Der Seckel mit seinem Kanarienvogel - Rolf K. Regelmann - E-Book

Der Seckel mit seinem Kanarienvogel E-Book

Rolf K. Regelmann

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Beschreibung

"Wer als Seckel geboren ist, kann nicht als Kanarienvogel sterben!" - wie wahr. Es geht einfach nicht. Punkt. Das ist eine der Redewendungen der Altvorderen aus dem früher kleinen Ort am schwäbischen Bodensee. Der Autor hat einige dieser Sprüche gesammelt, ausgewählt und versucht, sie zu interpretieren. Die Phrasen sind nicht nur Dokumente einer Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er-Jahre hinein - manche von ihnen sind inhaltlich bis heute aktuell geblieben. Die Altvorderen brachten die Dinge auf den Punkt. Mit philosophischem Augenzwinkern und einem treffsicheren, schwäbischen Dialekt.

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Über den Autor:

Rolf K. Regelmann ist am Bodensee geboren und lebt dort. Er hat Verwaltungswissenschaften studiert und ist bereits älter. Ein Schlaganfall hat sein Leben verändert.

Von Rolf K. Regelmann erschien im selben Verlag:

Der Wanderer von Nisyros, ISBN 978-3-7578-1190-7

Kontakt zum Autor: [email protected]

Für L. und E.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

„Nix sage isch Lob gnua!“

„Nix hon isch e ruhige Sach.“

„Vo nix kommt nix!“

„I ka esse und trinke wa´ne will, mir schmeckt halt koi Arbet.“

„Des schmeckt wie ei´gschlofene Fiaß!“

„En Toter hot lang an em Pfennig, demma ihm auf de Ranze lega duad.“

„Liab dein Nächschte, solang´r warm isch.“

„Du Scheraschleifer!“

„Du Scheradengler!“

„I häng d´r s´Kreiz aus!“

„I hon au studiert - Hektoliteratur …“

„Wenn mer von’re Sach koi Ahnung hot, sott me d´Gosch halta!“

„Dummheit frisst, Intelligenz seift!“

„Du hosch e Gfiahl wie e Sau, wenn´se in d´r oigene Futtertrog neisoicht!“

„Des isch wie wenn’re Kuah in Arsch neiblosch und wartesch, bis’d Hörner grad werred.“

„Du langsch zua wie e Katz noch´re Broatwurscht!“

„Vom Du zum Arschloch isch en kurza Weg.“

„Wer als Seckel gebore isch, ka it als Kanarievogl sterba.“

„I bin de guatmütigschte Mensch uf de Welt, wenn me mi bloß in Ruh‘ lässt.“

„Du bisch doch en granatemäßiger Schofseckel!“

„E Weib zieaht meh als dausend Lokomotiva.“

„D’r Balkan fangt glei hinter Bregenz a!“

„Du musch en Zwillingsbruder hon, weil oiner alloi gar it so bled sei ka!“

„Mit de große Hond zum Soicha gange wolle, aber d’r Fuaß net hochkrieaga!“

„I woiß au wie en Hond aussieht, ka aber koin mache!“

„No net g’radaus soicha könne, aber mitschwätze wolle!“

„So jung ond scho so bled.“

„Du bisch z´intelligent fir die Aufgab.“

„Des isch geischtige Onanie.“

„Du bisch z´bled, die oigene Ohra ufrecht z’trage!“

„Die Masse Mensch isch doof wie Schiffersoich.“

„D’r Mensch isch s´groescht Raubtier uf Erda!“

„Du musch de net um u’glegte Oier kimmre!“

„Meckie war en Seema.“

„I bin net naseweis, I mecht bloß alles wissa!“

„Der verdreht d’Auga wie em Feinkostlada seine Bickling.“

„Du bisch d´r Allerschönscht!“

„Wenn mer no Alldag gong ka …“

„D´r Dokter braucht Kranke, koine Gsunde.“

„Des duad emol en dumpfa Schlag!“

Vorwort

Die Altvorderen in dem früher noch überschaubaren Ort am Bodensee, wo ich geboren wurde - sie waren eine besondere Gruppe von Menschen, die in einer Ära lebten, als manche Dinge noch auf den Punkt gebracht wurden. Die Zeit verging langsamer und das Leben war beschaulich. Der Alltag war zwar von harter Arbeit, aber noch nicht von Hektik und Eile bestimmt.

