Der Traum vom Glück - Barbara Cartland - E-Book

Der Traum vom Glück E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Die schöne rothaarige Corinna Lambert liebt ihren gutaussehenden Cousin Lord Edward Corbury seitdem sie miteinander als Kinder spielten. Als er aus dem Krieg mit Napoleon zurückgekehrt und sich verarmt und am Hungertuch nagend wiederfindet, ist sie es, die ihm einen halsbrecherischen Plan vorschlägt, um zu Geld zu kommen – auch wenn es bedeutet, ihn an eine andere zu verlieren. Doch als Edward's Pläne werden immer abenteuerlicher – wird er Corinna mit ins Unglück reißen?

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Der Traum vom Glück~1817

„Küß mich, Hetty, küß mich noch einmal!“

„Nein, Edward, ich muß jetzt wirklich gehen.“

„Du darfst nicht gehen, du mußt bei mir bleiben. Ich habe so lange darauf gewartet, mit dir allein zu sein.“

Lord Corbury nahm Hetty von Neuem in die Arme. Sein leidenschaftlicher Kuß raubte ihr beinahe den Atem.

„Mein lieber Edward“, flüsterte sie, „ich liebe dich, wenn du mich so küßt.“

„Und ich liebe dich“, sagte er mit tiefer Stimme. „Wann wirst du mich heiraten, mein Liebling?“

„Oh, Edward!“

Er ließ sie los und betrachtete ihr Gesicht. Es war ein sehr schönes Gesicht, das in ganz London Aufsehen erregte.

Hetty Baldwyn hatte auffallend blondes Haar und strahlend blaue Augen. Seit sie vor zwei Jahren in die Gesellschaft eingeführt worden war, bewunderte man sie, wo immer sie auch erschien. Kein anderes Mädchen konnte sich mit ihrer Schönheit messen. Sie war nicht nur bei den Gecken und Stutzern der vornehmen Gesellschaft begehrt, sondern auch bei allen anderen jungen Männern, die Rang und Namen hatten.

„Was soll das heißen: ,Oh, Edward?‘“ fragte Lord Corbury.

Hetty legte ihre Wange an seine Schulter.

„Du weißt doch, daß Papa es nicht erlauben würde.“

„Verdammt noch mal, warum sollten wir uns um deinen Vater kümmern? Wir werden davonlaufen. Wenn wir erst einmal verheiratet sind, kann er nichts mehr dagegen tun.“

Er hielt inne. Hetty sah ihn mit großen Augen an.

„Du meinst, wir sollen nach Gretna Green fahren?“

Ihre Stimme klang entrüstet.

„Warum denn nicht?“ fragte er. „Wenn wir jenseits der Grenze und verheiratet sind, ist er machtlos. Er kann uns dann höchstens noch böse sein, und wen kümmert das schon?“

Hetty verzog schmollend den Mund, wodurch sie noch verführerischer wirkte.

„Aber Edward, ich will eine große Hochzeit mit Brautjungfern und all meinen Freunden. Mein Brautkleid habe ich schon entworfen, und ich möchte Mamas Diamantdiadem tragen.“

Sie sah, daß Lord Corbury seine Brauen zornig zusammenzog.

„Natürlich würdest du einen sehr gut aussehenden Bräutigam abgeben“, fügte sie hastig hinzu.

„Warum, zum Teufel, ist es wichtig, wo und wie wir getraut werden? Hauptsache, wir werden ein Paar, oder?“ Er sah sie fragend an. „Wir brauchen doch weder Brautjungfern noch Publikum. Nur wir sind wichtig, Hetty! Du wirst meine Frau sein, und niemand kann dich mir nehmen.“

„Das wäre wunderbar“, seufzte Hetty. „Aber ich will Papa nicht vor den Kopf stoßen. Er ist sehr stolz auf mich, und es würde ihm das Herz brechen, wenn ich mich so ungebührlich verhielte und einfach nach Gretna Green ginge.“

„Was sollen wir also tun?“ fragte Lord Corbury verzweifelt.

