Der stille Herr Zwille und ein ziemlich zäher Hund - Burkhardt Schmidt - E-Book

Der stille Herr Zwille und ein ziemlich zäher Hund E-Book

Burkhardt Schmidt

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Beschreibung

Endlich! Von so einem fetten Auftrag haben die Inhaber der Privatdetektei Harloff & Wuttke lange geträumt. Die Tochter eines Millionärs wurde entführt und ihre Schwester ersucht Rick Harloff und seinen Partner händeringend um Hilfe. Endlich kommt Geld in die notorisch leere Kasse! Das Entführen gestaltet sich für den Entführer insofern schwierig, als er feststellt, dass zwar die geforderte Summe des Lösegelds stimmt, nicht aber das Geld ... Aber gut! Wenn's beim ersten Mal nicht klappt - auf ein Neues! Der Hamburger Kriminalkommissar Ferdinand Fleck steht vor einem anderen Problem. Ein unheimlicher Serienmörder treibt sein Unwesen in der Stadt und katapultiert einige Herren rücksichtslos ins Jenseits. Fleck bittet den Meisterdetektiv Hermann Harloff, den Vater des jungen Rick, ihm bei den Ermittlungen zur Seite zu stehen. Gemeinsam begeben sich Polizei und Detektive auf die Jagd nach den Tätern. Zu allem Überfluss muss H & W auch noch Dutzende Hunde aufspüren, die aus unerklärlichen Gründen nach und nach verschwinden. Dieser Komplex fällt naturgemäß in das Fachgebiet Wuttkes, der sich mit Unterstützung der Sekretärin Sophie "Molly" Meier ins Abenteuer stürzt. Die Elbmetropole Hamburg bietet die malerische Kulisse für ein Wettrennen gegen die Zeit und den Kampf gegen das Verbrechen. Schauplätze sind die Sündige Meile, der Hafen, das Millerntor-Stadion des FC St. Pauli und die Elbphilharmonie.

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Seitenzahl: 302

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Buch

Endlich! Von so einem fetten Auftrag haben die Inhaber der Privatdetektei Harloff & Wuttke lange geträumt. Die Tochter eines Millionärs wurde entführt und ihre Schwester ersucht H & W händeringend um Hilfe.

Endlich kommt Geld in die notorisch leere Kasse!

Das Entführen gestaltet sich für den Entführer insofern schwierig, als er feststellt, dass zwar die geforderte Summe des Lösegelds stimmt, nicht aber das Geld ...

Aber gut! Wenn’s beim ersten Mal nicht klappt – auf ein Neues!

Der Hamburger Kriminalkommissar Ferdinand Fleck steht vor einem anderen Problem. Ein unheimlicher Serienmörder treibt sein Unwesen in der Stadt und katapultiert einige Herren rücksichtslos ins Jenseits. Fleck bittet den Meisterdetektiv Hermann Harloff, den Vater des jungen Rick, ihm bei den Ermittlungen zur Seite zu stehen.

Gemeinsam begeben sich Polizei und Detektive auf die Jagd nach den Tätern.

Zu allem Überfluss muss H & W auch noch Hunde ausfindig machen, die aus unerklärlichen Gründen nach und nach verschwinden. Dieser Komplex fällt eindeutig in das Fachgebiet Wuttkes, der sich mit Unterstützung seiner Sekretärin Sophie „Molly“ Meier ins Abenteuer stürzt.

Die Elbmetropole Hamburg bietet die malerische Kulisse für ein Wettrennen gegen die Zeit und den Kampf gegen das Verbrechen. Schauplätze sind die sündige Meile, der Hafen, das Millerntor-Stadion des FC St. Pauli und die wunderbare Elbphilharmonie.

Autor

Burkhardt Schmidt wurde 1954 in Puttgarden auf Fehmarn geboren, ging auf das Gymnasium in Burg und lebte lange Jahre in Hamburg.

Seit einiger Zeit ist der gelernte Schriftsetzer zurück auf der Insel.

»Der stille Herr Zwille und ein ziemlich zäher Hund« ist sein vierter Roman.

»Dass mir der Hund das Liebste ist,

sagst du, oh Mensch, sei Sünde.

Doch der Hund bleibt mir im Sturme treu,

der Mensch nicht mal im Winde.«

Arthur Schopenhauer,

deutscher Philosoph (1788 - 1860)

»Es ist immer der Mensch, der den Hund

nicht versteht. Nie umgekehrt.«

Stefan Wittlin,

Schweizer Autor und Hundetherapeut

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

1

Ein schwerer Unfall auf der A1. Das Wetter. Staatsempfang für den Bundespräsidenten in Paris. Der neugeborene Elefant bei Hagenbeck sucht einen Namen.

Die Henriettenstraße wirkt wie ausgestorben.

Unruhen in Atlanta. Wieder ein Farbiger. Eine Gasexplosion. Mitten in Oslo. Dazwischen Heinz Noll. Mitten in Eimsbüttel.

Ihr Horoskop (Seite 12). Hamburger Unternehmer Gaius Zebronski ermordet! Ein Loch in der Stirn, sagt die Polizei. So groß wie die Binnenalster, meldet der Elbkurier. Hollands Königspaar wird in Hamburg erwartet. VW-Aktien im freien Fall. Auf Fisch und Fang ein großes Bild einer Forelle. Fisch des Jahres.

Der Wind. Stärker wird er und bringt dicke Wolken herein. Schwarze, sich auftürmende Regenberge.

»Guten Morgen, Frau Müller. Das Abendblatt und zwei Brötchen, wie immer?«

Viertel nach sieben. Auf die Minute.

»Tja, es tut mir leid. Brötchen sind noch nicht da.«

Der Wind wirft erste Böen um sich.

»Ich weiß auch nicht, wo er bleibt. Müsste aber gleich ... ach herrje! Warten Sie.« Heinz Noll spannt seinen Regenschirm auf und reicht ihn durch die Klappe. »Hat keine Eile, Frau Müller. Bringen Sie ihn morgen wieder.«

Endlich! Der weiße Lieferwagen mit der Aufschrift Krustenfroh hält gegenüber. Zweite Reihe. Die Parkplätze sind verwaist. Bunte Absperrbänder flattern im Wind.

»Sehen Sie? Da kommt er.«

Wer ist denn das? Lothar Ewers sicher nicht.

