6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Das Abenteuer aus Stefan Nowickis Bestseller „Die Kreuzfahrerin“ geht weiter: „Der Sohn der Kreuzfahrerin“ jetzt als eBook bei dotbooks. Wer schon im Augenblick seiner Geburt dem Tod ins Auge blicken muss, den erwartet ein Leben voller Herausforderungen. – Es ist nur ein schwacher Verzweiflungsschrei, und doch lässt er den arabischen Waffenschmied Haddad im Jahre 1099 aufhorchen. Mitten in der Einöde entdeckt er einen neugeborenen Knaben. Ein Kind aus dem Tross der Kreuzfahrer, die vor der Stadt Arqa lagern – und somit ein Feind, den es auszumerzen gilt. Doch Haddad bringt es nicht über sich. Er beschließt, den Kleinen als Sohn in seiner Familie aufzunehmen, und gibt ihm den Namen Shakib, „das Geschenk“. Trotz aller Wiederstände und Anfeindungen als „Frankenbastard“ wächst Shakib zu einem mutigen jungen Mann heran, der sich auf eine abenteuerliche Reise begeben muss – und die Liebe zu einer Frau entdeckt, die für ihn verboten ist … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Der Sohn der Kreuzfahrerin“ von Stefan Nowicki. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 428
Über dieses Buch:
Wer schon im Augenblick seiner Geburt dem Tod ins Auge blicken muss, den erwartet ein Leben voller Herausforderungen. – Es ist nur ein schwacher Verzweiflungsschrei, und doch lässt er den arabischen Waffenschmied Haddad im Jahre 1099 aufhorchen. Mitten in der Einöde entdeckt er einen neugeborenen Knaben. Ein Kind aus dem Tross der Kreuzfahrer, die vor der Stadt Arqa lagern – und somit ein Feind, den es auszumerzen gilt. Doch Haddad bringt es nicht über sich. Er beschließt, den Kleinen als Sohn in seiner Familie aufzunehmen, und gibt ihm den Namen Shakib, »das Geschenk«. Trotz aller Wiederstände und Anfeindungen als »Frankenbastard« wächst Shakib zu einem mutigen jungen Mann heran, der sich auf eine abenteuerliche Reise begeben muss – und die Liebe zu einer Frau entdeckt, die für ihn verboten ist …
Über den Autor:
Stefan Nowicki, geboren 1963, studierte Germanistik, Politik, Kunstgeschichte, Philosophie und Theologie. Er arbeitet unter anderem als freier Kulturjournalist für verschiedene Zeitungen und lebt in der Nähe von Augsburg.
Der Autor im Internet: www.stefannowicki.de
Stefan Nowicki freut sich darüber, über Facebook in Kontakt mit seinen Lesern zu treten: www.facebook.com/stefannowicki.w.u.t
Stefan Nowicki veröffentlichte bei dotbooks bereits den Bestseller »Die Kreuzfahrerin«, in dem er die abenteuerliche Lebensgeschichte der jungen Deutschen Ursula erzählt, sowie die Trilogie »Tochter des Gauklers« mit den Einzelromanen »Die Tore von Hameln«, »Die Stadt der Lügen« und »Die Stunde der Hoffnung« – auch als Sammelband erhältlich unter dem Titel »Die Tochter des Gauklers«.
***
Originalausgabe Februar 2015
Copyright © 2014 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95520-807-3
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)
***
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Der Sohn der Kreuzfahrerin« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
www.instagram.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Stefan Nowicki
Der Sohn der Kreuzfahrerin
Roman
dotbooks.
Meinen Kindern gewidmet
Philipp
Theresa
Anna-Rebecca
Kreuzfahrerlager vor den Toren Arqas, 16. April 1099
Verschlafen rieb sich Hilde die Augen. Die Nacht war zu kurz gewesen. Seit sie gemeinsam mit Ursula vor drei Jahren von Regensburg aus aufgebrochen war, hatte sie viele solcher Nächte erlebt, manche erfüllt von Freude und Lebenslust, andere dunkel und voller Angst, Hunger, Kälte und Not.
Die letzte Nacht war, an den Entbehrungen der letzten Wochen gemessen, üppig gewesen, gezeichnet von Speis und Trank und vollen Bäuchen. Die Kreuzfahrer hatten sich mit den Kriegern von Arqa einige Geplänkel geliefert, aber zuletzt hatte die Stadt ein Einsehen gehabt. Den Einheimischen war wohl klar geworden, dass sie auf Dauer den ausgehungerten Rittern und ihrem Tross nicht würden standhalten können, und sie hatten sich mit einer großen Menge Nahrungsmittel und Zugang zu Wasser freigekauft. Das ganze Lager hatte gefeiert. Von den Heerführern bis hin zu den armen Schluckern, die nur einen Knüppel besaßen und sich durch Plündern und Fleddern etwas Wohlstand erhofften, hatten sich alle auf das Essen gestürzt. Hilde selbst war bei den Normannen gewesen und erst sehr spät in dem Zelt, das sie sich mit Ursula teilte, zur Ruhe gekommen.
Der Morgen war noch jung, doch das ganze Lager schien bereits wach zu sein und im Aufbruch begriffen. Schon fielen die ersten Zeltdächer, ihrer Stützen beraubt, in sich zusammen. Einmal aufgestanden, entwickelte Hilde einen enormen Tatendrang. Es war für alle, ob sie sie schon länger kannten oder nicht, jedes Mal erstaunlich, wie flink sich diese kleine, füllige Frau bewegen konnte. Sie huschte im Zelt umher und packte alles, was ihr unter die Augen kam, in die dafür vorgesehenen Kisten und Körbe. Das Übrige schnürte sie in Tücher geschlagen zu kompakten Ballen. Bereits nach kurzer Zeit lief ihr der Schweiß in Bächen über Wangen und Hals. Obwohl ihr klar war, dass die hochschwangere Ursula sich nicht gut bücken und erst recht nicht viel heben konnte, wäre ihr die Hilfe der Freundin jetzt durchaus willkommen gewesen.
Sie hielt inne, trat vors Zelt und sah sich um. Seit Ursula damals in Regensburg an ihre Tür geklopft hatte, war zwischen ihnen eine Freundschaft entstanden, die sie beinahe zu Schwestern gemacht hatte – ungeachtet dessen, dass sie kaum unterschiedlicher hätten sein können. Hilde war klein, rund wie ein Fass, mit schwarzen Haaren und einem Mundwerk, das selbst die Mannsleute fürchteten. Ausgestattet mit einem scheinbar unerschütterlichen Frohsinn, trug sie ihr Herz auf der Zunge und war bekannt für derbe Scherze.
Ursula hingegen war eine sehr ruhige, besonnene Person von ausgesprochener Schönheit. Ihr langes, rotblondes Haar zog besonders im Sonnenlicht, wenn es von innen heraus zu leuchten schien, alle Blicke auf sich. Ihre Gestalt war von schönem, geradem Wuchs, obwohl Hilde sie immer zu mager fand. Das lag wohl an den entbehrungsreichen Jahren ihrer Kindheit und Jugend, in denen Ursula als Hilfsmagd auf einem kleinen Bauernhof das karge, harte Leben der Landleute geteilt hatte. Jetzt allerdings, kurz vor der Niederkunft ihres zweiten Kindes, reichte ihr Leibesumfang – so wie damals, als sie hochschwanger vom Hof gejagt nach Regensburg gekommen war – an den von Hilde heran.
Das Kleine, welches sie nun unter dem Herzen trug, war die Frucht der Liebe zwischen ihr und Roderich. Der Ritter aus der Gegend von Toulouse hatte ihr auf dem Schlachtfeld von Dorylaeum das Leben gerettet, als ein verwundeter Seldschuke, dem sie hatte helfen wollen, drauf und dran gewesen war, sie zu erwürgen.
