Der Prophet Muhammed - Teil 1 - M. Fethullah Gülen - E-Book

Der Prophet Muhammed - Teil 1 E-Book

M. Fethullah Gülen

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Beschreibung

Sozialarbeiter, Lehrer, Staatsgründer, Befehlshaber oder Wahrsager. Für den einen der Hirte, den anderen ein Mediziner, für wiederum andere ein Wegweiser. Was macht einen Propheten aus? Und im Besonderen: Was macht die Gesandtscha­ des Propheten Muhammed aus? Dieses Buch nähert sich dem facettenreichen Leben des Propheten Muhammeds aus einer ungewohnten, ganz neuen Perspektive: Die Attribute der Gesandtschaft­ stehen im Mittelpunkt. Freuen Sie sich auf eine emotionale, doch gleichzeitig reflektierte Reise durch das Leben des Propheten. Ein Leben, das die Wesenheit des Menschen zu einem gewaltigen Spiegel verwandelt, in dem der Schöpfergott sich widerspiegeln kann. Produktinformation Autor: M. Fethullah Gülen Broschiert: 256 Seiten Verlag: Define November 2018) Sprache: Deutsch ISBN-13: 978-3-946871-11-8 Größe und/oder Gewicht: 13,5 x 21 cm

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Der Prophet MUHAMMED

DAS UNENDLICHE LICHT Eine kontextuelle Analyse der universellen Botschaft

1

M. Fethullah Gülen

Copyright © Main-Donau Verlag, Berlin, 2019

Es ist nicht gestattet, Teile dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder in PCs/Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Vorlagen zu manipulieren oder in irgendeiner Art und Weise zu veröffentlichen, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Erschienen im Main-Donau Verlag

Korrespondenz: Wilhelmstr. 26-30 Haus 24 - 13593 Berlin Tel: +49 69 / 83-83-8000

www.deinbuchshop.de

ISBN: 978-3-946871-11-8

Vorwort

Über den Stolz der Menschheit, den Propheten Muhammed (Friede sei mit ihm), wurden in den vergangenen Jahrhunderten Hunderttausende Bücher verfasst, die sein Leben, Wirken und seine Botschaft aus ganz verschiedenen Blickwinkeln betrachteten. Von Verehrern und Kritikern gleichermaßen verfasst, sind diese Bücher in verschiedenen Sprachen und Ländern veröffentlicht worden. In der islamischen Literatur werden die Bücher, die die Person und das Wirken des Propheten zum Fokus haben, als „Sīra-Literatur“ bezeichnet. Es wird allgemein anerkannt, dass sowohl die vorangegangenen Bücher als auch der Koran vom verheißenen Propheten handeln. Die Hadith-Literatur stellt in ihrer Gesamtheit die solide Sprache seiner Worte und Handlungen dar. Die bekanntesten sieben anerkannten Hadith-Sammlungen von El-Bukhari, Muslim, Et-Tirmidhi, Ebu Dāwūd, En-Nese’ī, Ibn Madje und das El-Muwatta’ von Imam Malik decken die wichtigsten Themengebiete ab, was diesen Bereich angeht. Die bekanntesten Werke der Sira-Literatur, wie die von Ibn Ishāq, Ibn Hischām, El-Mes‘ūdī und El-Wāqidī, beinhalten weitere Details über das Phänomen Muhammed (Friede sei mit ihm).1 Im Gegensatz zu den Hadithen und dem Koran versucht die Sira-Literatur die diamantengleichen Szenen seines segensreichen Lebens in einem zeit- und raumgebundenen Kontext wiederzugeben. Außerdem gibt es die Tabaqāt-Literatur, die sich überwiegend mit dem Leben der Gefährten und Gelehrten der ersten, zweiten und dritten Generation nach dem Propheten Muhammed (Friede sei mit ihm) beschäftigt und seine erhabene Persönlichkeit weiter ausleuchtet. Des Weiteren gibt es die allseits bekannte Ensāb-Literatur, die sich überwiegend mit der Genealogie der arabischen Sippen und Stämme beschäftigt. Die Genealogie des Propheten sowie Zehntausender Menschen um ihn herum wurde schriftlich festgehalten. Außerdem gibt es eine inhaltsreiche Literatur von Salawāt (Segenswünschen), Mewlid (Geburtstagsgedichten) und Na‘t (Lobgedichten), in denen überwiegend seine spirituelle Persönlichkeit besungen wird. Dazu kommt noch jene Literatur, die sich mit den Beweisführungen und Besonderheiten seiner Wundertaten bzw. mit Argumenten für seine Gesandtschaft beschäftigt: „Delā’il en-Nubuwwa“. Die Bibel, der Koran, das Hadith, die Sīra, die Tabaqāt, die Ensāb, die Salawat, die Mewlid, Na‘t und Delā’il bilden eine gewaltige Symphonie der Person Muhammeds, deren Töne nicht nur in den Ohren klingen, sondern auch die Herzen der Menschheit erobern. Wir können ohne Weiteres sagen, dass es keine andere Persönlichkeit von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert gibt, deren Sprüche, Leben, Wirken und Persönlichkeit detaillierter schriftlich festgehalten wurde als die der Person Muhammeds. Man kann die Phase der Offenbarung über 23 Jahre fast Tag für Tag zurückverfolgen.

In unserem Lichterland Europa ist es allseits bekannt, dass die Bücher, die sich um die Person und das Leben des Propheten Muhammed drehen, auf chronologische Darstellungen seines Wirkens fokussiert sind. Einer der Gründe dafür ist wahrscheinlich die Bibel, in der Leben und Wirken der Propheten meist in chronologischer Einreihung erfolgt. Auch die Evangelien geben im Gegensatz zum Koran das Leben des Messias überwiegend in einem chronologischen Kontext weiter. Die ersten Schriften über Muhammed im Mittelalter sind ausschließlich kritischer Natur. Von Dantes Divina Commedia bis hin zu Voltaires Stück Mahomet der Prophet wird der Stolz der Menschheit als Erzlügner, Antichrist oder Kameltreiber diffamiert. Die Darstellung des Propheten Muhammed (Friede sei mit ihm) nach der Aufklärung hingegen ist nicht mehr so einseitig. Persönlichkeiten wie Goethe, Herder, Rückert, Lessing, Carlyle, Shaw, Watt, Dostojewski und Wambery erheben ihre Stimme, die negativ eingestellten Menschen wie Nöldeke, Goldziher und ihren Nachkommen gegenüberstehen, die teils in der politisch motivierten Orientalistik, teils in der Religionswissenschaft beheimatet sind. Die wissenschaftliche Leistung der deutschen Orientalistik in Bezug auf die Person des Propheten ist jedoch keinesfalls geringzuschätzen.