»Wo steht das? Ach, da. – Leichte Verzögerung ist gut. Hören Sie bloß auf! Diese Arschlöcher! Entschuldigen Sie! Sind in hundert Jahren nicht fertig mit der Straße. Und ich? Verirrt sich doch kein Mensch mehr her.«

Im Laufschritt kommt der Mann herüber. Die Brötchen tanzen in der Kunststoffbox.

»Ja. Sie immer! Wie lange schon?«

Eine dunkle Sonnenbrille unter einem blauen Baseball-Cap. Ein Ypsilon in einem breiten N.

»Dreißig Jahre? Mein Gott, wo ist die Zeit geblieben, was, Frau Müller? – Moin. Endlich! Hab mir schon Sorgen gemacht. Was ist mit Lothar? Frei?«

Der Mann schüttelt den Kopf. Er atmet schwer und zieht geräuschvoll seinen Naseninhalt hoch.

»Erkältet? Lothar? Kennt man ja gar nicht von ihm. Na! Kein Wunder bei dem Wetter.«

Der andere nickt und reicht Noll die Box durch die Klappe. Viel zu viele heute.

»So, Frau Müller. Ich pack Ihnen schnell die Brötchen ein. Dann aber ab nach Hause, nicht?«

Dicke Tropfen klatschen auf den Schirm.

»Habe ich gesehen. Wie immer passend auf den Cent. Einen schönen Tag für Sie. Und gut festhalten! – Na, Sie hat’s nicht weit. Aber Sie müssen noch, was?«

Die Brille unter dem tief herunter gezogenen Schirm verdeckt das halbe Gesicht. Wieder kein Wort. Nur die Schultern antworten: Was soll man machen?

Noll weiß nicht, was er noch sagen soll. Wirkt unheimlich, der Mann da vor ihm. Man hätte ihm feste Arbeitskleidung geben können.

Der Lieferant deutet auf die Fisch und Fang-Titelseite, dann auf seinen Mund.

Noll ist verblüfft. »Fisch? Das tut mir leid. Ich habe nur Brötchen und ... Bifis können Sie ...«

Der Mann schüttelt heftig den Kopf und ein seltsames Röcheln entweicht seiner Kehle. Er legt zwei Finger auf seine Lippen.

Stumm. Er ist stumm. Stumm wie ein Fisch. Hätte ich gleich drauf kommen müssen, denkt Heinz Noll. »Entschuldigen Sie. Das ...«

Leichtes Lächeln und erhobene Hände nehmen ihm die Beklemmung. Der Fahrer schaut sich im Inneren des Kiosks um, zeigt auf einen Stapel Tüten und hebt zwei Finger.

Noll fällt es jetzt leichter, ihn zu verstehen. »Kein Problem. Geb’ ich Ihnen gern.« Obwohl – ein Bäckerwagen ohne Tüten? Merkwürdig.

Der kräftige Mann sucht vier Brötchen aus der Box, hebt wieder die Schultern. Zusammengepresste Lippen lächeln, um Nachsicht bittend. Er packt je zwei in die Tüten. Einweghandschuhe obligatorisch. Ordert per Fingerzeig ein Päckchen Wurst und den Elbkurier. Hält die linke Hand flach und bewegt zwei Finger der rechten tänzelnd drüber. Noll ahnt den fragenden Blick durch die dunklen Gläser. Er nickt. Kein Problem. Schreib ich an.

Dankbar lächelt der Mann, schaut zum Himmel, der keine guten Neuigkeiten verkündet. Noll verfolgt seinen Blick und reicht ihm eine große Plastiktüte hinaus. Der andere bedankt sich wieder, diesmal mit einem kurzen Nicken. Er verstaut seine Utensilien, schlägt den Kragen seiner viel zu dünnen Stoffjacke hoch und entfernt sich im Eilschritt, wobei er die Hand zu einem schnellen Gruß hebt. Als er die andere Straßenseite erreicht, ein kurzes Aufflammen hinter der Häuserreihe. Ein Donner grollt in der Ferne, anhaltend, bedrohlich. Der nächste wird näher sein.

Vertrocknete Blätter verlassen den Schutz der Kioskwand, wehren sich, auf dem Asphalt kratzend und scheppernd, gegen den Wind, finden keinen Halt, er treibt sie die Straße hinunter. Binnen kurzem sind sie durchweicht.

Der Bäckereibote sprintet an der Baustelle vorbei, muss durch eine Pfütze aus weichem rötlichen Lehm und stellt sich unter das Vordach von Haus neun.

Die Haustür von Nummer elf öffnet sich, eine Frau tritt heraus. Die Blätter sehen ihre Chance und verkriechen sich im Hausflur. Sie kuscheln sich in eine Ecke. Verärgert zieht der Wind vorbei und sucht sich neue Opfer. Die Frau schimpft mit ihrem Schirm, der sich weigert, aufzugehen. Sofort ist der Bote helfend zur Stelle. Sie bedankt sich, und er huscht in das Haus, bevor die Tür ins Schloss fällt.

Das zweite Auto, das Heinz Noll Minuten später in dieser verlassenen Straße sieht, ist ein Taxi. Es hält vor Nummer elf. Der heftige Regen perlt am Schirm des kahlköpfigen Mannes ab, der aussteigt und zur Haustür geht. Gnadenlos rollt sein Koffer über das Laub, das zur Begrüßung noch einmal ein Tänzchen wagt.

Ein weiterer Blitz zieht eine weiß leuchtende Bahn, teilt sich, verlischt. Das Grollen kurz danach ist lauter als zuvor.

Quietschend gibt die metallene Klappe des Postkastens seinen Inhalt preis. Der Mann mit dem Koffer steckt das Bündel Werbeschreiben in das benachbarte Fach, nimmt einen Stapel Briefe in die Hand, studiert die Umschläge. Bei einem stutzt er, schaut auf die Rückseite, legt den Brief zuoberst und wirft den Deckel des Postkastens scheppernd zu.

Heinz Noll schlüpft in seine Regenjacke, umrundet seine kleine Bretterbude und schließt die Läden.

Nach dem Betreten der Wohnung stellt der Heimkehrer seinen Koffer ab und reißt den ersten Umschlag auf. Er starrt auf das Schreiben, das nur aus einem einzigen Wort besteht. Die anderen Briefe segeln zu Boden. Schweiß bildet sich auf seiner Stirn.

