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Wie sie sich drehte, die Welt, vor unserem Fenster Ungarn 1956: Die Panzer rollen, der Aufstand schlägt fehl, die Hoffnung scheitert, daß die Welt eine andere hätte werden können. Ohne ein Wort verläßt Katalin ihre Familie und flüchtet über die Grenze in den Westen. Ihr Mann Kálmán verkauft Haus und Hof und zieht fortan mit den Kindern Kata und Isti durch das Land. Während Kálmán in Schwermut verfällt, errichten sich Kata und ihr kleiner Bruder Isti ihre eigene Welt: Isti hört, was die Dinge zu erzählen haben - das Haus, die Steine, die Pflanzen, der Schnee -, während Kata den Geschichten der Menschen zuhört, denen sie auf ihrer jahrelangen Reise begegnet. Der genaue Blick der Kinder trifft auf eine Welt, die sie nicht verstehen. Nur wenn sie am Wasser sind, an Flüssen, an Seen, wenn sie dem Vater zusehen, wie er seine weiten Bahnen zieht und wenn sie selber schwimmen - nur dann finden sie verzauberte Momente der Leichtigkeit und des Glücks. Beide ahnen, dass ihr Leben erst beginnt.
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Seitenzahl: 391
Zsuzsa Bánk
Der Schwimmer
Roman
Roman
Fischer e-books
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Für Erzsébet und Lidia.
Ich hatte wenige Erinnerungen an meine Mutter. Im Grunde kannte ich sie nur von Fotos, die mein Vater in einem kleinen Kasten aufbewahrte. Schwarzweißbilder waren es, mit dickem weißen Rand. Meine Mutter beim Tanz. Meine Mutter mit geflochtenen Zöpfen. Meine Mutter barfüßig. Meine Mutter, die ein Kissen auf dem Kopf balancierte. Ich schaute mir die Bilder häufig an. Es gab Zeiten, in denen ich nichts anderes tat.
Mit meinem Vater war es ähnlich. Er verbrachte ganze Tage damit, die Bilder auf dem Tischtuch auszubreiten und sie immer wieder neu zu mischen - wie bei einem Kartenspiel, vielleicht zehn Mal, vielleicht hundert Mal. Daß es Tage waren, wußte ich, obwohl ich damals sicher keinen Begriff von Zeit hatte. Für mich gab es nur Zeiten, die ich ertragen, und Zeiten, die ich kaum ertragen konnte.
Mein Vater hinterließ seine Fingerabdrücke, und ich wischte sie weg, wenn ich die Fotos aus der Kiste nahm. Ein Bild mochte er besonders. Es zeigte meine Mutter auf dem Feld. Sie hatte Essen in einer Blechkanne dabei. Ihr Kopftuch hatte sie unter dem Kinn zusammengeknotet, und ihre freie Hand hielt sie wie einen Schirm über die Augen. Sie trug Sandalen, deren Bänder sie um die Knöchel gebunden hatte. Niemand trug damals Sandalen, schon gar nicht auf dem Feld. Mein Vater gab dieses Bild nicht aus seinen Händen. Er lag damit auf der Küchenbank, starrte zur Decke und rauchte. Nicht einmal den Hund hörte er dann, der laut vor ihm bellte. Meinen Bruder Isti und mich schaute er an, als seien wir Fremde. Wir nannten es tauchen. Vater taucht. Vater ist zum Tauchen gegangen. Ist Vater zurück vom Tauchen?, fragten wir einander.
Ich glaube, wir haben unseren Vater nie ohne Zigarette gesehen. Seine Kleider rochen danach, seine Hände, seine Haare. Seine Zigaretten warf er auf den Boden, um die Glut auszutreten, und wenn er auf dem Sofa lag, entdeckten wir weiße Punkte aus Papier auf seinen Sohlen. Selbst draußen im Weinberg fanden wir die Reste zwischen den Reben und im Keller, unter den Weinfässern, neben den Körben. Manchmal schwamm etwas Tabak in einer Flasche, und wir bemerkten es erst, wenn wir den Wein schon in Gläser gegossen hatten.
Als es meine Mutter für mich noch gab, erzählte sie uns Märchen, die mein Bruder für die Wahrheit hielt. Er glaubte ihr, wenn sie sagte, unsere Großmutter sei in einer Nacht ergraut. Später erzählten uns andere diese Geschichte immer wieder - nur ein wenig anders. Die Geschichte meiner Mutter, die das Land ohne ein Wort verlassen hatte. Und die Geschichte ihrer Mutter, die in einer einzigen Nacht alt geworden war.
Meine Mutter hatte sich damals nicht von uns verabschiedet. Sie war zum Bahnhof gelaufen, wie an vielen anderen Tagen auch. Sie war in einen Zug gestiegen, Richtung Westen, Richtung Wien. Wie selten Züge von unserem Bahnhof aus in Richtung Wien fuhren, das wußte ich. Meine Mutter muß lange gewartet haben. Sie hatte genügend Zeit, es sich anders zu überlegen. Um zurückzukommen. Um uns Auf Wiedersehen zu sagen. Um uns noch einmal anzuschauen.
Als sie noch bei uns lebte, arbeitete meine Mutter in einer Fabrik in Pápa. Auf ihrem Fahrrad fuhr sie jeden Morgen durch den Nebel. Unser Hund lief kläffend neben ihr her, bis sie ihn an der großen Straße abhängte. Ich wachte auf, sobald ich sie in der Küche hörte. Wenn sie die Tür ins Schloß fallen ließ, stand ich auf, um ihr vom Fenster aus nachzusehen. Ich zog die Gardinen zur Seite und hob meine Hand, um ihr zu winken. Ich nannte sie heimlich Nebelspalterin. Meine Mutter haßte unser Dorf. Sie sagte, Kinder sterben hier, weil sie in Jauchegruben fallen. Sie ersticken. Wo gibt es das sonst?
Wenn Isti sich vor die Tür legte, weil er sie nicht gehen lassen wollte, kam unsere Mutter zu spät zur Arbeit. Nicht einmal zehn Minuten waren es, aber ihr Name stand länger als eine Woche auf einem Stück Schiefer hinter dem Fabrikeingang, damit jeder lesen konnte: Velencei Kálmáns Frau hat sich verspätet. Die Arbeit in der Fabrik hatte ihren Kehlkopf zerstört, wie meine Mutter sagte. Zwischen ihren Zähnen hatte sie Fäden aus Baumwolle festgehalten, während eine Maschine die Fäden säuberte. An einem Webstuhl hatte sie mit ihren Händen rotes Garn von rechts nach links und wieder zurück gejagt. Wenn der Faden riß, weil der Tag heiß war und die Luft trocken, hatte sie ihn an ihren Lippen befeuchtet und dann zusammengeknotet. War die Spule leer, hatte sie eine neue eingesetzt und dabei das Garn mit ihrem Mund durch ein kleines Loch gesogen, um ihn einzufädeln. Stückchen aus Baumwolle hatte meine Mutter in den Hals bekommen, über Jahre hatte sie kleine Abfälle geschluckt.