Das vorliegende Buch thematisiert ebenfalls die Person Muhammed, bedient sich allerdings einer – zwar bekannten, aber nicht angewandten – Methodik, nämlich der Perspektive der Religionsgrundlagen (usūl-ed-dīn/kelām). Welche Charaktereigenschaften und Bedingungen machen einen Propheten aus? Sind diese Merkmale und Bedingungen bei der Person Muhammeds vorhanden? Sind die in der Kelām-Literatur festgestellten fünf Bedingungen des Prophetenamtes – Wahrhaftigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Verkündung, prophetische Weisheit und Sündenlosigkeit – am Beispiel Muhammeds (Friede sei mit ihm) wiederzufinden? Ist Muhammed (Friede sei mit ihm) als beispielloses Verhaltensmuster und idealer Mensch (el-insān el-kāmil) Fiktion oder Tatsache? Die vorhandene Sira-Literatur beschäftigt sich in erster Linie mit den Expeditionen des Propheten, die nicht einmal 1/40 seiner Berufung bzw. Gesandtschaft ausmachen. Weil die Araber durch die Offenbarung des Korans und das Streben des Propheten zu einer Nation wurden, fokussierten sich die Nacherzählungen der Sira-Literaten lediglich auf die Verteidigungskämpfe und militärischen Einsätze gegen die Götzendiener des ehrwürdigen Propheten. Dieses lückenhafte Bild in Bezug auf die Gesandtschaft Muhammeds prägte und prägt immer noch die Muslime und Andersgläubige auf der ganzen Welt.

Das vorliegende Buch wiederum setzt die Gesandtschaft auf ihre ursprüngliche Achse, nämlich als Berufung zu gutem Verhaltensmuster und Barmherzigkeit für alle Welten. Kein Prophet kommt auf die Erde, um einen Staat oder ein Reich zu gründen, sondern als Lehrer, um ideale Menschen großzuziehen und das im Menschen versteckte gewaltige Potenzial freizusetzen, die Wesenheit2 des Menschen zu einem gewaltigen Spiegel zu verwandeln, in dem der Schöpfergott sich widerspiegeln kann. Gerade in diesem Sinne ist auch der dritte Band dieser Reihe von großer Bedeutung, in dem es um die facettenreiche Persönlichkeit des Propheten Muhammed als Erzieher, Lehrer, Leiter, Ehemann, Familienvater, Freund, Richter und Versöhner geht. Somit stellt sich dieses Buch als eine Art Sira-Philosophie dar, das anhand von Ziel und Zweck der Auserwählung der Propheten sowie der Praxis, wie dieses Ideal erfüllt wird, die ganze Sira-Literatur neu kontextualisiert.

Dieses Buch korrigiert anhand der Grundlagen des Amtes der Gottesgesandtschaft die Fehleinschätzungen in der islamischen und sonstigen nichtislamischen Literatur – sowohl was die Person Muhammeds als auch was alle anderen Propheten betrifft. Es spricht die Vernunft, das Herz und das Gewissen der Menschen an und überzeugt sie. Es erfüllt sie mit einem Gefühl der Verehrung. Wenn man sich zudem noch vor Augen führt, dass der Verfasser dieses Buches seine Ausführungen zuallererst von der Kanzel verschiedener Moscheen (zwischen 1990 und 1991) als prominentester Prediger seiner Zeit mündlich vorgetragen hat, wird man bestimmt staunen. Welch eine gnadenreiche Fügung, dass dem Verfasser dieses mangelbehafteten Vorwortes die Ehre zuteilwurde, persönlich bei einigen Predigten dieser Reihe (über die Prophetenliebe) anwesend gewesen zu sein. Später wurde diese vorgetragene „Propheten-Symphonie“ schwarz auf weiß verschriftlicht und transkribiert – im Gegensatz zu Symphonien, die zuerst komponiert und dann gespielt werden. Der Lehrmeister las den ganzen Text Korrektur und segnete ihn ab. Möge Gott es dem Lehrmeister Gülen mit bestem Lohn vergelten und ihm noch ein langes, gesundes Leben bescheren.

Es kann sein, dass einige Leserinnen und Leser die Ausführungen des Lehrmeisters über die spirituelle Persönlichkeit des Propheten als übertrieben, ja sogar als Entmenschlichung empfinden. Jedoch sehen diejenigen, die sich mit der Person des Propheten und seiner Bedeutung für die Schöpfung und den Schöpfer befassen, darin keine Übertreibung, sondern eine Fortsetzung der Tradition des tenzīh (Heiligung und Freispruch der Propheten von Makel). Da das vorliegende Buch auf eine neue Dimension der Prophetenerkenntnis und infolgedessen auf die Prophetenliebe ausgerichtet ist, wurde im Text der brennende Enthusiasmus der Predigten des Lehrmeisters bewahrt.

Eine kurze Anmerkung zum Titel: „Das unendliche Licht“ bezeichnet den Propheten Muhammed, ein Ausdruck, der auf seinen Ursprung als Kern des Baums der Schöpfung und dessen beste Früchte zurückgeht. In einem Hadith beschreibt der Prophet Muhammed (Friede sei mit ihm) seinen Ursprung als Lichtessenz folgendermaßen: „Das Erste, was Gott erschuf, war mein Licht.“ Dieses Licht (gemäß der prophetischen Bezeichnung) oder die erste Vernunft (gemäß der philosophischen Bezeichnung) macht das ursprüngliche Wesen des Propheten Muhammeds aus. Die Sufis bezeichnen den Geist des Propheten, der zuallererst erschaffen wurde, noch vor der Erschaffung der Engel und der Welt, als „die ahmedische Essenz“ (el-haqīqa Ahmedīye); seine Person, die eine körperliche, materielle Existenz annahm, hingegen als „muhammedische Essenz“ (el-haqīqa Muhammedīye). Sinngemäß geht der Geist Ahmeds der ganzen Schöpfung voraus und sein Wesen als Licht steht mit allem in Verbindung.

Zuletzt noch einige Anmerkungen zu Übersetzung, Umschrift und Herausgabe dieses Buches. Die Übersetzung erfolgte aus dem türkischen Original. Unser Übersetzer und Lektor Lenius Hirschberger meisterte die schwierigsten Kombinationen mit hervorragender Tüchtigkeit. Meine Wenigkeit las den ganzen Text Korrektur und steuerte – wo nötig – einige Fußnoten bei. Die Transkription aus dem Arabischen und Türkischen erfolgte nicht gemäß der Umschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG), sondern folgte der Fontäne-Umschrift, die überwiegend die Transvokalisation berücksichtigt. Im Gegensatz zur alten Umschrift wird im vorliegenden Buch das Arabische „dsch“ (ج) vereinfacht mit „dj“ wiedergegeben. Der Text wurde bis auf wenige Stellen, die aufgrund von sinn- und zweckerfüllenden zahlreichen weiteren Beispielen ausgelassen wurden, aus dem türkischen Original vollständig übertragen. Das alte Buch mit dem Titel „Der Prophet Muhammad“ enthielt lediglich eine Auswahl des Gesamtwerkes. Es war eine Zusammenstellung der drei Bände in einem einzigen Band. Das vorliegende Buch hingegen ist eine vollständige Übersetzung des ersten Bandes dieser Reihe.

