Stimme des Herzens - M. Fethullah Gülen - E-Book

Stimme des Herzens E-Book

M. Fethullah Gülen

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Beschreibung

Was sind die Grundlagen eines begründeten Glaubens? Was ist der Geist hinter allem Wirken? Wie gewinnt man Kritikfähigkeit und vermeidet Extremismen? Wie lassen sich der soziale Geist, geistige Bildung, gute Nachbarschaft und Glück und Zufriedenheit im Privaten erreichen? Wie geht man mit Egoismus und Zwietracht um? Diesen und ähnlichen Fragen widmet sich das vorliegende Buch von M. Fethullah Gülen, eine wichtige Stimme des Herzens und der Vernunft unserer Gegenwart. Der Autor lädt die Leserschaft zu einer intellektuellen Reise ein, die sich von den Tiefen der menschlichen Veranlagung über die individuelle Vervollkommnung bis hin zum gesellschaftlichen Engagement erstreckt.

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Stimme des Herzens

Der gebrochene Krug I

M. Fethullah Gülen

Copyright © Define Verlag, Berlin, 2020

Es ist nicht gestattet, Teile dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder in PCs/Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Vorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Erschienen im Define Verlag

Linemarketing GmbHWilhelmstr. 26-30 Haus 24 - 13593 Berlin +49 69 / 83-83-8000

www.deinbuchshop.de

TEIL A:

Religionsgrundlagen

1. Tiefe Kontemplation

Ein Mensch, der bewusst lebt, zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er zu tiefer Kontemplation fähig ist. Was ist darunter genau zu verstehen, wie lässt sich das erreichen?

Tiefe Kontemplation bedeutet, dass man sich selbst auferlegt, über die eigene Innenwelt nachzudenken, dass man Gegebenheiten und Geschehnisse permanent prüfend hinterfragt und dass man sich bedeutungsvolleren und tieferen Gedanken öffnet, indem man die Dinge aus immer neuen Blickwinkeln betrachtet. Das ursprüngliche arabische Wort tefekkur ist ein Verbalsubstantiv und ließe sich auch übersetzen mit: sich selbst eine Last auferlegen, oder mit anderen Worten: sich ernsthaft darum bemühen und die nötige Willenskraft aufbringen, etwas zu erkennen. Berücksichtigt man seine Wortbildung, so steht der Begriff tefekkur für einen systematischen, tiefgründigen, andauernden Denkprozess, nicht jedoch für eine simplere Form des Denkens.

Der Koran legt uns aktives Nachdenken nahe

Die tiefe Kontemplation gehört zu den grundlegenden Lehren des Islams. Viele Verse des Korans schließen mit einem Verweis darauf, nachdem zum Beispiel die Himmel, der Regen, die Pflanzenwelt, Wolken, Wind und Sterne, die Atmosphäre, die Erschaffung der Lebewesen, die Ernährung der Menschen und anderes erwähnt wurden. Somit wird diese Erwähnung unterschiedlichster Zeichen Gottes sowohl aus der äußeren Welt als auch aus der inneren Welt im Koran stets mit dem Thema der tiefen Kontemplation verknüpft. Beispielsweise spricht der Allmächtige zunächst von der Erschaffung der Himmel und der Erde, von der Verkürzung und Verlängerung von Nacht und Tag, vom Dahinsegeln von Schiffen auf dem Meer zum Wohle der Menschheit, von Seiner Wiederbelebung der ausgedörrten Erde durch das Herabsenden von Regen, von der Erschaffung verschiedener Lebensformen auf der Erde, von den Bewegungen der Winde und Wolken, die zwischen Himmel und Erde auf Gottes Befehle warten (jederzeit bereit, Seine Anweisungen entgegenzunehmen); und zum Schluss erinnert Er daran, dass für Menschen, die ihren Verstand gebrauchen (El-Baqara, 2:164), in alledem Hinweise auf die Existenz und Einheit Gottes verborgen sind. Ähnliche Verse gibt es viele im Koran. Einige von ihnen enden mit einer Akzentuierung des Denkens, einige mit einer Akzentuierung des Reflektierens, einige mit einer Akzentuierung des Wissens. Diese Akzentuierungen unterscheiden sich im Detail, meinen aber im Grunde das Gleiche, nämlich, dass der Mensch über die Zeichen, die Gott in der äußeren und inneren Welt erschaffen hat, nachdenken sollte, dass er dafür seinen Verstand gebrauchen und in tiefe Kontemplation eintauchen sollte.