Wir lebten im Westen des Landes. Meine Großmutter wohnte ein paar Dörfer weiter. Sie hatte graues Haar, das sie im Nacken zu einem Knoten steckte, und die schönsten Lippen der Welt, wie alle sagten. Ihre Augen waren schwarz, wie die meiner Mutter, die als Kind versucht hatte, sie mit Seife heller zu waschen, weil irgendwer im Dorf Zigeunermädchen zu ihr gesagt hatte. Meine Großmutter wohnte in einem rostfarbenen Haus, umgeben von Feldern und Gärten. Jeden Sonntag lief sie länger als eine Stunde zur Kirche, zwischen Feldern, dem Geläut der Glocken entgegen, das lauter wurde, mit jedem Schritt. Kurz bevor die Kirche hinter einer Reihe von Bäumen auftauchte, kreuzte sie den Weg der anderen, die genau wie sie unter den Blicken des Pfarrers die Hände über ihrem Gesangbuch zusammenlegten. Nicht einen Sonntag ließ sie aus. Sie ging selbst dann, wenn sie so hustete, daß sie nicht mehr reden konnte. Sie glaubte, gerade jetzt müsse sie gehen, weil der Husten aufhöre, sobald sie in die Kirche kam, und es war wirklich so: Der Husten hörte auf, sobald sie die Kirche betrat.
Meine Großmutter deutete unsere Träume. Wenn wir schlecht träumten, sagte sie, es sei gut, und wenn wir Schönes träumten, sagte sie, wir hätten Grund zur Sorge. Vielleicht erfand sie diese Dinge auch, manchmal schien das Gesetz nicht zu stimmen. Ein geschnürtes Päckchen auf dem Rücken bedeutete langer Weg ohne Rückkehr. Tiefe, schmutzige Wasser sagten schwere Krankheit voraus.
Wenn ich bei ihr war, schmierte meine Großmutter Schmalzbrote, die ich schweigend am Küchentisch aß. Von der Lampe über mir hing ein Klebestreifen, der schwarz von Fliegen war. Ich fragte mich, wie sie starben, diese Fliegen, an was. Konnte man sterben, weil man festklebte? An Sommerabenden saßen wir im Hof und warteten, bis es um uns herum blau wurde, bis der Himmel näher kam und die ersten zwei, drei Sterne zeigte. Meine Großmutter stellte keine Fragen. Manchmal blieb ich ganze Tage, auch über Nacht. Ich mochte die Stille in ihrem Haus, die Schatten auf ihrem Hof. Nachts kam das einzige Geräusch von einem Hund, der an seiner Leine zerrte. Ich wußte, niemand sorgte sich, niemand vermißte mich. Nur Isti schaute mich an mit einem Blick voller Vorwürfe, wenn ich zurückkam und mich ankündigte mit der Fahrradklingel. Es dauerte Stunden, bis er wieder mit mir sprach.
Als meine Mutter noch bei uns war, fuhren wir oft mit dem Zug. Ich glaubte, wir ließen keinen Weg aus, der uns irgendwohin führte, keinen Ort, an dem wir irgendwen kannten, wenn auch noch so flüchtig. Wenn wir aus dem Zug stiegen, spuckte unsere Mutter auf einen Kamm, scheitelte unser Haar und zupfte an unseren Kleidern. Sie nutzte jede Gelegenheit, meinen Bruder und mich vorzuzeigen, obwohl wir niemals Kinder zum Vorzeigen waren. Isti sah so aus, daß man heimlich fragte, wie krank er sei. Und ich, ich sah aus wie ein Junge. Bevor meine Haare an die Schultern reichten, schnitt sie mein Vater wieder kurz. Später war ich davon überzeugt, diese Ausflüge gehörten zu ihrem Plan, uns zu verlassen. Fanden andere Gefallen an uns, konnte sich unsere Mutter leichter verabschieden. Ich mochte sie trotzdem. Meinen Bruder hat sie einmal geohrfeigt. Als er anfing zu weinen, weinte sie auch.
Unser Haus, das war eine Küche, eine Speis und ein Zimmer. Meine Eltern schliefen zusammen in einem Bett und Isti und ich auf zwei Liegen neben dem Bett meiner Eltern. Mein Vater schnarchte, meine Mutter atmete unruhig, und Isti sprach im Schlaf. Er redete mit unserem Hund, den wir heimlich Kovács nannten. Mein Vater hatte uns verboten, dem Hund einen Namen zu geben. Er sei nichts als ein dreckiger kleiner Köter, sagte er, mit allen Flöhen und Zecken, die man auf unserem Hof kriegen könne, unserem Hof, der jetzt, in meiner Erinnerung, nicht mehr ist als etwas Lehm und Kies hinter einem Zaun, dazu ein Taubenhaus und drei Akazien vor einem Graben.
Wir lebten allein, für uns. Besuch kam selten. An Ostern stürmten ein paar Jungen aus dem Dorf unser Haus und besprenkelten meine Mutter und mich mit Kölnisch Wasser. Frohe Osterfeiertage!, brüllten sie und ließen sich von meinem Vater ein Geldstück in die Hand drükken. Tagelang blieb der Geruch von Kölnisch Wasser an meinem Hals, an meinen Armen. Wofür die Spritzerei gut sein sollte, wußte ich nicht. Sie machen es, damit wir nicht verblühen, sagte meine Mutter. Wir hatten keine Wanne, nur eine Schüssel aus Blech, in der wir eingeseift wurden, bis es in den Augen brannte. Im Winter, wenn meine Mutter sich gewaschen hatte, setzte sie sich neben den Herd, um ihr Haar zu trocknen. Im Sommer ging sie dafür in den Hof, bis mein Vater sie entdeckte und es ihr verbot. Es gab niemanden, der meine Mutter hätte sehen können, aber die Wünsche meines Vaters waren Gesetz. Meine Mutter hat meinem Vater nie widersprochen. Sie hat ihn verlassen.
Nachdem meine Mutter gegangen war, schlief mein Vater in der Küche. Nachts öffnete er die Tür zum Zimmer, und ich wachte auf davon. Ich glaube, er wollte nachsehen, ob wir noch da waren, Isti und ich. Am Anfang erzählte er uns, meine Mutter sei bei Verwandten in Debrecen. Isti fragte, warum hat sie sich nicht verabschiedet, und mein Vater sagte, sie ist mit dem frühen Zug gefahren, ihr habt geschlafen. Ich wußte, es gab keinen so frühen Zug, und ich wußte, etwas war anders, etwas hatte sich verschoben, an diesem Morgen und in der Nacht davor. Vielleicht, weil mein Vater gezögert hatte, bevor er antwortete, vielleicht, weil er sich überhaupt die Mühe machte, uns zu antworten. Ich lief zu meiner Großmutter und blieb so lange bei ihr, bis ich anfing, die anderen zu vermissen. Obwohl es zu kalt war, ließ sie mich im Hof sitzen, auf einer Bank, die naß war vom letzten Regen. Ich wischte mit den Fingern übers Wasser, wartete auf den nächsten Regen, der meinen Mantel, meine Strümpfe, meine Stiefel durchweichte, und ich wünschte, er könnte mich genauso durchweichen, dieser Regen, vielleicht auflösen, und ich, ich könnte mit dem Wasser weggleiten - irgendwohin.