Als es an der Tür klingelt, schreckt er zusammen.

Das Öffnen der Klappe vor dem Guckloch und das darauf folgende Splittern des Türblatts ist wohl, wie Hermann Harloff später ausführen wird, neben einem gewaltigen Donner das letzte Geräusch, das Eugen Haltermann am Ende seines zweiundfünfzig Jahre währenden Lebens wahrgenommen hat. Das letzte Bild wird ein Kreuz gewesen sein, ihm entgegen gestreckt, nein, kein Kreuz, etwas anderes, etwas, das plötzlich einen silbernen Blitz entsendet, rasant größer werdend, genau auf ihn zu.

Von einer zwar abscheulichen, dennoch klug ausgeführten Untat wird Harloff sprechen, einer Tat, deren präzise Durchführung ihm höchsten Respekt abverlange.

Auch Heinz Noll erschrickt, als der Donner hinter ihm kracht. Er dreht sich um. Geradewegs in Haus zwölf scheint ein Blitz eingeschlagen zu sein. Genau dort. Noll atmet auf. Nichts zu sehen.

Auch dieses Detail, wird der Große Alte Mann später sagen, zeigt, welchen Einfallsreichtum der Mörder an den Tag legte.

Noll wird Minuten später auf ein bekanntes Geräusch aufmerksam. Es ist das Starten eines Motors. Ein weißer Lieferwagen mit dem Aufdruck Krustenfroh verlässt zufrieden schnurrend seinen Stellplatz. Zufrieden wie sein Fahrer mit sich und dem Loch in der Wohnungstür, das gerade groß genug geraten ist, das Cellophanpäckchen hindurch zu stecken, ohne dass der Inhalt zu Schaden kommt.

Diese Ruhe, diese Umsicht, wird Detektiv Hermann Harloff sagen, ist bezeichnend für einen kühl geplanten und akkurat durchgeführten Mord.

So schnell, wie Heinz Noll es selten erlebt hat, verzieht sich das Gewitter, und die Sonne verspricht einen prächtigen Herbsttag.

Ein Mord, wie ... ja, wie ...

2

Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre jetzt Alleininhaber der Detektei Harloff & Wuttke. Nur knapp ist Rick dem heimtückischen Anschlag eines Rasiermessers entkommen.

Er flucht, wirft das Messer in das Waschbecken und greift zu einem Handtuch, das er gegen die Wunde presst.

»Glotz nicht so! Sei froh, dass du dich nicht rasieren musst«, faucht er. Er fummelt ein Pflaster aus dem Arzneischrank plus den Flachmann. »Amelie wird natürlich wieder lästern.« Was für ihn schmerzlicher ist als der Schnitt an der Wange.

Das Handtuch landet auf dem Boden, Rick drückt das Pflaster auf die Wunde und nimmt einen tiefen Schluck aus der silberfarbenen Flasche. Dann sieht er mich an. »Deine Haare sind zerzaust. Kannst du dich nicht mal kämmen?« Hämisch grinsend fährt er mir mit der Hand über den Kopf.

Wozu? Es ist dein Date.

Der Spiegel über dem Waschbecken ruft ihn wieder zu sich. Nach einem weiteren kräftigen Schluck Bourbon beugt Rick sich vor und betrachtet sein unterbrochenes Werk.

»Was meinst du, Bogey? Ist es gut so? Hier unten noch mal?« Er befreit das Rasiermesser vom Blut. »Dilettantisch? Mein Freund, sei froh, dass du das sagst!«, lacht er drohend. Die Klinge fährt an der Wange entlang, umkurvt das Pflaster und taucht in das Wasser, wo sie sich zappelnd vom Schaum befreit. Rick schmunzelt unter den letzten Schaumspuren. »Doch noch ein Kompliment? Danke, mein Alter. Wenn du es sagst, wird es stimmen.« Ein frisches Handtuch tupft die Haut trocken. Selbstverliebt bleiben seine Augen am Spiegel kleben. Rick Harloff und Bogey und Bogey und Rick. Bogey heißt sein Spiegel und der grinst zurück.

Wie können Vater und Sohn nur so verschieden sein?

Es muss eine geheimnisvolle Verbindung zwischen Türklingeln und Duschwasser geben. Es läutet immer genau dann, wenn die richtige Temperatur erreicht ist.

»Gehst du?«

Gibt’s hier sonst noch jemanden?

»Es wird der Postbote sein.«

Die Türklinke klackt vernehmlich, als ich sie herunterdrücke. Wie üblich fällt Ricks Hut vom Kleiderhaken.

Nun mach schon! Sie ist auf! Ich warte. Müllerchen drückt sonst immer dagegen.

»Ist es der Bote?«

Ich weiß es nicht. Es tut sich nichts.

Dann ein zögerliches Klopfen. Langsam und knarrend bewegt sich die Tür auf mich zu.

»Hallo? Jemand zu Hause?« Eine rauchige Samtstimme weht durch den Spalt.

Ich weiche zurück, um die Tür nicht zu blockieren. Sie schwenkt vollends auf. Himmelblaue Augen senken sich zu mir herab. »Hallo. Wer bist denn du? Bist ja ein ganz Hübscher!«, was mein Schwanz mit vorsichtigem Wedeln quittiert. Bei Fremden ist er immer vorsichtig.

Die Frau im schwarzen Kostüm macht sich klein und tätschelt meinen Hals. »Ein süßer Hund bist du.«

Und als solcher verfüge ich über eine feine Nase. Ein gutes Gedächtnis obendrein. Susi hat sie geheißen. Ganz sicher. Die Kleine von gegenüber. Zweiter Stock. Seidiges Fell, tolle Figur. Schade, dass sie ab nach Eppendorf ist. Ihr Frauchen hört auf den Namen Schmölke. Roswita. Sie roch genauso. Der Duft der Knieenden ist derselbe wie Susis. Roswita Schmölke geht mit ihrem Parfüm offenbar großzügig um.

»Ich habe auch einen Hund.« Wetten, dass sie in Eppendorf wohnt? »Einen Setter. Max ist sein Name.« Max. Schau an. So ein Strolch. Susi und Strolch. »Ihr würdet euch gut verstehen. Wie heißt du denn wohl?« Gute Frage. »Foxy?«, lächelt sie. Nein. Ist auch zu früh für Intimitäten. Rick ist da anders. Immer offensiv.

