Der Tanz mit den Monstern – Wie man gut durch Krisen kommt - Christian Rammel - E-Book

Der Tanz mit den Monstern – Wie man gut durch Krisen kommt E-Book

Christian Rammel

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Beschreibung

Darwin meets Business Unsere Welt verändert sich rasend schnell. Und die konventionellen Business-Mantras fahren uns in dieser immer komplexer werdenden Welt über kurz oder lang mit Höchstgeschwindigkeit gegen die Wand! Wie es CEOs, Managern und Gründern künftig besser gelingt, ihre Unternehmen erfolgreich durch Krisen zu navigieren, weiß Evolutionsbiologe und Wirtschaftsprofessor Christian Rammel. Er erklärt, warum Darwins evolutionäre Erkenntnisse gerade im Zeitalter digitaler Beschleunigung, technologischen Fortschritts und globaler Krisen außergewöhnlich gute Ratgeber sind. Mit Blick auf ungewöhnliche Glanzleistungen und glorreiche Fails in der Evolutionsgeschichte unseres Planeten zeigt der Autor, wie sich Unternehmen auch in einer dynamischen Umwelt langfristig erfolgreich weiterentwickeln, ohne sich von unangenehmen Überraschungen gleich aus der Bahn werfen zu lassen. Eine Checkliste mit 15 konkreten Regeln für den erfolgreichen Umgang mit Veränderungen hilft dabei, dass aus der nächsten Krise keine Katastrophe wird!

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Seitenzahl: 186

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CHRISTIAN RAMMEL

DER TANZ MIT DEN MONSTERN

WIE MAN GUT DURCH KRISEN KOMMT

CHRISTIAN RAMMEL

DER TANZ MIT DEN MONSTERN

WIE MAN GUT DURCH KRISEN KOMMT

Was Unternehmen von Darwins Ecolutiontheorie lernen können

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

1. Auflage 2024

© 2023 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Redaktion: Christiane Otto

Umschlaggestaltung: MarcTorben Fischer

Umschlagabbildung und Illustrationen im Innenteil: Guillaume Korompay

Satz: inpunkt[w]o, Wilnsdorf (www.inpunktwo.de)

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978-3-86881-954-0

ISBN EBook (PDF) 978-3-96267-558-5

ISBN EBook (EPUB, Mobi) 978-3-96267-559-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für ALS Ich hoffe, sie wissen dort zumindest, wie man guten Ristretto macht.

INHALT

Vorwort: Die eine oder andere Reise

I. Von goldenen Kugeln und Liebeskummer

II. Veränderung? Nein danke!

III. Sir Isaacs Taschenuhr

IV. Charles Darwin und was Evolution erstaunlicherweise doch nicht ist

V. Nur drei Zutaten

VI. Es war einmal

Vorreiter im Dornröschenschlaf

Die Ziegen des Kapitän Cook

Der effiziente Wahnsinn

Tritt mich!

Plötzlich ein Haufen Asche

Besser verstopft als ausgestorben

Die Herzensbrecher

Die Besten erwischt es zuerst!

Mr. Stummelflosse

Das Superhuhn

Kooperative Aliens

Mein Fisch, dein Fisch, unser Fisch

Die Moral von der Geschichte

VII. Wie eine Fahrt auf der Achterbahn

VIII. Eine ganz kurze Bestandsaufnahme

IX. Das große Rennen durch die Krise

Der Beste fällt aus

Die Effizienz fällt aus

Die Fehlerfreiheit fällt aus

Die Stabilität fällt aus

Die Kontrolle fällt aus

Die Konkurrenz fällt aus

X. Das Manifest des tanzenden Monsters

XI. Und jetzt, alles neu?

XII. Ein neues Mosaik in deinem Kopf

Nachwort: Let the Monsters dance!

Danke!

Bücher zum Weiterlesen…

Über den Autor

Anmerkungen

Vorwort: Die eine oder andere Reise

Ich habe schon einige Dinge in meinem Leben gemacht - das Schreiben eines Buchs gehörte bis vor Kurzem noch nicht dazu. Wenn ich heute versuche, den roten Faden meines Lebens aufzuspüren, und diesen dann vorsichtig in die Hand nehme, merke ich, dass er sich seit Jahren an der diffusen Grenze zwischen Wissenschaft und Business schlängelt. Am Anfang gab es nicht viele Gemeinsamkeiten zwischen dem, was ich auf beiden Seiten dieser Grenze tat, außer vielleicht, dass ich anscheinend ein ungesundes Faible dafür hatte, unter glühend heißer Sonne wirklich ins Schwitzen zu kommen. Bei biologischen Forschungsreisen in der afrikanischen Savanne ist es nämlich genauso heiß wie im Irak oder Syrien, vor allem wenn du als junger Entrepreneur vom Vorhaben beseelt bist, die Wüsten zu bewässern.

Wenn ich aber genauer darüber nachdenke, wird mir bewusst, dass, abgesehen vom ständigen Sonnenbrand, doch noch eine weitere Gemeinsamkeit existiert: meine Faszination für die Fähigkeit, gut mit Veränderungen umgehen zu können, oder, kurz gesagt, für die Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung. Sustainability definiere ich damals wie heute insbesondere über das Potenzial, sich trotz Überraschungen und Veränderungen erfolgreich weiterzuentwickeln - und zwar wirklich langfristig. Und dieses Potenzial sollte eigentlich einen kontinuierlichen Lernprozess widerspiegeln, wobei es mir sehr recht wäre, wenn die Impulse zum Lernen nicht unbedingt erst durch Katastrophen oder das eine oder andere unschöne Desaster angestoßen werden. Egal welches Start-up ich je gründete, egal welche wissenschaftliche Studie mich nächtelang wachhielt, es ging in der einen oder anderen Form immer wieder um Sustainability und Change. Und obwohl ich in meinen beiden unterschiedlichen Arbeitsbereichen so offenkundig dieselben Themen behandelte, gelang mir tatsächlich jahrelang das Kunststück, die Gemeinsamkeiten schlichtweg zu ignorieren.

Im Nachhinein betrachtet erscheint der Hauptgrund für diese nahezu schizophrene Trennung meiner beiden Arbeitswelten höchst simpel und banal: Ich hatte als Student schlechte Lehrer und Lehrerinnen! Aber das traue ich mich erst heute zu sagen, nachdem ich selbst seit Jahren Studierende unterrichte. Will man schon Steine werfen, sollte man das fairerweise immer im eigenen Glashaus tun. Nein, ich gestehe, die meisten der Vortragenden waren sogar ziemlich gut. Einigen wenigen würde ich selbst heute noch fast die schlammverschmierten Stiefel küssen (Biologen laufen selten mit sauberem oder gar leichtem Schuhwerk herum). Warum? Aus Dankbarkeit, weil sie mir geholfen haben, in die bunte Welt von Charles Darwin einzutauchen. Dagegen waren einige wenige allerdings wirklich übel. Nicht fachlich, ganz und gar nicht. Aber sie waren beseelt davon, die Grenze zwischen Biologie und menschlicher Gesellschaft möglichst unüberwindbar darzustellen und am besten noch mit Stacheldraht abzusichern.

Ich bin mir heute auch gar nicht mehr sicher, ob ihr eigentliches Problem die Angst davor war, als biologistische Sozialdarwinisten angesehen und in der Folge geteert und gefedert zu werden, oder ob es schlichtweg ihr heimlicher Egoismus war, die evolutionäre Spielwiese mit niemandem anderen teilen zu wollen. Was auch immer dahintersteckte, es führte schließlich dazu, dass ich der Biologie den Rücken kehrte. Ich studierte wieder und wurde ein paar Jahre später Professor an einer Business School. Mit ein Grund für meinen damaligen Wechsel war sicher auch, dass ich die Welt ein bisschen besser machen wollte. Ich traue mich jetzt, frech und ohne wissenschaftlichen Beweis, folgende These aufzustellen: In einem Raum mit 100 zufällig ausgewählten Entscheidungsträgern befinden sich zumindest 75 Wirtschaftler, aber maximal ein Biologe, und der hat sich wahrscheinlich auf der Suche nach der Bar oder dem Garten in der Tür geirrt. Nicht dass die in Biologie und Evolution geschulten Geister mit Entscheidungen in den komplexen Sphären sozioökonomischer Interaktion überfordert wären. Zumindest nicht viel mehr als ein Jurist oder eine Betriebswirtin. Ein wenig provokant könnte ich jetzt anführen, dass sie wahrscheinlich sogar weitaus besser dafür ausgebildet wurden, sich in einer hochkomplexen Welt zurechtzufinden, als all die Heerscharen an MBAs mit ihrem ewig gleichen Mantra von einfachen Kausalitäten zwischen Angebot und Nachfrage.

Ich wollte also etwas bewegen, und das sollte nicht auf Blümchen und Bienchen begrenzt sein. Es ist auch erstaunlich, wie viel mehr Menschen einem Wirtschaftsprofessor zuhören als einem Biologen, selbst wenn dieselben Worte gesprochen werden und in meinem Fall sogar vom selben Menschen. Mein Sprung ins kalte Wasser der Wirtschaft verursachte jenes frische Prickeln, das ich mir erhofft hatte. Ich konnte mich wildentschlossen meiner Faszination für Sustainability und Change widmen - und dabei gleichzeitig versuchen, an einer besseren Welt zu basteln. Anfangs war ich auch begeistert von all den Möglichkeiten, die sich plötzlich so freundlich lächelnd vor mir auftaten: von der Leitung einer Start-up-Akademie bis hin zur Entwicklung neuer Studienprogramme. Schon als Biologe hatte ich zur Genüge mit der brutalen Eleganz ökonomischer Maximierung und engstirniger Verwertung zu tun gehabt. Daher suchte ich bereits am ersten Tag an der Business School nach alternativen Ansätzen, nach den kritischen Köpfen und den subversiv Querdenkenden meiner neuen wissenschaftlichen Heimat. Und ich fand sie natürlich auch. Jede Disziplin hat ihren Zirkus, ihre eigene Freakshow der geistigen Monstrosität. Im Laufe der Zeit entkommt auch immer wieder einer dieser Freaks und findet sich plötzlich ziemlich sprachlos in der Reihe ehrwürdiger Nobelpreisträger und Nobelpreisträgerinnen wieder. Wenn wir schon einige Kapitel weiter wären, könnte ich jetzt salopp den Begriff Hopeful Monsters einwerfen, aber dazu kommen wir später.

Ich wühlte mich also durch die Alternativen wirtschaftlichen Denkens und hatte auch schon bald einen brauchbaren Bauchladen voll kritischer Methoden und Ansätze, mit denen ich auszog, um mich den Herausforderungen einer Welt voller Überraschungen, Krisen und Ungerechtigkeiten zu stellen. Eines der schönsten Gefühle, wenn man Neuland betritt - und meine neue wissenschaftliche Reise führte mich wirklich durch ein Terra incognita -, ist dieses Gefühl, neu beginnen zu können. Es ist diese wunderbare und befreiende Nulllinie eines Neuanfangs. Diese unbeschwerte Freude des ersten Atemzugs, nachdem der Rucksack vergangener Mühen und Fehler von den Schultern rutscht. Kurz gesagt, es war ein gutes Gefühl - und trotzdem war da ein kleines Quäntchen Unzufriedenheit, das sich langsam seinen Weg an die Oberfläche meines Bewusstseins bahnte und sich dort ausbreitete. Über die Jahre hinweg dehnte sich diese Unzufriedenheit in mir immer weiter aus, und die Begeisterung für die glitzernden Dinge in meinem neuen Bauchladen nahm stetig ab. Irgendetwas bohrte in mir, aber ich hatte keine Ahnung, was.

Heute weiß ich, dass ich es eigentlich gar nicht wissen wollte, weil ich Angst hatte, dann die Konsequenz ziehen zu müssen. Aber bald darauf kam ein Vortrag, der alles ändern sollte. Nein, nicht mein eigener. Es war der Vortrag eines genialen Physikers, den ich mehr oder weniger zufällig hörte - und jetzt kommt eine kurze nervöse Kunstpause, denn natürlich sollte hier der Name dieses Mannes stehen, der nichts Geringeres vollbrachte, als noch einmal mein ganzes wissenschaftliches Gedankengebäude auf den Kopf zu stellen und dabei en passant meine Unzufriedenheit vor die Tür setzte. Aber es hilft nichts, zu meiner Schande habe ich seinen Namen komplett vergessen. Doch was ich bis heute nicht vergessen kann, sind diese zwei besonderen Sätze: Es ist ein purer Zufall der Geschichte, dass Charles Darwin die Kernelemente evolutionärer Prozesse als erster in der Biologie entdeckt hat. Mit ein wenig Glück hätten andere Wissenschaftler in Disziplinen wie der Physik, der Soziologie, der Linguistik, der Kulturwissenschaften oder der Wirtschaftswissenschaften diese Phänomene auch in ihren eigenen Disziplinen finden und erforschen können.

Wenn ich heute an diesen Moment zurückdenke, spüre und höre ich immer noch dieses leichte Pochen in meinem Kopf, das ich vernommen habe, als sich damals die beiden Sätze langsam ihren Weg in mein Bewusstsein bahnten und damit das geistige Ausmisten starteten. Ohne mich jetzt in der Beschreibung der intensiven Tage und Wochen nach dem Vortrag des »namenlosen« Physikers zu verlieren, komme ich gleich auf das Wesentlichste: Ich hatte sie endlich gefunden, und zu meinem Erstaunen merkte ich, dass sie immer schon da gewesen war - die Brücke zwischen meinem wissenschaftlichen Ursprung, der Evolutionstheorie, und meinem Interesse am mysteriösen Verhalten von Märkten, Unternehmen und großen Institutionen im Angesicht unliebsamer Veränderungen und Krisen. Ich begriff schlagartig, dass ich schon seit Jahren einen mächtigen Hebel hatte, um der Welt die Antworten auf einige der für mich entscheidendsten Fragen zu entreißen. Was sichert in einer komplexen Welt langfristig Überleben und Weiterentwicklung? Welche Strukturen und Prozesse muss ich unterstützen, um erfolgreich mit radikaler Veränderung oder unvorhersehbaren Krisen umzugehen? Wie plane und entscheide ich angesichts von Unsicherheit und Überraschung? All diese Fragen sind für eine Population australischer Fetzenfische genauso elementar wie für eine kleine mexikanische Sombreromanufaktur oder für den Onlineriesen Google. Obwohl ich davon ausgehe, dass sie sich wahrscheinlich selbst diese Fragen nie stellen, und zwar keiner von den dreien.

Ein Jahr später war das Ausmisten und Neustrukturieren in meinem Kopf abgeschlossen. Eigentlich war mir schon jahrelang klar, dass sich tierische und pflanzliche Populationen, Basketballmannschaften, ein Bienenstock oder eben auch ein Unternehmen allesamt als evolutionäre Systeme beschreiben lassen und für sie alle damit auch dieselben basalen Prinzipien evolutionärer Prozesse gelten müssen. Das heißt nicht im Geringsten, dass sich die kulturelle Dynamik des Menschen auf rein genetische Prozesse reduzieren lässt. Kulturelle und biologische Evolution haben beide ihre ganz spezifischen Eigenschaften, aber sie basieren auf den gleichen Grundprinzipien. Und das macht vieles möglich. Das macht sehr vieles möglich! Es gibt wahrscheinlich keine wissenschaftliche Theorie, die sich in ihrem ureigensten Kern so fundiert mit dem Wesen komplexer Veränderung befasst wie die Evolutionstheorie. Was aber ist für ein Business die zentrale Herausforderung, wenn nicht der erfolgreiche Umgang mit komplexen Veränderungen? Das wahre Potenzial der alten Idee Darwins entfaltet sich daher weit entfernt von Dinosauriern, Fossilien und dem unbestimmten Wissen, dass Menschenaffen und wir dieselben haarigen Vorfahren hatten. Aber dazu lass ich ein wenig später lieber jemanden sprechen, der viel berufener ist und der darüber hinaus sehr talentiert auf goldenen Kugeln tanzt. Doch auch dazu später mehr.

Ausgerüstet mit meinem neuen, alten Hebel konnte ich nicht nur Probleme viel besser verstehen und lösen als mit meinem wirtschaftlichen Handwerkszeug, ich schaffte auch etwas anderes: Ich begann eine weitere Reise, diesmal ins bunte Land der Vortragsredner. Es reichte mir nicht mehr, in der sicheren Abgeschiedenheit der Universität meine Runden zu drehen. Vielleicht auch deshalb, weil im gepflegten Garten einer Business School wenig Platz für evolutionäre Wildkräuter ist, selbst wenn sich das erfreulicherweise langsam zu ändern scheint. Vor vielen Leuten meine Ideen vorzutragen und dabei den einen oder anderen Kunstgriff anzuwenden, damit es nicht nur um reine Wissensvermittlung geht, sondern auch um freudvolle Inspiration, kannte ich schon aus dem Hörsaal. Der Unterschied zwischen beiden Settings ist nicht allzu groß. Nur sind bei Vorträgen die Zuhörenden meist ein wenig älter, schwätzen dafür weniger und ihre Zwischenfragen sind harmloser.

Das Großartige bei Vorträgen vor illustrem Publikum wie Bankdirektorinnen, Risikomanagern oder dem Führungspersonal von Krankenhäusern (einmal waren es sogar Nonnen) ist der enorme Lerneffekt für einen selbst. Es sind nicht nur die Fragen aus völlig unerwarteten Richtungen, die einen schweißnass zur geistigen Höchstleistung treiben oder in mehr oder weniger beschämende Ausflüchte. Es ist vor allem der sanfte Zwang, das eigene konfuse Denken in geordnete Bahnen zu lenken und den chaotischen Wildwuchs unreifer Ideen in separate Brutkästen oder dunkle Gummizellen zu stecken. Mit jedem meiner Vorträge lernte ich nicht nur mehr über meine Themenbereiche, mit der Zeit bildete sich auch so etwas wie eine große Idee heraus. Groß ist natürlich immer relativ, und nein, die »Größe«, die ich meine, sonnt sich hoffentlich nicht im Licht der völligen Selbstüberschätzung. Meine große Idee, die sehr vorsichtig und anfangs noch ziemlich ungelenk in meinen Gedanken gehen lernte, war etwas sehr Persönliches. Sie schien nämlich zahlreiche der losen Fäden meiner alten und neuen Ideen nahtlos zu verbinden und langsam in eine Art evolutionäres Weltbild zu wandeln. Weltbilder haben natürlich den Vor- oder Nachteil, dass man sie gerne teilt, und das leider oft völlig unaufgefordert. In meinem glücklichen Fall wurde ich jedoch nicht nur zum Teilen aufgefordert, sondern obendrein auch noch dafür mit Honorarnoten belohnt.

Besonders schön war aber das positive Echo auf mein evolutionäres Weltbild. Und zu meinem großen Erstaunen kam dieses Echo aus den unterschiedlichsten Bereichen und von Menschen, von denen ich es niemals erwartet hätte.

Wenn ein Investmentbanker nach einer evolutionären Kurzgeschichte über Hühner dir mit leicht verklärtem Blick dankt, weil er meint, jetzt endlich den Wert von Kooperationen verstanden zu haben, dann hat das schon was und motiviert ziemlich. Aber anscheinend war ich immer noch nicht motiviert genug für die nächste Reise, die mich letztendlich dazu brachte, mit leichter Nervosität und nahezu kindlicher Freude an diesem Vorwort zu feilen. Dazu brauchte es noch zwei Dinge: die Pandemie und den Ratschlag eines Freundes. Über die globale Krise rund um Covid-19 möchte ich vor lauter Unbehagen gar nicht viele Worte verlieren. Während ich diese Zeilen hier schreibe, wütet der Virus ungebremst und stellt unser Leben auf dramatische wie tragische Weise völlig auf den Kopf. Wir alle sind unserer »neuen Normalität« mehr als überdrüssig, und ich bin zudem immer noch entsetzt über den sträflichen Wahnsinn, der versucht, mit alten mechanistischen Konzepten dieser Krise beizukommen, und doch nichts anderes bewirkt als oft katastrophales Versagen. Das war der eine ungewollte Tritt in Richtung dieses Buchs. Das andere war kein Tritt, sondern es waren vielmehr die richtigen Worte, die einem das Zögern auf den letzten Metern nehmen und mir dabei halfen, meine Reiseroute nachzuschärfen. Diese Worte kamen von Markus Gull, der mich obendrein mit subtiler Brutalität dazu nötigte, darüber nachzudenken, welche Antworten mein Buch eigentlich geben soll und vor allem auf welche konkreten Fragen. Ich gestehe, im Nachhinein erscheinen mir die beiden Fragen, die ich schließlich gefunden habe, nicht nur recht simpel, sie lagen eigentlich schon seit Jahren auf der Hand. Trotzdem haben sie mich viele Stunden des Grübelns und des inneren Monologs gekostet:

Mit welchen Schlüsselprinzipien der Evolution navigiert man erfolgreich durch eine Krise? Und im Windschatten dieser einen großen Frage lungert provokant auch noch eine kleinere herum: Warum ist unser wirtschaftliches Denken so besonders »gut« darin, aus Krisen, dieeigentlichnur Zeichen einer notwendigen Veränderung sind, immer wieder echte Katastrophen entstehen zu lassen?

Die Antworten auf beide Fragen sollten auf den nächsten Seiten leicht zu finden sein, auch wenn sie sich hin und wieder zwischen den Zeilen einer kleinen Geschichte oder in den Analogien rund um das kleine darwinistische Monster verstecken. Sie sind aber nur deshalb versteckt, weil sie von dir dort gefunden werden wollen, und natürlich auch, damit du beim Lesen hin und wieder ein wenig schmunzeln kannst. Ein fieser Trick von mir, denn so versuche ich, deine mentalen Filter zu umgehen und dich offener für Neues zu machen. In einem trockenen wissenschaftlichen Monolog müsstest du bequemerweise nichts selbst suchen. Die Daten und Fakten würden schön geordnet vor dir liegen. Dein Gehirn würde mehr oder weniger skeptisch das Gelesene analysieren, vergleichen, abwägen, wenn du Glück hast, die eine oder andere Assoziation knüpfen und schließlich alles penibel in den Aktenschrank deines Gedächtnisses einordnen. Und deine alten Erfahrungen wären dabei dein Archivar und strenger Zensor zugleich. Als Autor bin ich natürlich nicht gerade ein großer Freund deines Zensors. Dieser biedere Kerl arbeitet nämlich verbissen gegen das, was ich mir für diese letzte Reise fest vorgenommen habe: dich dazu zu inspirieren, einige Dinge durch eine etwas andere Brille zu sehen und endlich den einen oder anderen Schritt in eine völlig ungewohnte Richtung zu setzen. Die Dinge, um die es dabei geht, sind Veränderungen, Krisen und Katastrophen, und die Brille, die ich dir gerne aufsetzen würde, ermöglicht eine Perspektive evolutionärer Erkenntnis - und weil mir das jetzt fast schon zu pathetisch klingt, formuliere ich es noch einmal anders: Werfen wir einfach einmal einen »monströsen« Blick darauf!

I. VON GOLDENEN KUGELN UND LIEBESKUMMER

It takes all the running you can do to stay in the same place.

If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that. (Sagte einmal die Rote Königin zu Alice im Wunderland - Lewis Carroll)1

Business ist immer hart! Egal ob du CEO, Unternehmerin, Manager oder freischaffend bist, im großen Zirkus des Kaufens und Verkaufens erfolgreich mitzuspielen, war noch nie leicht. Aber in Zeiten von Globalisierung, virtueller Ökonomie und Digitalisierung wird es noch schwieriger. Und es wird nicht nur schwieriger, alles geht auch immer schneller. Viel schneller. Wahrscheinlich wird kein Tag mehr so langsam sein wie der heutige.

Unser wirtschaftlicher Alltag ist in diesen verrückten Zeiten nicht nur, wie viele behaupten, ein Tanz über ein wackliges Drahtseil, denn da sind immerhin noch die beiden oder, besser gesagt, die drei Richtungen vorgegeben. Es ist viel eher ein chaotischer Tanz auf einer sich sehr schnell drehenden goldenen Kugel. Eine goldene Kugel, die nicht nur immer wieder rein zufällig ihre Richtung und Geschwindigkeit ändert, sondern obendrein auch noch durch eine Landschaft rast, in der kontinuierlich Berge und Täler entstehen und plötzlich wieder verschwinden, und das alles völlig zufällig und unberechenbar.

Viel schöner beschreibt diese Dynamik das Bild der ständig laufenden Roten Königin bei Alice im Wunderland, auch wenn sie leider nicht auf einer Kugel tanzt. Ihre Botschaft ist im Grunde recht simpel: Du musst ständig auf Veränderungen reagieren! Es ist gefährlich, stehen zu bleiben und sich auf dem gestrigen Erfolg zufrieden auszuruhen. Denn wenn du das tust, rast die Welt über dich hinweg und tritt dir dabei grinsend in den Allerwertesten. Unser eigener Erfolg oder Misserfolg hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die wir weder erahnen noch kontrollieren können. Da betritt zum Beispiel ein neuer Konkurrent den Markt, und anderswo entsteht vielleicht eine neue Technologie, wodurch die Karten für dich wieder neu gemischt sind: Ganz plötzlich wirkt dein Tanz auf der goldenen Kugel wie das wilde Herumgezappel von Charlie Chaplin - nur mit viel weniger Spaß.

Unsere Welt und unsere Märkte verändern sich nicht nur rasant, sie verändern sich auch völlig unvorhersehbar. Da eine Finanzkrise, dort eine Pandemie und wieder anderswo poppt irgendein verrückter Trend auf, der unsere schöne Planung schlagartig auf den Kopf stellt. Wer wusste gestern schon, was Blockchain oder TikTok sind? Unternehmen merken immer öfter, dass jeder ihrer großartigen Erfolge, jede ihrer noch so genialen Innovationen, alles, was gestern noch so schön funktioniert hat, vielleicht schon morgen auf dem Schrottplatz der Unternehmensgeschichte landet.

Einfach so.

Völlig unerwartet.

Game over!

Kein Wunder, dass solch ein Spannungsfeld aus Unsicherheit und radikalen Veränderungen die meisten klassischen Managementkonzepte ziemlich schnell alt aussehen lässt. Und immer dann, wenn diese Dynamik das strenge Korsett unserer klassischen Kontroll- und Stabilisierungsmaßnahmen sprengt, sprechen Wirtschaftsgurus von kleineren oder größeren Krisen, und es beginnen endlose Debatten, wie denn diese Krise zu verhindern gewesen wäre. Das ist nicht nur furchtbar langweilig, das bringt auch wenig! Denn was ist das eigentlich, eine Krise?

Die alten schlauen Griechen beschrieben mit κρίσις (krísis) den Höhepunkt und notwendigen Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung. Die Krise als Signal: RICHTUNGSWECHSEL!!! Und zwar jetzt! Eine καταστροφή (katastrophé) war für sie jedoch die Wendung zum Schlechten und genau jener Punkt, an dem es versäumt wurde, die Richtung zu wechseln, und an dem es zu spät für eine Umkehr ist. Abzweigung verpasst und mit Vollgas in die Sackgasse. Crash!

Dieser nicht nur semantisch feine Unterschied zwischen der Notwendigkeit, mutig etwas Neues auszuprobieren, und dem eigenen Untergang wurde mir übrigens von Yannis bei einer Flasche Tsipouro auf einer griechischen Insel beigebracht. Den alten Mann mit dem versonnenen Blick hatte einst die Liebe dazu ermuntert, seinen Job als Professor für Altgriechisch in Athen an den Nagel zu hängen und mit der Frau seines Lebens eine Bar aufzumachen.

Apropos Liebe! Um Krisen zu verstehen, müssen wir eigentlich nur eines wissen: Krisen sind wie Liebeskummer. Sie sind schmerzhaft, lehrreich und völlig normal. Und im Unterschied zu Katastrophen können wir sie nicht verhindern.