Der stolze Graf - Barbara Cartland - E-Book

Der stolze Graf E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Zarina Bryden, eine junge sehr reiche Erbin eines immensen Vermögens hat ihre Eltern bei einem Unfall in jungen Jahren verloren. Sie wächst bei ihrem Onkel, General Sir Alexander Bryden, und ihrer Tante in London auf wo sie auch in die Gesellschaft als Debütantin eingeführt wird. Dort hat sie großen Erfolg und bekommt viele Heiratsanträge – meist von verarmten Adeligen, die sie nur um ihres Geldes wegen heiraten möchten. Zarina aber möchte die wahre Liebe finden. Ihr Onkel will, dass sie den Antrag des Herzoges von Malnesbury annimmt, um eine besondere gesellschaftliche Stellung einnehmen zu können, die der Familie hilfreich ist. Der Herzog ist verwitwet und hat noch keinen männlichen Nachfolger – aber er ist so alt und könnte Zarina's Großvater sein. Zarina versucht einen Ausweg zu finden und den Grafen von Linwood, ihren Nachbarn des elterlichen Landsitzes, davon zu überreden, ihr bei einer temporären Flucht zu helfen. Wird es Zarina gelingen, die Heirat mit dem Herzog zu verhindern, um ihren eignen Weg zu gehen und das eigene Glück zu finden – die wahre Liebe.

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1 ~ 1887

Zarina Bryden stieg aus der Kutsche, mit der sie aus London gekommen war. Aufgeregt lief sie die Eingangstreppe hinauf.

Der alte Butler, den sie seit ihrer Kindheit kannte, erwartete sie in der Halle. »Willkommen zu Hause, Miss Zarina!« sagte er lächelnd. »Es wird einem richtig warm ums Herz . . . wie schön, dass Sie wieder da sind.«

»Es ist wunderbar, zurück zu sein, Duncan«, antwortete sie freundlich. Sie plauderte einige Minuten mit ihm und ging dann in den Salon. Dort betrachtete sie all die vertrauten Dinge, die sie seit über einem Jahr nicht gesehen hatte.

Nachdem ihre Eltern bei einem Eisenbahnunglück getötet worden waren, hatte Zarina ihr Zuhause verlassen müssen und war nach London gegangen. Seitdem lebte sie bei ihrem Onkel und ihrer Tante. Es war eine vernünftige Entscheidung gewesen, zu ihnen zu ziehen, da sie in Knightsbridge eine Schule für höhere Töchter besuchte - eine Schule, die aristokratischen jungen Damen den letzten gesellschaftlichen Schliff verlieh.

Sie hatte im Laufe der Zeit viele neue Freunde gefunden, denn als Debütantin wurde sie auf alle wichtigen Feste und zu den bedeutendsten Bällen eingeladen. Ihr Erfolg war wenig überraschend, schließlich war sie nicht nur außergewöhnlich schön, sondern auch unglaublich reich. Als einziges Kind von Colonel Harold Bryden hatte sie ein beachtliches Vermögen geerbt. Dazu war eine gewaltige Summe von ihrer amerikanischen Patentante gekommen.

Zu Zarinas Taufe war ihre Patentante, eine Freundin ihrer Mutter, eigens nach England gereist. Mrs. Vanderstein hatte wohl russisches Blut in ihren Adern und war sehr stolz darauf. So hatte sie darauf bestanden, dass ihr Patenkind nach ihr benannt würde. Sie war zweimal verheiratet gewesen und hatte keine eigenen Kinder. Aus diesem Grund hatte sie Zarina ihr gesamtes Vermögen hinterlassen.

Im Augenblick war die englische Gesellschaft an amerikanischen Erbinnen sehr interessiert. Daher war es kein Wunder, dass Zarina und ihr Bankkonto größte Aufmerksamkeit genossen. Und doch waren die jungen Männer, die sie auf Knien anflehten, ihre Frau zu werden, nie von ihrem Vermögen allein beeindruckt, sondern waren ebenso von ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz angetan.

Jetzt, am Ende der Saison, hatte Zarina beschlossen, in ihr Haus auf dem Lande zurückzukehren. Hier war ihr Zuhause. Sie hatte diesen Vorschlag schon früher gemacht, aber ihr Onkel und ihre Tante hatten es für einen Fehler gehalten, das Leid wieder wachzurufen, das sie durch den Tod ihrer Eltern erfahren hatte.