Er war ein ausnehmend gut aussehender junger Mann, groß, mit breiten Schultern. Ein Blick aus seinen sanften, grauen Augen ließ das Herz eines jeden Mädchens schnell schlagen. Außerdem hatte er eine gewisse lässige Art, der selbst die wählerische Hetty nicht widerstehen konnte.

Sie löste sich aus seinen Armen und blickte zu ihm auf. Ihr maßgeschneidertes Reitkostüm aus türkisblauem Samt brachte die weichen Kurven ihres schlanken Körpers vorteilhaft zur Geltung.

Sie hatte ihren Hut mit dem duftigen Schleier abgenommen, als sie das Zimmer betreten hatte. Die Sonnenstrahlen, die durch die rautenförmigen Flügelfenster fielen, spielten in ihrem goldenen Haar und hüllten sie in einen hellen Schein. Sie verliehen ihr eine zarte Schönheit, die Lord Corbury in Bann schlug. Entrückt sah er sie an.

„Ich liebe dich, Hetty“, sagte er. „Ich kann nicht ohne dich leben.“

„Und ich liebe dich, Edward“, hauchte sie. »Aber wir müssen vorsichtig sein, sehr vorsichtig. Ich habe Papa nicht erzählt, daß du zurück bist. Er hat also keine Ahnung, daß wir in diesem Augenblick zusammen sind.“

„Wie hast du dann dein Kommen erklärt?“

„Ich habe Papa gesagt, daß. ich zum Kloster reite, um deine Haushälterin, Mrs. Buckle, zu besuchen, weil sie krank ist. Er hat mich gelobt, daß ich so hilfsbereit bin.“

„Früher oder später wird er bestimmt erfahren, daß ich wieder hier bin“, sagte Lord Corbury mißmutig.

„Daran habe ich schon gedacht“, entgegnete Hetty.

„Ich werde ihm sagen, daß dich Mrs. Buckle jeden Tag zurückerwartet. Wenn man schon lügt, sollte es eine gute Lüge sein.“

„Und glaubst du etwa, ich mag all diese Lügen und Ausreden?“ fragte Lord Corbury.

„Was können wir denn sonst tun?“

„Du kannst mich heiraten“, antwortete er.

„Und wovon würden wir leben?“

„Wir könnten hier leben.“

Er machte eine ausholende Geste und sah sich dabei im Zimmer um. Niedergeschlagen bemerkte er, daß die Einrichtung abgenutzt aussah und erneuert werden mußte. Nur die alten Holztäfelungen an den Wänden waren noch schön.

Von den Samtvorhängen löste sich der Fransenbesatz, und die Farben des Perserteppichs waren verblichen. Einige der Stühle waren zerbrochen und an den Wänden konnte man deutlich die Stellen erkennen, an denen früher einmal Bilder gehangen hatten.

Hetty folgte seinem Blick.

„Ich weiß, du liebst dein Zuhause, Edward. Aber es würde ein Vermögen kosten, es soweit in Ordnung zu bringen, daß man hier wohnen kann.“

„Und ich habe keinen Penny, geschweige denn ein Vermögen.“ Lord Corburys Stimme klang verbittert.

„Ich weiß, ich weiß“, antwortete Hetty, „und deshalb wäre es auch völlig sinnlos, mit Papa zu sprechen oder auch nur anzudeuten, daß du mich heiraten willst. Er will, daß ich eine ausgezeichnete Partie mache. Im Augenblick gilt seine Gunst Sir Nicholas Waringham.“

„Waringham!“ rief Lord Corbury wütend. „Glaubst du denn, du würdest glücklich werden mit diesem hochnäsigen Stutzer, der sich für so wichtig hält?“

„Er ist sehr reich“, sagte Hetty mit sanfter Stimme.

„Während ich keinen roten Heller besitze!“ erwiderte Lord Corbury böse.

Hetty wandte sich zur Tür.

„Ich muß gehen, Edward. Ich kann mich jetzt nicht länger mit dir unterhalten, aber ich werde versuchen, morgen wieder herüberzukommen. Ich werde Papa sagen, daß es Mrs. Buckle noch schlechtgeht und daß ich versprochen habe, ihr etwas zu essen zu bringen. Mama wird das auch gutheißen. Sie sagt ohnehin immer, daß ich mich mehr um die Kranken und Armen kümmern soll.“

„Dann kümmere dich um mich!“ drängte Lord Corbury und nahm sie in die Arme. Er sah ihr tief in die blauen Augen. „Du bist so schön, so unglaublich schön!“

Er preßte seine Lippen auf die ihren. Sie erwiderte seinen leidenschaftlichen Kuß, und er drückte sie fester an sich.

