Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Leo wird seinem Vater immer ähnlicher und nicht nur optisch. Sie bewegen sich gleich, sie sprechen oft synchron, denn sie denken auch das Gleiche. Urs gibt seinem Sohn, bezüglich des Hofes, immer öfter die Zügel in die Hand. Leo ist auch fast der Einzige, neben Urs, auf dessen Rat Cousin Eric hört. Und der sitzt eines Tages mächtig in der Tinte. Leo beschließt, ihm eine letzte Chance zu geben, falls Urs und Mina zustimmen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 267
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Leo und Dana, die Kinder der Schüchthofbewohner, haben das Abi erfolgreich, mit Bestnoten, abgeschlossen und studieren Agrarwirtschaft. Während Leo seinen Schwerpunkt auf Verwaltung legt, widmet sich Dana besonders der Tierhaltung. Wenn sie an freien Wochenenden zum Hof zurückkehren, arbeiten sie mit, als wären sie nie fort gewesen.
„In der Theorie klingt ja einiges gut“, verrieten sie dann stets, „nur in unserer Praxis ist es selten umsetzbar.“
„Jetzt kann ich bestens verstehen, warum Vater nicht mehr in der industriellen Tierhaltung arbeiten wollte“, gab Dana zu. „Da sträubt sich einem wirklich das Gefieder.“ Und fügte an: „Ja, klar habe ich vorher Filme davon auf YouTube gesehen, aber selbst mittendrin zu stehen, wie vergangene Woche, ist was anderes.“
Leo nickte. „Mit jedem neuen Tag festigt sich meine Überzeugung mehr, dass unser Hof genau so erhalten bleiben muss, selbst wenn dafür Museumsstatus nötig wäre.“
Urs, Leos Vater, der Herr des Hofes, sowie über Grund und Boden, horchte auf. „Ein interessanter Gedanke, falls irgendwann mal alle Stränge reißen.“
Mutter Mina nickte. Leos Anregung hatte Potenzial.
Danas Eltern, Peter und Grit, strahlten über das ganze Gesicht. Ja, sie wussten sehr genau, warum sie damals die Gelegenheit am Schopf gepackt hatten, für Urs und Mina arbeiten zu können. Und seit die Kinder geheiratet hatten, war klar, dass alles in der Familie blieb, und es machte noch mehr Freude, mit Herzblut an jedes Detail zu gehen.
Heute, nach dem Abendbrot, saßen sie gemütlich vorm Haus der Schüchts, tranken Wein und ließen den lieben Gott einfach einen guten Mann sein.
Urs blinzelte vergnügt in die Runde. „Ich habe einen Plan!“ Das meinte er wörtlich, denn er zog ein mehrfach gefaltetes Blatt aus der Hosentasche und legte es mitten auf den Tisch.
Leo warf einen kurzen Blick darauf. „Oho, schau mal Dana! Sieht aus wie unser zukünftiges Häuschen!“
„Richtig“, schmunzelte Urs. „Dass ihr es brauchen werdet und wo es stehen soll, ist ja schon lange festgemacht. Ich möchte es fertig haben, wenn ihr das Studium beendet. Also müssen wir dringend die Aufteilung der Räume absprechen.“
Leo nahm Danas Hand. „Darüber haben wir auch schon beraten und sind zu dem Entschluss gekommen, es genau so haben zu wollen, wie euer Haus eingeteilt ist. Das erscheint uns in allem perfekt.“
„Mit Außentreppe zu den Gästezimmern“, fügte Dana hinzu, weil diese auf der Zeichnung fehlte.
„Geht klar!“, versprach Mina. „Das hat Urs genau so vorhergesagt und lässt sich einarbeiten.“
Dana seufzte. „Ich habe immer noch Probleme, alle einfach mit dem Vornamen auszusprechen, ohne Tante und Onkel.“
„Auch das hat er vorausgesagt“, lachte Mina.
„Die Bremers haben übrigens ihr Land verkauft und sind weggezogen“, berichtete Urs.
Dana überlief ein eisiger Schauer. Sie fasste unbewusst an ihren Hals, worauf Leo sie ganz fest in den Arm nahm. „Der sitzt noch lange ein“, versuchte er, sie zu beruhigen, und fragte sofort: „Hat es ein Fremder genommen?“
Urs grinste breit. „Nein, diesmal war eine Einheimische schneller.“
„Einheimische?“, schnappte Leo sofort. „Wer?“
„Pöhlers Lisa“, verriet Urs und fügte hinzu: „Mina hat ihr wegen eines Kredits unter die Arme gegriffen. Wir sind sicher, dass das Geld in unserem Sinn arbeitet. Ihr Vater ist fast aus allen Wolken gefallen.“
„Ha, ha, das glaube ich unbesehen“, lachte Leo. „Dem großen Rest der Gemeinde wird es ähnlich gegangen sein.“
„Darauf kannst du getrost wetten“, kicherte Mina. „Zumal sie keiner auf dem Zettel hatte, weil alle dachten, sie übernähme mal den elterlichen Hof. Es war nicht schwer, mit ihr zu konspirieren. Andreas musste nicht mal irgendwelche Fäden im Hintergrund ziehen. Wir haben den Sieg im Handstreich errungen.“
„Ansonsten ist alles wie gehabt. Bauer Pöhler hat seiner Rinder weiterhin bei uns stehen“, verriet Urs noch. „Er hat jetzt die halbe Herde durch Schottische Hochlandrinder ersetzt und schwört, wie wir, auf Spezialitäten auf Milchbasis. Für Rohmilch gibt es ja eh nicht viel Geld. Auch hat er ganz schnell gemerkt, wie gut man es herausschmecken kann, wenn Kräuter im Futter sind.“
„Und die Geologen?“ Leo deutete den Hang hinauf.