Als sie sich nun im Salon umschaute, spürte sie, wieviel ihr Bryden Hall bedeutete. Fast konnte sie ihre Mutter auf einem Stuhl am Fenster sitzen sehen - da, wo sie immer gesessen hatte, um der kleinen Zarina Märchen vorzulesen.

Durch ihren Vater hatte sie die Bücher schätzen gelernt, die in der großen Bibliothek standen. Dort hatte er ihr auch von den vielen Ländern erzählt, in denen er gewesen war, und deren Faszination beschrieben.

»Wenn du älter bist, mein Püppchen«, versprach er oft, »werde ich dich mit nach Ägypten nehmen und dir die Pyramiden zeigen. Wir werden den Suezkanal durchqueren, der erst vor achtzehn Jahren eröffnet wurde, und dann weiter bis zum Roten Meer fahren.«

»Lass uns gleich fahren, Papa«, hatte Zarina gebettelt.

Doch er hatte nur den Kopf geschüttelt. »Es gibt noch so vieles, was du hier zu Hause lernen musst, bevor du anfangen kannst, die Welt zu entdecken. Ich habe dir schon oft gesagt, dass ich intelligente Frauen wie deine Mutter schätze - und nicht die hohlköpfigen Damen der sogenannten besseren Gesellschaft.«

Zarina erinnerte sich an sein vernichtendes Urteil über die vielen Schönheiten, die sich in London so großer Beliebtheit erfreuten. Es war allgemein bekannt, dass der Prinz von Wales gerade diesen charmanten, aber oberflächlichen Damen nachstellte. Natürlich sah Seine Königliche Hoheit außerordentlich elegant und sehr schneidig aus. Zarinas Altersgenossinnen erklärten ihr jedoch, dass er nicht an jungen Mädchen interessiert sei und dass sie gewiss niemals nach Marlborough House eingeladen würde. Was Zarina nicht im Geringsten beunruhigte. Es war ihr allerdings klar, dass ihre Tante Edith jede Minute ‚königlicher Gegenwart‘ genossen hätte.

Lady Bryden kannte eine Menge berühmter Gastgeberinnen. Zarinas Onkel, General Sir Alexander Bryden, hatte die königliche Reitergarde kommandiert, was ihn zur persona grata weiter Kreise der Gesellschaft machte. Zarina fand ihn äußerst respekteinflößend. Und da er ihr Vormund war, musste sie für alles, was sie zu tun gedachte, seine Erlaubnis einholen.

Es war ein schweres Stück Arbeit gewesen, ihn davon zu überzeugen, dass sie gleich zum Ende der Saison nach Hause fahren müsse.

»Deine Tante hat wirklich viel in London zu erledigen«, hatte er eingewandt.

»Dann sage ich dir, was wir machen, Onkel Alexander«, hatte sie geantwortet. »Du und ich, wir könnten für ein paar Tage nach Bryden Hall fahren. Ich muss einfach wissen, wie es dort aussieht. Schließlich bin ich jetzt, da Papa tot ist, für die Menschen aus dem Dorf und auf dem Anwesen verantwortlich.«

Es sollte nach Pflicht klingen, denn das würde ihr Onkel verstehen.

Tatsächlich kapitulierte er daraufhin. »Also gut, Zarina, wir werden am Donnerstag fahren und vielleicht eine Woche bleiben. Ich werde versuchen, deine Tante davon zu überzeugen, dass sie mitkommt, aber ich weiß, sie hat einige Komitee Sitzungen, die sie nicht versäumen darf.«

Lady Bryden widmete sich überaus hingebungsvoll ‚guten Zwecken‘, besonders, seit diese sie in Kontakt zu einigen der bekanntesten Peersgattinnen und weitläufigeren Verwandten des Königshauses brachten.

Während sie sich nun im Salon umsah, empfand Zarina die Anwesenheit ihrer Mutter so deutlich, als könne sie mit ihr sprechen. Sie hatte bereits geahnt, dass sie sich beim Nachhausekommen so fühlen würde, und wollte diese Empfindungen auch nicht unterdrücken.

Als sie Duncans Stimme hörte, zuckte sie erschrocken zusammen.

