Der Tod segelt mit - Andreas Schnabel - E-Book

Der Tod segelt mit E-Book

Andreas Schnabel

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Beschreibung

Schauplatz Ostsee: ein packender Segel-Krimi vor stürmischer Kulisse. Ein Schulungssegeltörn von Schilksee in den dänischen Kleinen Belt wird zum Alptraum. Zwei der Segelschüler wurden unter falschem Namen auf das Boot gebracht, um sich vor einem tödlichen Verfolger in Sicherheit zu bringen. Doch der Plan geht nicht auf. Nachdem ein Mann stirbt, flieht die restliche Besatzung auf die Insel Halmø – nur um sich dort einer noch schlimmeren Bedrohung gegenüberzusehen ...

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Andreas Schnabel, 1953 in Hamburg geboren, begann seine Fernsehlaufbahn beim SFB und ging dann als Moderator, Redakteur und Produzent für die Sportredaktion zum damals noch jungen Sender RTL. Heute lebt er in Pulheim bei Köln und verfasst Drehbücher, Kurzgeschichten, Theaterstücke, Lyrik und Kriminalromane.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2024 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, unter Verwendung der Motive von photocase.de/suze, pixabay.com/Rondell Melling

Lektorat: Dr. Marion Heister

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-196-6

Originalausgabe

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Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

Dieser Kriminalroman ist allenMenschen gewidmet, die gern segeln.

EINS

Schilksee am Freitag, dem 5. April

Bert Buske hatte ausnahmsweise schlechte Laune, wie in jeder ersten Woche der Vorsaison, und zwar für ganze sieben Tage. In dieser Zeit mussten die Winschen an Bord aller vierzehn Yachten seiner Segelschule und Chartergesellschaft gewartet werden. Das hieß: jede einzelne dieser Seilwinden auseinanderbauen, sämtliche »Innereien« reinigen, neu fetten und wieder zusammenbauen. Bei so vielen seetüchtigen Schiffen war das eine Menge Arbeit.

»Wieso muss ausgerechnet ich darunter leiden«, brummte der Segellehrer, »dass vor über hundert Jahren die Sklaverei abgeschafft wurde!«

Tine, seine Sekretärin und die gute Seele des Betriebes, war darüber ebenfalls nicht glücklich, dass sie in dieser Woche ihre normale Kleidung gegen einen Blaumann tauschen musste. »Ich höre immer ›abgeschafft‹! In meinem Arbeitsvertrag steht nichts von fünf Tage im Jahr komplett eindrecken und in den Sommermonaten acht Tage in der Woche arbeiten. Das ist Sklaverei! Als Berufsbezeichnung führe ich den Titel ›Büroangestellte‹. Da steht auch nichts von einer eierlegenden Wollmilchsau.«

»Wie wäre es, wenn ich dich ab jetzt Büromanagerin nennen würde?«

»Du könntest mich auch mit ›Eure Heiligkeit‹ anreden. Mehr Geld hätte ich dadurch auch nicht auf dem Konto.«

Er grinste verschmitzt. »Säue werden auch nicht heiliggesprochen, Wollmilchsäue schon gar nicht! Außerdem musstest du hier noch nie Milch geben.«

»Aber mich einsauen!«

»Dafür bete ich dich auch an.«

Sie hörten ein Räuspern hinter sich und drehten sich um.

Zwei in Trenchcoats gekleidete Männer, die vom Aussehen her Zwillinge sein konnten, standen jeweils mit einem Aktenkoffer in der Linken auf dem Steg und sahen auf sie herunter.

»Gehören Sie zur Segelschule Sailaway?«

Beide antworteten: »Jau«, und sie fügte hinzu: »Wir sind die Segelschule Sailaway.«

Der ältere der Herren nickte ihnen freundlich zu. »Dann sind Sie Bartolomeu Buske nebst Gattin!«

Tine lachte auf. »Bartolomeu Buske? Nee, das ist er nicht, das wüsste ich.«

»Halt die Klappe.« Der Skipper erhob sich. »Ja, der bin ich. Das ist aber nicht meine Gattin, sondern Frau Harmsen, meine Büroang… äh … Büromanagerin. Mit wem haben wir die Ehre?«

»Wir sind Zolloberinspektor Bult und Zollamtmann Flatow.« Der Oberinspektor überreichte Buske seine Karte.

»Ach du großer Gott«, entfuhr es dem Skipper, »wenn es mir wieder einfällt, was wir geschmuggelt haben sollen, dann gestehe ich es lieber gleich.«

»Deswegen sind wir nicht hier.«

Der Skipper überlegte. »Wofür ist der Zoll noch zuständig? Habe ich vergessen, irgendwelche Steuern zu zahlen?«

»Nein«, kam die Antwort unisono.

»Wollen Sie mein BAföG zurück?«

Beide schüttelten den Kopf.

Tine legte das Putzzeug beiseite und erhob sich ebenfalls. »Ich habe mal gesehen, wie Leute vom Zoll auf der Jagd nach Schwarzarbeitern waren. Sind Sie deswegen hier?«

»Bring die doch nicht auf blöde Ideen«, blaffte Buske seine Mitarbeiterin an. »Unsere Hände sind schwarz wie die Nacht, und wir arbeiten von früh bis spät. Das ist zumindest verdächtig.«

Die Herren winkten ab. »Der Grund unseres Besuches ist ein geschäftlicher. Wir wollen eine Ihrer Yachten mieten.«

Buske zog die Stirn kraus. »Sie meinen, chartern?«

»Nein, mieten.«

»Also ohne Skipper?«

»Nein, mit.«

»Von welcher Zeit reden wir?«

»Ab sofort.«

»Und wo soll es hingehen?«

»Das können Sie bestimmen, solange Sie auf der dänischen Ostsee bleiben.«

»Und für wie lange?«

»Solange es nötig ist.«

»Was für eine Yacht soll es denn sein?«

Die beiden sahen sich fragend an. »Es wäre hilfreich, wenn sie die ganze Zeit über schwimmen würde. Wenn es drauf ankommt, auch schnell«, scherzte der Amtmann.

Buske zog die Stirn kraus. »Kann es sein, dass Sie keine Ahnung vom Segeln haben?«

Die Herren nickten. »Wozu auch«, antwortete der Zolloberinspektor, »wir würden so ein Boot noch nicht einmal im Hafen betreten. Wir mieten es auch nicht für uns, sondern von Amts wegen.«

»Und für wen, wenn ich fragen darf?« Bei Buske stellte sich Unbehagen ein.

»Darüber sind wir nicht berechtigt Auskunft zu erteilen. Nicht einmal der Kapitän wird das erfahren.«

»Das heißt Skipper auf Segelbooten«, unterbrach ihn Buske.

Der Oberinspektor sah ihn irritiert an. »Die ›Bounty‹ war auch ein Segelschiff und wurde von Kapitän William Bligh befehligt.«

»Das war auch ein Berufssegelschiff. Auf einem Sportboot nennt man den Kapitän Skipper. Auf unseren Schiffen wird auch nicht gemeutert, schon gar nicht für ein Bounty.«

»Womit sich dann aber die Frage aufwirft«, warf der Zolloberinspektor ein, »ob wir von Amts wegen überhaupt ein Sportboot mieten dürfen …«

Beide Zollbeamten sahen sich fragend an.

»… und welche Kostenstelle wird dann damit belastet?«

Dem Amtmann fiel eine Lösung ein. »Ein Sportboot ist für das Amt etwas Besonderes, und dafür haben wir ein Extrabudget.«

Buske und Tine sahen darin kein Problem.