Urs winkte ab. „Sie messen, prüfen und wundern sich. Wenn es nach ihren Theorien ginge, wäre die andere Talseite wohl schon weites ebenes Land.“
„Na prima“, schnaufte Leo.
„Was sagst du zu dem Problem?“, wandte sich Dana leise an Urs.
„Ich bin besorgt, aber nicht panisch. Deswegen sind wir auch schon dabei, einen neuen Steg auf die andere Talseite zu bauen.“
Dana nickte lächelnd. „Das beruhigt mich.“
„Es gibt noch was Neues“, warf Mina plötzlich ein. „Walter aus dem Sägewerk hat das Haus von Anton und Marianne gekauft. Sie sind in eine geräumige altersgerechte Wohnung am Park gezogen, denn Anton plagen seit einigen Wochen diverse Wehwehchen, die er nicht mehr schönreden kann. Kinder haben die beiden nicht und so sprachen sie Walter direkt an.“
„Aber die Nachbarn dort sind dieselben geblieben“, fügte Urs grinsend hinzu, worauf alle in Gelächter ausbrachen.
Sie konnten sich bestens vorstellen, dass diese gleich am Fenster geschlafen hatten, um bloß nichts von den Umzügen der alten und neuen Bewohner zu verpassen.
Ein Jaulton von der Weide, wie ihn Obelix, der Bernhardiner, noch nie von sich gegeben hatte, ließ alle erschreckt aufspringen. So schnell sie konnten, eilten sie zum Ort des Geschehens, wo sie geschockt stehenblieben. Sepp, der treue Esel, lag regungslos im Gras. Obelix stieß ihn verzweifelt mit der Nase an, um ihn zum Aufstehen zu bewegen.
Urs fühlte nach dem Puls an der Halsschlagader und schüttelte stumm den Kopf. Dann nahm er den Hund in den Arm. „Sepp kommt nicht wieder. Er ist auf dem Weg in den Eselhimmel.“
Mit Tränen in den Augen umringten sie Sepp, der als Einziger noch von den ersten Bewohnern des Hofes übrig und den Frauen ein unentbehrlicher Helfer gewesen war.
„Ich bringe ihn in die Tierkörperverwertung“, murmelte Urs nach einem kurzen Blick auf die Uhr, den Traktor mit der Kippmulde holend, um den Kadaver auf den Hänger laden zu können.
Peter half ihm und ein paar Minuten später begleitete Urs den Esel auf seinem allerletzten Weg. Mina sah man an, dass ihr dieser Verlust sehr an die Nieren ging.
„Ich brüh dir einen Beruhigungstee“, seufzte Dana, sofort den Worten Taten folgen lassend.
Obelix hatte den Traktor bis hinter die Schranke verfolgt. Da saß er nun wie eine Statue. Als endlich wieder Leben in ihn kam, waren fast zwei Stunden um. Dem Schwanzwedeln nach, schien ein bekanntes Fahrzeug die Serpentinenstraße herauf zu kommen.
„Das könnte Urs sein“, meinte Leo, worauf sich alle zu Obelix gesellten.
Die anderen Hütehunde blieben bei den Herden. Es reichte, wenn einer von ihnen die Straße mit im Auge behielt.
„Er ist es wirklich“, freute sich Mina, dem Traktor erwartungsvoll entgegenschauend. „Warum hat er das Netz, statt der Plane, überm Hänger?“, überlegte sie laut und sehr irritiert.
„Wirklich merkwürdig“, pflichtete Peter bei. „Hätte er ihn nicht abgeben können, wäre die Plane auf jeden Fall angebrachter.“
„Puhhhh, das stinkt! So schnell kann ein Kadaver selbst bei Hitze nicht verwesen!“, rief Dana, sich die Nase zuhaltend.
Auch Grit überkam heftiger Brechreiz. Irgendetwas auf dem Hänger stank erbärmlich, dagegen war der Geruch der ganzen Ziegenherde fast Parfüm.
Urs fuhr mit dem Hänger rückwärts bis in den Schafstall und sie eilten ihm geschlossen nach, um des Rätsels Lösung zu erfahren. Allen voran Mina. Sie spähte über die Bordwand und bekam riesengroße Augen.
„Sag hallo, zu deinem neuen Haustier!“, sprach Urs den Satz, den sie damals gebraucht hatte, als sie mit Sepp vom Einkaufen zurückgekommen war.
Auf der Ladefläche lag ein junges Eselchen, mehr tot als lebendig, völlig verwahrlost, mit übel riechenden Wunden übersät und bis auf die Knochen abgemagert.
„Ach herrje!“, staunte Leo.