»Ich glaube, Miss Zarina, Sie würden Ihren Tee gerne in der Bibliothek trinken, ganz wie in alten Zeiten.«

»Aber sicher möchte ich, Duncan«, antwortete Zarina lächelnd. »Es ist sehr nett, dass Sie daran gedacht haben.« Sie nahm Hut und Reise-Cape ab und überreichte ihm beides. »Meine Zofe kommt gemeinsam mit dem Kammerdiener des Generals nach. Ich denke, Mrs. Merryweather wird ihr alles zeigen.«

»Sie wartet schon darauf, Miss Zarina«, sagte Duncan. »Und sie ist schon ganz ungeduldig, Sie zu sehen. Cook auch, und natürlich Jenkins im Stall.«

»Ich möchte jeden und alles sehen!« Zarina lächelte. »Oh, Duncan, es ist wunderbar, zu Hause zu sein! Ich habe euch alle vermisst, gerade so wie … Papa und Mama.« Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie von den beiden sprach.

Duncan klopfte ihr wie in ihrer Kindheit auf die Schulter. »Na, na, regen Sie sich nicht auf, Miss Zarina! Ihr Vater würde wollen, dass Sie tapfer sind, und es gibt eine Menge zu tun, jetzt, wo Sie wieder zu Hause sind.«

Zarina wischte rasch ihre Tränen weg.

Sie gingen den Flur entlang zur Bibliothek, einem wundervollen Raum mit einer Galerie aus Messing, die durch eine Stiege mit gewundenen Holzstufen erreicht werden konnte. Als Kind hatte Zarina es geliebt, dort hinaufzuklettern. Sobald sie allein wäre, würde sie wieder auf die Galerie steigen, nahm sie sich vor.

Der Tee war vor dem Kamin angerichtet worden. Da es Sommer war, füllten statt Flammen bunte Blumen die Feuerstelle aus.

»Ich frage mich, wann der General wohl eintrifft, Miss Zarina. Wenn er jetzt käme, ginge ich rasch eine zweite Tasse holen.«

»Er hat den Zug genommen und sollte gegen halb sieben hier sein, gerade rechtzeitig zum Dinner«, antwortete Zarina. »Sagen Sie Jenkins bitte, er soll ihn vom Bahnhof abholen.«

»Sehr wohl, Miss Zarina. Wird Ihre Ladyschaft ihn begleiten?«

»Nein, meine Tante musste in London bleiben«, erklärte Zarina. Sie lächelte den alten Mann an. »Ich hätte es wirklich vorgezogen, allein hier zu sein. Sicher hat Jenkins die Pferde gut auf Trab gehalten.«

»Hat er, Miss Zarina! Hat sie gestriegelt, bis ihr Fell wie Seide geglänzt hat.«

Zarina lachte. Natürlich war alles so hergerichtet worden, um ihr eine glückliche Heimkehr zu bereiten.

Trotz ihres Aufenthaltes in London hatte sie Kontakt zu Mr. Bennett gehalten, der für das Haus und die Besitzungen verantwortlich war. Ihr Vater hatte ihm vertraut, und sie wusste, sie konnte es ebenso. Er hatte ihr jede Woche geschrieben, um sie über die Geschehnisse im Dorf und unter ihren Angestellten auf dem Laufenden zu halten. Zarina schrieb Gratulationsbriefe an diejenigen, die Goldene Hochzeit feierten, und es gab Geschenke für alle Dorfbewohner, die heirateten. Sie hatte Mr. Bennett aufgetragen, die Löhne derer zu erhöhen, die für sie arbeiteten. Schließlich konnte sie es sich leisten, und sie wollte, dass der Besitz so gut ausschaute wie zu Zeiten ihres Vaters, vielleicht sogar ein bisschen besser.

Während sie ihren Tee trank, fragte sie Duncan nach den Menschen, die sie gut kannte. Der Vikar war, seit er sie auf ihre Konfirmation vorbereitet hatte, immer einer ihrer Lieblinge gewesen.

»Der Pastor ist wie immer«, berichtete Duncan. »Er ist ein bisschen älter geworden, und seine Haare werden grau. Aber er ist gütig wie eh und je.« Er machte eine Pause. »Er hat ein wenig Ärger mit seinem Sohn, aber ich nehme an, Mr. Bennett wird’s Ihnen schon erzählen.«

»Ich weiß, Mr. Walter hatte im letzten Jahr drei verschiedene Anstellungen«, sagte Zarina. »Aber inzwischen wird er doch zur Ruhe gekommen sein?«

Duncan schüttelte den Kopf. »Bei Mr. Walter kann man sich da nie so sicher sein.«

Sie sprachen ein Weilchen über die Familie des Vikars, dann fragte Zarina nach dem Doktor und seinen Kindern und den Besitzern des kleinen Ladens. Sie war erleichtert zu hören, dass alle noch da waren und sich nur wenig verändert hatte.