Als man sich dann, nach dem Gottesdienst erzählte, meine Mutter sei mit einer Freundin in den Zug gestiegen, ohne Koffer, ohne Tasche, ohne Abschied, als man sich auch erzählte, ich säße jetzt, im November, draußen im Regen, und keiner hindere mich daran - erst da verkaufte mein Vater Haus und Hof. Wir mußten Kovács zurücklassen. Isti schrie. Mit einer Schere schnitt er ein Büschel Haare aus seinem Fell und steckte es in die Hosentasche.
Für die erste Zeit sollten wir bei der Mutter meines Vaters unterkommen. Sie wohnte im Osten des Landes. Drei Tage lang fuhren wir mit dem Zug. Vielleicht, weil mein Vater nicht wußte wohin, mit sich, mit uns. Vielleicht, weil er aufschieben wollte, was jetzt beginnen würde. Wir fuhren eine Stunde, stiegen aus, stiegen um, fuhren wieder eine Stunde, schauten auf Ortsschilder, die langsam an uns vorbeizogen, warteten auf Bahnhöfen, sahen auf Gleise, übernachteten bei Menschen, die ich nie zuvor gesehen hatte, ließen uns umarmen, ließen uns küssen, stiegen in einen Bus, wieder in einen Zug, dann in den nächsten, der uns weiter weg brachte, weiter weg von uns und von allem, was wir kannten.
Isti hörte nicht auf zu weinen. In Budapest fing mein Vater an zu brüllen, Isti solle dieses Schluchzen lassen, und im Abteil schaute man erst zu ihm, weil er brüllte, dann zu Isti, weil er jetzt noch lauter weinte. Mein Vater stand auf, zerrte unser Gepäck aus dem Netz, und wir verließen den Zug und suchten nach einem Haus in der Högyes Endre utca, in der Nähe des Rings. Eine Tante meines Vaters wohnte hier. Es regnete. Seit wir in Vat in den Zug gestiegen waren, hatte mein Vater nur das Nötigste mit uns gesprochen: Setz dich hin, sei ruhig, hört auf, euch zu schlagen, ja, wir sind bald da. Jetzt trug er in beiden Händen große Koffer, schob uns vor sich durch den Regen, suchte nach Hausnummern und sagte irgendwann: Stop.
Wir waren vor einem dunklen Haus angelangt und schauten an seiner Fassade hoch. Hinter schmutzigen Scheiben flackerte Licht. Jemand schloß ein Fenster. Aus einem Radio tönte Musik. Mein Vater zündete ein Streichholz an und fuhr mit der Flamme über die Namensschilder. Neben den Türklingeln hingen lose Kabel. Putz hatte sich gelöst. Als mein Vater seinen Finger auf die Klingel drückte, rieselte etwas davon hinunter. Die Pforte öffnete sich schwer. Wir gingen ein paar Schritte durch die Dunkelheit, vorbei an einer Wand aus schwarzen Briefkästen aus Blech, und schauten auf einen großen Innenhof, in dessen Mitte der Regen fiel. Jemand hatte ein paar Pflanzen in Töpfen dort hingestellt. An den Wänden lief das Wasser hinunter und verteilte sich langsam auf dem Hof. Wir stiegen eine breite Treppe hoch und liefen über eine Galerie, vorbei an fremden Zimmern, in denen sich Schatten hinter den Vorhängen bewegten. Es war eine kleine, dunkle Wohnung im ersten Stock. Manci öffnete die Tür und umarmte uns unter Tränen. Im einzigen Zimmer bezog sie ein Bett, in dem Isti und ich Sekunden später einschliefen. Ich träumte von meiner Mutter. Sie saß im Innenhof und trocknete ihr Haar.
Jeden Morgen weckte uns Manci mit Hörnchen, die sie dick mit Butter bestrich. Wenn sie Geld hatte, brachte sie uns mittags in ein Restaurant, in dem wir uns selbst bedienten. Leuchtbuchstaben standen über dem Eingang, und wenn der Regen an die Fenster schlug, legte man die nassen Schirme in eine kleine Wanne. Isti und ich stellten uns mit großen Tabletts an und nahmen das Essen aus Vitrinen. Isti riß die Klappen hoch, ließ sie wieder fallen, bis die Teller hinter dem Glas tanzten und jemand in Haube und Kittel anfing, mit Manci zu schimpfen, ob sie nicht sehe, was dieses Kind anstelle?
Von Großmutter wußte ich, Manci war mit einem Zöllner verheiratet gewesen und hatte eine kleine Rente. Ihr Mann hatte immer das beste Stück Fleisch bekommen und Manci nur die Reste. Sie hatte weiße Locken, die sie unter einem Haarnetz zusammenband, und feines Porzellan in ihrer Kredenz. Wir nannten Manci Patentante - so wie unser Vater sie nannte. Bevor sie zu Bett ging, rieb Manci ihre Hände mit Glycerin ein und zog Handschuhe aus Plastik darüber, die sie aus einer Packung mit Haarfärbemittel hatte. Sie schlief auf dem Rücken und rührte sich die ganze Nacht nicht. Nur manchmal hörten wir das leise Knistern ihrer Handschuhe.
Tagsüber trug Manci Perlonstrümpfe, die sie abends in einer Schüssel wusch und an einer Leine in der Küche trocknen ließ. Das Wasser tropfte in schmutzige Töpfe und Teller und vermischte sich mit den Ölresten. Ich konnte dabei zusehen, wie sich farbige Pfützen bildeten, wie ein Tropfen noch einmal hochsprang, bevor er Kreise zeichnete, in grün und gelb und lila. Vor dem Küchenfenster stand eine Mauer, vielleicht einen halben Meter entfernt. Wenn es regnete, floß das Wasser hier hinunter, und Isti und ich, wir saßen auf der Liege und starrten auf das Mauerstück vor dieser Küche, vor diesem Haus, in dieser Stadt, von der Großmutter gesagt hatte, sie habe Fieber, wie der Junge aus Vat, der an Fieber gestorben war, im Sommer davor, genau so habe Pest dieses Fieber.
Mein Vater blieb nächtelang weg. Er verabschiedete sich nicht, ließ die Tür ins Schloß fallen und kehrte erst zurück, wenn es schon Mittag war. Dann legte er sich neben uns auf die Küchenliege, und wir beobachteten ihn beim Einschlafen. Erzsi, die Nachbarin, war oft bei uns, obwohl Manci sagte, Erzsi meckert wie eine Ziege. Sie brachte Zeitschriften mit, Zeitschriften mit Schlagzeilen wie Die größte Torte Ungarns oder Ein Skoda für das ganze Dorf. Wenn mein Vater neben uns eingeschlafen war, raunte Erzsi mir zu, weißt du, wo er war? Ich schüttelte den Kopf und schaute zu Boden. Wissen Sie es vielleicht?, fragte ich zurück, und Manci schimpfte, laß der Kleinen ihren Frieden. Seitdem schaute ich meinem Vater nach, wenn er die Wohnung verließ. Erzsi wußte, wohin er ging. Ich nicht.