Wenn man vom Teufel bellt. »Hallooo!« Ein O für jedes der blauen Augen, eins für die kirschroten Lippen. »Patrick Harloff. Nennen Sie mich Rick.«

Die Lady kommt aus der Hocke hoch. »Entschuldigen Sie das Eindringen zu so früher Stunde, aber Ihr Hund war so freundlich. Isabella von Stegen.« Ihr Lächeln gehört in das Fach Bezaubernd. »Isabella mit scharfem S. Mein Vater hat bei der Namensgebung gerade auf ein Pfefferkorn gebissen.« Es gefällt mir, dass sie eine knappe Verbeugung für jeden von uns übrig hat. »Habe ich Sie erschreckt?« fragt ihr Finger, als er auf Ricks Wange zeigt.

Der wechselt die Hand, die das Badetuch um seine schlanken Hüften hält. »Nein, nein. Kleines Missgeschick. – Darf ich vorstellen: mein Juniorpartner und stellvertretender Büroleiter Wuttke.« Er geht zur Garderobe, bückt sich nach dem Hut und wirft ihn mit affektiertem Schwung Richtung Haken. Leider trifft er. Wie immer.

Junior? Von wegen. Stellvertretend? Er versucht es immer wieder. Weil ihm das Rasiermesser schon so zugesetzt hat, verschonen meine Zähne seine Waden.

»Sehr angenehm, Wuttke«, sagt Isabella. Auf Augenhöhe. Habe ich schon gesagt, dass ich diese Frau liebe? Nein? Wartet.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Wir brauchen Ihre Hilfe. Meine Schwester wurde entführt.«

»Oh! Warten Sie! Ich sause schnell in meine Hose.«

»Es tut mir leid, dass ich Sie aus der Dusche geholt habe.«

»Kein Problem. Wenn’s so wichtig ist ... Gestern klingelte es um dieselbe Zeit. Auch beim Duschen. Wuttke war gerade geschäftlich unterwegs«, grinst er. »Im Park. Hat Bäume observiert.« Sehr witzig! »Ich denke, es ist der Postbote, renne im selben Aufzug wie jetzt an die Tür ...«

»... und es war niemand da, ich weiß. Ich gestehe, dass ich die Übeltäterin war.«

»Sie?«

»Ja, ich habe schon vor Ihrer Tür gestanden und ... im letzten Moment bekam ich Skrupel. Wenn der Entführer merkt, dass wir einen Detektiv einschalten, bringt er meine Schwester womöglich um.«

»Meine Erfahrung sagt mir, dass so etwas praktisch nie vorkommt. – Wuttke, du geleitest Frau von Stegen ins Büro!«

»Er hat einen ungewöhnlichen Namen.«

»Wuttke war ein Fußballer ...«

»Ihr Hund hat Fußball gespielt?«

Rick lacht. »Nein, ein Fußballspieler hat ihm zu seinem Namen verholfen. Der hatte nämlich ...«

Lass es, Rick! Sag es nicht! Nicht vor dieser Lady! Es ist unfair! Sie wird von mir auch nichts von deinem Marlowe/Bogey-Fimmel hören. Und von den 30-Minuten-Eiern. Wir haben alle unsere kleinen Schwächen, die man nicht ausposaunen muss.

Er sagt es nicht. Er zeigt es. Zeigt es mit den Händen auf die Art, mit der er seinen Kumpeln die Kurven einer rassigen Frau vermittelt. Nimmt die Kurven mit albernem Grinsen. »... auch solche Beine.«

Arschloch!

»Ich verstehe.« Ihr eisiger Blick sagt Arschloch zu ihm.

Jetzt: Isabella mit scharfem S – ich liebe dich!

»Und Sie haben keine Idee, wer es gewesen sein könnte?«

Isabella von Stegen schüttelt den Kopf und tupft mit dem Taschentuch eine Träne aus dem Augenwinkel.

»Aber Sie haben seine Stimme gehört.«

»Ich nicht. Mein Vater. Und Stimme kann man das nicht nennen. Vati rief mich sofort an, als er gemerkt hatte, dass Jasmina entführt worden war. Ich wohne nicht mehr bei ihm. Es war alles sehr merkwürdig. Sein Handy klingelt. Auf dem Display die Nummer meiner Schwester. Vati meldet sich, hört aber nur Atemzüge. Dann so ein Schniefen, sagt mein Vater. Er zog ständig hoch. Ffffnnn.« Ihre Nase macht es uns verständlich. »So etwa. Dann hat der Mann aufgelegt. Ich sagte zu Vati, dass er wohl unter Sinusitis maxillaris leide.«

»Großartig! Das ist ein Anhaltspunkt. – Was ist das?«

»Kieferhöhlenentzündung. Die Nase läuft in einer Tour.«

»Woher kennen Sie den Fachausdr...? Frau von Stegen?«

»Fffnnn. Ffffnnn. Unentwegt.«

»Sind Sie aus dem ... Frau von Stegen, es ist gut! Wir können uns ein Bild machen.«

»Ffffnnnn. Und dann noch: Hhrrrnnkk. So nach oben geschnorchelt. Ekelhaft! – Entschuldigen Sie. Das hätte ich vorausschicken sollen. Ich bin ... Sie kennen mich wirklich nicht? Sie haben mich nie gesehen?«

Rick wirft einen intensiven Detektiv- Philip-Marlowe-Blick mitten in ihre blauen Augen. »Ihr Gesicht hätte ich nie vergessen.«

Schleimer. Sonst immer: Ich vergesse nie ein Gesicht.

Pflichtschuldig überzieht ein zartes Rot ihre Wangen. »Danke. – Sie sehen auch gut aus.«

»Ich hab’s mir nicht ausgesucht.« Seine Garderobe ist ausgesucht. Er trägt seinen besten Anzug, den dunkelblauen, dazu eine hellblaue Krawatte. Die schulterlangen Haare glänzen vor Pomade. Nur das immer noch notwendige Pflaster an der Wange trübt das Bild eines selbstgefälligen Narziss.