Nachdem sie ihren Tee getrunken hatte, ging sie nach oben. Die Kammerzofe und Mrs. Merriweather unterhielten sich gerade in Zarinas Schlafzimmer. Sie ging an der halbgeöffneten Tür vorbei zur Herren-Suite, dem Schlafzimmer ihrer Eltern. Als sie die Tür öffnete, roch sie den Duft von Lavendel. Ihr war, als seien ihre Eltern hier und würden nur auf sie warten.

Die Vorhänge vor den Fenstern waren geschlossen, und Zarina zog sie auf, um die Sonnenstrahlen hereinzulassen. Sie betrachtete das von vier Pfosten eingerahmte große Bett. Wie oft war sie hineingeklettert, hatte sich neben ihre Mutter gelegt und sie um eine Geschichte angebettelt.

Dem tiefen Schmerz, zurückzukommen und die Eltern nicht vorzufinden, durfte sie sich nicht länger entziehen. Allzu lange hatte sie ihre Bediensteten vernachlässigt, die sie vor allem als die Tochter des verehrten Vaters liebten.

»Was immer Onkel Alexander und Tante Edith sagen«, murmelte sie entschlossen, »ich werde mindestens den Herbst über hierbleiben.«

Ihr Aufenthalt in London war aufregend gewesen, daran gab es keinen Zweifel. Erfolg konnte sehr reizvoll sein. Natürlich konnte sie unmöglich überhören, dass sich, sobald sie einen Ballsaal betrat, sämtliche älteren Damen von Adel zuraunten: »Hier kommt die Erbin.« Dasselbe widerfuhr ihr, wenn sie zu einer Party, einem Lunch oder einem Empfang ging.

Anfangs hatte es sie sehr befangen gemacht, aber noch während sie es zu ignorieren versuchte, musste sie sich eingestehen, dass ihr Geld sie zu etwas Besonderem machte. Es gab kein Entkommen. Ihr Verstand sagte ihr zwar, dass ihr, Geld kein Hindernis zwischen ihr und anderen Menschen sein dürfe. Und dennoch war sie auf der Hut, wenn ein junger Mann sie in den Garten führte und ohne Umschweife sagte: »Ich liebe Sie, Zarina, und ich will Sie zur Frau haben, ich will es mehr als irgendetwas je zuvor.« Das klang sehr überzeugend. Kein Zweifel, dass es zumindest so aussah, als liebe er sie.

Häufig erfuhr Zarina jedoch zur gleichen Zeit, dass der in Frage kommende Mann hoch verschuldet war. Oder aber er war der Sohn eines bekannten Aristokraten, dessen älterer Bruder einmal alles erben würde.

So konnte sie sich des Verdachts, den sie bei jedem Heiratsantrag schöpfte, der einer allzu kurzen Bekanntschaft folgte, nicht erwehren. Warum die Eile - außer der Betreffende wollte ihr Geld? Konnte er nicht warten und sich mit ihr befreunden? Nur so konnten sie herausfinden, ob sie sich wirklich liebten.

Darauf gab es nur eine Antwort. Der übereifrige Bittsteller befürchtete, dass ein anderer ihm zuvorkommen könnte. ‚Zum Ziel gelangen‘ hieß, die Kontrolle über ihr Geld zu haben.

»Angenommen, ich hätte kein Geld«, überlegte Zarina eines Nachts. »Ich frage mich, was dann passieren würde.« Sie war gerade von einem Ball zurückgekehrt, auf dem ihr gleich drei Heiratsanträge gemacht worden waren. Natürlich kannte sie die Wahrheit, und die war sehr demütigend.

Jetzt, sagte sie sich, während sie die Fenster des Schlafzimmers ihrer Eltern öffnete, jetzt bin ich zu Hause. Die Menschen hier hatten sie geliebt, bevor sie reich war. Sie würden sie nicht mehr lieben als früher, nur weil sie heute ein Vermögen auf der Bank liegen hatte.

Sie schaute hinaus auf den Garten mit seinem ebenen grünen Rasen und den farbenfrohen Blumenbeeten. Dahinter standen die Bäume, auf die sie schon als kleines Mädchen geklettert war.