Nachts wachte ich auf. Ich hatte die Stimme meiner Mutter gehört, ihr Gesicht gesehen und lief zur Tür, die Manci meiner Mutter soeben geöffnet hatte. Alles war still und dunkel. Ich schob die Sperre beiseite, ging vor zur Brüstung, blickte hinab in den Hof und wartete. Ich war mir sicher, jeden Moment würde sie auftauchen, dort unten, auf diesem großen Stück Asphalt. Und ich, ich würde die Tür schließen und gehen, so wie ich war, ohne Schuhe, im Hemd, über die Galerie laufen, die Treppe hinab. Isti und mein Vater sollten ruhig bleiben, ich würde sie gar nicht erst wecken. Ich stand lange dort. Erst als ich vor Kälte zitterte, ging ich zurück ins Bett.
Budapest war grau. Wo ich hinsah, sah ich nichts als Mauern, Türen, Wände. Auf der Straße schaute ich hoch in den Himmel, in diesen schmalen Streifen aus Blau. Ich wollte weg. Ich wünschte, meine Mutter würde uns abholen und zurückbringen. Ich wußte, es würde nicht geschehen. Es war, als habe jemand alle Uhren zum Stehen gebracht, als liefe die Zeit für uns nicht weiter. So, als habe man Isti und mich in Sirup fallen lassen und dort vergessen.
Isti und ich, wir durften hinaus, in den Hof, in die anderen Höfe und auf die Straße, aber nicht weiter als bis zum Ring. Wir hüpften die breite Treppe hinunter. Die Briefkästen waren leicht zu öffnen. Ich sah die fremde Post durch und suchte die schönsten Kuverts aus. Isti stand an der Tür, und wenn jemand kam, pfiff er durch die Zähne, so gut er konnte. Manchmal öffnete ich einen Brief, trug ihn über die Straße und warf ihn an der nächsten Ecke weg. Wir taten so, als hätten wir Post bekommen, als würde uns, ausgerechnet uns, jemand schreiben.
Hin und wieder entwischte ich. Ich hängte Isti ab, der mir im Treppenhaus hinterherrief, Betrügerin, Verräterin. Ich lief zum Donauufer, obwohl Manci es verboten hatte, und versuchte, den Wind mit meiner Jacke einzufangen, die ich mit gestreckten Armen über den Kopf hielt, oder mit Plastiktüten, die Manci wie einen Schatz unter ihrem Sitzkissen aufbewahrte. Als wir noch in Vat gelebt hatten, war ich so mit unseren Laken über den Hof gelaufen, bis meine Mutter gerufen hatte, klemm sie endlich an die Leine.
Mein Vater unternahm nichts, um Budapest zu verlassen, und wir, Isti und ich, wir sagten, daß wir zurückwollten. Wohin?, fragte mein Vater, und als Isti erwiderte: nach Hause, klang es zum ersten Mal komisch. Wir blieben den ganzen langen Winter, in einer Stadt, die grau war, vom Ruß, vom Rauch, vom Regen. Wir feierten mit Manci Weihnachten, und wir küßten sie zur Neujahrsnacht, in der sie schon nach einem Glas Sekt, das sie mit meinem Vater um Mitternacht trank, auf der Liege in der Küche einschlief.
Im neuen Jahr schrieb uns Großmutter, sie habe Nachricht von meiner Mutter, die über das Rote Kreuz Grüße im Radio verschickt habe. Im Westen sei sie, im Westen Deutschlands. Ab sofort sah ich zu, daß niemand mehr das Radio abschaltete, und hörte auf fremde Stimmen, die von Dingen sprachen, die ich nicht verstand. Wenn die anderen gingen, blieb ich. Es kamen keine Grüße mehr übers Radio. Wenigstens nicht für uns.
Später schickte uns Großmutter Briefe meiner Mutter, dazu ein Kärtchen, auf dem stand, daß alle Briefe geöffnet und wieder zugeklebt worden seien. Meine Mutter schrieb, sie sei in einem Lager, in einer kleinen Stadt. Im Wirtshaus hätten zwei Ungarn Krawall geschlagen, und der Wirt habe ein Schild über den Eingang gehängt: Für Ungarn verboten. Der nächste Brief kam aus einer anderen Stadt, weiter im Norden, wo meine Mutter jetzt als Spülerin in einer Gaststätte arbeitete. Manci las uns die Briefe vor, wenn mein Vater nicht da war, auf unser Drängen immer wieder, obwohl wir jedes Wort, jeden Satz schon kannten. Wenn sie etwas übersprang, beschwerte sich Isti, daß sie das mit dem Lager oder das mit den Gläsern ausgelassen hatte, und dann las Manci weiter, und jedesmal sagte sie, da hatte es eure Mutter bei uns doch genauso gut.
Als es Sommer wurde, lief ich an den Nachmittagen zum Donauufer, legte mich ins Gras, schaute den Ruderern zu und wiegte mich in den Kommandos, die sie einander zuriefen, in ihren lauten, harten Stimmen, die so anders waren als die weichen, leisen Geräusche des Wassers. Ich stellte mir einen langsam in die Nacht fahrenden Zug vor und mich als einzigen Fahrgast. Pest entglitt ich auf diese Weise oft. Es gelang mir sogar, ohne die Augen schließen zu müssen. Ich floh vor Manci, wenn sie abends ihre Beine hochlegte, ich floh vor Isti, vor der Stadt, vor der Mauer, die ich vom Küchenfenster aus sah. Mein Zug fuhr einem hellen Mond entgegen. Er donnerte über Brücken aus Stahl. Ich schaute hinunter auf Flüsse, die ich in der Dunkelheit nur erahnen konnte.
Manchmal verbrachte mein Vater den ganzen Tag mit uns. Geld für das Freibad hatten wir nicht, aber mein Vater kannte am Palatinus eine Stelle, an der wir leicht über den Zaun klettern konnten. Er stemmte uns nach oben und zog sich dann selbst am Zaun hoch. Auf der anderen Seite sprang er hinab, und wir ließen uns kreischend in seine Arme fallen. Weder Isti noch ich konnten schwimmen. Niemand konnte schwimmen, wenigstens nicht dort, wo wir gelebt hatten. Nur mein Vater. Er schwamm seine Bahnen, und Isti und ich, wir schauten ihm vom Beckenrand aus zu. Ich verpaßte keine seiner Bewegungen. Er hob und senkte seinen Kopf, zog seine Lippen zu einem O, jedesmal, wenn er auftauchte, warf seine Arme nach vorne, und wenn er sie wieder eintauchen ließ, verdrängte er dabei soviel Wasser, daß es über den Beckenrand trat. Vor meinen Augen bildete sich eine kleine Pfütze, in die ich meine Zehen steckte. Isti legte sein Gesicht auf den warmen Asphalt. Wenn er den Kopf hob, klebten Steinchen an seiner Wange.
Im Wellenbad hielt uns mein Vater hoch, und Isti zappelte in seinen Armen wie ein Fisch, den man an Land geworfen hat. Wir schrien, wenn große Wellen auf uns zurollten und meinen Vater ohrfeigten, wir stiegen auf seine gefalteten Hände und sprangen rückwärts ins Wasser. Wir waren unermüdlich. Erst als unsere Zähne klapperten, schickte uns mein Vater ins Thermalbecken, wo wir auf dem Rücken lagen und die Zehen aus dem Wasser streckten. Abends vor dem Einschlafen sagte mir Isti, er wolle Schwimmer werden.