»Kennen Sie Gelbe Nelken im Wartezimmer?«

»Tut mir leid. Kein Begriff.«

»Rick, wo leben Sie? Die erfolgreichste Arztserie seit dem Mauerfall. 30 Prozent in der Spitze. Klingelt es jetzt?«

Auf der anderen Seite des Schreibtischs ist kein Läuten zu sehen.

»Ich habe von Folge 478 bis 829 die Nachtschwester Hildegard gespielt. Da lernt man einiges.«

Eine Person zu beobachten, sie auf Herz und Nieren zu prüfen, wie es sich der gewissenhafte Privatschnüffler zur Pflicht machen sollte, zeigt sich im Falle Isabella von Stegens als schwieriges Unterfangen. Ich bin sicher, dass es auch Rick so ergeht. Ihre Schönheit schlägt uns in den Bann. Mein naturgegebener Vorteil: Während seine Augen nicht an den Schreibtischbeinen vorbeikommen, genieße ich den unverbaubaren Blick auf ihre. Knielanger Rock. Einer, zu dem man lange Beine tragen muss.

»Kann ich mir vorstellen. Wieder zurück zum Telefonat.«

»Das dauerte keine Minute. Kurze Zeit später kam die erste SMS.«

»Er hatte also nur angerufen, um festzustellen, ob das Handy eingeschaltet war.«

»Oder er hat nicht gesprochen, weil Vater seine Stimme kennt.«

»Oder so. Der Mann schrieb, wo Sie das Geld übergeben sollen. Für ihn riskant. Er muss doch damit rechnen ...«

»Er versicherte, dass er Vorsorge getroffen habe. Wenn man ihn einkassiere, würde Jasmina das büßen.« Sie lächelt versonnen. »Ein wunderbares, ein großherziges Mädchen, meine kleine Schwester. Sie müssen sie rausholen!« Sie faltet ihr Taschentuch sorgfältig zusammen und verstaut es in der Handtasche. Die Finger ihrer schlanken Hände schließen die Tasche auf eine endgültige Weise.

»Der Entführer ist einverstanden, dass ...«

»Das haben wir ihm deutlich gemacht. Eine Person unseres Vertrauens. Mein Vater und ich haben lange überlegt. Wir hielten es für besser, uns an einen Profi zu wenden. Einer, der weiß, wie man solche Dinge handhabt. Dem Entführer habe ich geschrieben, dass mich ein Freund begleiten wird. Niemand fährt gern allein mit einer Million Euro durch die Gegend. Er hat akzeptiert. Nur keine Polizei.«

Rick lehnt sich in seinem Stuhl zurück und greift an das Revers seines Hemdes. »Das war eine gute Idee. Ich werde ... Frau von Stegen, mein Partner ...«, Partner klingt gepresst, »... signalisiert mir gerade, dass ich kein aufmerksamer Hausherr bin.« Gefällt ihm gar nicht, meine Umsicht, dem Herrn Hausherr. »Ich habe Ihnen noch nicht einmal etwas angeboten.«

»Sagen Sie doch einfach Bella.« Belustigt-verblüfft schaut sie mich an. »Ich habe keinen Hinweis vernommen.«

»Da reicht ein Blickkontakt, Bella. Wir sind ein eingespieltes Team.« Sie brechen noch nicht, die Balken, aber sie biegen sich. »Was halten Sie von Kaffee?«

»Danke. Ein Glas Wasser vielleicht.«

»Wuttke ...!«

»Oh!«

»Wo ist der Übergabeort?«

»Das darf ich Ihnen nicht sagen. Er hat mir ... ich glaube das jetzt nicht!«

Du darfst deinen Augen trauen, Isabella. Denkst du, ich sitze hier nur herum?

»Danke, Kumpel. Stell es einfach dort ab. Neben den Stuhl.«

Sag du mir nicht, wie ich meinen Job mache! Das mache ich nur für sie. Mit einer eleganten Kurve parke ich den Servierwagen in ihre Griffweite. Endlich. Die Zähne schmerzen. Und der Nacken.

»Danke, Wuttke. Das ist sehr aufmerksam«, lächelt bella Bella.

Für dich doch immer, Puppe, wie Marlowe schnurren würde.

»Wenn Sie es mir nicht verraten dürfen ...«

»Ich werde Ihnen leider die Augen verbinden müssen.«

»Was erlaubt der Drecksack sich?« Rick schießt aus seinem Stuhl hoch und ich höre einen Arm krachend brechen. »Ich werde ihm meinen Buick an den Kopf werfen!« Schnaufend setzt er sich wieder. »Egal! War eh zu alt, das Scheißding.« Er wirft die Armlehne in die Ecke.

»Sie gehören zu den ganz harten Hunden, was?«

»Ich kann zubeißen, wenn Sie das meinen.«

»Sie fahren einen Buick?«

»Hmmhm. Anschaffung spottbillig. Bei ebay. Säuft aber mehr als ich«, grinst Rick.

Was eine enorme Leistung ist.

»Bella, eine Million Euro sind kein Pappenstiel. Die hat man nicht in der Nachttischschublade.«

»Mein Vater ist ein gut betuchter Mann. Sonst hätte der Entführer ihn wohl kaum ausgewählt. Aber selbst er verfügt nicht über so viel Barmittel, dass das Geld bis morgen zusammenkäme. Vater ist gerade unterwegs, um die Summe zu besorgen. Er hat sich an einen Bekannten gewandt. Trägt den schönen Namen Vasílios Nepomuk ...«

»... Pospischill? Mucki für seine Freunde? Oh! Der ist nicht nur Ihrem Vater bekannt, sondern auch meinem. Er hält ihn für einen Gangster.«

Ich kannte auch mal einen Mucki. Vermutlich eine Mischung aus Rauhaardackel und Berner Sennenhund. Pöseldorf. Bestimmt die einzige Kreuzung dort ohne Asphalt.

»Ich weiß«, sagt Isabella, »welcher Ruf dem Mann vorauseilt. Aber im Moment haben wir keine Wahl, was Hilfe anbelangt. Herr Pospischill geht davon aus, dass wir alles unternehmen, damit er sein Geld zurückbekommt.« Sie lächelt gequält.

