Weg abkommen, die sie auch mal am Kragen packt und durchschüttelt. All diese Wortbilder wurden zu lebendigen Motiven und verzaubern die Zuhörer förmlich.

Ja, er legt all diese Dinge so bildhaft dar, als ob er sie auf eine Leinwand malte. Die Besonderheiten des Stoffs, den er für seine bildhaften Darstellungen verwendet, die Dynamik seiner Aussagen, seine Hinweise, Bilder und die musikalische Kraft, den ungezwungenen und passenden Gebrauch der literarischen Künste – jedes einzelne dieser Themen würde Bände füllen.

Daher überlassen wir es künftigen gelehrten Forschern, seine Reden und Aussagen zu verschiedenen Themen zu analysieren, und beschränken uns hier auf einige wenige, den meisten von uns vertraute Worte und weisen auf die Tiefe und die Beständigkeit ihrer inhaltlichen Aussagekraft hin.

Ein Bukett aus Hadithen und ihre Analyse

Ein Umstand, der bei allen Worten des Propheten ganz besonders ins Auge fällt, ist seine treffende Rede: er konnte mit wenig Worten viel aussagen. Um dies zu veranschaulichen, könnte man tausend Beispiele anführen. Wir wollen hier jedoch nur einige wenige wiedergeben, die zu allen Zeiten aufgrund ihrer Zusammenstellung der Wortgewandtheit (djewāmiʿu’l-kelim) besondere Beachtung fanden. Aber ich möchte ausdrücklich betonen, dass dies auf alle Worte des Propheten zutrifft.

Hier nun einige Beispiele:

1. Einige herausragende Aussagen zur Einheit Gottes (tewhid)

Tirmiḏī überliefert Folgendes von Ibn Abbas:

„Oh junger Mann! Ich will dich etwas lehren: Bewahre das, was in Gottes Augen recht ist und Er wird auch dich bewahren. Ja, achte stets auf Gott, auf dass du Ihn an deiner Seite finden wirst. Erbitte von Gott, wann immer es dich dazu drängt. Bedarfst du der Hilfe, dann erbitte sie von Gott und wisse, dass auch die ganze Gemeinschaft (umma) dir nur das zuteilwerden lassen kann, was zuvor von Gott aufgeschrieben wurde. Wenn sich auch alle Menschen versammelten und sich bemühten, dir zu schaden, könnten sie dir doch kein Haar krümmen, es sei denn Gott hätte es so bestimmt und aufgeschrieben. Die Stifte wurden entfernt, die Schrift ist getrocknet.“20

Man kann hier gut erkennen, wie er die komplexesten Themen wie Schicksal und Ergebung mit wenigen, gut gesetzten Worten in einer unkomplizierten Ausdrucksweise verdeutlichen konnte. Des Weiteren gibt er in diesen wenigen Sätzen mit Schwung und Begeisterung die Essenz der Bedeutung des Gottesdienstes wieder.

2. Der Mensch ist ein Reisender

Erneut ist es Tirmiḏī, der von Ibn Umar Folgendes überliefert:

„Lebe wie ein Fremdling in dieser Welt. Oder sei wie ein Reisender. Zähle dich (vor deinem Tod) zu denen, die einst im Grab sein werden!“21

Lediglich drei Sätze. Die prägnantesten und bedeutungsvollsten Worte zum Thema Weltverzicht (zuhd) und Gottesbewusstsein (taqwā) sowie zum Bewahren des Gleichgewichts zwischen Diesseits und Jenseits. Gäbe es eine noch prägnantere Aussage, dann stammte sie fraglos ebenfalls von ihm. Daran besteht kein Zweifel!

Der Mensch ist ohnehin ein Fremder auf dieser Welt. Mewlānā vergleicht ihn mit einer Rohrflöte (ney), die aus einem Schilf geschlagen wurde. Weit weg von ihrem wahren Besitzer erhebt sie unentwegt ihre klagende Stimme. Diese Wehklage zieht sich ihr ganzes Leben hindurch.

Der Mensch ist ein Reisender. Die Reise, die in der immateriellen Welt begann, führt über den Mutterleib in diese Welt, durchlebt die Kindheit, Jugend und das Alter bis hin zum Grab. Die Reise endet schließlich entweder im Paradies oder in der Hölle. Inwieweit ist sich der Mensch jedoch dieser Reise bewusst? Betrachtete er sich stets wie einen Reisenden, so würde er nicht über die zahlreichen schönen Dinge dieser Welt straucheln, die einzig dazu dienen, seinen Weg zu erschweren.