Gemeinsam machten sich die Männer daran, den Neuling vom Hänger zu heben.
Urs berichtete: „Den hat wenige Minuten vor mir einer einfach auf den Hof der Tierkörperverwertung geschüttet und ist verschwunden. Die Arbeiter der Anlage standen völlig ratlos um das Häufchen Elend, als ich ankam. Ich habe gesagt: Kümmert ihr euch um meinen toten Esel, ich werde für den noch lebenden sorgen. Sie haben Sepp zum Nulltarif angenommen, weil sie froh waren, wegen des kleinen Stinkers keine Meldung machen zu müssen. Den hat es dort nie gegeben. Punkt.“
Dana füllte rasch eine Schüssel mit Wasser und half dem Esel, den Kopf zu heben. Gierig sog er das köstliche Nass ein. Mina und Grit bereiteten einen großen Eimer desinfizierenden Kräutersud, mit dem sie den ganzen geschundenen Körper gründlich abwuschen. In einigen offenen Wunden tummelten sich schon Fliegenmaden. Dann trug Mina dick Blauspray auf. Das untergelegte Stroh entsorgten sie sofort auf dem Misthaufen. Leo mixte aus Haferflocken und gehäckseltem Grünzeug eine leichte Kost, die das halb verhungerte Tier mit dankbar leuchtenden Augen verspeiste.
Obelix begann, dem Eselchen die Nase abzuschlecken, und wedelte fröhlich mit dem Schwanz, als sich der Kleine schutzsuchend ankuschelte.
„Bestens!“, strahlte Urs. „Jetzt glaube ich ganz fest daran, dass wir den Esel durchbringen.“
„Und wieder einmal war Rübezahl zur rechten Zeit am rechten Ort“, freute sich Mina. „Wie alt wird er sein?“
Urs zuckte mit den Schultern. „Bestenfalls ein viertel Jahr, haben sie in der Tierkörperverwertung gesagt. Das will erst mal ein Esel werden.“
Eine halbe Stunde später versuchte der Kleine, aufzustehen. Leo half ein bisschen nach und auch Obelix ermunterte das Eselchen, indem er es mit der Nase anstupste.
„Das erinnert mich an Struppi und die Katzenbande“, blinzelte Urs vergnügt. „Sieht ganz so aus, als habe Obelix das Seppelchen vom Fleck weg adoptiert.“
„Seppel, hm ... warum eigentlich nicht?“, überlegte Leo laut. „Eine Hommage an den großen Sepp.“
„Passt perfekt“, sagte Mina lächelnd, dem Neuzugang liebvoll das Köpfchen kraulend.
Als sich der kleine Esel ins Heu legte, weil Stehen doch noch zu anstrengend war, packte sich Obelix daneben. Seppel kuschelte sich ganz eng an seinen Hundepapa und schlief ein.
„Hat jemand Bilder gemacht?“, fragte Grit.
Mina lachte: „Klar doch! Dabei bin ich froh, dass man Gerüche nicht mit übertragen kann. Aber bei dem mit Fäkalien und Eiter verklebten Fell können sich die anderen denken, wie es gerochen haben muss, bevor er seine Ganzkörperwäsche bekam. Zumal er im Augenblick mehr blau als grau aussieht. Ich habe noch nie, ein derart vernachlässigtes Tier vor die Augen bekommen, und wir sind hier einiges gewöhnt.“
Andreas, Minas Bruder, war der Erste, der die Abendnachrichten mit Daumen nach oben quittierte. Einen Wimpernschlag später klingelte auch schon Minas Handy. „Da hat doch Rübezahl wieder mal genau gewusst, wo seine Hilfe am dringendsten gebraucht wird“, rief er, als er die ganze Geschichte erfahren hatte. „Ich bringe am Freitag für Obelix einen extra großen Kauknochen mit. Den hat er sich verdient!“
Alle lachten, denn es war abzusehen gewesen, dass Andreas umgehend erscheinen werde. Dana steckte schon wieder im Stall. Sie hatte ein wenig frischgemolkene warme Ziegenmilch zu Seppel gebracht, der diese in langen Zügen trank. Obelix bekam ein paar Leckerli. Die anderen Hunde hatten sich Seppel auch schon vorgestellt, wobei der Bernhardiner mit Argusaugen darüber wachte, dass keiner seinem Schützling zu nahe kam. Er jagte sogar zwei vorwitzige Hühner weg, die sich bis auf einen Meter herangewagt hatten.
„Alles bestens“, verkündete Dana, sich wieder mit an den Tisch setzend. „Ziegenmilch scheint er zu mögen. Damit kriegen wir ihn sicher schnell wieder richtig auf die winzigen Hufe.“
Nicht mal bei diesem Stichwort wurde Mina stutzig. Sie vergaß völlig, Sepps Huftrimmer abzubestellen. Der stand zwei Tage später vor der Tür und fragte grinsend, ob man Sepp mit einem Paar Jeans zu heiß gewaschen habe, weil er plötzlich so winzig und ganz blau sei. Sie fiel in das Lachen ein und spendierte Seppel die erste Pediküre seines jungen Lebens. Sie bat auch gleich, den altbewährten Zyklus für ihn beizubehalten, damit es dem neuen Schützling an nichts fehle. Seppel ließ die harmlose Prozedur klaglos und willig über sich ergehen. Er hatte in den wenigen Stunden auf seinem neuen Hof begriffen, dass ihm niemand wehtun werde.