Wenn mein Vater uns tagelang allein ließ, ging ich mit Isti zum Ostbahnhof. Wir liefen über Gleise, standen an Bahnsteigen und spuckten auf Straßenbahnen, die vorbeifuhren. Als wir besser wurden, spuckten wir auf Züge. Am liebsten auf Züge, die in unsere Richtung, in Richtung unseres Dorfes fuhren. Wir spuckten und brüllten, Küßt mir Vat! Grüßt mir Vat! Küßt Kovács von uns! Dann liefen wir erschöpft durch die Bahnhofshalle. Isti wiederholte Städtenamen, die sie über Lautsprecher ausriefen, auf unserem Weg zurück, viele Male hintereinander, und ich sagte, als wüßtest du, wo diese Orte liegen. Er sprach sie so aus, als seien es keine Städtenamen, sondern etwas anderes, ein Sprichwort, ein Gebet. Manchmal klang es so, als müßte man diese Namen genauso aussprechen, wie Isti es tat, wenn er sie schnell hintereinandersetzte: Hatvan-Hatvan-Hatvan, Gödöllő-Gödöllő-Gödöllő.
Isti träumte davon, Fische zu kaufen und sie in einem Aquarium schwimmen zu lassen. Ihnen zuschauen beim Schwimmen, das wollte er. Es gab diesen Fischladen in Pest, nur ein paar Straßen von der Högyes Endre utca entfernt. Isti und ich gingen oft dorthin. Wir standen vor dem Fenster und beobachteten die Fische in ihrem Bassin. Wie sie ihre Flossen bewegten. Wie sie zuckten, wenn man sie aus dem Becken nahm. Wie sie ihre Farbe dabei verloren. Isti leerte seine Blechbüchse vor den Augen des Fischverkäufers auf einem großen Tisch. Der Verkäufer goß Wasser in eine Plastiktüte und ließ sieben Fische hineingleiten, die sofort anfingen zu zappeln. Sieben Fische! Sieben Fische schwimmen für mich!, sang Isti auf dem Rückweg und sprang dabei so hoch, daß Wasser aus der Tüte schwappte. Vielleicht war er das letzte Mal so glücklich gewesen, als wir Kovács Kovács getauft hatten.
Drei Tage lang schwammen die Fische in Mancis Küche in einem alten Eimer. Morgens warfen Isti und ich Speisereste ins Wasser und sahen dabei zu, wie die Fische um Brotkrumen kämpften und dabei so heftig mit ihren Flossen schlugen, daß Wasser auf den Küchenboden spritzte. Einen kleinen schwarzen Fisch nannte Isti Königin. Warum glaubst du, daß er weiblich ist?, fragte Manci. Er ist der einzige, der glänzt, antwortete Isti.
Als mein Vater zurückkam und die Fische sah, wurde er furchtbar wütend. Er schickte uns aus der Küche und verschloß die Tür. Als wir kurz darauf zurückgerufen wurden, war der Eimer leer. Die Fische lagen auf dem Tisch, fein säuberlich nebeneinander. Mein Vater hatte ihnen die Köpfe abgeschnitten. Isti nahm die Überreste der Königin und verschwand. Er sprach drei Wochen lang nicht mit uns. Er versank in einen Dämmerzustand, der schlimmer war als Vaters Tauchen. Ich hatte Angst. Wenn mein Vater seine Hand auf Istis Schulter legte, schüttelte er sie ab. Wenn wir auf Isti einredeten, tat er so, als höre er uns nicht. Vielleicht hörte er uns wirklich nicht.
Gegen Ende des Sommers sagte Manci, ich müsse zur Schule. Als mein Vater sich nicht rührte und Manci verkündete, sie selbst würde mich anmelden, packten wir unsere Sachen. Mein Vater nahm unsere Kleider aus dem Schrank, und ich legte sie ohne ein Wort zusammen, während Manci auf meinen Vater einredete. Wir trugen unsere Koffer nach unten. Über die Galerie, vorbei an den vielen Fenstern, die Treppen hinunter, den Briefkästen aus Blech entlang, genauso, wie wir gekommen waren. Erzsi folgte uns - Manci hatte an ihre Scheibe geklopft - und drückte Isti ein Päckchen Bitterschokolade in Stanniol in die Hände.
Jetzt erfuhren wir, wo mein Vater seine Budapester Nächte verbracht hatte: bei seiner Freundin Éva. Éva nahm uns in ihrem Wagen mit in Richtung Osten. Sie fuhr in ihre Zukunft, wie sie nicht müde wurde, Manci und Erzsi zu erklären. Sie habe einen Verlobten, Karcsi heiße er, und die Hochzeit sei in nur wenigen Wochen. Manci flüsterte Erzsi zu, gewiß sei er eine gute Partie, und deutete auf den Wagen.
Éva legte ihre Hände auf das Lenkrad. Ich konnte ihre lackierten Fingernägel sehen. Rosa waren sie. Isti und ich saßen auf der Rückbank, nie zuvor hatten wir in einem Auto gesessen, wir kannten nicht einmal jemanden, der ein Auto besaß. Éva schaltete den Motor ein, und Isti packte Erzsis Schokolade aus. Verschmiert mir bloß nicht die Sitze, mahnte Éva. Mein Vater steckte sich eine Zigarette an, kurbelte das Fenster hinunter und ließ seinen Arm hinaushängen. Erzsi faßte ihn mit beiden Händen und sagte, paß auf diese Kinder auf. Manci fing an zu weinen, und als der Wagen sich in Bewegung setzte, winkten wir ihr durch das Rückfenster, bis sie kleiner wurde und schließlich verschwand.
Wir kehrten nicht mehr zurück nach Pest. Weder zu Manci, noch zu Erzsi, noch zu sonstwem. Aber überall im Land, wo immer wir waren, gingen Isti und ich an Bahnhöfe, um auf Abfahrtsplänen nach Zügen zu suchen, die nach Budapest fuhren. Wir gingen zu Fuß, wir fuhren mit dem Fahrrad, wenn es eins gab, wir ließen uns von Fremden auf ihrem Motorrad mitnehmen. Ich hatte Isti gezeigt, wie das Wort Budapest aussah. Es war das einzige Wort, das er lesen konnte, und für lange Zeit blieb es das auch. Nur wenige Züge fuhren nach Budapest. Wenn wir einen Zug entdeckten, merkten wir uns die Abfahrtszeit und sagten sie einander immer wieder auf. Isti vergaß nicht eine. Selbst wenn wir einen Ort längst schon verlassen hatten, behielt er die Abfahrtszeiten von dort im Gedächtnis. Wir machten es zu einem unserer Spiele. Isti forderte, frag mich was, ich nannte ihm einen Ort, und er sagte mir die Zeiten dazu. Für Abfahrt und Ankunft.
