Der Trödler - Karlheinz Lappler - E-Book

Der Trödler E-Book

Karlheinz Lappler

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Beschreibung

Es ist die Geschichte eines jungen, unbekümmert lebenden Mannes auf der Suche nach brauchbaren Dingen in seiner Umgebung sowie seiner eigenen Bestimmung und seinem Platz im Leben. Seine Tätigkeit als Trödler mit erlebnisreichen Begegnungen lassen ihn letztlich etwas finden, was er nie gesucht hat.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

1

Franz Daxenbichler ging jeden Tag mit Langsamkeit und mit Ruhe an. Er sperrte seinen Antik-Laden in der Innenstadt von Partenkirchen zu unregelmäßigen Zeiten auf und zu und wies die Öffnungszeiten durch ein Schild aus, das immer an der Türe hängt und nur jeweils der Situation angepasst umgedreht werden musste: „GESCHLOSSEN - Closed“ und „ OFFEN - Open“.

Was er hasste und ihm völlig zuwider lief, war einer regelmäßigen Arbeit in einer Fabrik oder einer Werkstatt nachzugehen. Dafür nahm er ein geringeres Einkommen billigend in Kauf. Wenn sein Geschäft einmal schlecht lief, kam er auch mit dem aus, was er von den Mieteinnahmen des Hauses und der Rente seiner verwitweten Mutter abzweigen konnte. Es war für ihn auch nicht vorstellbar, den ganzen Tag im Laden zu sitzen und auf Kundschaft zu warten, wenn er nicht Dinge zu restaurieren und herzurichten hatte. Auf Drängen und Vermittlung seiner umtriebigen Mutter hatte er nach seiner Volksschulzeit eine Schreinerlehre begonnen, und, worauf seine Mutter stolz war, auch abgeschlossen. Sie merkte schon, dass ihr Franz kein dauerhafter Mitarbeiter in einem Handwerksbetrieb werden würde und erlaubte ihm ein freieres, ungebundenes Leben zu führen. Da es ihr Lieblingssohn war, sah sie über vieles, vor allem das Finanzielle, großzügig hinweg.

An seinen Vater, ein Spätheimkehrer aus dem Krieg, konnte er sich nur vage erinnern, denn dieser starb, als Franz gerade erst vier Jahre alt war. Seine Mutter mühte sich, ihn und seinen zwei Jahre älteren Bruder durch die Jahre der Kindheit zu bringen. Dazu führte sie den Krämerladen, den sie selbst von ihren Schwiegereltern übernommen hatte, als selbstständige Kauffrau und Hausbesitzerin. Unterstützung erhielt sie von einer Hausangestellten, die sie engagiert hatte, als die Kinder noch klein waren und der Aufsicht bedurften. Sein Bruder, der in der Tüchtigkeit eher der Mutter nachfolgte, war ein in vielen Bereichen erfolgreicher Händler geworden, der überall, wo er ein Geschäft mit Gewinnversprechen witterte, zur Stelle war. Der ältere Daxenbichler hatte eine tüchtige Floristin geheiratet, aber die Eheleute sahen sich oft nur an den Wochenenden, da jeder seinen Geschäften nachging, ohne mit dem anderen über Kreuz zu kommen. Beide waren mit dieser Situation zufrieden, auch weil das Floristikgeschäft im Haus der Daxenbichlers untergekommen war, und sich so die junge Frau um die Witwe Daxenbichler kümmern konnte.

Franz Daxenbichler durchstreifte an den Wochenenden regelmäßig die Flohmärkte Land auf Land ab, indem er seinen in die Jahre gekommenen VW Variant mal mit, mal ohne Anhänger zum Transport für mögliche Einkäufe einsetzte.