Bei ihm wird sie wohl auch die vergangene Nacht gelegen haben, dachte sich Hilde und hielt nach Ursulas feurigem Blondschopf Ausschau. Doch zwischen all den herumeilenden Menschen konnte sie nichts entdecken. Einzig ein Knappe aus Roderichs Mannschaft fiel ihr ins Auge, und in ihrer rauhen Art rief sie ihn an: „He! Bursche! Schläft dein Herr noch? Geh, sag ihm, er möchte sich an diesem Morgen doch etwas rascher von der Mutter seines Kindes trennen. Sag ihm und ihr, Hilde braucht sie jetzt.“
„Ursula ist nicht bei uns“, erwiderte der Knappe kurz und wollte weitereilen.
Hilde hielt ihn zurück. „Aber wo ist sie dann? Ich dachte, sie hätte gemeinsam mit deinem Herrn gefeiert und in seinem Schutz die Nacht verbracht.“
„Nein, Herr Roderich war bis in die frühen Morgenstunden am Tisch des Grafen Raimund. Ursula habe ich nicht gesehen.“
„Wie? Sie war die Nacht nicht bei euren Zelten?“ Hilde hatte so früh am Morgen Schwierigkeiten, alles gleich zu erfassen.
„Nein, ich sagte es schon. Sie war nicht da. Ich habe sie seit gestern nicht mehr gesehen.“ Der Knappe wurde ungeduldig, Hilde jedoch hellhörig. Wenn sie sich recht besann, hatte auch sie ihre Freundin seit dem Vortag nicht mehr gesehen. Das als solches war nichts Außergewöhnliches; dass Ursula aber an einem Tag wie diesem, da alles im Aufbruch begriffen war, nicht früher auftauchte, war seltsam, in Anbetracht ihres Zustands sogar besorgniserregend. Lag sie vielleicht in irgendeinem Zelt in den Wehen? War es ihr aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, jemanden zu schicken, der sie und Roderich benachrichtigte?
„Geh, sag deinem Herrn, ich mache mir Sorgen um Ursula. Und er möchte schnell herkommen.“ Aus Hildes Gesicht sprach die Sorge, und der Bursche sputete sich, ihren Weisungen Folge zu leisten. Schon war er zwischen den vielen herumeilenden Menschen verschwunden.
Hilde nutzte die Zeit, um bei den benachbarten Zelten zu fragen, ob sie etwas über Ursulas Verbleib wussten. Doch alle, die sie kannten, hatten sie am Vortag zuletzt gesehen.
***
Vor den Toren Arqas, 16. April 1099
Ursula blinzelte ins Licht. Die Sonne stand bereits so hoch, dass der Felsen, neben dem sie lagen, kaum noch Schatten warf. Eine eigentümliche Schwere hatte sich über sie gebreitet, und sie konnte sich nicht rühren. Neben sich hörte sie das sanfte, gleichmäßige Atmen ihres Sohnes. Sie wollte sich ihm zuwenden, denn er war so wunderschön, aber sie schaffte es nicht einmal, sich auf die Seite zu drehen. Ihr Herz schlug wild, und ihr war, als bekäme sie keine Luft mehr.
Sie spürte die klebrige Nässe zwischen den Beinen. Das war nicht gut. So viele Stunden nach der Geburt dürfte sie eigentlich nicht mehr bluten. Angst breitete sich in ihr aus, doch seltsamerweise auch das Gefühl eines einladenden Friedens. Sie versuchte, tiefer Luft zu holen, doch es ging nicht.
„Herrgott, ich bin nicht würdig.“ Und mit dem letzten Hauch, der aus ihrer Lunge kroch, flüsterte sie: „Erbarme dich meines Kindes, Herr! Lass es leben!“
***
Im Heerlager, nicht weit entfernt
Hilde begann sich nun wirklich Sorgen zu machen. Es dauerte ihr viel zu lange, bis Roderich endlich auftauchte.
Der Ritter hatte sein Kettenhemd noch nicht übergezogen, und sein braungebranntes Gesicht und die schwarzen Haare standen in kräftigem Kontrast zum hellen, gräulichen Hemd, das er trug. Auch er machte ein sorgenvolles Gesicht.
„Hilde! Weißt du schon etwas? Ist sie wirklich verschwunden?“, rief er, noch bevor er sie erreicht hatte.
„Niemand weiß, wo sie ist, und zuletzt wurde sie gestern Nachmittag gesehen.“
„Wir müssen sie sofort suchen.“ Roderich nahm die Sache ohne Zögern in die Hand. „Wo könnte sie sein? Pass auf, geh du am besten zu euren Normannenfreunden, sie sollen all jene, die Ursula kennen, durchs Lager schicken. Ich werde es hier versuchen und noch ein paar Leute mehr aussenden. Wir treffen uns dann wieder hier. Hoffentlich ist ihr nichts passiert.“
Hätte Haddad gewusst, dass an diesem Tag sein größter Wunsch in Erfüllung gehen würde, hätte er bessere Laune gehabt, hätte Gott wortreich für seine Gnade gedankt und sich beeilt. So aber war der Vormittag fast schon vorüber, als er sich in den Sattel seines Pferdes schwang, den Strick des Lasttieres anzog und gemächlich durchs Tor ritt. Ihm war bekannt, dass die Feinde gleich vor der Stadt lagerten, doch die Franken waren müde, und die Stadt Arqa hatte ihnen neben den Unterhändlern auch viele schwer bepackte Kamele mit Fleisch, Getreide und Datteln geschickt, und so war der Weg aus der Stadt für heute sicher.
Haddad sah im Krieg gegen die Christen vor allem eine Glaubenspflicht, doch als Schwertschmied und Waffenmeister des Königs von Damaskus gab es für ihn weitaus mehr Anreize. Natürlich, die Geschäfte gingen gut, sehr gut sogar, und Abu Nasr Schams al Muluk Duqaq, der König selbst, hatte eigentlich nicht gewollt, dass sein bester Waffenschmied in die Nähe der Kämpfe zog, aber Haddad hatte den Stadtherrn von der Notwendigkeit dieser Reise überzeugen können.
„Unsere Leute brauchen gute Schwerter, Klingen, die härter und schärfer sind als die der Franken. Doch um zu wissen, wie die Waffen des Feindes beschaffen sind, muss ich mit denen sprechen, die gegen sie gekämpft haben, und noch besser wird es sein, wenn ich einige dieser Klingen ergattern kann, um sie zu prüfen und zu untersuchen.“ Das hatte er dem König erklärt.
„Dann geh, in Gottes Namen, geh. Ich merke bereits, dich wird nichts davon abhalten. Aber ich kann dir keine Eskorte gewähren“, hatte der Stadtherr geantwortet. „Deshalb erlaube ich dir nur, dass du in die Nähe des Heers der Ungläubigen ziehst. Du wirst dich weder an Kämpfen beteiligen noch von den Truppen anheuern lassen. Schreiber, stell ihm einen entsprechenden Pass aus.“
Also war er vor einer Woche aufgebrochen. Nazia, seine Frau, und auch seine Schwester Nazmin, die ein Kind erwartete, waren alles andere als begeistert gewesen. Lautstark hatten sie über das Unglück, das er offenbar suchte, lamentiert, bis er vom Hof geritten war. Aber die Reise war nicht gefährlich. Die meiste Zeit bewegte er sich in Gebieten, in die die Franken noch nicht vorgedrungen waren. Ihr Ziel war Jerusalem, und dort wollte Haddad gar nicht hin. Er suchte sich einige der kleineren Städte auf dem Weg aus, und in Arqa hatte er mit seiner privaten Mission schließlich Erfolg. Er hatte mit einigen Soldaten gesprochen, doch die Informationen waren eher widersprüchlich. Der eine erzählte voll Schadenfreude, wie sich die Klinge eines Franken verbogen hätte, als er dessen Hieb mit seinem Schwert abwehrte, ein anderer berichtete, das Schwert eines Franken habe seine Klinge glatt durchschnitten.