Wenn der Mensch sich nicht zu jenen zählt, die eines Tages im Grab sein werden – also der mit den Worten „Seid wie tot, bevor ihr sterbt“22 ausgedrückte Umstand – und dies in der Praxis so auslebt, wird es ihm nicht möglich sein, sich vor der List und den Machenschaften des Schaitans zu schützen und zu befreien. Ja, der Mensch muss im Hinblick auf sein fleischliches Selbst und seine weltliche Ausrichtung sterben, auf dass er im Hinblick auf sein Gewissen und seinen Geist wieder zum Leben erwache. Sind diejenigen, die alles auf den materiellen Körper beziehen, nicht zu bemitleiden, da sie doch von ihrem fleischlichen Körper erdrückt werden?

3. Die Folgen von Wahrhaftigkeit und Lüge

Buḫārī, Muslim und Ebū Dāwūd überliefern von ʿAbdullah ibn Mesʿud – möge Gott an ihm Gefallen finden – Folgendes:

„Wahrhaftigkeit ziemt sich euch. Wahrhaftigkeit leitet einen Menschen zum Guten an, und dies führt ins Paradies. Wendet sich ein Mensch erst dem Weg der Wahrhaftigkeit zu, wird er stets die Wahrheit sagen und das Recht erforschen; so gilt dieser Mensch in den Augen Gottes als im höchsten Maße wahrheitsliebend (siddīq).

Hütet euch vor der Lüge. Die Lüge leitet einen Menschen zur Ausschweifung und zu schändlichem Verhalten an, und dies führt in die Hölle. Gibt sich ein Mensch erst einmal der Lüge hin, so lügt er unentwegt und gilt schließlich in den Augen Gottes als Gottesleugner.“23

Wahrhaftigkeit ist das Erkennungszeichen der Propheten, die Lüge hingegen das Charaktermerkmal der Gottesleugner und Heuchler. Wahrhaftigkeit ist eine wichtige Basis für das Heute und Morgen; die Lüge ist ein schwarzer Fleck im Angesicht der Zeit. Kein Mensch kann je in einer Atmosphäre der Lüge glücklich leben und zu ewiger Glückseligkeit gelangen. Andererseits gereicht die Rechtschaffenheit keinem, der auf dem Weg der Erleuchtung der ewigen Glückseligkeit entgegengeht, weder in diesem noch im künftigen Leben, zum Nachteil.

Die Lüge ist die entscheidende Basis der Verkennung und Leugnung Gottes, das offensichtlichste Zeichen der Heuchelei und die Bezeichnung für Behauptungen, die im Gegensatz zum Wissen Gottes stehen. Die Lüge ist heutzutage zu einer furchtbaren sozialen Krankheit geworden, die alle Moral zerstört und die Welt zur Mühle der Lügner hat werden lassen. Kein Volk, das ihr Tür und Tor öffnete und ihr in Wohnheimen, auf Märkten, im Parlament und den Kasernen freien Zugang ermöglichte, blieb von dieser Krankheit verschont und wird es je sein. Andererseits ist die Rechtschaffenheit die bedeutendste Grundlage des Islams, das offensichtlichste Charaktermerkmal des Glaubens, der Grundstein der Ethik Muhammeds, das Kennzeichen der Propheten und Gottesfreunde, der alleinige Dreh- und Angelpunkt des materiellen und spirituellen Fortschritts.

Das eine ist das Merkmal der Engel, das andere das des Schaitan; das eine ist das Merkmal der ehrenwerten Diener Gottes, das andere der boshaften Geister; das eine ist das Merkmal des außergewöhnlichen Menschen, des Stolzes der Menschheit – der vorzüglichste aller Segen möge über ihm sein –, das andere das des Dedjjal(Antichrist).

Das im Text immer wiederkehrende Wort birr beinhaltet alles Gute und Segensreiche und ist ein Wort von solch universeller Bedeutung, dass es so viele Themen, die die Wahrhaftigkeit betreffen, wie rechte Gedanken, wahre Worte, wahre Absichten, rechte Taten und rechte Lebensführung, in sich vereint und alles Gute und Segensreiche auf sie zurückzuführen sind.