Es bestand kein Zweifel daran, daß er in Hetty Gefühle erweckte wie kaum ein anderer. Die meisten ihrer Verehrer hielten sie für ziemlich kühl, aber jetzt bebten ihre vollen Lippen, und ihre Arme schlangen sich um Lord Corburys Hals.

Als er sich schließlich von ihr löste, sah sie ihn voller Leidenschaft an. Rasch hoben und senkten sich ihre üppigen Brüste unter der knappen Samtjacke.

„Ich liebe dich! Ich liebe dich!“ rief er aus. „Gott, wie ich dich liebe!“

Schon wollte er sie wieder küssen, aber sie wehrte ihn ab.

„Nein, Edward. Ich muß gehen. Es ist schon spät. Wir dürfen keinen Verdacht erregen, sonst können wir uns nicht mehr treffen.“

Sie wandte sich zur Tür. Er folgte ihr langsam.

„Komm nicht mit mir“, warnte sie ihn. „Mein Reitknecht darf dich nicht sehen.“

„Kommst du morgen?“ fragte er mit bittender Stimme.

„Wenn ich kann“, versprach Hetty. „Aber Sir Nicholas kommt zu uns zu Besuch und Papa will, daß ich ihn empfange.“

„Verdammter Waringham! Warum muß er so viel Geld haben, wenn meine Taschen leer sind?“

„Das habe ich mich auch schon gefragt“, antwortete Hetty. „Edward, alles wäre anders, wenn du nur reich wärst. Das versichere ich dir. Kannst du dir nicht irgendwie Geld beschaffen? Wenn du nur ein kleines Vermögen hättest, würde Papa dich sicherlich wohlwollender betrachten. Schließlich trägst du einen sehr alten Titel.“

„Er ist genauso alt wie das Kloster“, antwortete Lord Corbury. „Und in dem gleichen trostlosen Zustand.“

Aus seiner Stimme sprach Verbitterung.

Hetty stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn sanft auf die Wange. Dann ging sie schnell zur Tür und öffnete sie. Mit einer verführerischen Geste winkte sie ihm zu und verschwand. Lord Corbury blieb zurück unter dem Eindruck von betörenden blauen Augen und lächelnden roten Lippen.

Einen Augenblick lang stand er vor der geschlossenen Tür, als erwartete er, daß sie noch einmal zurückkomme. Dann ging er langsam zum Fenster und sah traurig hinaus. Die späte Nachmittagssonne warf ihren schwachen Schein auf den vernachlässigten Rasen und die Blumenbeete, auf denen das Unkraut wucherte. Die Balustrade, die die Terrasse begrenzte, war von dichtem Moos bedeckt.

Plötzlich hörte er hinter sich ein Klicken, das ihn aus seinen düsteren Gedanken riß.

Er drehte sich um. Ein Teil der Holztäfelung neben dem Kamin wurde aufgeschoben und ein kleines Gesicht kam zum Vorschein, umgeben von auffallend roten, ungebändigten Locken.

Lord Corbury blickte hinüber.

„Corinna!“ rief er aus und ging zur Wand.

Das Mädchen schreckte bei seinem Anblick überrascht zurück. Lord Corbury packte es am Arm und zog es in das Zimmer.

„Was machst du denn da, Corinna?“ sagte er gereizt und schüttelte sie heftig. „Wie kannst du es wagen, dich in der Sakristei zu verstecken? Du benimmst dich unmöglich! Ich hätte nicht übel Lust, dir ordentlich den Hintern zu versohlen!“

Er rüttelte sie wütend hin und her, aber ihre Augen lachten ihn an.

„Nein, nein, Edward!“ schrie sie. „Deine letzte Tracht Prügel hat scheußlich weh getan! Und überhaupt bin ich jetzt zu alt dafür! Außerdem blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu verstecken. Ich wußte, daß Hetty nicht sehr erfreut gewesen wäre, wenn sie mich gesehen hätte.“

„Warum denn nicht?“

Er sah sie fragend an.