„Der Name Seppel passt“, gab der Huftrimmer zu. „Er ist ja sogar charakterlich das verkleinerte Abbild von Sepp, genau so brav und still. Ihr werdet sicher viel Freude mit ihm haben, wenn er über den Berg ist.“
Und Seppel gab sich Mühe, ganz schnell gesund zu werden. Noch bevor die von Trachenbergs auftauchten, durfte er das erste Mal probeweise in der Schafherde mitlaufen. Mit seinem großen Beschützer Obelix an der Seite gar kein Problem. Der hielt ihm den neugierigen Bock zuverlässig vom Hals, sodass Mina beschloss, Seppel die drei Stunden bis zum Abend bei den Schafen zu lassen.
„Du siehst nachdenklich aus“, sagte sie bei Urs‘ Anblick.
„Ich bin es auch“, gab er zu. „Wir sollten für Seppel einen zweiten Esel anschaffen, damit er sich wirklich wohlfühlen kann. Sepp war der absolute Sonderfall. Das dürfen wir nicht als Regel ansehen.“
Mina seufzte. „Ich weiß.“
Urs Gestalt versteifte sich plötzlich, seine Augen wurden unnatürlich groß und in ihnen brannte ein regelrechtes Feuer.
„Urs? Urs!“ Mina packte ihn beunruhigt an der Schulter.
„Ich muss dringend etwas erledigen! Wartet nicht auf mich mit dem Abendbrot!“ Er eilte mit langen Schritten in die Käserei, kam mit einem mittelgroßen Käselaib wieder heraus, sprang in Traktor Moritz mit dem Zweiachshänger und tuckerte davon. Mina stand, wie vom Donner gerührt.
Grit und Peter kamen heran. „Hattet ihr Streit?“
Mina schüttelte fassungslos den Kopf und erklärte die Situation.
„Vielleicht hat Rübezahl einen Hilferuf empfangen, den du nicht hören konntest“, murmelte Grit. Sie hielt Mina ihren Arm hin, auf dem sich die Härchen steil aufgerichtet hatten. „Mir läuft es schaurig, aber schön, den Rücken hoch und runter.“
Peter nickte kaum merklich. „Ihr hattet über einen zweiten Esel gesprochen? Ich habe einen leisen Verdacht ...“
„Welchen?“, staunte Mina.
„Dass Urs Seppels Mutter sucht“, gab Peter bekannt. „Die Tierkörperverwertung wird mit Kameras überwacht. Da könnte das Nummernschild des Tierquälers zu sehen sein. So wahnsinnig viele Eselhalter gibt es nicht im Umkreis.“
Peter hatte zwar richtig getippt, aber Urs besorgte sich die Informationen auf andere Weise. Er kehrte auf ein alkoholfreies Bier bei jenem Wirt ein, der Anton damals die leckeren Ochsenziemer für die Hunde eingepackt hatte, und ließ die Katze direkt aus dem Sack: „Kannst du mir einen Tipp geben, wo es in zwanzig Kilometer Umkreis jemand nicht so genau mit dem Tierwohl nimmt?“ Er berichtete, wie er seinen toten Sepp, gegen den halbtoten Seppel getauscht hatte, und fügte an: „Ich möchte, wenn möglich, die Mutter des Kleinen retten. Er braucht sie.“
Der Wirt winkte mit dem Finger. Urs folgte ihm ins Büro. „Ich kann dir Name und Adresse sagen. Wenn du es schaffst, dem Dreckskerl die Eselin lebend abzunehmend, und ihn mit deinem Auftauchen ordentlich einzuschüchtern, bekommst du von mir ein Fass Bier. Das Ekel hat im Suff damit geprahlt, ‚ein fast verrecktes Eselbalg‘ kostenlos entsorgt zu haben.“
„EinSCHÜCHTern sollte perfekt funktionieren“, grinste Urs.
Der Wirt stutzte, dann brach er in schallendes Lachen aus. Als er sich wieder beruhigt hatte, gab er Urs die Daten und begleitete ihn bis zum Traktor. Völlig perplex nahm er den Käselaib entgegen.
„Ich bezahle die, für mich Gold werten, Informationen in Naturalien“, schmunzelte Urs und startete vergnügt den Motor.
„Verrückter Kerl! Ich drücke dir die Daumen!“, rief der Wirt hinterher, als Urs davon fuhr.
Nach einer Viertelstunde erreichte Urs den heruntergekommenen Bauernhof, den der Wirt perfekt beschrieben hatte. Ein paar Schweine suhlten sich direkt am Misthaufen, drei, vier magere Gänse, die irgendwann mal weiß gewesen sein mussten, wühlten in der Gülle. Weiter kam Urs nicht, in seinen Betrachtungen, denn er wurde von hinten regelrecht angeschnauzt, was er hier wolle.
„Mit Ihnen über ein illegal entsorgtes Eselfohlen reden“, erwiderte Urs mit zu Schlitzen verengten Augen.
Der Bauer schreckte zusammen und ließ die Mistgabel fallen, die er wie eine Waffe auf Urs gerichtet hatte.
„Ah, ich sehe, das Gedächtnis funktioniert“, zischte Urs, sich vor ihm aufbauend.
„Können Sie es beweisen?“, stieß der Bauer hervor.
„Sicher. Ich habe genügend Bildmaterial“, bluffte Urs, sein Handy zückend und ein Foto des verwahrlosten Fohlens aufrufend. „Erkennen Sie den Kleinen?“
„Was wollen Sie von mir?“, stammelte der Bauer.
„Die Mutter des Fohlens, und zwar sofort! Anderenfalls werde ich zusammen mit dem Eigner der Tierkörperverwertung gerichtlich gegen Sie vorgehen. Oder wollen Sie mir erzählen, Sie hätten die Videokameras nicht gesehen, wo sie das Fohlen abgeschüttet haben?“, erwiderte Urs in spöttischem Tonfall.
Zähneknirschend ließ der Bauer Urs in den Stall.
„Oh, mein Gott“, hauchte Urs, beim Anblick dessen, was ein Esel sein sollte. „Wenn ich das Tier nicht lebend nach Hause bringe, sind Sie fällig!“
Er lenkte den Traktor rückwärts bis zu der Stelle, wo die Eselin lag. Mit einem Flaschenzug hievten sie das apathische Tier auf den Hänger, wo es Urs auf Decken packte und das Netz darüber spannte. Es war völlig unmöglich, dass das geschundene Wesen die Kraft aufbringen werde, sich aufzurichten oder gar vom Hänger zu springen. „Sie sollten in Ihrem eigenen Interesse beten, dass sie durchkommt!“ Urs ließ den Motor an. Außer Sichtweite zum Hof rief er Tierarzt und Huftrimmer an. „Ich zahle das Doppelte, wenn Sie in einer halben Stunde auf meinem Hof sind“, bot er beiden an und erklärte die genauen Umstände.
Mina schaute den Doktor an wie einen Geist, als der aus seinem Auto stieg. „Wissen Sie etwas, das ich nicht weiß?“, staunte sie.
„Vermutlich.“ Der Doktor nahm eine Kiste Infusionslösung aus dem Kofferraum. „Ach, da kommt ja auch schon der Huftrimmer!“
Mina fasste sich an den Kopf. „Sagen Sie einfach, was Sie brauchen!“
„Zuallererst die Patientin. Aber die ist noch unterwegs, wie es scheint, sonst hätten Sie mich nicht so entgeistert angeschaut“, blinzelte der Doktor.
Peter war mit fragendem Blick herangekommen und Mina trug ihm geistesgegenwärtig auf: „Bereite eine große Box vor, und hänge zwei Fleischerhaken an die Bretter, damit Infusionsflaschen aufgehängt werden können. Urs scheint Seppels Mutter auf dem Hänger zu haben.“
„Exakt“, bestätigte der Doktor. „Inzwischen sehe ich mir den Kleinen an. Erstaunlich, dass Sie ihn aus eigener Kraft auf die Hufe bekommen haben!“
„Ziegenmilch und ein pelziger Ziehpapa, der ein großes Herz für einen kleinen Esel hat, haben genügt“, verriet Mina, beide Tiere liebevoll kraulend.
Traktor Moritz tauchte soeben in der letzten Kurve auf, Seppel wurde unruhig. Er sog geräuschvoll die Luft in die Nüstern, dann begann er, zu schreien. Vom Hänger ertönte eine matte Antwort und Seppel stürmte dem Traktor entgegen. Urs lächelte und ließ das Fahrzeug im Schritttempo bis zur Scheune rollen.
Peter hielt vor dem Tor zum Schafstall Seppel fest, damit er nicht doch noch unter die Räder geriet. Als der Hänger in Position vor dem Eingang der großen Box stand, ließ er ihn wieder los, um gemeinsam mit den anderen Männern die ausgemergelte Eselin von der Ladefläche zu bugsieren. Seppel war mit einem Satz bei seiner Mama. Obelix folgte ihm sofort, bereit, nun beide Esel zu beschützen.
Der Tierarzt setzte mit sicherer Hand eine Kanüle, schloss die erste Infusionsflasche an und untersuchte das geschundene Tier. Grit kümmerte sich um desinfizierende Kräuter im Wasser, damit man den Esel von Schmutz und Parasiten befreien konnte.
Der Huftrimmer begann, die fast 40 Zentimeter langen Hornüberwüchse der Hufe abzusägen, wobei Urs die Gelenke der Eselin festhielt, damit sie keine zusätzlichen Schmerzen spürte. Mina filmte. Nach einer Stunde war der Huftrimmer mit seiner Arbeit zufrieden. Jegliche Bezahlung wies er zurück, erbat sich aber die extrem langen Hufstücke für seine Sammlung der schlimmsten Vernachlässigungen.
Peter rührte leichte Kost zusammen, wie sie auch Seppel am ersten Tag bekommen hatte. Der Plan ging auf, die Eselin nahm ein wenig davon zu sich. Der Tierarzt zeigte ihnen genau, wie und wann man die Infusionen wechseln musste. Bezahlung schob er ebenfalls weit von sich, versprach aber, sich anderweitig zu kümmern, dass der Exbesitzer der Esel zur Verantwortung gezogen würde. Urs holte zwei kleine Käselaibe aus dem Keller, welche die hilfreichen Geister dankend annahmen.
Dann standen sie zu viert an der Box und schwiegen. Es gab keine Worte, die hätten ausdrücken können, was sie fühlten. Mina lehnte ihren Kopf an Urs‘ Schulter. Er hatte alles Menschenmögliche getan. Nun hieß es abwarten, ob Seppels Mutter wieder auf die Hufe käme.
Reihum wachten die Hofbewohner für je zwei Stunden die ganze Nacht im Stall. So kam es, dass es trotz großer Box etwas eng wurde, denn weder Seppel noch Obelix wichen der Eselin von der Seite. Am sehr frühen Morgen übernahm Urs die Beobachtung, ehe man zum regulären Dienst übergehen werde. Obelix flitzte hinaus, um Gassi zu gehen, Seppel rieb seinen Kopf an Urs‘ Wange. Er wusste sehr gut, wer ihn und seine Mama gerettet hatte. Die Eselin bewegte die Ohren, schnaufte und stemmte sich plötzlich auf die Beine.
„Ja, gut so!“, rief Urs, sie am Hals kraulend.
Seppel ließ einen langgezogenen Schrei hören, den man nur als Jubel deuten konnte, und der sowohl Menschen als auch Hunde in den Stall lockte. Obelix wedelte wild mit dem Schwanz, seine beiden Schützlinge umkreisend.
„Ich werde sie Klara nennen“, blinzelte Urs. „So hieß meine Großmutter und die war auch einmal dem Tod knapp von der Schippe gesprungen.“
„Einverstanden“, blinzelte Mina. „Ich bin so stolz auf dich.“
„Wir auch!“, riefen Grit und Peter wie aus einem Mund.
„Es war jedenfalls ein bühnenreifes Stück, das du gestern inszeniert hast“, merkte Mina schmunzelnd an.
„Dabei wisst ihr noch nicht mal alles“, grinste Urs und begann an jenem Punkt, als ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag traf, dass es zu einem fast toten vernachlässigten Fohlen eine genau so geschundene Mutter geben könne. Die Fragen lauteten: wo und ob sie noch lebte. „Und weil in den Kneipen ja wirklich alles durchgehechelt wird, dachte ich an unseren Wirt, von dem wir um zwei Ecken auch reichlich über unsere bisherigen Fund- und verwahrlosten Tiere erfahren haben.“ Natürlich gab er das kleine Wortgeplänkel vom Einschüchtern wieder, worauf auch hier fröhliches Gelächter ausbrach. „Am Ziel meiner Fahrt habe ich dann alles auf eine Karte gesetzt. Nur keine Unsicherheit zeigen, damit der große Bluff mit den Beweisen nicht auffliegt. Die hätte ich mir sicher besorgen können, aber dann wäre es für Klara zu spät gewesen. Ich denke, sie wäre bei ihrem alten Herrn letzte Nacht verendet.“
„Da möchte ich auch drauf wetten!“, rief Peter. Er holte frisches Wasser, während Mina nach dem Blauspray eilte, um jene Stellen zu behandeln, die sie am Vortag nicht erreichen konnte, um dem geschwächten Tier keinen zusätzlichen Stress zu bereiten. Urs bedeckte die Kanülen mit einem Verband, weil es durchaus sein konnte, dass weitere Behandlungen vonnöten wären.
Ein Stück Weidezaun wurde so bis zum Tor abgesteckt, dass die Esel vorerst nicht an frisches Gras herankamen, dafür gab es einen Trog mit fein abgestimmten Kraftfutter. Seppel bekam zusätzlich etwas Ziegenmilch. Der Kleine fühlte sich blendend. Mama da, Ziehpapa Obelix, und Menschen, denen er vertraute. Er hatte auch schon den Bogen raus, wie man mit den Zicklein und Lämmern Nasenstupser zwischen den Drähten hindurch austauschen konnte, ohne einen Stromschlag zu bekommen.
Mama Klara versuchte, neben Urs ein paar Schritte zu gehen. Es funktionierte. Die frisch pedikürten Füße fühlten sich leicht, fast schwerelos, an. So stand sie im großen Tor des Stallgebäudes und schaute Seppel beim Spielen mit Obelix zu, wobei sie nur die Ohren bewegte. Eine neue schöne Welt, die Lust auf Leben machte.
„Schau dich um“, sagte Urs, sie erneut sanft streichelnd. „Hier wird dir keiner wehtun.“
Noch ein Schritt, Klara spürte Wind und Sonne. Sie reckte ihren Kopf mit geschlossenen Augen den wärmenden Strahlen entgegen.
Autotüren klappten. Urs hatte völlig ausgeblendet, dass Obelix plötzlich mit den anderen Hunden zur Straße gelaufen war, weil sie Fahrgeräusche wahrgenommen hatten. Jetzt begleitete er Andreas und Brenda zu Urs, die von Mina, Grit und Peter schon herzlich begrüßt worden waren.
„Oh Gott!“, riefen beide entsetzt, beim Anblick der klapperdürren Esel.
„Ich vermute, das ist die Mutter des Kleinen“, sagte Andreas, Urs ganz fest umarmend. „Wann habt ihr sie geholt?“
„Gestern. Wir zeigen euch dann die Bilder der Aktion“, versprach Mina, Urs einen zärtlichen Kuss auf die Wange hauchend. „Deswegen arbeiten wir heute auch alle ein bisschen mit angezogener Bremse, weil wir ständig nach den Eseln schauen. Dass Klara auf eigenen Beinen hier steht, ist fast ein noch größeres Wunder als bei Seppelchen.“
Seppel beäugte die beiden Fremden mit neugierigem Blick. Weil Obelix fröhlich mit dem Schwanz wedelte, kam er sogar ganz nah heran und ließ sich kraulen.
Brenda wischte Tränen weg. „Ich kann nicht verstehen, wie man solch einem kleinen Sonnenschein so Böses antun kann.“
„Ich auch nicht“, seufzte Urs. „Eigentlich fast ein Wunder, dass ich gestern nicht zur Bestie mutiert bin.“
Mina schaute auf die Uhr. „Leute, ich lasse Pizza bringen. Ich bin durch die Nachtwache irgendwie neben der Spur.“
„Wir packen morgen mit an. Versprochen“, blinzelte Andreas. Er zauberte für Obelix die angekündigten Schmeckerchen aus der Hosentasche.
Seppel schnupperte.
„Ich werde eine Rübe für unsere beiden Sorgenkinder aufschneiden“, murmelte Mina.
Beim Anblick der großen Futterrübe kamen bei Klara wohl Erinnerungen hervor, denn sie bewegte auffällig die Ohren.
„Komm her!“, lockte Mina, ihr eine Scheibe hinhaltend.
Sehr zögernd setzte sich die Eselin in Bewegung. Obelix hielt sich an ihrer Seite, als wolle er sie stützen. Seppel kam sofort zu Mina. Lachend gab sie ihm ein Stückchen ab. Urs telefonierte inzwischen mit dem Tierarzt, um einen Lagebericht zu geben.
„Was hat er gesagt?“, fragte Mina.
„Dass es nur Rübezahls Zauberkräften zu verdanken sei, dass sie hier vor uns steht“, blinzelte er vergnügt.
Andreas nickte. „Denen vertraue ich ebenfalls zu 100 Prozent. Ich kann aber auch bestens nachvollziehen, warum ihr gestern nichts über Klara in den Abendnachrichten stehen hattet.“
„Das holen wir heute mit Freude nach“, erwiderte Mina, den Eseln noch ein Scheibchen Rübe reichend.
Brenda filmte und fotografierte. Der Zustand der beiden Tiere wühlte sie tief auf. Die Verehrung, die sie für Urs empfand, stand der, die Andreas zelebrierte, schon lange in nichts mehr nach.
Bevor Urs mit dem Bericht über die Rettungsaktion beginnen konnte, klingelte sein Handy. Er meldete sich, lächelte und sagte: „Du darfst das Fass klarmachen. Sie lebt und steht auf eigenen Beinen in der Sonne. Ich schicke dir gleich ein Bild von beiden.“ Als er aufgelegt hatte, blinzelte er in die Runde. „Das Fass schlachten wir, wenn in zwei Wochen all unsere Freunde hier sind.“ Dann nahm er sofort das versprochene Bild auf, das Klara, Seppel und auch Obelix zeigte, der mit dem Fohlen kuschelte.
„Ein Fass?“, staunte Brenda.
„Hmm, hmm“, schmunzelte Urs. „Ich erzähle es euch, wenn es in einer halben Stunde hier ist, sonst muss ich alles doppelt herbeten.“
Pünktlich meldeten die Hunde ein Fahrzeug. Der Wirt kam tatsächlich persönlich, um das Fass Bier zu überbringen und sich die beiden geretteten Tiere anzuschauen. „Oh je! Oh je! Wenn man Tierschutz sagt, muss man im gleichen Atemzug Schücht anhängen. Haben mich die Bilder des kleinen Esels schon zutiefst entsetzt, muss sich niemand wundern, wenn jetzt in mir eine Wut aufsteigt, die in einem Hausverbot für den Dreckskerl enden wird, der den Eseln das angetan hat! Bei denen verhindert doch nur das löchrige Fell, dass man die Knochen klappern hört! Geld für Bier in die Kneipe tragen, aber zu Hause das Vieh verhungern lassen! Ich fasse es nicht! Gut, dass es Leute wie euch gibt, die nicht wegschauen. Wird der Doktor was unternehmen?“
„Ganz sicher“, antwortete Urs.
Sie brachten das Fass in den Keller, die Frauen deckten den Tisch, weil sich der Pizzabote auch gerade näherte. Dann aßen sie alle gemeinsam und die Schüchts berichteten für den Wirt und die von Trachenbergs, wie sich die Eselaktion abgespielt hatte.
„Mina hat es perfekt beschrieben, als sie sagte, Urs habe die Sache bühnenreif durchgezogen“, fügte Peter hinzu. „Dein Hinweis war das Zünglein an der Waage, die zugunsten Klaras ausgeschlagen hat“, wandte er sich an den Wirt.