Als Verkäufer auf Flohmärkten war Daxenbichler selbst nur unregelmäßig zu finden. Hier hatte er hauptsächlich nur Waren bis zu 200 Mark in seinem Angebot. Die Kundschaft war hier bei höheren Preisen entweder zu vorsichtig oder zu knausrig. Viele kamen nur, um zu schauen und weniger um zu kaufen. Oft wollten sie die Preise bis ins Bodenlose herunterhandeln und Daxenbichler merkte aufgrund seiner mehrjährigen Erfahrung, wenn keine echte Kaufabsicht seitens des Besuchers bestand. Daher verringerte sich sein Interesse immer mehr, selbst als entgegenkommender Verkäufer aufzutreten.

Antikmärkte, die es in größeren Zeitabständen an verschiedenen Veranstaltungsorten gab, an denen auch eine stattliche Zahl von Interessierten herbeiströmten, besuchte Daxenbichler auch, allerdings nur als Beobachter des Marktes, als einer der die Angebote und vor allem die Preise im Auge hat.

In seinem Laden, der sich in einer Seitengasse von Partenkirchen im Haus seiner Mutter befand, teilte er im Erdgeschoß die andere Hälfte mit seiner Schwägerin Rosa, die ihren Blumenladen betrieb. Seine Mutter wohnte im ersten Obergeschoß, wo er selbst nur ein Zimmer beanspruchte. Mehr brauchte er nicht. Die Wohnung neben an und die im zweiten Stock waren vermietet. Den Krämerladen, den seine Mutter so lange bewirtschaftete, bis sie ein Alter erreicht hatte, das sie ans Aufhören denken ließ, konnte sie ihrem Sohn Franz überlassen, der dort nun seinen Antik-Laden einrichtete. Ein kleiner Supermarkt, der in der Nähe eröffnet hatte, zog zusätzlich Kunden und Umsätze ab, so dass die alte Krämerin die Lokalität wohl oder übel abgeben konnte. Daxenbichler war froh, sich mit seinem Gewerbe in seinem Wohnhaus niederlassen zu können. Wirtschaftlich versorgt wurde er von seiner Mutter, die für ihn kochte, die Wäsche machte und in seinem Zimmer für Ordnung sorgte. Mit der Umgestaltung des Ladens vom Krämerladen zur Antik-Boutique richtete er sich nach seinen Bedürfnissen und Vorstellungen dort ein. Mit Bedacht hatte er die Auslage im einzigen Schaufenster angeordnet. Links die Uhren und rechts von der Mitte Gläser und Besteckteile, dahinter wenige Teller. Ins Zentrum stellte er immer eine Figur aus Porzellan oder eine Schnitzfigur, die er in einem unregelmäßigen Rhythmus auswechselte. Alles sollte keinen übertriebenen Eindruck machen und keinesfalls wie ein übervoller Trödlerladen aussehen. Er wünschte sich gehobenes Publikum, besonders Touristen und ausländische Besucher der Stadt wollte er ansprechen. So war es nicht verwunderlich, dass einige Besucher der Alpenregion, die in der Stadt eine kurze Pause machten und durch die Altstadt schlenderten, dem Hinweisschild, das er am Eingang der Gasse angebracht hatte: „Antiquitäten – Antique Store“ folgten. Es waren nicht viele, aber auf diese Weise hatte er schon manches lohnende Geschäft beiläufig gemacht. Höhere Einnahmen konnte er nur wenige Male erzielen. Dazu kamen die Kunden nicht nur einmal und für nur wenige Minuten in den Laden. Sie kamen an den folgenden Tagen nochmals. Vermutlich hielten sie sich länger in der Stadt in einer Ferienpension oder in einem der großen Hotels auf. Bei ihnen merkte Daxenbichler sofort ein deutliches Kaufinteresse und er investierte viel mehr Zeit in die Beratung als bei einer gewöhnlichen Laufkundschaft. Da ließ er sich schon auf ein längeres Verhandeln ein.

Für das Gewerbe von Franz Daxenbichler war die Zeit gerade jetzt sehr günstig. Die Menschen auf dem Land wollten sich neu einrichten und Möbel sowie Gebrauchsgegenstände, die oft aus der Vorkriegszeit stammten, gegen Neues austauschen. Die modischen Dinge hatten auch die ländliche Bevölkerung erfasst. Viele Dinge wurden nicht mehr benötigt und nicht mehr geschätzt, und die Angebote in Möbelhäusern und Versandhauskatalogen waren verführerisch. Andererseits waren die Stadtmenschen darauf erpicht, sich mit bäuerlichen Möbeln, einer Modewelle entsprechend, ergänzend einzurichten. So kauften sie Möbel für Flure und Wohnzimmer, und wer einen Schrebergarten hatte, stattete das Gartenhäuschen mit bäuerlichem Gerät aus, das in der Landwirtschaft keine Verwendung mehr fand und jetzt als Dekoration herhalten sollte. So tauschten die Menschen Tischdecken aus Naturfasern gegen Plastikdecken ein, blasse, wenig ansehnliche Steingutschüsseln gegen bunte Plastikware, alte Öldrucke oder gar Originale gegen schnell produzierte Kaufhausbilder, Petroleumlampen gegen grelle Leuchtstoffröhren. Die Resopal-Beschichtung löste das Echtholz-Furnier in der Möblierung der Räume ab. Worüber Daxenbichler nur den Kopf schütteln konnte, war der Tausch von Hemden aus Leinen oder Baumwolle gegen Ware aus Nyltest. Vor allem die jungen Burschen waren aufgrund des Leuchteffekts bei den Tanzveranstaltungen haltlos begeistert.

Franz Daxenbichler durchfuhr mit seinem VW Variant unter der Woche die Orte in der näheren und weiteren Umgebung. Er hielt Ausschau nach alten Häusern mit alten Menschen. Manches Mal wurde er auch von jungen Hofnachfolgern, die ihn schon kannten, angerufen, um altes Gerümpel, für das er noch einige Mark herausrückte, abzuholen. Meistens hatte er seinen Anhänger mit angekoppelt, um gleich die Sache mit einem Jungbauern über die Bühne zu bringen. Um nicht aufzufallen, lud er auch alte Gegenstände, die wirklich nichts mehr wert waren, auf seinen Anhänger auf, obwohl er wusste, dass er sie umgehend zu entsorgen hätte, denn seine Scheune war schon brechend voll.

Als er in Gramling durch den Ort fuhr, und an einem Bauernhaus vorbeikam, fiel ihm die Nische in der Giebelfront eines stattlichen Hauses auf, in dem vielleicht noch ein altes Bauernpaar wohnte. In der wenig beachteten Nische müsste einmal eine Figur, eine Statuette gestanden haben, jetzt war sie leer. Daxenbichler stoppte am rechten Fahrbahnrand, stieg aus, überquerte die Dorfstraße und ging auf die Hofeinfahrt zu. Im Hofviereck zwischen Wohnhaus und Scheune kehrte ein alter Mann die Reste von verlorenem Heu zusammen. Daxenbichler betrat den Hof und ging auf den alten Mann zu. Dieser sah überrascht auf, als er Daxenbichler kommen sah. Was wollte ein Fremder, den er noch nie hier gesehen hatte und der sicher nicht aus seinem Dorf stammte, wo er jeden kannte?

Daxenbichler deutete auf die vordere Hausseite, wo sich die Nische befand, die jedoch blind war.

»Dürfte ich hiervon ein Foto machen?«, fragte er vorsichtig.

»Warum nicht, es ist ja nichts Besonderes.«

Daxenbichler holte seinen Fotoapparat aus dem Auto und schoss zuerst vom Gartenzaun aus ein erstes Foto von der gesamten Giebelfassade. Dann fokussierte er für eine Großaufnahme die Nische an.

»Dürfte ich noch einmal vorbeikommen, ich habe da eine passende Figur dazu?«

»Meinetwegen, aber ich sage Ihnen gleich, kaufen tu ich nix.«

Als Daxenbichler nach zwei Tagen wieder vor dem Bauernhof parkte, kam der alte Bauer gerade aus der Scheune.

»Sie schon wieder«, brummte der Alte.

»Ich würde gerne meine Figur, von der ich Ihnen erzählt habe, in die Nische stellen, das wird dann ein perfektes Foto. Gibt es hier eine Leiter?«, fragte Daxenbichler und sah sich den Kopf hin und her wendend suchend um.

Der Alte deutete nur mit einer kurzen Armbewegung auf die Seitenwand der Scheune.

Daxenbichler ging dorthin und hob die Leiter, die waagrecht an zwei Haken hing, herab und kam damit zum Haus zurück.

»Verkratzen Sie mir aber nicht die Wand!«, warnte der Alte.

Daxenbichler lehnte die Leiter an die Hauswand, so dass er die Nische der Höhe der zweiten Fensterreihe gut erreichen konnte. Er ging zu seinem Auto und entnahm aus dem Kofferraum ein Bündel, das den Inhalt noch verbarg, da es dick mit Zeitungspapier umwickelt war. Er schlug das Zeitungspapier zurück und entnahm eine farbig gefasste Figur, eine Maria, sitzend, mit dem Jesuskind auf ihrem Schoß. Das Papier legte er neben die Leiter auf den Boden und erklomm, die Figur im Arm schützend, die wenigen Sprossen der Leiter. Er stellte die Figur in die Nische, rückte noch etwas die Position zurecht und kehrte auf den Erdboden zurück.

»Und, wie gefällt sie Ihnen?«, fragte er freudig den Bauern.

»Ganz gut. So hat es hier früher vielleicht auch ausgesehen. Ich kann mich aber nicht mehr daran erinnern.

Die Nische ist schon lange leer. Aber sagen Sie, warum treiben Sie den ganzen Aufwand? Sind Sie Forscher, Volkskundler oder so etwas?«

Daxenbichler wich der Frage aus.

»Es macht doch einen guten Eindruck, nicht wahr? Wobei ein paar Blümchen in einer kleinen Vase würden sich daneben auch gut machen.«

Daxenbichler wandte sich um. Der Vorgarten war als Bauerngarten angelegt für Gemüse, Salat und einige Blumen.

»Da kann ich mir doch einige Stängel pflücken?«, fragte er forsch.

»Sie haben Glück, dass meine Frau das nicht mehr mitansehen muss, der Garten war ihr ganzer Stolz. Meine Schwiegertochter, die sich jetzt darum kümmert, ist da nicht so penibel.«

»Also darf ich?«, drängte Daxenbichler.

Der Bauer nickte.

»Ich hole noch ein altes Einweckglas aus der Scheune, damit die Blumen nicht verdursten«, sagte der Alte gar nicht mehr so abweisend.

Er verschwand in der Scheune und Daxenbichler pflückte einige Blumen, bis er einen kleinen bunten Strauß zusammen hatte. Der Alte kam mit einem angestaubten Glas aus der Scheune zurück, ging zum Brunnen, der eher ein langgestreckter Trog war, wusch das Glas und füllte es halbvoll mit Wasser. Daxenbichler steckte die Blumen in die Vase, kletterte die Sprossen zur Maria hoch und stellte sie neben der Figur ab.

Wieder heruntergeklettert, entfernte er die Leiter und legte sie vor der Giebelwand des Hauses ab.

»Ja, wollen Sie die Figur jetzt oben lassen?«, fragte der Bauer irritiert.

»Nein, nein. Für das Foto würde die Leiter jetzt nur stören.«

Daxenbichler suchte sich eine passende Position neben der Hofeinfahrt und machte einige Aufnahmen, indem er das Normalobjektiv sowie das Teleobjektiv einsetzte.

Daxenbichler stellte die Leiter wieder auf und holte die Maria wieder zurück, wickelte sie vorsichtig in das Papier und brachte sie zusammen mit der Fotoausrüstung zum Auto.

Er nahm die Leiter von der Wand und hängte sie an ihren angestammten Platz auf die Haken an der Scheunenwand.

»Jetzt habe ich doch die Blumen da oben vergessen«, sagte er, als er zurückkam.

»Das macht nichts, dann steht wenigstens etwas in der Nische«, bemerkte der Bauer.

»Dann bedanke ich mich bei Ihnen. Ich freue mich über die gelungenen Fotos.«

»Is scho recht. Des war für mi auch amol a Abwechslung.«

»Auf Wiedersehen und nochmals Danke«, rief Daxenbichler aus dem offenen Seitenfenster, das er gleich beim Einsteigen heruntergekurbelt hatte, denn das Wageninnere war über die Zeit unangenehm aufgeheizt worden. Er ließ den Motor an und fuhr ab.

Daxenbichler fuhr zu seinem Heimatort zurück. Er betrat seinen Laden mit der Werkstatt von der Rückseite aus, er durchquerte den Verkaufsraum, schloss die Türe von innen auf und drehte das Schild um, das anzeigte, dass der Laden nun geöffnet hatte. Er stellte die Madonna ins Schaufenster seines kleinen Ladens in der Fußgängerzone. Rechts und links platzierte er silberfarbene Kerzenständer, um die Bedeutung der Madonna hervorzuheben.

Als sein Bruder, der regelmäßig vorbeikam, und ihm von seinem geplanten Ski-Urlaub in St. Christina erzählte, beauftragte er ihn, dort im Grödnertal bei den Holzschnitzern vorbeizuschauen und entweder bei Comploj oder bei Moroder zwei Madonnen mit dem Jesuskind zu kaufen. Madonnen, die der Mariazeller Madonna in Österreich nachempfunden sind. Die Ausführungen sind nahezu gleich, da sie auf Kopierfräsmaschinen in Serie hergestellt werden. Jedoch wollte er die Figuren ungefasst, also ohne Grundierung und Bemalung, wie er betonte. Er sagte, das würde den Einkauf nur teurer machen und die Arbeit des Fassens könne er selbst durchführen und in seinem Sinne auch farblich ausführen.

»Diese Madonnen verkaufen sich recht gut, gerade wenn ich noch eine Geschichte mit ihnen verbinde, die ich den Kunden erzählen kann«, erklärte er seinem Bruder.

»Du bist schon ein ausgesuchter Batzi! Wenn du dich nicht amol vertust.«

Doch der Bruder versprach, sich nach dem Dreikönigstag wieder zu melden.

Daxenbichler entnahm den Schwarz-Weiß-Film der Kamera und ging für einen kurzen Moment über die Straße zum Fotogeschäft, nachdem er seine Nichtanwesenheit auf seinem Schild bekannt gegeben und seinen Laden zugesperrt hatte. Die Fotos, die er von der Madonnenfigur gemacht hatte, ließ er beim Fotohändler vervielfältigen und mit einem weißen Rand versehen, der mit einer Schere wellenförmig beschnitten wurde. Gerade so, wie die Bilder aus einer früheren Zeit zu haben waren.

Zu Hause ging er an die Beschriftung der Rückseite der Fotos. Auf das erste Bild schrieb er mit zittriger Sütterlinschrift, wie er sie einmal in der Grundschule gelernt hatte:

Daxenbichler setzte ein Schreiben auf, das die Herkunft der Statue erklären sollte:

„Als das Kloster Irsee 1802 aufgelöst wurde, ersteigerte der Vater meines Großvaters die Figur, die vielleicht aus der Zelle eines Mönchs stammte. Er hatte sie für eine Nische an der Ecke unseres Hauses vorgesehen, das gerade erbaut wurde.

Weil der Herr Pfarrer Ignaz Bächle meinen Großvater darauf aufmerksam machte, dass es ein wertvolles Kunstwerk wäre, nahm er die Figur wieder herunter und stellte sie in seinem Schlafzimmer auf die Kommode.

Joh. Holzer, Wiesbauer, 15. August 1935“

Daxenbichler schrieb in der Sütterlin-Schrift:

Daxenbichler war nun überzeugt, mehrfach ein gutes Geschäft mit den Madonnen machen zu können. Er würde auf die Kundschaft warten.