Die Tatsache, dass so viele Verse am Ende betonen, dass (in all dem) Zeichen sind für Menschen, die ihren Verstand gebrauchen, beinhaltet aber noch eine weitere Botschaft: Indem der Koran die Bedeutung der tiefen Kontemplation mit einer Präsensform im Arabischen unterstreicht, lenkt er unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf das aktive Denken. Das passive Denken hingegen erwähnt er an keiner Stelle. Im Gegenteil, indem er die zeitlich unbegrenzte Kontemplation anspricht, legt er uns nahe, neben der Vergangenheit auch über die Gegenwart und die Zukunft nachzudenken. Wenn die tiefe Kontemplation also als ein Akt beschrieben wird, der permanenter Wiederholung bedarf, dann ruft der Koran die Gläubigen auf diese Weise dazu auf, die Gegenwart und die Zukunft nicht unabhängig von der Vergangenheit zu betrachten; und Bindeglieder zur Vergangenheit sind Vernunft und Logik. Gegenwart und Zukunft sollten durch tiefe Kontemplation destilliert werden. Dazu gilt es, alle erforderlichen Schritte auf dem Boden der Vernunft zu unternehmen. Die Tatsache, dass das aktive Denken so im Fokus steht, belegt auch, dass es wichtig ist, regelmäßig in tiefe Kontemplation einzutauchen. Daneben möchte ich an dieser Stelle noch einen weiteren Punkt ansprechen. In Koranübersetzungen wird das arabische Wort yaʿqilūn häufig mit „nachdenken“ übersetzt. Doch diese Übersetzung wird der Bedeutung im Arabischen nicht hundertprozentig gerecht. Auch wenn es keine bessere Alternative geben mag, spiegelt sie die ursprüngliche Bedeutung nur unzureichend wider. Gegebenenfalls könnte man sich ausführlicherer Formulierungen bedienen, zum Beispiel: durch den Gebrauch des Verstandes Einsicht in Gegebenheiten und Geschehnisse gewinnen; durch Kontemplation Früchte ernten, an die der Verstand heranreichen kann; die Schöpfung mittels der Vernunft prüfen etc.

Keine Selbsterkenntnis ohne Kontemplation

In Anbetracht der Tatsache, dass Gott an so vielen Stellen im Koran auf Denken und Kontemplation verweist, sollten gläubige Menschen ihren Verstand gebrauchen und sowohl ihre Innenwelt als auch ihre Außenwelt gründlich erforschen. In seinem Buch Der Mensch, das unbekannte Wesen stellt Alexis Carrel (Nobelpreisträger für Medizin von 1912) bezüglich der Innenwelt des Menschen fest, dass man dem Menschen selbst dann Respekt und Ehrfurcht zollen müsse, wenn man ihn ausschließlich aus einer physiologischen und anatomischen Perspektive betrachte. Seine innere und äußere Struktur ist so vollkommen, dass man, wenn man sich vor jemand anderem als Gott niederwerfen sollte – um das Unmögliche anzunehmen –, dies vor dem Menschen tun müsse. Gott duldet nicht, dass man sich vor jemand anderem als Ihm niederwirft. Die Niederwerfung der Engel vor Adam war lediglich eine Prüfung, die den feinen Punkt des Gehorsams gegenüber Seinen Befehlen verdeutlichen sollte. Darüber hinaus weist die Position des Propheten Adam als (richtungangebende) Gebetsnische1 der Niederwerfung vor Gott ebenfalls darauf hin, dass kein anderes Geschöpf einen so erhabenen Rang und so ausgezeichnete, besondere Qualitäten besitzt wie er. Adam war in gewisser Weise der Schnittpunkt von Materie und Geist, von physischer und spiritueller Sphäre. Oder anders ausgedrückt, er war ein umfassender Spiegel für die Gesamtheit der Namen Gottes. Wer also beginnen möchte, dieses vollkommene Wesen mit all seinen körperlichen und geistigen Aspekten zu studieren, wird nicht umhinkommen, in tiefe Kontemplation einzutauchen. Ob in Bezug auf Körperteile wie Hände, Füße, Ohren, Nase, Zunge oder Lippen oder im Hinblick auf seine Essenz – der Mensch gleicht einem perfekten Buch, das seine Leser zum Nachdenken anregt, sofern es nur richtig gelesen wird. Der Mensch ist mit einem großartigen System ausgestattet, das alle Anforderungen erfüllt. Eine nähere Betrachtung seiner fleischlichen Seele (nefs), seines Herzens, seiner Gefühle, seines Wissens um sein Bewusstsein und seiner Fähigkeit, Willenskraft aufzuwenden, legt diese Erkenntnis nahe. Weil der Mensch das Steuer dieses Systems in den eigenen Händen hält, weil er selbst es lenkt und weil niemand es besser kennt als er – schließlich hat er seinen Thron am zentralen Punkt dieses Systems aufgestellt –, ist er auch derjenige, der es am besten zu verstehen vermag. Wer sich nach innen wendet und über die physischen und spirituellen Aspekte des Menschen nachdenkt und sich in diesen Gedanken vertieft, wird anschließend auch seine Außenwelt mit neuen Augen betrachten, so wie die Menschheit einst ins All aufbrechen konnte, nachdem sie sich ein genaues Bild von der Erde gemacht hatte. Oder um es anders auszudrücken: Wer nach eingehender Erforschung seiner selbst erkannt hat, dass Gott nichts vergeblich erschaffen hat, wird auch in seiner Außenwelt die unterschiedlichsten Beispiele für Weisheit erkennen, ähnlich wie Bienen, die mit verschiedenen Essenzen Honig nach Hause zurückkehren. Die Dynamik der Kontemplation führt uns vor Augen, wie machtlos und beschränkt wir sind und wie wichtig es ist, dankbar zu sein. Sie sorgt dafür, dass wir der Schöpfung mit mehr Mitgefühl begegnen und uns mit noch mehr Begeisterung in den Dienst Gottes stellen.