Der Prophet bringt es auf den Punkt: „Menschen sind fehlerbehaftet, die besten Fehlerhaften wiederum sind die, die Reue zeigen und wiedergutmachen.“ Es kann wohl sein, dass sich bei der Übertragung des Buchinhaltes sowie bei der Umschrift und den Fußnoten Fehler eingeschlichen haben. Für alles, was sich als zutreffend erweist, danke ich dem Barmherzigen, Allmächtigen Einen, denn ohne Seinen Beistand wäre ein solches Unterfangen unmöglich zu realisieren. Was die Fehler und Mängel angeht, suche ich Zuflucht bei Ihm und bitte um Rechtleitung. Aufgrund der möglichen Fehler entschuldige ich mich schon jetzt beim Geist des Gesandten Muhammed (Friede sei mit ihm) sowie dem Verfasser dieses Buches und den verehrten Leserinnen und Lesern. Ich schätze mich glücklich, wenn die Leserschaft mit ihren Korrekturvorschlägen zum Verbesserungsprozess beitragen könnte.

Für Frieden mit Frieden

Arhan Kardas

Berlin, 14. Juni 2018 / 29 Ramadan 1439

1 Segenswünsche für den Propheten im Anschluss an die Erwähnung seines gesegneten Namens auszusprechen ist laut der islamischen Normenlehre eine Sunna. Wer diese Segenwünsche auslässt, begeht keine Sünde, folgt allerdings dabei der Sunna des Propheten nicht. Es gibt Bücher, die diese Segenswünsche mit arabischen oder deutschen Abkürzungen wiedergeben. Wir bevorzugen in diesem Buch, die Segenswünsche in Deutsch auszuschreiben. Es gibt allerdings Stellen, an denen wir die Segenswünsche ausgelassen haben, um den Fluss des Textes nicht zu beeinträchtigen. Ideal wäre es, bei jeder Erwähnung seines Namens einen Segenswünsch zu äußern. Wir konnten diesem Ideal leider nicht gerecht werden und entschuldigen uns dafür.

2 Zu Wesenheit bzw. Washeit (arab. māhiye, lat. quidditas) siehe S. 24, Fußnote 7.

Einleitung

DER PROPHET, DER DEN WELTEN ALS BARMHERZIGKEIT GESANDT WURDE

A. DIE ERSEHNTE MORGENSONNE

Eine finstere Welt trägt das Licht bereits in sich. Die Anzeichen der frohen Kunde und der Freudensnachricht waren schon kurz vor der Ankunft des Propheten am Horizont zu erkennen. Die Herzen der Menschen in Mekka waren so sehr berührt, dass viele von ihnen das bevorstehende Offenbarwerden des letzten Propheten verkündeten: Sobald er offenbar wird, eilt zu ihm! Und vereinigt euch mit seiner Seele!3

Die ganze Schöpfung war voll froher Erwartung und Hoffnung ob des letzten Befreiers. Die Eltern hofften darauf, dass dieser Erlöser aus den Reihen ihrer Nachkommen hervorkäme, und nicht wenige gaben ihren Neugeborenen den Namen „Muhammed“.4

Sein edler Stammbaum jedoch führt ihn als Erbe des ehrenwerten Abraham über Ismael und des ‘Abdulmuttalib5 über ‘Abdullah auf – die ihm zugeneigten Herzen erwarteten das Licht aus ebendieser Linie. Die Geschehnisse künden von seinem Kommen; die immer finster werdende Dunkelheit kündigt die bevorstehende Morgensonne an. Der Menschheit mangelte es seinerzeit an Zielen und Idealen, die das Leben lebenswert machen. Ihr ganzes Tun war „wie eine Luftspiegelung in der Wüste, von der der Durstige annimmt, dass es sich um Wasser handelt, bis er schließlich hinkommt und findet, dass es nichts ist.“6

Über die Empfindungen, Gedanken und Handlungen damals kann man Ähnliches sagen. Sie waren „wie Schleier aus Finsternis, die ein riesiges, abgrundtiefes Meer bedecken, über dem eine Woge ist, worüber sich noch eine Woge befindet, und darüber ist eine Wolke: Schleier aus Finsternis, übereinander gehäuft, sodass jemand, wenn er seine Hand ausstreckt, sie kaum sehen kann.“7

Dieses Zeitalter nannte man el-Djāhilīye – die Unwissenheit. Es handelte sich hierbei nicht um Unwissenheit auf wissenschaftlichem Gebiet. Nein, jene Unwissenheit war gleichbedeutend mit Verkennung im Gegensatz zum Glauben und der Überzeugung.

Auch wenn die Widerwärtigkeiten jenes Zeitalters ein vorübergehendes Bild der Finsternis entwarfen, möchte ich meine Leser nicht mit düsteren Ausführungen belasten. Abergläubische Vorstellungen auf diese oder jene Weise aufzuzeigen, lässt den Verstand irregehen, und dies zu verursachen, ist in meinen Augen ein Verbrechen. Um jenes Zeitalter zu schildern, ist es dennoch nützlich, ein wenig auf die Gepflogenheiten und Bräuche jener Tage einzugehen, denn auf diese Weise kann man besser erfassen, welch großes Erbarmen für die gesamte Schöpfung darin lag, dass Gott Seinen Propheten sandte und wie sich die göttliche Güte darin offenbarte!

Sein Kommen ist in der Tat für jeden Einzelnen die größte Gunstbezeugung Gottes und ein Ausdruck Seiner umfassenden Güte. Unser Herr beschreibt dies Selbst wie folgt:

„Gott hat den Gläubigen wahrlich große Gnade erwiesen, indem Er ihnen einen Gesandten aus ihrer Mitte geschickt hat, der ihnen Seine Offenbarungen vorträgt und sie läutert und sie das Buch und die Weisheit lehrt, während sie sich davor gewiss in offenkundigem Irrtum befanden.“8

Man beachte Gottes Güte, seine Gunstbezeugungen und seine Großherzigkeit! Er sandte den Menschen einen Propheten aus ihrer Mitte, der ein Teil ihrer selbst war, der ihre Gefühle und Gedanken teilte, einen Gesandten, der ihnen als Vorreiter den Weg zu Gott wies. Bedurften sie eines Imams, so ging er vor ihnen her; bedurften sie eines Predigers, so erklomm er die Kanzel; bedurften sie klarer Anweisungen, so gab er ihnen Brief und Siegel; bedurften sie eines Kommandanten, so leitete der Gesandte Gottes sie vortrefflicher an, als dies die besten Heeresführer je hätten tun können.

