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Potenziale erkennen, Risiken abwägen, Chancen nutzen: Mit diesem Know-how gelingt das Russlandgeschäft. Obwohl viele Mittelständler dem Einstieg in den russischen Markt positiv gegenüberstehen, zögern sie, dort zu investieren und zu expandieren. Damit etwaige Vorurteile überwunden und vorhandene Chancen endlich genutzt werden, liefern die Autorinnen hier das nötige Rüstzeug für das erfolgreiche Business mit Russland. Sie bieten einen kompetenten Überblick über die geschichtlich-kulturellen Hintergründe, rechtlichen Rahmenbedingungen und geschäftlichen Gepflogenheiten in der russischen Ökonomie. Dazu berichten Ost-West-Unternehmer aus ihrem russischen Geschäftsalltag.
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Seitenzahl: 278
Unter Mitarbeit von Isabella Löw und Heike Pfitzner
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-636-01446-7 | Print-Ausgabe
ISBN 978-3-86881-128-5 | E-Book-Ausgabe (PDF)
E-Book-Ausgabe (PDF): © 2009 by Redline Verlag, FinanzBuch Verlag GmbH, München. www.redline-verlag.de
Print-Ausgabe: © 2007 by Redline Wirtschaft, Redline GmbH, Heidelberg. Ein Unternehmen von Süddeutscher Verlag | Mediengruppe.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Brigitte Mues, lüra – Klemt & Mues GbR, Wuppertal Umschlaggestaltung: INIT, Büro für Gestaltung, Bielefeld Umschlagabbildung: Corbis, Düsseldorf Satz: Jürgen Echter, Redline GmbH Druck: Holzhausen, Wien Printed in Austria
Vorwort
Was Deutsche und Russen unterscheidet
Was Russen ihren deutschen Partnern raten
Wie Deutsche ihre russischen Geschäftspartner erleben
Was im Business am meisten auffällt
Was deutsche Manager beachten müssen
Das Personal – Ihr Schlüssel zum Erfolg
Wie Sie die richtigen Leute finden
Worauf Sie bei russischem Personal bauen können
Wie Sie die Besten erreichen
Besonderheiten der Personalsuche
Was Sie für den Vertrieb beachten sollten
Was man in Russland zahlt
Wie Sie Ihr Personal selbst entwickeln
Wie Deutsche und Russen gut kooperieren
Wie Sie gute Teams aufbauen
Wie Sie kompetent russische Mitarbeiter führen
Wie Macht und Motivation gesehen werden
Wo Sie selbst stehen
Vom Umgang mit der Zeit
Wie man gut mit Emotionen umgeht
Strategien für langfristigen Erfolg
Die Erfolgsstrategie
Messebeteiligung als effiziente Form der Geschäftsanbahnung
Wie Werbung in Russland funktioniert oder „Diese Ware macht Sie einzigartig!“
Das Öl im diplomatischen Getriebe – Die Rolle des Dolmetschers und Übersetzers
Der Business Pool Moskau als Basis für Ihren Russlandeinstieg
Der Tanz mit dem russischen Bären – Aus der Praxis deutscher Unternehmen
Hanno-Werk GmbH & Co. KG.
Der Spediteur für Russland – die C. Spaarmann GmbH
Luisa Cerano – hochwertige Mode für moderne Frauen
Vom Werden und Wachsen einer deutsch geführten Pension in Sankt Petersburg
Weltweit „verklemmt“ – Die Phoenix Contact GmbH & Co. KG.
Nach Russland herzlich eingeladen – die Weleda AG
Russisches Recht: Grundlagen und Besonderheiten
Vom Exportgeschäft bis zur Niederlassung: Fakten
Produktzertifizierung für den Export nach Russland
Der russische Zoll: Immer für eine Überraschung gut
Partner in Russland: Am gleichen Strang ziehen, aber auch in die gleiche Richtung
Eine Niederlassung in Russland gründen
Standortwahl und rechtlicher Rahmen
Unternehmensorganisation: Die Dokumentenwahrheit oder – Papier ist geduldig
Arbeitsrecht und Arbeitsalltag
Marke, Marketing und PR: Ist der Ruf erst etabliert, verkauft sich’s gänzlich – erfolgreich
Verhandlungen: Sie müssen feilschen!
Zahlungssicherungsmittel
Deutsche und Russen in den Medien des anderen
Unverschämt reich oder bettelarm – Vom Fehlen der Normalität
Deutsche Unternehmen in russischen Medien
Nützliche Links und Kontakte
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Wenn man der Russlandberichterstattung in den deutschen Medien folgt, müsste der Titel richtiger lauten „Der ewige Tanz mit dem russischen Bären“. Zu unserer Freude bezeichnen sich nur zwei der von uns befragten Unternehmen als „Russland-geschädigt“. Aber auch sie bewerten den Schritt ihres Unternehmens nach Russland als richtig und wichtig. Viele der Fehler beim Aufbau ihres Russlandgeschäfts seien hausgemacht gewesen. Für das, was Amerika in 200 Jahren geschaffen hat, gesteht die westliche Welt Russland allenfalls 20 Jahre zu. Das ist schlicht unrealistisch und unfair.