1 Kaaba (Anm. d. Red.).

2. Aufmerksame Betrachtung

Bediuzzaman spricht von vier Worten beziehungsweise Begriffen, deren Sinn er im Laufe von vierzig Jahren seines Lebens erfasst habe; einer davon sei die „aufmerksame Betrachtung“ (naẓar) gewesen. Was genau hat es damit auf sich, wodurch zeichnet sie sich aus?

In seinem Werk Al-Mathnawi al-Nuri (Saatbeet des Lichts) spricht Bediuzzaman vier wichtige Begriffe an: maʿnā-yi ismī (für sich selbst stehende Bedeutung), maʿnā-yi harfī (Bedeutung, die sich aus dem Kontext ergibt), Absicht und aufmerksame Betrachtung.2 Da diese Begriffe eng miteinander verbunden sind, wenden wir uns zunächst kurz den ersten drei zu, bevor wir dann zu unserem eigentlichen Thema kommen.

Maʿnā-yi ismī und maʿnā-yi harfī

Diese beiden Begriffe entstammen der arabischen Grammatik. Jedes ism (Substantiv) besitzt eine eigene Bedeutung. Wenn man es ausspricht, versteht der Gesprächspartner, was es meint. Ein harf hingegen ist ein Wort oder Wortteil, das für sich allein über keine eigene Bedeutung verfügt, er kann ohne Kontext nicht verstanden werden. Präpositionen wie „mit“, „von“, „nach“ oder „in“ beispielsweise sind auf ein Bezugswort angewiesen. Sie ergeben nur dann einen Sinn, wenn sie mit anderen Worten verknüpft sind. Bediuzzaman widmet sich den Begriffen djuz (Teil) und kull (Ganzes) sehr eingehend, und in diesem Zusammenhang interpretiert er auch die Konzepte maʿnā-yi harfī und maʿnā-yi ismī neu, die in seinen Augen Schlüsselkonzepte für die Interpretation des Seins sind. Er hält es für falsch, aus der maʿnā-yi ismī-Perspektive auf das Universum zu schauen, das heißt, die Dinge als separate Einheiten oder als bloße Produkte von Ursachen zu betrachten. Stattdessen plädiert er dafür, sich anzusehen, worauf die Dinge im Universum verweisen: Die Segnungen, die uns zuteilwerden, sollten uns an denjenigen erinnern, der sie uns sendet, die Schönheit und Kunstfertigkeit in der Schöpfung sollten uns den Wahren Künstler und die Ursachen den Wahren Erschaffer dieser Ursachen ins Gedächtnis rufen.

Die Absicht verändert das Wesen des Handelns

Die Absicht vergleicht Bediuzzaman mit einem Elixier, das alltägliche Gewohnheiten und Handlungen in Gottesverehrung und Dienst verwandelt, und mit einem Geist, der trostlosen Zuständen neues Leben einhaucht, indem er sie mit der Anbetung verknüpft. Er macht außerdem geltend, dass die Absicht sogar darüber entscheiden kann, ob es sich bei einer Tat um eine gute oder eine schlechte Tat handelt. Auch wer eine falsche Entscheidung trifft, darf auf spirituellen Lohn hoffen, sofern dieser Entscheidung eine aufrichtige Absicht zugrunde lag. Es gibt bestimmte Punkte in der Religion, deren Klärung dem Fluss der Zeit überlassen ist. Wenn Zeiten und Umstände Ungewissheiten entstehen lassen, müssen Disziplinen und Grundsätze „in die Bresche springen“, die im Einklang mit dem Geist der Religion stehen. Dann schlägt die Stunde des idjtihāds (dem Ableiten von Rechtsurteilen aus den fest verwurzelten Prinzipien von Koran und Sunna zur Anpassung an neue Umstände) und der mudjtehidun (Sing. mudjtehid, der Gelehrten, die dazu fähig sind, neue Regeln abzuleiten). Der mudjtehid wird für seine aufrichtige Absicht selbst dann belohnt werden, wenn er nicht die richtigen Entscheidungen trifft.