»Moment, meine Herren«, fuhr der Skipper dazwischen. »Die Kostenstelle, von der wir das Geld bekommen, ist uns völlig egal. Hauptsache, wir kriegen es. Bevor Sie wirklich so ein Boot mieten, sollten Sie sich über die internen Modalitäten einig sein. Wenn die klar sind, kommen wir zu den Voraussetzungen.«

Der Amtmann lächelte ihn freundlich an. »Sie haben völlig recht. Wie hoch ist die Chartergebühr?«

»Wie groß soll die Yacht denn sein?«

»Die größte, die Sie haben.«

»Dann wäre das eine X-482. Die käme jetzt in der Vorsaison auf dreitausendfünfhundert Euro. Der Skipper käme jeweils mit siebenhundert Euro extra.«

Einer der beiden Zöllner zog einen Taschenrechner aus dem Aktenkoffer und begann darauf zu tippen. »Ich würde Ihnen dreitausendzweihundert Euro bieten und die Skipper jeweils mit sechshundert Euro. Wären Sie damit einverstanden?«

Buske überlegte. »Für wie lange, sagten Sie?«

»Sicherheitshalber für drei Wochen pauschal. Man weiß ja nie.«

»Okay.« Buske holte sein Handy aus der Tasche. »Das wären dann insgesamt –«

»Lassen Sie Ihr Telefon mal stecken. Wir sind sowieso schneller.« Der Amtmann begann auf seinem Rechner zu tippen und murmelte: »Das wären dann dreitausendachthundert Euro pauschal für einundzwanzig Tage. Das wären dann zusammen neunundsiebzigtausendachthundert Euro! Das passt ja«, freute er sich. »Dann machen wir achtzig glatt und müssen kein weiteres Paket aufmachen.« Er griff in seinen Aktenkoffer, zog ein in Folie eingeschweißtes Päckchen mit Geldnoten heraus und reichte es dem verdutzten Buske.

Der bekam vor Erstaunen erst einmal kein Wort über die Lippen. »Aber, ich meine, also ich fürchte, also ich denke, Sie haben mit den dreitausendfünfhundert Euro etwas –«

Tine funkte dazwischen und griff nach dem Geldpaket. »Nein, ›Bartilein‹, die beiden haben die Summe ausgerechnet und haben ihre Kostenstelle sicher im Blick. Die Herren sind Fachleute in Finanzen. Wo dürfen wir quittieren?«

***

Schilksee am Samstag, dem 6. April

Am nächsten Morgen saßen die beiden im Büro des Segelshops vor zwei Tassen frischem handgebrühtem Kaffee. Buske hing in einer Warteschleife am Telefon.

Tine lächelte süffisant. »Nun bin ich schon so lange bei dir versklavt, aber den Bartolomeu hast du mir bisher verschwiegen.«

»Wenn du jetzt dein Gesicht sehen könntest, wüsstest du die Antwort. Selbst für meine Lehrerin war ich nur Bert Buske. Und solltest du auf die Idee kommen, mich noch ein einziges Mal mit ›Bartolomeu‹ oder sogar mit ›Bartilein‹ anzureden, dann erschlage ich dich mit einem nassen Lappen.«

Sie grinste ihn frech an. »Dann werde ich mir das für deinen Grabstein aufheben. Buenos días, hier ruht Bartolomeu Buske, Seefahrer und Entdecker der Ostsee.«

»Und genau aus diesem Grund möchte ich bei meinem allerletzten Törn auch ohne Grabstein in der Ostsee verklappt werden!« Endlich schien er beim Hauptzollamt durchgekommen zu sein. Nach einer kurzen Auskunft sah er Tine verdattert an. »Ich fasse es nicht!«

Tine platzte vor Neugier. »Was haben sie denn gesagt?«

»Du wirst es nicht glauben, aber ›Butt & Flunder‹ gibt es beim Hauptzollamt Kiel wirklich. Das Ganze war kein Fake und offensichtlich alles legal.«

»Hast du sie ans Rohr bekommen?«

»Nein, sie seien im Augenblick nicht zu sprechen, da sie sich zurzeit amtlich wieder in Schilksee aufhalten würden.«

Tine war fassungslos. »Und das wussten die in der Telefonzentrale?«

»Vielleicht macht der Pförtner bei denen den Telefondienst mit. Bei dem müssen sie ja vorbeikommen, wenn sie das Haus verlassen.«

»Aber man meldet sich doch normalerweise nicht beim Pförtner ab und sagt, wohin man geht.« Tine überlegte. »Das war mit Sicherheit die Nummer vom Zoll?«

»Aber ja doch! Ich habe die Nummer auf der Karte gewählt, und das Hauptzollamt hat sich gemeldet.«

»Dann waren die beiden Kerle gestern also echt und das Geld demnach auch?«

»Scheint so.«

Sie war noch immer nicht zufrieden. »Die können doch nicht so einfach achtzigtausend Euro ohne jegliche Quittung unters Volk bringen. Die brauchen doch auch eine Rechnung, um das Geld verbuchen zu können!«

Er war ebenfalls ihrer Meinung. »Und seit wann laufen echte Zollamtmänner mit eingeschweißten Geldbündeln durch die Gegend und machen dubiose Handschlaggeschäfte?« Buske nahm einen Schluck Kaffee. »Und wie sollen wir das jetzt verbuchen?«

Tine knabberte angespannt an ihrer Unterlippe. »Man kann auch nicht einfach zur Bank gehen und so viel Geld ohne Herkunftsnachweis auf sein Konto einzahlen!«

»Doch, in mehreren Tranchen jeweils unter zehntausend Euro.«

»Und als was willst du das bei der nächsten Steuerprüfung deklarieren?«

Er sah sie ratlos an. »Woher soll ich das denn wissen?«

Sie überdachten ihre Situation.

»Wenn die beiden nicht vom Zoll, sondern von der Mafia kämen, dann wäre ich mir sicher, dass die bei uns Schwarzgelder waschen wollen«, sagte Buske.

Sie schüttelte den Kopf. »Das ist ja nun völlig krank. Seit wann macht denn der Staat durch krumme Geschäfte Gewinn? Außerdem kannst du nur dreckiges Geld gegen saubere Quittungen waschen. Und die wollten keine haben.«

»Und genau das ist ja so verdächtig.« Er zog die Stirn kraus. »Wenn Ermittler Häuser von irgendwelchen Drogenbaronen stürmen, dann gibt’s nicht nur Stoff, sondern auch jede Menge Bargeld. Vielleicht ist das die Quelle von der Knete.«

Das ließ sie nicht gelten. »Bei Razzien wird jedes Gramm, das sie an Koks oder Geld finden, fein säuberlich aufnotiert.«

»Und die vielen unangemeldeten Gelder, die der Zoll den Menschen bei der Einreise abnimmt?«

Sie winkte erneut ab. »Die können sich die Leute ja wieder abholen, wenn sie den Nachweis über den Ursprung der ›Barschaft‹ beibringen.«

Buske kratzte sich am Kopf. »Ich habe das blöde Gefühl, dass wir da in irgendeine krumme Sache reingeraten sind.« Er sah sie prüfend an. »Du lächelst so geheimnisvoll. Was findest du daran so komisch?«

»An dem Geld nichts. Ich freue mich noch immer über den ›Bartolomeu‹.«

»Muss ich dir das dämliche Grinsen jetzt aus dem Gesicht meißeln, oder beruhigst du dich von allein?«