Was sieben Uhr fünfzehn oder siebzehn Uhr dreiundfünfzig bedeuteten, wußten wir nicht wirklich. Für uns waren die Zeitangaben nicht mehr als Zahlen, nebeneinanderstehende Zahlen. So, wie der Preis für ein Kilo Kartoffeln oder sonst etwas, das wir mit dem Geld meines Vaters kauften. Das Komische war: Unser Leben ging weiter, obwohl meine Mutter uns verlassen hatte. Der Morgen kam, es wurde Nacht, und daß es so war, überraschte mich nicht mehr. Wir standen auf, wir setzten uns in Bewegung, wir fluchten, wir beteten, wir aßen, wir stritten miteinander. Mir kam es so vor, als würden wir etwas Unrechtes tun, als dürfte die Zeit nicht vergehen. Nicht so.
Als Manci Jahre später starb, lebten wir wieder im Osten des Landes. Aus Erzsis Briefen, die uns hin und wieder erreichten, wußten wir, Manci hatte ihre Zunge nicht mehr bewegen, nicht mehr reden und kaum mehr schlucken können. Sie hatte sich nicht mehr gezeigt, sie schien auch das Haus nicht mehr verlassen zu haben. Wenn Erzsi bei ihr geklopft hatte, hatte sie nicht geöffnet, und Erzsi hatte Tüten mit Einkäufen vor Mancis Tür gestellt und war wieder gegangen.
Jahre nach Mancis Tod fuhr ich nach Budapest, um ihr Grab auf dem Kerepesi-Friedhof zu besuchen. Ich ging sonntags, wenn alle gehen, ihre Hände aus den Wagenfenstern strecken, vor der Einfahrt, und den Blumenverkäufern die Sträuße abkaufen. Ich lief über Kieswege, die mir endlos schienen, vorbei an Namen, die ich laut vor mir her sagte, Tóth Lajos, Vitányi Orsolya, Hajdu Péter, und blieb stehen an Gräbern, vielleicht bloß, um vorzugeben, jemand zu sein, der jemanden hatte. Ein Friedhofswärter hatte ein Kreuz in einen Plan gezeichnet, für die Reihe, in der ich Mancis Grab finden würde. Auf ihrem Grabstein stand nur der Name, kein: Wir trauern um unsere geliebte, kein: Hier ruht in Frieden. Davor welkten in einem Topf gelbe Blumen. Ich fragte mich, wer sie gebracht hatte. Außer Erzsi fiel mir niemand ein, der sich die Mühe gemacht hätte, hierher zu kommen.
Damals dauerte es lange, bis wir Budapest endlich verlassen hatten und die Stadt nicht mehr als ein dunkler Fleck im Rückspiegel war. Häuserfassaden zogen an uns vorbei, Straßen, Menschen, die liefen, die warteten, allein, in der Menge. Isti starrte aus dem Fenster, und ich dachte, irgendwo werden wir sie vielleicht entdecken. Mit ihrem Kopftuch, auf ihrem Fahrrad.
Wir fuhren einen Tag und eine Nacht lang Richtung Osten. Als wir unsere Sachen gepackt hatten und die Treppen hinuntergestiegen waren, hatte mein Vater uns eingeschärft, er wolle keine Klagen hören, keinen Laut. Nicht jetzt und erst recht nicht während der Reise. Wenn wir etwas brauchten, sollten wir auf seine Schulter tippen, aber nicht Éva fragen. Isti und ich blieben still, auf der ganzen Fahrt sagten wir nicht ein Wort. Ich saß hinter Éva und sah, wie sich kurz vor Hatvan ihr Nacken rot färbte, rot wie das Tuch, mit dem Éva ihr Haar hochgebunden hatte. Éva wischte sich kleine Schweißperlen von der Stirn, zupfte an ihrem Blusenkragen und fächerte sich mit einer Hand Luft zu, wenn wir anhielten, damit Éva ihre Schuhe ausziehen konnte. Auf irgendeine Weise bereitete es mir Freude, sie so zu sehen.
Als es Nacht wurde, kamen Tiere auf die Straße. Füchse liefen uns entgegen, blieben im Licht des Scheinwerfers stehen, Éva bremste und fluchte. Isti wachte auf und griff nach meiner Hand. Mein Vater schrie und winkte, Éva hupte. Später waren es Hasen, Unmengen von Hasen, die wir im Lichtkegel gefangen hielten. Am Morgen kreisten Schafe den Wagen ein, hüllten uns in eine Wolke aus Staub, und Isti und ich fingen an, hinter vorgehaltener Hand zu lachen. Éva herrschte meinen Vater an, er solle etwas tun. Auf einem Feld entdeckte Isti den Schäfer, ein Hund jagte bellend hinter der Herde her. Als die Schafe uns freigegeben hatten, stieg Éva aus und prüfte den Wagen. Sie schimpfte über den Schäfer, sie schimpfte über die Straße, die keine sei, über die Tiere, über den ganzen gottverdammten, verlassenen Osten.
Wir fuhren Richtung Szerencs, was soviel heißt wie Glück. Mein Vater hatte uns in der Gegend eine Bleibe bei seiner Kusine Zsófi besorgt. Éva setzte uns vor einem Gartentor ab, durch dessen grüne Farbe sich der Rost gefressen hatte. Ein paar Jungen mit nackten Füßen waren uns seit der Abzweigung vor dem Dorfschild gefolgt und starrten jetzt auf Évas Auto. Éva fuhr uns an, schaut nicht hin, es sind Zigeuner, und den Fremden rief sie zu, macht, daß ihr weiterkommt. Dabei zischte sie durch die Zähne, tsch-tsch-tsch, als würde sie eine Katze vertreiben.
Zsófi eilte uns entgegen, sagte, mein Gott, wie ist er blaß, und strich Isti über den Kopf. Gebt ihr ihm nichts zu essen? Sie legte ihre Hände um mein Gesicht, das ist also Kata, was ist sie gewachsen. In der Küche schrie ein Kind in seinem Gitterbett und trommelte gegen den bemalten Putz. Auf dem Herd kochte etwas in einem großen Topf, der Deckel tanzte. Jenő, Zsófis Sohn, trat auf uns zu und verschwand wieder hinter einem Vorhang aus Plastikstreifen, der in der Tür flatterte, um die Fliegen fernzuhalten. Jenő trug Gummistiefel, mit denen er kniehoch im Schlamm gestanden hatte. Eine blasse Narbe verband seinen Mund mit seiner Nase. Seine Haut war weiß und übersät mit kleinen schwarzen Kratern. Im Hof bellte ein Hund, der sich beißend und schnappend drehte und dabei seine Kette um sich wickelte.
Geht nicht in seine Nähe, warnte Zsófi und goß meinem Vater aus der Flasche mit dem Selbstgebrannten in ein kleines Glas. Mein Vater sagte, auf unsere Gesundheit, und leerte es in einem Zug. Zsófi hatte nur wenige Zähne. Es fiel mir schwer, sie zu verstehen. Auf ihrem Hals wackelte ein dicker Kropf, den man später wegschnitt, rechtzeitig vor Évas Hochzeit. Zurück blieb ein dicker roter Strich.