Wenn jemand hingegen nicht um des Wohlgefallens Gottes willen handelt, sondern um seinen eigenen Ruhm zu mehren oder um unter Beweis zu stellen, wie mutig, großzügig und kenntnisreich er ist, lädt er damit eher Sünden auf sich, als auf eine Belohnung hoffen zu dürfen. Man denke nur an das Hadith aus der Sammlung Ṣaḥīḥ el-Buḫārī, in dem drei unglückselige Männer dazu aufgefordert werden, vor Gott Rechenschaft abzulegen. Der erste zog ins Feld, um andere Menschen mit seiner Tapferkeit zu beeindrucken. Der zweite spendete für wohltätige Zwecke, um für seine Großzügigkeit geschätzt zu werden. Und der dritte bemühte sich nach Kräften, als großer Gelehrter bewundert zu werden. Für Menschen, die beim Verfassen von Artikeln und Büchern große Reden schwingen und sich an ihrer Redekunst berauschen, ist die Anerkennung ihrer Mitmenschen alles, was zählt; vor dem Wohlgefallen Gottes verschließen sie die Augen. Wer aus so simplen und verachtenswerten Motiven heraus handelt, ähnelt einem Ignoranten, der einen unbezahlbaren Edelstein aus den Händen gibt und gegen ein Stück Roheisen eintauscht. Wer sich hingegen darum bemüht, eine so unermesslich wertvolle Belohnung wie das Wohlgefallen Gottes zu erlangen, wird für seine Bemühungen ganz andere Früchte ernten dürfen.

Aufmerksame Betrachtung und Erkenntnisfähigkeit

Was nun den Begriff der aufmerksamen Betrachtung anbelangt, so geht es vor allem darum, zu lernen, auf welche Weise man die Dinge betrachten sollte. Zwischen Hinsehen und Erfassen besteht bekanntermaßen ein großer Unterschied. Wenn man sich etwas zwar mit offenen Augen, aber unaufmerksam und gedankenlos anschaut, wird man es kaum wirklich wahrnehmen können. Wer zum Beispiel geistesabwesend auf ein Bücherregal starrt, wird kaum registrieren, welche Bücher und Schriften darin stehen, welche Farben ihre Einbände haben und wie sie angeordnet sind, selbst wenn das Regal direkt vor ihm steht. Etwas wirklich zu erkennen, ist etwas völlig anderes, als es einfach nur vor sich zu sehen; etwas wirklich zu erkennen bedeutet, das Objekt, das man anschaut, zu erfassen und es sich bewusst zu machen.

Eine weitere Dimension der aufmerksamen Betrachtung betrifft die Frage, was man betrachtet und mit welcher Haltung man es betrachtet. Menschen zum Beispiel, die sich in ihren Betrachtungen ausschließlich an jenen Kriterien orientieren, die für den dreidimensionalen Raum gelten, können viele Dinge nicht sehen, gewahren und fühlen. Vor längerer Zeit kursierte einmal die Bemerkung eines Kosmonauten in den Medien, er sei über die Erde hinweggeflogen, habe aber keine Spur von Gott entdeckt. Der berühmte Dichter Necip Fazil beantwortete diese irrige Sichtweise mit den Worten: „Du Narr, wer hat dir denn erzählt, dass Gott ein Ballon im Weltraum ist!“ Wer versucht, den Allmächtigen, der jenseits von Zeit und Raum steht, wie einen materiellen Gegenstand im Himmel aufzuspüren, wird nie zur Wahrheit finden. Aus diesem Grunde sei betont, dass die Unfähigkeit zur aufmerksamen Betrachtung dem Glauben nicht weniger abträglich ist als Faktoren wie Arroganz, Fehlverhalten oder [blinde] Imitation der Vorfahren.

Auf der anderen Seite legt das ganze Sein auf jede nur erdenkliche Weise Zeugnis von der Existenz und Einheit Gottes ab. Bediuzzaman kleidet diese Wahrheit in seinem Werk Al-Mathnawi al-Nuri in folgende Worte:

„Denke darüber nach, welchen Linien das Universum folgt, sie sind Botschaften für dich vom höchsten Gremium.“