Nach einem erneuten Lachanfall wischte sie sich die Tränen von den Wangen. »Aber sag doch selbst: Wie kommt ein Ehepaar Buske dazu, seinen Sohn ausgerechnet Bartolomeu zu nennen?«

»Mein Vater wollte nach dem Krieg als junger Mann unbedingt zur See fahren. Nur hat er leider schon beim Anheuern das Hafenbecken vollgekotzt. Er ist dann zur Polizei, aber seine Kinder sollten unbedingt seefest werden. So nannte er mich nach einem portugiesischen Seefahrer und Entdecker Bartolomeu Dias. Mein kleiner Bruder heißt Vasco, nach Vasco da Gama, der ist bei der Marine, und der große heißt Christoph, nach Kolumbus.«

»Der ist doch bei der Post.«

»Stimmt, aber sein Segelboot heißt ›Santa Maria‹.«

Sie klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Hat ja auch etwas gebracht. Seefest seid ihr drei nun wirklich. Aber du kannst dich glücklich schätzen, dass Papa kein Disney-Fan war, sonst würdet ihr Tick, Trick und Track heißen.«

Die beiden Zollbeamten betraten den Shop.

»Uns wurde berichtet, dass Sie nach uns gefragt hätten?«

Buske erhob sich verlegen. »Ja, ich wollte mich ehrlich gesagt davon überzeugen, dass es Sie wirklich beim Zoll gibt.«

Der Zollamtmann lächelte ihn freundlich an. »Was verleitet Sie zu der Annahme, dass es nicht so sein könne?«

»Dass Sie mir nach einem Handschlaggeschäft ohne Quittung achtzigtausend Euro bar in die Hand drücken. Das mag zwar rechtlich in Ordnung sein, aber Sie werden doch zugeben, dass das zumindest ungewöhnlich ist.«

Der Oberinspektor zückte seinen Dienstausweis und zeigte ihn Buske. »Wie Sie sehen, ist der echt. Sie haben aber sicher damit recht, dass ungewöhnliche Umstände ungewöhnliche Maßnahmen rechtfertigen.«

Buske sah ihn skeptisch an. »Nur bei welchen ungewöhnlichen Umständen könnte mein Boot dem Staat behilflich sein?«

»Das unterliegt der absoluten Geheimhaltung.«

Buske machte ein entschlossenes Gesicht. »Dann möchte ich von dem Geschäft zurücktreten.«

Es entstand eine Pause, in der sich die Atmosphäre auflud.

»Das wäre natürlich Ihr Recht. Sie können sich dann aber sicher sein, dass all Ihre Boote bei jedem Einlaufen in diesen oder in jeden anderen deutschen Yachthafen vom Zoll überprüft werden.« Der Amtmann sah ihn lächelnd an. »Und das nicht nur für ein paar Wochen. Natürlich haben wir eine schwarze Liste an Bord unserer Schiffe, und Ihre Segelboote stehen dann auf der pechschwarzen. Das wird sich übrigens ganz schnell in der Branche herumsprechen, und welcher Charterkunde will sich diesen …«, er machte eine Pause, »… nennen wir es, Unannehmlichkeiten aussetzen?«

Tine erhob sich ebenfalls und stellte sich drohend neben ihren Chef. »Wollen Sie uns erpressen?«

Der Amtmann sah beide scheinheilig an. »Nein, natürlich nicht. Wir möchten Sie nur mit der Realität vertraut machen.«

Es entstand eine erneute Pause.

»Da Sie keine weiteren Einwände haben, würden wir uns gern das Boot, das wir gechartert haben, ansehen. Welches ist es?«

»Die ›Josephina‹«, antwortete Buske niedergeschlagen. »Der Name steht groß am Heck. Auf dessen Nachbarboot haben Sie uns gestern angetroffen.«

»Ist es abgeschlossen?«

Tine ging zu einem Schlüsselschrank und entnahm ihm ein Bund. »Darf ich Ihnen alles zeigen?«

»Das muss nicht sein. Wir machen innen und außen nur ein paar Fotos.«

»Aber Sie müssen doch eine gründliche Einweisung bekommen.«

»Wir brauchen die nicht, aber die Besatzung braucht sie. Die wird in knapp vier Stunden hier sein.« Der Oberinspektor sah auf die Uhr. »Das müsste doch reichen, sodass um achtzehn Doppelnull abgelegt werden kann?«

Die Gesichter der Zöllner wurden wieder freundlicher. »Übrigens, Herr Buske, wir hätten Sie gern als Skipper.«

»Das geht nicht, ich steche nachher mit einem Lehrgang für den Bootsführerschein in See.«

»Wie viele haben sich dafür angemeldet?«

»Leider nur zwei.«

»Und dann fahren Sie raus?«

»Was sollen wir machen? Eigentlich waren es fünf, aber drei davon haben sich heute Morgen abgemeldet, und die anderen beiden sind schon auf dem Weg hierher. Wir müssen von uns aus auffüllen, damit wir segeln können.«

»Dann machen Sie den Lehrgang doch mit unserem Boot. Mit unseren vier Leuten haben Sie doch dann genug Leute an Bord. Dann können Sie denen auch das Segeln beibringen, dann langweilen sie sich wenigstens nicht.«

»Aber ich habe mit meinen Schülern immer eine feste Route in den Kleinen Belt hinein.«

»Fahren Sie ruhig. Solange Sie nicht nach Kamtschatka segeln, ist uns das egal.«

***

Nach dem Gespräch richteten Tine und Buske auf der »Josephina« unter Deck alles für die kommende Woche her.

Es klopfte jemand an das Schiff. »Wenn das hier ein Boot von Sailaway-Yachtsport ist, bitten wir, an Bord kommen zu dürfen.«

Buske schaute aus der Luke des Niederganges und sah sich zwei sportlich gekleideten Paaren gegenüber, eines davon war noch sehr jung.

»Von Sailaway sind wir, aber ob Sie hier richtig sind, kann ich Ihnen erst sagen, wenn Sie sich vorgestellt haben.«

Eine ausgesprochen attraktive Enddreißigerin mit langen dunkelblonden Haaren, die nur durch einen dicken Knoten gebändigt werden konnten, sah ihn mit fragender Miene an. »Die beiden Hohenzollern müssten uns eigentlich angemeldet haben.«

Diese Bezeichnung gefiel ihm. »Hohenzollern ist auch nett. Wir haben sie ›Butt & Flunder‹ getauft.« Er machte eine einladende Geste.

Ein sympathisches Lächeln huschte über das Gesicht der schlanken Frau. »Ja, das passt. Mein Name ist übrigens Femke Gellert, Zollsekretärin. Uns wurde gesagt, dass wir bei Ihnen mindestens eine Woche lang segeln lernen sollen und danach den Sportbootführerschein See in der Tasche haben.«

Nachdem sie das Cockpit der »Josephina« betreten hatten, begrüßte Buske alle mit Handschlag.