2

Bei einer Renovierung eines Hauses wurde eine Anrichte, eher ein Büffet, mit einem Aufsatzteil in den Hof eines bäuerlichen Anwesens gestellt. Das Möbel war vertikal dreifach gegliedert und das wiederholte sich im Aufsatz mit den Glastüren.

Als Daxenbichler bei einem seiner Streifzüge das Möbel entdeckte, das einer kompletten langgestreckten Resopal-Küche im Wege stand, handelte er es für geringes Geld dem Jungbauern ab. Anscheinend hatten es die Hausbesitzer eilig, denn die Anrichte war noch nicht vollständig und gründlich ausgeräumt. In der mittleren Schublade waren noch Küchenutensilien wie Kochlöffel, Dosen- und Flaschenöffner zu finden. In der rechten Schublade befand sich noch ein Kästchen so groß wie eine Zigarrenkiste. Die Besitzer hatten wohl vergessen, es herauszunehmen oder es war für sie wertlos und haben es an gewohnter Stelle belassen. Er wollte auf der Straße nicht genauer nachsehen, deshalb lud er die Anrichte auch noch mit Hilfe des halbwüchsigen Sohnes des Bauern auf seinen Anhänger auf.

Da sich die junge Bäuerin eine moderne Küche gewünscht hatte und der Bauer möglichst wenig Geld ausgeben wollte, wurden auch der Tisch und die Stühle durch einfache Stahlrohrmöbel ausgetauscht. Der Tisch hatte eine dünne, einfache Kunststoffbeschichtung und die Stühle eine leichte Polsterung mit abwischbarem Plastiküberzug. Die alten Möbel wurden in den Hof gestellt, bis glücklicherweise Daxenbichler die Möbelgruppe entdeckte und dem Bauern die Arbeit des Zersägens abnahm und stattdessen die Teile auflud. Der alte Tisch, ein sogenannter Gestell-Tisch mit massiver Eichenplatte, die auf einem vierbeinigen Unterbau ruhte, der unten mit umlaufenden dicken Holzleisten, die als Fußstütze dienten, zusammengehalten wurde.

Der Anhänger war fast überladen und Daxenbichler musste seine ganze Kunst des Stapelns aufbieten, um alles ohne Gefahr festgezurrt auf dem Hänger nach Hause zu bringen.

Im Hof hinter seinem Laden, wo er den Anhänger abstellte, nahm er als erstes das Kästchen aus der Schublade und trug es ins Haus Als er drinnen das Käschen öffnete, begegnete ihm ein Rasierzeug, wie es sein Vater in ähnlicher Weise in seinem Besitz hatte: der Rasierer, Ersatzklingen, ein Rasierpinsel, ein Schälchen mit einer Rasierseife, die zu Schaum geschlagen werden musste. Er legte den Inhalt heraus und bemerkte, dass dadurch das Kästchen keineswegs wesentlich leichter geworden war. Unten im Boden, der durch ein gleichartiges Brettchen abgedeckt war, entdeckte er nach dessen Herausnahme eine Papierabdeckung. Als er das Papier abhob, mochte er seinen Augen kaum trauen. Es lagen dort zwölf bis vierzehn Münzen, Goldmünzen. Es waren überwiegend 20-Mark-Stücke. Abgebildet war der Reichsadler mit großem Brustschild. Auf der Bildseite waren Porträts der Kaiser Friedrich III. und Wilhelm II. zu sehen.

Daxenbichler nahm die Münzen heraus und legte das Brettchen, das die Münzen verborgen hielt, wieder zurück. Er füllte die Rasier-Utensilien wieder hinein und klappte den Deckel zu. Er schaute aus dem verstaubten Fenster seiner Werkstatt und stellte sich verträumt vor, wie sich der Vorfahr im Bauernhaus einmal in der Woche fein gemacht hatte.