Eine materialistische, naturalistische und positivistische Sicht auf das Universum macht es unmöglich, die Stimme der Schöpfung zu hören, die den Schöpfer mit Millionen von Zungen lobpreist. Menschen, die das Universum aus einer solchen Perspektive betrachten, mögen es noch so akribisch untersuchen und noch so genau hinschauen – sie werden nichts erkennen, können nicht über die an der Oberfläche sichtbare Realität hinausschauen und argumentieren stets naturalistisch. Mit anderen Worten: Weil sie nicht wissen, was sie betrachten sollen und mit welcher Haltung sie die Dinge betrachten sollen, fällt es ihnen schwer, ihre Studiengegenstände bis zu ihrem wahren göttlichen Ursprung zurückzuverfolgen. Bediuzzaman präsentiert in einer imaginären Debatte mit dem Satan über den Koran einen Standpunkt, der für unser Thema wichtig ist. Er verweist darauf, dass jeder, der dem Koran Folge leistet, ihn auch gleichzeitig als Wort Gottes anerkennen muss. Denn wer ihn lediglich als einen Textkörper betrachtet, der aus menschlichen Worten besteht, würdigt ihn herab: von einem Buch aus dem Himmel zu einem simplen Schriftsatz. Es stimmt, der Koran ist tatsächlich das Wort Gottes, offenbart in verständlicher Form als Segen für die Menschheit. Doch um Gottes Botschaft aus dem Jenseits in ihrer ganzen Tiefe und Weite durchdringen zu können, muss man sie mit der richtigen Herangehensweise betrachten.

Ein ganzheitlicher Blick

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Notwendigkeit, die Schöpfung und die Phänomene in der Natur ganzheitlich zu betrachten. Eine solche ganzheitliche Betrachtungsweise darf auch als vervollkommnete Betrachtungsweise bezeichnet werden. Allerdings ist es nicht einfach, sich eine ganzheitliche Betrachtungsweise anzueignen, insbesondere dann nicht, wenn man über die äußere Welt nachdenkt. Aus diesem Grund schlägt Bediuzzaman vor, in der Reflexion (tefekkur) „tief in die eigene Innenwelt vorzustoßen und die äußere Welt aus ganzheitlicher Perspektive zu betrachten“. Das heißt, dass man sich selbst besser kennenlernen kann, wenn man sich im Licht der Medizin mit der eigenen Anatomie und Physiologie befasst, als wenn man auf andere Menschen schaut. Wenn man sich beispielsweise ganz bewusst vor Augen führt, welche Systeme im eigenen Körper aktiv sind, wird man wahrscheinlich erkennen, welch absolute Macht und welch unendliches Wissen sich hinter dieser wunderbaren Ordnung und ihrer schwindelerregenden Harmonie verbirgt. Wer auf diese Weise tief in die eigene Innenwelt eindringt und dem Herzen, der Seele und den anderen geheimnisvollen subtilen menschlichen Veranlagungen nachspürt, die unser spirituelles Wesen ausmachen – sirr (Mysterium), khafī (eine Veranlagung, die noch feinsinniger ist als das Mysterium), achfā (die feinfühligste aller Veranlagungen) –, wird hören können, was ihm sein Herz und seine Gefühle zu sagen haben, und realisieren, über welche Willenskraft er verfügt und was Gewahrsein wirklich bedeutet. Wer über sich selbst und seine physischen und metaphysischen Dimensionen (mulk und melekūt) nachdenkt und reflektiert, wird auf großartige und tiefgründige Wahrheiten stoßen. Im Hinblick auf das Universum wiederum gilt es, das Gesamtbild nicht aus dem Auge zu verlieren. Bediuzzaman zufolge ist Wissen, das in der äußeren Welt erworben wird, zwangsläufig von Zweifeln belastet – ganz im Gegensatz zu Erkenntnissen, die in der eigenen Innenwelt erworben werden; diese seien frei von Misstrauen und Argwohn. Somit sei es sinnvoll, vom Zentrum aus auf die Peripherie zu schauen, oder mit anderen Worten: von innen nach außen.

Es fällt den Menschen leichter, das Universum wie mit einem Fernglas durch ihre eigene Innenwelt zu betrachten, weil sie auf diese Weise erkennen, dass in der äußeren Welt die gleichen Gesetze gelten wie in der inneren Welt. Wer sich an diese Vorgehensweise hält, wird also zunächst die eigene Innenwelt ausloten, dann herausfinden, dass auch alle Systeme in der äußeren Welt von einer unendlichen göttlichen Macht abhängig sind und dass das große Buch namens Universum Seinen Regeln folgt, und schließlich die äußere Welt in ihrer Gesamtheit erfassen können.

2 Bediuzzaman, Al-Mathnawi al-Nuri, New Jersey 2007, S. 67.

3. Seele und Gewissen

Was charakterisiert die Seele (nefs) und das Gewissen (widjdān), die ja beide eine zentrale Rolle im Leben des Menschen spielen?