Das zweite Wort, dem wir besondere Beachtung schenken wollen, ist fudjūr, welches im Gegensatz zum Vorherigen alles Boshafte einschließt, alle anstößigen Gedanken, Worte und Taten – alle Dinge, die zur Rechtschaffenheit keinen Zugang haben und gleichsam den Kern der Hölle bilden.

Im Text dieses Hadith geht es auch um den Gegensatz zwischen siddīqund kedhdhāb. Wenn wir den ersten Begriff als einen absolut wahrhaftigen Menschen wiedergeben, der die Wahrhaftigkeit zu einer zweiten Natur hat werden lassen, dann ist es wohl passend, den zweiten als personifizierten professionellen Lügner zu bezeichnen. Beide Begriffe werden in der arabischen Grammatik als Übertreibung (mubālagha)24 formuliert, was darauf hinweist, dass, wenn nicht heute, dann morgen, ein Mensch kommen wird, der dem Wahrhaftigen ergeben ist, recht denkt, wahr spricht, recht handelt und stets von Wahrhaftigkeit umgeben ist und im Himmel und auf Erden als Beispiel für Wahrhaftigkeit und Gottesnähe dient, während ein anderer sich dem Lügen hingibt, lügnerisch denkt, spricht und stets von Lüge umgeben ist und so früher oder später zum Symbol der Lüge wird.

Die Endhaltestelle dieser beiden so unterschiedlichen Wege, denkbar lang und kurz, sehr hell und neblig, sicher und äußerst gefährlich, sind das Paradies und die Hölle. Einer dieser Wege birgt in seinem Bereich einen besonderen Gewinn, eine besondere Prämie als Ansporn; am Ende dieses Weges steht das Paradies, der Reisende erlangt das Paradies. Was den anderen Weg betrifft: Nach zahllosen Hindernissen und Handicaps auf der ganzen Strecke stolpert der Reisende in die ewige Enttäuschung.

Dieses Hadith hatten wir bereits im Zusammenhang mit der Wahrheitsliebe (sidq) des Propheten zitiert. Was wir hier jedoch betonen möchten, sind die Auswirkungen der Wahrhaftigkeit im Dies- und Jenseits. Den Schaden, den das Lügen sowohl im privaten als auch im gesellschaftlichen Leben mit sich bringt, in derart prägnanten und aussagekräftigen Worten auszudrücken, ist eine Gottesgabe, die dem Propheten eigen ist. Ja, ein Mensch, der nur dieses Hadith untersucht, wird mit Bestimmtheit erkennen und verstehen, dass es das gottgegebene Talent des Gesandten Gottes ist, das es ihm ermöglichte, derart komplexe und umfangreiche Themen so treffend auf den Punkt zu bringen. Ein anderer hätte diese Themen nicht auf diese Art und Weise ansprechen können.

4. Der Mensch ist mit dem beisammen, den er liebt

Er sind Buḫārī und Muslim, die erneut von ʿAbdullah ibn Mesʿud folgendes Hadith überliefern:

„Der Mensch ist beisammen mit dem, den er liebt.“25

Machte man sich daran, dieses Hadith zu analysieren und zu erklären, es würde mindestens einen Band für sich füllen. Dieses Hadith reicht all jenen, die gebrochenen Geistes und Herzens sind, die das, was sie zu tun wünschen, nicht gebührend vollbringen können, allen Wanderern, die auf dem Weg ermüdeten oder die ihren Wegweiser nicht mehr völlig folgen konnten, ein Glas Wasser der Paradiesquelle (kewthar) oder Aqua vita(āb-ı ḥayāt) und weist darauf hin, dass man im Positiven wie im Negativen stets mit denen beisammen ist, die man liebt. Wer daher mit den Propheten, den Wahrhaftigen und den Gotteszeugen zusammen sein möchte, muss sie zunächst lieben, sonst kann er nicht erwarten, mit ihnen zusammen zu sein. Oder anders ausgedrückt: Im Jenseits werden diejenigen mit den Propheten, den Wahrhaftigen und den Gotteszeugen zusammen sein, die sie schon hier und heute lieben und ihnen folgen. Für die Vertreter der Bosheit gilt die Bestimmung und die Bedeutung dieses Hadith gleichermaßen.

Lediglich ein einziger Satz, der tausendundeine Bedeutung und Aussagekraft entfaltet und dies derart prägnant ausdrückt, wie es nur die prophetische Weisheit vermag, die der Offenbarung und der Eingebung offen ist.