Also litt auch der Feind unter dem Problem, dass nicht alle Waffen gleich gut waren. Aber Haddads Neugier war geweckt, und er musste so ein Schwert, von dem es hieß, es könne Klingen zerteilen, in seinen Besitz bekommen.
Gott war mit ihm, und die Stadt wurde tatsächlich von den Franken belagert. Am zweiten Tag der Belagerung brachte ihm ein junger Kerl, nachdem die Soldaten der Stadt einen Ausfall gewagt hatten, ein Christenschwert. Die Klinge war lang, rostete nicht, und die Schneiden zu beiden Seiten waren vor dem Kampf geschliffen worden. Dennoch zeigte sie deutliche Spuren früherer Kämpfe, in denen sie geschwungen worden war. Die Schneiden hatten einige Scharten, aber sie waren nicht sehr tief, und an der Art, wie das Metall gesplittert war, sah der erfahrene Schmied sofort, dass es sich um einen ganz besonders harten Stahl handeln musste.
Er war sehr zufrieden und gab dem Burschen die versprochene Belohnung. Um genug Material für seine Untersuchung zu haben, brauchte er allerdings noch mehr dieser Waffen. Auch das gelang, und nach einer Woche hatte er eine Sammlung von fünf Frankenschwertern und so gut wie kein Geld mehr. Es war Zeit, heimzukehren. Zu Hause machten sie sich Sorgen, und seine Schwester lag bestimmt schon in den Wehen. Nach den Tagen mit den Soldaten und den vielen anregenden Unterhaltungen war er am Morgen seiner Abreise missmutig, und die Aussicht auf mehrere Tage allein im Sattel verbesserte seine Laune nicht.
Also ließ er sich Zeit und ritt in die Hitze des nahen Mittags hinein. Sein Packpferd war beladen mit Wasser, Proviant und natürlich mit den erbeuteten Waffen. In gemächlichem Trab bewegte er sich aus der Stadt heraus und vor dem Tor an einer kleinen Hügelkette entlang, wo er sich bald nach Osten wenden musste, um auf die Straße nach Damaskus zu treffen. Es war still in der Hitze, aber plötzlich drang ein Geräusch an sein Ohr, das nicht hierher gehörte. Zuerst dachte er an ein Tier, doch dann vermutete er etwas ganz anderes und lenkte sein Pferd in die Richtung, aus der der Laut kam.
Und hinter einer kleinen Felsgruppe bot sich ihm ein erschütterndes Bild.
Zwischen den Zelten, die noch standen, gab es kaum ein Durchkommen. Hilde kam sich vor wie ein kleiner Fisch, der sich entschlossen hatte, gegen die Strömung eines Flusses und die Richtung des restlichen Schwarms zu schwimmen. Sie wurde herumgestoßen, musste um ausgebreitete Zeltplanen und Fuhrwerke herum. Immer wieder sprach sie Leute an und fragte nach, ob jemand Ursula gesehen hätte. Die meisten aber kannten sie nicht einmal, und eine Schwangere mit rotblondem Haar hatten sie auch nicht gesehen. Viele waren unwillig, fühlten sich belästigt und gaben nur mürrisch Auskunft. Es gab nun Essen und Trinken, Jerusalem war nicht mehr weit, und alle wollten nur noch eins, endlich ankommen, die Heilige Stadt einnehmen und sich vom Glück ein großes Stück abschneiden, was kümmerte sie da eine vermisste Frau? Hilde stoppte einen vorbeieilenden Bogenschützen in vollem Lauf, indem sie ihn am Kragen packte. „Hast du eine Frau gesehen, die kurz vor der Geburt ihres Kindes ist? Mit langem, rotblondem Haar?“, fragte sie den verdutzten Mann.
„Weib, was willst du? Nein, ich habe keine gesehen, und ich bin auch nicht der Vater. Lass mich los, ich habe keine Zeit.“
„Du suchst eine Schwangere?“, mischte sich da eine Alte ein, die in der Nähe stand. „Dort drüben“, sie wies in Richtung einiger kleiner, schmutziger Zelte, „liegt seit gestern eine in den Wehen.“
Hilde hörte gar nicht weiter zu, ließ von dem Bogenschützen ab und eilte in die gewiesene Richtung. Sicher, das war die Erklärung. Ursula war von den Wehen überrascht worden, und einige Leute hatten sich ihrer angenommen. In der ganzen Aufregung und unter den Geburtsschmerzen war es nicht möglich gewesen, sie oder Roderich zu benachrichtigen. Hilde arbeitete sich durch die Menschen zu den Zelten. Ohne ihre Bewegungen zu verlangsamen, riss sie an jedem Zelt die Plane beiseite und schaute hinein. Da hörte sie den Schmerzensschrei einer Frau. Sofort war sie bei dem Zelt, aus dem der Laut gedrungen war, und hob den Stoff des Eingangs an. Auf dem Boden hockten im schmutzigen Stroh zwei Frauen, zwischen ihnen mit gespreizten, angewinkelten Beinen, hochgeschlagenem Rock und entblößtem Unterleib eine Gebärende. Hilde konnte das Gesicht nicht sofort sehen, aber als eine weitere Wehe an der Frau riss und sie das schmerzverzerrte Antlitz heben ließ, erkannte sie, was sie schon beim ersten Blick gespürt hatte. Es war nicht Ursula.
„Was glotzt du?“, herrschte eine der beiden Frauen sie an. „Hier gibt es nichts zu sehen. Geh deiner Wege und kümmere dich um deinen Kram!“
Hilde ließ den Stoff der Zeltbahn fallen und lief weiter. In ihr wuchs die Verzweiflung. Wie sollte sie ihre Freundin in diesem riesigen Durcheinander finden? Warum war sie überhaupt verschwunden? Frustriert machte sie kehrt und suchte sich den Weg zurück zum eigenen Zelt. Vielleicht hatten die anderen ja etwas erfahren oder Ursula sogar gefunden. Schon von weitem sah sie Roderich. Er hatte sein Pferd geholt. Das war kein gutes Zeichen. „Hast du etwas erfahren?“, japste sie, als sie herankam.
„Nein, nichts. Es ist aber auch kaum ein Durchkommen. Ich habe mir das Pferd geholt und will ums Lager herumreiten, aber lass uns noch warten, bis die anderen zurück sind.“
Hilde nickte enttäuscht, ließ sich auf eine Kiste sinken und griff nach dem danebenliegenden Wasserschlauch.
Während sie trank, kam Roderichs Knappe angelaufen. Sie schauten ihm erwartungsvoll entgegen, und der Bursche begann noch im Lauf zu berichten: Niemand wusste, wo Ursula war, aber zwei Leute hatten ihm gesagt, sie hätten sie gestern gesehen, wie sie das Lager in Richtung Arqa verließ. Sie sei sehr langsam gegangen, habe einen Stoffbeutel und einen Wasserschlauch bei sich gehabt.
„In Richtung Stadt, sagst du?“ Hilde war aufgesprungen.
„Ja, so ungefähr. In Richtung der Hügelkette dort hinten.“ Der Knappe wies zu jenem welligen Streifen, den man nun, da keine Zelte mehr die Sicht behinderten, erkennen konnte. Dahinter, das wussten alle, lag Arqa.
Roderich schwang sich auf sein Ross. „Ich reite voraus und schaue mich in den Hügeln um. Ihr folgt mir, und wir treffen uns dort.“ Er gab seinem Pferd die Sporen. Hilde und der Knappe machten sich ebenfalls auf den Weg.