Ich liebe es! Ich liebe jeden einzelnen Grashalm, die Vögel in den Bäumen und die Bienen, wie sie über die Blumen summen, dachte sie. Ich bin daheim, daheim! Und niemand wird mir mein Zuhause je nehmen können.

Lange blieb sie im Zimmer ihrer Eltern und ging dann in das angrenzende Boudoir hinüber, das viele Schätze ihrer Mutter barg. Dort gab es Porzellanschmuck, über den sie Zarina viele Geschichten erzählt hatte, und an den Wänden hingen Bilder, die ihr Vater seiner Frau geschenkt hatte, denn sie liebte französische Künstler.

Ganz besondere Bücher gab es hier, die ihre Mutter wieder und wieder gelesen hatte und von denen sie sagte, sie sei von ihnen inspiriert worden.

»Auch ich werde sie lesen«, gelobt sich Zarina laut.

Einige Zeit später hörte sie draußen einen Wagen vorfahren und wusste, dass ihr Onkel angekommen war. Sie wünschte sich, er wäre nicht hier und sie könnte allein sein. Zum Entsetzen ihrer Tante hatte sie einmal angedeutet, er brauchte London doch eigentlich nicht zu verlassen.

»Selbstverständlich brauchst du eine Begleitung!« hatte sie ihr vorgehalten.

»Aber doch nicht in meinen eigenen vier Wänden«, hatte Zarina eingewandt.

»Du bist kein Kind mehr, auf das ein Kindermädchen achtgeben könnte, sondern eine junge Frau. Wenn sich nun ein Gentleman bei dir vorstellen würde, ohne dass du dich in Begleitung befändest, wäre es gänzlich unkorrekt, auch nur mit ihm zu sprechen!« Mit ihrer Tante zu diskutieren wäre zwecklos gewesen, also hatte sich Zarina in das Unvermeidliche gefügt.

Jetzt war ihr Onkel hier, und sie befürchtete, dass er wahrscheinlich die Atmosphäre des Hauses und ihre Freude, darüber, wieder daheim zu sein, verderben würde.

Als sie den Korridor zu ihrem eigenen Schlafzimmer entlangging, konnte sie seine kräftige und herrische Stimme in der Eingangshalle hören. Sie betrat ihr Schlafzimmer, stieß dort auf Mrs. Merryweather und küsste sie liebevoll auf beide Wangen.

»Welche Freude, Sie zu sehen, Miss Zarina!«

»Es ist wunderbar, zu Hause zu sein«, erwiderte Zarina. »Alles ist wie immer vollkommen. Ich bin Ihnen so dankbar.«

»Wir tun unser Bestes«, sagte Mrs. Merryweather mit offensichtlicher Zufriedenheit. »Es ist wie in alten Zeiten, wenn Sie bei uns sind.«

Zarina nahm ein Bad, das die Hausmädchen vor dem Kamin hergerichtet hatten. Zwei Diener brachten heißes Wasser in polierten Messingkannen herauf. Ihr war, als sei sie nicht länger eine junge Dame, sondern wieder ein Kind. Fast konnte sie ihre Kinderfrau sagen hören: »Nun komm aber, du Trödlerin! Es ist Zeit für das Bett!«

Doch stattdessen zog sie sich eines der schönen, teuren Kleider an, die ihre Tante in der Bond Street für sie ausgesucht hatte, und ging hinunter. Sie war gerade ein paar Minuten im Salon, als ihr Onkel auch schon erschien. Er sah sehr elegant aus in seiner Abendgarderobe. Sein graues Haar, das ein wenig dünn zu werden begann, war peinlich genau zurückgekämmt. Alles an ihm war nach den Worten seines Kammerdieners ‚wie aus dem Ei gepellt‘. Zarina wusste, dass er genau das auch von den Truppen erwartete, die er befehligte.

