Der Tod wartet am Rialto - Karlheinz Lappler - E-Book

Der Tod wartet am Rialto E-Book

Karlheinz Lappler

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Beschreibung

Seit der Wiedererweckung des venezianischen Karnevals Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts konnte die Stadt nicht nur mit der Anziehungskraft morbider Paläste mit ihren beeindruckenden Fassaden entlang des Canal Grande, sondern auch mit der erwachten Lebendigkeit des saisonalen, maskierten Lebens durch erhöhtes internationales Interesse bereichert werden. Der Karneval ist heute ein Fest überwiegend für die auswärtigen Besucher geworden, angezogen durch die prunkvollen Auftritte der Maskierten in der Kulisse der einzigartigen Lagunenstadt, die heute wie früher die Verborgenheit dunkler Gedanken und Taten ermöglicht.

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Die Teilnehmer an der Silvesterparty bei Alfred und Brigitte Bergmüller blickten gespannt auf die Uhr, die auf der Mattscheibe des Fernsehgerätes, das Alfred kurz zuvor auf Bitten von Brigitte eingeschaltet hatte, eingeblendet wurde. Der Sekundenzeiger rückte unaufhaltsam vor. Die vorher lebhaft geführten Gespräche verstummten. Die Geräusche, die von draußen in das Wohnzimmer der Bergmüllers hereindrangen, die schon den ganzen Abend immer wieder die Ruhe der Nacht mit Lärm erfüllt hatten, nahmen nun schlagartig zu.

»Prosit Neujahr!« – erste schwere Böller, Zischen von Raketen über dem Nachthimmel. Die Zeiger der Uhr auf dem Bildschirm zeigten Mitternacht und gleichzeitig die erste Stunde des neuen Jahres an, Glockengeläute, das aus den Fernsehlautsprechern kommt, setzte ein. Alle erhoben sich und stießen mit den Sektkelchen an.

»Na, hoffentlich wird es erfolgreicher als das alte. Es könnte ruhig wieder aufwärts gehen.«

»Du hast doch nur dein Geschäft im Kopf, sogar heute an Silvester!«, bemerkte Alfreds Ehefrau Brigitte.

»Das Neue bringt immer etwas, so oder so«, philosophierte Christian.

»Nun kommt doch mit hinaus auf die Terrasse, sie schießen ja schon«, drängte Eva und packte ihren neuen Freund Felix – sie kannten sich erst seit wenigen Wochen – am Arm und zog ihn, so dass er fast sein noch volles Sektglas ausschüttete, zur Terrassentüre und hinaus, wo sich der Nachthimmel durch die Leuchtspuren der abgeschossenen Feuerwerkskörper erhellte. Christian und Dagmar waren, nachdem sie noch rasch ihre Gläser auf dem Sideboard abgesetzt hatten, den anderen nachgegangen.

Brigitte hatte wie immer alles perfekt vorbereitet, das Essen, die Tischdekoration. Wie immer wurde sie von niemand dafür besonders gelobt. Es wurde wie selbstverständlich nicht anders von ihr erwartet. Sie war es auch, die wollte, dass alle bei Alfred und ihr feierten, und die anderen waren darüber froh. Zumindest fiel die Gastgeberrolle nicht auf Unerfahrene oder wenig Ambitionierte, wie schon zu hören war. Alfred war schon ein bisschen stolz auf seine Brigitte, aber für so wichtig, dass er sie dafür auch noch lobte, schätzte er Hausfrauenarbeit, und Brigitte war eben Nur-Hausfrau, auch wieder nicht ein. Ihm war wichtig, dass er sich auf den häuslichen Kram, wie er die Arbeit seiner Frau oft bezeichnete, verlassen konnte, ohne dass er selbst dafür Zeit und Gedanken aufwenden musste. Umsatzzahlen, Geschäftstermine, Gewinn und weniger Verlust, das war seine Welt. Das Zuhause bedeutete ihm nicht allzu viel, und wenn alles reibungslos klappte, mischte er sich in nichts ein. Für dieses Zuhause hatte er ja schließlich Brigitte. Dafür hatte er sie ja letztlich geheiratet.

»Nun hat die gute Brigitte noch etwas zu essen gemacht, ich bin noch immer vom Abendessen satt. Ich schaffe beim besten Willen nichts mehr, höchstens noch ein Gläschen Rotwein!«

Obwohl er keinen Hunger hatte, griff Christian nach den Brötchen, mechanisch, so wie andere nach Zigaretten greifen. Auch die anderen waren wieder von der Terrasse ins Wohnzimmer zurückgekehrt.