»Wenn Sie schön mitmachen, ordentlich lernen und den Prüfer nicht über Bord gehen lassen, trifft das zu.« Er stellte ihnen Tine vor. »Das ist unsere gute Seele an Land. Ohne sie läuft nichts bei uns. Mein Name ist Bert Buske, euer Skipper für diesen Schulungstörn.«

»Da ich quasi die Reiseleiterin unserer kleinen Gruppe bin, stelle ich mal meine Leute vor.« Sie zeigte auf das junge Paar. »Das sind Kathi Müller, eine Studentin aus Detmold, und ihr Kommilitone Jonas Mayer aus Arnsberg. Beide sind als Finanzbeamte im dualen Studium an der Uni Bielefeld. Der Vierte in unserem Bunde ist Thomas Bensch, ein neuer Mitarbeiter von mir, den ich sozusagen im Umgang mit unseren Auszubildenden anlernen möchte.«

Buske schaute fragend auf die Riesenrucksäcke und Stahlkoffer, die die beiden Älteren mitführten. »Haben Sie Ihr eigenes Rettungsboot mitgebracht?«

»Nein, das sind alles Dinge, die wir für das duale Studium brauchen.«

Der Skipper schüttelte den Kopf. »Da habe ich aber Glück, dass die beiden nicht Medizin studieren. Dann hätten Sie sicher noch ein paar Koffer mit anatomischen Exponaten dabei.«

In diesem Augenblick kam ein weiteres, nur mit großen Seesäcken bepacktes Pärchen über den Steg und blieb vor ihrem Boot stehen.

Buske sah zu ihnen hoch. »Und ihr beide seid Sebastian und Charlotte. Ihr habt euch angemeldet. Richtig?«

Sie nickten. »Volltreffer«, antwortete der Mann.

»Dann willkommen an Bord.« Er nahm ihre Seesäcke entgegen. »Dann macht ihr euch schon mal untereinander bekannt und verteilt die Kojen. Meine Kabine ist steuerbord achtern, also hinten in Fahrtrichtung rechts. Die ist tabu. Tine und ich haben noch etwas im Büro zu regeln, dann habt ihr mich für eine Woche ganz für euch.«

Während beide auf dem Steg Richtung Shop gingen, beobachtete Buske sie von der Seite. »Tine, mein Schatz, dir ist eine Laus über die Leber gelaufen. Was ist los?«

»Hast du dir die beiden jungen Leute näher betrachtet?«

Buske zuckte mit den Achseln. »Nein, dazu hatte ich noch keine Zeit.«

»Mit denen stimmt was nicht.«

»Nun hör aber mal auf«, brummte er ärgerlich. »Woher willst du das denn nach nur drei Minuten Gegenüberstellung wissen, ohne dass die nur ein einziges Wörtchen mit uns geredet haben?«

»Eben drum. Das sind junge Erwachsene. Wieso können die sich nicht selbst vorstellen? Und hast du deren Haare gesehen?«

Buske lachte. »Stimmt, das ist mir auch aufgefallen. Die haben sie beide mitten auf dem Kopf.«

Tine winkte ab. »Typisch Mann! Aber die Körbchengröße von dieser Kathi Müller, die könntest du mir sicherlich nennen, oder?«

Sie betraten das kleine Büro.

»Das ist doch wieder eines deiner üblichen Klischees!« Er machte eine Pause und überlegte. »›D‹, würde ich sagen. Bei der Reiseleiterin ein zartes ›Doppel-A‹, und Charlotte erfreut die männliche Besatzung mit einem ansprechenden ›C‹.«

Sie war genervt. »Könnte hinkommen. Aber dass die Haare bei den beiden gefärbt sind, ist dir entgangen.«

»Da kannst du mal sehen, wo jeder seine Prioritäten setzt. Und warum hast du mit deren Haaren ein Problem?«

»Weil das Kommilitonen sind. Die würden sich nie und nimmer die gleiche Haarfarbe in den Dutt schmieren. Es sei denn, es gibt einen Grund dafür! Und hast du ihn mal beobachtet?«

»Nein.«

»Er wischt sich ständig durch die Haare, als ob er da oben ein Spinnennest hätte.«

Buske schüttelte den Kopf. »Vielleicht einfach nur Partnerlook und bei ihm juckt das Färbemittel.«

»Mein Gott, Bert, ich könnte schwören, das sind Geschwister!«

Er goss sich einen Kaffee ein. »Selbst wenn! Anatomisch ginge das problemlos, und wenn die beiden darauf stehen, dann hat mich das nicht zu kümmern. Ich bin schließlich nicht bei der Sitte.«

Sie sah ihn eindringlich an. »Bert, ich habe ein Scheißgefühl bei der Sache. Sag den Törn ab.«

Er fuhr hoch. »Absagen? Auf keinen Fall! Und was ist mit der schwarzen Liste? Außerdem sind achtzig Mille ein warmer Regen, den wir verdammt gut gebrauchen können. Du jammerst doch immer, dass wir noch ein Motorboot brauchen. Wovon sollen wir das denn bezahlen?«

»Das würden wir auch so zusammenkriegen.«

»Und was ist mit der Drohung von Butt und Flunder? Das müssen wir ernst nehmen!« Er nahm einen Schluck Kaffee. »Nein, die Nummer ziehe ich durch, und wenn der ganze Schnee verbrennt!«

***

Buske ärgerte sich noch immer über Tines Bedenken und hatte Mühe, bei seiner Einführungsansprache einen freundlichen Ton zu finden.

»So, Leute, die ›Josephina‹ ist nun für eine Woche unser Zuhause. Wir sind eine Crew, bei der ich das Kommando habe. Hier an Bord gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, und wir duzen uns. Wenn ich etwas anordne, dann wird es kommentarlos ausgeführt. Sollte derjenige, den ich beauftragt habe, nicht verstehen, was ich von ihm will, dann bitte gleich raus damit. Dann kann ich es erklären. So weit alles klar?« Er sah einen nach dem anderen an. »Wunderbar, dann noch weitere Punkte: Für Ordnung und Sauberkeit sind wir alle gleichermaßen verantwortlich, auch für das, was bei uns auf den Tisch kommt. Die beiden Bäder werden einmal am Tag gründlich geputzt, und damit ist ausnahmslos jeder mal dran. Ich bin dabei nicht ausgenommen. Wir stehen jeden Morgen um sieben Uhr auf, sodass wir um neun mit dem Theorieunterricht beginnen können. Um halb eins gibt es Mittag, und ab fünfzehn Uhr wird gesegelt. Der Wetterbericht ist für die kommende Woche nicht so doll, das heißt, dass es oben an Bord nass werden könnte. Wer also kein Ölzeug hat, der kann es für einen schmalen Euro in unserem Shop erwerben.« Er sah einen nach dem anderen an. »Gibt’s Fragen?«

»Wie sieht es mit der Bordverpflegung aus?«, fragte Charlotte.

»Wenn wir dafür nicht einkaufen, ganz schlecht. Deswegen gehen wir nachher gemeinsam zum Supermarkt. Was für die Gemeinschaft ist, wird aus der Bordkasse gezahlt, den privaten Kram zahlt jeder für sich selbst.« Auf Buskes Stirn erschienen zwei senkrechte Falten. »Ernährt sich jemand vegetarisch oder vegan?«

Niemand meldete sich.

Seine Stirn glättete sich wieder. »Wunderbar, das erleichtert das Kochen kolossal. Erst mal zahlt hier jeder zwei Hunderter in die Bordkasse ein. Daraus werden die Lebensmittel, die Hafengebühren und der Sprit, den wir verfahren, bezahlt. Dann gehen wir ins Büro. Dort hat Tine den Papierkram für jeden so weit fertig, dass wir danach für die Woche einkaufen können. Für den Führerschein habt ihr ja alles schon eingereicht, also Anmeldung mit Passbild, medizinisches Tauglichkeitszeugnis und die Prüfungsgebühren?«

Die beiden Azubis sahen erst ihn und dann Femke fragend an.