»Wie ist Ihr Vater an den geraten?«

»Das ist eine lange Geschichte.«

»Haben Sie eine Kurzfassung für mich?«

»Ich werde es versuchen. Vater lernte Pospischill vor vielen Jahren zufällig in Wien kennen. Er hat mit seiner Hilfe einige Geschäfte abgewickelt. Aber so genau weiß ich das nicht. Jetzt hat Vater ihn in der Galerie Wendel getroffen, wo Pospischill mehrere Bilder begutachtet hat. Er ist nämlich Kunstsachverständiger.«

»Das auch. Herr Pospischill hat alle möglichen Berufe.«

»Er sponsert nebenbei einige Maler. Unter anderem hängt ein Bild eines gewissen O.E. Zimmerling in der Galerie und das ...«

»Das Bild ist seit vorgestern verschwunden.«

»Woher wissen Sie das? Die Presse hat nichts ...«

»Meine Freundin arbeitet bei Wendel. ... Ach, apropos!« Rick wirft einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr. »Warten Sie, Bella, ich muss ein wichtiges Telefonat führen. Wir brauchen mehr Zeit. Normalerweise ist das der Job meines Stellvertreters, aber ...«, er lächelt, »es ist ein sehr persönliches Gespräch.«

Isabella reicht das Lächeln an mich weiter. »Dann nehmen Sie den Auftrag also an?«

Rick antwortet für uns beide. »Ich will ganz offen sein. Im Moment hat die Detektei eine kleine Durststrecke.«

Auf solchen Strecken kennt er sich aus.

»Wunderbar. Sie haben auch keine andere Wahl. Sie sind schon als guter Freund avisiert«, lächelt Bella. »Nennen Sie mir bitte Ihren Preis.«

»Anschließend.« Er greift zum Handy und drückt eine Taste.

Isabella macht mit fragender Miene ein Handzeichen. Rick deckt die Sprechmuschel ab und schüttelt den Kopf. »Bleiben Sie.«

Ein Profi muss sich bei Bedarf aus der lähmenden Umklammerung durch Schrecken oder Schönheit lösen können. Ich gehe in die Bibliothek, wie Rick das kümmerliche Bücherregal über der Couch nennt. Lange muss ich nicht suchen, Amelie hat den Bildband erst vor wenigen Tagen gebracht.

»Du bist wirklich ein Prachtexemplar von einem Detektiv«, lächelt Isabella, als ich ihren zarten Händen, geschäftsmäßig aber nicht ohne Stolz, den Katalog der Wendel-Galerie überreiche. Meinen Blick schätze ich als routiniert-lässig ein.

»Puppe, es tut mir leid, aber es geht im Moment wirklich nicht ... was? ... Ja, du hast ja recht, aber ... nein, heute jedenfalls nicht ... was? ... Zimmerling? ... Ist wieder da? Interessant! ... Was heißt anders? ... Ja, ich sprach darüber gerade mit ... eine Frau? Wieso eine Frau?«

Isabella blättert, am Gespräch sichtlich desinteressiert, im Katalog.

»Das ist doch Quatsch, Baby! Hier ist keine Frau.« Rick kann seinen verschworenen Blick nicht an sein Gegenüber loswerden.

Isabella wirft die Stirn in Falten und hüstelt. Sie muss einen Fremdkörper im Hals haben.

»Husten? Was für ein Husten? ... Nein, Darling, das ... das war mein Partner ... Was meinst du mit: Hunde können nicht husten? Du kennst Wuttke!«

Feigling! Ich werde über eine Neuverteilung der Büroeinkünfte nachdenken.

»Hey, Puppe! Bleib locker! ... Ach, ja? Und was ist mit Harry? Soll ich rüber kommen und dem Knilch ins Gesicht treten? Der ist doch sicher gerade bei ... hallo? Hallo? ... Phh. Schnalle!« Bevor er den Hörer auf die Gabel pfeffern kann, fällt ihm ein, dass er ein Smartphone in der Hand hat. Es landet im Papierkorb. Ein Blick startet Richtung Isabella-Airport. Der aber ist geschlossen, sodass Rick nicht landen kann.

»Hier. Um dieses Gemälde geht es«, meldet der Tower.

»Oh, ja. – Was steht da? Abendrot am Elbenstrand. Erster Blick. Interessant.«

Ich springe auf die Akte Dexter (Was macht die hier? Sie gehört auf meinen Schreibtisch!) und sehe Rick über die Schulter. Das Abendrot verheißt nichts Gutes für die nächsten Tage.

»Eindrucksvoll! Kühner Schwung. Und doch klare Linien.« Rick vergrößert die Distanz zwischen Betrachter und Bild. »Farben, die tief in die Seele dringen. Und der Auerhahn als Kontrapunkt, der dem Auge Spannung schenkt.« Er ist ein Meister der Ironie.

»Ich habe das für eine Schnepfe gehalten«, sagt Isabella.

Oh! Ich für eine Kaffeekanne.

»Mit kurzem Schnabel?«

Was mag sich dem Zweiten Blick offenbaren?

»Ach, das ist der Schnabel?«

Und so etwas wird geklaut!

»Meine Freundin hat mir gerade gesagt, dass das Bild wieder da ist! Unglaublich! Allerdings hat es sich leicht verändert. Auf dem Bild ... he!«

Ricks Angewohnheit, seinen Marlowe-Breitbandhut auf den Kleiderhaken zu werfen, sorgt dafür, dass er beim leisesten Luftzug zu Boden fällt.

Wir sehen uns erschreckt an.

»Das war die Tür«, sagt Rick. »Jemand ist im Flur!«

»Oh, Gott!«, ruft Isabella von Stegen. »Er ist mir gefolgt!«

»Wer?« Rick bewegt sich leise aus seinem Stuhl und zieht die oberste Lade des Schreibtischs auf.

»Der Entführer!« sagt sie. »Wer denn sonst, Sie Trottel?«

Er bedeutet ihr mit einer Handbewegung, Ruhe zu bewahren. Das Gähnen der leeren Schublade weckt seine Augen aus dem Büroschlaf. »Wuttke! Wo ist meine Wumme?«

Sie steckt in meinem Schulterhalfter, Partner.

Auf dem Flur leise Schritte. Rick stürzt zur Bürotür, klemmt einen Stuhl unter die Klinke und setzt sich drauf. »Isabella!« Er zeigt zum Papierkorb. »Rufen Sie die Polypen! Schnell!« Ihre Leichenblässe lässt keine Reaktion zu.