Im Christentum gibt es eine Fehldeutung: Christen glauben, dass Jesus Christus von Gott hingegeben wurde, um so für die Menschheit die Vergebung der Erbsünde zu erwirken. Diese Auffassung ist aus Sicht der islamischen Theologie willkürlich und nicht vertretbar. Jedoch beinhaltet diese falsch aufgefasste Lehre einen Hinweis, der richtig ist:

Gott sandte seinen geliebten Diener, den Propheten Muhammed – Friede sei mit ihm –, obgleich Er wusste, was auf ihn zukommen würde, um die Sünden der Menschen zu vergeben, und ließ sie nicht in Widernatürlichkeiten, Irrlehren, Auflehnung und Zügellosigkeiten allein, damit sie nicht auf dem Weg verloren gehen, sondern in die ewige Seligkeit eingehen. Möge jeder Einzelne von ihnen zum idealen, universellen bzw. vollkommenen Menschen werden. Mögen sie in ihren Seelen zu jeder Zeit die Stimme Gottes hören und an innerer Tiefe gewinnen. Und mögen sie mit den Worten des Ibrahim Hakki die verbogenen Schätze ihres Herrn in ihren Herzen und Gewissen verspüren:

„Gott sprach:Himmel und Erde können mich nicht (er-)fassenVerborgene Schätze werden offenbar in der Goldminedes Herzens.“

Das Herz ist solch ein Quell von Schätzen, dass sich selbst Gott, der größer ist als Zeit und Raum, in den Herzen wie der wertvollste Edelstein verspüren lässt. Bücher, Vernunft, Gedanken, Philosophien, Aussprüche, Himmel, Erde, ja das gesamte Universum kann Gott den Erhabenen nicht (er-)fassen und keiner von ihnen besitzt die Macht, Ihn zum Ausdruck zu bringen. Nur das Herz kann Ihn – wenn auch nur begrenzt – in Worte übertragen. Ja, das Herz ist solch eine Zunge; die Ohren haben bis heute keine derart glänzenden Worte vernommen. Daher sollte der Mensch sich auf den Weg des Herzens machen, dort suchen und fündig werden und sich bemühen, zu seinem Herrn zu gelangen und sich in Ihm zu entwerden. Genau aus diesem Grund hat Gott den Propheten Muhammed – Friede sei mit ihm – zu uns gesandt.

Ja, er ist gekommen, um der Menschheit die Zeichen Gottes zu verkündigen, Seine Wunder vor Augen zu führen und den Menschen Seine Washeit (Quidditas)9 zu lehren. Dank ihm wird die Schöpfung in der Tat von ihren Befleckungen geläutert und in einen makellosen Zustand gebracht, von physischem Elend befreit und auf die Lebensstufe des Herzens und des Geistes erhoben. Er wird die Menschen das Buch und die Weisheit lehren; und was die Menschheit betrifft: Sie wird in der lichten Welt des Buches und der Weisheit zu sich selbst finden, dem Jenseits erwachen und auf den Weg zur Ewigkeit treten – und so kam es schließlich auch.

Wir haben äußerst wichtige und gesegnete Tage voll göttlicher Gnade. Einige von ihnen zählen zu den Festtagen der Gläubigen. Diese Freude der Festtage erleben wir jede Woche freitags und in noch größerem Ausmaß während des Kurbanfestes und des Ramadans. Das Kurbanfest ist ein Tag, an dem der ehrwürdige Abraham ein Opfer einer bestimmten Dimension darbrachte und an dem die Muslime in aller Aufrichtigkeit Wege zur Sündenvergebung suchen. In dieser Absicht berühren sie mit ihrer Wange die Kaaba, verweilen am ‘Arafat (wuqūf) und wenden sich flehentlich im Geist Muhammeds an Gott. Der Ramadan hingegen ist ein reiches, volles und gesegnetes Fest, bei dem man sich einen Monat lang fastend der Freude der Annäherung an den Herrn hingibt und die Freude am Leben teilt. Es gibt jedoch noch ein weiteres Fest, das man als Fest der ganzen Menschheit, ja als Fest aller Geschöpfe bezeichnen kann – der Tag, an dem wir mit dem Herabkommen des Gesandten Gottes auf die Erde geehrt wurden: die Geburt Muhammeds (wilādet-i Ahmediye). Der Tag, an dem Gott dieses Licht gleich der Sonne schuf und wie eine Kerze in das Firmament der Menschheit stellte. Ja, mithilfe dieses Lichtes wurde der Vorhang der Finsternis der Unwissenheit zerrissen und die Welt in Licht getaucht. Auch dies ist eine Gunstbezeugung und ein Ausdruck der Güte Gottes für Menschen und Djinnen (Dschinnen).

B. EINE FINSTERE ZEIT

Wenn an der Einheit Gottes (tewhid) gerüttelt wird, handelt es sich stets um eine finstere Zeit. Beherrscht der Glaube an Gott, der das Licht von Himmel und Erde ist, nicht mehr alle Herzen, verdunkeln sich Geist und Gewissen vollständig. Der Blick auf die physische Schöpfung und die Geschehnisse des Lebens werden dadurch getrübt, gleich Kurzsichtigkeit, und jener Mensch wird in tiefer spiritueller Dunkelheit leben.

In einer Zeit, in der die Säulen der Religion und ihr Fundament erschüttert waren und die eigenen Anhänger den Ruf der gottgegebenen Religionen beschädigten, glaubten vielleicht einige Monotheisten an einen Gott, den sie aber nicht benennen konnten, den sie nicht näher kannten und ihm daher auch nicht dienen konnten – ihre Stimmen waren jedoch so dünn, niemand nahm von ihnen Notiz.10

1. Götzendienst im Zeitalter der Unwissenheit (djāhilīye)

Die Polytheisten jener Tage rühmten sich ihrer Götzen, mit denen sie die Kaaba vollstopften, und fanden Trost in ihnen; die weniger Gebildeten unter ihnen sagten, sie betrachteten diese Götzen lediglich als Wege, die sie zu Gott führen. In einem Vers des Korans wird dieser Umstand wie folgt beschrieben: „(Sie sagen:) Wir beten sie aus keinem anderen Grund an als dem, dass sie uns Gott näherbringen mögen.“11

Auf diese Art und Weise wurde das Gefühl der Ergebenheit Gott gegenüber ein weiteres Mal missbraucht und verraten, ein Gefühl, das dem Menschen als anvertrautes Gut in die Wiege gelegt wurde. Man betete Bäume, Steine, die Erde, die Sonne, den Mond und die Sterne an; sogar Dinge, die sie mit ihren eigenen Händen zubereiteten, wie Helwa und Käse, beteten sie vorübergehend an, um sie dann aufzuessen, sobald sie hungrig wurden.