Das Wesen des Menschen zeichnet sich zum einen durch materielle und zum anderen durch immaterielle Aspekte aus. Auf die gleiche Dichotomie verweisen, wenngleich in Nuancen leicht abweichend, Wortpaare wie engelhaft – satanisch, spirituell – moralisch, körperlich –geistig oder triebgesteuert – gewissengesteuert. Für unsere Belange dürfte es sinnvoll sein, die spirituellen und materiellen Aspekte des Menschseins isoliert voneinander als unabhängige Mechanismen zu behandeln und zu bewerten. Ich ziehe es vor, den moralischen Aspekt als Mechanismus des Gewissens (widjdān) und den materiellen Mechanismus als Mechanismus der Seele (nefs) zu bezeichnen.

Der Mechanismus, den wir das Gewissen nennen, setzt sich aus den innersten spirituellen Veranlagungen zusammen: Herz, Geist, sirr (Mysterium), ḫafī (eine Veranlagung, die noch feinsinniger ist als das Mysterium), achfā (der feinfühligsten aller Veranlagungen), Willenskraft, Auffassungsvermögen und Bewusstsein sowie aus Gefühlen und Empfindungen. Und alle Arten von Begierden und Launen, Trotz, Hass, Wut und Sturheit – Eigenschaften, mit denen der Mensch aus bestimmten Gründen und zu bestimmten Zwecken ausgestattet ist – bilden den Mechanismus der Seele (nefs). Diese beiden Mechanismen arbeiten fast immer gegeneinander. Aber wenn es dem Mechanismus des Gewissens gelingt, den Mechanismus des Diktier-nefs zu unterwerfen, dann verwandelt sich auch dieser in einen positiven Mechanismus, der uns dabei hilft, zu reifen und uns weiterzuentwickeln. Wie von den Sufis beschrieben, kann der Mechanismus der Seele durchaus zu einem nützlichen Instrument werden, sofern es die Seele schafft, aus ihrem emmāra (diktierend)genannten Zustand, in dem sie lediglich Böses gebietet, auszubrechen und höhere Rangstufen zu erklimmen, auf denen sie sich selbst anklagt (nefs lewwāme – bereuend), Inspirationen empfängt (nefs mulheme), zu innerer Gelassenheit und Frieden findet (nefs mutmaʾinne), mit Gott zufrieden ist (nefs rādiyye), das Wohlgefallen Gottes erlangt (nefs mardiyye) und sich schließlich vervollkommnet und reinigt (nefs safiyye). Daher reicht es nicht aus, den Menschen nur spirituell zu unterweisen und ihn in der Wahrnehmung allein auf sein Gewissen zu reduzieren.

Nehmen wir beispielsweise die Begierde. Wird diese Empfindung nur um ihrer selbst willen befriedigt, so wird sie nichts Gutes hervorbringen. Genau das tut sie aber durchaus, wenn ihr in einem statthaften Rahmen nachgegeben wird, das heißt: zwischen verheirateten Ehepartnern, deren Liebe zueinander und eheliche Beziehungen belohnt werden. Als die Gefährten des Propheten Muhammed – Friede sei mit ihm – überrascht waren, das von ihm zu hören, erklärte er ihnen: „Wenn jemand seinen Begierden außerhalb des statthaften Rahmens freien Lauf lässt, tut er oder sie damit Unrecht. Aber wenn er oder sie sich an diesen statthaften Rahmen hält, tut er kein Unrecht.“ Das Vermeiden von Unrecht verspricht genauso großen Lohn wie die Erfüllung einer Pflicht. Dies ist eine sehr logische Erklärung, da sie ganz im Einklang mit der menschlichen Natur steht. Die Begierde ist also Teil des Mechanismus der Seele, kann uns aber trotzdem dienlich sein.

Sämtliche Sinnesempfindungen, die zum Mechanismus der Seele gehören, dürfen als Vorgeschmack auf die Verheißungen des Paradieses gedeutet werden. Manche Dimensionen des Paradieses lassen sich durch die Gefühle und Sinne erfahren, die dem Gewissen zuzurechnen sind, andere wiederum durch Empfindungen, die zum Mechanismus der Seele gehören – vorausgesetzt, diesen Empfindungen werden Zügel angelegt. Vielleicht ist dies ja einer der Gründe dafür, dass das Paradies sowohl den Geist bzw. die Seele als auch den physischen Körper ansprechen soll. (Als Randbemerkung sei mir gestattet zu erwähnen, dass es Sinn macht, Adams Erschaffung aus Erde, Lehm, Ton oder Ähnlichem dahingehend zu interpretieren, dass sie uns über die menschliche Natur Aufschluss geben soll. Davon auszugehen, dass der Ton und der Lehm dieser uns bekannten Welt gemeint sind, wäre sicherlich zu oberflächlich gedacht.)

Nehmen wir als weiteres Beispiel die Empfindung Wut oder Zorn. Zorn hat die Macht, Menschen zu verderben. Er kann sie sogar zu Mördern machen, zu Pharaonen, an deren Herzen und Köpfen, Händen und Augen Blut klebt. Aktiviert man seinen Zorn jedoch in Momenten, in denen man ihn wirklich benötigt, etwa in einem Ausnahmezustand bei der Verteidigung von Leben und Nation, so wird man dafür zu Recht gelobt und belohnt werden. Ein solcher Zorn wird von Gott gutgeheißen und nicht weniger geschätzt als beispielsweise Sanftmut. Wer sich einmal vor Augen führt, welch hohe Stufe wir schon dadurch erklimmen können, dass wir von unseren irdischen Dispositionen auf korrekte Art und Weise Gebrauch machen, wird sich auch leicht vorstellen können, welche Möglichkeiten uns erst offenstehen, wenn wir unser Gewissen richtig handhaben. Selbst die irdischen Dimensionen unseres Seins ermöglichen uns, auf die Rangstufen der Engel aufzusteigen. Und wenn wir uns zusätzlich noch unser Gewissen zunutze machen, können wir sogar diese Stufen hinter uns lassen. Denn die Willenskraft der Engel beschränkt sich darauf, dass sie zwischen Alternativen wählen, die allesamt gut sind. Wir Menschen hingegen müssen uns entscheiden, ob wir das Gute oder das Schlechte wählen. Da sich der Lohn immer nach der Schwere der Aufgabe bemisst, stehen Menschen, die sich allen Versuchungen zum Trotz für das Gute entscheiden, auf einer höheren Rangstufe als die Engel.

Das Wort Gewissen (widjdān) entspringt im Arabischen derselben Wortwurzel wie das Wort „finden“. Der Mensch bedient sich seines Gewissens, um zu sich selbst und zu seinem Herrn zu finden. Hunderte von Gelehrten – von den großen Persönlichkeiten des islamischen Denkens wie Imam Rabbani, Imam Ghazzali, Rumi und Bediuzzaman bis hin zu vielen Koryphäen der westlichen Welt – haben sich dem Thema menschliches Gewissen über ihre ganz persönlichen inneren Entdeckungen und Wahrnehmungen genähert. Diese inneren Entdeckungen und Wahrnehmungen erscheinen mir sehr wichtig. Gottesfreunde erhalten Zugang zu ihrem Gewissen, indem ihnen tief im Herzen bestimmte Wahrheiten enthüllt werden. Denker und Philosophen hingegen erhalten diesen Zugang durch Wahrnehmung und Intuition. Interessanterweise stimmen beide Gruppen darin überein, dass das Gewissen niemals lügt. Auch Bediuzzaman zählte das Gewissen in seinen früheren Werken zu den wichtigsten und augenscheinlichsten Beweisen für die Existenz Gottes. Später hingegen distanzierte er sich von dieser Ansicht, da er der Meinung war, dass das Gewissen nicht die Objektivitätskriterien erfülle, sondern eher als subjektiv zu bewerten sei. Tatsächlich ist nicht jeder Mensch dazu in der Lage, die kryptische Sprache des Gewissens zu verstehen; also kann es nicht als objektiver Beweis herhalten. Aber für diejenigen, die seiner Sprache mächtig sind, ist das Gewissen der größte und stärkste aller Beweise. Keine andere Information und keine noch so große Ansammlung von Wissen führen auf eine höhere Stufe des Gewahrseins.

Wer aber der Sprache des Gewissens mächtig ist, wird in aller Deutlichkeit realisieren, dass wir Menschen macht- und mittellos sind. Und diese Erkenntnis wird ihn dazu veranlassen, voll und ganz auf Gott den Allmächtigen zu vertrauen und sich bei allen seinen Wünschen an Ihn zu wenden. Je klarer uns wird, dass wir auf Unterstützung angewiesen sind, desto klarer wird uns auch, dass eine Instanz existieren muss, die uns diese Unterstützung bieten kann. Sonst wäre es ja absurd gewesen, uns als hilfsbedürftige Wesen zu erschaffen, und im Universum gibt es keine Absurditäten. Zu jeder menschlichen Empfindung existiert ein Gegenstück, und so werden auch diese Punkte im Gewissen ohne jeden Zweifel außerhalb des Gewissens Resonanz finden. Doch wer sein Leben lang nicht auf sein Gewissen gehört hat, wird dafür nicht empfänglich sein. Das Bewusstsein gehört zwar zum Gewissen, aber für sich allein genommen besitzt es keinen Wert, weil es eben nur ein Teil des Ganzen ist. Andererseits kann es, wenn es sich mit der Willenskraft, der Empfindung und dem Herzen vereinigt, eine zentrale Rolle spielen.