Das Erste, was Haddad auffiel, war ein blutiger Haufen, von dem beim Näherkommen ein Schwarm Fliegen aufflog. Als er um die Felsen herumkam, war da ein rot-braun-schwarzer Blutfleck im Sand und daneben der Fuß einer Frau. Er trat einen weiteren Schritt vor.
Es war eine Fränkin, sie lag auf dem Rücken, den Kopf gegen den Felsen gelehnt. Ihr Gesicht war blutleer, und Haddad sah, dass sich ihre Brust nicht mehr hob und senkte. In diesem Körper war kein Leben mehr. Neben ihr lagen ein Dolch, ein Wasserschlauch, ein Stoffbeutel und ein Bündel. Der plötzliche Schrei des Kindes ließ ihn instinktiv zum Schwert greifen. Hatte es ihn bemerkt? Er sah sich verstohlen um wie ein Dieb. Das Geschrei kam ihm unerhört laut vor, und auf einmal war ihm, als stünde er inmitten eines Kreises aus tausend Augen – Augen von Ungläubigen, Augen von Muslimen, Augen von Freund und Feind. Sein erster Gedanke war, die Welt mit einem kurzen, aber heftigen Schwertstreich von einem weiteren schreienden Christenmenschen zu befreien, doch die Augen der ganzen Welt schienen auf ihn gerichtet zu sein.
„Es ist doch nur ein Kind“, sagte er sich, schob sein Schwert zurück in die Scheide und sah sich noch einmal um. War denn wirklich niemand in der Nähe? Warum hatte sich diese Frau solch einen Ort gesucht, um ihr Kind zu gebären? Wieso ließen die Christen sie in dieser Situation allein?
Haddad bückte sich und hob das Bündel vorsichtig auf. Das Kind verstummte. Er drückte es an seine Brust und wippte mit dem Arm auf und ab. Das kleine Etwas schaute ihn mit großen Augen an. Haddad hatte ein Gefühl wie ein ertappter Dieb. Erneut schaute er sich um, doch die tausend Augen, denen er sich ausgesetzt sah, waren nur in seiner Seele. Er fühlte sich gezwungen, sein Handeln zu rechtfertigen.
Mit lauter Stimme sprach er in die leere Landschaft: „Ich bin Haddad al Safi ben Haddad ibn Haddad, Waffenmeister aus Damaskus. Ich schmiede und repariere Waffen für die Krieger des Königs. Ich selbst bin kein Kämpfer. Ich bin hier fremd, dies ist nicht mein Land, mein Haus steht in Damaskus. Ich bin nur auf der Reise nach Hause. Ich habe es nicht gewollt und nicht danach gestrebt, und doch, Gott ist mein Zeuge, habe ich das hier gefunden.“ Er hob den Säugling, der seiner Stimme andächtig zu lauschen schien, hoch. „Die Christin war bereits tot. Ich habe ihr nichts getan. Das Kind hier weiß von alldem nichts, und es hat Hunger. Wessen Kind ist es? Gott hat mich hergeführt. Gott ist groß, mächtig und allwissend, und Mohammed ist mein Zeuge, dass das Kind unschuldig ist, so wie mich keine Schuld trifft am Tod der Frau. Soll ich es ersticken? Mit welcher Begründung? Was kann es dafür, dass es hier geboren wurde, in einem Land und einem Krieg, von denen es nichts weiß? Ist es überhaupt ein Christ? Gott ist groß und allmächtig. Er weiß, wie sehr Nazia und ich uns seit vielen Jahren um ein eigenes Kind bemühen. Gott ließ mich hier zur rechten Zeit am rechten Ort weilen, damit ich dieses Kind in meinem Arm halte. Ich kann sein Leben nicht auslöschen, ich kann es auch nicht zu den Christen bringen, sie würden mich töten und das Kind wahrscheinlich auch. So will ich Gott folgen und mich seiner annehmen.“
Er richtete sich nach Süden, hielt das Neugeborene aufrecht vor sich, den Kopf in der Hand, den Körper gestützt durch seinen Unterarm, legte feierlich seine rechte Wange an die des Kindes und flüsterte: „Allah ist am größten. Ich bezeuge, es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter.“ Dann legte er seine Wange ans linke Ohr des Kindes und flüsterte: „Steht auf zum Gebet. Allah ist der Größte. Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter.“
Das Kind begann nun wieder zu jammern. Haddad holte aus seinem Beutel eine getrocknete Dattel, schob sie sich in den Mund und zerkaute sie sorgfältig. Dann gab er etwas Fruchtbrei auf seinen Finger und führte ihn zum Mund des Kindes. Gierig saugte es daran. Haddad wurde klar, dass er sofort zurück in die Stadt musste, denn das Kind gehörte versorgt.
Er wollte nur noch weg von hier. Alles rief ihn zur Eile, auch die Furcht, das Kind wieder zu verlieren. Während der paar Schritte zu seinem Reittier kam ihm ein weiterer Gedanke. Zum Himmel blickend verdrehte er die Augen und machte kehrt. Er musste für das Kind etwas von der Mutter mitnehmen. Wer weiß, vielleicht würde es eines Tages wissen wollen, wer die Mutter gewesen war, und dann wäre es von Vorteil, wenn man etwas vorzuweisen hätte.
Vorsichtig untersuchte er den Leichnam der Frau. Als Erstes sah er eine Kette um ihren Hals. Er zog vorsichtig daran, und zum Vorschein kam eine kleine Medaille. Mit einem Ruck riss er sie ihr ab. Er hatte mit dem Kind im Arm nur eine Hand frei, und es war unangenehm, sich mit der Leiche zu beschäftigen. Er entdeckte einen Ring und zog ihn von dem schmalen Finger. Einen Armreif fand er auch. Schließlich fasste er sich ein Herz, löste den Gürtel der Frau und zog ihn mit allem, was daran hing, unter dem Körper der Toten hervor. Den Schmuck tat er in die Gürteltasche, in der sich zu seiner Verwunderung neben ein paar Münzen zwei kleine hölzerne Figürchen befanden. Den Dolch hob er auf und schob ihn in die Scheide am Gürtel. Er befand, dass dies jetzt mehr als genug war, und lief schnell zurück zum Pferd.
Mit dem Kleinen im Arm war das Aufsteigen nicht leicht. Zwar war sein Pferd nicht so groß wie die Schlachtrösser der Franken, aber Haddad war nicht besonders hochgewachsen. Er zog das Lasttier heran, bettete das Bündel kurz zwischen den Packsäcken, schwang sich in den Sattel und nahm das Kind wieder an sich. Dann drückte er seine Hacken in die Flanken des Tieres und machte sich auf den Weg zurück in die Stadt.
Roderich besann sich und zügelte das Pferd. Auch wenn sein Herz voller Sorge um die geliebte Frau war, er wusste nicht, wo genau sie war, und es war sinnlos, einfach loszupreschen. Wenn sie mit Beutel und Wasserschlauch aufgebrochen war, wollte sie sicherlich Kräuter sammeln. Dann hatte sie kein konkretes Ziel gehabt und sicher keinen geraden Weg beschritten, sondern war mal hier-, mal dorthin gegangen, je nachdem, was für Pflanzen sie entdeckt hatte. Er konzentrierte sich jetzt auf Stellen, an denen überhaupt etwas wuchs. Von der erhöhten Position im Sattel hatte er einen recht guten Überblick, zumindest bis zu jenen Hügeln. Er wusste, dahinter gab es eine Straße, die direkt zu den Toren der Stadt führte. Jetzt war ihm, als hätte er zwischen zweien der Hügel eine Bewegung wahrgenommen, doch als er seinen Blick erneut auf die Stelle richtete, konnte er nichts mehr ausmachen. Also lenkte er das Pferd von einer grünen Stelle zur nächsten. Im gemächlichen Schritt und durch das Hin und Her kam er nur langsam voran, und als er schließlich den Fuß der Hügelkette erreicht hatte, wo die Pflanzen üppiger wuchsen, hatten Hilde und der Knappe ihn eingeholt. Vom Rücken des Pferdes konnte er jetzt die Mauern von Arqa sehen. „Ich glaube nicht, dass sie sich so nahe an die Stadt gewagt hat“, mutmaßte er. „Lasst uns den Hügeln von Arqa weg folgen. Hier wächst eine Menge Kraut, und wenn sie Kräuter sammeln wollte, dann war sie sicher hier.“
Er stieg aus dem Sattel, und sie gingen nebeneinander her. Ihre Blicke hielten sie auf den Boden vor sich gerichtet, ohne genau zu wissen, wonach sie eigentlich suchten. Ab und an schauten sie auf, musterten die Landschaft um sich herum, aber nirgends konnten sie eine Spur oder ein Lebenszeichen entdecken. Hilde fielen die am Himmel kreisenden Vögel auf, doch die waren ständige Begleiter des Heerzugs. All der Abfall und die Reste von Kämpfen waren diesen Aasfressern eine willkommene, einfache Beute.
Als sie in nächster Nähe eine Art Fuchs aufscheuchten, erschrak Hilde zuerst, drängte dann aber instinktiv in diese Richtung. Ihr war, als hätte sie den süßlichen Geruch von Verwesung in der Nase, und die Vögel und das Raubtier waren alles andere als ein gutes Zeichen. Ängstlich schaute sie sich zu Roderich um. Sein Blick war streng, mit zusammengezogenen Brauen schien er den Fels vor ihnen durchdringen zu wollen. Als sie um den großen Stein herumkamen, schrie Hilde auf und warf sich auf einen am Boden liegenden Körper. Roderich stand da, als wäre er gegen eine Wand gelaufen, und der Knappe wusste nicht, was er tun sollte.
„Ursula! Ursula!“ Hilde schlang ihre Arme um den Körper der Freundin und versuchte, sie aufzurichten, doch die Gliedmaßen fühlten sich kalt und schwer an. Der Kopf fiel nach hinten. „Ursula!“, jammerte Hilde. „Roderich, komm, hilf mir!“
Unendlich langsam bewegte sich der Ritter, und Hilde kam es wie eine halbe Ewigkeit vor, bis Roderich sich ihr gegenüber auf die Knie fallen ließ. Grob umfasste er Hildes Handgelenk und riss ihre Hand von Ursulas Schulter weg. Dann gab er ihr einen Stoß, dass sie rückwärts auf dem Hintern landete. Die Rechte unter dem Hinterkopf der Geliebten, hielt er für einen Moment inne. Sein Gesichtsausdruck war so erschreckend, dass selbst die sonst so redselige Hilde nicht protestierte. Vorsichtig schloss er Ursula die Augen, beugte sich über den Leichnam, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, bevor er ganz vorsichtig ihren Kopf ablegte. Dann warf er sein eigenes Haupt abrupt in den Nacken, und in einem rauhen, kehligen, fast unmenschlichen Schrei entluden sich sein ganzer Zorn und Schmerz. Sogleich sprang er wieder auf, und es schien, als wolle er sein Schwert ziehen. Mit bösem Blick sah er sich gehetzt um und blieb am Knappen hängen. „Schnell, eile zu den Zelten, ruf unsere Leute zu den Waffen, und sie sollen den Fürsten sagen, Arqa hat ein Verbrechen begangen und muss büßen! Los, worauf wartest du, lauf!“
„Halt!“ Hilde hatte sich aufgerappelt, war zwischen ihn und den Knappen gesprungen und hielt jenen am Ärmel fest. Auch wenn der Schmerz sie innerlich zu zerreißen drohte, sie wäre nicht Hilde, wenn nicht auch in dieser Situation ihre Umsicht die Oberhand behalten hätte.
„Schau doch mal genau hin, Roderich. Liegt so jemand da, dem Gewalt angetan wurde? Ich sehe keine Verletzungen. Ursula hat hier draußen ganz allein ihr Kind geboren.“ Ein tiefer Seufzer entglitt ihr. „Die Arme hat das alles selbst geschafft. Wie muss sie gelitten haben. Sie ist tot, und selbst wenn du hundert Städte angreifst, wird sie nicht wieder lebendig.“
Bei ihren Worten fiel die Spannung von Roderichs Gliedern ab. Erneut sank er neben Ursula auf die Knie, sackte in sich zusammen und begann zu weinen.
Hilde hockte sich neben ihn und strich Ursula eine Haarsträhne aus der Stirn. „Schau, wie freundlich ihr Gesicht ist. Ich glaube, sie hatte ein friedliches Ende.“ Auch ihr liefen nun Tränen über die Wangen. Hätte Ursula nach den Entbehrungen und Erlebnissen der letzten Wochen die Geburt überlebt, wenn sie bei ihr gewesen wäre? Die Frage beschäftigte sie. Sie wusste, dass eine Entbindung etwas sehr Schweres war und nicht wenige Frauen dabei ihr Leben verloren. Sie sah sich Ursula genauer an. Ihre Kleider waren in Ordnung, sie lag da, als hätte sie sich nur ausgeruht. Aber wo war das Kind?
„Schaut euch in der näheren Umgebung um, hier muss irgendwo das Kind sein. Wir wissen nicht, ob es überhaupt lebendig auf die Welt kam, aber es ist nicht mehr in ihrem Bauch, also muss es irgendwo sein.“
Roderich folgte Hildes Befehl, und auch der Knappe begann sich umzusehen. Während die beiden Männer beschäftigt waren, untersuchte Hilde – die sich immer wieder die Tränen mit dem Ärmel wegwischte – die Freundin näher. Neben Ursula lag ein Wasserschlauch, in dem sogar noch ein klein wenig Flüssigkeit war. Da war auch Ursulas Beutel, den sie immer zum Kräutersammeln bei sich trug. Aber irgendetwas fehlte. Hilde musterte den Leichnam, und schließlich kam sie darauf. Der Gürtel war nicht da, und auch der Schmuck war weg. Irgendein gewissenloser Mensch musste vor ihnen hier gewesen sein und die Tote bestohlen haben. War das auch der Grund, warum von dem Kind jede Spur fehlte? Es war noch gar nicht lange her, da waren sie Zeuge gewesen, wie verzweifelte, ausgehungerte Kämpfer sich am Fleisch von Kindern gütlich getan hatten. Sie erinnerte sich an den Fuchs, den sie gesehen hatte. Tiere waren hier gewesen und hatten sich über das hergemacht, was von der Geburt übrig geblieben war. Ihr Blick fiel auf den schmutzigen Haufen, auf dem sich nun wieder Hunderte von Fliegen niedergelassen hatten. Ein Fuchs konnte leicht auch einen Säugling wegzerren. Sie stand auf und versuchte Spuren zu finden, aber sie konnte nichts Eindeutiges feststellen.
Roderich und der Knappe kamen zurück. Mit leeren Augen sah der Ritter durch sie hindurch und schüttelte den Kopf. Sie hatten nichts gefunden. Es half alles nichts. Sie mussten jetzt zusehen, wie es weiterging. Hilde fasste sich ein Herz. „Sie kann hier nicht liegen bleiben. Wir müssen sie wegschaffen und beerdigen. Ihr bleibt hier. Ich laufe zu den Zelten und besorge einen Karren und was wir noch brauchen, und dann bringen wir sie zu den Gräbern, und vielleicht finden wir auch noch einen Mönch, der seinen Segen gibt.“
„Nein.“ Roderichs Widerspruch klang jämmerlich. Hilde sah ihn fragend an. „Nein, wenn wir Ursula zu den Gräbern bringen, wird sie mit all den anderen Leichen in eine Grube geworfen. Ob mit oder ohne Segen, ich will nicht, dass sie da zwischen den ganzen Erschlagenen liegt. Lasst uns hier ein Grab ausheben.“
Dieser Vorschlag leuchtete Hilde ein. „Gut, dann gehe ich und besorge das Nötigste und schaue, dass wir noch etwas Hilfe bekommen“, sagte sie, und an den Knappen gewandt: „Du kommst am besten mit und hilfst mir.“ Es wäre gut, Roderich etwas Zeit allein mit der Toten zu lassen. Er musste sich von seiner geliebten Frau auf irgendeine Art verabschieden und wieder zu sich kommen.
Zurück im Lager, bot sich ihr ein Bild, das, wäre sie nicht so sehr von Traurigkeit erfüllt gewesen, schallendes Gelächter hervorgerufen hätte. Rundherum waren alle Zelte gefallen, und die meisten Pilger hatten bereits ihr Hab und Gut verpackt. Zwischen Wagen und leergeräumten Feuerstellen erhoben sich einzig noch die Bahnen ihres eigenen Zelts, und davor saß ein äußerst grimmig dreinschauender Normanne. Der erhob sich, als er sie kommen sah. „Na endlich! Wir haben Ursula nirgends gefunden, und als ich hierherkam, waren bereits einige Gestalten dabei, sich an eurer Habe zu vergreifen. Ich weiß nicht, wie viel sie bereits weggeschleppt haben, aber das meiste konnte ich noch retten.“
„Ich danke dir.“ Hilde betrachtete bestürzt ihr durchwühltes Lager, und es erinnerte sie an die Tage, nachdem das Haus in Regensburg niedergebrannt war. „Aber das ist nun alles nicht mehr so wichtig. Ursula ist tot, und wir müssen sie beerdigen.“ Während sie so sprach, wurde ihr bewusst, dass der Tod der Freundin einige Veränderungen mit sich bringen würde. Seit sie in Antiochia ihren Esel geschlachtet hatten, um nicht zu verhungern, hatten sie ihren kleinen Karren mit dem Zelt und dem, was sie besaßen, gemeinsam gezogen. Allein würde sie das nicht mehr schaffen, und so verlor das meiste dessen, was sie unter ihrer Zeltbahn gehütet hatten, an Bedeutung und war von einem Moment auf den anderen nur noch Ballast. Eine Lösung dafür musste sie noch ersinnen, aber jetzt ging es erst mal um anderes. Sogleich begann sie nach einer geeigneten Stoffbahn zu suchen, in die sie Ursulas Leichnam einschlagen konnten. Darüber hinaus brauchten sie noch Schaufeln und ein, zwei Männer zur Hilfe.
Sie wandte sich an den Knappen, der unschlüssig vor dem Zelt stand: „Du, geh, gib Roderichs Herren und Leuten Bescheid. Und dann komm wieder, bring eine Schaufel mit.“ Zu dem Normannen sagte sie: „Geh auch du zu deinen Leuten und sage ihnen, was geschehen ist. Ursula ist da draußen bei der Geburt ihres Kindes gestorben. Wir wollen sie an Ort und Stelle beerdigen. Wenn uns jemand helfen möchte, wären wir sehr dankbar, und wenn einer von euch noch einen Mönch mitbringen könnte, wäre das von großem Nutzen.“
Die beiden Männer trollten sich, und Hilde versuchte, etwas Ordnung in dem Durcheinander zu schaffen. Alles, was sie auf jeden Fall brauchen würde, packte sie in einen großen ledernen Beutel. Ihr Zelt und was sonst noch da war, musste sie irgendwie später auf den Wagen der Freunde unterbringen. Das hatte aber noch Zeit.
Schließlich sank sie auf die Kiste nieder, auf der zuvor der Normanne gesessen hatte. Ihr war elend zumute. Was hatte das alles für einen Sinn? War Ursulas Leben bis hierher nicht schon schlimm genug gewesen? Die harte Arbeit beim Bauern, die Geburt und der Tod ihrer Tochter, dann der Weg bis hierher, in der Hoffnung auf Erlösung und auf ein besseres Leben? Erlöst war sie nun. So wie es der Papst versprochen hatte, würde sie direkt eingehen in die himmlische Herrlichkeit. Dort hatte sie es ohne Frage besser. Doch war das die einzige Erlösung, die man sich erhoffen durfte von dieser Pilgerschaft?
Die Rückkehr des Knappen riss sie aus ihren Gedanken. Er hatte zwei Schaufeln mitgebracht und ein Pferd. Auch die Normannen ließen nicht lange auf sich warten. Sie kamen zu dritt, und einer von ihnen war durch seinen grauen Rock und den rasierten Schädel als Geistlicher zu erkennen. Einer wollte bei Hildes Habe bleiben, während die anderen sich auf den Weg machten.
An der Hügelkette angekommen, fanden sie Roderich neben Ursula kniend. Der Ritter machte nun einen ruhigeren Eindruck, aber seine geröteten Augen und die Blässe in seinem Gesicht sprachen für sich. Die Männer begannen sogleich, neben Ursula eine Grube auszuheben.
„Ihr müsst tief graben, es waren schon wilde Tiere da und haben wohl auch das Kind verschleppt“, gab Hilde Anweisung. Sie trat zum immer noch knienden Roderich. „Hilfst du mir?“, fragte sie und breitete neben dem Körper der Freundin die Stoffbahn aus. Gemeinsam mit dem Ritter hob sie Ursula auf den Stoff, sah noch ein letztes Mal in das friedliche Gesicht und betrachtete die rotblonden Locken, dann schlug sie die Bahn darüber und begann die Ränder mit groben Stichen zu vernähen. Tränen flossen ihr übers Gesicht.
Auch Roderich schämte sich seiner Trauer nicht. Er stand da und beobachtete, was geschah. Als die Grube etwa hüfttief war, beugte er sich nieder und hob Ursula auf. „Wie leicht sie ist“, sagte er, aber dann spürte er das Gewicht von tausend Felsen auf seinen Schultern – Gesteinsbrocken, die aus Verzweiflung und Trauer bestanden, und aus dem Wunsch, Ursula so bald wie möglich zu folgen. Er hatte beschlossen, das Gelübde zu erfüllen. Ja, er würde nach Jerusalem gehen und würde die Stadt für Gott und die Kirche zurückerobern, und wenn er es ganz allein tun müsste. Er würde sich den Heiden entgegenstellen und kämpfen, bis ihn der Gegner erlöste und er mit Ursula vereint sein könnte.
Vorsichtig stieg er in die Grube hinab und bettete seine Geliebte auf den Grund. Er kletterte wieder aus dem Grab, und der Mönch trat vor, murmelte einige Sätze auf Latein, und dann begannen die Helfer auch schon, die ausgehobene Erde über die Leiche zu schaufeln. Roderich wandte sich ab. Das wollte er nicht mit ansehen. Ganz fest hatte er sich Ursulas Gesicht eingeprägt, und nichts anderes wollte er in Erinnerung behalten. Zuletzt schichteten sie noch Steine auf den Erdhügel, ehe der tiefe Stand der Sonne sie zum Aufbruch mahnte. Schon konnte man dort, wo das Lager gewesen war, sehen, dass sich ein langer Zug Richtung Süden formiert hatte, und es war höchste Zeit, sich dem Kreuzzug wieder anzuschließen. Tausende waren auf dem Weg bis hierher umgekommen – erschlagen, gerichtet, verdurstet, verhungert –, die Lebenden zogen weiter zur Heiligen Stadt. Die Toten hingegen waren bereits am Ziel und eingegangen ins Himmlische Jerusalem.
Die Wachen staunten nicht schlecht, als er sich wieder dem Tor näherte. „Hast du etwas vergessen!“, riefen sie höhnisch und öffneten ihm das Tor. Haddad stieg ab und führte seine Tiere zum Hof der Händler, wo er sie stehen ließ und zur Herberge lief. Der Gastwirt schaute ihn genauso erstaunt an wie die Wachen. So unangenehm es ihm auch war, er fragte den Mann sofort: „Sag, Freund, weißt du, wo ich hier in der Stadt eine Amme finde?“
„Eine Amme? Wozu?“
Haddad brauchte nicht zu antworten, denn der Säugling begann zu weinen.
„Woher kommt das Kind? Wo ist seine Mutter?“, wollte der Wirt wissen.
„Die Mutter ist tot, und ich habe keine Zeit. Sag rasch, wo finde ich eine Amme?“
„Da kenne ich mich nicht aus“, murmelte der Wirt. „Warte, ich frage meine Frau.“ Er ließ den verzweifelten Waffenschmied mit dem quäkenden Bündel stehen und verschwand im Haus.
„Eine Amme?“, hörte er kurz darauf eine Frauenstimme rufen. „Er soll zu Lana gehen, die hat bis vor kurzem den Sohn von Ibrahim gestillt.“
Der Wirt kam zurück. „Geh am Tor rechts, folge der Gasse und gehe dann bei der zweiten Möglichkeit links. Klopfe an die fünfte Tür zu deiner Rechten. Da wohnt Lana, sie ist Amme.“
Haddad bedankte sich und eilte der Beschreibung folgend aus dem Hof. Die Schritte beruhigten das Kind, und er atmete tief durch, bevor er an die fünfte Tür klopfte. Schon wollte er noch mal dagegenschlagen, da hörte er schlurfende Schritte.
Die Tür ging auf, und vor ihm stand ein Weib, das fast größer war als er. „Was willst du?“, fragte sie und füllte dabei die Tür in ihrer vollen Breite aus.
„Ich brauche eine Amme“, sagte er und hob ihr das Kind entgegen.
„Wessen Kind ist das?“
„Meins.“
„Wo ist die Mutter?“ Die Stimme der Frau war barsch und abweisend.
„Seine Mutter ist tot. Es hat bestimmt seit einem halben Tag nichts zu essen gehabt. Bitte, ich zahle gut“, flehte Haddad.
„Komm rein.“
Er folgte ihr. Sie gingen in einen Raum, dort setzte sie sich auf einen Hocker, holte ohne Scham eine ihrer wirklich großen Brüste hervor und sagte zu dem verdatterten Besucher: „Na, gib schon her.“
Kaum hatte sie den kleinen Kopf in die Nähe der Brust gebracht, schnappte das Mündchen schon nach der dargebotenen Nahrungsquelle und begann schmatzend zu saugen.
„Wer bist du?“, wollte die Amme wissen.
„Haddad, der Waffenmeister von Damaskus.“
„Und woran ist deine Frau gestorben?“
„Meine Frau ist nicht gestorben.“
„Aber die Mutter deines Kindes ist tot, hast du gesagt.“
„Ja, so ist es, ich fand das Kind neben der Leiche seiner Mutter vor den Toren der Stadt.“
„Ein Christ!“, rief die Amme und riss das Kind von ihrer Brust. Der Säugling protestierte sofort.
„Die Mutter war Fränkin, aber sie ist tot. Das Kind ist deswegen nicht schlecht“, rief Haddad gegen das jämmerliche Gebrüll des Kindes an.
„Das kostet dich extra“, sagte die Frau und erbarmte sich des schreienden Bündels. „Da, schau, es ist nass und nur in diesen schmutzigen Stoff gehüllt.“ Haddad hörte den Vorwurf in ihrer Stimme. „Es muss gewickelt werden und braucht etwas anzuziehen.“
„Ja“, sagte er. „Ich wollte dich bitten, mir zu helfen. Ich kenne mich damit nicht aus.“
Die Amme lächelte. „Ich bin Lana. Ich helfe dir. Aber wie lange willst du hierbleiben? Du bist aus Damaskus, sagst du?“
„Ja.“ Ihm wurde klar, dass es mit einmal Stillen nicht getan war. In seinem Kopf reihten sich all die Dinge auf, die notwendig waren: die Amme, Kleidung für das Kind, ein Reittier für die Amme, zusätzlicher Proviant. „Kannst du mich nach Damaskus begleiten? Ich bezahle dich gut“, fragte er etwas verzagt.
Lana hatte sich so etwas bereits gedacht, und die Vorstellung, aus Arqa wegzukommen, war ihr nicht unangenehm. Doch sie ließ diesen unbeholfenen Kerl erst einmal zappeln. „Was redest du da? Nach Damaskus soll ich? Und hier alles stehen- und liegenlassen? Wie stellst du dir das vor?“
Haddad überlegte. Der Anblick von glänzenden Münzen war ein kräftiges Argument, und ein anderes hatte er sowieso nicht. Er nestelte seinen Beutel vom Gürtel, holte ein paar Münzen hervor und legte sie auf den Tisch. „So viel, jeden Tag, und um Essen und ein Reittier brauchst du dich nicht zu kümmern.“
Lana schaute begierig auf die Münzen und überschlug die Anzahl der Tage, die sie bis nach Damaskus brauchen würden. „Na gut“, willigte sie schließlich ein. „Ich habe einen Esel, mit dem kann ich reisen. Aber zuerst musst du Sachen für das Kind besorgen. Oder nein, besser nicht. Ich übernehme das selbst.“ Sie wechselte die Brust. „Da hat aber jemand großen Durst“, sagte sie mit erstaunlich weicher Stimme, ehe sie sich wieder Haddad zuwandte. „Lass mir etwas Geld da, ich besorge das Nötigste. Hast du Quartier in der Stadt?“
„Ich bin heute Morgen aufgebrochen, dann fand ich das Kind und kam zurück.“
„Ich habe ein freies Zimmer. Da könnt ihr bleiben, bis ich alles gepackt habe. Ich schätze, du willst morgen abreisen?“
„Ja, wenn möglich. Zu Hause erwartet man mich.“
„Ich glaube, ich kann froh sein, von hier wegzukommen, bevor die Franken durch die Mauer brechen. Aber jetzt wollen wir uns erst um Wichtigeres kümmern.“ Lana hob das Bündel auf ihre Schulter. Mit geübtem Griff verstaute sie die Brust und tätschelte mit der anderen Hand das Kind. „Geh und hol Wasser vom Hof“, befahl sie Haddad, der sich völlig überflüssig vorkam und sofort hinauseilte. Als er mit einem Eimer frischem Wasser zurückkam, hatte Lana das Kind ausgepackt.
„Du hast einen Knaben“, verkündete sie.
Haddad näherte sich vorsichtig und starrte neugierig auf das kleine Zeugnis der Männlichkeit.
„Aber schau, wie schmutzig der arme Kleine ist. Stell den Eimer da hin und gib mir den Lappen dort.“ Lana war in ihrem Element, und wenn es um Kinder ging, war sie bereit, selbst einem General Befehle zu erteilen. Sie tauchte den Lappen ins Wasser und wollte dem Kind die Spuren seiner Geburt abwischen. Doch der Säugling brüllte erschrocken auf.