Der Koran sagt über diese überholten Gedanken und überkommenen Anschauungen:

„Sie beten anstelle von Gott Dinge oder Geschöpfe an, die ihnen weder schaden noch nützen können, und sie sagen: ‚Diese sind unsere Fürsprecher bei Gott.‘ Sprich: ‚Wollt ihr Gott Kunde von etwas in den Himmeln oder auf Erden geben, wovon Er nichts weiß?‘ Gepriesen ist Er und hoch erhaben über alles, was sie Ihm als Teilhaber zur Seite stellen.“12

„Hütet euch! Es ist Gott allein, dem aller aufrichtiger Glaube, alle Anbetung und jeglicher Gehorsam gebührt. Doch diejenigen, die sich anstelle von Ihm andere zu Beschützern und Vertrauten nehmen, sagen: ‚Wir beten sie aus keinem anderen Grund an als dem, dass sie uns Gott näherbringen mögen.‘ Gott wird zwischen ihnen entscheiden über all das, worüber sie uneinig sind. Gott leitet niemanden recht, der ein unverbesserlicher Lügner und undankbar ist.“13

Sie suchten gar nach Ausreden für ihre irrsinnigen Ansichten. Ihre größte Rechtfertigung bestand darin, dass auch ihre Vorväter ebendiese Dinge so taten: „Und wenn ihnen gesagt wird: ‚Folgt dem, was Gott herabgesandt hat‘, so antworten sie: ‚Nein! Wir folgen dem, wobei wir unsere Väter gefunden haben.‘ Was denn, auch wenn ihre Väter nichts begriffen haben und nicht rechtgeleitet waren?“14

2. Das Drama um die Töchter

Ein weiterer Gräuel aus der Zeit der Unwissenheit wird im Koran wie folgt beschrieben:

„Wenn einem von ihnen die Kunde von der Geburt eines Mädchens überbracht wird, verfinstert sich sein Gesicht, und es ist (als würde er innerlich überwältigt) von unterdrücktem Ärger. Er verbirgt sich vor den Menschen wegen des Schlechten, von dem er Kunde erhalten hat. (So spricht er denn mit sich selbst:) Soll er es trotz der Erniedrigung behalten oder es in der Erde vergraben? Seht nur! Wie übel ist die Entscheidung, die sie treffen!“15

Wurde einem von ihnen die Nachricht überbracht, eine Tochter zu bekommen, so konnte er sich vor Wut kaum halten. Sein Gesicht wurde schwarz vor Zorn, und er traute sich ob dieser bitteren Nachricht nicht mehr unter Menschen. Er fand diese Nachricht derart unangenehm, dass er wünschte zu verschwinden, sich zu verstecken, in einem Loch zu verschwinden und war zwischen zwei Alternativen hin- und hergerissen: entweder die gesellschaftliche Schmach zu ertragen und dieses Kind am Leben zu lassen oder, um seine Ehre zu retten (!), den Körper des Mädchens verschwinden zu lassen.

So groß war die Verachtung gegenüber Frauen in der Zeit der Unwissenheit! Diese Verachtung, Geringschätzung und Entehrung beschränkte sich nicht nur auf die arabischen Völker der Zeit der Unwissenheit – sie war auch im Römischen Reich und dem sassanidischen Reich der Perser anzutreffen. Daher kann man sagen, dass die Benennung der Missstände unter den Arabern der Zeit der Unwissenheit und ihre Beseitigung einer außergewöhnlichen Revolution gleichkam, die nicht nur den Frauen seinerzeit zugutekam, sondern eine Operation zugunsten der Frauen weltweit darstellt, die seinesgleichen sucht.

Es war der Koran, der als Erster einer solchen Bestialität Einhalt gebot und ohne Ausnahme das Töten von Kindern verbot: „Tötet nicht eure Kinder aus Angst vor Armut. Wir bereiten ja Versorgung sowohl für euch als auch für sie.“16

Es ist so, als ob Gott zu ihnen sagte: Warum tötet ihr eure Kinder? Bin nicht Ich der Versorger von euch und ihnen? Seht ihr nicht: die Erde wurde euch wie tausend gedeckte Tische dargereicht und steht euch zu Diensten? Auch der Himmel eilt euch zu Hilfe. Bin nicht Ich es, der die Wolken zu euch lenkt und sie Regen und Schnee regnen und auf der Erde millionenfach Pflanzen nach ihrer Art sprießen lässt? Obwohl ihr all dies seht: welches Gewissen, welche Einsicht und welches Verständnis bringt euch dazu, euch Sorgen um euer materielles Auskommen zu machen und eure Kinder zu töten? Vergesst nie: Wer diese Dinge tut, wird niemals die Gunst erlangen, von Gott angesprochen zu sein; diese Unschuldigen jedoch werden eines Tages als Angesprochene angenommen, und sie werden gefragt, welches Verbrechen sie begangen haben, aufgrund dessen sie getötet wurden. Die Barbaren, die ihre eigenen Kinder töteten, werden ganz gewiss für diese Grausamkeiten bestraft.

„Und wenn das lebendig begrabene Mädchen befragt wird, um welcher Schuld willen es getötet wurde.“17 In der Tat lässt uns dieser Vers erschaudern und gibt uns Einblick in die moralische Verrohung dieser Ära.