»Wir müssten wieder einmal gemeinsam etwas Lustiges unternehmen!«, meinte Dagmar.

»Wir sind doch schon beieinander!«, rief Eva dazwischen.

»Nein, ich meine in zwei oder drei Monaten, oder so«, setzte Dagmar hinzu.

»Oder gleich erst nächstes Silvester!«, stichelte Eva weiter.

»Nun lass‘ sie doch erst ausreden!«, ermahnte sie Christian.

»Ja. Ich meine im Fasching oder so, der kommt jetzt ohnehin schon bald«, plante Dagmar weiter.

»Ja, in drei Monaten, heuer ist er später wie sonst!« Eva war nicht zu stoppen.

»Aber nicht wieder auf einen langweiligen Ball. Da bringen mich keine zehn Pferde mehr hin«, Eva brachte Argument um Argument.

»Also, mir ist die Musik dort zu laut. Außerdem ist es nicht meine Musik«, meinte Alfred

»Du mit deiner Musik. Ich will schon etwas, was einen in Stimmung bringt«, setzte Eva hinzu.

»Vielleicht sollten wir was ganz anderes machen, fortfahren, verreisen zum Beispiel!«, meinte Felix.

»Verreisen, im Winter, da friert es einen ja«, wandte Eva ein.

»Es kommt immer darauf an, was man anzieht«, belehrte sie Christian.

»Wo willst du denn hinfahren, nach Köln oder nach Rio?«, provozierte er Eva, die den Hintergrund der spaßigen Frage nicht bemerkte.

»Au, ja, Rio, da bin ich dabei!«, quietschte Eva.

»Hast du denn auch schon gespart?«, fragte Christian mit gespieltem Ernst.

»Spaß und Geldverschwenden liegen nur dir!«, giftete er zurück.

»Na, dann eben nicht, Spaßverderber!«, äußerte sich Eva säuerlich.

»Nun streitet euch doch nicht über etwas, was noch gar nicht abgemacht ist!«, versuchte Alfred zu beruhigen.

»Wie wäre es mit Venedig? Da ist doch auch Fasching!«, meinte Christian.

»Karneval!«, verbesserte Felix.

»Ach, du musst immer alles besser wissen!«, entgegnete Eva.

»Ve-ne-dig«, sagte Dagmar gedehnt und abwertend.

»Da waren wir doch schon dreimal. Zweimal sogar mit den Kindern. Immer dieses Venedig! «, setzte sie hinzu.

»Also, Venedig würde mich schon reizen, gerade im Karneval«, sagte Eva.

»Was ist denn da anders, Fasching ist Fasching, den finde ich öde, egal wo! «, brummte Alfred.

»Ach, nö! «, setzte Dagmar hinzu.

»Du bist überstimmt«, stellte Christian abschließend fest.

»Also, abgemacht, Venedig im Fasching!«, rief Eva und klatschte in die Hände.

»Halt, nicht so schnell. Da muss ich zuerst einmal nachsehen. Auch wenn für euch Fasching oder Karneval wichtig ist, für meine Arbeit ist es das nicht!«, sagte Alfred.

»Glaubt ihr vielleicht, ihr bekommt da etwas, zu dieser Zeit?«, meinte Brigitte.

»Sei nicht schon wieder so pessimistisch. Wenn wir uns mit der Reservierung beeilen, dann schon«, sagte Christian mit hoffnungsvollem Nachdruck.

»Wen nehmen wir noch mit?«, fragte Dagmar. »Ich habe da an Uschi und Werner gedacht!«

»Die kenne ich doch gar nicht«, wandte Eva sofort ein.

»Dann wirst du beide eben in Venedig kennen lernen, die sind ganz nett und Uschi ist eine Arbeitskollegin von mir.«

»Also gut, aber kümmern müsst ihr euch um den ganzen Kram«, wehrte Felix eine kommende Aufgabe ab. Er wollte nie eine Aufgabe oder die Verantwortung übernehmen.

»Also, spätestens in Venedig«, sagte Christian und lachte, aber nur eine verstand, dass er einen Titel einer Sammlung von Erzählungen von Daphne Du Maurier zitierte, obwohl alle den Film, der daraus gemacht wurde, kannten.

Leider verliefen die ersten Wochen im Januar bis zu einem einschneidenden Ereignis wie in jedem Jahr. Alfred Bergmüller ging seinen Geschäften als Fliesenhändler nach. Die Winterzeit war eine ruhige Zeit. Brigitte besorgte den Haushalt, sodass, wenn Alfred am Abend nach Hause kam, alles gerichtet war und man sich auf entspannte Abende freuen konnte.

Mit vielem hatten Brigitte und Alfred gerechnet. Es ging ihnen wirtschaftlich gut, um nicht zu sagen hervorragend. Das Haus, ein normales Reihenhaus hatte immer viele Gäste. Die Besucher kamen stets gerne zu Brigitte und Alfred. Es waren perfekte Gastgeber. Allein die Tochter der beiden, Chiara, verhielt sich in letzter Zeit immer zurückgezogener, verbrachte oft ein bis zwei Tage in der Woche in ihrem Zimmer und zeigte sich nur wenige Minuten in der Küche, um sich eine Kleinigkeit zu essen aus dem Kühlschrank zu holen. Dann war sie wieder für längere Zeit verschwunden. Die Eltern machten sich Sorgen, aber nicht mehr, wie es bei Eltern mit einer 15-jährigen Tochter üblich ist. Alfred war beruflich eingespannt. Ihm fehlte die Zeit, sich um schlichte private Dinge zu kümmern und sich Sorgen zu machen.

Der Anruf kam am Sonntagmorgen kurz nach acht Uhr. Der Anrufer sagte, er sei Kriminalbeamter. Am Apparat stellte er merkwürdige Fragen nach der minderjährigen Tochter und wollte deren gewöhnlichen Aufenthaltsort am Samstagabend wissen.

Brigitte wollte schon das Gespräch abbrechen, da sie an einen Spaßanrufer glaubte. Alfred hörte nur beiläufig dem Telefonat zu. Brigitte und Alfred hatten ihr Frühstück nur unwillig unterbrochen und als Brigitte den Hörer auflegte fragte Alfred, der das erschrockene Gesicht von Brigitte bemerkte:

»Was ist los? Wer ruft den da am Sonntagmorgen schon an?«

»Polizei! Es war die Polizei. Ein Beamter möchte in einer Viertelstunde zu uns kommen.«

»Wieso denn das?«, fragte Alfred.

»Hat das etwas mit Chiara zu tun? War Chiara heute Nacht zu Hause? Ich glaube, ich sehe mal nach«, sagte Brigitte beunruhigt und eilte entschlossen die Treppe hoch.

Nur nach Sekunden war sie wieder zurück.

»Sie ist nicht da! Sie war gar nicht da!«

»Dann muss etwas passiert sein.«

»Ja, warum will den ein Polizeibeamter persönlich in wenigen Minuten zu uns kommen?«

»Er wird es uns schon sagen«, sagte Alfred mit Groll.

Alfred schob seine noch halbvolle Kaffeetasse in die Tischmitte zurück und ging zum Badezimmer.

Brigitte kämmte sich vor dem Spiegel im Hausflur.

An der Haustüre läutete es.

Alfred kam noch etwas unvollständig bekleidet aus dem Bad. Beide blickten mit Anspannung zur Türe.

»Nun mach schon auf«, sagte Brigitte nach einer kurzen Schreckstarre.

Alfred ging über den Flur und öffnete die Türe.

Der Beamte grüßte und stellte sich vor: »Wagner, Kriminalhauptkommissar. Mein Assistent Leifert«. Er deutete mit dem Ausweis, den er vor sich hielt, auf seinen Begleiter.

»Kommen Sie doch herein«, sagte Brigitte die sich langsam aus ihrer Starre löste und auch in den Flur gekommen war.

Alfred ging voraus ins Wohnzimmer, die beiden Beamten folgten, Brigitte schloss als Letzte die Türe zum Flur.

»Das Mädchen Chiara Bergmüller ist ihre Tochter, nicht wahr?«, sagte der Kommissar mit Überzeugung.

»Da wir bei ihr den Schülerausweis gefunden haben, war der Weg zu Ihnen nicht schwierig«, ergänzte der Assistent.

»Ja, aber was ist passiert? Reden Sie schon!«, sagte Brigitte ungeduldig.

»Wir haben schon nachgesehen. Sie war die ganze Nacht nicht zu Hause«, brummte Alfred.

»Es tut uns Leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Tochter nicht mehr am Leben ist.«

Das war wie ein Keulenschlag, der die Gesichter der Eltern einfrieren ließ.

»Unfall? Hatte sie einen Unfall?«, wollte Alfred wissen, nach dem er ein paar Mal tief geatmet hatte.

»Das können wir noch nicht abschließend sagen. Wir haben sie im Flussbett der Isar aufgefunden.«

»Das heißt ein Spaziergänger hat ihren Körper dort gesehen. So wurde es uns gemeldet«, ergänzte der Assistent. Der Kommissar nickte ernst dazu.

»Zur näheren Klärung der Ursachen und der Umstände bitten wir Sie, uns im Präsidium aufzusuchen. Hier ist meine Karte. Am Eingang wird man Ihnen sagen, wie Sie uns finden. Wir bedauern es sehr, Ihnen heute diese Nachricht überbringen zu müssen. Dann bis morgen, so gegen neun Uhr. Auf Wiedersehen!«

Alfred ließ sich im Sessel zurückfallen starrte an die Zimmerdecke und schlug dann die Hände vor sein Gesicht. Brigitte verschwand im Badezimmer.

Am Montagmorgen machten sich Alfred und Brigitte fertig, um zum Polizeipräsidium zu fahren. Alfred hatte bereits alle seine geschäftlichen Termine über sein Büro absagen lassen. Immer noch irritiert von der schrecklichen Nachricht, hatten sie eine Nacht teils mit Diskutieren, trauerndem Schweigen, zwischenzeitlichem Schlafen verbracht.

Brigitte und Alfred saßen im Polizeipräsidium dem Kommissar an einem mit Akten und Papieren überladenem Schreibtisch gegenüber. Sein Assistent stand mit dem Rücken an das Fensterbrett gelehnt. Mit einem gelangweilten, uninteressierten Gesichtsausdruck hörte er den Ausführungen zu, die der Kommissar den Eltern gab, die in sich zusammengesunken wie von Ferne die Worte des Beamten wahrnahmen. Regungslos hörten sie die Erklärungen, die wie durch eine Nebelwand, kaum verständlich, an ihr Ohr drangen.

»Wie lange hat ihre Tochter schon Drogen genommen, Frau Bergmüller?«

Erst die Frage des Kommissars ließ Brigitte den Kopf ruckartig heben.

»Drogen, welche Drogen? «, fragte sie verstört.

»Frau Bergmüller, Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ihre Tochter hat am vergangenem Samstag, dem 24., gegen 23 Uhr, versucht, auf der Brüstung der Isar-Brücke zu balancieren, so berichten es Zeugen, und hat dann in ihrer Unkontrolliertheit das Gleichgewicht verloren und ist zwölf Meter in das Flussbett gestürzt. Leider haben wir bisher noch nicht exakt feststellen können, ob sie sich durch den Sturz das Genick gebrochen hat oder ertrunken ist. Der Wasserstand betrug zu diesem Zeitpunkt eineinhalb Meter. Das wird uns die Gerichtsmedizin sicher bald mitteilen können.«

»Drogen?«. Sie wiederholte das Wort langsam und mehrfach, ohne einen Zusammenhang herstellen zu können.

»Wo soll sie den das Zeug hergehabt haben?«

Die Gedanken der Mutter schwirrten ihn ihrem Kopf ziellos umher.

»Das möchten wir gerne von Ihnen wissen. Ist Ihnen in der letzten Zeit nichts an Ihrer Tochter aufgefallen?«, bohrte der Kommissar weiter.

»Ich verstehe das alles nicht. Sie war ein junges, aufgewecktes, lebensfrohes Mädchen.«

»Wir haben gestern, als wir ihr Zimmer durchsucht haben, nichts gefunden, was auf Drogen hindeutete. Sie muss die Drogen woanders eingenommen haben. Vielleicht dort, wo sie den Stoff herbekommen hatte.«

»Mit welchen Personen ist sie denn häufiger in Kontakt gekommen?«

»Mit Schulkameradinnen, Freundinnen, in den meisten Fällen«, erklärte Brigitte langsam die Wirklichkeit begreifend.

»Waren das alles nur weibliche Personen?«

»Nein, da gab es auch Jungs, Mitschüler.«

»Waren das überwiegend ein gleichaltriger Personenkreis?«

»Eigentlich ja.«

»Waren da auch ältere Männer darunter?«, wollte der Kommissar schließlich wissen.

»Weiß ich nicht. Kaum!«

»Nie auch ältere?«, der Kommissar bohrte weiter.

»Nicht, dass mir einer bekannt wäre«. Die Frau kramte in ihren Erinnerungen.

Es klopfte an der Bürotür. Die Abteilungssekretärin trat ein und legte dem Kommissar wortlos mit einem vielsagenden Blick ein Blatt Papier auf den Schreibtisch. Der Kommissar überflog den Text. Er blickte die Frau ruhig und nachsinnend an.

»Ihre Tochter war schwanger«, sagte er ruhig in den Raum hinein. »Und wir haben Substanzen in ihrem Blut gefunden, die dort nicht hinein gehören.«

Die Frau schaute versteinert. Es traf sie wie ein unvermittelter Schlag.