Da waren der Fischer mit seinem Bootsverleih und dem Eisenhaken, der seine im Krieg verlorene Hand ersetzte … damit wirkte er wie ein Pirat, der aus einem alten Seeräuber-Film entsprungen war. Mit dem Handhaken zog er die Boote mit den Fahrgästen an den Steg. In seinem Büdchen gab es nach der Ausfahrt noch eine Orangenlimonade für mich und für die Erwachsenen ein Bier.

Der Schuster, der zwischen den Beinen fixiert die Schuhe noch mit Ahle und Knieriemen reparieren konnte. Der „Reiter vom Bodensee“ mit den tiefen Furchen im Gesicht und seine gemütliche Gartenwirtschaft am See, die es - zum Glück heute noch gibt.

Die Bäcker, Metzger und Bauern, bei denen man frische Produkte kaufen konnte. Ach ja, die Landwirte … unter ihnen der kleine, steinalte und kauzige Bauer, der das Ochsengespann noch bis weit in die 1970er-Jahre durchs Dorf bugsierte. Der Kiosk, der einem in der Nacht noch öffnete, wenn man in der Not schnell „Stumpen“ für den Opa holen sollte.

Der kleine, umtriebige Bahnhof, an dem damals die mächtigen, schnaubenden Dampfloks hielten, die wir Kinder fasziniert anschauten. Oder die alte Frau mit ihrem Gemischtwarenladen, wo man noch jede Schraube einzeln erhielt. Sie radelte, jahrein, jahraus, stets freundlich grüßend und ganz in trauerschwarz gekleidet, durchs Dorf. Sie starb mit weit über 90 und arbeitete bis zuletzt.

Der Totengräber, der eine feste Stelle auf dem Friedhof hatte. Und natürlich die Beizen, Blumen- und Frisörgeschäfte, wo man abends ein Feierabendbierchen trank oder ein Schwätzchen hielt. Nicht zu vergessen die vielen Volksfeste der Vereine, mit den Schiffschaukeln aus Holz, deftigem Bratwurstduft in der Luft und dem Licht von bunten Glühbirnen.

Bei all diesen Gelegenheiten, an all diesen Orten, in den Jahren von Ende der 1940er- bis in die 1970er-Jahre hinein, pflegten die Altvorderen - die „Originale“, die es heute so nicht mehr gibt - einen speziellen Umgangston. Er war mitunter derb, aber oft nicht so gemeint. Ihre Sprüche waren im Ort berüchtigt und zeugten von einer direkten, unverblümten Art des Ausdrucks.

Wir Kinder waren fasziniert von dem Klamauk und der Sprache der Alten. Und sie nahmen sich Zeit für uns. Zeigten uns, wie man am Strand einen Vulkan aus Sand baute und wie man ihn Feuer speiend machte. Oder wie man Folienkartoffeln in der Glut briet. Auf alle Fälle trug die sprachliche Eigenart der Altvorderen zu ihrer Identität bei und spiegelt die Zeit wider, in der sie lebten.

Sie waren jene Menschen, die in einer Zeit aufwuchsen, als die Welt, wie erwähnt, noch anders war. Der Krieg war vorüber, und sie wollten ihn bei Gott nicht noch einmal haben. Es war eine Ära, die von Aufbau, Aufbruch und Lebenslust geprägt war. Die Altvorderen hatten oft eine tiefe Verbundenheit mit den lokalen Traditionen, Werten und Gebräuchen. Geselligkeit wurde groß geschrieben. Sie verfügten über einen reichen Erfahrungsschatz und Wissen, welches sie gerne an die jüngeren Generationen weitergaben.

Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Wie können junge Generationen wissen, dass die Zukunft schön wird, wenn sie noch nicht da ist? Wie können junge Menschen eine Vergangenheit schlecht finden, die sie - wenn überhaupt - nur aus Überlieferungen kennen und nie erlebt haben? Die Altvorderen lebten - was wir heute oft verlernt haben - im Hier und Jetzt und waren, trotz (oder wegen?) aller Mühe und Arbeit, zufrieden: Psychische Probleme waren eine Seltenheit.

Vor diesem Hintergrund blühten Sprüche, die manchmal einzigartig waren, vielleicht sogar nur in einigen Familien verwendet wurden, oft aber auch einen weiteren Wirkungskreis hatten. Einige entstanden vor Ort, andere wieder sind aus der Nachbarschaft oder anderen Regionen in den dörflichen Alltag getragen worden. Viele von ihnen wirken auf den ersten Blick derb und roh, doch bei genauerem Hinsehen sind sie von einer tiefen Weisheit, ja, einer geradezu philosophischen Tiefe geprägt - wenn man weiß, wie sie zu verstehen sind.

Wir hatten als Kinder die Sprüche gehört - meist am Hafen, am Strand oder bei den Volksfesten - und sie später wieder vergessen. Dies Buch soll einige dieser Redewendungen in die Erinnerung zurück rufen und ihre Bedeutung umreißen. Es soll jene beschauliche und in der Kommunikation noch direkte Zeit dokumentieren, Sprüche interpretieren und aufzeigen, dass einige von ihnen auch heute noch Gültigkeit haben. Es soll darüber hinaus dazu beitragen, dass die Dialekte der Region nicht vergessen werden.

Wie heutzutage üblich, wird Vergangenes oftmals als Rückständigkeit abgetan. So können auch die Worte falsch verstanden werden: Teile des Textes könnten in Sprache und Haltung als diskriminierend oder abwertend interpretiert werden. Dies ist nicht beabsichtigt. Vielmehr ist es Intention, die Redewendungen deskriptiv und interpretierend als Teil der regionalen Geschichte zu dokumentieren. Die Sprüche und volkstümlichen Ausdrücke sind Teil der Sprache und des kulturellen Erbes der Alteingesessenen. Abgesehen davon, dass niemand das Buch erwerben muss, lohnt es sich, die Deutungen zu lesen, welche einen Spruch im Zweifel in ein richtiges und aktuelles Licht rücken. Auf die richtig herben und derben (aber nicht schlechtesten) Sprüche aus dem Fundus der Altvorderen habe ich aus den genannten Gründen verzichtet.

Ich gebe zu, die alte Zeit zu vermissen. Sie war einfach klasse. Wenn der Opa mit mir auf den See hinaus ruderte. Sich dort seine „Stumpen“ genehmigte. Er den Fischer mit einem vorgetäuschten Notfall dazu nötigte, seine Netze ins Wasser fallen zu lassen. Der Fischer schnell herüberruderte und Opa dann sagte: „Wenn de des bei jedem machsch, fangsch heit koine Fisch me!1“

Und der Fischer dann entgegnete: „Du Scheradengler, du granatemäßiger Schofseckel … I häng d´r Kreiz aus!2“

Und Opa dann schaute, dass er mit flinkem Ruderschlag zurück in den Gondelhafen kam. Und trotzdem tranken die beiden später wieder ein Bierchen.

Ja, so waren sie, die Alten vom See.

R.K.R. Februar 2024

1 „Wenn du das bei jedem tust, fängst du heute keine Fische mehr.“

2 Erklärung siehe Seiten 28, 47 und 29 dieses Buches.