Nuʿayman trank von Zeit zu Zeit Alkohol und der Gesandte Gottes rügte ihn entsprechend der islamischen Normenlehre (ḥadd-i scherʿī). Das, was er tat, war nicht akzeptabel. Als daraufhin einer der Gefährten ein tadelndes Wort an Nuayman richtete, runzelte der Gesandte Gottes die Stirn und sagte: „Helft dem Schaitan nicht gegen eure Brüder. Ich schwöre vor Gott, er [Nuʿayman] liebt Gott und seinen Gesandten.“26

Da das Ergebnis der Liebe zu Gott und Seinem Gesandten das Zusammensein mit ihnen ist, verdient es ein solcher Mensch nicht, dass ein böses Wort an ihn gerichtet wird, denn er liebt Gott und seinen Gesandten, obgleich er gesündigt hat. Diese Liebe reicht für einen Menschen, der die religiösen Pflichten (fardh) beachtet und sich vor großen Fehltritten hütet, aus, um mit dem Gesandten Gottes [einst] zusammen zu sein. Denn: Der Mensch ist mit denen beisammen, die er liebt.

5. Gottesbewusstsein (taqwā)

Imam Tirmiḏī und Ahmed ibn Hanbel überliefern von Muʿāz ibn Djebel Folgendes:

„Wo immer du bist, sei gottesbewusst! Wenn du nach Fehltritten sofort gute Taten vollbringst, kannst du sie tilgen. Verhalte dich stets ethisch makellos gegenüber deinen Mitmenschen!“27

Es gibt keinen Faktor, der den Menschen so erhöht, wie ethisch makelloses Verhalten. Ethische Makellosigkeit ist göttliche Ethik und bedeutet, aus der Ethik Gottes heraus makellos zu werden.

Wir haben es hier mit einem Hadith zu tun, dessen Erklärungen zur Gottergebenheit (taqwā), zur Bewahrung des Gottesbewusstseins und zu Wegen, wie man dauerhaft mit dieser Einstellung leben kann, Bände füllen würde. Wir belassen es bei diesem exemplarischen Zitat und gehen nicht weiter auf Erklärungen und Deutungen dieser herausragenden Wahrheiten ein.

6. So wie ihr seid, so werdet ihr regiert

In einem weiteren Hadith verfügt der Prophet:

„So wie ihr seid, so werdet ihr regiert.“28

Die Qualität eurer Oberen hängt von eurer eigenen menschlichen Qualität ab. Eure Oberen sind das, was aus der Quelle hervorsprudelt, die ihr selbst seid. Diese Aussage hat solche Kraft, dass sie eine Öffentlichkeit hervorbringt, die sich in ihrer Regierung widerspiegelt. Lasst uns dieses Hadith etwas näher beleuchten:

„Ihr alle seid Hirten und verantwortlich für diejenigen, die ihr anleitet.“29

In diesem Sinne trägt jeder, bis hin zum Staatsoberhaupt, ein Maß an Verantwortung. Das Staatsoberhaupt trägt die Verantwortung für die Gesamtheit seines Verwaltungsapparates. Der Ausspruch:

„So wie ihr seid, so werdet ihr regiert“,

fügt dem Ganzen eine völlig neue sozialjuristische Dimension hinzu.

Erstens: Dieses Hadith sagt den Bürgern: Ihr seid sehr wichtig. Denn diejenigen, die an die Spitze kommen, werden auf die eine oder andere Weise an eure Türen klopfen müssen. Mit anderen Worten: Ihr seid diejenigen, die ihnen eine Form geben.

Die Gesellschaft ist ihren eigenen, unveränderlichen Prinzipien unterworfen. So wie die Physik, die Chemie und die Astronomie eigenen unveränderlichen Naturgesetzen unterliegen, so hat auch die menschliche Gesellschaft ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, die sich bis zum Jüngsten Tag auch nicht ändern werden. Öffnen daher die Menschen der Bosheit und der Streitsucht Tür und Tor und bieten der Schlechtigkeit eine Heimat, so werden sie von schlechten und bösen Menschen regiert werden. Das ist ein unveränderliches göttliches Gesetz.

Findet Streitsucht im Menschen einen Nährboden, um zu wachsen und zu gedeihen? Blüht hier die Schlechtigkeit? Dann bringt Gott der Erhabene Menschen an die Regierung, die aus demselben Holz geschnitzt sind wie sie.

Zweitens: