Der sterbende König - Bernard Cornwell - E-Book
SONDERANGEBOT

Der sterbende König E-Book

Bernard Cornwell

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der König stirbt. Das Reich soll leben. Zum Ende des neunten Jahrhunderts droht England erneut im Chaos zu versinken. Uhtreds Herr, König Alfred, ist ein todkranker Mann. Krieg liegt in der Luft. Alfred will, dass sein Sohn Edward ihm auf dem Thron folgt. Doch die Krone begehren viele, Sachsen und heidnische Wikingerfürsten. Ist es für den Krieger Uhtred nun an der Zeit, das ihm geraubte Land im Norden wiederzuerobern? Nein. Denn auch wenn ihn kein Eid an den schwachen Königssohn bindet: Uhtred wird nicht zusehen, wie Alfreds Traum von einem starken England in Blut und Brand versinkt. «Von allen lebenden und toten Autoren, die ich je gelesen habe, schreibt Bernard Cornwell die besten Schlachtszenen.» (George R.R. Martin)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 656

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernard Cornwell

Der sterbende König

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Karolina Fell

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Der König stirbt. Das Reich soll leben.

 

Zum Ende des neunten Jahrhunderts droht England erneut im Chaos zu versinken. Uhtreds Herr, König Alfred, ist ein todkranker Mann. Krieg liegt in der Luft. Alfred will, dass sein Sohn Edward ihm auf dem Thron folgt. Doch die Krone begehren viele, Sachsen und heidnische Wikingerfürsten. Ist es für den Krieger Uhtred nun an der Zeit, das ihm geraubte Land im Norden wiederzuerobern? Nein. Denn auch wenn ihn kein Eid an den schwachen Königssohn bindet: Uhtred wird nicht zusehen, wie Alfreds Traum von einem starken England in Blut und Brand versinkt.

 

«Von allen lebenden und toten Autoren, die ich je gelesen habe, schreibt Bernard Cornwell die besten Schlachtszenen.» (George R.R. Martin)

Über Bernard Cornwell

Bernard Cornwell, geboren 1944, machte nach dem Studium Karriere bei der BBC, doch nach Übersiedlung in die USA – seine Frau Judy ist Amerikanerin – war ihm die Arbeit im Journalismus mangels Green Card verwehrt. Und so entschloss er sich, einem langgehegten Wunsch nachzugehen, dem Schreiben. Im englischen Sprachraum gilt er als unangefochtener König des historischen Abenteuerromans. Seine Werke wurden in über 20 Sprachen übersetzt – Gesamtauflage: mehr als 20 Millionen. Als Rowohlt Taschenbuch sind folgende Bücher des Autors lieferbar:

 

Die Uhtred-Serie:

Band 1: Das letzte Königreich

Band 2: Der weiße Reiter

Band 3: Die Herren des Nordens

Band 4: Schwertgesang

Band 5: Das brennende Land

Band 6: Der sterbende König

Band 7: Der Heidenfürst

Band 8: Der leere Thron

 

Die Artus-Chroniken:

Band 1: Der Winterkönig

Band 2: Der Schattenfürst

Band 3: Arthurs letzter Schwur

 

Die Bücher vom Heiligen Gral:

Band 1: Der Bogenschütze

Band 2: Der Wanderer

Band 3: Der Erzfeind

 

sowie:

Stonehenge

Das Zeichen des Sieges

Das Fort

 

Gemeinsam mit seiner Frau Judy hat Bernard Cornwell unter dem Pseudonym «Susannah Kells» zwei weitere historische Romane verfasst:

Das Hexen-Amulett

Die dunklen Engel

 

Weitere Informationen zum Autor

Erfahren Sie mehr über Bernard Cornwell und entdecken Sie spannende Hintergrundinformationen und spannende Aktionen auf www.bernard-cornwell.de

Inhaltsübersicht

WidmungKarteOrtsnamenStammbaumErster Teil Die ZauberinEinsZweiDreiVierFünfZweiter Teil Tod eines KönigsSechsSiebenAchtDritter Teil EngelNeunZehnVierter Teil Tod im WinterElfZwölfDreizehnNachwort des AutorsLeseprobe: Der Heidenfürst (Uhtred 7)Erster Teil Der Abt

Der sterbende König

ist für Anne LeClaire,

Schriftstellerin und Freundin,

von der die erste Zeile stammt.

Ortsnamen

Die Schreibung der Ortsnamen im angelsächsischen England war eine unsichere und regellose Angelegenheit, in der nicht einmal über die Namen selbst Übereinstimmung herrschte. London etwa wurde abwechselnd als Lundonia, Lundenberg, Lundenne, Lundene, Lundenwic, Lundenceaster und Lundres bezeichnet. Zweifellos hätten manche Leser andere Varianten der Namen, die unten aufgelistet sind, vorgezogen, doch ich habe mich in den meisten Fällen nach den Schreibungen gerichtet, die entweder im Oxford Dictionary of English Place-Names oder im Cambridge Dictionary of English Place-Names für die Jahre um 900 zu finden sind. Aber selbst diese Lösung ist nicht narrensicher. So wird die Insel Hayling dort für das Jahr 956 sowohl Heilincigae als auch Hæglingaiggæ geschrieben. Auch bin ich selbst nicht immer konsequent geblieben; ich habe die moderne Bezeichnung England dem älteren Englaland vorgezogen, und anstelle von Norðhymbraland habe ich Northumbrien geschrieben, weil ich den Eindruck vermeiden wollte, dass die Grenzen des alten Königreiches mit denjenigen des modernen Countysidentisch sind. Aus all diesen Gründen folgt die untenstehende Liste ebenso unberechenbaren Regeln wie die Schreibung der Ortsnamen selbst.

Baddan Byrig: Badbury Rings, Dorset

Beamfleot: Benfleet, Essex

Bebbanburg: Bamburgh Castle, Northumberland

Bedanford: Bedford, Bedfordshire

Blaneford: Blandford Forum, Dorset

Buccingahamm: Buckingham, Buckinghamshire

Buchestanes: Buxton, Derbyshire

Ceaster: Chester, Cheshire

Cent: Grafschaft Kent

Cippanhamm: Chippenham, Wiltshire

Cirrenceastre: Cirencester, Gloucestershire

Contwaraburg: Canterbury, Kent

Cracgelad: Cricklade, Wiltshire

Cumbraland: Cumberland

Cyninges Tun: Kingston upon Thames, Groß-London

Cytringan: Kettering, Northamptonshire

Dumnoc: Dunwich, Suffolk (heute größtenteils im Meer versunken)

Dunholm: Durham, Grafschaft Durham

Eanulfsbirig: St. Neots, Cambridgeshire

Eleg: Ely, Cambridgeshire

Eoferwic: York, Yorkshire (von den Dänen Jorvik genannt)

Exanceaster: Exeter, Devon

Fagranforda: Fairford, Gloucestershire

Fearnhamme: Farnham, Surrey

Fifhaden: Fyfield, Wiltshire

Fughelness: Insel Foulness, Essex

Gegnesburh: Gainsborough, Lincolnshire

Gleawecestre: Gloucester, Gloucestershire

Grantaceaster: Cambridge, Cambridgeshire

Hothlege: Fluss Hadleigh Ray, Essex

Hrofeceastre: Rochester, Kent

Humbre: Fluss Humber

Huntandon: Huntingdon, Cambridgeshire

Liccelfeld: Lichfield, Staffordshire

Lindisfarena: Lindisfarne (Heilige Insel), Northumberland

Lundene: London

Medwæg: Fluss Medway, Kent

Natangrafum: Notgrove, Gloucestershire

Oxnaforda: Oxford, Oxfordshire

Ratumacos: Rouen, Normandie, Frankreich

Rochecestre: Wroxeter, Shropshire

Sæfern: Fluss Severn

Sarisberie: Salisbury, Wiltshire

Sceaftesburi: Shaftesbury, Dorset

Sceobyrig: Shoebury, Essex

Scrobbesburh: Shrewsbury, Shropshire

Snotengaham: Nottingham, Nottinghamshire

Sumorsæte: Somerset

Temes: Fluss Thames

Thornsæta: Dorset

Tofeceaster: Towcester, Northamptonshire

Trente: Fluss Trent

Turcandene: Turkdean, Gloucestershire

Tweoxnam: Christchurch, Dorset

Westune: Whitchurch, Shropshire

Wiltunscir: Wiltshire

Wimburnan: Wimborne, Dorset

Wintanceaster: Winchester, Hampshire

Wygraceaster: Worcester, Worcestershire

Die Königsfamilie von Wessex

Erster TeilDie Zauberin

Eins

«Jeder Tag ist ein gewöhnlicher Tag», sagte Pater Willibald, «bis er es nicht mehr ist.» Er lächelte freudig, als hätte er gerade eine Äußerung getan, die ich höchst bedeutend finden müsste, und dann sah er mich enttäuscht an, weil ich nichts sagte. «Jeder Tag …», begann er erneut.

«Ich habe Euer Geschwätz gehört», knurrte ich.

«Bis er es nicht mehr ist», endete er mit schwacher Stimme. Ich mochte Willibald, wenn er auch ein Priester war. Er war in meiner Kindheit einer meiner Lehrer gewesen, und jetzt sah ich ihn als Freund an. Er war gutherzig, ernst, und wenn die Sanftmütigen jemals das Erdreich besitzen werden, dann wird Willibald dereinst unermesslich reich sein.

Und jeder Tag ist ein gewöhnlicher Tag, bis sich etwas ändert, und dieser kalte Sonntagmorgen hatte so gewöhnlich angefangen wie jeder andere, bis diese Narren versuchten, mich zu töten. Es war so kalt. Unter der Woche hatte es geregnet, doch an diesem Morgen froren die Pfützen zu, und eine dicke Reifschicht lag weiß auf dem Gras. Pater Willibald war kurz nach Sonnenaufgang angekommen und hatte mich auf der Weide entdeckt. «Wir haben Euer Anwesen gestern Abend nicht mehr gefunden», erklärte er vor Kälte zitternd seine frühe Ankunft, «also haben wir im Kloster von Sankt Rumwold übernachtet.» Er deutete vage in Richtung Süden. «Dort war es sehr kalt», fügte er hinzu.

«Diese Mönche sind geizige Hunde», sagte ich. Normalerweise hatte ich wöchentlich eine Karrenladung Feuerholz nach Sankt Rumwold zu liefern, aber diese Abgabe entrichtete ich nicht. Die Mönche konnten sich ihr eigenes Holz hacken. «Wer war Rumwold?», fragte ich Willibald. Ich kannte die Antwort, aber ich wollte Willibald ein wenig necken.

«Er war ein sehr frommes Kind, Herr», sagte er.

«Ein Kind?»

«Ein Säugling», sagte er seufzend, als ihm klarwurde, wohin unser Gespräch führen würde. «Er war kaum drei Tage alt, als er starb.»

«Ein drei Tage alter Säugling ist ein Heiliger?»

Willibald wedelte mit den Händen. «Es gibt Wunder, Herr», sagte er, «sie geschehen wirklich. Es heißt, dass der kleine Rumwold jedes Mal Gottes Lob sang, wenn er an der Brust lag.»

«Das würde ich auch jedes Mal am liebsten tun, wenn ich an eine Brust herankomme», sagte ich. «Bin ich also auch ein Heiliger?»

Willibald erschauerte und wechselte dann klugerweise das Thema. «Ich bringe Euch eine Botschaft von dem Ætheling», sagte er und meinte damit König Alfreds ältesten Sohn Edward.

«Dann heraus damit.»

«Er ist jetzt König von Cent», sagte Willibald fröhlich.

«Er hat Euch den ganzen Weg zu mir geschickt, um mir das zu sagen?»

«Nein, nein. Ich dachte, Ihr habt es vielleicht noch nicht gehört.»

«Gewiss habe ich es gehört», sagte ich. Alfred, der König von Wessex, hatte seinen ältesten Sohn zum König von Cent gemacht, was bedeutete, dass Edward Gelegenheit hatte, sich im Königsamt zu üben, ohne allzu großen Schaden anrichten zu können, denn Cent gehörte immer noch zu Wessex. «Hat er Cent schon zugrunde gerichtet?»

«Selbstverständlich nicht», sagte Willibald, «allerdings …», er unterbrach sich unvermittelt.

«Allerdings was?»

«Oh, es ist nichts», sagte er leichthin und gab mit einem Mal überaus großes Interesse an meinen Schafen vor. «Wie viele schwarze Schafe habt Ihr?», fragte er.

«Ich könnte Euch auch an den Knöcheln hochhalten und Euch schütteln, bis die Neuigkeiten herausfallen», schlug ich vor.

«Es ist nur, dass Edward … also», er zögerte, dann beschloss er, mir doch lieber alles zu erzählen, damit ich ihn nicht tatsächlich an den Knöcheln hochhob. «Es ist nur, dass er ein Mädchen aus Cent heiraten wollte und sein Vater die Zustimmung verweigert hat. Aber das ist vollkommen unwichtig.»

Ich lachte. Also war der junge Edward doch nicht der vollendete Thronfolger. «Und Edward platzt vor Wut, oder?»

«Nein, nein! Das war nur eine jugendliche Schwärmerei und ist inzwischen längst vergessen. Sein Vater hat ihm verziehen.»

Ich fragte nichts mehr, obwohl ich dieser Tratschgeschichte viel mehr Aufmerksamkeit hätte widmen müssen. «Und wie lautet nun die Nachricht von Edward?», fragte ich. Wir standen auf der unteren Weide meines Besitzes in Buccingahamm, das im östlichen Mercien lag. Eigentlich gehörte dieser Grund und Boden Æthelflæd, aber sie hatte mir die Abgaben der Bauern überlassen, und das Anwesen war groß genug, um dreißig Hausmacht-Krieger zu ernähren, von denen die meisten an diesem Morgen in der Kirche waren. «Und warum seid Ihr nicht in der Messe?», fragte ich Willibald, noch bevor er meine erste Frage beantworten konnte. «Es ist doch Feiertag, oder?»

«Sankt-Alnoths-Tag», sagte er, als wäre das ein ganz besonders wunderbares Ereignis. «Aber ich wollte Euch finden!» Er klang aufgeregt. «Ich habe eine Nachricht von König Edward für Euch. Jeder Tag ist ein gewöhnlicher …»

«Bis er es nicht mehr ist», unterbrach ich ihn schroff.

«Ja, Herr», kam es lahm von ihm. Dann runzelte er die Stirn. «Was tut Ihr eigentlich hier?»

«Ich sehe mir die Schafe an.» Und das stimmte. Ich hatte zweihundert oder mehr Schafe vor mir, die zu mir zurückstarrten und erbärmlich blökten.

Willibald drehte sich zu der Herde um. «Schöne Tiere», sagte er, als ob er wüsste, wovon er redete.

«Einfach nur Fleisch und Wolle», sagte ich, «und ich lege fest, welche leben und welche sterben sollen.» Es war die Jahreszeit zum Töten, die grauen Tage, während der unsere Tiere geschlachtet werden. Wir lassen ein paar am Leben, damit sie sich im Frühling vermehren, aber die meisten müssen sterben, weil wir nicht genügend Futter haben, um ganze Herden über den Winter zu bringen. «Man muss auf ihre Rücken achten», erklärte ich Willibald, «der Reif schmilzt nämlich zuerst auf der Wolle der gesündesten Tiere. Das sind diejenigen, die man am Leben lässt.» Ich zog ihm den Wollhut vom Kopf und zerzauste ihm das Haar, das langsam grau wurde. «Kein Reif auf Eurem Kopf», sagte ich fröhlich, «andernfalls hätte ich Euch die Kehle durchschneiden müssen.» Ich deutete auf ein Mutterschaf mit einem abgebrochenem Horn. «Behalt das da!»

«Gemacht, Herr», antwortete der Schäfer. Er war ein sehniger kleiner Mann mit einem Bart, der die Hälfte seines Gesichts verdeckte. Er knurrte seinen beiden Hunden zu, dass sie bleiben sollten, wo sie waren, dann tauchte er in die Herde ein und benutzte seinen Hirtenstab, um das Mutterschaf herauszuholen, das er anschließend zu der kleineren Herde am Rand der Weide trieb. Einer seiner Hunde, ein zottiges Tier mit vernarbtem Fell, schnappte nach den Knöcheln des Mutterschafs, bis ihn der Schäfer wegrief. Der Schäfer benötigte keineswegs meine Hilfe bei der Auswahl der Tiere, die leben oder sterben sollten. Er sonderte seit seiner Kinderzeit aus den Herden die Schafe aus, die ungeeignet für die Zucht waren, aber ein Herr, der die Schlachtung seiner Tiere befiehlt, schuldet es ihnen, ein wenig Zeit mit ihnen zu verbringen.

«Der Gerichtstag», sagte Willibald und zog sich seinen Hut bis über die Ohren.

«Wie viele sind es jetzt?», fragte ich den Schäfer.

«Jiggit und mumph, Herr», sagte er.

«Reicht das?»

«Das reicht, Herr.»

«Dann töte den Rest», sagte ich.

«Jiggit und mumph?», kam es fragend von Willibald, der immer noch vor Kälte zitterte.

«Zwanzig und fünf», sagte ich. «Yain, tain, tether, mether, mumph. So zählen die Schäfer. Ich weiß nicht, warum. Die Welt ist eben voller Rätsel. Man hat mir sogar erzählt, dass es Leute gibt, die einen drei Tage alten Säugling als Heiligen verehren.»

«Man spottet nicht über Gott, Herr», sagte Pater Willibald in einem Versuch, mich zu rügen.

«Ich schon», sagte ich. «Also, was will der junge Edward?»

«Oh, es ist überaus aufregend», setzte Willibald an und unterbrach sich gleich wieder, weil ich eine Hand gehoben hatte.

Die zwei Schäferhunde knurrten. Beide drückten sich flach auf den Boden und hatten den Blick südwärts auf ein Wäldchen gerichtet. Inzwischen fiel Eisregen. Ich starrte zu den Bäumen hinüber, konnte aber zwischen den schwarzen Winterästen und dem Stechpalmengebüsch nichts Bedrohliches entdecken. «Wölfe?», fragte ich den Schäfer.

«Hab seit dem Jahr, in dem die alte Brücke eingestürzt ist, keinen Wolf mehr gesehen, Herr», sagte er.

Die Hunde sträubten das Nackenfell. Der Schäfer schnalzte mit der Zunge, damit sie ruhig blieben, dann pfiff er einmal kurz, und einer der Hunde raste auf das Wäldchen zu. Der andere winselte, weil auch er losjagen wollte, aber der Schäfer machte ein leises Geräusch, und der Hund wurde wieder still.

Der andere Hund rannte in einem Bogen auf die Bäume zu. Es war eine Hündin, und sie verstand ihr Geschäft. Sie setzte über einen eisüberzogenen Graben hinweg und verschwand zwischen den Stechpalmenbüschen, bellte unvermittelt, tauchte wieder auf und sprang erneut über den Graben. Einen Moment lang verharrte sie, den Blick auf die Bäume gerichtet, dann rannte sie wieder los, und in demselben Augenblick zischte ein Pfeil aus dem Dunkel des Wäldchens. Der Schäfer pfiff schrill, die Hündin jagte zu uns zurück, und der Pfeil ging hinter ihr zu Boden, ohne Schaden anzurichten.

«Geächtete», sagte ich.

«Oder Männer, die auf Wild aus sind», sagte der Schäfer.

«Mein Wild», sagte ich. Noch immer ruhte mein Blick auf den Bäumen. Warum sollten Wilderer einen Pfeil auf einen Schäferhund abschießen? Sie hätten sich besser aus dem Staub gemacht. Handelte es sich also um besonders törichte Wilderer?

Der Eisregen hatte mittlerweile noch zugenommen und wurde von einem kalten Ostwind übers Land getrieben. Ich trug einen dicken Pelzumhang, hohe Stiefel und eine Fuchsfellmütze, also spürte ich die Kälte nicht, Willibald aber, in seinem priesterlichen Schwarz, zitterte trotz seines Wollumhangs und seines Hutes. «Ich muss Euch in den Palas bringen», sagte ich. «In Eurem Alter solltet Ihr im Winter nicht draußen sein.»

«Ich habe nicht damit gerechnet, dass es regnet», sagte Willibald. Er klang elend.

«Bis heute Mittag wird Schnee draus», sagte der Schäfer.

«Hast du hier in der Nähe eine Hütte?», fragte ich ihn.

Er deutete Richtung Norden. «Gleich hinter dem kleinen Wald», sagte er. Er zeigte auf dichtstehende Bäume, zwischen denen ein Pfad hindurchführte.

«Gibt es dort Feuer?»

«Ja, Herr.»

«Bring uns hin», sagte ich zu ihm. Ich würde Willibald dort ans Feuer setzen und ihm einen ordentlichen Umhang und ein gutmütiges Pferd holen, um ihn in den Palas zu bringen.

Als wir nordwärts gingen, knurrten die Hunde wieder. Ich drehte mich nach Süden um, und da waren Männer am Rand des Wäldchens. Eine auseinandergezogene Reihe von Männern, die uns nachstarrten. «Kennst du die?», fragte ich den Schäfer.

«Sie sind nicht aus der Gegend, Herr, und es sind eddera-a-dix», sagte er und meinte damit, dass es dreizehn waren. «Das bringt Unglück, Herr.» Er bekreuzigte sich.

«Was …», fing Pater Willibald an.

«Still», sagte ich. Die beiden Hunde des Schäfers fletschten nun die Zähne. «Geächtete», äußerte ich noch einmal meine Vermutung, ohne den Blick von den Männern abzuwenden.

«Sankt Alnoth wurde von Geächteten ermordet», sagte Willibald sorgenvoll.

«Also ist nicht alles schlecht, was die Geächteten tun», sagte ich, «aber die hier sind Holzköpfe.»

«Holzköpfe?»

«Weil sie uns angreifen», sagte ich. «Dafür werden sie gejagt und gevierteilt werden.»

«Wenn wir nicht als Erste sterben», sagte Willibald.

«Geht weiter!» Ich schob ihn auf den Wald im Norden zu, und berührte meinen Schwertknauf, bevor ich ihm folgte. Ich trug nicht Schlangenhauch, mein großes Kampfschwert, sondern eine kleinere, leichtere Klinge, die ich früher im Jahr einem Dänen in Beamfleot abgenommen hatte, nachdem er im Kampf mit mir umgekommen war. Es war ein gutes Schwert, aber in diesem Moment wünschte ich mir dennoch, ich hätte Schlangenhauch an meiner Hüfte. Ich warf einen Blick über die Schulter. Die dreizehn Männer überquerten den Graben, um uns nachzugehen. Zwei hatten Bögen. Die übrigen schienen mit Äxten, Messern oder Speeren bewaffnet zu sein. Willibald war langsam und keuchte schon vor Anstrengung. «Was hat das zu bedeuten?», stieß er hervor.

«Räuber?», stellte ich eine Vermutung an. «Vagabunden? Ich weiß nicht. Lauft schneller!» Ich schob ihn zwischen die Bäume, dann zog ich das Schwert aus der Scheide und drehte mich zu meinen Verfolgern um, von denen einer gerade einen Pfeil aus dem Köcher an seinem Gürtel zog. Dieser Anblick überzeugte mich davon, Willibald in das Wäldchen zu folgen. Der Pfeil raste an mir vorbei und fuhr peitschend ins Unterholz. Ich trug kein Kettenhemd, nur den dicken Pelzumhang, der keinen Schutz vor einem Jagdpfeil bot. «Weitergehen!», schrie ich Willibald nach, dann hinkte ich den Pfad hinauf. Ich war in der Schlacht von Ethandun am rechten Oberschenkel verletzt worden, und obwohl ich gehen und sogar langsam rennen konnte, wusste ich, dass ich nicht imstande war, die Männer abzuhängen, die sich nun in bequemer Reichweite eines Pfeilschusses hinter mir befanden. Ich hastete den Pfad entlang, als ein zweiter Pfeil von einem Ast abgelenkt wurde und im Gezweig klappernd zu Boden fiel. Jeder Tag ist ein gewöhnlicher Tag, dachte ich, bis er interessant wird. Meine Verfolger konnten mich zwischen den dunklen Stämmen und dem dichten Stechpalmengebüsch nicht sehen, aber sie gingen davon aus, dass ich Willibald gefolgt war und hielten sich auf dem Pfad, während ich mich ins Unterholz duckte. Die glänzenden Blätter eines Stechpalmenbusches, mein Pelzumhang und die Fuchsfellmütze, die ich mir über mein blondes Haar tief ins Gesicht gezogen hatte, verbargen mich gut. Die Verfolger liefen an meinem Versteck vorbei, ohne auch nur den Blick zu wenden. Die beiden Bogenschützen bildeten die Spitze.

Ich ließ ihnen ein gutes Stück Vorsprung, dann folgte ich ihnen. Ich hatte sie reden hören, als sie an mir vorbeikamen, und so wusste ich, dass es Sachsen waren, und, ihrer Aussprache zufolge, vermutlich aus Mercien. Räuber, dachte ich. Eine Römerstraße führte in der Nähe durch tiefe Wälder, und dort trieben Männer ohne Herren ihr Unwesen, indem sie Reisende überfielen, weshalb diese, um sich zu schützen, meist in großen Gruppen unterwegs waren. Ich hatte mit meinen Kriegern zweimal Jagd auf solche Gesetzlose gemacht und geglaubt, ich hätte sie dazu gebracht, sich ihren Lebensunterhalt weit weg von meinem Besitz zu suchen. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, wer sonst diese Männer sein sollten. Trotzdem sah es solchen Vagabunden nicht ähnlich, auf ein Anwesen einzudringen. Meine Nackenhaare prickelten.

Ich bewegte mich vorsichtig, als ich zum Saum des Waldes kam, dann sah ich die Männer neben der Schäferhütte, die einem Grashügel glich. Der Schäfer hatte den Unterschlupf aus Zweigen gebaut, mit Torfsoden bedeckt und in der Mitte ein Loch als Rauchabzug gelassen. Von dem Schäfer selbst war nichts zu sehen, doch Willibald war gefangen genommen worden, immerhin war er bislang unverletzt; vielleicht schützte ihn sein Stand als Priester. Einer der Männer hielt ihn fest. Den anderen musste klargeworden sein, dass ich immer noch in dem Wäldchen war, denn sie starrten zu den Bäumen herüber, die mich verbargen.

Dann tauchten unvermittelt links von mir die beiden Hunde des Schäfers auf und rannten mit lautem Kläffen auf die dreizehn Männer zu. Sie rannten schnell und leichtfüßig, kreisten die Gruppe ein und sprangen ab und zu mit schnappenden Zähnen auf die Männer zu, um ihnen dann wieder auszuweichen. Nur einer der Männer hatte ein Schwert, doch er war ungeschickt im Umgang damit. Als er es gegen die Hündin schwang, verfehlte er sie um Armeslänge. Einer der Bogenschützen spannte die Sehne. Er zog den Pfeil zurück, und dann fiel er plötzlich rücklings um, wie von einem unsichtbaren Hammer getroffen. Alle viere von sich gestreckt landete er auf dem Boden, sein Pfeil flitzte hoch in den Himmel und kam weit hinter mir zwischen den Bäumen wieder herunter. Die Hunde, inzwischen auf ihre Vorderpfoten geduckt, fletschten knurrend die Zähne. Der umgefallene Bogenschütze rührte sich, konnte aber offensichtlich nicht aufstehen. Die anderen Männer waren verängstigt.

Der zweite Bogenschütze hob seine Waffe, dann zuckte er zurück, ließ den Bogen fallen und schlug sich die Hände vors Gesicht. Ich sah Blut spritzen, Blut, so hellrot wie die Beeren der Stechpalmen. Ein Farbspritzer jagte in den grauen Wintermorgen, und der Mann hielt sich das Gesicht und krümmte sich vor Schmerzen. Die Hunde bellten, dann sprangen sie zurück zwischen die Bäume. Der Eisregen wurde noch dichter und trommelte laut auf die kahlen Zweige. Zwei der Männer gingen näher zu der Schäferhütte, wurden aber von ihrem Anführer zurückgerufen. Er war jünger als die anderen und sah wohlhabender oder wenigstens nicht ganz so ärmlich aus, hatte ein schmales Gesicht, einen durchdringenden Blick und einen kurzen hellen Bart. Er trug ein verschrammtes Lederwams, doch darunter erkannte ich ein Kettenhemd. Also musste er entweder ein Krieger sein, oder er hatte die Rüstung gestohlen. «Herr Uhtred!», rief er.

Ich antwortete nicht. Ich war gut versteckt, jedenfalls für den Moment, wusste aber, dass ich meinen Platz verlassen musste, falls sie das Wäldchen durchkämmten. Doch was auch immer zu dem Blutvergießen geführt hatte, machte sie unruhig. Was war es? Es mussten die Götter gewesen sein, dachte ich, oder vielleicht der christliche Heilige. Alnoth, der Geächtete hassen musste, wenn er von ihnen umgebracht worden war, und ich bezweifelte nicht, dass diese Männer Geächtete waren, die jemand geschickt hatte, um mich zu töten. Das war nicht überraschend, denn in diesen Tagen hatte ich eine Menge Feinde. Ich habe auch heute noch Feinde, allerdings lebe ich jetzt hinter den stärksten Palisaden Nordenglands. Damals aber, in dieser lange versunkenen Zeit des Winters 898, gab es kein England. Es gab Northumbrien und Ostanglien, Mercien und Wessex, und die ersten beiden wurden von den Dänen regiert, Wessex war sächsisch und Mercien war ein Durcheinander, zum Teil dänisch und zum Teil sächsisch. Und ich war wie Mercien, denn ich war als Sachse geboren, doch als Däne aufgewachsen. Ich huldigte immer noch den dänischen Göttern, aber das Schicksal hatte mich dazu verdammt, ein Schild der christlichen Sachsen gegen die allgegenwärtige Bedrohung durch die heidnischen Dänen zu sein. Und deshalb wollten ungezählte Dänen meinen Tod, und dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein dänischer Gegner mercische Geächtete anheuern würde, um mich in einen Hinterhalt zu locken. Es gab auch Sachsen, die liebend gern mitangesehen hätten, wie meine Leiche in einen langen Kasten gelegt wird. Mein Cousin Æthelred, der Herr über Mercien, hätte die Männer gut bezahlt, die mein Grab zuschaufeln, aber er hätte doch sicherlich Krieger geschickt und keine Vogelfreien? Dennoch schien er mir am ehesten in Frage zu kommen. Er war mit Æthelflæd verheiratet, Alfred von Wessex’ Tochter, aber ich hatte ihm Hörner aufgesetzt, und nun vermutete ich, dass er mir diesen Gefallen erwiderte, indem er dreizehn Geächtete zu mir schickte.

«Herr Uhtred!», rief der junge Mann erneut, doch die einzige Antwort war ein jähes, panisches Blöken.

Die Schafe strömten den Pfad durch den Wald herunter, gehetzt von den beiden Hunden, die nach ihren Knöcheln schnappten, um sie noch schneller auf die dreizehn Männer zuzutreiben, und nachdem die Schafe bei den Männern waren, rasten die Hunde um sie herum, schnappten weiter nach ihren Knöcheln und trieben die Tiere damit in einem engen Kreis zusammen, der die Geächteten einschloss. Ich lachte. Ich war Uhtred von Bebbanburg, der Mann, der Ubba am Meeresstrand getötet und Haestens Armee bei Beamfleot niedergeworfen hatte, doch an diesem kalten Sonntagmorgen war es der Schäfer, der sich als fähigerer Kriegsherr erwies. Die verstörte Herde war dicht um die Geächteten zusammengedrängt, sodass sie sich kaum noch rühren konnten. Die Hunde jaulten, die Schafe blökten, und die dreizehn Männer verzweifelten.

Ich trat zwischen den Bäumen hervor. «Ihr sucht mich?», rief ich.

Zur Antwort wollte der junge Mann auf mich zugehen, aber die dicht aneinandergepressten Schafe behinderten ihn. Er trat nach ihnen, dann hieb er mit seinem Schwert auf sie ein, doch je mehr er kämpfte, desto verängstigter wurden die Tiere, und die ganze Zeit trieben sie die Hunde weiter zusammen. Der junge Mann fluchte, dann griff er sich Willibald. «Lasst uns gehen oder wir töten ihn», sagte er.

«Das ist ein Christ», sagte ich und hob den Thorshammer, der um meinen Hals hing, «warum sollte es mich stören, wenn du ihn umbringst?»

Willibald starrte mich fassungslos an, und dann drehte er sich um, weil einer der Männer vor Schmerz aufschrie. Erneut war in dem Eisregen ein leuchtend roter Strahl Blut aufgeblitzt, und dieses Mal entdeckte ich seine Ursache. Es waren weder die Götter noch der ermordete Heilige, sondern der Schäfer, der mit einer Schleuder in der Hand aus dem Wald trat. Er nahm einen Stein aus einem Beutel, legte ihn in die lederne Ausbuchtung der Waffe und ließ die Schleuder über seinem Kopf kreisen. Sie machte ein sirrendes Geräusch, dann ließ er ein Ende der Kordel los, und wieder wurde einer der Männer von einem herabzischenden Stein getroffen.

In Panik wandten sie sich zur Flucht, und ich gab dem Schäfer ein Zeichen, damit er sie laufenließ. Er pfiff die Hunde zurück, und Männer und Schafe stoben auseinander. Die Männer rannten davon, bis auf den ersten Bogenschützen, der betäubt am Boden lag, seitdem der Stein ihn am Kopf getroffen hatte. Der jüngere Mann war tapferer als die anderen und kam auf mich zu. Vielleicht dachte er, seine Begleiter würden zu seiner Unterstützung kommen, dann aber stellte er fest, dass er allein war. Angst kroch über sein Gesicht. Er drehte sich um, und in demselben Augenblick sprang ihn die Hündin an und grub ihre Zähne in seinen Schwertarm. Er schrie auf, versuchte das Tier abzuschütteln, doch schon kam der zweite Hund, um ihn ebenfalls anzufallen. Der Mann schrie immer noch, als ich ihm die flache Seite meines Schwertes auf den Hinterkopf schlug. «Du kannst die Hunde jetzt wegrufen», erklärte ich dem Schäfer.

Der erste Bogenschütze lebte noch, allerdings war das Haar oberhalb seines rechten Ohrs blutverklebt. Ich versetzte ihm einen kräftigen Tritt in die Rippen, und er stöhnte, war jedoch bewusstlos. Ich nahm seinen Bogen und seinen Köcher und gab sie dem Schäfer. «Wie heißt du?»

«Egbert, Herr.»

«Jetzt bist du ein reicher Mann, Egbert», sagte ich zu ihm. Ich wünschte, das wäre wahr. Ich würde Egbert für seinen Einsatz an diesem Morgen gut belohnen, aber ich war nicht mehr reich. Ich hatte mein Geld für Männer, Rüstungen und Waffen ausgegeben, die ich gebraucht hatte, um Haesten zu besiegen, und in diesem Winter war ich bitterarm.

Die Geächteten waren Richtung Norden verschwunden. Willibald zitterte. «Sie waren auf der Suche nach Euch, Herr», sagte er mit klappernden Zähnen, «sie sind bezahlt worden, um Euch zu töten.»

Ich beugte mich über den Bogenschützen. Der Stein des Schäfers hatte seinen Schädel durchschlagen, und ich konnte ein gesplittertes Stück Knochen zwischen den blutigen Haarsträhnen erkennen. Einer der Hunde kam, um an dem verwundeten Mann zu schnuppern, und ich tätschelte sein dichtes, drahtiges Fell. «Das sind gute Hunde», stellte ich an Egbert gewandt fest.

«Wolfstöter, Herr», sagte er, dann hob er abwägend die Schleuder hoch. «Aber das hier ist noch besser.»

«Du bist gut darin», sagte ich. Das war noch schwach ausgedrückt, denn der Mann war tödlich.

«Hab fünfundzwanzig Jahre Übung, Herr. Gibt nichts Besseres als einen Stein, um einen Wolf zu vertreiben.»

«Sie wurden also bezahlt, um mich zu töten?», fragte ich Willibald.

«Das haben sie gesagt. Dass sie bezahlt worden sind, um Euch zu töten.»

«Geht in die Hütte», sagte ich. «Wärmt Euch auf.» Dann drehte ich mich zu dem jüngeren Mann um, der von dem größeren Hund bewacht wurde. «Wie heißt du?»

Er zögerte, dann sagte er unwillig: «Wærfurth, Herr.»

«Und wer hat dich bezahlt, um mich zu töten?»

«Das weiß ich nicht, Herr.»

Und er wusste es wirklich nicht, so wie es aussah. Wærfurth und seine Männer stammten aus der Nähe von Tofeceaster, einer Siedlung nicht weit nördlich, und Wærfurth erzählte mir, wie ihm ein Mann versprochen hatte, ihm mein Gewicht in Silber aufzuwiegen, wenn er mich tötete. Dieser Mann hatte einen Sonntagmorgen vorgeschlagen, weil er wusste, dass die meisten Mitglieder meines Hausstandes dann in der Kirche wären, und Wærfurth hatte zur Erledigung des Auftrags ein Dutzend Vagabunden angeheuert. Er musste gewusst haben, dass er sich auf ein gewagtes Spiel einließ, denn ich genoss einen gewissen Ruf, aber die Belohnung war gewaltig. «War der Mann Däne oder Sachse?», fragte ich.

«Ein Sachse, Herr.»

«Und du kennst ihn nicht?»

«Nein, Herr.»

Ich nahm ihn weiter ins Verhör, doch er konnte mir nichts anderes sagen, als dass der Mann mager, kahlköpfig und einäugig gewesen war. Diese Beschreibung sagte mir nichts. Ein einäugiger Kahlkopf? Das konnte beinahe jeder sein. So sehr ich Wærfurth auch ausquetschte, es kamen nur noch unnütze Antworten, also knüpfte ich ihn und den Bogenschützen auf.

Und Willibald zeigte mir den magischen Fisch.

 

Eine Abordnung erwartete mich in meinem Palas. Sechzehn Männer waren von Alfreds Hauptstadt Wintanceaster gekommen, und unter ihnen befanden sich nicht weniger als fünf Priester. Zunächst Willibald, dann zwei, die wie er aus Wessex kamen und schließlich zwei Mercier, die sich offenkundig in Ostanglien niedergelassen hatten. Ich hatte die beiden schon früher kennengelernt, wenn ich sie auch nicht auf den ersten Blick wiedererkannte. Es waren Zwillinge, Ceolnoth und Ceolberht, und man hatte sie etwa dreißig Jahre zuvor zusammen mit mir als Geiseln in Mercien festgehalten. Wir waren als Kinder von den Dänen gefangen worden, ein Schicksal, das ich begrüßt und die Zwillinge gehasst hatten. Sie waren nun beinahe vierzig Jahre alt, zwei Priester, die sich glichen wie ein Ei dem anderen, mit gedrungenem Körperbau, runden Gesichtern und ergrauenden Bärten. «Wir haben Eure Fortschritte aufmerksam verfolgt», sagte einer von ihnen.

«Und sie bewundert», endete der andere. Ich hatte sie als Kind nicht auseinanderhalten können, und es gelang mir immer noch nicht. Sie beendeten gegenseitig ihre Sätze.

«Widerwillig», sagte einer.

«Bewundert», sagte sein Zwilling.

«Widerwillig?», fragte ich unfreundlich.

«Es ist allseits bekannt, dass Alfred enttäuscht ist.»

«Weil Ihr den wahren Glauben nicht anerkennen wollt, aber …»

«Wir beten jeden Tag für Euch!»

Die zwei anderen Priester, beide Westsachsen, waren Alfreds Männer. Sie hatten ihm bei der Zusammenstellung der Texte für seinen Gesetzeskodex geholfen, und nun sollten sie mir anscheinend gute Ratschläge erteilen. Die übrigen elf Männer waren Krieger, fünf aus Ostanglien und sechs aus Wessex, und waren zum Schutz der Priester auf der Reise abgestellt worden.

Und sie hatten den magischen Fisch mitgebracht.

«König Eohric», sagte Ceolnoth oder Ceolberht.

«Wünscht ein Bündnis mit Wessex», endete der andere Zwilling.

«Und mit Mercien!»

«Die christlichen Königreiche, versteht Ihr?»

«Und König Alfred und König Edward», nahm Willibald den Faden auf, «haben für König Eohric ein Geschenk mitgesandt.»

«Lebt Alfred noch?», fragte ich.

«Ja, durch Gottes Gnade», sagte Willibald, «allerdings ist er krank.»

«Und zwar todkrank», warf einer der westsächsischen Priester ein.

«Er ist schon todkrank geboren worden», sagte ich, «und er liegt im Sterben, seit ich ihn kenne. Er wird noch zehn Jahre leben.»

«Bitten wir Gott, dass es ihm vergönnt ist», sagte Willibald und bekreuzigte sich. «Allerdings ist er schon fünfzig Jahre alt und wird zusehends schwächer. Diesmal liegt er wohl tatsächlich im Sterben.»

«Und eben deshalb will er dieses Bündnis», fuhr der westsächsische Priester fort, «und aus demselben Grund bittet der Herr Edward um Eure Unterstützung.»

«König Edward», berichtigte Willibald seinen Priesterkollegen.

«Und wer bittet in Wahrheit um meine Unterstützung?», fragte ich. «Ist es Alfred von Wessex oder Edward von Cent?»

«Edward», sagte Willibald.

«Eohric», kam es von Ceolnoth und Ceolberht im Chor.

«Alfred», sagte der westsächsische Priester.

«Sie alle», ergänzte Willibald. «Es ist für sie alle von Bedeutung, Herr!»

Edward oder Alfred oder beide wollten, dass ich zu König Eohric von Ostanglien ging. Eohric war Däne, aber er war zum Christentum übergetreten, und er hatte die Zwillinge zu Alfred geschickt und ein großes Bündnis zwischen den christlichen Teilen Britanniens vorgeschlagen. «König Eohric hat angeregt, dass Ihr den Friedensvertrag aushandeln sollt», sagte Ceolnoth oder Ceolberht.

«Mit uns als Ratgebern», warf einer der westsächsischen Priester hastig ein.

«Warum ich?», fragte ich die Zwillinge.

Willibald antwortete für sie. «Wer kennt Mercien und Wessex so gut wie Ihr?»

«Da gibt es viele», antwortete ich.

«Und wenn Ihr die Führung übernehmt», sagte Willibald, «werden Euch diese Vielen Gefolgschaft leisten.»

Wir saßen an einem Tisch mit Ale, Brot, Käse, Gemüsesuppe und Äpfeln. In der großen Feuerstelle in der Mitte des Raumes loderten die Flammen und ließen Schatten und Licht über die rauchgeschwärzten Balken zucken. Der Schäfer hatte recht behalten, und der Eisregen hatte sich in Schnee verwandelt, und nun rieselten ein paar Flocken durch die Rauchabzugsöffnung im Dach herein. Draußen, jenseits der Palisade, baumelten Wærfurth und der Bogenschütze am kahlen Ast einer Ulme, ihre Leichen dienten den hungrigen Vögeln als Futter. Die meisten meiner Männer waren im Palas und hörten unserem Gespräch zu. «Es ist eine merkwürdige Jahreszeit, um Verträge auszuhandeln», sagte ich.

«Alfred bleibt nicht mehr viel Zeit», sagte Willibald, «und er will dieses Bündnis, Herr. Wenn alle Christen Britanniens vereint sind, wird der Thron Edwards geschützt sein, wenn er die Krone erbt.»

Das ergab Sinn, aber warum sollte Eohric dieses Bündnis anstreben? Eohric von Ostanglien hatte, solange ich mich erinnern konnte, gezaudert, sich zwischen den Seiten der Christen und Heiden, der Dänen und Sachsen zu entscheiden, und nun wollte er mit einem Mal in aller Öffentlichkeit seine Zugehörigkeit zu den christlichen Sachsen verkünden?

«Es ist wegen Cnut Ranulfson», erklärte einer der Zwillinge, als ich die Frage stellte.

«Er hat Männer in den Süden gebracht», sagte der andere Zwilling.

«Auf die Besitzungen Sigurd Thorssons», sagte ich. «Das weiß ich, darüber habe ich Alfred ja selbst benachrichtigen lassen. Und Eohric fürchtet Cnut und Sigurd?»

«Das tut er», sagte Ceolnoth oder Ceolberht.

«Cnut und Sigurd werden jetzt nicht angreifen», sagte ich, «aber möglicherweise im Frühling.» Cnut und Sigurd waren Dänen aus Northumbrien, und ihr immerwährender Traum, den sie mit allen Dänen teilten, war es, alle Gebiete zu erobern, in denen Englisch gesprochen wurde. Die Eindringlinge hatten es wieder und wieder versucht, und wieder und wieder waren sie gescheitert, doch der nächste Anlauf war unvermeidlich, denn das Herz von Wessex, dem stärksten Bollwerk des sächsischen Christentums, schlug immer schwächer. Alfred starb, und sein Tod würde mit Sicherheit die Schwerter und Feuersbrünste der Heiden nach Mercien bringen. «Aber warum sollten Cnut oder Sigurd Eohric angreifen?», fragte ich. «Sie wollen Ostanglien nicht, sie wollen Wessex.»

«Sie wollen alles», gab Ceolnoth oder Ceolberht zurück.

«Und der wahre Glaube wird mit Geißeln aus Britannien vertrieben werden, wenn wir ihn nicht verteidigen», sagte einer der westsächsischen Priester.

«Was der Grund ist, aus dem wir Euch beknien, das Bündnis zu schmieden», sagte Willibald.

«Beim Weihnachtsfest», fügte einer der Zwillinge hinzu.

«Und Alfred hat ein Geschenk für Eohric mitgesandt», fuhr Willibald begeistert fort. «Alfred und Edward! Sie haben sich überaus großzügig gezeigt, Herr!»

Das Geschenk lag in einem Silberkästchen, das mit wertvollen Edelsteinen besetzt war. Auf dem Deckel sah man eine Christusgestalt mit erhobenen Armen, um die geschrieben stand ‹Edward mec heht Gewyrcan›, was bedeutete, dass Edward dieses Reliquiar in Auftrag gegeben hatte, oder noch eher hatte sein Vater das Geschenk bestellt und die Freigiebigkeit dann seinem Sohn zugeschrieben. Willibald hob ehrfürchtig den Deckel, und das mit rotgefärbtem Tuch ausgeschlagene Innere des Kästleins wurde sichtbar. Ein kleines Kissen von der Länge und Breite einer Männerhand füllte es aus, und auf dem Kissen lag ein Fischskelett. Es war ein vollständiges Fischskelett, bis auf den Kopf, nur ein langes weißes Rückgrat mit einem Rippenkamm auf jeder Seite. «Seht nur», hauchte Willibald kaum hörbar, als könnte zu lautes Sprechen die Gräten stören.

«Ein toter Hering?», fragte ich ungläubig. «Das soll Alfreds Geschenk sein?»

Die Priester bekreuzigten sich allesamt.

«Braucht Ihr noch mehr Gräten?», fragte ich. Dann sah ich zu Finan hinüber, meinem engsten Freund und dem Befehlshaber meiner Hauskrieger. «Toten Fisch können wir zur Verfügung stellen, was?»

«Fässerweise», sagte er.

«Herr Uhtred!» Willibald brauste wie immer bei meinen Neckereien auf. «Dieser Fisch», er deutete mit bebendem Finger auf die Gräten, «war einer der beiden Fische, die Unser Heiland zur Speisung der fünftausend verwendet hat!»

«Dann muss der andere ja ein verflucht großer Fisch gewesen sein», sagte ich. «Was für einer war’s denn? Ein Wal?»

Der ältere der westsächsischen Priester blickte mich finster an. «Ich habe König Edward davon abgeraten, Euch diese Aufgabe zu übertragen», sagte er. «Ich habe ihm gesagt, er soll einen Christen entsenden.»

«Dann sucht Euch jemand anderen», gab ich zurück. «Ich verbringe das Julfest ohnehin lieber in meinem eigenen Palas.»

«Er wünscht, dass Ihr hingeht», sagte der Priester scharf.

«Alfred wünscht es auch», warf Willibald ein. Dann fügte er mit einem Lächeln hinzu: «Er glaubt, dass Ihr Eohric Angst einflößen werdet.»

«Warum will er Eohric Angst einflößen?», fragte ich. «Ich dachte, es geht um ein Bündnis.»

«König Eohric erlaubt seinen Schiffsführern, Jagd auf unsere Handelsfahrer zu machen», sagte der Priester, «und er muss Entschädigungen zahlen, bevor wir ihm Schutz zusagen. Der König meint, Ihr werdet sehr überzeugend auf ihn wirken.»

«Wir müssen frühestens in zehn Tagen los», sagte ich und sah die Priester missmutig an, «wird von mir erwartet, dass ich Euch alle bis dahin durchfüttere?»

«Ja, Herr», sagte Willibald fröhlich.

Das Schicksal ist unerforschlich. Ich hatte das Christentum abgelehnt und die Götter der Dänen vorgezogen, doch ich liebte Æthelflæd, Alfreds Tochter, und sie war Christin, und das bedeutete, dass ich mein Schwert nun für das Kreuz in den Kampf führte.

Und deshalb sah es danach aus, dass ich das Julfest in Ostanglien verbringen würde.

 

Osferth kam mit zwanzig weiteren Männern aus meiner Hausmacht nach Buccingahamm. Ich hatte sie gerufen, weil ich von einer starken Truppe nach Ostanglien begleitet werden wollte. König Eohric mochte ein Bündnis vorgeschlagen haben, und er mochte sich sämtlichen Forderungen Alfreds beugen, aber Verträge werden am besten von einer Warte der Stärke ausgehandelt, und ich war entschlossen, mit einer beeindruckenden Begleitmannschaft in Ostanglien zu erscheinen. Osferth und seine Männer hatten Ceaster beobachtet, ein altes Römerlager an der Nordwestgrenze Merciens, in das sich Haesten geflüchtet hatte, nachdem seine Truppen bei Beamfleot geschlagen worden waren. Osferth grüßte mich ernst, wie es seine Art war. Er lächelte nur selten, und sein üblicher Gesichtsausdruck drückte Missbilligung über alles aus, was ihm vor die Augen kam, aber ich glaube, er freute sich, wieder mit uns allen zusammen zu sein. Er war Alfreds Sohn, gezeugt mit einer Dienerin, bevor Alfred die zweifelhaften Freuden christlichen Gehorsams entdeckt hatte. Alfred hatte seinen Bastardsohn zum Priester ausbilden lassen wollen, doch Osferth zog ein Dasein als Krieger vor. Das war eine seltsame Wahl, denn er empfand kaum Freude am Kampf und sehnte sich nicht nach dem wilden Rausch, in dem der Grimm und eine Klinge alles andere trist erscheinen lassen. Allerdings brachte Osferth die Fähigkeiten seines Vaters mit in den Kampf. Er war ernsthaft, nachdenklich und methodisch. Wo Finan und ich unüberlegt und eigensinnig sein konnten, setzte Osferth Klugheit ein, und das war kein Nachteil für einen Krieger.

«Haesten leckt immer noch seine Wunden», berichtete er mir.

«Wir hätten ihn töten sollen», murrte ich. Haesten hatte sich nach Ceaster zurückgezogen, nachdem ich seine Flotte und seine Armee bei Beamfleot zerstört hatte. Mein Gefühl hatte mir geraten, ihn nach Ceaster zu verfolgen und seinen Narreteien ein für allemal ein Ende zu bereiten. Doch Alfred hatte seine Haustruppen zurück in Wessex haben wollen, und ich hatte nicht genügend Männer, um die Römerfestung bei Ceaster zu belagern, und deshalb lebte Haesten noch. Wir beobachteten ihn und suchten nach Hinweisen, dass er wieder Männer anwarb, doch Osferth war eher der Ansicht, Haesten würde immer schwächer und nicht stärker werden.

«Bald ist er gezwungen, seinen Stolz hinunterzuschlucken und jemandem den Treueid zu schwören», lautete Osferths Meinung.

«Und zwar Sigurd oder Cnut», sagte ich. Sigurd und Cnut waren zu dieser Zeit die mächtigsten Dänen in Britannien, auch wenn keiner von ihnen ein König war. Sie hatten Land, Vermögen, Schafe, Rinderherden, Silber, Schiffe, Männer und Ehrgeiz. «Warum sollten sie Ostanglien wollen?», überlegte ich laut.

«Warum nicht?», fragte Finan.

«Weil sie Wessex wollen», sagte ich.

«Sie wollen ganz Britannien», sagte Finan.

«Sie warten», sagte Osferth.

«Auf was?»

«Auf Alfreds Tod», sagte er. Er bezeichnete Alfred nur selten mit «mein Vater», als ob er sich, ebenso wie der König, seiner Geburt schämte.

«Oh, was es danach für ein Durcheinander geben wird», bemerkte Finan genüsslich.

«Edward wird ein guter König sein», sagte Osferth vorwurfsvoll.

«Er wird darum kämpfen müssen», sagte ich. «Die Dänen werden ihn auf die Probe stellen.»

«Und werdet Ihr für ihn kämpfen?», fragte Osferth.

«Ich mag Edward», sagte ich unverbindlich. Ich mochte ihn tatsächlich. Als Kind hatte er mir leidgetan, weil ihn sein Vater unter die Aufsicht glühend frommer Priester gestellt hatte, deren Aufgabe es war, aus Edward einen fehlerlosen Erben für Alfreds christliches Königreich zu machen. Als ich ihm später wieder begegnete, kurz vor der Schlacht bei Beamfleot, hatte er überheblich und engstirnig auf mich gewirkt, doch dann hatte er das Zusammensein mit den Kriegern genossen, und seine Überheblichkeit war verschwunden. Bei Beamfleot hatte er gut gekämpft, und nun, wenn man Willibalds Klatschgeschichten glauben durfte, hatte er auch mit der Sünde seine ersten Erfahrungen gemacht.

«Seine Schwester würde wollen, dass Ihr ihn unterstützt», sagte Osferth spitz und brachte Finan damit zum Lachen. Jedermann wusste, dass Æthelflæd meine Geliebte war, genauso wie jeder wusste, dass Æthelflæds Vater auch Osferths Vater war, doch die meisten Menschen gaben aus Höflichkeit vor, es nicht zu wissen, und Osferths spitze Bemerkung war das Äußerste, was er wagte, um auf meine Beziehung zu seiner Halbschwester hinzuweisen. Ich hätte das Weihnachtsfest am liebsten mit Æthelflæd verbracht, doch Osferth erklärte mir, sie sei nach Wintanceaster gerufen worden, und ich wusste, dass ich an Alfreds Tisch nicht willkommen war. Davon abgesehen hatte ich nun die Pflicht, den magischen Fisch zu Eohric zu bringen, und ich machte mir Sorgen darüber, dass Sigurd und Cnut einen Beutezug durch meine Ländereien unternehmen könnten, während ich in Ostanglien war.

Sigurd und Cnut waren im Sommer zuvor südwärts gesegelt, um ihre Schiffe an die Südküste von Wessex zu bringen, während Haestens Armee in Mercien plünderte. Die beiden northumbrischen Dänen hatten Alfreds Truppen ablenken wollen, während Haesten an der Nordgrenze von Wessex wütete. Doch Alfred hatte mir seine Armee trotzdem geschickt, Haesten hatte seine Machtstellung verloren, und Sigurd und Cnut hatten festgestellt, dass sie außerstande waren, auch nur eine von Alfreds Wehrstädten zu erobern, die mit Festungsanlagen gesicherten Städte, die überall auf sächsischem Gebiet verteilt lagen. Und so waren sie auf ihre Schiffe zurückgekehrt. Ich wusste, dass sie keine Ruhe geben würden. Sie waren Dänen, was bedeutete, dass sie Böses im Schilde führten.

Also nahm ich am nächsten Tag bei tauendem Schnee Finan, Osferth und dreißig Männer mit Richtung Norden zu Aldermann Beornnoth. Ich mochte Beornnoth. Er war alt, grau, lahm und hitzköpfig. Seine Besitzungen lagen genau an der Grenze des sächsischen Merciens, und alles nördlich von ihm gehörte den Dänen, weshalb er in den Jahren zuvor gezwungen gewesen war, seine Felder und Dörfer gegen die Angriffe von Sigurd Thorrsons Männern zu verteidigen. «Gott der Allmächtige», begrüßte er mich, «sagt nur nicht, dass Ihr auf eine Weihnachtsfeier in meinem Palas hofft.»

«Ich ziehe gutes Essen vor», sagte ich.

«Und ich ziehe gutaussehende Gäste vor», gab er zurück. Dann rief er nach seinen Dienern, damit sie unsere Pferde wegbrachten. Er wohnte etwas nordöstlich von Tofeceaster in einem großen Palas, um den sich Scheunen und Stallungen verteilten, die von einer starken Palisade geschützt wurden. Der Platz zwischen dem Palas und der größten Scheune war blutgetränkt vom Schlachten. Männer schnitten den verängstigten Tieren die Fersensehnen durch, damit sie auf dem Boden zusammenbrachen und nicht flüchten konnten, bevor sie von anderen Männern mit einem Axthieb auf die Stirn getötet wurden. Die zuckenden Tierkörper wurden zur Seite des Platzes geschafft. Dort zogen Frauen und Kinder den toten Tieren mit langen Messern die Haut ab und zerteilten das Fleisch. Hunde saßen mit aufmerksamen Blick dabei oder kämpften um die Schlachtabfälle, die ihnen hingeworfen wurden. Es stank nach Blut und Exkrementen. «Es war ein gutes Jahr», erklärte mir Beornnoth, «zweimal so viele Tiere wie letztes Jahr. Die Dänen haben mich in Ruhe gelassen.»

«Keine Viehdiebstähle?»

«Nur ein- oder zweimal», sagte er schulterzuckend. Seit unserer letzten Begegnung hatte er den Gebrauch seiner Beine verloren und musste sich überallhin auf einem Stuhl tragen lassen. «Das ist das Alter», sagte er. «Ich sterbe von unten nach oben. Vermutlich wollt Ihr ein Ale, oder?»

Im Palas tauschten wir Neuigkeiten aus. Er brüllte vor Lachen, als ich ihm von dem Anschlag auf mein Leben erzählte. «Setzt Ihr neuerdings Schafe ein, um Euch zu verteidigen?» Dann sah er seinen Sohn in den Palas kommen und rief ihn zu sich. «Komm her und hör dir an, wie der Herr Uhtred die Schafsschlacht gewonnen hat!»

Der Sohn hieß Beortsig und war, ebenso wie sein Vater, breitschultrig und bärtig. Er lachte über die Geschichte, doch sein Lachen wirkte gezwungen. «Ihr sagt, die Gauner stammten aus Tofeceaster?», fragte er nach.

«Das hat der Bastard jedenfalls behauptet.»

«Das ist unser Land», sagte Beortsig.

«Geächtete», sagte Beornnoth abweisend.