Die nickte nur. »Die Anmeldung ist auf dem Weg und müsste spätestens morgen vorliegen.«

Tine zeigte auf den Computer. »Ich habe eben eine dementsprechende Mail bekommen. Was von Femke und Thomas noch fehlt, ist die ärztliche Bescheinigung. Von Kathi und Jonas habe ich sie.«

»Ich bin Arzt«, meldete sich Sebastian, »wenn wir einen Optiker mit den nötigen Sehtafeln hier am Ort haben, kann ich das für euch erledigen.«

Buske sah auf die Uhr. »Der hat gerade noch offen. Macht euch auf den Weg und kommt dann zum Supermarkt nach.«

***

Sie hatten schon einen Teil der Grundnahrungsmittel eingekauft, als Femke, Thomas und Sebastian wieder zu ihnen stießen. Den Sehtest hatten sie bestanden, wobei vor allem der Farbsehtest entscheidend war. Rot und Grün sollte man in der Dunkelheit bei Fahrzeugen auf See schon unterscheiden können.

Für Buske war das Einkaufen ein wichtiger Bestandteil des Wochentörns, denn wie sich Leute dabei verhielten, ließ oft einen Schluss darauf zu, wie sie sich später an Bord verhalten würden. Wer schon im Supermarkt an allem herummäkelte, der würde sich auf See auch als schwierig erweisen.

Femke Gellert, die Zöllnerin, war eine sportliche, selbstbewusste Frau, die offensichtlich mit beiden Beinen im Leben stand. Ihre Stellung berechtigte sie dazu, Anweisungen zu erteilen, aber sie hatte auch kein Problem damit, welchen zu folgen. Auf sie würde sich der Skipper verlassen können.

Thomas Bensch, der andere Zöllner, schien vor allem dann zufrieden zu sein, wenn er nichts entscheiden musste, somit war er gewohnt, Befehlen zu folgen. In stressigen Situationen könnte das ein wichtiger Mann an Bord werden.

Über Sebastian Mendig, den smarten Hamburger Unfallchirurgen, konnte Buske in der Kürze nur wenig sagen. Er schien alles mit Bedacht zu erledigen und würde seinen Anweisungen an Bord sicher und zuverlässig folgen.

Charlotte Wilke, eine hochgewachsene, modebewusste IT-Beraterin in leitender Funktion, wie sie bei der Vorstellung betonte, könnte sich als ein Problemfall in der Crew herausstellen. Sie würde erfahrungsgemäß alles hinterfragen wollen. Leider waren das die Menschen, die ein Skipper oft dann, wenn die See kabbelig wurde, am liebsten kielholen würde.

Kathi Müller und Jonas Mayer waren jeweils mit Panzerkopfhörern ausgerüstet. Bei ihnen schien es sich um junge Leute zu handeln, die offensichtlich alles teilnahmslos über sich ergehen lassen würden, solange sie sich hinter ihrem Audio-Schutzschirm verkriechen konnten. Ihr im Takt ihres Beats wippender Kopf bestätigte seine Annahme. Er hingegen horchte konzentriert und gab sich anscheinend einem Podcast hin. Bei näherem Hinsehen konnte man bei dem jungen Mann doch etwas Auffälliges bemerken. Seine Bewegungen wirkten nicht rund, sondern eckig, mehr von Hast getrieben. Dennoch schienen sie kontrolliert zu sein. So wie er zum Beispiel die gekauften Lebensmittel in den Einkaufswagen legte, sah es aus, als würde er von Zwängen getrieben Tetris spielen.

Buskes Spezialität war es bisher immer gewesen, aus einem zufällig zusammengewürfelten Haufen eine Crew zu formen. Erneut klangen Tines Worte in seinen Ohren, dass er den Törn lieber hätte absagen sollen. Dafür war es aber inzwischen zu spät. Nein, seine Entscheidung, in See zu stechen, war okay, und es würde ein normaler Schulungstörn werden. Warum ausgerechnet der Zoll seine Yacht für diese bunte Truppe charterte, blieb ihm ein Rätsel, vor allem für diese Mörderknete, die ihm dafür gezahlt wurde.

***

Nachdem sie alle Lebensmittel in der Pantry und deren vielen Stauräumen untergebracht hatten, versammelte sich die Crew im Cockpit, um die Sicherheitseinweisung über sich ergehen zu lassen.

Buske sah die jungen Leute an und machte ihnen in Zeichensprache klar, dass sie die Kopfhörer abnehmen sollten. Sie folgten ihm missmutig.

»Fangen wir mit euren Panzerkopfhörern an. Diese Dinger werdet ihr erst dann wieder aufsetzen, wenn wir im nächsten Hafen fest vertäut an der Pier liegen und uns gar nichts mehr zu sagen haben.«

Kathi sah ihn entsetzt an. »Die ganze Zeit keine Mucke?«

»Nein.«

»Aber warum denn nicht?«

»Weil ihr segeln lernen wollt. Dazu müsst ihr die Ohren frei haben, um den Anweisungen des Skippers folgen zu können. Und ich schwöre euch, dass keiner von uns auf See Zeit und Bock hat, Musik zu hören. Segeln ist ein Sport und mit viel Arbeit verbunden.«

Beide zogen ihre Handys aus der Tasche und trennten die Verbindungen.

Buske lächelte sie an. »Willkommen in der Crew, ihr zwei. Es ist schön, euch an Bord zu haben und euch während der kommenden Woche näher kennenzulernen.«

Zum ersten Mal huschte so etwas wie ein Lächeln über Kathis Gesicht. Jonas hingegen schien diese Geste der Sympathie unangenehm zu sein.

»Nun kommen wir zu den wichtigsten Regeln an Bord, und daran haben sich alle ausnahmslos zu halten. Erstens: Eine Hand für das Schiff, die andere für dich. Das heißt: Egal, was ihr macht, ihr müsst immer gesichert sein, ob ihr euch nun am Schiff festhaltet oder durch ein Sicherungsseil mit dem Schiff verbunden seid. Das müsst ihr bei Seegang auch unter Deck beachten. Immer mit einer Hand festhalten! Zweitens: Sowie die Leinen los sind, hat jeder, der an Deck ist, seine automatische Rettungsweste zu tragen.« Buske zog sieben Exemplare aus einem Fach und verteilte sie. »Jeder hat seine persönliche Weste. Hier auf das Plastikschild könnt ihr mit Edding eure Namen schreiben. Das vorschriftsmäßige Anlegen üben wir nachher. Automatisch sind die Dinger deswegen, weil sie sich in dem Augenblick, wenn ihr ins Wasser gefallen seid, ganz von allein aufblasen. Drittens: Meinen Anweisungen ist Folge zu leisten. Solltet ihr daran etwas nicht verstanden haben, dann sagt es bitte. Es wird aber nicht über Sinn und Unsinn diskutiert. Ihr könnt sicher sein, dass ich keinen Blödsinn anordnen werde. Viertens: Auf See sind die Personen, die zur Wache eingeteilt wurden, immer hier oben an Deck. Sollte einer davon mal dringend müssen, dann lässt er sich kurz ablösen und macht sein Geschäft auf der Toilette, und zwar sitzend. Über die Reling pinkeln ist ein absolutes No-Go, das ist viel zu gefährlich. Auf See ist auch niemals jemand allein an Deck, da jederzeit etwas passieren und der zweite Wachhabende dann Hilfe rufen kann. Und fünftens: Wir sieben sind eine Tischgemeinschaft. Der Seefahrer sagt dazu Backschaft. Auf- und abbacken, also den Tisch zu den Mahlzeiten decken und abräumen, sowie kochen und abwaschen erledigen alle, die nicht zur Wache eingeteilt wurden.«

»Und wann haben wir mal frei?«, fragte Charlotte entrüstet.

Buske sah sie lächelnd an. »Morgen in einer Woche.«

Nachdem sich ihre Stirn wieder geglättet hatte, gab es eine gründliche Einweisung im Gebrauch der Rettungsgeräte an Bord.

Buske sah auf die Uhr. »So, Leute, wir legen um achtzehn Doppelnull Richtung Dänemark ab. Wer vorher noch eine warme Dusche haben will, der sollte das jetzt schnell erledigen. Die sanitären Einrichtungen findet ihr gegenüber vom Hafenmeisterbüro. Wenn wir heute Nacht in Langeland anlegen, sind die Brausen dort schon kalt.«

Alle bis auf Jonas gingen zu den Duschen. »Du nicht?«, fragte ihn Buske.

»Nein.« Der junge Mann öffnete zwei Knöpfe seines Hemdes. Ein Pflaster kam zum Vorschein. »Der Doc hat mir beim Gesundheitscheck im Krankenhaus noch schnell ein kleines, ewig nässendes Muttermal auf der Brust weggemacht. In zwei Tagen darf ich wieder duschen.«

***

Femke und die junge Kathi waren die Ersten, die nach der Körperpflege wieder an Bord waren.

»Na hoppala«, begrüßte Buske sie. »Seit wann sind die Damen so schnell?«

»Seitdem Kurzhaarfrisuren wieder modern sind«, antwortete Kathi.

Es war Buske recht, dass sie unter Deck verschwand, sodass er Femke allein befragen konnte.

»Gibt es vor dem Ablegen noch etwas zu berichten, wovon ich wissen muss?«

Sie sah ihn gespielt irritiert an. »Willst du wissen, ob ich Single bin?«

»Blödsinn! Der Zoll hat diese Yacht doch nicht gechartert, damit eine bunt zusammengewürfelte Reisegruppe kostenlos ihren Sportbootführerschein machen kann? Du bist doch auch von diesem Haufen und mit Sicherheit nicht zufällig hier. Also raus mit der Sprache.«

Ihre Miene verfinsterte sich. »Derjenige, der die Bordkapelle bezahlt, bestimmt die Musik. Gibt es von deiner Seite irgendwelche berechtigten Zweifel an der Seetauglichkeit dieser Reisegruppe?«

»Bis auf Jonas nicht.«

»Was ist mit ihm?«

»Ich weiß nicht, irgendwie ist er seltsam.«

»Der junge Mann leidet meines Erachtens an Asperger, aber er ist, bis auf seinen Ordnungsfimmel, völlig okay.« Sie sah ihn prüfend an. »Gibt es dennoch Einwände?«

Buske schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht.«

»Dann sollten wir pünktlich ablegen und gut gelaunt unseren SBF See machen.«

Buske zweifelte noch immer. »Ich spüre, dass da etwas ist, was ich wissen sollte.«

Sie lächelte ihn an. »Du erwartest von mir, dass ich dir in allem blind vertraue, was mit der Seefahrt und dem Schiff zu tun hat. Das tue ich auch, weil du Ahnung davon hast. Ich bin Fachfrau in Sachen Sicherheit an Land. Nun ist es an der Zeit, dass du mir vertraust.«

ZWEI

Buske war schon seit Jahrzehnten im Geschäft, aber dass er mit leichtem Widerwillen zu einem Törn ablegen würde, war für ihn eine Premiere. Dementsprechend missmutig sprach er die Crew, die sich im Cockpit versammelt hatte, an.

»So, Leute, ich hoffe sehr, dass ihr alles für euren Bedarf an Bord habt, denn wir werden erst in einer Woche wieder hier anlegen.« Er sah in die Runde. »Hat jeder seinen Kram beisammen?«

Alle nickten schweigend.

»Ich habe mir eben den Seewetterbericht angesehen. Es sieht so aus, als würde es Mitte der kommenden Woche recht kabbelig werden.«

»So wie jetzt?«, fragte Charlotte.

»Das reicht nicht. Sieben bis acht Windstärken werden es sicher werden. Ist von euch schon mal jemand seekrank gewesen?«

Niemand meldete sich.

»Okay, aber keine Bange. Wenn es richtig doll pustet, gibt’s zur Not Häfen, in denen wir Schutz suchen können.« Er klatschte aufmunternd in die Hände. »Dann können wir ja gleich mit dem Unterricht beginnen. Ihr wisst, auf welcher Seite Backbord und wo das Heck eines Schiffes ist?«

Sie nickten. Das war für ihn schon mal ein Lichtblick.

»Eine Leine, mit der man ein Segel hochzieht, nennt man Fall. Das Ende einer jeden Leine ist ein Tampen. Einen Niederholer für das Segel gibt es auf der ›Josephina‹ nicht, da das Segel durch sein Eigengewicht von allein herunterrutscht. Das geht deswegen so leicht, weil die Mastrutscher, mit denen das Großsegel am Mast angeschlagen ist, kugelgelagert sind.«

Er machte eine kurze Pause, aber es gab weiterhin keine Fragen.

»Weiß jeder, was ein Fender ist?«

Die IT-Beraterin schüttelte den Kopf.

»Das ist ein Polster, das man zwischen Kaimauer und Bordwand oder zwei Schiffe hängt. Damit nimmt das Schiff an der Pier oder beim Anlegen keinen Schaden. Okay, wir kommen zu den Teams. Sebastian und Charlotte, Femke und Kathi und Thomas und Jonas bilden jeweils ein Team.«

Ohne dass er ein Zeichen dazu gegeben hätte, formierten sie sich von allein.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Leute, mit euch kann man wirklich etwas anfangen.« Er schaute prüfend zur Mastspitze, an der ein Windrichtungsanzeiger befestigt war. »Na, denn man tau, ihr Landratten, in einer Woche seid ihr Seeleute! Wir legen ab. Femke und Kathi, ihr kümmert euch um die Bugleinen. Sebastian und Charlotte machen das Heck los. Jonas sichert das Boot nach Steuerbord und holt, wenn wir frei sind, die Fender ein. Thomas kümmert sich dementsprechend um die Backbordseite und zahlt vorher noch einen Zehner in die Klabauterkasse. Aus der wird nach dem Kurs das Abschlussessen bezahlt.«

»Aber warum denn?«, jammerte der Angesprochene. »Ich habe doch gar nichts getan oder gesagt!«

»Eben«, konterte Buske. »Du hast keine Rettungsweste um. Das ist ab sofort teuer.«

»Aber ich habe sie doch in der Hand!«

»In der Hand gehalten nützt auch ein Fahrradhelm nichts. So eine Rettungsweste bläst sich in dem Augenblick auf, wenn sie mit Wasser in Berührung kommt. Eine aufgeblasene Rettungsweste kannst du dir im Wasser nicht mehr anziehen.«

Bis auf Thomas, der mit hochrotem Kopf in die Weste schlüpfte, lachte die Mannschaft.