Einer der Gefährten wandte sich eines Tages an den Propheten und berichtete über die Bestialität während der Zeit der Unwissenheit: „O Gesandter Gottes! In der Zeit der Unwissenheit haben wir unsere Töchter bei lebendigem Leib vergraben. Auch ich hatte eine Tochter. Ich sagte zu ihrer Mutter: ‚Zieh ihr etwas an, ich bringe sie zu ihrem Onkel, deinem Bruder,‘ [Die Frau wusste, was das bedeutet. Ihr liebstes Töchterchen würde wenig später in einen Brunnen geworfen und dort unter letzten Zuckungen seinen Odem aushauchen. Allerdings hatte die Frau kein Recht und keine Befugnis, um dieser Bestialität Einhalt zu gebieten. Das einzige, was sie tun konnte, war still vor sich hin weinend zu trauern.] Meine Frau tat, was ich von ihr verlangte. Das Kind dachte tatsächlich, es würde zu seinem Onkel gehen, und hüpfte fröhlich umher. Ich fasste es bei der Hand und führte es an den Rand eines Brunnens, den ich zuvor ausgehoben hatte. Ich sagte ihr, sie solle in den Brunnen schauen. Genau in dem Moment, in dem sie in den Brunnen schaute, gab ich ihr von hinten einen Stoß und sie fiel hinein. Aber sie schaffte es irgendwie, sich am Rand des Brunnens festzuhalten. Um ihr Leben zappelnd versuchte sie noch mein Gewand zu säubern, indem sie sagte: ‚Mein geliebter Vater, du bist ja voller Staub.‘ Trotzdem versetzte ich ihr einen weiteren Stoß und vergrub sie bei lebendigem Leib in der Erde.“

Der Gesandte Gottes und die, die bei ihm saßen, brachen bei der Erzählung des Mannes in Tränen aus. Einer derjenigen, die dabei waren, sagte zu ihm: „Du hast den Gesandten Gottes ganz traurig gemacht.“ Daraufhin erwiderte der Prophet: „Erzähl es noch einmal!“ Der Mann berichtete noch einmal von diesem Geschehnis, und die Tränen des Propheten, des Hauptes der beiden Welten, rannen seinen gesegneten Bart hinab.18

Als ob der Gesandte Gottes mit der erneuten Erzählung des Geschehnisses Folgendes sagen wollte: „Genau so wart ihr vor dem Islam. Ich habe dies wieder und wieder erzählen lassen, um euch erneut an die Menschlichkeit zu erinnern, um die der Islam euch bereichert hat!“

Dieses äußerst schmerzliche Beispiel zeigt, dass die Menschen jener Zeit zutiefst betrübt waren; jeden Tag wurden in der Finsternis und der Unendlichkeit der Wüste tiefe Brunnen ausgehoben, in denen so viele unschuldige Kinder ihr Leben ließen. Die Menschheit hat in ihrer Brutalität die Hyänen schon längst hinter sich gelassen. Jemand, der sich nicht wehren kann, besaß kein Recht zu leben und war dazu verurteilt, von den scharfen Zähnen der Wehrhaften zerrissen zu werden. Die menschliche Gesellschaft befand sich in einer Krise und es fand sich niemand, der dem Einhalt gebot.

Genau in jenen Tagen entfernte sich die Raison d’Être der Schöpfung – Friede sei mit Ihm – aus der Mitte der Menschen; er zog sich in die Höhle von Hira zurück, welche später von seiner Gemeinschaft als „Berg des Lichts“ bezeichnet wurde, und blickte am Horizont der Morgensonne der Befreiung entgegen. Wahrscheinlich war er gerade dabei, seinen Kopf zum Gebet zu neigen, flehte seit Stunden und bat seinen Herrn um einen Retter für die Menschheit. Bukhārī und Muslim verwenden bei der Überlieferung dieser Begebenheit den Ausdruck fe yetehannathu fīh, der „sich der Anbetung hingeben, sich zurückziehen“ bedeutet. In der Tat kehrte der Gesandte Gottes manchmal tagelang nicht nach Mekka zurück. Nur wenn sein Proviant zur Neige ging, kam er kurz, um seine Vorräte aufzufüllen.19

Sicher dachte er an die Existenz, an das, was sich hinter dem Vorhang der Existenz abspielt, an die Schöpfung und den Zweck der Schöpfung; andererseits dachte er auch an die Menschheit, deren Ordnung aus dem Gleichgewicht geraten war, an ihren schaudererregenden Zustand und ihre herzzerreißende, gedrückte Stimmung.

3. Veränderte Werte

Ja, die menschliche Gesellschaft hatte sich in einen Zustand verstrickt, in dem alle menschlichen Werte ins Gegenteil verkehrt, Tugenden als unschicklich und stattdessen Unschickliches und Fehlerhaftes als tugendhaft betrachtet wurden. Bestialität wurde beklatscht, während Menschlichkeit mit Verachtung gestraft wurde. Wölfe wurden zu Hirten, arrogant in ihrer Art; die Schafe litten arg unter den Händen dieser unbarmherzigen Hirten. Prostitution, Ehebruch und Unmoral nahmen derart überhand, dass kaum jemand seinen eigenen Vater kannte. Dem Ansehen aufgrund von Abstammung oder persönlicher Fähigkeiten wurde kein Wert mehr beigemessen. Alkohol und Glücksspiel galten überhaupt nicht mehr als unschicklich. Wucher wurde schon als normal betrachtet und mittels Finanzspekulationen das Blut der Menschen auszusaugen galt als Meisterleistung und ein Zeichen von Klugheit.

In der Tat bedurfte es eines, der „Stopp!“ rief, eines Elixiers des Wortes. Der Bedarf war so groß, dass der Erbarmer unvermittelt eingriff und veranlasste, dass der Herr der Herren als Gesandter beauftragt wurde; mit seinem Kommen änderte sich alles von Grund auf. Der großartige ägyptische Dichter Ahmed Shawqi (gest. 1932) drückt dies wie folgt aus:

„Die göttliche Führung ward geboren;der Kosmos mit Licht erfüllt.

Von nun an trägt die Zeit ein süßes Lächelnund den Lobpreis auf den Lippen.“

Die Finsternis in Zeit und Ort erhellte sich, als der Prophet Muhammed – Friede sei mit ihm – lächelnd gleich einem Strauß Rosen das Licht brachte, sodass das Volk von Medina ihn während der Hidjra wie folgt empfing:

„Ein Mond geht auf über den Hügeln von El-Wedā‘.Ein jeder, der betet und ruft, ist zur Dankbarkeitverpflichtet, wenn er betet und ruft.“20

Mit diesen Versen brachten sie ihre Gefühle zum Ausdruck und empfingen des Gesandten. Reine Herzen und reine Münder flossen über vor reinen Versen des Lobpreises.

C. ER LEBTE SCHON VOR SEINER BERUFUNG WIE EIN PROPHET

1. Ein vertrauenswürdiger Mensch

Die Phasen der Kindheit, der Jugend und des reiferen Alters trugen allesamt schon den Charakter des Prophetentums: Sie waren der Auftakt, die Stufen, die Stiege. Daher glaubten ihm recht viele derjenigen, die ihn kannten, sofort, als er sich zum Gesandten ausrief, und folgten ihm.