„Hetty mag andere Frauen nicht gern“, antwortete Corinna, „besonders, wenn sie gerade ein romantisches Stelldichein mit einem hübschen Kavalier hat!“

Sie sah Lord Corbury an und bemerkte den raffinierten Faltenwurf seines Halstuches, den eleganten Schnitt seiner Jacke und seiner gelben Beinkleider.

„Du siehst wirklich gut aus, Edward! Ich fand dich schon in deiner Uniform unwiderstehlich, aber jetzt bist du ein echter Adonis.“

„Ich wollte, ich wäre wieder in der Armee“, fiel ihr Lord Corbury ins Wort. „Dann müßte ich mir wenigstens nicht den Kopf über mangelndes Geld zerbrechen.“

„Ich befürchtete schon, daß du entsetzt sein würdest, wenn du erfährst, was auf dem Gut hier geschieht“, sagte Corinna mitfühlend und setzte sich auf die Armlehne eines Sofas.

„Warum hat mir niemand etwas mitgeteilt?“ fragte Lord Corbury.

„Ich wollte dir schon schreiben“, antwortete Corinna, „aber was hätte das genützt? Du warst in Frankreich, und selbst wenn du den Brief erhalten hättest, was ich bezweifelte, hättest du nichts ändern können, bevor du zurückkamst.“

„Und was kann ich jetzt tun?“ Seine Stimme klang aggressiv. „Swayer suchte mich vorgestern in London auf und teilte mir mit, daß ich die Gehöfte nicht verpachten könnte, ohne sie vorher instand setzen zu lassen und daß ich sie nicht instand setzen lassen kann, weil ich kein Geld habe. Wie konnte es soweit kommen?“

„Dein Vater war sehr krank, bevor er starb“, sagte Corinna, „und alles wurde immer schlimmer. MacDonald gab seinen Hof auf, und Grimble weigerte sich, weiterzumachen, wenn die Scheunen nicht ausgebessert würden. Natürlich würde sie im jetzigen Zustand niemand pachten.“ Sie hielt einen Augenblick lang inne. „Die anderen Höfe sind seit beinahe drei Jahren ohne Pächter“, fügte sie zögernd hinzu.

„Ich fragte Swayer, warum er mir nicht schrieb“, sagte Lord Corbury, „und er antwortete, daß das nicht seine Sache sei.“

„Ich glaube, das hätte Johnson tun sollen, der Verwalter deines Vaters“, sagte Corinna. „Aber er war schon immer ein mürrischer, schwieriger Mensch. Als er sechs Monate lang kein Gehalt bekam, war er so erbost, daß er einfach seine Sachen packte und verschwand. Er verabschiedete sich nicht einmal.“

„Verlassene Höfe! Keine Einkünfte! Und das Haus stürzt mir über dem Kopf ein!“ rief Lord Corbury aus. „Ich habe die Löcher im Dach bemerkt und die vielen Risse in den Zimmerdecken.“

„Die Decke in der Gemäldegalerie ist die einzige, die wirklich wichtig ist“, sagte Corinna.

„Gemäldegalerie!“ Lord Corbury lachte bitter. „Warum sollte sie wichtig sein? Es gibt dort keine Bilder. Schon seit Jahren nicht mehr.“

„Man mußte den letzten van Dycke verkaufen, um deinem Vater .die letzten Monate vor seinem Tod erträglich zu machen“, sagte Corinna. „Ich glaube, man hat einen ganz vernünftigen Preis dafür bekommen, aber es gab so viele Verpflichtungen und Schulden, so viele überfällige Löhne. Ich fürchte, es wird nichts davon übrig sein.“

„Es ist nichts übrig.“

„Oh, Edward, es tut mir so leid. Ich habe mich so sehr auf deine Rückkehr gefreut. Ich habe oft daran gedacht und mich so nach dir gesehnt, und jetzt ist alles verdorben.“

„Du kannst kaum erwarten, daß ich vor Freude außer mir bin“, sagte Lord Corbury niedergeschlagen.