Herein, belle ich gelassen. Ich habe nun mal die besseren Ohren.

»Warum sagst du das nicht gleich?«, grinst Rick und gibt die Türklinke frei. »Hallo, Molly. Musst du immer so schlei...«

Er sieht in die Mündung einer Walther PPK. Seiner Walther PPK.

3

»Die habe ich total vergessen. Danke. Aber wie oft soll ich es dir noch sagen? Den Griff voraus.«

»Entschuldigung, Chef. Ich habe immer Angst, mich selbst zu erschießen. Oh. Guten Tag.« Isabella nickt freundlich zurück. Nachdem Rick sie miteinander bekannt gemacht hat, begeben sich ihre Augen auf Frau-zu-Frau-Vergleich. Molly Meier hält dem Blick ohne weiteres stand.

»Ein schönes Kleid tragen Sie.« Der Begriff Kleid ist allerdings eine vage Bezeichnung für einen Schlauch in Rot, der schon beim Hinsehen zu Atemnöten führt. Kein Formel-1-Fahrer könnte einen Kurs mit Mollys Kurven nehmen, ohne ins Schleudern zu geraten. »Und Ihre High-Heels sind ein Traum.« Um diese Träume deuten zu können, muss Molly sich weit vorbeugen. Auf ihrem Arm durch den Regen getragen zu werden bedeutet für einen vierbeinigen Privatdetektiv, trocken an Haut und Haar zu bleiben. Ohne Schirm.

»Danke. Ich hoffe, ich störe nicht.« Sie stört nicht. »Herr Jokappi hat gesagt ... nein, sein Angestellter hat gesagt, sie funktioniert wieder einwandfrei.« Sie nimmt die Waffe beim Lauf und drückt sie Rick in die Hand.

»Was war es denn?«

»Der Typ meinte, irgendwas mit dem Keilriemen.«

»Oh! Das ist ja mal was Neues. Letztes Mal war es der Vergaser.«

Mollys grüne Augen zwinkern fröhlich.

Sie ist eine ausgezeichnete Sekretärin. Sie kann Kaffee kochen, 30-Minuten-Eier exakt nach Ricks Geschmack, Hundefutterdosen öffnen, einen hervorragenden Jack Daniel’s servieren und schreibt 220 Anschläge. Ohne Leerzeichen.

Als sie bei H&W anfing, hatte sich mehr aus Langeweile eine Beischlaftätigkeit mit ihrem Chef ergeben. Ihrer Ansicht nach diktierte er ihr aber zu viel in den Block der Erotik und konnte selbst nur Steno. Man trennte sich also in guten Einvernehmen aus der Umklammerung und beschränkte sich auf die berufliche Zusammenarbeit. Sie erwies sich als Profi und blieb bei 220 Anschlägen. Ohne Leerzeichen.

Ihr technisches Verständnis endet nicht beim Bedienen einer Kaffeemaschine und eines PCs. Ihr derzeitiger Fester Frank Bönisch hat ihr gezeigt, wie sie aus seinem Maserati Grancabrio aus- und in ihn einsteigen kann, ohne dass die Nähte ihrer Karosserie platzen.

Dass eine Schusswaffe nach einem anderen Prinzip funktionieren soll als ein Auto, vermag Molly nicht recht einzusehen.

Eigentlich heißt sie nicht Molly. Welche Frau trägt schon freiwillig einen solchen Namen? Sie heißt Sophie, und ich habe keine Ahnung, wie Rick auf Molly gekommen ist. Sie hat zwar nette Kurven, ist aber alles andere als mollig. Eigentlich eher schlank. Nur eben nicht dort, wo eine Frau nicht schlank sein sollte.

»Molly-Schatz, mixt du mir bitte einen deiner unvergleichlichen Spezial-Jack Daniel’s?«

»Mixen? Mit Eis? Oder Soda?« An dieser Stelle fällt eine sprachliche Eigenart an ihr auf. Briten würden sie als ti-äitsch bezeichnen, im Deutschen gibt es dafür den Begriff Lispeln. Und das beherrscht Molly auf eine entzückende Weise. Molly-mäßig eben. Vielleicht heißt sie deshalb selten Sophie.

»Nein. Mit Glas.«

»Und Wuttke?«

Abfälliger Blick Richtung Fußboden. Da gibt es mich. Aber nicht für Rick.

Molly wirft ihm einen wütenden Blick zu und im Nullkommanichts steht der Glasnapf vor meiner Nase, ein halber Fingerbreit Bourbon schwappt verloren auf seinem Boden. Sie achtet darauf, dass ich nicht zu viel trinke.

»Bei dir ist sowieso Hopfen und Malz verloren«, lautet ihr Kommentar, wenn sie Rick ein randvolles Glas auf den Schreibtisch knallt. Sie reichert den Stoff mit Wasser und einem Untersetzer an. Mit allem also, was Rick Harloff von Herzen verabscheut.

Heute hat er Glück, weil eine Klientin. Ein seltenes Glück.

»Wann wird die Übergabe stattfinden, Isabella?«

»Das weiß ich noch nicht genau. Ich bekomme eine SMS.«

»Rufen Sie mich an. Anderthalb Riesen am Tag plus Spesen. Einverstanden? – Isabella!! – Molly! Noch einen Jack Daniel’s! Schnell!«

4

»... wie aus dem Handbuch des Verbrechens. Das Große Lexikon der Kriminalfälle, Herausgeber Kriminaldirektor Hugo-Sebastian Meuchelstein, könnte durchaus ...«, so Hermann Harloff, »... um ein gewichtiges Kapitel erweitert werden.«

»Ich muss zugeben, so einen Fall hat man nicht alle Tage«, sagt Kommissar Fleck. »Wobei der Zufall dem Täter zur Hilfe geeilt sein dürfte.«

»À bas! Mon ami! Zufall! Glück, ja. Glück, dass ein Gewitter aufzog. Er hat sich der Situation schnell angepasst. Er hat zwei Meter vor dem Oberlicht gestanden, darauf gewartet, dass ein heftiger Blitz zuckt, die Sekunden bis zum Donner gezählt, dabei die Türklingel betätigt. Er durfte ziemlich sicher sein, dass sein Opfer noch an der Tür weilt und zur ängstlichen Sorte zählt, die zunächst durch den Spion schaut. Und genau in dem Moment beginnt das Grollen des Donners, das den Knall beim Einschuss der Kugel überlagert. Niemand im Haus hat etwas bemerkt. Mon dieu! Welche Präzision!«

»Aber wie hat er es geschafft, auf die Sekunde genau ins Haus zu kommen?«, fragt Rick.