Geradeso wie alle anderen beredten Zeugen für die Existenz Gottes, ist auch das Gewissen eine heilige, himmlische Stimme, die die Wahrheit verkündet; aber nur dann, wenn es über die oben beschriebenen Eigenschaften verfügt. Von einem Gewissen, das von seiner fleischlichen Seele unterjocht wird, darf dies nicht erwartet werden. Man stelle sich einmal jemanden vor, der vollständig zum Sklaven seiner Lust, seiner Feindseligkeit, seiner Wut oder seines Ranges und Namens geworden ist. Was auch immer diese Person tut, sie wird sich nie von diesen negativen Gefühlen freimachen können, die ihre Seele knechten. Ihr Gewissen ist gefesselt und völlig einflusslos. Und sie selbst dürfte man getrost als im wahrsten Sinne des Wortes „gewissenlos“ beschreiben. Diese Menschen wissen nicht, wie der Mechanismus des Gewissens funktioniert. Sie spüren weder, welche Bedeutung sich hinter diesem Mechanismus verbirgt, noch können sie nachempfinden, welch hohen Zielen er dient. Eine weitere wichtige Erklärung zu diesem Thema stammt von Immanuel Kant und findet sich in seinem Werk Kritik an der reinen Vernunft. Dort stellt er fest, dass es die praktische, und nicht die theoretische (reine) Vernunft sei, die uns Gott erkennen lässt. Wenn sich ein Mensch wohlverhalte, werde ihm dieses Wohlverhalten mit der Zeit zu seiner inneren Natur und verhelfe ihm dazu, einen Punkt zu erreichen, den er mit abstraktem Wissen nicht erreichen könnte. Tatsächlich können uns abstrakte Erkenntnisse, abstrakte Informationen niemals so hoch erheben. Egal wie viele Bücher jemand liest oder auswendig lernt – wer die nötige Entschlossenheit vermissen lässt und nicht rechtschaffen handelt, wird niemals die Stimme seines Gewissens vernehmen können. Wer jedoch seinem Gewissen folgt, wird von ihm übermittelt bekommen, wie er im Alltag rechtschaffen handeln kann.

4. Spirituelles Potenzial

Wie schöpft man sein spirituelles Potenzial am besten aus?

Als Erstes ist es wichtig, dass man sich in konzentrierter Kontemplation übt und dabei sowohl die eigene Innenwelt als auch die Existenz der Außenwelt einbezieht. Dies lässt sich dadurch erreichen, dass man gründlich und intensiv über seine Reise nachdenkt, die mit der Geburt ihren Anfang nimmt und am Ende – hoffentlich – in das ewige Leben im Himmel mündet, sowie auch über die einzelnen Stationen dieser Reise bis zum Jüngsten Gericht, der Brücke (ṣiraṭ) und dem Paradies.

Zweitens erfordert das Ausschöpfen des [eigenen spirituellen] Potenzials aufrichtiges und konsequentes Handeln. Es ist zwar möglich zu glauben, indem man sich selbst theoretisch überzeugt; das ganze Gewicht des Glaubens kann man aber nur dann spüren, wenn man ihn auch praktiziert. Man sollte nicht vernachlässigen, gegen Ende der Nacht in aller Rechtschaffenheit seine Gebete zu verrichten, die Offenbarung und die täglichen Lobpreisungen und Bittgebete (ewrād) zu rezitieren. Denn auf diese Weise gibt man seinem Herz und seinem Geist die Chance, die Fesseln des Körpers abzustreifen und ihre Spiritualität zu entfalten, vor allem, wenn man es sich zur Gewohnheit macht. Manche medizinischen Behandlungen schlagen erst nach einer gewissen Zeit an, einige tragen sogar erst nach mehreren Jahren ununterbrochener Anwendung Früchte. Und genauso muss man auch den Glauben erst einmal eine Zeitlang praktizieren, bevor er positive Resultate zeitigt. Natürlich kann man dabei immer einmal wieder ins Schwanken geraten und Fehler begehen. Entscheidend ist dann, dass man versucht, den Kontakt zu Gott dem Allbarmherzigen nicht abreißen zu lassen. Denn das Kontakthalten ermöglicht es, nach einem Ausrutscher schnell wieder aufzustehen. Immanuel Kant argumentiert, „dass der Gottesidee tatsächlich eine Wirklichkeit entspricht, das sagt uns nicht unsere theoretische Vernunft, sondern unsere praktische Vernunft“ – oder mit anderen Worten: unser Gewissen. Man kann dies so verstehen, dass der Schöpfer nur durch Dienste und Taten erkannt werden kann. Was das Gewissen wahrnimmt, vermag die reine Vernunft nicht zu erkennen. Gottesfreunden, deren Seelenleben in voller Blüte steht, wird man dies mit dem Auge kaum ansehen; das Gewissen jedoch wird in ihrer Anwesenheit sehr viel empfinden. In der heiligen Schrift zu lesen und Gebete zu sprechen kann unsere inneren Fähigkeiten (göttlichen Feinheitsvermögen) selbst dann stärken, wenn wir nicht jeden Buchstaben und jedes Wort verstehen.