„Nein, natürlich nicht“, gab Corinna zu. „Und du willst Hetty heiraten?“

Unsicher und zögernd war die Frage über ihre Lippen gekommen.

„Natürlich will ich das!“ antwortete Lord Corbury. „Sie ist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Und sie liebt mich, Corinna, das weiß ich. Wir könnten zusammen fortlaufen, wenn es nicht ihren eingebildeten alten Vater gäbe.“

„Sir Virgil ist sehr stolz auf seine Tochter“, sagte Corinna, als suchte sie nach einer Entschuldigung.

„Ich wäre auch stolz auf sie, wenn sie meine Frau wäre“, erwiderte Lord Corbury. „Was soll ich denn nur tun, Corinna?“

Während er sprach, ging er langsam zum Fenster zurück. Corinna beobachtete ihn und stellte fest, daß alles genauso war wie früher.

Er war zwar sechs Jahre älter als sie, aber er war ihr Vetter zweiten Grades und wohnte nur eine halbe Meile von ihr entfernt. So hatten sie immer viel Zeit miteinander verbracht, zuerst als Kinder und später in den Ferien, wenn Edward nach Hause kam. Er hatte in der näheren Umgebung keine gleichaltrigen Freunde.

Er behandelte Corinna immer wie einen kleinen Jungen, dem er seinen Willen aufzwang, der ihn bediente und immer alles Unangenehme für ihn erledigte. Sie war seine einzige Vertraute gewesen.

Und jetzt hatten sie, ohne darüber nachzudenken, zu ihrem freundschaftlichen Verhältnis zurückgefunden.

„Wieviel Geld hast du, Edward?“ fragte Corinna.

„Keines, absolut keines!“ erklärte er. „Nachdem ich mit Swayer gesprochen hatte, gab ich meine Wohnung in der Dover Street auf, entließ meinen Kammerdiener und verkaufte alle meine Pferde bis auf die zwei, mit denen ich heute hierhergekommen bin. Von dem Geld habe ich den größten Teil meiner Schulden beglichen.“ Er hielt einen Augenblick lang inne. „Ich könnte mich verfluchen“, fuhr er fort, als spräche er zu sich selbst, „daß ich so verrückt war, dieser Modepuppe zwei Kleider zu kaufen, die sie unbedingt haben wollte. Aber woher konnte ich wissen, daß alles so hoffnungslos ist?“

„Du hast ja immer noch das Kloster“, sagte Corinna zögernd.

„Ja, ich habe immer noch das Kloster. Aber ich könnte es nicht einmal verkaufen, wenn ich wollte, weil es als unveräußerliches Erbgut meinem Sohn vermacht werden muß. Dem Sohn, den ich mir wahrscheinlich niemals werde leisten können!“

„Zumindest hast du ein Dach über dem Kopf.“

„Und dafür sollte ich dankbar sein“, fügte er ironisch hinzu. „Ich besitze auch tausend Morgen ertragloses Land. Ich kann es mir nicht leisten, es selbst zu bestellen, und ich werde kaum jemand finden, der es für mich tut. Hast du bemerkt, Corinna, daß seit dem Krieg die Bauern im ganzen Land bis über die Ohren in Schulden stecken?“

„Ja, das habe ich bemerkt“, antwortete Corinna, „und das ist beschämend. Als wir gegen Frankreich Krieg führten, brauchten wir alle etwas zu essen und waren froh, daß die Bauern uns ernährten. Und jetzt, nur zwei Jahre nach Waterloo, können dieselben Männer, die man bejubelte, nicht einmal ein Darlehen aufnehmen, das ihnen bis zur Ernte weiterhilft.“

„Angeblich macht eine Bank nach der anderen bankrott“, sagte Lord Corbury. „Du kannst also nicht erwarten, daß sie Darlehen gewähren, die wahrscheinlich nie zurückgezahlt werden.“

„Was wirst du tun?“ fragte Corinna seufzend.

„Das frage ich dich“, antwortete er.

„Ich hoffte, du würdest den Leuten auf deinem Gut nach deiner Rückkehr helfen können. Aber jetzt sieht es nicht so aus.“

„Welchen Leuten?“ fragte er ohne großes Interesse.