Die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Russland vollzieht sich in rasantem Tempo. Den Wirtschaftsunternehmen und den einzelnen Menschen werden enorme Anstrengungen abverlangt, sich permanent in diesen beschleunigten Prozessen zu orientieren und sich anzupassen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist das einzig Beständige im Leben der meisten Russen die Unbeständigkeit gewesen. Ganze Lebensentwürfe und Berufsbiografien sind weggebrochen, die Menschen schlugen auf der Suche nach einer neuen Existenzgrundlage mehrere alternative Wege gleichzeitig ein, die selten etwas mit ihren vormaligen Berufserfahrungen zu tun hatten. Sich mit seinem Können zu verkaufen war neu und unangenehm, hatte den Anstrich von „Kapitalismus“, die Rolle des Geldes in den zwischenmenschlichen Beziehungen musste umbewertet werden.
Russische Nachwuchsführungskräfte konnten seit 1998 erstmalig längere Erfahrungen in deutschen Unternehmen sammeln, zum Beispiel als Teilnehmer am Präsidentenprogramm. Ein neuer Unternehmertyp jenseits der Parteinomenklatur bildet sich heraus.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist außerdem eine wachsende Mittelschicht in Russland in der Lage, ihre Existenz durch eigene Arbeit zu stabilisieren und einen gewissen Wohlstand zu erlangen. Das gelingt natürlich jüngeren, gut ausgebildeten Menschen in den Regionen mit entwickelter Infrastruktur weitaus besser als den Menschen in der Provinz und auf dem Land. Die Gegensätze verschärfen sich proportional zum Entwicklungstempo. Während in der Hauptstadt und den Industriezentren die Menschen durchaus 1.000 US-Dollar und mehr verdienen, kommen in der Gebietshauptstadt Ivanovo 350 Kilometer östlich von Moskau die Studenten lieber zu spät zur Vorlesung, weil sie zu Fuß gehen. Die Busfahrkarte kostet sechs Rubel. Das ist aber auch der Preis für ein halbes Brot. Ivanovo – das Rote Manchester, Zentrum der russischen Textilindustrie seit 150 Jahren – hat knapp eine halbe Million Einwohner und verfügt über acht funktionierende Hochschulen.
Im Dezember 2007 finden in Russland Dumawahlen statt, im März 2008 wird der nächste Präsident gewählt. Noch ist dem Westen nicht klar, in welche Richtung sich Russland künftig entwickelt. Der Publizist Perry Anderson nennt Putins Politik einen Dreiklang aus Profit, Korruption und eiserner Faust, die die Kontrolle des Staates über die strategischen Wirtschaftszweige und Schlüsselunternehmen von den Oligarchen zurückerobert und damit den Raubtierkapitalismus der 90er Jahre gestoppt hat . Andere sprechen von einem schwachen Staat, der sich strategisch noch nicht neu zwischen China und der EU positioniert hat. Russland ist im Prinzip der größte einzelne Nutznießer des Rohstoffbooms zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf der Welt. Die Wirtschaft funktioniert als Exportplattform für Rohstoffe. Der Staat wurde als Wirtschaftsfaktor, und zwar als Quelle der politischen Macht, aber ohne sozialisierende Absicht gestärkt, so Anderson (Anderson, 2007).
Wir freuen uns, dass neben deutsche Unternehmern im vorliegende Buch auch junge Aussiedlerinnen zu Wort kommen, die seit zehn und mehr Jahren in Deutschland leben. Diese Frauen wollen ihre Kompetenzen gern für deutsche Unternehmen in Russland einsetzen. Bisher haben sie dazu in Deutschland keine echte Chance bekommen. Einige sind bereit, mit ihren Familien wieder zurück nach Russland zu gehen und dort für deutsche Unternehmen zu arbeiten. Mit ihrer Erfahrung in zwei Geschäftskulturen und den Sprachkenntnissen können sie als Osteuropa-Assistentinnen eine Scharnierfunktion zwischen deutschen und russischen Entscheidungsträgern einnehmen.
Eine UN-Studie besagt, dass Russland in den kommenden zehn Jahren zwei Millionen Einwanderer aufnehmen muss, um seinen Bedarf an Arbeitskräften zu decken und das Wirtschaftswachstum im Land aufrecht zu erhalten. Mit einem 80-Millionen-Euro-Pro-gramm zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der deutsch-stämmigen Gemeinschaft will die russische Regierung verhindern, dass die verbliebenen Deutschen auch noch abwandern.
Deutsche Unternehmen tragen schon seit vielen Jahren zur Wirtschaftsentwicklung bei. Ein großes Potenzial liegt in der Bestärkung einer neuen Qualität der bilateralen Geschäftskultur, die den gegenseitigen Respekt und die Kooperation zum beiderseitigen Vorteil vor Konfrontation und einseitigen Vorteil stellt.
Als uns im Dezember 2006 die Literaturagentin Christine Huber dieses Buchprojekt antrug, waren wir für einen Moment überrascht. Dann freuten wir uns und trugen unsere beruflichen Biografien zusammen. Dabei stellten wir fest, dass wir gemeinsam über 80 Jahre Russlanderfahrung verfügen. Diese Erfahrungen niederzuschreiben, klang verlockend. Was das praktisch bedeutete, begriffen wir erst, als wir zusätzlich zu unseren beruflichen Verpflichtungen an dem Manuskript arbeiteten. Unser Problem reduzierte sich auf eine Frage: Was lassen wir weg?
Wir danken herzlich allen Unternehmern, die uns bereitwillig von ihren Russlanderfahrungen berichtet haben. Wir bedanken uns außerdem bei Elke Bormann von der Volkshochschule Bremen und den Osteuropa-Assistentinnen, die ihre Fortbildung an der VHS Bremen absolviert und sich im Rahmen der „Women Power“ während der diesjährigen Hannovermesse präsentiert haben und initiativ auf Aussteller als potenzielle Arbeitgeber zugingen. Das hat sie viel Arbeit und Mut gekostet, aber auch ihr Selbstbewusstsein gestärkt.
Wir danken von Herzen unseren Ko-Autorinnen. Die interkulturelle Trainerin und Personalentwicklerin Dr. Heike Pfitzner hat federführend ihren Erfahrungsschatz in die Kapitel „Was Deutsche und Russen unterscheidet“, „Wie Deutsche und Russen gut kooperieren“ sowie „Personal – Ihr Schlüssel zum Erfolg“ eingebracht. Die Rechtsanwältin Dr. Isabella Löw hat das Kapitel „Russisches Recht: Grundlagen und Besonderheiten“ verfasst. Wir danken natürlich auch herzlich unserer Literaturagentin Christine Huber, die uns hartnäckig aus jedem kreativen Funkloch wieder hervorgefischt hat, sowie dem Verlag für seine Geduld und Unterstützung. Nicht zu vergessen sind unsere Angehörigen, Freunde und Kollegen, die uns durchweg Vertrauen und Geduld entgegengebracht haben!
Ines Lasch und Angela Leymann
Historisch gesehen, stehen die Deutschen seit den Zeiten der Hanse vor über 500 Jahren, als Lübecker Kaufleute nach Novgorod reisten, in engem Kontakt mit Russland. Unsere Normen und Regeln sind den Russen also recht gut bekannt. Wir werden geschätzt für unseren hohen Qualitätsanspruch, technischen Sachverstand, die große Vertragstreue gegenüber Partnern, die Langfristigkeit in Projekten und die Termintreue. Doch es gibt Dinge, die deutsche Geschäftsleute oft eher gering beachten oder übersehen.
Die folgenden Hinweise wurden von fünfzig Managern erstellt, die als Teilnehmer am Deutsch-Russischen Präsidentenprogramm in Deutschland weilten. Seit 1997 haben dieses multinationale Weiterbildungsprogramm, das zwischen dem Präsidenten der Russischen Förderation und der Bundesregierung noch in den Neunzigerjahren vereinbart wurde, über 38.000 junge russische Führungskräfte aus dem ganzen Land besucht und sich in den Bereichen Management, Marketing und Finanzen fortgebildet.
Mehr als 10 Prozent von ihnen hielten sich zu Austausch- und Lernzwecken für drei Monate in Deutschland auf und absolvierten mehrmonatige Praktika in Unternehmen. Alle Teilnehmer sind selbst Manager, Direktoren oder leitende Mitarbeiter in russischen Unternehmen und haben nach ihrem Aufenthalt in Deutschland klare Vorstellungen davon, was deutsche Firmen in Russland vernachlässigen oder zu wenig berücksichtigen.
Ihre Begegnungen mit russischen Geschäftspartnern werden auf der zwischenmenschlichen Ebene dann erfolgreich sein, wenn Sie es schaffen, die folgenden drei Zutaten zusammenzubringen:
Sie haben sich Wissen angeeignet, das Ihnen hilft, die eigenen und anderen kulturellen Standards bewusst zu verstehen, die Sie im Arbeitsverhalten, der Organisation von Prozessen und im Managementstil Ihrer Partner beobachtet haben (Zutat: Kenntnisse). Sie haben Ihre Sensibilität für andere Menschen erhöht. Sie können sich in die anderen hineinversetzen, nehmen mit Ihren Sinnen die andere kulturelle Orientierung wahr; anders als die, die Sie selbst gelernt haben. Sie können es zudem ertragen, Ihre eigenen Standards zu hinterfragen (Zutaten: Offenheit, Interesse, Frustrationstoleranz). Sie haben genügend Handlungsfähigkeit im interkulturellen Kontakt, sind fähig, andere Handlungsstrategien zu entwickeln, indem Sie bis dato unbekannte Wege einschlagen (Zutaten: soziale Fähigkeiten, Flexibilität des Verhaltens, Interaktionsmanagement).Diese drei Zutaten sollten Sie gut kennen, an jede Situation neu anpassen, also zunächst einmal „kosten“ und Ihr „Essen“ gern und reichlich mit anderen Menschen teilen. Wahre Könner zeichnen sich außerdem dadurch aus, dass sie diese Zutaten in unterschiedlichen Umgebungen einsetzen können:
in ihrer eigenen Herkunftskultur, also sich selbst immer wieder fragend, was das „Deutsche“ oder „Eigene“ an ihren als normal angesehenen und oft genutzten Verhaltens- und Denkweisen ist; in Bezug auf die spezifische Kultur der russischen Partner, Kollegen, Mitarbeiter und Kunden und im interkulturellen Feld der Kooperation, wo es um das Aushandeln angemessener gemeinsamer Geschäftsgrundlagen geht.Wie jede Fähigkeit, die wir im Laufe des Lebens erlernen, ist auch kulturelle Kompetenz sicher nicht über Nacht zu erwerben. Der deutsche Volksmund meint: „Übung macht den Meister (oder die Meisterin).“ In Russland bestätigt eine Volkswahrheit: „Wiederholung ist die Mutter des Lernens.“
An der Universität Hamburg wurde Mitte der Neunzigerjahre in einer Diplomarbeit mithilfe von Interviews mit deutschen Geschäftsleuten in Sankt Petersburg danach gefragt, wie dies ihre russischen Geschäftspartner einschätzten. In ihrer großen Mehrheit sind das Wahrnehmungen kultureller Unterschiede in den Geschäftsnormen zwischen Russland und Deutschland, die bis heute gültig sind.
Kulturelle Dimension Aus der Praxis deutscher Geschäftsleute Beispiel für Dimension 1 „Gastfreundschaft – das haben wir Deutschen ja verlernt. Die Russen empfangen Gäste ohne Rücksicht auf Kosten und Zeit. Die können es sich auch mal gut gehen lassen. Die Mühe machen wir uns nicht.“ Gefühle zeigen „Die persönlichen Kontakte zählen hier mehr, der Umgang ist meist menschlicher als bei uns.“ „In Deutschland baut jeder eine Mauer um sich. Hier sind die Leute relativ offen, manchmal zu offen.“ „Man kann von ihrer Impulsivität lernen … da weiß ich auch geschäftlich, woran ich bin.“ Beispiel für Dimension 2 „Von Russen wirst du nie hören: ,Bis hierher kann ich das und weiter nicht.‘“ Flexibilität „Die Russen können in jeder Lage noch was machen. In Deutschland dagegen gibt es so eine Faulheit – wenn der Tesafilm alle ist, dann wartet man, bis neuer gekauft wird.“ „Sie können leichter das Arbeitsgebiet wechseln. Die sind als U-Boot-Ingenieur ausgebildet und können Verkaufsdirektor werden.“ „Deutsche sind viel disziplinierter und ordentlicher.“ „Geltende Gesetze werden einfach ignoriert und nach eigenem Gusto ausgelegt.“ Beispiele für Dimension 3 „Russen haben ein viel weiter entwickeltes Gemeinschaftsdenken als Deutsche.“ Zusammenarbeit „Für Leute aus ihrer eigenen Gruppe setzen sie sich wirklich ein.“ „Hier gibt es einen familiären Zusammenhalt, der ist stark ausgeprägt.“ „Selbstständiges Arbeiten ist wahrscheinlich ziemlich ungewöhnlich.“ Beispiel für Dimension 4 „Die Russen geben einem Freund das letzte Hemd und helfen in jeder Situation.“ Beziehungen „Die Deutschen sehen überall eine Gefahr. Die Russen sind da relativ offen, da wird viel geschäftlich erzählt, manchmal eher zu viel.“ „Ja, es wird geschäftlich viel geschnattert … man muss eben wissen, dass hier nicht jeder für sich bleibt.“ „Besonders in der Provinz kann man sich nicht auf die rein geschäftliche Seite beschränken, da wird man sehr stark vereinnahmt.“ Beispiele für Dimension 5 „Die russischen Führungskräfte überschätzen oftmals ihre fachlichen Fähigkeiten.“ Hierarchiedenken „Als Direktor darf man sich ja fast alles erlauben.“ „Wenn man was schnell gemacht haben will, muss man nur wissen, wer den richtigen Mann oder die rechte Frau an der richtigen Stelle kennt. Dann geht hier fast alles.“ Beispiele für Dimension 6 „Die Russen haben eine grenzenlose Geduld. Sie schimpfen nicht auf die schweren Umstände. Sie können ruhig bleiben.“ Zeitempfinden „Selbst nach sechs oder sieben Stunden Verhandlung sind die Russen klar im Kopf und wir sind schon alle müde.“ „Ein russischer Mensch ist in der Lage, in den Tag hinein zu leben, während wir Deutschen unser Leben voraus planen müssen.“ „Wenn man absagt, sind sie beleidigt, wenn man zusagt, dann ist die Zeit weg … da kommt man in Bedrängnis.“ „Termineinhaltung interessiert die russischen Partner nicht.“nach Meusel, A. (1996, S. 42)
Sicher fällt Ihnen auch der eine oder andere Spruch Ihrer eigenen Partner oder Kollegen über „die Russen“ oder „den typischen Deutschen“ ein. Nun können Sie diese als Generalisierungen einordnen und verstehen die analytischen Hintergründe dafür.
Im Folgenden werden jedem deutschen Kulturstandard die entsprechenden russischen Verhaltenswerte gegenübergestellt. Die darunter beschriebenen Kulturdimensionen leiten sich aus den Arbeiten von Trompenaars ab und bieten eine weitere Orientierung. Außerdem werden jeweils beide Seiten der kulturellen Medaille gezeigt – die positiven und weniger positiven Seiten des jeweiligen Verhaltens.
Wie jede Generalisierung zeigt diese Auflistung kulturelle Tendenzen an, nicht die „Wahrheit an sich“. Es sind Landkarten zur Analyse der konkreten Situationen.
Für Ihr Geschäft bedeutet das: Kümmern Sie sich zuerst um den Aufbau einer tragfähigen Beziehung, die es ermöglicht, einander zu vertrauen. Erst dann ergeben Verträge einen Sinn, erfahren Sie realistische Fakten und können ungefähr abschätzen, welches Risiko Sie eingehen. Ohne diese emotionale Ebene bleiben Sie für den russischen Partner undurchsichtig und fremd. Mit einem Unbekannten macht in Russland niemand Geschäfte.
Fragt man Russen nach einer typischen Eigenschaft, mit der sie Deutsche beschreiben sollten, dann kommt bei vielen: „Die halten sich an ihre Gesetze. Sogar an der Ampel bleiben sie stehen und warten, wenn Rot ist!“
Die starke Regelorientierung hat historische Wurzeln und geht auf die Zeit der Aufklärung und den Protestantismus zurück. Heute weiß das kaum noch eine Mutter, die ihre Tochter dazu erzieht, pünktlich zu sein, oder ein Vater, der seinem Sohn zeigt, dass er besser nur bei Grün die Straße überquert. Den meisten Bewohnern der deutschen Lande ist dieses Verhalten wahrhaftig „in Fleisch und Blut“ übergegangen. Leider denken viele, das müsste bei Menschen in anderen Ländern genau so sein. Sehen Sie selbst:
Land/StandardRusslandDeutschland Kulturstandard Situationsorientierung Regelorientierung Direktheit Kulturdimension Partikularismus Universalismus Positive Wirkungen Hohe Flexibilität in der einzelnen SituationBerücksichtigung persönlicher Eigenheiten Raum für Innovation und Spontaneität Einbindung von UmweltfaktorenRücksicht auf die Wirkungen auf das soziale Umfeld Hohe Verbindlichkeit von persönlichen Kontakten Gerechtigkeit Wahrhaftigkeit Eine Regel gilt für alle, unabhängig von der Person Hohes Maß an Voraussagbarkeit Verlässliche Regeln Fester Ablaufplan nach internen Prozeduren Hoher Wert von Gerichtsbarkeit und Verträgen Nachteilige Wirkungen Korruption „Seilschaften“Zwang zu sozialen Verpflichtungen Ungerecht für Menschen ohne „Kontakte“ 1 Starres System ohne Ausnahmen Menschenunwürdige Folgen Wenig persönliche VerbindlichkeitIn dieser Dimension liegt die zweite große Hürde, die deutsche Geschäftsleute in Russland nehmen müssen. Ihre russischen Partner erwarten ein hohes Maß an Flexibilität. Sicher wird ein Projektplan gemacht. Aber der sollte locker genug gestrickt sein, damit spontane Änderungen aufgenommen werden können.
Festgefügte Prozessabläufe sind eine Freude für jedes deutsche Auge. Die russischen Partner werden ihn voller Achtung anschauen und gleichzeitig darauf verweisen, dass solch ein Plan in Russland sich nicht umsetzen lässt. Warum? Weil in Russland immer was dazwischenkommt! Genau für diese ständigen Störungen benötigen sie die exzellenten Beziehungen und Kontakte aus der ersten Dimension. So ergänzen sich die ersten beiden Dimensionen und bedingen einander.
Die folgende Dimension hat einen großen Einfluss auf den Informationsfluss zwischen den Abteilungen und innerhalb der Führungsriege. Sie wirkt auf die Arbeitsatmosphäre in dem Unternehmen, auf das Betriebsklima in den Teams, die in Russland meistens „Komanda“ heißen und kulturell etwas anderes meinen als das, was Teamarbeit üblicherweise in Deutschland bedeutet. Mit dieser Dimension hängen viele Faktoren rings um Motivation zusammen. Projektleiter müssen sie unbedingt berücksichtigen, wenn sie ein Projekt gut steuern und erfolgreich zum Abschluss bringen wollen.
LandRusslandDeutschland Kulturstandard Kontrolle von außen durch bedeutsame Mitglieder der jeweiligen Gruppe Verinnerlichte Kontrolle durch die einzelnen Mitarbeiter selbst Kulturdimension Kollektivismus Individualismus Positive Wirkungen Einordnung in eine Gruppe („Komanda“) Hohe Bedeutung von Hierarchie Mitmenschlichkeit Großes Interesse an Personen Zwischenmenschliche Wärme Gefühl von Zugehörigkeit Bedürfnis nach klaren Machtstrukturen und Ritualen zu ihrer Herstellung Information steht nur dem Kopf der Gruppe zu „Team“-Arbeiter Breiter Informationsfluss für alle (Transparenz) Werte sind: sich durchsetzen können, sich verwirklichen Eigene Ideen entwickeln Initiative und Selbstbewusstsein Hohe Eigenverantwortung Wettbewerbsfähigkeit Bedürfnis nach Karriere Nachteilige Wirkungen Keine Eigeninitiative in Bezug auf Zielerreichung Konkurrenz „Ellenbogen-Spiele“ Einzelkämpfertum Kaltherzigkeit Wenig Kollegialität Überlastung mit zu viel Information möglich (E-Mail)Ein Team ist meistens horizontal organisiert und wie ein Netzwerk aufgebaut, in dem die Information schnell für alle verfügbar gemacht werden kann. Eine „Komanda“ hat einen Kopf, der entscheidet, wer wann welche Informationen bekommt und wer nicht. Transparenz ist hier kein Wert – Wissen ist Macht, die es zu erhalten gilt.
Diese Dimension ist eng mit dem Aufbau von Vertrauen verbunden. Nehmen Sie sich genug Zeit für die geschäftlichen Treffen mit Ihren russischen Partnern. Seien Sie gut vorbereitet – dazu gehören angemessene Gastgeschenke in ausreichender Anzahl, ein paar private Fotos, die bei Interesse einen Ausschnitt aus Ihrem Privatleben zeigen können, und vor allem die Bereitschaft, von sich zu erzählen und emotional zu sein.
Wenn Ihnen ein Geschäftsempfang angekündigt wurde, legen Sie sich im Geist schon eine Rede zurecht, die man von Ihnen nach dem ersten Toast erwartet. Den ersten Toast bringt immer Ihr russischer Gastgeber aus. Stehen Sie anschließend auf, warten Sie, bis alle Gläser gefüllt sind, und loben Sie mit viel Gefühl und Begeisterung alles, was Ihnen an Land und Leuten und vor allem an dem Geschäftspartner gefällt.
Seien Sie dabei nicht bescheiden, zu direkt oder gar gefühlskalt! Mit Humor, einem Witz, einem deutschen Gedicht oder gar Lied erobern Sie die Herzen Ihrer Zuhörer eher. Und genau darum geht es.
LandRusslandDeutschland Kulturstandard Durchdringung von beruflicher und privater Sphäre Trennung von Beruf und Privatem Kulturdimension Diffuses Vorgehen Spezifisches Vorgehen Positive Wirkungen Sehr persönliche Kontakte Menschliche Vielfalt berücksichtigt Geht in die emotionale Tiefe Wertschätzung des Kontextes Logisch und sachlich Auf ein konkretes Ziel gerichtet Objektive Zahlen, Daten und Fakten benötigt Schneller Kontakt Nachteilige Wirkungen Braucht mehr Zeit Subjektiv Wirkt umständlich und „zu nah“ Indirekte und verdeckte Signale Eher lose Verbindungen zu MenschenOberflächlich Große Direktheit Wirkt kalt und berechnendHier gibt es eine Parallele zur ersten Dimension, in der sich russische Emotionalität und deutsche Neutralität gegenüberstehen. Das diffuse Vorgehen hat für Russen den Vorteil, dass sie einen Menschen auf verschiedene Weisen kennenlernen können – beim Essen, auf einem Stadtrundgang, wenn sie ihn zum Angeln oder ihn sogar in die Sauna einladen.
Die Rolle dieser scheinbaren „Freizeitaktivitäten“ besteht darin, den noch fremden potenziellen Geschäftspartner aus verschiedenen Blickwinkeln zu erleben und ihn oder sie „auf Herz und Nieren“ zu überprüfen. Die deutschen Partner sollten sich darauf einlassen. Und fast nebenbei hat schon so mancher Techniker seine kreative Seite an sich entdeckt.
Diese Dimension ist für die Personalauswahl sehr bedeutsam, da künftige Mitarbeiter in Russland lange im Kreis der eigenen Bekannten gesucht wurden. So konnte man sich in unsicheren Zeiten etwas sicherer sein, dass die gesuchten Mitarbeiter sich dem Unternehmen loyal gegenüber verhalten würden.
Da eine vertraute Person diesen Menschen empfahl, konnte man das Vertrauen auf den Unbekannten ausweiten und sparte sich die Phase des Vertrauensaufbaus. Inzwischen ändert sich die Personalauswahl in den großen Städten. Man setzt zunehmend auf Kompetenz, aber nicht in demselben Maße, wie Sie es aus Deutschland kennen.
Dass die meisten Deutschen Pünktlichkeit für eine Tugend halten und sich von ihren Uhren antreiben lassen, ist ein weiteres Kennzeichen unserer Nation in Russland. Diese Dimension hängt mit der verinnerlichten Kontrolle und der Regelorientierung zusammen. Da diese Komponenten in Russland nur schwach ausgebildet sind, können Sie sich denken, dass es auch mit der Zeitorientierung anders aussieht – Russland erstreckt sich über elf Zeitzonen! Bedenken Sie, Störungen sind hier an der Tagesordnung, und so helfen feste Pläne nur als grobe Orientierung.
LandRusslandDeutschland Kulturstandard Multiaktive Planung Lineare Zeitplanung Kulturdimension Synchron (polychron) Multiaktives Zeitverständnis Sequenziell (monochron) Linear-aktives Zeitverständnis Positive Wirkungen Menschen und Umstände geben Rhythmus an Unterschiedliches Tempo je nach Bedeutung der Sache Hohe Flexibilität bei PlanungenPläne als grobe Rahmen Unter Druck wird immenses Tempo erreichtViele Änderungen in detaillierten Planungen möglich „Lockeres Verhältnis“ zur Zeit Auch Überstunden werden geleistet, wenn nötig Immer nur eine Sache nach der anderen erledigen Detaillierte Planungen und Zeitstrukturen als fester FaktPünktlichkeit als hoher Wert Verantwortung für Termintreue Hohe Berechenbarkeit Nutzung von Terminkalendern, Planern, PC-basierten Instrumenten Arbeitszeit ist normiert und wird eingehalten Nachteilige Wirkungen Pünktlichkeit hängt von Status und Bedeutung der Sache ab Wenig Verlässlichkeit von Zeitplänen Termintreue muss mit persönlichen Kontakten gekoppelt werden Fixierung auf Effektivität Wenig Flexibilität bei Änderungen Menschen sind Sklaven der Uhr Hoher StressfaktorDen unterschiedlichen Umgang mit Zeit illustrieren wir Ihnen im Folgenden an einem konkreten Fall. Darum soll hier die Übersicht zunächst genügen.