Zsófi überließ uns ein Zimmer. Von dem Bett aus, das ich mit Isti teilte, sah ich auf ein Fenster, in dem sich die Blätter eines Nußbaums spiegelten. Ich lag oft da und sah, wie sie im Wind zitterten. Nebenan spielte Jenő Klavier. Weggehen wolle er, sagte er mir, wenn wir allein waren und uns niemand hörte, vielleicht nach Pest, vielleicht weiter in Richtung Westen. Klavier spielen wolle er, sonst nichts. Was kümmere ihn der Hof, ausgerechnet ihn. Wenn Isti und ich unsere nackten Füße in den Hühnerkot stellten und dabei zusahen, wie sich unsere Zehen braun färbten, schnappte Jenő ein Huhn und steckte es in einen Eimer. Eine Weile schleuderte er den Eimer an seinem ausgestreckten Arm, zog das Huhn heraus und hielt sich den Bauch vor Lachen, wenn es vor unseren Augen versuchte weiterzulaufen. Besoffen ist es, schrie Jenő und es klang so, als wolle er uns sagen, nur er dürfe auf diesem Hof Hühner in Eimer stekken, und nur er.
Wir wohnten außerhalb des Dorfes. Schickte man uns zum Brotholen, dauerte es, bis wir die ersten Häuser erreichten. Ein kurzes Stück der Dorfstraße war aus Asphalt, an heißen Tagen tat es weh, darauf zu gehen. Im Dorf gab es einen Hund, der Vögel jagte. Isti und ich verbrachten Tage damit, ihm dabei zuzuschauen, wie er nach Tauben schnappte und nicht eine von ihnen erwischte. Wir saßen auf dem Kirchplatz, im Schatten, den der Turm warf, sprangen hin und wieder auf und rannten dem Hund und den Vögeln hinterher. Kein Hund jagt Tauben, sagte mein Vater, als wir ihm davon erzählten.
Seit der Sache mit den Fischen waren wir anders. Wenn in der Küche ein Glas auf den Boden fiel und zersprang, glaubte ich, es sei passiert, weil ich es dort abgestellt hatte. Ich hatte angefangen, mir meine Träume zu merken, sie zu sammeln. Mindestens zehn konnte ich Isti erzählen. Ich setzte sie immer wieder neu zusammen, schmückte sie aus, spann sie in Geschichten ein, die ich mir ausdachte. Ich ging ins Bett, um zu träumen, um am nächsten Morgen mit einem Bild, mit einem Gefühl aufzuwachen, das ich ansonsten vergeblich suchte. Oft lag Isti auf dem Rücken, die Arme unter der Brust verschränkt, und war nicht ansprechbar. Er schien mit geöffneten Augen zu schlafen. Zsófi hatte ihn einmal so erlebt und ihn daraufhin zum Dorfarzt geschickt. Seitdem nahm Isti jeden Tag Tropfen aus einer kleinen Flasche. Vielleicht gab er sie auch dem Hund oder ließ sie vom Löffel in den Schmutz fallen, jedenfalls änderte sich nichts an Istis Art, sich zu benehmen, auch als die Flasche mit der Medizin längst schon leer war. Sobald es abends dämmerte, streunte Isti oft durch die nahen Wälder und kehrte erst tief in der Nacht oder am nächsten Morgen erschöpft zurück. Mein Vater verlor kein Wort darüber, und es war gut so. Wir wußten nicht, was Isti tat.
Zsófi hatte Arbeit an der Zugstation. Sie putzte dort Waggons. Manchmal nahm sie uns mit, und Isti und ich tobten durch die leeren Züge. Wir knallten Türen, rissen Fenster auf, sprangen auf Sitze. Zsófis Mann Pista reparierte die Traktoren der Umgebung, fuhr morgens mit dem Fahrrad nach Szerencs und kehrte mit einem Traktor zurück, den er im Hof abstellte. Er hatte schwarze Fingernägel und nahm Schrauben und Schlüssel aus einer Tasche, die Zsófi auf seine Hose genäht hatte. Als Isti und ich Ratten im Schuppen entdeckten, erklärte Pista, wenn wir Fallen aufstellen, werden sie wiederkommen, wir müssen ihnen mit einer heißen Nadel in die Augen stechen. Er legte eine Nadel neben die Herdflamme, und als sie glühte, versteckten Isti und ich uns auf dem Heuboden.
Mein Vater arbeitete auf dem Hof. Manchmal ging er auch mit Pista und Jenő und sie fanden Arbeit auf den nahen Feldern. Mit Pista und Zsófi trank er abends ein paar Flaschen leer, und ich hörte ihre Stimmen vom Bett aus. Du wirst eine andere Frau finden, du siehst gut aus, sagte Zsófi, und Pista fragte, was braucht er eine Frau, die ihm wegläuft? Später erfuhr ich, Pista hatte mit seiner Schwester kein Wort mehr gesprochen, nachdem sie sich hatte scheiden lassen, aber seinen Schwager hatte er weiterhin empfangen. Als Zsófi einen Mantel mit Pelzkragen erbte, sagte Pista zu ihr, jetzt kannst du dich auch raus auf die Straße stellen. Den Mantel hat sie nie getragen.
Sonntags beim Essen suchte man nach Worten. Zsófi teilte die Speisen aus, stellte sich neben den Tisch und schaute uns dabei zu, wenn wir schweigend die Teller leerten. Sie aß nie mit uns. Sie glaubte, wer kocht, kann nicht auch essen, nicht an dem Tisch, zu dem er das Essen trägt. Wenn sie den Kaffee aufsetzte und den Likör brachte, zog Pista Jenő am Ohr zum Klavier, forderte, spiel uns was, und Jenő stolperte hinter seinem Vater her, setzte sich ans Klavier, ließ den Deckel so fallen, daß wir erschraken, öffnete ihn wieder und fing an zu spielen. Dabei preßte er seine schmalen Lippen aufeinander, so sehr, daß sie nicht mal mehr als Strich zu sehen waren. Nach jedem Stück fuhr er mit den Fingern einer Hand durch sein klebendes schwarzes Haar, auf dem sich kleine weiße Punkte wie Sand verteilten.
Oft schickte uns Zsófi ins Dorf, um meinen Vater und Pista aus dem Wirtshaus zu holen. Wir brauchten lange. Wir kletterten auf Bäume, streunten durch fremde Gärten, bis uns ein Bellen verscheuchte, und nahmen Dinge mit, die uns nicht gehörten, nur um sie in den nächsten Graben zu werfen. Erst kurz bevor das Wirtshaus schloß, kamen wir an. Isti strich mit einer Hand über die schwarzen Rahmen der Fahrräder, die an der Mauer lehnten. Ich schnappte mir eins, drehte ein paar Runden auf dem Kirchplatz, und Isti versuchte unter einem Fenster, die Stimme unseres Vaters herauszuhören.
Dort saß er, im Qualm der Zigaretten, der nach oben stieg, zwischen anderen, in ihren immer gleichen blauen oder grauen Anzügen, zog an seiner Selbstgedrehten, stieß den Rauch durch die Nase und sah aus, als höre er niemandem zu, nicht Pista, nicht den Männern auf der Bank neben ihm, niemandem. Ich blieb mit Isti im Türrahmen stehen. Als mein Vater uns sah, stand er auf, kam auf uns zu, schob uns hinaus in die Nacht, setzte Isti auf den Gepäckträger und mich auf die Fahrradstange. Als wir losfuhren, atmete er schwer neben meinem Ohr und verströmte diesen Geruch, diese Mischung aus Zigaretten und Wein, die ich von ihm kannte, die ich von allen Männern kannte, die mich jemals auf dem Fahrrad mitgenommen hatten. Pista fuhr hinter uns und pfiff durch die Zähne. Er sagte, schaut hoch, Kinder, schaut euch diese Sterne an.