„Das ist exakt“, bestätigte Urs. „Du darfst dich mit gutem Gewissen zu den Tierrettern rechnen.“
Der Wirt nickte begeistert. „Tiere sind auch der einzige Punkt, an dem ich nie neutral bleiben werde. Besonders bei so armen Kreaturen nicht, die echten Mistkerlen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Ach, ich freue mich, dass Rübezahl über sie und uns wacht.“ Er klopfte Urs blinzelnd auf die Schulter und trat vergnügt den Heimweg an.
Am nächsten Abend kamen Dana und Leo auf Wochenendstippvisite, die vor lauter Studienstress nicht einmal dazu gekommen waren, die Nachrichten der sozialen Medien zu checken.
Leo lachte beim Anblick der Eselin bitter auf. „Genau so, wie ich es Dana prophezeit habe! Das Seppelchen konnte ja nicht vom Himmel gefallen sein. Wäre seine Mama nicht schon hier, hätte ich an diesem Wochenende nach ihr gesucht.“
Urs zog ihn zufrieden an seine Schulter. „Bist halt ein Schücht.“
„Und sowas von stolz darauf!“, gab Leo mit beiden erhobenen Daumen bekannt.
Ausnahmslos alle zeigten ihm als Antwort die gleiche Geste und grinsten vergnügt.
„Maud Jansen kommt am Montag“, verriet Mina. „Natürlich rein zufällig. Du verstehst. Dass sie dann im Ort genau die richtigen Leute offiziell befragen wird, kannst du dir an fünf Fingern abzählen.“
„Wenn ich nicht so eine gute Kinderstube genossen hätte, würde ich dem Kerl die Pest an den Hals wünschen“, murmelte Leo. „Ich kann mir bestens vorstellen, welcher Vulkan in Vater gebrodelt haben muss.“ Als er eine halbe Stunde später wusste, wie sich die Rettungsaktion im Detail abgespielt hatte, staunte er noch mehr über die Beherrschung seines Vaters. Wäre der nämlich ausgerastet, hätte Klara ganz sicher nicht überlebt. Und die genoss es besonders, wenn ihr Retter sie und Seppel streichelte. Sie hatten beide nach wenigen Stunden begonnen, auf die Namen zu reagieren, die man ihnen gegeben hatte. Rief Urs, waren sie sofort zur Stelle.
Andreas hätte sich arg gewundert, wenn es nicht genau so gekommen wäre. Seit Eric begann, eigene Wege zu gehen, steckten Brenda und er öfter für ein Wochenende auf dem Hof, erkundeten die weitere Umgebung und halfen, wann immer sie gebraucht wurden. Mina und Urs genossen es, besonders weil Grit und Peter fast schon selbstverständlich mit dazugehörten. Im Augenblick bereiteten sie die kommenden Tage mit den alten Freunden vor.
Nebenbei kümmerte sich Urs um den Bau des neuen Hauses. Der Auftrag ging, wie bisher alles, an die Firma Matthess, die inzwischen der Enkel von Urs‘ ehemaligem Boss führte. Der Sohn hatte den Bereich Möbelmanufaktur für sich abgespalten und so übernahm der Enkel dankbar den genau so florierenden Teil, der sich mit traditionellem Hausbau der Region befasste. Der Schüchthof war die beste Referenz.
„Wir stellen das kleine Partyzelt auf“, legte Urs fest.
Mina schaute ihn überrascht an. „Ich denke, es soll trocken bleiben?“
„Tut es ja auch“, grinste Urs. „Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass es den anderen angenehm ist, bei über 30 Grad Celsius in der prallen Sonne zu sitzen.“
„Punkt für dich!“, lachte Mina. „Das kann ich mir auch nicht vorstellen.“
Dass Urs an den Hitzeschild denken werde, wie sie es scherzhaft nannten, war so sicher, wie die Sonne an diesem Wochenende scheinen werde. Sie hatten schon vor einigen Jahren aus einer Not heraus mehrere Rettungsdecken zusammengeklebt, um das Zelt vor Backofentemperaturen zu bewahren. Urs‘ Idee hatte funktioniert und die Riesendecke bis heute gehalten.
„Wenn er was macht, dann macht er es richtig. Egal, ob es als Provisorium gedacht ist oder für dauerhaft“, freute sich Peter, als sie den Hitzeschutz festzurrten. Neugierig beobachtet von Seppel und Klara, die zum ersten Mal überhaupt erlebten, dass sich auf einem Hof auch etwas ändern konnte. Seppel war sogar herangekommen und hatte das geheimnisvoll glänzende Material mit der Nase angestupst, als es noch in der Kiste lag. Mit einem erschreckten „Ihhhh ahhhh“ reagierte er auf das Knistern, ohne die Flucht zu ergreifen.
Urs kraulte den Kleinen schmunzelnd zwischen den Ohren. „Erinnerst mich ein bisschen an Karli – neugierig und eine coole Socke.“
Peter lachte auf. „Ich dachte, mir käme es nur allein so vor!“
Mina kicherte. „Der Süße hat es garantiert faustdick hinter seinen langen Öhrchen. Ich glaube sogar, dass wir ihn für die Sagenfeuer trainieren können, sobald er ganz gesund ist, eben weil er ein bisschen wie Karli ist.“