Dazu trug die Tatsache bei, dass er zeit seines Lebens kein einziges Mal die Unwahrheit sagte. Ebendieser Mensch spricht nun von Gott und sagt, er sei ein Prophet. Wie könnte ein Mensch, der schon bei der kleinsten Kleinigkeit nicht die Unwahrheit sagen konnte, bei so einer großen und erhabenen Angelegenheit lügen?21 Das wäre unmöglich. Wenn auch nicht jeder so dachte, so glaubten doch die Menschen jener Tage, die ihren Starrsinn und ihre Missgunst hinter sich ließen, an ihn. Die Ära, in der er lebte, war in der Tat die Zeit der Unwissenheit. Diese Bezeichnung bezieht sich jedoch auf das Leben derjenigen, die nicht zu seiner besonderen Zeit lebten. Denn er selbst lebte niemals in Unwissenheit. Er war ein vertrauenswürdiger Mensch. Jeder wusste das und betrachtete ihn auch so. Er war so vertrauenswürdig, dass man ihm ohne zu zögern Frau und Familie überließ, wenn es Zeit war, beispielsweise in eine Schlacht zu ziehen. Niemand hatte nur im Geringsten die Befürchtung, er könnte während der Abwesenheit einen Blick auf sie werfen. Haben Sie schon einmal überlegt, jemandem Ihr Hab und Gut anzuvertrauen? Sie hätten es ohne zu zögern in die Obhut Muhammeds geben können – sein Name war ein Garant für Sicherheit, es würde Ihnen kein Schaden entstehen. Möchten Sie die Wahrheit in Verbindung mit einer Sache herausfinden? Sie würden sofort zur ruhmreichen Nachtigall (andelīb-i zischān) eilen, zum Inbegriff der Treue, und ihm zuhören, aufgrund des Gehörten urteilen und seine Worte bei all Ihrem Tun beachten, denn er sagte niemals die Unwahrheit.

Sie brauchen einen Beweis? Nachdem er den Hügel Safā hinaufgestiegen war, fragte er die Menschen, die ihn umringten: „Würdet ihr mir glauben, wenn ich sagte, dass hinter dem Berg eine Armee heranzieht, um uns anzugreifen?“ Sie antworteten wie aus einem Mund: „Ja, wir würden dir glauben. Denn wir haben noch kein Wort der Unwahrheit von dir gehört.“22 Unter denen, die dies sagten, waren auch Menschen, die dem Islam gegenüber gegnerisch eingestellt waren, wie Ebū Leheb. Sie alle jedoch bestätigen die Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Propheten.

Noch als seine Mutter schwanger mit ihm war, verlor er seinen Vater; im Alter von fünf bis sechs Jahren verlor er auch noch seine Mutter. Daraufhin nahm sein Großvater Abdulmuttalib ihn in seine Obhut. Kaum war er acht Jahr alt, verstarb auch sein Großvater. Als ob das Schicksal ihn von allen trennte, um ihn darauf vorzubereiten, Gott völlig ergeben zu sein … Alle, die ihn schützten, verschwanden einer nach dem anderen aus seinem Leben, und er wurde im Geist und Offenbarwerden der Einheit Gottes unmittelbar und tatsächlich an die Obhut Gottes erinnert. Er musste die „Worte des Tewhid“ und des „Hasbunallah“ schon von frühester Kindheit an verinnerlichen. Deshalb mussten alle offenkundigen und sichtbaren Mittel [des Schutzes und der Obhut] außen vor bleiben. Und so kam es schließlich auch.

Die Namen seiner Eltern sind ‘Abdullah – „Diener Gottes“ – und Āmine – „vertrauenswürdige und rechtschaffene Frau“. So kam er als Sohn einer Frau zur Welt, die das Vertrauen gebar und der das Vertrauen als anvertrautes Gut übergeben wurde. Der Name des Vaters dieses ehrenwerten Menschen, der sich schon vor seiner Berufung mit seiner Frömmigkeit einen Namen gemacht hatte, war „Diener Gottes“. All dies war kein Zufall, es war göttliche Vorsehung.

2. Er wuchs als Waise auf

Im Laufe der Zeit würde er eine sehr schwere Last, eine große Verantwortung schultern. Darauf musste er frühzeitig vorbereitet werden. Auf dem Höhepunkt der Ergebung in die göttliche Fügung (tewekkul) würde ein Mensch stehen, der vollkommen ausgerüstet ist, sich allen Herausforderungen zu stellen. Gott bewahrte ihn davor, ein Mensch zu werden, den der Reichtum verzärtelte oder den Elend und Armut hatten ängstlich und zaghaft werden lassen. Gott sorgte dafür, dass er in allen Phasen seines Lebens die Ausgeglichenheit und die Richtung seines Kurses bewahrte sowie als ein Mensch heranwuchs, dem Exzesse und Laxheit fernlagen.

Für einen Anführer ist es sehr wichtig, solche schweren Zeiten durchlebt zu haben. Er sollte wissen, was es heißt, ein Waise zu sein, um sich seinen Anhängern gegenüber wie ein liebevoller Vater zu verhalten. Er sollte wissen, was es heißt, mittellos zu sein, um sich in ihre Lage versetzen und ihnen entsprechend beistehen zu können. In der Tat trug der Gesandte Gottes diese hohe Moral wie einen Keim in sich, und seine angeborenen Eigenschaften kamen in dem Wasser, der Erde und der Luft dieses Lebens genährt voll zur Entfaltung – die helfende Hand gegenüber Waisen und Mittellosen; er sah sie in ihrer Not und nahm sich ihrer an. Später, auf dem Höhepunkt seiner Berufung, wich er nicht auch nur ein Jota von seiner ursprünglichen Haltung ab und lebte seine Art zu leben fortwährend konsequent aus – eine Persönlichkeit, die ihresgleichen sucht. Zeitlebens kam kein Tadel gegenüber Waisen über seine Lippen und er wies niemanden zurück, der sich mit einer Bitte an ihn wandte. Denn dies war ihm von Gott persönlich so bestimmt und aufgetragen worden:

„Hat Er dich nicht als Waisenkind vorgefunden und (dir) Obdach gewährt? Und fand Er dich nicht ohne Rechtleitung (durch Gottes Propheten) vor und leitete (dich) recht? Und fand Er dich nicht bedürftig und machte dich unabhängig? Was das Waisenkind angeht, unterdrücke es nicht; und was den Bittenden angeht, so schelte ihn nicht und weise ihn nicht ab. Und was die Gnade deines Herrn angeht, so verkünde sie!“23