„Nun, die wichtigste ist Mrs. Buckle“, war ihre Antwort. „Schließlich bist du ihr verpflichtet, Edward. Sie arbeitet seit beinahe fünfzig Jahren im Kloster. Mit zwölf Jahren kam sie als Spülmädchen zu deinem Großvater.“

„Was ist mit ihr los? Ich sah sie, als ich ankam, und es schien ihr gutzugehen.“

„Gesundheitlich geht es ihr gut“, antwortete Corinna. „Es geht um Simon, ihren Sohn. Du weißt doch, wie sehr sie ihn liebt.“

„Ich habe gehört, daß er unverletzt aus dem Krieg zurückgekommen ist.“

„Das stimmt, und letztes Jahr hat er ein Mädchen aus dem Nachbardorf geheiratet. Er wollte sein Geld als Fuhrmann verdienen, und so borgte er sich zwanzig Pfund, um ein Pferd und einen Wagen zu kaufen. Der alte Fuhrmann ist vor zwei Jahren gestorben.“

„Na gut, und was ist daran nicht in Ordnung?“ unterbrach sie Lord Corbury.

„Nichts, außer daß er zu Jim Honk ging, einem unserer neuen Pächter, der die Alte Mühle gepachtet hat.“

„Die Alte Mühle“, sagte Lord Corbury stirnrunzelnd. „Ich dachte, sie wäre schon zu baufällig, um vermietet zu werden.“

„Er zahlt nur eine sehr niedrige Pacht“, sagte Corinna, „und er ist der schrecklichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich hätte niemals zugelassen, daß er seinen Fuß auf unseren Grund setzt, wenn ich etwas zu sagen hätte. Aber ich glaube, Johnson überließ ihm das Haus, weil er keinen Pächter fand. Edward, er ist ein Geldverleiher!“

„Hier, in Little Coombe, in diesem Nest!“ rief Lord Corbury überrascht aus. „Wozu brauchen wir einen Geldverleiher?“

„Nur für Leute wie Simon“, antwortete Corinna. „Mr. Honk fahrt regelmäßig nach Brighton und die anderen Städte in der Umgebung. Soviel ich weiß, blüht sein Geschäft. Aber er ist ein Betrüger, ein herzloser Betrüger, und das ist das Schlimme daran.“

Lord Corbury sah sie interessiert an.

„Was meinst du mit Betrüger?“

„Nun, Simon hat sich vor einem Jahr von ihm zwanzig Pfund geliehen“, antwortete Corinna, „und Mr. Honk sagt, er schulde ihm jetzt einhundert. Und es wird von Monat zu Monat mehr.“ Sie machte eine verzweifelte Geste. „Wie soll ihm Simon jemals einhundert Pfund zurückzahlen? Er kann arbeiten, soviel er will, seine Schulden werden immer größer.“

„Das ist ihre Art, die Leute zu erpressen“, sagte Lord Corbury. „Ich mag in vieler Hinsicht ein Narr sein, Corinna, aber ich war niemals so hirnverbrannt, mich in die Klauen eines Geldverleihers zu begeben. Ich habe nur zu oft beobachtet, was sie mit meinen Regimentskameraden gemacht haben. Einer von ihnen hat Selbstmord begangen, weil sie ihn so lange erpreßten und bedrohten, bis er es einfach nicht mehr aushielt.“

„Ich wußte, du würdest es verstehen!“ sagte Corinna und klatschte in die Hände. „Deshalb hoffte ich auch, du würdest etwas tun, wenn du zurückkommst.“

„Was kann ich denn tun? Ich kann Simon keine hundert Pfund geben!“

„Das ist noch nicht alles, Edward. Es geht nicht nur um Simon.“

„Wer ist noch davon betroffen?“ fragte Lord Corbury.

„Du erinnerst dich sicher an Mrs. Jarvis, die das Gasthaus ,Zum grünen Mann‘ führte?“

„Ich erinnere mich gut an Jarvis“, antwortete Lord Corbury.