Diese aufgezeigten sechs Dimensionen treten selten in „Reinkultur“ auf, sondern mischen sich üblicherweise miteinander. Der folgende Konflikt aus der Praxis zeigt Ihnen, wie Sie diese Dimensionen als „Analysebrille“ nutzen können.
Ein mittelständisches Unternehmen der Lebensmitteltechnologie aus Norddeutschland ist mit seinen hochwertigen Produkten seit Jahrzehnten führend auf dem russischen Markt, der über 50 Prozent des Gewinns für das international agierende Unternehmen einbringt. Die Produkte werden in Deutschland produziert und dann per LKW nach Russland geliefert. Dort gibt es ein breites Netz an Generalhändlern („Dilery“, von engl. „Dealer“), die für den Vertrieb zuständig sind.
Die deutsche Personalabteilung kannte die kulturellen Unterschiede und bestellte eine Serie von interkulturellen Trainings bei der Autorin. Ein Teil der Trainings fand in Deutschland, der andere Teil in Russland statt. Auf diese Art und Weise erfuhren beide Seiten, was die jeweiligen Standards im Arbeitsverhalten der Russen beziehungsweise der Deutschen waren, warum bestimmte Dinge schiefliefen und lange Videokonferenzen nicht einfach alles änderten.
Ein Fall wühlte die russischen Mitarbeiter besonders auf: Ein langjähriger Großkunde, nennen wir ihn hier Igor Maximov, rief in Russland seinen ständigen Kontaktpartner der Firma, Alexej Lomakin, an und gab eine Bestellung von beträchtlichem Volumen bei ihm in Auftrag. Alexej bearbeitete den Auftrag sofort, sandte alle nötigen Unterlagen zur Produktion der Ware nach Norddeutschland. Dabei ließ er andere Aufträge, die aus seiner Sicht weniger wichtig waren, unbearbeitet liegen.
Binnen einer Woche rief Herr Maximov täglich bei Alexej an und änderte den Auftrag, mal die Komponenten, mal den Umfang der Lieferung, mal den künftigen Einsatzort der Produkte. Alexej stellte die Änderungen jedes Mal Deutschland sofort zur Verfügung.
Nach der vierten Änderung rief sein deutscher Kollege, Herr Meier, bei ihm an und meinte, dass er nun die Bestellung an die Produktion geben müsse, sonst sei der Liefertermin nicht zu schaffen. Alexej solle dem Kunden sagen, dass er nicht täglich alles ändern könne, in Deutschland müsse das schließlich alles geplant werden.
Drei Tage später fragte Herr Maximov eine weitere Änderung an, aber anstelle von Herrn Meier rief Alexej nun dessen Abteilungsleiter an, um sich mit ihm zu beraten. Als das Herr Meier erfuhr, griff er zum Telefon und teilte Alexej in sehr sachlichem Ton mit, er solle sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen und lieber seine eigene Arbeit anständig machen. Alexej seinerseits ging nach diesem Telefonat außer sich vor Wut zum russischen Geschäftsführer und beschwerte sich über die arroganten Deutschen.
Im Training war Alexej immer noch sehr aufgeregt, als er diesen Vorfall wiedergab. Seine russischen Kollegen unterstützen ihn in seiner Meinung, dass schließlich das Image der deutschen Firma auf dem Spiel stehe, wenn man einen Großkunden nicht voll zufriedenstelle, und Alexej doch nur das Wohl der Firma im Kopf gehabt habe. Herr Meier habe offenbar nicht begriffen, dass Geschäfte in Russland eben anders liefen – so unflexibel, wie er sich gezeigt habe.
Wir betrachten alle sechs Dimensionen, um den Konfliktfall zu analysieren:
Dimension 1 – Gefühle zeigen (Umgang mit Emotionen) Dimension 2 – Flexibilität (Partikularismus/Universalismus) Dimension 3 – Zusammenarbeit (Kollektivismus/Individualismus) Dimension 4 – Beziehungen (diffuse/spezifische Beziehungen) Dimension 5 – Hierarchiedenken (Status/Zuschreibung) Dimension 6 – Zeitempfinden (Umgang mit der Zeit)
Herr Meier behält seine Wut über den russischen Kollegen für sich, aber sein betont sachlicher Tonfall und seine Bemerkung, Alexej Lomakin habe sich „eingemischt“, deutet der russische Kollege als arrogantes Verhalten und emotionale Kampfansage. Alexej reagiert empört auf den Angriff auf seine Loyalität und greift zu dem aus seiner Sicht einzig möglichen Mittel – dem Gang zum Geschäftsführer.
Alexej Lomakin betrachtet den Auftrag von Igor Maximov als einen Sonderfall: Der Großkunde braucht besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung. Für ihn ist er bereit, Ausnahmen zu machen, andere Aufträge zurückzustellen, viele Änderungen vorzunehmen und sich flexibel zu zeigen. Aus der russischen Warte ist dies kompetentes Vorgehen (Partikularismus).
Für Herrn Meier gelten standardisierte Prozesse, nach denen eine Bestellung bearbeitet wird und die es ermöglichen, nach fest geplanten Schritten pünktlich zu produzieren und auszuliefern, unabhängig davon, wer der Kunde ist und was er darstellt (Universalismus). Jede Änderung ist ein Störfall in dieser Prozesskette, die jedes Mal von vorn beginnen müsste.