Da er überzeugt war, dass sich niemand auf dem Bauernhof an das Kästen erinnern würde und auch keiner etwas von der Münzsammlung wusste, legte er die Münzen in einen kleinen Tresor, der hinter einer Vielzahl von Holzteilen aller Art in die Wand eingemauert war. Die Sicherheit des Tresors bestand eher aus seinem Versteck hinter dem Gerümpel als aus dem wenig soliden Schloss, mit dem er ausgestattet war. Die anderen Möbelstücke, die er ablud, stellte er in den Schuppen hinter dem Haus, der jedoch schon so gefüllt war, dass er sein Auto seit zwei Jahren nicht mehr unterstellen konnte.

An Tagen an denen die Sonne von einem wolkenlosen, blauen Himmel schien, war Daxenbichler besonders gerne unterwegs. Er fuhr ohne Hast und fast schon mit einer provozierenden Langsamkeit durch die Dörfer, sodass er des Öfteren von den Bauern, die es mit Traktor und Anhänger auf den engen Dorfstraßen eilig hatten, angehupt und zu zügigerem Fahren aufgefordert wurde.

Wieder einmal beobachtete er die Renovierungsarbeiten an einem Bauernhaus. Die Fenster waren ausgebaut worden und die Fensterflügel und die Fensterläden standen angelehnt an der Hauswand. Gerne hätte der Bauer größere Fenster einsetzen lassen, aber dem hatte die Bauverwaltung wohl nicht zugestimmt, denn das hätte die Ansicht des Hauses entscheidend verändert.

Daxenbichler war das egal. Nicht egal waren die Fensterflügel, die ihn anlockten. Allein im Erdgeschoß waren es sechs Fenster und im Obergeschoß noch einmal vier.

Die Maße waren mit 60 mal 70 Zentimeter relativ bescheiden. Beim Näherkommen sah er, dass sich der Fensterlack schon vom Holzrahmen löste und an einigen Stellen der Kitt schon aus den Fugen gebröckelt war. Für Daxenbichler zählten nur die Scheiben. Das waren pro Flügel zwei, also zwanzig Scheiben. Denn die Scheiben waren noch „echtes“ altes Glas, kein industrielles Flachglas. Es war aus einer Zeit vom Ende des 19. Jahrhunderts oder zumindest aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Daxenbichler erkannte das sofort, da die Glastafeln leichte Wellen aufwiesen, also nicht vollständig plan waren und kleine Fehler wie Lufteinschlüsse und leicht auffällige Unregelmäßigkeiten aufwiesen. Diese ließen sich hervorragend als Malgrundlage für „antike“ Hinterglasmalereien verwenden. Dem Bauern sagte er nichts von seinem Verwendungszweck und lud deshalb die kompletten Fenster auf, obwohl er es nur auf die alten Glasscheiben abgesehen hatte.

Er hatte auch schon eine versierte Malerin in dieser Technik im Sinn: seine Grundschullehrerin, deren ausgeprägtes Hobby es seit ihrer Pensionierung war, solche Bilder anzufertigen. Er erinnerte sich gern an Fräulein Erna Wengenmeier, die ihm in seiner nicht immer leichten und problemlosen Grundschulzeit die einfachen Grundlagen für einen Burschen wie ihm, beigebracht hatte.

In seiner Werkstatt begann er die Glasplatten, die er aus den Fensterrahmen genommen hatte, zu zerteilen, so dass sie eine Größe von etwa einem DIN A4-Blatt bekamen. Dann legte er Zeitungspapier zwischen die Gläser und packte ein halbes Dutzend zusammen. Am Nachmittag wollte er seine alte Lehrerin besuchen, von der er wusste, dass sie diese Stunden für ihr Hobby nutzte.

Er hatte keinen weiten Weg vor sich und stand bald vor dem Eingang des niederen Häuschens und läutete. Es dauerte eine Weile, bis die Türe aufging. Die alte Dame schaute anfangs etwas verwundert, dann konnte sie den Besucher zuordnen.