„Ihr Mann starb vor ungefähr fünf Jahren, aber Mrs. Jarvis machte allein weiter. Ihr Sohn Joe half ihr, bis er in den Krieg mußte. Aber sie kam auch dann zu Rande und sparte jeden Penny, den sie verdiente, für ihn. Er sollte die Stelle seines Vaters einnehmen, wenn er zurückkam.“

„Und was geschah?“ fragte Lord Corbury.

„Vorletzten Winter wurde Mrs. Jarvis krank. Es war damals sehr kalt, und ich glaube, sie sparte an Kohle, um mehr Geld auf die Seite zu legen. Jedenfalls bekam sie eine Lungenentzündung und Jim Honk besuchte sie, als sie im Sterben lag.“

„Warum?“ Lord Corbury sah sie verständnislos an.

„Er war mit ihrer Schwester verheiratet. Ob sie ihn geschickt hat oder ob er nur zufällig vorbeikam, weiß ich nicht. Auf jeden Fall gab Mrs. Jarvis ihm ihr Geld. Er sollte es für Joe verwahren, bis er aus dem Krieg zurückkommen würde. Sie bat ihn auch, nach dem Gasthaus zu sehen oder, wenn es verkauft werden mußte, das Geld für Joe aufzubewahren.“

„Weiter“, sagte Lord Corbury.

„Mrs. Jarvis starb, und als Joe zurückkam, sagte man ihm, was seine Mutter für ihn getan hatte. Da behauptete Jim Honk, daß seine Mutter nichts hinterlassen hätte.“

„Das ist doch unmöglich!“ rief Lord Corbury aus. „Wie konnte er das ungestraft tun?“

„Offensichtlich sagte er einfach zu Joe: ,Du mußt beweisen, daß sie mir Geld gab oder daß sie den Erlös aus dem Verkauf des Gasthauses haben wollte.‘“

„Er hat es also verkauft?“

„Ja, er verkaufte es eine Woche nach Mrs. Jarvis Tod, und man sagt, mit großem Gewinn. Aber natürlich weiß das niemand sicher. Es war ein gutgehendes kleines Gasthaus, und da war ja auch noch das Geld, das sie gespart hatte. Joe glaubt, daß es über tausend Pfund gewesen sein müssen, und er hat keinen Penny erhalten.“

„Das ist das Schändlichste, was ich je gehört habe!“ rief Lord Corbury zornig aus. „Ich würde diesem Honk gern meine Meinung sagen!“

„Viele Leute haben das schon versucht“, sagte Corinna, „aber es nützt nichts. Es ist ihm egal, er ist reich und geizig. Ich habe ihn gesehen …“ Sie hielt plötzlich inne, und ihre Augen leuchteten auf. „Hör zu, Edward! Ich habe eine Idee!“

„Was für eine?“ fragte er.

„Ich habe darüber nachgedacht, wie du das Geld für Simon Buckle und Joe Jarvis zurückbekommen kannst, und vielleicht kannst du dabei auch noch etwas für dich herausholen.“

„Wovon sprichst du?“ fragte Lord Corbury.

Corinna stand vom Sofa auf. Mit gefalteten Händen stand sie da und blickte gedankenversunken vor sich hin.

„Ich weiß, wo Jim Honk sein Geld versteckt“, sagte sie. „Ich habe gesehen, wie er von seinen Reisen zurückkam und viele Taschen von seinem Wagen ins Haus trug. Er versteckte sie unter den Fußbodenbrettern.“

„Wie in aller Welt konntest du das sehen?“ fragte Lord Corbury.

„Ich habe dir doch gesagt, daß er ein schrecklicher Mensch ist. Er hat zwei bissige Hunde, die sein Haus bewachen, wenn er weg ist. Sie müssen natürlich sein Geld hüten. Aber, Edward, er füttert sie nicht gut. Er glaubt wahrscheinlich, daß sie gefährlicher sind, wenn sie Hunger haben. Er gibt ihnen schon wenig genug, wenn er hier ist, aber wenn er fort ist, bekommen sie oft drei oder vier Tage kein Futter und manchmal nicht einmal Wasser.“

„Dieses verdammte Schwein! Aber was kannst du da tun?“

„Ich füttere sie“, antwortete Corinna.

„Du fütterst sie!“ wiederholte er ungläubig.