«Und Narren», fügte Beortsig hinzu.

«Ein magerer, kahler Einäugiger hat sie dafür angeworben», sagte ich. «Kennt Ihr irgendwen, der so aussieht?»

«Klingt nach unserem Priester», sagte Beornnoth belustigt. Beortsig sagte nichts. «Also, was bringt Euch her?», fragte Beornnoth, «davon abgesehen, dass Ihr meine Alefässer leersaufen wollt?»

Ich berichtete ihm von Alfreds Anliegen, dass ich einen Bündnisvertrag mit Eohric besiegeln sollte, und dass Eohrics Abgesandte den Wunsch ihres Königs mit seiner Angst vor Sigurd und Cnut erklärt hatten. Beornnoth sah mich zweifelnd an. «Sigurd und Cnut haben kein Interesse an Ostanglien», sagte er.

«Eohric glaubt es aber.»

«Der Mann ist ein Holzkopf», sagte Beornnoth, «und das war er schon immer. Sigurd und Cnut wollen Mercien und Wessex.»

«Und wenn sie diese Königreiche besitzen, Herr», sagte Osferth zurückhaltend zu unserem Gastgeber, «dann wollen sie auch Ostanglien.»

«Das stimmt, nehme ich an», räumte Beornnoth ein.

«Warum also nicht Ostanglien zuerst erobern», mutmaßte Osferth, «und seine Männer der eigenen Streitmacht angliedern?»

«Bis zu Alfreds Tod wird überhaupt nichts geschehen», sagte Beornnoth mit Überzeugung, «und ich bete, dass er noch lebt.»

«Amen», sagte Osferth.

«Ihr wollt also Sigurds Frieden stören?», fragte mich Beornnoth.

«Ich will wissen, was er treibt», sagte ich.

«Er bereitet sich aufs Julfest vor», sagte Beortsig gleichgültig.

«Und das heißt, dass er den gesamten nächsten Monat betrunken ist», ergänzte sein Vater.

«Er hat uns das ganze Jahr in Frieden gelassen», sagte der Sohn.

«Und ich will nicht, dass Ihr ins Wespennest stecht», sagte Beornnoth. Er sprach leichthin, aber die Bedeutung seiner Worte war schwerwiegend. Wenn ich nach Norden ritt, würde ich Sigurd möglicherweise aufstacheln, und dann würde Beornnoths Land unter den Hufen dänischer Pferde erbeben, und Blut würde von dänischen Klingen tropfen.

«Ich muss nach Ostanglien», erklärte ich, «und Sigurd wird die Vorstellung von einem Bündnis zwischen Eohric und Alfred nicht gefallen. Er könnte Männer nach Süden schicken, um sein Missfallen auszudrücken.»

Beornnoth runzelte die Stirn. «Oder er könnte es sein lassen.»

«Und genau das will ich herausfinden», sagte ich.

Darauf reagierte Beornnoth mit einem Knurren. «Habt Ihr Langeweile, Herr Uhtred?», fragte er. «Wollt Ihr ein paar Dänen töten?»

«Ich will sie nur beschnuppern», sagte ich.

«Beschnuppern?»

«Halb Britannien weiß schon von diesem Bündnis mit Eohric», sagte ich, «und wer hat das größte Interesse, es zu verhindern?»

«Sigurd», gab Beornnoth nach kurzem Innehalten zu.

Ich stellte mir Britannien manchmal wie eine Mühle vor. Ganz unten, schwer und verlässlich, war der Mühlstein Wessex, während sich oben, ebenso schwer, der Mahlstein der Dänen drehte, und Mercien wurde zwischen den beiden zerquetscht. In Mercien kämpften die Sachsen und Dänen am häufigsten gegeneinander. Alfred hatte es mit Geschick verstanden, seinen Einfluss weit über den Süden des Königreichs Mercien auszudehnen, doch die Dänen waren im Norden die Herren, und bisher war der Kampf recht ausgeglichen verlaufen, was bedeutete, dass beide Seiten Verbündete suchten. Die Dänen hatten den walisischen Königen verlockende Angebote gemacht, aber obwohl die Waliser ewigen Hass gegen alle Sachsen hegten, fürchteten sie doch den Zorn ihres christlichen Gottes mehr als die Dänen, und deshalb hielten die meisten Waliser einen unsicheren Frieden mit Wessex. Im Osten dagegen lag das unberechenbare Königreich Ostanglien, das von den Dänen regiert wurde, jedoch eher christlich geprägt war. Ostanglien konnte zum Zünglein an der Waage werden. Wenn Eohric Männer schickte, um gegen Wessex zu kämpfen, dann würden die Dänen gewinnen, wenn er sich aber mit den Christen verbündete, würden die Dänen einer Niederlage entgegensehen.

Sigurd, dachte ich, würde verhindern wollen, dass dieses Bündnis jemals zustande kam, und um das zu erreichen, blieben ihm noch zwei Wochen. Hatte er die dreizehn Männer geschickt, die mich töten sollten? Als ich an Beornnoths Feuer saß, schien mir das die beste Erklärung. Und wenn er es getan hatte, was würde er als Nächstes machen?

«Ihr wollt ihn also nur beschnuppern, was?», fragte Beornnoth.

«Und ihn nicht reizen», versprach ich.

«Keine Toten? Keine Räubereien?»

«Ich fange keinen Streit an», versicherte ich.

«Gott weiß, was Ihr herausfinden könnt, ohne ein paar von den Bastarden niederzumachen», sagte Beornnoth, «aber gut. Geht und beschnuppert sie. Beortsig wird Euch begleiten.» Er wollte seinen Sohn und ein Dutzend Krieger aus seiner Haustruppe mitschicken, um sicher zu sein, dass wir unser Wort hielten. Beornnoth fürchtete, dass wir vorhatten, ein paar dänische Gehöfte zu verwüsten und Vieh, Silber und Sklaven zu rauben, und seine Männer würden das verhindern, aber ich wollte mich dort tatsächlich nur ein bisschen umsehen.

Ich traute Sigurd nicht und seinem Verbündeten Cnut ebenso wenig. Ich mochte sie alle beide, aber ich wusste, dass sie mich nötigenfalls genauso beiläufig töten würden, wie wir es bei der Winterschlachtung mit unserem Vieh tun. Sigurd war der Reichere der beiden, während Cnut gefährlicher war. Er war noch jung und hatte dennoch schon einen großen Ruf als Schwert-Däne, ein Mann, dessen Klinge respektiert und gefürchtet werden musste. Solch ein Mann zieht andere an. Sie kamen übers Meer, ruderten nach Britannien, um sich einem Führer anzuschließen, der ihnen Reichtum versprach. Und im Frühling, so dachte ich, würden die Dänen gewiss wiederkommen, oder vielleicht würden sie auch warten, bis Alfred starb, weil sie wussten, dass der Tod eines Königs Unsicherheit bringt, und Unsicherheit birgt günstige Gelegenheiten.

Beortsig dachte das Gleiche. «Liegt Alfred wirklich im Sterben?», fragte er, als wir nordwärts ritten.

«Das sagen jedenfalls alle.»

«Das haben sie auch schon früher gesagt.»

«Und sehr oft», stimmte ich ihm zu.

«Glaubt Ihr es jetzt?»

«Ich habe ihn nicht selbst gesehen», sagte ich, und ich wusste, dass ich in seinem Palas nicht willkommen wäre, selbst wenn ich ihn sehen wollte. Man hatte mir erklärt, Æthelflæd sei zum Weihnachtsfest nach Wintanceaster gegangen, doch sie war wohl eher zur Totenwache bestellt worden als zu den fragwürdigen Genüssen an der Tafel ihres Vaters.

«Und Edward wird sein Erbe antreten?», fragte Beortsig.

«Das ist Alfreds Wunsch.»

«Und wer wird König in Mercien?»

«Es gibt keinen König in Mercien», sagte ich.

«Es sollte aber einen geben», sagte er verbittert, «und zwar keinen Westsachsen! Wir sind Mercier, keine Westsachsen.» Ich sagte nichts dazu. Einst hatte es Könige in Mercien gegeben, aber jetzt unterstand es Wessex. Das hatte Alfred so eingerichtet. Seine Tochter war mit dem mächtigsten der mercischen Aldermänner verheiratet, und die meisten Sachsen in Mercien schienen sehr zufrieden damit, unter Alfreds Schutz zu stehen, doch nicht allen gefiel diese westsächsische Dominanz. Wenn Alfred starb, würden einflussreiche Mercier anfangen, auf ihren unbesetzten Thron zu schielen, und Beortsig, so vermutete ich, war solch ein Mann. «Unsere Vorfahren waren hier Könige», erklärte er mir.

«Und meine Vorfahren waren Könige in Northumbrien», gab ich zurück, «aber ich will den Thron nicht.»

«Mercien sollte von einem Mercier regiert werden», sagte er. Er schien sich in meiner Gesellschaft unwohl zu fühlen, oder vielleicht fühlte er sich auch unwohl, weil wir tief in das Gebiet ritten, das Sigurd für sich beanspruchte.

Wir ritten geradewegs nach Norden, die niedrig stehende Wintersonne warf unsere Schatten langgezogen vor uns. Die ersten Gehöfte, an denen wir vorbeikamen, waren nur noch ausgebrannte Ruinen, dann, als die Mittagszeit schon vorüber war, kamen wir zu einem Dorf. Die Leute hatten uns kommen sehen, also führte ich meine Reiter durch den nahegelegenen Wald, bis wir ein Paar aus seinem Versteck aufgescheucht hatten. Sie waren Sachsen, ein Sklave und seine Frau, und sie sagten, ihr Herr sei ein Däne. «Ist er in seinem Palas?», fragte ich.

«Nein, Herr.» Der Mann kniete vor mir, zitterte vor Angst und war unfähig den Kopf zu heben, um meinem Blick zu begegnen.

«Wie heißt er?»

«Jarl Joven, Herr.»

Ich sah Beortsig an, der mit den Schultern zuckte. «Jorven ist einer von Sigurds Männern», sagte er, «und in Wahrheit kein Jarl. Er hat kaum mehr als dreißig oder vierzig Krieger.»