In einem Konfliktfall ist für die Lösung in russischen Unternehmen stets der Vorgesetzte verantwortlich. Darum wendet sich Alexej an den Chef von Herrn Meier, da er aus dem Telefonat mit Herrn Meier verstanden hatte, dass dieser nicht bereit war, sich flexibel auf die Bedürfnisse des Großkunden einzustellen und keine weiteren Änderungen mehr vornehmen würde. Als er für sein aus seiner Sicht völlig angemessenes Verhalten auch noch zurechtgewiesen wird, geht er eine hierarchische Ebene höher, zum Geschäftsführer, da er sich verletzt und in seiner Ehre als der Firma gegenüber loyal handelnder Mitarbeiter gekränkt sieht (Kollektivismus).
Herr Meier ist Experte auf seinem Gebiet und kennt seine Aufgaben ganz genau. Er entscheidet selbstständig (verinnerlichte Kontrolle) und berät sich nur in Ausnahmefällen mit seinem Chef (Individualismus). Aus seiner Sicht arbeitet Alexei nicht ordentlich genug.
Für Alexej steht die Pflege der Beziehung zu Herrn Maximov an erster Stelle. Er betrachtet diese Beziehung im Gesamtgeflecht (diffus) ihrer Geschäftsbeziehungen und nimmt sich entsprechend mehr Zeit für diese Beziehungspflege.
Herr Meier betrachtet seine Beziehung zu dem russischen Kunden und seinem Kollegen rein arbeitstechnisch (spezifisch). Für ihn ist wichtig, dass es keine Unklarheiten in den Verantwortlichkeiten gibt und die Lieferung termingetreu vom Hof rollt.
Alexej ist sich klar über die Möglichkeiten, die ein einflussreicher Geschäftsmann wie Herr Maximov mit seinem Netzwerk an weiteren Geschäftspartnern hat. Er weiß, dass dieser von seinen Erfahrungen mit der deutschen Firma seinen Freunden erzählt und somit direkten Einfluss auf das Ansehen und das Image der Firma in Russland hat. Alexej ist stolz darauf, eine gute Firma zu vertreten und sorgt sich um den Status der Firma und indirekt damit verbunden um seinen eigenen. Außerdem sollte seiner Meinung nach ein Kollege unbedingt den anderen unterstützen (Komanda).
Für Herrn Meier zählt fachliche Leistung, die für ihn nach klaren Richtlinien bewertet und honoriert wird. Als er bemerkt, dass Alexej Lomakin seine fachliche Autorität einfach übergeht und sich an seinen Chef wendet, ist er empört. Aus seiner Sicht würde sein Chef auch nicht anders reagieren (Team).
Pläne sind in Russland steten Veränderungen unterworfen und müssen flexibel an Wünsche der Kunden, veränderte Marktbedingungen, Konkurrenz und andere Faktoren angepasst werden. Für Alexej ist das normaler russischer Alltag und entsprechend multiaktiv springt er von einem Auftrag zum anderen.
Herr Meier folgt klaren, im EDV-System abgelegten Vorgängen, mit deren Hilfe er Aufträge bearbeitet. Er hat feste Zeitintervalle im Kopf, wie lange ein Vorgang dauern darf und was auf diesen folgt. Schnelle Änderungen sind schier unmöglich.
Die Analyse des Konfliktes mit den sechs Dimensionen hat viele kulturelle Stolpersteine zutage gefördert. Was sollte man jetzt tun?
In einem nächsten Schritt hat die Firma einen Prozess angestoßen, in dem diese Unterschiede beiden Seiten erst einmal als kulturell bedingte Verschiedenheiten klargemacht wurden. Bis dahin hatten viele Mitarbeiter nicht verstanden, dass es generell andere Verhaltensweisen gab, die beide Länder trennten.
In einem moderierten Workshop, an dem Vertreter beider Firmensitze teilnahmen, wurden andere Abläufe in der Bearbeitung der Bestellungen aus Russland diskutiert, die mehr Flexibilität für die russischen Kollegen ermöglichten, ohne den Planungshorizont der deutschen Produktion zu verdunkeln. Nach einem halben Jahr gab es einen weiteren Workshop, in dem überprüft wurde, ob die getroffenen Vereinbarungen Gewinn gebracht hatten und die Zufriedenheit und Motivation aller Mitarbeiter höher war als vor dem Prozess.
Die folgenden zwei Abschnitte geben einen Einblick, wie sich deutsche und russische Geschäftspartner gegenseitig wahrnehmen. Diese zwei Sichtweisen beleuchten die eher theoretischen Kulturdimensionen aus ganz praktischer Sicht.
Hier nun einige Aspekte, die Sie in der Praxis auf jeden Fall beachten sollten:
Mit diesen Hinweisen können Sie schon viele deutsch-russische Kulturhürden meistern. Die Merkmale der russischen Geschäftskultur erläutern wir Ihnen im Kapitel „Das Personal“, wenn es um das deutsch-russische Miteinander geht. Als Zusammenfassung dieses Kapitels folgen Hinweise, was Ihren Erfolg sichert.
1. Johannes Kiess, Kultur und Vertrauen in der russischen Wirtschaft: Blat, Kryscha, kollektive Korruption. Dissertation der Universität St. Gallen. Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Wirtschaftswissenschaften, 2007.