„Zuerst warf ich ihnen Futter über den Zaun“, erklärte Corinna. „Wenn sie mich jetzt sehen, wedeln sie mit dem Schwanz, und ich kann mit ihnen machen, was ich will. Natürlich weiß Jim Honk nichts davon.“

„Aber bist du ganz sicher, daß sie dir nichts tun würden?“

„Ich bin sicher, sie würden mich jetzt gegen jeden Angreifer verteidigen“, antwortete Corinna lächelnd. „Verstehst du denn nicht, Edward? Es ist doch so einfach! Wir holen Honks ergaunertes Geld, geben Jarvis und Simon, was ihnen zusteht, und vielleicht bleibt für dich dann so viel übrig, daß du wenigstens ein paar Arbeiten an den Höfen ausführen lassen kannst.“

„Schlägst du etwa vor, ich soll stehlen?“ fragte er mit drohender Stimme.

„Ich schlage nur vor, daß du den Reichen etwas nimmst und es den Armen gibst“, entgegnete Corinna.

„So etwas Lächerliches habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört!“ rief Lord Corbury aus. „Du glaubst doch wohl nicht, daß ich mich zu einem gewöhnlichen Dieb mache?“

„Nun, wenn du das nicht tust, bleibt Simon diesem Ungeheuer weiterhin ausgeliefert“, sagte Corinna, „und Joe ist schon so verzweifelt, daß er jeden Penny, den er verdient, versäuft und darüber nachgrübelt, wie man ihn betrogen hat.“

„Ich denke, er könnte etwas Besseres tun“, warf Lord Corbury ein.

„Was denn?“ fragte Corinna. „Es waren keine Zeugen dabei, als Mrs. Jarvis das Geld übergab. Wir wissen zwar alle, wie hart sie arbeitete und wie sie jeden Penny für ihren Joe sparte. Und wir wissen auch, daß sie sicherlich nicht wollte, daß ihr Schwager, den sie kaum kannte, das Gasthaus verkauft und das Geld in die eigene Tasche steckt.“

„Vielleicht könnte ich wegen Jarvis mit einem Anwalt sprechen“, schlug Lord Corbury vor.

„Und wie willst du ihn bezahlen?“

.Mit einer ungeduldigen Handbewegung wandte sich Lord Corbury ab und ging zum Fenster.

„Ich muß sagen, Edward, ich finde, du bist alt geworden“, sagte Corinna mit sanfter Stimme.

„Wie meinst du das?“ fragte er.

„Früher haben wir so viel Unsinn angestellt, antwortete Corinna. „Erinnerst du dich, wie wir die preisgekrönten Pfirsiche aus dem Gewächshaus des Lord Lieutenant stahlen, weil sein Gärtner so gemein war zu den armen Leuten, die sich in der Blumenschau bewarben? Er sorgte immer dafür, daß sie keine Chance hatten, einen Preis zu gewinnen. Einen Teil der Pfirsiche haben wir gegessen, die übrigen warfen wir in den See. Niemand hat je herausgefunden, wer die Diebe waren.“

„Damals waren wir jung“, sagte Lord Corbury.

„Und ein anderes Mal hast du ohne Erlaubnis die Pferde deines Vaters genommen und wir sind zu einer Mühle bei den Hügeln geritten. Es war einer der schönsten Tage meines Lebens, Edward. Erinnerst du dich, wie aufregend das war?“

„Das stimmt“, antwortete er.

„Wir trieben die Pferde nach Hause“, fuhr Corinna fort, „und der alte Sam, der Kammerdiener, verriet uns nicht, weil er uns gern hatte. Als dein Vater fragte, was wir getan hatten, sagtest du, wir wären beim Fischen gewesen. Damals hattest du wenigstens keine Angst!“

„Zum Teufel mit dir! Ich habe keine Angst! Aber ein junger Herr stiehlt einfach nicht.“

„Es nützt nicht viel, ein Herr zu sein, wenn man außer Stolz nichts besitzt“, entgegnete Corinna.

„Mir bleibt nichts anderes übrig“, sagte Lord Corbury.

„Nun, bei Hetty wirst du damit nicht sehr weit kommen. Sir Virgil ist nicht der einzige, der Ehrgeiz besitzt.“