»Das Opfer kam ja von einer Urlaubsreise zurück«, sagt sein Vater. »Der Mörder muss sich genau über die Ankunftszeit informiert haben. Der Zeuge Noll berichtet, dass er zuvor in der Eingangstür des Nebenhauses gestanden hat. Er brauchte nur zu warten, bis sich die Tür öffnet. Dann hat er sich unter der Kellertreppe versteckt.«

»Dann haben wir noch die Brötchentüte«, sagt Fleck. »Eine von Zweien, wie Noll sagt. Die er unten im Flur gelassen hat.«

»Auch dieser Fakt beweist die kluge Vorgehensweise des Mörders. Wenn irgendetwas dazwischen gekommen wäre, hätte er einen, nein, sogar zwei Gründe vorzuweisen gehabt, ins Haus zu kommen.«

»Und wo ist die zweite Tüte geblieben?«

»... Tüte? ... Ach so, ja! Tja, Herr Kommissar. Ich befürchte, wir haben es mit einem eiskalten Killer zu tun, der über die Seelenruhe verfügt, nach der Schandtat genüsslich zu frühstücken. Bei der Lektüre des Elbkuriers.«

»Da könnten Sie Recht haben. Auf dem Fahrersitz des Lieferwagens lagen Krümel, die zerknüllte Tüte und die Zeitung. Keine Fingerabdrücke.«

»Keine?« Hermann lächelt. »... was die Frage erübrigt, ob der Mann Handschuhe trug.«

»Hat Noll bestätigt. Das gehört sich auch beim Umgang mit Brötchen, sagt er. – Herr Harloff, ich bin froh, Sie und Rick dabei zu haben. Ein Doppelmord ist mir noch nie untergekommen.«

»Kommt ihr?« schallt es aus der Kühle der Pathologie. »Ich habe noch was anderes zu tun.«

»Mancher hinterlässt eine Lücke, die ihn ersetzt.«

Das Auge starrt uns an. Die stählerne Iris reflektiert das Licht der Leuchtstoffröhren. Der Schädel glatt geschoren. Nur dieses metallene Auge.

Kommissar Ferdinand »Fett« Fleck schüttelt den Kopf. »Pearl S. Buck. Zwilles Unverschämtheit wird nur noch von seiner Mordlust übertroffen.« Er reicht den Zettel an Hermann weiter.

»Ein Zyklop.« Nachdenklich schaut Rick auf den Hinterkopf der Leiche.

»Fast. Das Ding sitzt nicht in der Mitte«, sagt Fleck.

»Unheimlich. Wo ist die Kugel? – Komm endlich da herunter, blöder Hund!«

Musst du mir nicht sagen. Saukalt, so eine Leiche.

»Horst!« Fleck winkt zum Nebentisch und grinst. »Vorführung!«

Der Pathologe erwidert sein Grinsen und eilt herbei. »Passt auf. So etwas seht ihr nicht jeden Tag. Ich brauche mal Hilfe.« Sein Zeigefinger rotiert um 180 Grad. Gleich darauf liegt die Leiche wieder auf dem Rücken. Horst Harrer biegt den Schädel des Toten Richtung Brust. »Die Lei...«, und zurück, »...chenstar...«, und vor, »...re löst sich ...«, her, »...erst nach ...«, hin, »... zwei Tagen.« Reicht. »Zirka.« Das verbliebene Auge der Leiche würde jetzt auf die wachsbleichen Füße schauen, wenn Harrer es nicht geschlossen hätte.

Dann holt er eine kleine Taschenlampe aus seiner Kitteltasche und leuchtet in die rechte Augenhöhle. »Schau, Rick«, sagt er. »Schau durch.«

Vorsichtig nähert sich Rick dem Schädel und blickt durch den Spion, der ein Stück aus der Rückseite herausragt. Er verzieht das Gesicht. »Riecht merkwürdig.«

»So riecht der Tod. Erkennst du etwas?«

»Das Hirn ist winzig.«

»Klar. So ein Spion verkleinert alles. Obendrein fehlt ein Stück.« Harrer grinst. »Der Tunnelhub, gewissermaßen.«

»Oh! Da! Ist das die Kugel?«

»Das ist sie«, sagt Horst. »Edelstahl, schätze ich. Wird der Killer wohl auch beim ersten Mord verwendet haben. Ist dir aufgefallen, wie schnell du fündig geworden bist? Dass da noch niemand drauf gekommen ist! 200-Grad-Weitwinkeloptik! Scharf in allen Bereichen! Eröffnet der Pathologie ganz neue Möglichkeiten.«

Rick scheint froh, wieder in die Vertikale zu kommen.

»Was hat es mit dem Glückskeks auf sich?«, fragt Hermann. »Dieser ... wie war gleich sein Name?«

»Haltermann. Eugen Haltermann«, entgegnet Fleck.

»Viel Glück hat er nicht gehabt.«

»Ich kann mir keinen Reim darauf machen, Harloff. Er muss jemandem höllisch auf den Keks gegangen sein.«

Der Kommissar ist keiner von der pietätvollen Sorte. Nimmt sogar hier nicht seine rosa-weiß gestreifte Häkelmütze ab. Myboshi. Mit einem Beutel hinten. Einem, der Jahrhunderte alten Haarschmuck in sich bergen könnte. Hat Fleck nicht.

Rick hat ähnliche Gedanken. »Frierst du eigentlich?«

»Sehe ich so aus?« Fleck blickt hinunter auf seine Sandalen. Er glaubt, seine Füße wirkten in ihnen kleiner. Hat wirklich enorm große Füße. »Ich denke, wir sind fertig hier.« Wie Schuten unten im Hafen, die flach und lang durch die Elbe schlurfen. »Schottner hat im Büro Kaffee für uns. Das kann er jedenfalls. Kaffee kochen. Auch wenn er sich strecken muss.« Fleck grinst und schlurft Richtung Ausgang.