«Ist seine Frau im Palas?», fragte ich den knienden Mann.

«Sie ist dort, Herr, und einige Krieger, aber nicht viele. Die übrigen sind weggeritten, Herr.»

«Und wohin?»

«Ich weiß nicht, Herr.»

Ich warf ihm eine Silbermünze hin. Das konnte ich mir keineswegs leisten, aber ein Herr ist ein Herr.

«Das Julfest steht vor der Tür», tat Beortsig diesen Hinweis ab. «Jorven ist vermutlich nach Cytringan gegangen.»

«Cytringan?»

«Wie wir gehört haben, feiern Sigurd und Cnut dort das Julfest», sagte er.

Wir ritten aus dem Wald, zurück auf feuchtes Weideland. Wolken waren vor die Sonne gezogen, und ich dachte, es würde wohl bald anfangen zu regnen. «Erzählt mir von Jorven», sagte ich zu Beortsig.

Er zog die Schultern hoch. «Ein Däne, das versteht sich. Er kam vor zwei Sommern an, und Sigurd hat ihm diese Ländereien gegeben.»

«Ist er mit Sigurd verwandt?»

«Das weiß ich nicht.»

«Und wie alt?»

Wieder ein Schulterzucken. «Jung.»

Und warum sollte ein Mann ohne seine Frau zum Julfest gehen? Beinahe hätte ich diese Frage laut gestellt, dann aber dachte ich, Beortsigs Antwort wäre ohnehin nutzlos, und deshalb schwieg ich. Statt weiterzureden trieb ich mein Pferd an, bis ich eine Stelle erreichte, von der aus ich Jorvens Palas sehen konnte. Es war ein recht stattliches Gebäude mit steilem Dach und einem Bullenschädel am hohen Giebelfeld. Das Strohdach war so neu, dass es noch kein Moos angesetzt hatte. Eine Palisade zog sich um den Palas, und ich sah zwei Männer, die uns beobachteten. «Das wäre ein guter Augenblick, um Jorven anzugreifen», sagte ich leichthin.

«Sie haben uns in Frieden gelassen», sagte Beortsig.

«Und Ihr glaubt, das wird so bleiben?»

«Ich glaube, wir sollten umdrehen», sagte er, und dann, als ich nichts sagte, fügte er hinzu, «wenn wir es bis zum Dunkelwerden zurück nach Hause schaffen wollen.»

Stattdessen ritt ich weiter nordwärts und beachtete Beortsigs Einwände nicht. Wir ließen Jorvens Palas unbehelligt und kamen auf einen niedrigen Hügelkamm, von dem aus wir in ein weites Tal hinabblickten. Feine Rauchfäden zeigten, wo Dörfer oder Gehöfte standen, und mattes Schimmern verriet einen Fluss. Ein schöner Fleck, dachte ich, fruchtbar und gut bewässert, ganz genau die Art Grund und Boden, nach der es die Dänen verlangte. «Ihr sagt, Jorven hat dreißig oder vierzig Krieger?», fragte ich Beortsig.

«Mehr sind es nicht.»

«Also eine Schiffsbesatzung», sagte ich. Daraus schloss ich, dass Jorven und seine Gefolgsleute das Meer in einem einzigen Schiff überquert und Sigurd den Treueid geleistet hatten. Als Gegenleistung hatte Jorven Landbesitz an der Grenze erhalten. Wenn die Sachsen angriffen, würde Jorven wahrscheinlich umkommen, aber das war das Risiko, das er einging, denn andererseits konnte seine Belohnung noch viel größer werden, wenn sich Sigurd zu einem Angriff im Süden entschloss. «Als Haesten letzten Sommer hier war», sagte ich zu Beortsig und trieb mein Pferd weiter, «hat er Euch da Ärger gemacht?»

«Er hat uns in Ruhe gelassen», sagte er. «Er hat seine Verwüstungen weiter im Westen angerichtet.»

Ich nickte. Beortsigs Vater, dachte ich, hatte es wohl satt gehabt, gegen die Dänen zu kämpfen und zahlte Sigurd nun Tribut. Es konnte keinen anderen Grund für diesen Frieden geben, der auf Beornnoths Ländereien herrschte, und Haesten, spann ich meine Vermutungen weiter, hatte Beornnoth auf Sigurds Befehl ungeschoren gelassen. Haesten hätte es niemals gewagt, Sigurd zu verärgern, und zweifellos hatte er deshalb einen Bogen um die Besitzungen derjenigen Sachsen gemacht, die für den Frieden zahlten. Haesten war noch der größte Teil Südmerciens für seine Heimsuchungen geblieben, und er war sengend und brennend, vergewaltigend und plündernd umhergezogen, bis ich den größten Teil seiner Kampfkraft bei Beamfleot niedermachte. Darauf war er vor Angst nach Ceaster geflüchtet.

«Macht dir etwas Sorgen?», fragte mich Finan. Wir ritten in das Tal hinunter und auf den Fluss zu. Der Wind trieb uns Nieselregen in den Rücken. Finan und ich waren etwas vorausgaloppiert, um außer Hörweite von Beortsig und seinen Männern zu sein.

«Warum sollte ein Mann ohne seine Frau zum Julfest gehen?», fragte ich Finan.

Er hob die Augenbrauen. «Vielleicht ist sie hässlich. Vielleicht hält er sich für die Festtage etwas Jüngeres, Hübscheres.»

«Kann sein», knurrte ich.

«Oder vielleicht ist er dorthin beordert worden», sagte Finan.

«Und warum sollte Sigurd zur Wintersonnenwende Krieger einberufen?»

«Weil er über Eohric Bescheid weiß?»

«Und genau das macht mir Sorgen», sagte ich.

Der Regen wurde stärker, heftige Windböen jagten ihn vor sich her. Der Tag ging zur Neige, es war düster und nass und kalt. Schneereste lagen weiß in zugefrorenen Gräben. Beortsig wollte darauf bestehen, dass wir umkehrten, aber ich ritt weiter nach Norden und hielt auf zwei große Palas-Gebäude zu. Wer auch immer diese Gebäude schützte, er musste uns gesehen haben, doch niemand ritt uns entgegen. Mehr als vierzig bewaffnete Männer mit Schilden und Speeren und Schwertern ritten durch ihr Land, und sie machten sich nicht einmal die Mühe herauszufinden, wer wir waren oder was wir wollten? Das sagte mir, dass die Gebäude nur mangelhaft bewacht waren. Wer uns sah, ließ uns lieber zufrieden und hoffte, dass wir weiterritten, ohne sie zu beachten.

Und dann zog sich, gerade vor uns, eine Narbe über das Land. Ich ließ mein Pferd an ihrem Rand anhalten. Die Narbe verlief quer über unseren Weg, hatte sich tief in die Feuchtwiesen am südlichen Ufer des Flusses gegraben, dessen Oberfläche nun von unzähligen Regentropfen aufgewühlt wurde. Ich ließ mein Pferd umdrehen und gab vor, dass mich dieser zertrampelte Boden und die tiefen Hufabdrücke nicht interessierten. «Wir reiten zurück», erklärte ich Beortsig.

Die Narbe war von Pferden verursacht worden. Finan lenkte seinen Hengst unter dem kalten Regen dicht neben meinen. «Achtzig Männer», sagte er.

Ich nickte. Ich vertraute seinem Urteil. Zwei Schiffsbesatzungen waren von Westen nach Osten geritten, und die Hufe ihrer Pferde hatten die Narbe in den feuchten Grund gerissen. Zwei Schiffsmannschaften, die dem Fluss folgten. Wohin? Ich ritt langsamer, damit Beortsig zu uns aufschloss. «Wo, habt Ihr gesagt, feiert Sigurd das Julfest?», fragte ich.

«Cytringan.»

«Und wo ist Cytringan?»

Er deutete nach Norden. «Eine gute Tagesreise, vielleicht zwei. Er hat dort eine Festhalle.»

Cytringan lag im Norden, doch die Hufspuren führten nach Osten.

Irgendwer log.

Zwei

Wie wichtig das geplante Bündnis für Alfred war, wurde mir erst so recht bewusst, als ich nach Buccingahamm zurückkehrte und sechzehn Mönche dabei vorfand, wie sie mein Essen verschlangen und mein Ale tranken. Die Jüngsten unter ihnen waren noch bartlose Knäblein, und der Älteste, ihr Anführer, war ein korpulenter Mann in meinem Alter. Er hieß Bruder John und war so fett, dass es ihm Schwierigkeiten bereitete, sich vor mir zu verbeugen. «Er stammt aus dem Frankenreich», sagte Willibald stolz.

«Und was hat er hier verloren?»

«Er ist der Gesangsmeister des Königs! Er leitet den Chor.»

«Einen Chor?», fragte ich.

«Wir singen», sagte Bruder John mit einer Stimme, die wie Donnergrollen irgendwoher aus seinem umfangreichen Bauch aufzusteigen schien. Er winkte gebieterisch zu seinen Mönchen hinüber und rief: «Das Soli Deo Gloria. Steht auf! Tief einatmen! Auf mein Wort! Eins! Zwei!» Sie begannen einen feierlichen Gesang. «Münder auf!», brüllte Bruder John. «Den Mund aufsperren! Den Mund aufsperren wie die kleinen Vögelein im Nest! Aus dem Bauch singen! Ich höre euch nicht!»

«Genug!», rief ich, noch bevor sie mit dem ersten Satz fertig waren. Ich warf Oswi, meinem Diener, meinen Schwertgurt zu, dann ging ich zum Feuer in der Mitte, um mich aufzuwärmen. «Warum», fragte ich Willibald, «muss ich singende Mönche durchfüttern?»

«Es ist wichtig, dass wir mit unserem Erscheinen beeindrucken», antwortete er und beäugte misstrauisch mein schlammverspritztes Kettenhemd. «Wir sind dort die Stellvertreter von Wessex, Herr, und wir müssen den Glanz von Alfreds Hof veranschaulichen.»