Obgleich mein Vater schon vor Jahren verstorben ist, befehle ich ihn, wann immer ich diese Sure lese, dem Gesandten Gottes wie einem Fürsprecher an und spreche zu diesem großen Geist, damit er mich nicht zurückweist, die Worte: „Hier ist ein Waisenkind an Deiner Pforte! Bitte weise dieses elternlose Kind nicht zurück!“

a. Bei Abdulmuttalib

Abdulmuttalib bemerkte schon sehr früh den prophetischen Geist in Muhammed. Die Tage mit ihm vergingen stets gesegnet und glücklich. Er sorgte dafür, dass er sich in der Gemeinschaft von Älteren und Erfahreneren aufhielt und ließ ihm Ehre und gastfreundliche Bewirtung zuteilwerden.24 Er sah in ihm die Befreiung der Menschheit. In den Augen des Gesandten Gottes war eine Tiefe, die in den Augen anderer nicht zu erkennen war. Vielleicht hatte Luʾey, dem von seinen Vorvätern überliefert wurde, er sei ein Prophet, verkündet, dass aus der eigenen Generation ein Prophet aufstehen würde, und Abdulmuttalib hat gestützt auf diese frohe Kunde bemerkt oder verspürt, dass der Gesandte Gottes dieser Prophet sein würde. Man kann sogar sagen, dass er seinen Enkel deshalb so überschwänglich liebte und eifersüchtig über ihn wachte. Als der Tag seines Todes gekommen war, weinte dieser große Mann bitterlich, da er doch von nun an Muhammed nicht mehr liebevoll an sein Herz werde schließen können. Man bedenke: Diesen großen Mann, der angesichts der Armee des Abraha nicht ins Wanken geriet und auch jahrelang während der Fidjār-Kriege (581–90)25, ohne mit der Wimper zu zucken, gegen Heerscharen feindlicher Armeen kämpfte, rührte der Gedanke daran, von seinem geliebten Enkel getrennt zu werden, zu bitteren Tränen, und er weinte wie ein Kind. Hiermit war die Vormundschaft des Abdulmuttalib beendet, und er schloss für immer die Augen. Von nun an würde sich die „einzigartige Perle“ (dürr-i yektā)26 in der Obhut des Ebū Talib befinden.

b. Bei Ebū Talib

Ebū Talib hielt Wort. Er sorgte nahezu 40 Jahre für den Gesandten Gottes und unterstützte ihn. Seine Güte blieb nicht ohne Lohn. Gott der Wahre gab ihm ein besonderes Kind: den ehrenwerten Ali – möge Gott an ihm Gefallen finden. Jede Generation von Propheten wird in sich fortgeführt. Die Generation des Gesandten Gottes hingegen sollte über den ehrwürdigen Ali fortgeführt werden. Es heißt, dass dem Propheten sogar eine entsprechende Überlieferung zugeschrieben wird.27

Der ehrwürdige Ali – möge Gotte an ihm Gefallen finden – repräsentiert die Stellung und Würde der Gottesfreundschaft (wilāyet) des Hauptes der zwei Welten. Er ist gewissermaßen die Krone aller Gottesfreunde. Er ist der Sultan der Sultane, der heldenhafte Schah, der Löwe Gottes (haydar-i kerrār), der Schwiegersohn des Propheten; Ali, der Gottes Wohlgefallen erlangte (‘Aliyyul’l-murtaḍā), dem sich alle, die sich bis zum Jüngsten Tag auf dem Weg Gottes befinden, und alle herausragenden Persönlichkeiten voll Wertschätzung erinnernd unterwerfen – er war für Ebū Talib gleich einem Geschenk und einer Belohnung für dessen Großzügigkeit dem Gesandten Gottes gegenüber.

Ebū Talib war wie sein Vater Abdulmuttalib lediglich ein scheinbarer Grund. Der wahre Grund, der ihn eigentlich in seine Obhut nahm und heranzog, war Gott. Gott sorgte einerseits dafür, dass diese außergewöhnliche Persönlichkeit in den Rang eines Propheten aufstieg, um andererseits die Gesellschaft in einen Zustand zu versetzen, in dem sie den Propheten annehmen konnte. Jeden Tag mehrten sich die Hinweise auf seine Berufung, und Muhammed – Friede sei mit ihm – wahrte seine erhabene Stellung als jemand, der stets in aller Munde war und den jeder gut kannte.

D. SEINE REISEN

1. Die Reise nach Damaskus und der Mönch Bahīra

Die Sira-Literatur28 berichtet davon, dass der Gesandte Gottes seine erste Reise mit seinem Onkel Ebū Talib unternahm, als er gerade einmal 12 Jahre alt war. Diese Reise führte ihn nach Damaskus. Die Karawane legte eine Rast ein, und der Gesandte Gottes wird zurückgelassen, um auf die Karawane achtzugeben. Die anderen Reisenden ziehen sich in eine Herberge zurück, um sich auszuruhen. Eine Begebenheit erregte die Aufmerksamkeit des Mönchs Bahīra (auch fälschlicherweise als „Buhayra“ bezeichnet), der die Ankunft der Karawane beobachtete. Über der Karawane stand eine Wolke, und diese Wolke folgte der Karawane auf Schritt und Tritt – stand die Karawane still, stand auch die Wolke still, setzte sich die Karawane in Bewegung, folgte ihr auch die Wolke.

Daraufhin lud Bahīra die Reisenden zu einem Mahl ein. Bahīra interessierte sich eigentlich nie für Karawanen, daher rief sein Vorgehen allseits Verwunderung hervor. Bis auf den Propheten folgten alle seiner Einladung. Der Mönch fand jedoch unter den Gästen nicht den, den er suchte. Er fragte daher, ob jemand bei der Karawane geblieben sei. Als er hörte, dass ein junger Mann bei der Karawane sei, ließ er auch ihn rufen. Sobald er ihn erblickte, fällte er sein Urteil und fragte Ebū Talib, wer dies sei. Der Antwort Ebū Talibs „mein Sohn“ konnte er nicht recht Glauben schenken, denn nach seiner Einschätzung musste es sich um ihn handeln. Sein Vater muss bereits vor seiner Geburt verstorben sein. Später nahm er Ebū Talib beiseite und riet ihm dringend, die Reise nicht fortzusetzen, denn die Juden seien – seiner Auffassung nach – missgünstige Menschen. Sie könnten aus dem Angesicht des Jungen ablesen, dass er der letzte Prophet sei, und da er nicht aus ihren Reihen kommt, könnten sie ihm Böses wollen. Daher sagte er zu Ebū Talib: „Setzte diese Reise nicht fort.“ Ebū Talib hört auf ihn. Er findet eine Ausrede, entfernt sich von der Karawane und kehrt nach Mekka zurück.29

Bahīra sprach die Wahrheit. Was er jedoch nicht wusste, war, dass Gott den Propheten beschützte und ihn bis zum Ende seines Lebens behüten würde. So drückt es auch der Vers aus: „O du Gesandter! Gott wird dich gewiss vor den Menschen beschützen.“30 Ja, das sagte der Herr zu ihm und Er würde sein Wort halten.

2. Die zweite Reise nach Damaskus