»Da bin ich, Zarina!« sagte der General und kam auf sie zu. »Der Zug hatte Verspätung - was will man anderes erwarten!«

»Schön, dich zu sehen, Onkel Alexander!« sagte Zarina und küsste ihn auf die Wange. »Duncan hat zur Feier meiner Heimkehr eine Flasche Champagner geöffnet.«

»Champagner?« rief der General. »Da werde ich nicht nein sagen - nach dieser unbequemen und ermüdenden Reise. Die Leute geraten ja neuerdings über die Annehmlichkeiten der Bahn geradezu in Ekstase; ich dagegen bevorzuge meine Pferde.«

»Mir geht es genauso«, lächelte Zarina. »Wir haben gerade etwas über drei Stunden für die Strecke gebraucht, und es war wunderschön, durch die Landschaft zu fahren.«

Beim Dinner sprachen sie über das Anwesen, und der General sagte: »Wir werden uns morgen die Gehöfte anschauen und nachsehen, wie es mit der Beseitigung der Forstschäden vom letzten Winter vorangeht.«

»Ich bin sicher, wir finden alles zu unserer Zufriedenheit vor«, meinte Zarina. »Mr. Bennett ist überaus tüchtig.«

»Es ist immer ein Fehler, nicht alles bis zum letzten Stein zu inspizieren, was man besitzt«, entgegnete der General. »Und genau das sollten wir tun, bevor wir nach London zurückkehren, meine Liebe.«

Nach kurzem Schweigen sagte Zarina: »Ich dachte gerade, Onkel Alexander, dass ich gerne zumindest bis zum Winter bleibe. Schließlich ist hier mein Zuhause, und wenn ihr unbedingt auf einer Anstandsdame besteht, könnte mir vielleicht eine meiner ehemaligen Gouvernanten Gesellschaft leisten.«

Einen Augenblick lang gab der General keine Antwort. Er nippte nur an dem Rotwein, den Duncan ihm eingeschenkt hatte, schließlich meinte er: »Darüber wünsche ich noch mit dir zu reden - nach dem Dinner.«

Die Art, wie er sprach, machte Zarina deutlich, dass es um ein Thema ging, das er nicht vor der Dienerschaft zu diskutieren gewillt war. Sie fragte sich, was er ihr wohl zu sagen hätte.

Während sie über andere Dinge plauderten, bestärkte sie sich selbst darin, sich nicht von ihren Plänen abbringen zu lassen. Sie wollte in ihrem eigenen Heim leben. Immerhin waren es noch wenigstens zwei Monate bis zum Beginn der sogenannten Wintersaison. Sie würde nicht vor der Rückkehr der Königin aus Balmoral anfangen. Die Mehrzahl der Männer, die auf Moorhühnerjagd gewesen waren, würden dann ebenfalls nach London zurückkehren.

Natürlich würde ihr Onkel erwarten, dass sie widerspruchslos mit ihm nach London zurückkehren würde. Aber dieses eine Mal würde sie sich durchsetzen, schwor sich Zarina. Er mag mein Vormund sein, aber es ist mein Geld, das ich ausgebe, und ich habe das Recht auf einen eigenen Willen. Eine gewisse Besorgnis konnte sie dennoch nicht, verleugnen.

Nachdem sie mit dem Kaffee fertig waren und der General ein Gläschen Portwein getrunken hatte, verließen sie das Speisezimmer. Er hatte Zarina bereits erklärt, dass er noch Wert auf ihre Gesellschaft lege, was gegen alle Gewohnheit und die Etikette verstieß. Durch seine Art zu sprechen, gab er seinem Verdacht Ausdruck, Zarina wolle sich einfach aus dem Staube machen, indem sie zu Bett ginge.

Ich bin wirklich recht müde, dachte sie bei sich, als sie den Salon betraten. Aber ich möchte am ersten Tag meiner Heimkehr keine Unstimmigkeiten mit Onkel Alexander.

Duncan hatte die Kandelaber aus Kristall entzündet, die den ganzen Raum im wundervollen Licht erstrahlen ließen. Wenn doch nur Vater und Mutter hier wären, wünschte Zarina sehnsüchtig, wie froh sie alle sein würden. Sie erinnerte sich daran, wie ihr Vater über so vieles hatte lachen können, was sie sagte. Ihre Mutter hätte sie mit liebenden Augen angeschaut, und sie hatte schon von diesen Augen ablesen können, wieviel sie den beiden bedeutete.

Der General baute sich vor dem Kamin auf. Zarina erkannte an seinem Gesichtsausdruck, dass er vorhatte, ihr eine Lektion zu erteilen. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie etwas Falsches getan hatte, aber ihr fiel nichts ein.

Da er es zu erwarten schien, setzte sie sich auf ein Sofa ganz in seiner Nähe. Ihre Hände legte sie sittsam in den Schoß.

»Einer der Gründe, dich heute Morgen nicht zu begleiten, Zarina«, begann der General, »war eine wichtige Unterredung, die dich und deine Zukunft betrifft.«