„Ja, ja, du hast ja so recht“, säuselte sie ihm zu. „Wie konnte die alte Lana nur.“ Zu Haddad rief sie, allerdings in deutlich forscherem Tonfall: „Los, am Feuer ist ein Kessel, setz Wasser auf, um es zu erwärmen. Es wird besser sein, den kleinen Dreckspatz zu baden.“
Haddad gehorchte, ohne zu murren. Lana wickelte das Kind unterdessen in eine Decke und wiegte es auf dem Arm. Als das Wasser endlich warm war, füllte sie einen Zuber, probierte vorsichtig die Temperatur, wickelte das Kind aus der Decke und tauchte es ganz langsam ins Wasser. Der Knabe strampelte, und sein Gesicht zeugte von Staunen und Vergnügen.
Haddad war verblüfft. Er hatte dieser massigen Person solche Zärtlichkeit und Sanftheit, wie sie sie dem Kind da angedeihen ließ, nicht zugetraut. Nicht lange, und sie trocknete das rosige Würmchen ab, nahm ein Fläschchen vom Regal, träufelte eine ölige Flüssigkeit auf den Bauch des Säuglings und begann, ihn am ganzen Körper einzureiben. Der Duft des Öls breitete sich im Raum aus. Dann wickelte sie den Jungen, schlug eine Decke eng um ihn und machte ein handliches Paket, aus dem nur noch das zufriedene Gesicht herausschaute. Das Kind schlief ein, und Lana bettete es zwischen zwei Kissen auf eine Bank.
„So, ich muss jetzt einige Besorgungen machen“, sagte sie. „Mach dir keine Sorgen, der Kleine schläft erst einmal.“
„Gut“, erwiderte der Schmied. „Ich muss zum Hof der Händler und mich um mein Pferd und das Gepäck kümmern.“
„Hol deine Sachen und dein Pferd einfach hierher. Hinterm Haus ist der Stall meines Esels, und da ist noch genug Platz für dein Pferd. Dann bist du nicht allzu lange weg. Aber ich glaube, der Kleine wird ohnehin eine ganze Weile schlafen.“
Haddad beeilte sich trotzdem. Er war froh, dass er den Wirt nicht noch einmal zu Gesicht bekam, und trollte sich rasch mit seinen Tieren aus dem Hof. Hinter Lanas Haus fand er den Stall und darin einen Esel, der viel kleiner war als sein Pferd. Im Stall war Platz genug für seine beiden Tiere, und er schüttete ihnen etwas von dem Heu vor die Hufe. Dann holte er ihnen noch zwei Eimer Wasser und begab sich wieder ins Haus. Lana war nicht mehr da. Das Bündel lag nach wie vor still auf der Bank. Vorsichtig setzte er sich daneben und beobachtete das entspannte kleine Gesicht.
***
Als Lana zurückkehrte, waren auch Haddad die Augen zugefallen. Das Kind schlief ruhig und fest, und die Amme begann in aller Ruhe zu packen. Von den Geräuschen geweckt, schlug der Schmied die Augen auf, blieb aber ruhig sitzen und beobachtete sie, wie sie einige Kleidungsstücke und Windelstoffe zusammenlegte, verschiedene kleine Tiegel aus einem Schränkchen holte, sie zwischen den Stoffen verbarg und aus dem Raum ging, um nach anderen Sachen zu suchen.
Im Haus wurde es bereits merklich dunkler. Die Sonne musste untergegangen sein, und Haddad spürte, dass er Hunger bekam. Er war mit diesem Gefühl nicht allein. Das Bündel neben ihm auf der Bank wurde unruhig, und nicht lange, da drang ein Krähen aus dem kleinen Mund, das unmissverständlich Aufmerksamkeit forderte. Haddad nahm den Knaben in die Arme und wiegte ihn unbeholfen. Mit einem Finger streichelte er über die winzige Wange seines Sohnes. Der Säugling wandte daraufhin das Köpfchen und schnappte nach der Fingerkuppe. Haddad ließ es geschehen und schaute dem kleinen Menschlein fasziniert bei seinen Bemühungen zu. Es war ein schönes Gefühl. Für einen Augenblick verstummte das Kind, einzig ein zartes Schmatzen war zu hören. Doch dann spürte es, dass seine Erwartungen nicht erfüllt wurden, begann wieder zu weinen, und weder Schaukeln noch der Finger konnten es beruhigen.
„Gib her“, forderte Lana. Sie hatte ihre Sachen beiseitegelegt und war an sie herangetreten. Haddad reichte ihr das Kind, und sie beeilte sich, seinen Hunger zu stillen.
Am Morgen wurde Haddad vom Weinen geweckt. Gleich darauf hörte er die leise Stimme der Amme, und das Wimmern brach ab. Er erhob sich, zog sich an und trat in den Hauptraum. Da saß Lana und gab dem Kleinen die Brust. Er wollte nicht tatenlos herumstehen und den Eindruck erwecken, er starre bloß auf die ungewöhnlich großen Brüste der Frau, also ging er hinaus zum Stall, um die Tiere zu versorgen und für die Abreise vorzubereiten. Als er die Tür zum kleinen Stall öffnete, drehten Pferde und Esel ihm erwartungsvoll die Köpfe entgegen. Er gab ihnen Heu und holte Wasser. Als alle drei Tiere zufrieden waren, legte er seinen Pferden das Halfter über und führte sie hinaus in den Hof. An der Stallwand fand er das Halfter für Lanas Esel. Auch er ließ sich gehorsam aus dem Stall führen und neben den Pferden ans Gatter binden.
Im Haus hatte Lana mittlerweile etwas zu essen hergerichtet. Sie kam gerade mit dem Kind auf dem Arm heraus, um Haddad zu holen.
„Der kleine Nimmersatt hat getrunken“, sagte sie „Und wir sollten uns vor dem Aufbruch ebenfalls stärken.“ Sie drückte ihm den Säugling in den Arm. Der Kleine war wach und sah ihn mit großen Augen an. Einem Impuls folgend, streichelte er mit einem Finger über die Wange. Der Junge verzog den Mund, und Haddad musste ebenso lächeln, ehe er der Amme ins Haus folgte, wo sie ein einfaches Morgenmahl gerichtet hatte. Er setzte sich, behielt das Kind aber im Arm. Während des Essens starrte es ihm unablässig ins bärtige Gesicht, und Haddad selbst sah immer wieder auf das kleine Antlitz in seiner Armbeuge herab. Schon jetzt spürte er in sich Liebe für dieses kleine Geschöpf aufblühen. Stolz und Spannung erfüllten ihn beim Gedanken an Nazia, seine Frau, und was sie wohl sagen würde. Das weckte seine Ungeduld, denn er wollte ihr so bald wie möglich dieses Kind übergeben. Den letzten Bissen noch im Mund, stand er auf. „Ich belade die Tiere“, sagte er schlicht und reichte das Kind der Amme.
Lana nickte und stand ebenfalls auf. „Meine Sachen stehen da neben der Tür“, erklärte sie und deutete auf einen prall gefüllten Doppelsack, den man so über den Rücken eines Lasttieres legen konnte, dass auf jeder Seite ein Sack herunterhing, verbunden durch die breite Stoffbahn dazwischen.
Haddad nahm die Sachen auf. Obwohl die Säcke prall gefüllt waren, erwies sich Lanas Gepäck als leicht. Sie hatte wohl hauptsächlich Kleidung und Stoffe eingepackt. Nun, ihm sollte es recht sein.
Im Hof legte er das Gepäck über den Rücken des Esels, anschließend sattelte er sein Pferd und bepackte das Lasttier. Es dauerte nicht lange, und alles war gerichtet. Zufrieden sah er auf sein Werk, dann leerte er die beiden Wasserschläuche, ging zum Brunnen und füllte sie mit frischem Wasser. Lana kam in den Hof und reichte ihm einen weiteren Schlauch. „Ich werde noch den Kleinen füttern“, gab sie Auskunft, „danach können wir los.“