Buske warf einen prüfenden Blick auf die Sicherheitskleidung der restlichen Crew. Nachdem alle vorschriftsmäßig ausgerüstet waren, nickte er zufrieden. »Denn man tau! Vorleinen los!«

Buske freute sich über die Geschicklichkeit des Bug-Teams. Die beiden hatten sofort begriffen, dass die Leine nicht mit einem sogenannten Auge an den im Meeresboden verankerten Holzpollern befestigt war, sondern auf »Slip« lag. Das heißt, dass eine Leine um den Poller herumgelegt und beide Seiten am Boot festgemacht wurden. Beim Ablegen wurde ein Ende gelöst, und man konnte sie bequem wieder an Bord ziehen. Das klappte immer, selbst wenn sich andere Yachten mit ihren Leinen darübergelegt hatten.

»Leinen sind los«, riefen beide laut.

Buske nickte zufrieden. »Jetzt die Landleinen los!«

Sebastian und Charlotte lösten die Taue an den Kaipollern und sprangen danach an Bord.

»Heckleinen sind los!«

»Achtung, Fenderteams!«, rief Buske. »Jetzt müsst ihr backbord und steuerbord das Schiff abstoßen, sollte es seitlich an die Poller stoßen!«

Er stellte den Gashebel auf kleine Fahrt, und die »Josephina« glitt langsam aus ihrem Liegeplatz.

»Leute, ihr habt eure Sache gut gemacht. Wenn wir aus dem Hafen raus sind, dann drehe ich in den Wind, und wir setzen Segel.«

Im Gegensatz zu einem Traditionssegler konnten die Genua, das Vorsegel, und das Großsegel vom Cockpit aus gehisst oder ausgerollt und getrimmt werden. Nachdem ihnen der Skipper die dazugehörigen Leinen gezeigt hatte, funktionierte auch das reibungslos. Der Motorkegel wurde eingeholt, und danach stellte Buske die Maschine ab.

Es war immer wieder ein ergreifender Augenblick, wenn so ein großes Schiff nahezu geräuschlos das Wasser durchpflügte. Alle schwiegen und genossen die Stille.

Buske sah nach oben. Die Segel standen gut, sie flatterten nicht, und seine Crew saß wissbegierig um ihn herum.

»So, Leute, Femke und Kathi übernehmen die erste Wache. Kathi macht den Rudergänger, und Femke beobachtet die See.«

Die junge Frau schreckte hoch. »Ich soll ans Steuer?«

»Jau, weil du es kannst. Außerdem ist das ein Steuerrad.« Er deutete auf den Kompass. »Der Kurs liegt bei 45 Grad. Und wenn der Zeiger unter 45 Grad zeigt, dann musst du ein wenig nach Steuerbord lenken. Wenn du drüberliegst, dann nach Backbord. Ich bin immer bei euch. Es kann absolut nichts passieren.«

Kathis Gesicht glühte vor Eifer, als sie sich hinter das Ruder stellte. Buske konnte mit sich zufrieden sein, zumindest einen der beiden jungen Menschen aus der Alltagslethargie geholt zu haben.

»Dann beginnen wir gleich mit dem theoretischen Unterricht. Wie lautet der Paragraf 3 der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung?«

Jonas’ Körper straffte sich. »Paragraf 3 der Seeschifffahrtsstraßen-Ordnung beinhaltet die Grundregeln: Punkt 1 – wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird.«

Alle sahen ihn erstaunt an.

»War das wörtlich zitiert?«, fragte Sebastian.

»Worauf du dich verlassen kannst«, antwortete Kathi. »Eine eigene Interpretation kommt für Jonas nicht in Frage.« Sie lächelte in die Runde. »Wenn ich die liefern darf: Niemand sollte einen anderen ummangeln, selbst wenn er im Weg sein sollte.«

Buske lachte. »Das ist eine sehr verkürzte, aber treffende Auslegung.«

Auf ihrer Stirn erschienen zwei steile Falten. »Aber wieso heißt es Seeschifffahrtsstraßen? Hat dieses Boot denn auch Räder?«

»Nee, mien Deern, hat es nicht. Ummangeln darfst du trotzdem niemanden. Auf See gelten die ›Sorgfaltsregeln für Wassersportler‹, und die Broschüre dafür wird vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie herausgegeben. Da heißt es in Paragraf 3.1: ›Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass die Sicherheit des Verkehrs gewährleistet ist und dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird.‹ Leute, das müsst ihr auswendig zitieren können, das wird in der Prüfung abgefragt.«

Jonas sah ihn strafend an. »Du hast ›Leichtigkeit‹ vergessen. ›Dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleistet ist‹.«

»Jonas«, lachte Buske, »du hast völlig recht. Die Leichtigkeit sollte niemals fehlen.«

Charlotte hob den Zeigefinger. »Und gilt auf dem Wasser auch rechts vor links?«

»Nein. Bei der Sportschifffahrt heißt es Segel vor Motor. Es sei denn, das Motorschiff hat angezeigt, dass es nur bedingt manövrieren kann. Die motorgetriebenen Yachten oder Sportboote müssen deswegen die Vorfahrt gewähren, weil sie leichter ausweichen können.«

Sie zog die Stirn kraus. »Wenn jetzt aber zum Beispiel die AIDA von Steuerbord kommen würde, müsste sie auf jeden Fall ausweichen?«

Buske verzog sein Gesicht. »Nein, denn es heißt Berufsschifffahrt vor Sportschifffahrt. Selbst wenn wir Vorfahrt hätten, würde nur ein lebensmüder Skipper auf sein Vorfahrtsrecht bestehen. So ein Riesenpott kann gar nicht schnell reagieren. Wenn uns so ein Ungetüm mittschiffs rammen sollte, dann würden bei dem noch nicht einmal die Gläser auf den Tischen wackeln.«

»Und wer hat Vorfahrt, wenn sich zwei Segler begegnen?«

Der Skipper suchte nach einer einfachen Erklärung. »Wenn bei uns der Wind von Backbord kommt, müssen wir ausweichen. Kommt der Wind von Steuerbord, müssen wir Kurs halten. Wenn ihr das beachtet, seid ihr auf der sicheren Seite.«

Buske nahm in Charlottes Augen ein spitzbübisches Funkeln wahr. »Wenn du jetzt etwas von Segelbooten im Rückwärtsgang erzählst, wirst du gekielholt!«

Alle lachten.

»Du scheinst diesen Job schon länger zu machen«, lächelte ihn Femke an.

»Jau, mien Deern, seit mehr als zwanzig Jahren.«

***

Die Aufregung des ersten Ablegens hatte sich schnell gelegt, sodass es alle genossen, die Lungen mit der würzigen Seeluft zu fluten und sich den leichten Wind von West um die Ohren wehen zu lassen. Für Buske war diese erste halbe Stunde auf See wichtig, um die Besatzung beobachten zu können. Menschen, die diesen Augenblick nicht genießen konnten, waren an Bord schlicht fehl am Platze, und diese Zeitgenossen machten während eines Törns auch meist Schwierigkeiten. Die momentane Crew der »Josephina« hatte das Zeug und vor allem die richtige Einstellung dazu, nach dieser einen Woche auf See mit Begeisterung in die Prüfung zum Sportbootführerschein zu gehen und passionierte Segler zu werden.