Morgens dauerte es lange, bis Pista aus dem Bett kam. Er wälzte sich, er fluchte, er raufte sich die Haare, er war rot im Gesicht. Seit es hell geworden war, saß ich mit Isti in der Küche, und wir hörten auf die Uhr, die zu jeder Viertelstunde schlug. Zsófi schrie, wer kümmert sich um die Tiere. Ich sagte, ich kann es doch tun, und Zsófi zischte, ach du.
Es war, als vermißten wir Manci. Manchmal dachte ich an die Töpfe, die sie auswischte, an ihre knisternden Handschuhe, nachts. Hin und wieder tröstete ich mich mit dem Gedanken, auf einen Zug zu springen und wegzufahren. Ich hätte Erzsis Zeitschriften in Kauf genommen, ihr Lachen, die grauen Wände, die Mauer vor dem Küchenfenster. Die Abfahrtszeiten kannte ich, die Uhr konnte ich lesen. Isti würde ich mitnehmen.
Als Éva heiratete, bekam ich ein neues Kleid. Éva brachte es am Vorabend der Hochzeit und legte es so, wie es war, in Papier gehüllt, aufs Bett. Mit meinem Vater stand sie noch eine Weile im Hof, während ich mein Kleid auspackte und mit meinen Fingern über den Stoff strich. Meinen Vater hörte ich kaum. Nur Évas aufgeregte Stimme und wenig später, wie sie mit ihrem Auto davonfuhr. Ich lehnte mich aus dem Fenster. Mein Vater stand auf der Straße, hatte die Hände tief in die Hosentaschen gesteckt und schaute dem Wagen so lange nach, bis er hinter ein paar Bäumen verschwand. Dann lief er los, trat Steine vor sich her und wirbelte dabei so viel Staub auf, daß ich ihn nicht mehr sehen konnte.
Am Morgen vor der Hochzeit machte Zsófi unsere Haare. Sie legte einen Lockenstab in den Ofen und nahm ihn dann mit einem dicken Tuch in die Hände. Rühr dich nicht, sagte sie, klappte den Lockenstab auf und klemmte Strähnen meiner kurzen Haare dazwischen. Ich saß regungslos, sah zu Boden, auf zwei Fliegen, die dort kreisten, und wagte nicht, mich zu beklagen, selbst als mir das Eisen am Kopf brannte. Auf dem Weg zur Kirche streute ich Blumen, große weiße Blüten. Fast das ganze Dorf schritt in einer langen Schlange hinter Braut und Brautvater her, vorbei an Pappeln, vorbei an den wenigen Kastanien. Wer nicht mit uns ging, stand am Gartenzaun und winkte. Andere folgten uns, als wir vorbeizogen, meinem Vater neben Isti, Jenő, Pista und den Männern aus dem Wirtshaus in einer der hinteren Reihen. Alle trugen dunkle Anzüge und weiße Hemden. Pista trug sogar einen Hut. Mein Vater hatte seit dem Morgen diesen Blick, mit dem er uns nicht mehr wahrnahm. Uns nicht, niemanden mehr.
Im Hof von Karcsis Eltern hatte man eine große Tafel gedeckt. Drei Schweine waren in der Woche zuvor geschlachtet worden, dreimal hatte man ihr Blut in großen Töpfen aufgefangen. Karcsis Mutter hatte es gekocht, und Vater und Sohn hatten sich gestritten, wer zuerst davon kosten dürfe. Während wir die Suppe aßen, sang Évas Vater mit hochroten Wangen und wischte sich zwei, drei Tränen weg. Sein Kinn zitterte, und wenn seine Stimme versagte, nahm er einen Schluck Wein und sang dann weiter. Er öffnete die Arme, er sah aus, als wolle er die Welt anflehen, als wolle er sie umarmen. Er schaute zu seiner Frau, zu seiner Tochter und immer wieder zu den Ästen der Kastanie über unseren Köpfen, die so dicht wuchsen, daß sie den Himmel verdeckten.
Ich fand, Éva war hübsch anzusehen. Ihre dunklen Haare hatte sie aufgesteckt, ein Schleier bedeckte ihre Schultern. Wenn sie sich setzte und dabei den Saum ihres Kleides hochzog, konnte ich ihre feinen weißen Schuhe sehen. Ihr Gesicht glänzte, und auf ihrem Nacken zeigte sich der erste rote Fleck wie der Abdruck eines Fingers. Karcsi neben ihr war bereits betrunken. Seine Lider hatten sich gesenkt. Zu sehen blieb das wäßrige, zerfließende Blau seiner Augen.
Ich stellte mir die Hochzeit meiner Eltern vor. In unserem Kästchen lag ein Foto, meine Mutter in weißer Spitze, ihre Locken zusammengebunden, mein Vater ohne Bart, seine Haut noch zart, fast wie die eines Kindes, ein bißchen wie Milch und Honig - beide. Meine Eltern hatten eine Liebesgeschichte, was selten war. Bei uns heiratete man niemanden, den man liebte. Eine Frau entschied sich für den ersten, der sie anlächelte, oder sie nahm den einen, den ihre Eltern beim Sonntagstanz für sie ausgesucht hatten. Die Blumen, die der junge Mann zum Tanz mitgebracht hatte, wurden im Garten eingepflanzt, und es galt als gutes Zeichen, wenn sie den Winter überlebten und im Frühling wieder blühten.
Gegen Abend waren die Tischtücher im Hof von Karcsis Eltern vom vergossenen Wein rosarot gefärbt. Das Licht tauchte Wiesen und Straßen aus Staub in ein tiefes Blau. Eine Kapelle spielte, drei Geiger in roten Westen. Ich schnappte mir einen Lampion und scheuchte Isti durch den Garten. Wir liefen so lange, bis wir die anderen kaum noch hörten und der Lampion das einzige Licht spendete. Wir tasteten uns durch die Dunkelheit. Isti rief, such mich, und verschwand hinter einer Reihe von Obstbäumen, deren Umrisse schwarz in die Nacht ragten. Ich folgte ihm ein paar Schritte und ließ ihn dann allein zurück.
Ich sprang von Stein zu Stein, versuchte, den Boden nicht mehr zu berühren, und kletterte auf eine Mauer, um zurück zum Fest zu schauen. Mein Blick fiel auf Éva in ihrem Brautkleid. Sie stand nur wenige Meter von mir entfernt und lehnte an einem Bretterverschlag. Ein Bein hatte sie angewinkelt, ihr Kleid hochgezogen. Ihr Schleier hatte die Schultern freigegeben. Vor ihr stand mein Vater und blies ihr den Rauch seiner Zigarette ins Gesicht. Die feinen Haare auf Évas Stirn bewegten sich wie bei einem Windstoß, der ein Fenster öffnet. Als Éva mich sah, stieß sie sich mit ihrem Fuß ab und richtete ihr Kleid. Mein Vater drehte sich um und schüttelte seine Hand so, als verscheuche er eine Fliege. Ich sollte gehen und kein Wort darüber verlieren.