»So, Leute, genug geträumt, jetzt pauken wir weiter Theorie.«

Sebastian zog die Stirn kraus. »Und wann hören wir damit auf?«

Buske lachte. »Eine Minute vor der Prüfung.«

Charlotte winkte bedient ab. »Na, das kann ja eine bunte Woche werden. Von morgens bis abends lernen.«

»Mach dir mal den Kopf nicht heiß. Ihr werdet in den kommenden Tagen eine Menge begreifen müssen, aber vor allem dabei Spaß haben.« Buske sah aufmunternd in die Gesichter seiner Schulungscrew. »Und wenn wir schon mal alle im Cockpit versammelt sind, könnt ihr mir sicher sagen, was das für ein Bildschirm ist.« Er zeigte auf ein Display, auf dem die umliegenden Küsten abgezeichnet und diverse kleine Punkte zu sehen waren.

»Das ist der Kartenplotter des AIS«, überraschte ihn Jonas mit der Antwort.

»Und was heißt AIS genau?«

»Automatic Identification System.«

Buske nickte anerkennend. »Da hat aber jemand seine Schulaufgaben schon in weiser Voraussicht gemacht. Absolut korrekt. Und kannst du deinen Mitschülern auch erklären, was das AIS alles kann?«

Der junge Mann nickte. »Das AIS verarbeitet mehrere Daten und stellt sie gleichzeitig auf dem Bildschirm dar. Zum einen ist das ein GPS-Gerät, das immer genau die Position anzeigt, auf der wir uns gerade befinden. Zweitens sendet es an die Schiffe in der Nähe unsere Position und Kennung. AIS-A ist in der Berufsschifffahrt vorgeschrieben. An deren Signatur erkennt man, was das für ein Schiff ist, was es geladen hat, wie viele Passagiere an Bord sind und welchen Zielhafen es hat. Das AIS-B ist in der Sportschifffahrt gebräuchlich. Bei Yachten unter zwanzig Meter Länge ist das aber nicht zwingend vorgeschrieben. Das AIS-B sendet an die Schiffe in unserer Nähe, wer wir und wo wir sind. Drittens empfängt das AIS genau diese Daten von allen umliegenden Schiffen und stellt sie auf dem Display dar, sodass wir jederzeit auch im Nebel genau wissen, wer in der Nähe ist und unseren Kurs kreuzen könnte.«

Alle sahen Jonas irritiert, aber dennoch bewundernd an.

»Hast du die letzten drei Wochen das Manual von dem Ding unter deinem Kopfkissen aufbewahrt?«, fragte Thomas.

Der junge Mann war mit dieser Frage überfordert und sah ihn ratlos an.

»Jonas ist eben so!«, sprang ihm seine Kommilitonin bei. »Was er einmal gelesen hat, bleibt bei ihm im Gehirn, und zwar Wort für Wort.«

»Das ist doch aber eine Gabe«, bewunderte ihn Charlotte.

»Es kann aber auch ein Fluch sein.« Kathi legte beruhigend eine Hand auf die Schulter des jungen Mannes. »In Deutsch hatte er im Abi gerade mal ein knappes ›ausreichend‹. Er konnte ›Der Besuch der alten Dame‹ von Dürrenmatt zwar Wort für Wort rezitieren, den Inhalt des Romans aber nicht interpretieren.«

»Wo ist das Problem?«, lachte Buske. »Dann wird uns Jonas bestimmt auch erklären können, in welchem Umkreis man unsere Daten empfangen kann?«

»Da unsere Empfangsantennen nicht so hoch sind, bekommen wir alles mit, was bis zu zehn Seemeilen entfernt auf See sendet. Das sind 18,52 Kilometer. Radarstationen auf dem Festland haben höhere Antennen und können das Signal aus fünfzig Seemeilen aufnehmen, das sind 92,6 Kilometer.«

Charlotte war fassungslos. »Wie kommst du auf diese krummen Zahlen?«

Diese Frage stieß bei Jonas ebenfalls auf Unverständnis. »Wieso krumm? Eine Seemeile beträgt 1,852 Kilometer. Ich multipliziere einfach.«

Da Kathi Rudergängerin war, kontrollierte Femke das umliegende Meer mit dem Fernglas. Buske bemerkte, dass sie immer wieder irritiert auf das Display des AIS-Gerätes sah.

»Gibt’s ein Problem?«, fragte er.

Sie zeigte auf die Segelyacht, die in einer halben Meile Entfernung den gleichen Kurs segelte wie die »Josephina«.

»Wenn ich mich nicht irre«, sie tippte mit ihrem Zeigefinger auf das Display, »dann müsste dieses Schiff ungefähr hier sein. Da ist aber nichts zu sehen.«

Buske sah erst auf die See, danach auf den Bildschirm. »Ich fürchte, du hast recht.«

»Dürfen die den Transponder denn so einfach abschalten?«

»Für diese Yacht gibt es keine Pflicht, da sie nicht über zwanzig Meter lang ist. Gib mir mal das Fernglas.«

Ein kurzer Blick reichte ihm schon. »Das ist die ›Agrippina‹. Die gehört einem Vercharterer aus Wendtorf. Ich kenne das Boot. Die haben AIS an Bord.«

Femke wurde hellhörig. »Und warum schalten die ihren Sender aus? Das gefährdet doch ihre eigene Sicherheit.«

»Vielleicht haben die einfach nur vergessen, das Gerät einzuschalten. Das passiert leider öfter bei den Sportbootskippern. Es gibt ja auch Idioten, die ohne Helm mit ihrem E-Bike herumflitzen.«

Diese Erklärung reichte Femke nicht. »Kann man denn mit dem AIS-Transponder empfangen, aber nicht senden, also sehen, ohne gesehen zu werden?«

Buske hatte mit seiner ehrlichen Antwort Probleme. »Von Hause aus ist das nicht vorgesehen, aber viele Boote haben da einen ganz besonderen Schalter.«

Sie fuhr fort. »Mit dem man den Sender abschalten kann.«

Er nickte. »Das braucht man hin und wieder, wenn man in kleinen Buchten ankern will, in denen das eigentlich verboten ist. Dann möchte man trotzdem gern sehen, wer noch zu Besuch kommt.« Er sah sie prüfend an. »Beunruhigt dich das?«

Jetzt haderte sie offenbar mit der ehrlichen Antwort. »Nein, ich wollte nur mal fragen, was so möglich ist.«

Buske spürte ihre Unruhe. »Wachwechsel!«, rief er. »Jonas macht den Rudergänger und Thomas den Ausguck. Und wir beide, meine Dame, kontrollieren mal die Ankerkette am Bug.«

Femke folgte ihm widerwillig an die Spitze der Yacht.

»Was soll das mit der Ankerkette?«, schimpfte sie. »Ich bin kein Schulmädchen, das der Oberlehrer einfach auf den Hof bestellen kann.«

Buske war angefressen. »Mit beidem hast du recht. Du bist aber Mitglied meiner Crew, ich bin der Skipper. Und ich habe das verdammte Recht, endlich zu erfahren, was hier eigentlich abgeht. Dass ihr vier ganz normale Segelkursteilnehmer seid, kannst du einem Idioten verklickern, aber nicht mir.«

Mit diesem Frontalangriff überraschte er sie. »Würdest du dich damit abfinden, wenn ich dir sage, dass das geheim ist?«

»Würde es dich nicht wundern, wenn ich es täte?«

Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln. »Und das bleibt unter uns?«

»Du hast mein heiliges Ehrenwort.«

Sie versuchte sich möglichst kurzzufassen. »Kathi und Jonas Müller sind in Wirklichkeit Cousin und Cousine. Sie sind die Kinder der Geschwister eines Flottillenadmirals der Marine.«

»Moment«, brummte Buske. »Wir machen hier für die Blagen der Admiralität eine sündhaft teure Vergnügungsfahrt?«